Klaus Hart

Wendeverlierer Ost-Natur

Wie in der Ex-DDR  Natur und Naturschutz systematisch plattgemacht werden

 

Ein komischer Vogel, dieser  auffällig elegant dahinschwebende  Rotmilan. Ausgerechnet in Sachsen-Anhalt, nach landläufiger Ansicht  tief gezeichnet von Bitterfelder Chemie-Horror, abstoßend industrialisierter Ost-Landwirtschaft und dem größten Truppenübungsplatz Mitteleuropas, fühlt er sich in  vierzig Jahren  DDR am wohlsten. In keinem deutschen Landstrich ist er häufiger, ebenso sein wichtigstes Beutetier, der Feldhamster. 

Dann kommt die Wende. Flugs wird bundesdeutsche Umweltpolitik á la Töpfer und Merkel,  auch der Grünen,  auf den Osten übertragen. Da wußte man aus den Medien – von Bürgerrechtlern, führenden Politikern –, jetzt geht es so wie drüben, mit Natur und Umwelt im Osten richtig aufwärts. Denn der, dröhnte es von allen Seiten, war ein ökologisch total zerstörtes Land, nach vierzig Jahren rücksichtsloser SED-Planwirtschaft. Rauchende Schlote apokalyptisch anmutender Industrielandschaften, das Antlitz ganzer Regionen unwiederbringlich vernichtet – während im Westen Deutschlands, dank Demokratie und Rechtsstaat mit weit besseren Umweltgesetzen, alles viel, viel besser lief.

Denn wie die ARD bis heute verbreitet, war in der DDR Umweltschutz überhaupt kein Thema. Vergiftete Luft, kaputte Wälder, Pestizid-Seen, selbst die Regenwürmer auf den Äckern fast ausgestorben – so vermelden Nachrichtenmagazine, Fachblätter, Illustrierten, steht es selbst in Büchern. Milliarden werde es kosten, so die Regierungspolitiker, den umweltzerstörten Osten wieder zum Blühen zu bringen, ihn möglichst rasch an das weit höhere ökologische Niveau der alten Bundesländer anzupassen. 

Gutgläubige Naturfreunde freuten sich auf rasch wachsende Artenbestände, so hoch wie im Westen, natürlich auch bei Rotmilan und Hamster. Denn immer noch, wußte jeder, erkennt man den ökologischen Zustand einer Region am deutlichsten daran, wie es  Flora und Fauna geht. Doch merkwürdig, die so heftig begrüßte neue Umweltpolitik schafft zuerst den Hamster ab – nach wenigen Jahren ist er vom Aussterben bedroht, wird deshalb „Tier des Jahres 1996“. Folgerichtig verringert sich der Rotmilan drastisch. Sechzig Prozent des Weltbestandes leben in Deutschland, davon zwei Drittel in der Ex-DDR. Dort gehen die Rotmilane allein 1998 um fünfundzwanzig Prozent zurück. Im nur dreizehn Quadratkilometer großen Waldgebiet Hakel bei Halberstadt horsten  vor 1989 bis zu 136  Brutpaare, im nahen Huy rund einhundert, sensationell für die Ornithologenwelt, kontinuierlich beforscht. Dann kracht die DDR zusammen – die Rotmilanpopulation von Hakel und Huy ebenfalls, um sage und schreibe neunzig Prozent.  Im früher artenreichen  Thüringer Kyffhäuserkreis dasselbe – zur Wende gibts  über siebzig Brutpaare, derzeit nur noch rund zwanzig.

Bei zahlreichen anderen Arten ist es genauso, kritisieren  die östlichen Naturschützer. Bis zum Umweltministerium Jürgen Trittins ist das noch nicht durchgedrungen. Auf  Anfrage werden die Nachwende-Rückgänge allen Ernstes glatt bestritten. „Das ist ein Märchen“, heißt es zum Verschwinden des Feldhamsters nach 1989, “das hat mit der Wende nichts zu tun.“ Hohngelächter bei den Experten von Rügen bis Dresden, „typisch Grüne“. In Brandenburg wird der putzige Nager mit dem farbenprächtigen Fell vor 1989 noch an mindestens zehn Standorten nachgewiesen, heute nur an vieren. Alle Fachleute verweisen auf den weltbekannten Biowissenschaftler Dr. Hans Stubbe von der Universität Halle, der  über die Artentrends noch aus DDR-Zeiten am besten Bescheid weiß. Fast jedes Wochenende ist er draußen in der Natur, klettert zu Nestern hinauf, beringt Junge, hat oft ausländische Experten dabei,  registriert, kartiert, bei Wind und Wetter. 

1999 hat er mit seinem Team in der ganzen Hakel-Region 175 Greifvogelhorste untersucht – nur bei dreien davon ließen sich überhaupt noch  Feldhamster als Jungennahrung nachweisen:

"Das zeigt den  dramatischen  Rückgang –  das gleiche wie beim Feldhasen, dem Rebhuhn und anderen Tieren der offenen Landschaft. Die Artenvielfalt war auf den Agro-Ökosystemen zur DDR-Zeit um eine Zehnerpotenz höher als auf westdeutschen Gefilden."

Das muß man sich schon einmal auf der Zunge zergehen lassen – also zehnmal höher wie in den alten Bundesländern. Diese Vergleichszahl ist so gut wie nicht bekannt, wird gerne unter den Tisch gefegt, betont Stubbes Frau, ebenfalls Wissenschafterin. Wir im Osten kämen in die gleiche Situation, nur untersuche das keiner, weil dafür kein Geld freigegeben werde. Im Jahr 2000 beobachtet Stubbe sogar gravierenden Nahrungsmangel, junge Rotmilane fallen allen Ernstes vor Hunger vom Nest.

Viele Bürgerrechtler, wohl auch jene, die heute bei CDU und FDP mitmachen, müssen genau gewußt haben, daß der Artenreichtum in der DDR um ein Vielfaches höher war als im Westen – warum haben sie das damals in Kirchen, auf Kundgebungen nicht deutlich gesagt, dafür aber die Umweltsituation in der Bundesrepublik bewußt schöngeredet, trotz der Faktenlage, wie Umweltaktivisten ihnen heute ankreiden? Vergleichszahlen aus dem Goldenen Westen waren verfügbar –  hätte man die genannt, wären viele eventuell stutzig geworden, hätten unangenehme Fragen gestellt. Wozu westliche Naturschutzpolitik übernehmen, wenn's bei uns mit dem dichten Netz der Ehrenamtlichen weit, weit besser läuft? Heute reden sich manche damit heraus, man habe eben Öko-Illusionen gehabt, die inzwischen verflogen seien; die heutigen engen Spielräume habe man leider nicht  erahnen können. Da sind Fragen offen.

 Ein europaweites, einmaliges Greifvögel- und Eulen-Monitoring, unter Dr. Stubbe in Jahren aufgebaut, wird kaum öffentlich unterstützt, die Situation sei haarsträubend: “Wir kriegen kein Geld, arbeiten auf dem Zahnfleisch, ehrenamtlich, nach Feierabend, an den Wochenenden, um dieses Monitoring-System mit seinen vierhundert Referenzgebieten in fünfzehn Ländern, Hunderttausenden von Daten, weiterzuführen." Nur ein paar Rückgang-Arten, wie Rotmilan, Feldhamster oder Hase würden wie Gallionsfiguren immer genannt, “aber über die restlichen 99,99 Prozent wissen wir nichts, weil  Mittel für längst überfällige Forschungen nicht freigegeben werden.“  Stubbe vergleicht: „Im Naturschutz brachte die Wende einen Rückfall in die Steinzeit.“ Und auch das noch: Obwohl den politisch Verantwortlichen die gravierenden Rotmilan-Rückgänge bestens bekannt sind, setzen sie in den Lebensraum der Art auch noch Industrieanlagen: „Windkraftwerke sind ein neues Störpotential und müssen in einem hochgradig exponierten Schutzgebiet, durchweg überall, wo sie Landschaft verschandeln, dem Naturempfinden entgegenstehen, vermieden werden.“ Von Halle aus gebe es in Richtung Harz praktisch keinen Fleck mehr in der Landschaft, wo man nicht fünfzehn bis zwanzig Windkraftwerke sehe. Windparks schössen wie Pilze aus dem Boden – aber  vorrangig dürfe nicht der Profit dieses hochentwickelten Kapitalismus sein.

Ossis sind  gemäß Umfragen weit naturverbundener als Wessis –  der Hamburger Pfarrerstochter Angela Merkel, die bereits  in den 50ern in die DDR kam, war dies offenbar als Umweltministerin irgendwie entfallen. In Mecklenburg-Vorpommern, der seit DDR-Zeiten  artenreichsten Region ganz Deutschlands, hat sie bis heute ihren Bundestagswahlkreis, ließ indessen selbst dort einschneidende Biotopverschlechterungen sogar für den Schreiadler zu. „Die war doch auf dem Ministerposten eine absolute Null, tat überhaupt nichts“, hört man an der Küste entsprechend oft. Den Schreiadler  gabs in Deutschland mal fast flächen­deckend bis zum Rhein und an die Alpen, doch dann sucht er sich merkwürdigerweise eben nicht die BRD der Grünen und Greenpeace, sondern die DDR  als letztes nationales Revier. Zur Wende sind  im Westen gar keine Brutpaare mehr, dafür in Sachsen-Anhalt an die fünf, in Brandenburg um die zwanzig, in Mecklenburg-Vorpommern aber über neunzig. Nur von dort aus könnte er sich also wieder gen Westen ausbreiten, doch die Reproduktionsraten sinken. „Bis 1989 hatten wir gute Zahlen, bis zu einundzwanzig Adlerjungen jährlich “, so der Rostocker Experte Martin Neubauer  über sein Untersuchungsgebiet, „danach wurde das nie mehr erreicht.“ Wo früher bis zu zehn Schreiadler flügge wurden, sind es bereits 1999 nur eins bis zwei, Tendenz weiter fallend. „Naturschutz ist sehr schwierig geworden“, kritisiert Neubauers Kompagnon Joachim Matthes, “obwohl die Bedrohung des Schreiadlers bekannt ist, reagieren die Umweltministerien in Berlin und Schwerin einfach nicht.“ Matthes wirft PDS-Umweltminister Methling vor, die Situation zu beschönigen, Probleme zu verschweigen.  Spricht man Minister Methling auf  Wende-Artenrückgänge an, ist ihm davon nichts bekannt.

Gravierend, so Matthes,  wirke sich auf die Adler die Zerstörung ihrer Nahrungsreviere aus – durch starke Chemisierung, Monokulturen wie der pestizidintensive Raps.  Den darf man laut EU-Regeln auf „Stilllegungsflächen“ anbauen, kriegt trotzdem die sogenannten „Stilllegungsprämie“ weiter. „Dort lebt nichts mehr, dort gibts nichts mehr zu jagen.“ Verheerende Unruhe brachten auch die wegen ihres Verscheucheffekts berüchtigten Windkraftanlagen nach Mecklenburg-Vorpommern – daß ein Komplex ausgerechnet in ein wichtiges Schreiadler-Brutgebiet gesetzt wurde, konnte der NABU auch über eine EU-Beschwerde nach Brüssel grade noch verhindern.

 Unter Angela Merkel werden  die Roten Listen erheblich länger, beim Grünen Jürgen Trittin ist erst recht keine Trendwende in Sicht. Unter Naturschützern, an NABU-Ständen steht er wie Falschgeld herum. „Für den gibts doch nur Atompolitik“, höhnt man allerorten im Osten, “für den dramatischen Artenschwund interessiert er sich überhaupt nicht."

Biologe Dr. Wolfgang Wendt,  Referatsleiter für Arten- und Biotopschutz im Umweltministerium von Sachsen-Anhalt, zu DDR-Zeiten zehn Jahre lang Kreisnaturschutzbeauftragter, erinnert sich noch gut an den 20. Deutschen Naturschutztag  von 1990 in Bad Reichenhall. Die Politiker versprechen, den Osten, der ökologisch ruiniert sei,  auf Vordermann zu bringen. Wendt glaubt noch, Mittel, die die DDR nicht hatte, würden nun fließen, der Natur zugutekommen. „Mit dem Geld, das ihr kriegt, gehts der Natur kein Stück besser“, hört er verdutzt von Hamburger Kollegen. „Zehn Jahre hin, und ihr seid auf dem selben Niveau wie wir, die Rote Liste wird länger und länger.“ Die Besserwessis hatten wieder mal recht – und Biologe Wendt gehört heute zu den vielen Fachleuten der östlichen  Landes-Umweltministerien und Naturreservate, die  zahlreiche Arten  eindeutig zu den Verlierern der Einheit rechnen. „Der Osten war im  Naturschutz  haushoch besser“, konstatiert er. “Was haben wir auf die Agrarchemikalien aus Bitterfeld und Piesteritz geschimpft – das waren doch Peanuts gegen die von heute!“  Denn bis heute wird öffentlich behauptet, LPG und volkseigene Güter hätten viel mehr Agrargifte eingesetzt als Landwirte im Westen. Natürlich falsch. Schon 1980 sind in der Bundesrepublik 1822 Pflanzenschutzmittel zugelassen, weit mehr „illegale“ konnte man sich problemlos aus Nachbarländern beschaffen – in der DDR sinds  grade mal 382, mit weit weniger Wirkstoffen. Eingesetzt wurden die Gifte  nur, wenn Schädlinge gehäuft auftraten, Kalamitäten drohten.  Heute werden die Mittel  im Überfluß angeboten, den Landwirten von Vertretern der Chemikonzerne regelrecht aufgeschwatzt – die aus dem Westen übernommene „gute fachliche Praxis“ heißt, hochkonzentrierte Agrargifte selbst dann präventiv einzusetzen, wenn gar keine Schädlinge auftreten. Die Auswirkungen sind verheerend, nicht nur bei Insekten – Landwirtschaft heute ist nachgewiesen der Artenkiller Nummer eins, wie selbst der westdeutsche NABU-Präsident Jochen Flasbarth betont. Die Jäger  registrieren einen scharfen Rückgang des Niederwilds, ob Hase oder Rebhuhn. Günther Mendt, Vorsitzender der Jägerschaft Wanzleben, schreibt 1996 in der Magdeburger Volksstimme: “Der Hase lebt oder stirbt hauptsächlich durch die Landwirtschaft. Was aber für den Hasen tödlich ist, das sind die Pflanzenschutzmittel heute. Sie sind so aggressiv, vernichten bis zu 98 Prozent der Wildkräuter. Dem Hasen fehlt dadurch die Nahrungsgrundlage, oder er frißt sich an den behandelten Wildkräutern zu Tode.“ 1999 belegt die Umweltzeitschrift „Der Rabe Ralf“, daß das sogenannte Totalherbizid „Roundup“ des US-Konzerns Monsanto auch in Sachsen-Anhalt massiv auf Grünland gespritzt wird. „Auf den ehemals artenreichen Wiesen wird so die in Jahrzehnten entstandene Tier-und Pflanzenwelt total vernichtet. Auch das ökologische Gleichgewicht in und mit der umgebenden Feld-und Waldlandschaft wird zerstört.“ Rund neunzig Prozent der Hasennahrung im Sommer sind Ackerwildkräuter – doch die werden trotz ihres Schutzstatus mit Bioziden wie Roundup rigoros vernichtet. Die neuen, weit effizienteren Agrargifte wirken zudem wie Fertilitätshemmer, warnen Wissenschaftler im Osten. So wie die massenhaft eingesetzte Chemikalie Bisphenol A, selbst in der Gülle von Mastbetrieben Brandenburgs und Sachsen-Anhalts festgestellt, die gewöhnlich auf den Feldern landet.

 „Gerade noch rechtzeitig zur Feststellung von Unterschieden“, so der Artenschutzexperte Klaus George in Sachsen-Anhalt, hatte man 1991 untersucht, wie häufig die Feldlerche auf Vergleichsflächen im nordwestlichen und nordöstlichen Harzvorland ist. Resultat – im Osten, wo grauenhafte Chemie-Landwirtschaft der LPG angeblich alles vernichtete, war die Siedlungsdichte des Vogels fünffach höher als auf der Westseite. Die Studie drückt es wissenschaftlich gestelzt aus:“Das wirft zumindest für Agrargebiete erhebliche Zweifel an der gegenwärtig in Umweltdiskussionen so lebhaft geäußerten These auf, daß die Umweltbelastung der früheren DDR alle Umweltschäden der früheren BRD um ein Vielfaches übertreffe.“

Dann wirkt der „Wendeknick“ - die „nachholende Modernisierung“ gemäß West-Vorbild hat viele im Osten zuvor häufige Arten längst voll erwischt – eine nach der anderen wird deshalb „Vogel des Jahres“: 1995 die Nachtigall, 1996 der Kiebitz, 1997 der Buntspecht, 1998 die Feldlerche, 1999 die Goldammer  mit dem so charakteristischen, früher überall hörbaren Gesang - auch sie vertrieben durch die Umwandlung der Feldfluren in öde Agrarsteppen.  2000 der Haubentaucher – weit über die Hälfte des deutschen Bestandes lebt im Osten. Doch weil die neuen Betonköpfe in den Landesregierungen vor der Wirtschaft einknicken, Gewässer ohne Rücksicht auf die Natur dem profitträchtigen Motorboot-Tourismus öffnen, geht allein im seenreichen Brandenburg in nur zehn Wendejahren die Zahl der auffallend schönen Tauchvögel um die Hälfte zurück. Wo jetzt drei-bis viermal soviele Boote knattern, Treibstoff-und Öllachen auf dem Wasser treiben, giftige Auspuffgase wabern, verschwinden auch andere sensible Arten, wie die Rohrdommel, völlig –  und naturliebende Erholungssuchende.

Öko-Bürgerrechtler hatten salopp vorausgesagt, nach der Wiedervereinigung kriege der Naturschutz viel mehr Power, könne sich gegen Staat und Wirtschaft viel besser behaupten als unter der SED-Knute. Doch war beispielsweise der immens gestiegene, verheerende Agrargifteinsatz bisher zu stoppen? Nicht ein bißchen. Viele frühere Umweltaktivisten, die sich in der DDR mit dem System anlegten, nach der Wende in Ämter, Behörden rückten, dort „Berufsnaturschutz“betreiben, sehen sich heute „kaltgestellt und frustriert, am Gängelband der Politiker“. Eingebunden in den Verwaltungsapparat, können sie längst nicht mehr das fordern und realisieren, was sie sich früher vorstellten. „Trittbrettfahrer, Fördermitteleinheimser, Selbstdarsteller“ werden heute begünstigt, machen sich lustig über echte, ehrliche Naturschützer. Das Ausweisen neuer Schutzgebiete, heißt es, sei zunächst nur ein formaler Akt, garantiere nicht quasi automatisch die Zunahme bedrohter Arten. “Obwohl die Zahl der Naturschutzgebiete ständig wächst“, so NABU-Forstexperte Wilhelm Bode, „sterben gerade im ländlichen Raum die Arten weiter wie die Fliegen.“ Vertragsnaturschutz heißt nur zu oft, daß die Landwirte zwar Gelder einstreichen, aber mangels Kontrolle, oder weil man bei den Behörden ein Auge zudrückt, die Öko-Auflagen gar nicht erfüllt werden.

Trend ist, Schutzgebietsverordnungen abzuschwächen, um Fördermittel für Agrarnutzung zu bekommen. „Es gab unter Naturfreunden in der DDR“, betont Umweltaktivist Karl Schlimme aus Sachsen-Anhalt, „durchaus Leute, die meinten, die Naturschutzgesetzgebung der BRD sei gut, ideal, gar erstrebenswert. Mit der Wende lernten sie die Praxis kennen. Gute Texte, aber zahnlos und wehrlos, jedem ökonomischen Interesse ausgeliefert, wenn es ernst wurde.“ Täglich erlebten alle, „wie die Natur bei uns unreparierbaren Schaden nimmt.“

"Eigentliche Wendegewinner gibt es nicht – weder bei Tieren noch bei Pflanzen, ebensowenig einen positiven Bestandstrend", konstatiert auch  Dr. Frank Zimmermann, zuständiger Referatsleiter im Brandenburger Umweltamt, “ein Erfolg bundesdeutscher Umweltpolitik läßt sich im Artenbestand und bei den Biotopen überhaupt nicht feststellen.“  Daß manche Arten, wie Fisch- und Seeadler zunehmen, sei lediglich die Fortsetzung eines Trends aus der DDR-Zeit, der sich wegen Nachwende-Faktoren teils verlangsame. Deutlich bis extrem zurückgegangen sind dem Biologen zufolge Greifvögel wie der einst so häufige Bussard, aber auch Rotmilan, Habicht und Rohrweihe, “ziemlich katastrophal“ sieht es bei Bodenbrütern offener Landschaften, darunter Kiebitz, Rebhuhn, Bekassine, Rotschenkel, Rohrdommel oder Uferschnepfe aus. Gleiches gilt für den auf einem „Tiefststand“ angelangten Schwarzstorch - „einzige Ursache sind Störungen im Brutrevier.“ Experten der staatlichen Vogelwarte Buckow stellen wiederum als „bedeutenden Negativfaktor“ die zunehmende Waldprivatisierung heraus – doch in der Potsdamer Regierung interessiert das niemanden, vor allem an reiche Adlige wird munter weiterverkauft. „Der Zuwachs an Fischottern“, so Zimmermann, „ wird totgefahren.“ Die Öffnung zum Westen brachte nun auch das in der DDR unübliche Geschäft mit Eiern oder Jungtieren seltener Vögel zum Aufschwung – skrupellose Händler und Kunden selbst in Spanien oder Frankreich bedienen sich mit solcher Ost-Ware.

Auch in Brandenburg kann die Umweltbehörde nach eigenen Angaben nicht mal  ein Drittel der nötigsten Naturschutzaufgaben bewältigen, fehlt es dringend an Geld und guten Leuten – obwohl doch zur Wendezeit das Gegenteil versprochen worden war. Aber  Frau Merkels CDU vor Ort nennt die Behörde aufgebläht, verlangt Entlassungen. Außerdem wird das Agrar- und Umweltministerium zusammengelegt, damit der Thüringer Artenexperte Eberhard Henne, den die ostdeutschen Naturschützer so mögen, den Ministerposten verliert.

In den städtischen Sanierungsgebieten der neuen Bundesländer geht allein der Vogel- und Fledermausbestand bis zu neunzig Prozent zurück – die neue, angeblich so progressive  Umweltpolitik hat es merkwürdigerweise nicht verhindert. Dennoch, so hebt Artenreferent Zimmermann  hervor, sind Flora und Fauna des Ostens genau wie vor der Wende weiterhin diversifizierter und gesünder als in jeder beliebigen Region Westdeutschlands. Das hatte damals sogar ein OECD-Gutachten bescheinigt, die industriellen Ballungszentren natürlich ausgenommen. Schließlich brüteten beispielsweise seinerzeit in der kleineren DDR über 2500 Storchenpaare, im viel größeren Bundesgebiet aber nur sechshundert. 1989 zieht im Westen kein einziges Fischadlerpaar mehr Nachwuchs auf, im Osten sinds über zweihundert. Vom weit selteneren Seeadler halten sich zur Wende in den alten Bundesländern weniger als zehn Brutpaare – da hatte allein schon die Industrieregion Sachsen, wo die Chemiegiganten  Leuna und Buna liegen,  mehr als das Doppelte, die gesamte DDR rund zweihundert. Doch  in einer neuen Propagandabroschüre Minister  Trittins steht absurderweise, im Osten fühle sich jetzt der Seeadler wieder heimisch, der hier noch vor wenigen Jahren als vom Aussterben bedroht galt.

„Die östlichen Bundesländer bereichern die Fauna der Bundesrepublik Deutschland mit Artbeständen, die zum Teil in den westlichen Bundesländern erloschen sind oder hier unterhalb überlebensfähiger Populationsgrößen liegen“, konstatiert das Landesumweltamt Brandenburg, Armutszeugnis für den westdeutschen Naturschutz, Beweis hoher Kompetenz der DDR-Umweltschützer. Professor Michael Succow, Initiator des ostdeutschen Nationalparkprogramms: “Die Naturschutzgruppen im Kulturbund der DDR hatten ein sehr hohes fachliches Niveau –  weltweit einmalig!“ Logisch, daß deshalb durchweg alle  Naturschutz betreffenden Leitungsfunktionen  in den neuen Bundesländern ausschließlich mit Ost-Fachleuten besetzt werden, schon wegen der hohen Arbeitslosigkeit unter Experten, Akademikern. Logisch? Von wegen. Nur zu viele dieser Posten wurden trotz der Unmenge hochqualifizierter Ost-Bewerber an Westdeutsche vergeben – der Niedergang des Naturschutzes in den neuen Ländern, und ausgerechnet im adlerreichsten Bundesland Brandenburg,  wird wesentlich  darauf zurückgeführt. Kurt Kretschmann und Christoph Kaatz, zwei renommierte ostdeutsche Artenexperten, beschreiben das Problem für den Storchenschutz: “Wir spürten, daß die Herangehensweise im Naturschutz in Ost und West unterschiedlich war. Naturschutz als Marktobjekt war uns völlig fremd. Auf einmal im Naturschutz ähnliche Verfahrensweisen wie in der Wirtschaft, Kultur, Politik. Eine bittere Erkenntnis. Wolfgang Thierse drückte das so aus: Der Einigungsprozeß wird belastet, weil es sich festgesetzt hat: Die Westdeutschen haben das Sagen und die Ostdeutschen müssen folgen. Gegen diese Leiderrealität im vereinten Deutschland haben wir uns im Weißstorchschutz verwehrt. Wir vertreten im östlichen Deutschland ca. 82 % des Weißstorchbestandes und die Entscheidungen müssen hier von uns getroffen werden und von uns sind die Akzente zu setzen, die Fachkompetenz ist in vielfältiger Weise gegeben.“

In Brandenburg bringt Naturschutzaktivisten besonders auf, daß zum Leiter der Abteilung Naturschutz im Umweltministerium ausgerechnet ein Westdeutscher, Dr. Mader, und kein Fachmann aus der Region, berufen wurde. „Mader begünstigt Investoren, spielt eine ganz miese Rolle im Naturschutz, müßte rausgeschmissen werden“, betonen führende Umweltaktivisten Brandenburgs, nennen Mader abgehoben, einen üblen Taktiker. Grüne-Liga-Sprecher Norbert Wilke:“Da wird Naturschutz nur verwaltet, werden Kompromisse gemacht, die sich für eine solche Behörde absolut verbieten!“ Von Kolonialherren-Art ist wegen solcher Personalpolitik überall im Osten die Rede – der Kolonialisierungsvorwurf wird damit begründet, daß eben nicht bessere, leistungsfähigere Experten ausgewählt werden, sondern vielmehr jetzt „Westpersonal aus dem zweiten Glied“ im Osten  gemäß CDU/CSU- oder SPD-Parteibuch-Proporz beruflich-finanziell Karriere macht, von versprochener Leistungsgesellschaft auch hier nichts zu sehen ist.

Brandenburg ist das storchenreichste Bundesland, liegt auch bei anderen Arten ganz vorn - doch sogar die Landesanstalt für Großschutzgebiete Brandenburgs wird nicht von einem Ostdeutschen  geleitet, sondern einem Grünen-Politiker, dessen Partei im Osten ihre völlige Umwelt-Inkompetenz bewies, deshalb durch Wählerwillen in keinem Landesparlament mehr vertreten ist. Direktor Axel Vogel ist Bayer, war zehn Jahre Kassenwart der Grünen, ist kein Ökologe, sondern Diplom-Ökonom, zählt zum Bundesvorstand. Das PDS-Zentralorgan „Neues Deutschland“ fragt ihn, viele meinen, daß die Natur im Osten zu den Verlierern der deutschen Einheit gehört – und Vogel kontert laut ND: „Viele Indikatoren – also die Bestände bekannter Arten wie Kranich, Seeadler oder auch der Großtrappe – gehen eindeutig nach oben.“  Kein Wort über Wendeverlierer,  genau wie es der Grüne Trittin hält.  Zum Totlachen, oder eher bedenklich. Denn die Kranich-und Seeadlerpopulationen steigen bereits seit den 70er Jahren, dank der ehrenamtlichen Arbeit der DDR-Naturschützer und Fachleute. Grüne-Liga-Sprecher Wilke: „Daß einige Arten zunehmen, ändert nichts am Haupttrend, der geht eindeutig nach unten – die Bestände von Schreiadlern oder Schwarzstörchen brechen dramatisch ein. Arten verabschieden sich jetzt, die in der DDR in Nischen leben konnten.“ Und der von Vogel genannten Großtrappe gehts nach der Wende nun wirklich nicht besser in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. 1994 läßt Potsdam zu, daß ausgerechnet im Trappen-Schutzgebiet bei Mittenwalde die Koblenzer Kann-GmbH ein Betonsteinewerk errichten darf. Umweltaktivist und Gutachter  Bernd Ludwig klagt über den NABU dagegen, gewinnt in erster Instanz, verliert nach eigenen Angaben vor dem Oberverwaltungsgericht. „Die Großtrappen sind wahrscheinlich irgendwo verendet.“

Doch daß etwa die Seeadler so gut zunahmen, ist auch laut Experte  Zimmermann vom Brandenburger Umweltamt  vor allem ein Erfolg der ehrenamtlichen  DDR-Naturschützer, die über Jahrzehnte ein dichtes Betreuernetz entwickelten. „Wir hatten Artenbestände, von denen man in der Bundesrepublik nur träumen konnte, jeder Horst wurde gehegt und gepflegt, der ehrenamtliche Naturschutz funktionierte sehr gut. Die Artenvielfalt war und ist im Osten sehr viel höher. Vom Betreuernetz brach natürlich nach der Wende eine ganze Menge weg, das fehlt uns heute.“ Als „hundertprozentiges, absolutes Blech“ bezeichnet er die Politikersprüche von der ökologischen Anpassung des Ostens: “Wir hatten eine gute, sehr fortschrittliche Naturschutzgesetzgebung  – Horstschutzzonen keineswegs nur für seltene Greifvögel  wurden in Mitteleuropa von der DDR zuerst eingerichtet, lange vor der Bundesrepublik. In Zusammenarbeit mit den Forstbehörden wurden damit große Erfolge erreicht -  auch eine allgemeine Akzeptanz.“ Artenexperte Dr. Wolfgang Kirmse in Leipzig bestätigts: “Beim Artenschutz, auch bei der Ausweisung von Schutzzonen, lagen wir in Europa an der Spitze. Das war nicht etwa nur guter Wille der Regierung, sondern lag an den Möglichkeiten, sowas durchzusetzen. Weil es keinen entscheidenden Widerstand gab. Dafür wurde, auf  Deutsch gesagt, woanders herumgesaut.“ Als besonders vorteilhaft nennt Dr. Kirmse, daß  in der DDR im Naturschutz die  „Länderzuständigkeit“ fehlte, alles sozusagen „Bundesangelegenheit“ war, Beschlossenes sofort überall galt. „Nicht bekannt war bzw. ist die Tatsache“, so BUND-Experte Dr. Hermann Behrens, „daß der größte Teil der ökologischen Bewegung der DDR in der SED, den übrigen Parteien, den staatlichen Massenorganisationen(insbesondere Kulturbund) oder staatlichen Einrichtungen(Kammer der Technik, Erfinderschulen usw.) arbeiteten. Ihre Leistungen finden bisher keine oder wenig Anerkennung.“

 Heute kaum zu glauben, aber wahr, auch von Professor Succow hervorgehoben: Betreuer von Naturschutzgebieten, seltenen Tieren mußten von der Arbeit freigestellt werden.

Mit der neuen Umweltpolitik nach der Wende ist damit Schluß – das „Volkseigentum“ Wald wird zunehmend  privatisiert, neue Besitzer, meist Westdeutsche,  fällen laut Zimmermann sogar Horstbäume, trotz brütender Greifvögel. „Ein Großteil der Forsten ist bereits in Privathand – manche Besitzer sagen, macht euch raus aus meinen Flächen.“  Blaublütige, kritisieren Naturschützer vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, mißachten immer häufiger Schutzvorschriften: Gräfliche Jagdkanzeln stehen neuerdings rechtswidrig sogar  neben Fischadlerhorsten.  Die Wälder werden gesetzwidrig flächendeckend mit Autos und Motorrädern befahren – weder Polizei noch Förster schreiten gewöhnlich dagegen ein. Tiere werden wie nie zuvor bei der Jungenaufzucht gestört bzw. davon abgehalten. Die Autoritäten lassen zu, daß Umweltstraftaten stark anwachsen, als Kavaliersdelikt gelten. „Was bekannt wird,“ so Zimmermann, „ist oft nur die Spitze des Eisbergs, sehr viel mehr passiert im Dunkeln, gerade bei Greifvögeln – Ausnehmen von Gelegen, Aushorsten von Tieren. Natürlich wird auch die Landschaft wieder stärker chemisiert.“

In der DDR werden Personen und Fracht umweltfreundlich zu immerhin fünfundsiebzig Prozent  über die Schiene transportiert  – doch nach der Wende stellen die neuen Machthaber zielstrebig zugunsten der Autokonzerne auf die Straße um, machen Bahnfahren durch extreme Preisanhebungen unattraktiv. Das Beseitigen, Wiederverwerten von Müll, der weit weniger anfiel als heute, war in der DDR viel ökologischer organisiert. Umweltminister denken garnicht daran, die Flut auch hochgiftiger Abfälle, von unnützen Verpackungen und Werbezeitungen radikal einzudämmen.

Wertvolle Naturräume werden erstmals durch Verkehrswege zerschnitten - Städter machen sich vielleicht keinen Begriff, wie das Ambiente, der Charme tausender ostdeutscher Dörfer einfach dadurch zerstört wurde, daß man den Schwerlastverkehr durch diese Orte leitete. Ruhe, auch Nachtruhe dahin, LKW bringen die Häuser Tag und Nacht zum Vibrieren - dazu die Dieselabgase. In Österreich, der Schweiz und Frankreich sind gemäß Studien sechs Prozent aller Todesfälle auf Luftvergiftung, vor allem durch Auspuffgase zurückzuführen. Daran sterben in den drei Ländern jährlich immerhin rund 40.000 Menschen. In Deutschland dürfte es nicht anders sein. Doch die LKW-Branche boomt, man sieht und riecht es - dafür werden im Osten die Verladeeinrichtungen der Bahn systematisch stillgelegt, abgebaut.

Waren die Milliarden in den Ost-Straßenbau wirklich nur  notwendig gewesen, um die  schlechten, löchrigen Ost-Straßen auf Vordermann zu bringen? Ingenieure sehens anders: Vielmehr mußten  Straßen und Brücken den neuen, weit höheren Belastungen durch westliche Schwerlast-LKW angepaßt werden -  das verursachte vor allem die immensen Kosten zu Lasten der Steuerzahler. Denn die DDR-LKW waren vergleichsweise Leichtgewichte, da hielten Brücken, Straßen und darunter verlaufende Röhren bequem stand. Bei den so viel schwereren von heute kriegen sie Risse, krachen, müssen erneuert werden. Die Sanierung ganzer Kanalsysteme ist eine Folge der überirdischen Druckwellen in die Tiefe.  Ein einziger Vierzigtonner, der wie man weiß, nur zu häufig leer durch die Gegend fährt, zermürbt im Laufe seines Lebens durch konzentrierten Druck auf die Straßen die Asphaltdecke ebenso stark wie rund 164000 PKW, das sagt genug. Dazu Lärm, Smog, Dieselruß.  Steuer-Milliarden, Subventionen  also in Wahrheit zugunsten der LKW-Fabrikanten, der Autokonzerne ausgegeben, auf Kosten der Gesundheit der Ostdeutschen und ihrer Natur und Umwelt. Milliarden, die für Bildung, Kultur und eben auch den Naturschutz  fehlen. Töpfer, Merkel, Trittin – alle schweigen zu diesen Relationen, Zusammenhängen. Ein alter Hut.

Eine weitere Folge moderner westdeutscher Umweltpolitik - die technisch größtenteils durchaus vermeidbaren Tierverluste an Straßen sind durch die Förderung des LKW-Verkehrs, des Autoverkehrs allgemein,  erschreckend in die Höhe geschnellt: “Für eine ganze Reihe von Arten ist das gravierend, die litten unter dem zunehmenden Straßenverkehr nach der Wende ganz massiv,“ betont Umweltexperte Zimmermann. Auch andere Gründe für den Arteneinbruch nach 1989 sind bestens bekannt, ohne daß die Politik reagiert. Der Nutzungsdruck auf der Landschaft, dazu der ungebremste enorme Flächenverbrauch, die Autoabgase, Mülllawinen und die Bodenversiegelung haben stark zugenommen.

Aber viele Gewässer sind doch sauberer geworden, in die Elbe beispielsweise kehrten zahlreiche Fischarten wieder zurück, wenden manche ein. Keine Kunst, kontern Naturschutzaktivisten – schließlich habe man zugunsten der West-Konzerne etwa drei Viertel der ostdeutschen Industrie vernichtet, besonders davon, und nicht von „echter Sanierung“ profitierten auch Flüsse wie Saale, Werra oder Unstrut. Doch schon ab 1993, erinnert sich Grüne-Liga-Experte Norbert Wilke, war Umwelt- und Naturschutz im Osten auf einmal kein Thema mehr, wurde ausgeblendet. „Da kam der Bruch, merkte man es an der Medienpolitik, wurde man plötzlich als Verhinderer angegriffen.“ Logisch – ab 1993 ließ sich die Umweltproblematik nicht mehr gegen die DDR instrumentalisieren, begannen vor allem erste gravierende Eingriffe in die Ostnatur – mit Autobahnen, Straßen, Gewerbegebieten, wurden erste Naturrefugien bebaut, vermarktet, verramscht – wie im Westen üblich.

Paul Sömmer  kennt sich im Osten wie kaum ein zweiter mit Adlern und Wanderfalken aus, erklettert zum Beringen und Studieren auch die schwierigsten, höchsten Baumhorste, repariert selbst bei Windstärke acht ein Fischadlernest. Sömmer leitet mit viel Idealismus die  staatliche Brandenburger Naturschutzstation Woblitz - dort pflegt der gelernte Zootechniker und international anerkannte Fachmann  verletzte Tiere gesund, schreibt Expertisen.  Seine Nachwendebilanz stimmt auch  nicht gerade optimistisch: „Man ist dabei, fast alle Vogelarten des Offenlandes auszurotten oder an den Rand des Abgrundes zu bringen. In Brandenburg ist der Feldhamster so gut wie ausgestorben, in Sachsen-Anhalt ging er nach der Wende dramatisch zurück, als Folge ebenso der Rotmilanbestand. Im ganzen Osten haben die bisher häufigen Mäusebussarde immer geringere Reproduktionsraten. Eine Art nimmt immer mehrere andere mit.“ Den dramatischen  Rückgang von Saatkrähe, Dohle, Kiebitz, Schwarzstorch, letzteren im ganzen Osten,  nennt er ebenfalls ein Nachwende-Problem. Hinzu kommen Beutelmeise, Zwergtaucher, Rohrweihe, Schleiereule. Für ihn ist Unsinn, Rückgänge bei Bodenbrütern vor allem auf die zunehmenden Fuchsbestände zu schieben. Zu DDR-Zeiten werden etwa dreißig Kulturpflanzen angebaut, heute dominieren Monokulturen in der Agrarsteppe - nur fünf bis sechs Hauptarten, vor allem Raps und Getreide, sind übrig. Resultat: Einerseits wahnsinnige Erträge, zur Überschußproduktion der EU, andererseits das neue Nachwende-Phänomen – viele Arten leiden Hunger in der Feldflur. Nicht nur Dohlenjungen verhungern im Nest, auch  in Brandenburg.

Wer erinnert sich nicht an die riesigen Krähenschwärme im Winterhalbjahr aus Nord- und Osteuropa? Drastisch weniger, sagt Sömmer, weil sie hier keine Nahrung mehr finden. Der Ackerboden total chemisiert, alle Bodenarten umgebracht. Also müssen die Krähenschwärme weiterziehen, bleiben nicht mehr hier. Bis heute werden im Osten radikal seit der Wende die Höhlenbäume abgeholzt, in Parks, an Wegen, in Wäldern. Die großen Verlierer sind deshalb die Höhlenbrüter wie Dohlen, der Waldkauz, Eulen, sogar die früher so häufigen Stare. Westdeutsche sind an Natur ohne Artenvielfalt gewöhnt.

„Greifvögel aller Art, wie zu DDR-Zeiten undenkbar, werden jetzt abgeschossen. Anders als früher hat heute jeder Depp `ne Waffe und ballert damit rum, tötet sogar Adler, die in der DDR tabu waren.“, sagen Sömmer und viele andere.  Na klar - daß etwa die Rotmilane oder Fischadler im Westen so selten sind, liegt ja auch an der unerbittlichen, stumpfsinnigen Verfolgung. In der DDR stehen generell alle Greifvögel unter Naturschutz, im Westen sind sie dagegen dem Jagdrecht untergeordnet – nur zuviele Waidmänner mißachten Schonzeiten, holen sie vom Himmel. „Nach der Wende werden unsere Greifvögel ebenfalls dem Jagdrecht zugeschlagen – und sofort begannen die Probleme“, sagt  Sachsen-Anhalts NABU-Experte Dr. Peter Neuhäuser, der beim erwähnten Hallenser Uni-Prof Stubbe noch in der DDR  seinen Biologenabschluß machte. Jagdscheine und vor allem Waffen sind viel leichter zu erwerben als früher, zunehmend werden  Greifvogelfallen aufgestellt. „Die Dunkelziffer getöteter Greifvögel, auch Rotmilane, ist hoch – alles ganz klar ein Nachwende-Problem, zumal die Täter schwer zu fassen sind und eine Bestrafung heutzutage schwierig ist.“ An Waffen kommt jederman leicht heran, man schaue sich nur den Zirkus um die Schützenvereine an, die die Dörfer wieder militarisieren wie zu Kaisers Zeiten. Sich von jemandem eine Knarre zu borgen, um einen Seeadler herunterzuholen – heute ein Kinderspiel – dank neuer Umweltpolitik. Nach der Wende ist erstmals wieder kräftige Nachfrage nach Trophäen, ausgestopften Tieren da, gibt es Trophäenmessen, wird hoch geboten. Bei den vielen neuen Präparatoren im Osten findet man regelmäßig illegal erlegte Greifvögel im Kühlschrank.

 Doch nicht nur die Umweltpolitik änderte sich, auch das Umweltverhalten der Bevölkerung. „Die Akzeptanz gegenüber Mitgeschöpfen“, so Horstkletterer Sömmer, „hat sich seit 1989 nur verschlechtert, die Intoleranz wird immer größer.“ Gewässer würden zu langweiligen Wasserstraßen, ein Drama, wenn sich dann  mal ein Zweig in der Motorbootschraube eines Freizeitkapitäns verfange. Von denen, die in Sömmers Naturschutzstation Woblitz wegen dem Weißstorch  anrufen, sehen fast fünfzig Prozent nur Probleme:“Der klappert zu laut, kackt auf den Opel – das wurde früher einfach respektiert, spielte keine Rolle. In der DDR hätte sich doch nie jemand ausgerechnet gegen den Storch aufgelehnt, hatte man  nicht diesen absurden Ordnungsfimmel. Die Leute stören sich heute an Schwalbennestern – die werden runtergeschmissen.“ Sich auf Kosten der Umwelt zu bereichern wie heute, das gab es laut Sömmer in der DDR nicht, „das ging in soner Gesellschaftsordnung garnicht.“ Viele ganz „oben“, die immer gerne von Naturschutz reden, bewertet Sömmer lediglich als Alibi-Politiker – weil sie nur so tun, als ob, gelegentlich forsche Presseerklärungen abgeben, die vorhersehbar nichts bewirken. Betrieben wird meist nur symbolische, inszenierte Umweltpolitik mit Bluff-Effekt, wird aber nichts wirklich gelöst. „Auch die reaktionärsten Politiker lieben Ökos, Umweltorganisationen wie Greenpeace als gutes Gewissen der Nation, weil die den Alibi-Eindruck vermitteln, es gebe Unangepaßtes in der Gesellschaft, es werde was für die Natur gemacht.“

 

Erscheckend  aseptische Dörfer gibts jetzt auch im Osten. Vor dem sanierten Gebäude muß auch der Garten so aussehen wie in der knallbunten Propaganda des Baumarkts – sodaß  Wildkräuter ebenso verschwinden wie undiszipliniert wachsendes Gesträuch, wo sich früher Nachtigallen und Igel tummelten. Auch die flächendeckende visuelle Umweltverschmutzung durch Firmenpropaganda wird in ostdeutschen Straßen und Landschaften inzwischen hingenommen. Sömmers Kollege  Dr.Torsten Langgemach, Leiter der Vogelwarte Buckow, zählt Bodenbrüter, Limikolen zu den „Verlierern der deutschen Einheit“. Absurde Fehlurteile würden permanent propagiert, hätten fatale Folgen: Greifvögel gehen zwar deutlich zurück, trotzdem wird das Gegenteil behauptet, fordert man inzwischen sogar bundesweit, sie zu bekämpfen, tut es bereits illegal, neuerdings auch in Ostdeutschland. Der Baumfalke brütet nur in Krähennestern – da die schwarzen Gesellen in der Landschaft stark abnehmen, fehlen ihm neuerdings Horste. In verschiedenen neuen Bundesländern, darunter Thüringen, werden dennoch Krähen zum Abschuß freigegeben.“Im Herbst  ziehen wieder große Schwärme durchs Land und die Leute sagen, Vögel gibts doch noch und nöcher“, so Langgemach ironisch. Doch kaum einer sehe, daß es sich, wie etwa beim Kiebitz, kaum um heimische Brutvögel, sondern gen Westen ziehende Scharen anderer Länder handele. Auch er konstatiert eine erschreckende Naturentfremdung als Wendefolge gerade bei Jugendlichen: “Wir hatten  in der Naturschutzstation viele Oberstufenklassen, die noch nie einen Weißstorch sahen, angesichts unserer Pfleglinge aus allen Wolken fielen. Was isn das, das ist ja noch ein Storch! Die denken, das wäre was Archaisches, obwohl doch auf dem flachen Land überall welche sind. Es ist eben ein Unterschied, ob ich mir ein Tier per Video und Computer reinziehe – oder ob ich es draußen beobachte.“ Das neue aufgestülpte  Schulsystem versagt  grauenhaft – außerdem wurden die Arbeitsgemeinschaften „Junger Naturschützer“ der DDR-Zeit abgeschafft. Doch diese hatten früher überall an den Schulen laufend junge Leute an das Naturschutzthema herangeführt. „Schülerarbeitsgruppen“, erinnert sich Artenreferent Zimmermann, „haben sich in der DDR ganz stark auch um Amphibiengewässer gekümmert, Zäune gebaut, Frösche und Kröten über die Straßen getragen.“  Daß es die AGs nicht mehr gibt, spürt man überall: “Durch den Wegfall kriegen wir heute keinen Nachwuchs mehr“, sagt der Westberliner Biologe Wolfgang Mädlow, Geschäftsführer des NABU in Brandenburg. Seinem damaligen NABU-Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern, dem Niedersachsen Gundolf Renze fiel auf, daß es im Unterschied zu früher heute kaum noch Möglichkeiten gebe, gegen Naturfrevler, Umwelttäter wirklich vorzugehen. „Wegen der Schreiadler und anderer seltener Arten hatte man sich in der DDR sozusagen auf dem kurzen Dienstweg mit den zuständigen Förstern einigen können – heute kämpfen die Naturschützer mit  Privateigentümern der Waldflächen, die einfach Zäune ziehen, Verbotsschilder aufstellen - doch die Störungen der Natur nehmen zu.“ 

Noch besser vergleichen kann Dr. Horst Zimmermann, einst Naturschutzbeauftragter des Bezirkes Schwerin, heute Referatsleiter Naturschutz im  PDS-geführten Umweltministerium – auch er bestätigt den teils drastischen  Artenrückgang, nennt  störungsempfindliche Arten wie Rohrdommel oder Fluß-Trauerseeschwalbe: “Wo gibt es denn heute noch Gewässer, wo keine Angler stehen, niemand mit lärmendem Motorboot draufrumrast?“ Sein Job war schon mal ein Klacks: „Alles ist viel, viel schwieriger geworden – damals in der DDR  gab es viel weniger Verfehlungen und man paßte auf, der praktische Naturschutz war besser und einfacher, funktionierte gut.“

Der Umweltaktivist und Kormoranexperte Peter Strunk, heute ämterlos, vogelfrei, kann sich drastischer ausdrücken: “Vor lauter Verwaltungsvorschriften kommt niemand mehr aus dem Knick – der Staat will ja, daß niemand mehr irgendwas macht, Berufsnaturschützer sind zur Handlungsunfähigkeit gezwungen.“ Aber das Klischee, in der DDR konnte man nichts tun, war der Naturschutz grauenhaft? „Erstunken und erlogen.“ Zu DDR-Zeiten geriet er mit ZK-Mitglied Harry Tisch in dessen Staatsjagdgebiet aneinander, ging da einfach rein, zeigte tausenden Schweden Meck-Pomms „Naturrosinen“. Tischs Jagdrevier gehöre heute Privaten, da würden Wege ausgebaut, Entwässerungsgräben ausgehoben, leide die Natur unter fast ständigen, früher unbekannten Störungen. „Das Tafelsilber der deutschen Einheit kriegt immer mehr Rostflecken“, sagt Naturcrack Strunk, an der Ostseeküste bekannt wie ein bunter Hund, hat aus Merkel-Land zig Beispiele parat. „Wo jetzt Neubesitzer aus Bayern und sonstwoher wunderbare uralte Eichen und Buchen kahlschlagen lassen, die DDR-Förster extra stehenließen,  haben Adler und andere Arten gebrütet – die sind natürlich nun weg.“ Käme er beispielsweise in den Schwarzwald, sollte dort solche Prachtstücke fällen, würde er das ablehnen – "so vom inneren Gefühl her“. ABM-Kräfte mit den neuen, nervigen  westlichen Motorsensen, in Sichtweite fluchtartig verlassener Kranichnester, wären ein treffliches Symbol neuer Umweltpolitik – überall im Osten flucht man über angerichtete Biotopvernichtung, ob in nunmehr  Nachtigall-freien Stadtfriedhöfen, Klosterparks, Schloßgärten oder Wäldern. „Die ABM`s dürften nur mit einer Kugel am Bein und `nem Taschenmesser losgelassen werden – stattdessen werden sie mit High-Tech ausgerüstet,  machen in der Natur alles nieder, damits überall „schön sauber“ ist“, ärgert sich Strunk, „Verheerendes ist dabei passiert!“ Wie findet er die überpflegten aseptischen West-Dörfer? „Du denkst, da stehen lauter Ausstellungsmodelle für irgendeinen Gartenkatalog!“  In der DDR habe niemand Tiere ausgesetzt – „heute passiert das am laufenden Band.“ Ironisch meint Strunk zur praxisfernen Uni-Ausbildung: “Der heutige Student weiß alles über DNS – aber der Unterschied zwischen Regenwurm und Maikäfer bleibt ihm verschlossen. Auch die Schulen versagen."  Selbst  laut NABU ist mit dem heutigen gesetzlichen Instrumentarium überhaupt kein wirksamer Artenschutz möglich, Umwelttäter gingen meist straffrei aus. „Kriegen tue ich sie bestenfalls“, so Strunk drastisch, „aber nicht r a n! Wer das Geld hat, hat heute das Sagen."

Nach dem Merkel-Debakel waren die Ossis gespannt, mit welchen „Konzepten und Intentionen“  Trittin die Nachwende-Erblast des Artenrückgangs beiseitigen wollte. Schließlich hat er die Richtlinienkompetenz. Doch wie es läuft, sieht man beim Rotmilan. Auf Anfrage erklärt sich das Umweltministerium nicht zuständig, verweist überraschend – wegen des Jagdrechts – ans Bundeslandwirtschaftsministerium. Von dort kommt ein klares „Nein“ auf die Frage, ob denn zugunsten des bedrohten, zu DDR-Zeiten häufigen Rotmilans Schutzprojekte oder ähnliches geplant seien:“Soetwas betreiben oder fördern wir als Ministerium selber garnicht.“ Trittins Ministerium bezweifelt gar die Angaben der ostdeutschen Schreiadlerexperten über Biotopzerstörung, massenhaften Abschuß der seltenen Großvögel im Libanon, in Syrien. Forderungen auch des NABU-Ost, politischen Druck auf diese Länder auszuüben , werden klar zurückgewiesen. „Man ist im Ministerium offensichtlich nicht im Bilde“, reagiert Experte Matthes aus Rostock. Und Sommer kontert: “In der ganzen EU brüten keine Schreiadler mehr – außer in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Deutschland hat eine riesige Verantwortung. Entweder wir übernehmen diese oder lassen's bei irgendwelchem närrischen Geschwätz.“

 


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