André Brie
Ein Schritt in die falsche Richtung
Disput, Nr. 8/2001
Die Bonner Klimakonferenz hat, will man Trittin, Schröder und den meisten deutschen Medien glauben, einen historischen Durchbruch gebracht und die Vereinbarung von Kyoto zum Klimaschutz gerettet. Erstmalig sei damit ein völkerrechtlicher Vertrag mit konkreten Verpflichtungen zur Verringerung der CO2-Emissionen erreicht worden. Die USA, die nur solches internationales Recht respektieren, das sie als Machtinstrument gegen andere Staaten einsetzen können, nehmen an den Bemühungen ohnehin nicht teil. Japan, Kanada und Russland haben sich ihre eventuelle Beteiligung abkaufen lassen. Der Preis ist bekannt: Von den in Kyoto vereinbarten Reduzierungen ist nicht mehr viel übrig geblieben. Man kann nicht mehr vom Kyoto-Klimaschutz-Protokoll, sondern muss von einem Bonner Abkommen zur völkerrechtlich geregelten Zerstörung der Ökosphäre sprechen.
Viele konkrete Seiten der Anreicherung von CO2 und anderen sogenannten Treibhausgasen (zum Beispiel Methan) in der Erdatmosphäre und ihre klimatischen Konsequenzen sind noch nicht zuverlässig einschätzbar. Aber erstens sind sich die Experten darüber einig, dass eine durch menschliche Tätigkeit verursachte Erwärmung tatsächlich stattfindet, dass es sich also nicht um eine der üblichen natürlichen Klimaschwankungen handelt. Zweitens gehen fast alle Klimaforscher davon aus, dass sich diese Erwärmung bedrohlich beschleunigt hat, und dass sie existenzielle Auswirkungen für viele Regionen auf dem Erdball haben kann. Nicht die Gewissheit und mathematische oder geophysikalische Berechenbarkeit des Eintretens von Klima- oder klimatisch verursachten Hunger- und anderen Katastrophen, aber die Gewissheit solcher Möglichkeit veranlasste die Regierungen, darunter die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel das Protokoll von Kyoto auszuhandeln und zu unterschreiben. Allerdings reichten die dramatischen Tatsachen für diesen Schritt der Vernunft nicht aus. Großer Druck von Umweltverbänden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und anderen Akteuren war erforderlich, die Regierenden dazu zu bewegen. Der grüne deutsche Umweltminister Jürgen Trittin und seine Amtskolleginnen und -kollegen haben nun unter dem Druck der USA zunichte gemacht, was damals entstanden war.
Man sollte nicht inflationär von existenziellen Bedrohungen der Öko- und Biosphäre auf der Erde oder menschlicher Gesellschaft reden. Doch hinsichtlich der Gefahren des Treibhauseffektes (der Aufheizung der Erdatmosphäre) wäre jede andere Einschätzung unverantwortlich. Noch wird diese Entwicklung von menschlicher Tätigkeit verursacht — zu fünfzig Prozent vom Kohlendioxid, das wir für Kapitalverwertung und Wohlstand aus den Verbrennungsmotoren unserer Autos, den Schornsteinen der Fabriken und Kraftwerke, zu dreißig Prozent von Methan, das beispielsweise von den immer größeren Rinderherden freigesetzt wird, die wir zu unserer hochzivilisierten Ernährung in den Fastfood-Ketten benötigen.
Noch wird ein großer Teil des CO2-Ausstoßes in den Weltmeeren absorbiert oder in den tropischen Wäldern abgebaut. Die aber werden mit einem Tempo von mehr als einhunderttausend Quadratkilometern pro Jahr vernichtet. Die Weltmeere wiederum erwärmen sich: Wärmeres Wasser aber speichert weniger CO2. Vielleicht werden wir irgendwann - durch Naturkatastrophen oder durch politischen Widerstand - doch die heutige, so zerstörerische Produktions- und Lebensweise umstoßen, aber es kann zu spät sein. Dann wird das Kohlendioxid aus den Weltmeeren freigesetzt und in den Wäldern nicht mehr abgebaut werden. Wo einmal Gletscher und Eis das Sonnenlicht zurück in den Weltraum reflektierten, werden es dann dunkle Wasserflächen absorbieren und den Energiehaushalt der Erde zusätzlich vergrößern. Das ist es, was der Zukunftsforscher Robert Jungk und andere schon vor Jahrzehnten als "point of no return" bezeichnet hatten, den Punkt, hinter dem es keine Umkehr mehr gibt.
Daran müssen sich die in Bonn verabredeten Absichten messen lassen. Und daran gemessen, vermag ich nur ein Scheitern zu erkennen. Das Thema ist wichtig genug, sich mit ihm nicht nur einmal und auch viel gründlicher zu befassen. In diesem Beitrag wollte ich jedoch "lediglich" auf zwei besondere Aspekte hinaus: Erstens haben wir uns auch in der PDS zu fragen, wie wir ohne Abstriche an der sozialen und lebensalltäglichen Orientierung unserer Politik ökologischen Herausforderungen mit aller Konsequenz gerecht werden, zumal sie selbst auch soziale Fragen geworden sind. Abgesehen davon, dass wir meiner Meinung nach außerhalb unserer schönen Papiere doch eher Nachholbedarf erkennen lassen, ist ja auch das Dilemma zu berücksichtigen, dass ökologische Probleme in der Bevölkerung gegenwärtig nur eine geringe Rolle spielen.
Zweitens wirft Trittins Verhalten ein Grundproblem linker Politik auf: Sicherlich haben er und seine Partner in der EU den Vertrag an sich gerettet. Es gibt nun möglicherweise erstmalig ein Völkerrechtsinstrument auf diesem existenziellen Gebiet. Mag sein, dass es auch Ausgangspunkt eines Prozesses wird. Aber können, dürfen solche Erwägungen es rechtfertigen, inhaltlich, hinsichtlich der realen CO²-Reduzierung so prinzipiell hinter allen dringenden Erfordernissen zurückzubleiben? Wäre mit einem Nein zur Aufhebung der Kyoto-Beschlüsse nicht viel eher eine Isolierung der USA, Japans, Russlands und Kanadas erreicht worden? Und ein neues öffentliches Problembewusstsein? Und Widerstand? Meine Antwort ist eindeutig. Gerade Realpolitik verlangt ein klares Nein zu Bonn. Auch kleine Schritte in die richtige Richtung können nicht gering schätzt werden. Doch dieser Schritt geht in die falsche Richtung. Er lähmt das Engagement für die sehr komplexe Aufgabe, er blockiert die notwendigen schnellen Schritte einer realen CO²-Verringerung, er ist das Signal, dass den Regierungen nicht nur in Nordamerika die Expansionsinteressen der Wirtschaft unvergleichlich wichtiger sind als der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auf dieser Erde.
Disput, Nr. 8/2001