Marko Ferst

V. SPURENSICHERUNG

Rudolf Bahro – vom DDR-Kritiker zum spirituellen Ökologen

Jahrbuch Ökologie 2005. Beck, München 2004

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Ein bemerkenswerter Tatbestand vorweg: Die beiden bedeutendsten Regimekritiker aus der DDR, Rudolf Bahro und Robert Havemann, gelangten über die Auseinandersetzung mit dem eigenen Staat auf das Ökologiethema und begriffen dies als Dominante für die Zukunft der gesamten Zivilisation.

Macht man den Zeitvergleich und setzt den Band „Die Alternative“ von Rudolf Bahro (erschienen 1977) mit dem „Morgen“ von Robert Havemann (erschienen 1980) in Beziehung, so wird man unschwer feststellen: Bei Havemann ist die ökologische Komponente schon erheblich stärker ausgeprägt. Erst mit „Elemente einer neuen Politik“, 1980 nach Bahros Haft herausgekommen, wird die radikale grüne Sicht deutlicher. Aber auch in diesem Vergleich werden die Konsequenzen der ökologischen Krise von Havemann, so scheint mir, deutlicher angesprochen; diese Gewichtung kehrt sich erst mit den späteren Veröffentlichungen um.

Bei Rudolf Bahro hat man es mit einem Universalgelehrten, mit einem Seher zu tun. Gewiss, auch bei ihm gab es Zerrlinsen. Manche seiner Ideen und Analysen sind für den mit seinem Wissenshorizont nicht Vertrauten halsbrecherisch verknüpfte Steigpfade. In freier Rede konnte er sein Publikum in den Bann ziehen. Bahro ist jedoch nicht einfach gestrickt, man muss sich in seinen vielschichtigen Erkenntniskosmos einarbeiten. Den Grundstock erhält man durch die Lektüre seiner Werke sehr wohl, aber man sollte nicht meinen, sich dadurch den ganzen Bahro erschlossen zu haben. Es gibt einen breiten Gürtel, der nur schwer zu entdecken ist, abhängig von den Vorkenntnissen desjenigen, der sich damit auseinander setzt. Seine grundlegenden Thesen jedoch sind gut erfassbar.

Im niederschlesischen Flinsberg geboren, verliert Bahro als Flüchtlingskind die Mutter und zwei Geschwister. Mit 18 trat er der SED bei und studierte von 1954 bis 1959 Philosophie an der HumboldtUniversität in Berlin. Danach wird er für zwei Jahre Dorfzeitungsredakteur im Oderbruch und heiratet dort. Bis 1962 arbeitet er als Parteizeitungsredakteur in Greifswald. In dieser Zeit äußert er noch viel Zustimmung zu den Verhältnissen in der DDR. Bis 1965 ist er dann im Zentralvorstand der Gewerkschaft Wissenschaft in Berlin tätig und wechselt auf einen interessanten Posten, den des Stellvertretenden Chefredakteurs der Wochenzeitschrift „Forum“. Das „Forum“ wandte sich an junge Intellektuelle und Studenten und war eine der lebendigsten Zeitschriften der DDR jener Zeit. Als zweiter Chef der Zeitschrift nutzt Bahro den Urlaub seines Vorgesetzten, Volker Brauns Stück „Kipper Paul Bauch“ zu drucken. Dieses Stück aber sollte nicht diskutiert werden; Bahro wird von den Parteioberen abgesetzt und in die Produktion geschickt.

Als die sowjetische Führung den „Prager Frühling“ in der Tschechoslowakei 1968 mit Panzern erstickt, entschuldigt sich Rudolf Bah-ro bei der Prager Botschaft für das Verhalten der eigenen Genossen. In Folge arbeitet er an dem Buch „Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus“. Jahrelang führt er ein Doppelleben: Tagsüber werkte er im Kombinat, nach Dienstschluss tippt er sein Manuskript auf der Schreibmaschine.

Am 22. August 1977 dann sein großer Auftritt: Der Spiegel kündigte sein Buch an. Einen Ta g später wird er verhaftet, die Wohnungstür versiegelt. Längst liegt Bahros Manuskript aber bei einem Kölner Verlag, die Staatssicherheit kommt zu spät. Bahro ist in allen bundesdeutschen Zeitungen präsent, Interviews werden gesendet; die Fernsehberichte werden auch in vielen Haushalten der DDR empfangen.
Bahro warf der Partei Verrat am Sozialismus vor, machte kenntlich, wie die Idee ausgehöhlt worden war, und schlug eine weitgehende Reform der Apparateherrschaft vor, eine grundsätzliche Korrektur der Politik. Es könne nicht angehen, dass die etablierte Politbürokratie die sozialistischen Hoffnungen zum Gespött der Massen machte. Er charakterisierte die östlichen Staaten als Systeme organisierter Ver-antwortungslosigkeit, in denen die Subalternität der Menschen geradezu herangezüchtet werde.

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Notwendig sei eine grundsätzliche Umwälzung der subjektiven Lebensform der Bevölkerung. Er sieht darin eine Kulturrevolution, die von der geschichtlichen Einschnitttiefe nur vergleichbar sei mit dem Einstieg in die Klassengesellschaft, die vertikale Arbeitsteilung und dem Aufkommen des Staates. Bahro fordert eine gesellschaftliche Ordnung, die auf emanzipatorische Interessen, auf Selbstverwirklichung und Differenzierung der Persönlichkeit baut.

Schon in der „Alternative“ macht Bahro darauf aufmerksam, der innere Wandel des Menschengeschlechts sei ein zentraler Zugang, um der grenzenlosen Expansion der materiellen Bedürfnisse Einhalt zu gebieten. Der Industrialismus habe in einigen Weltregionen bereits das zuträgliche Maß überschritten. Wir vernutzten, worauf andere Völker und spätere Generationen ein Anrecht für ihr Leben hätten. Unser Erfolg in der Beherrschung der Natur drohe uns als ökologische Selbstvernichtung einzuholen. Gesellschaftlicher Fortschritt müsse also in Zukunft völlig anders definiert werden: Kollektive Rücksicht gegenüber dem Naturzusammenhang sei zu lernen, und der Bruch mit dem industriellen Größenwahnsinn unserer Epoche sei nötig.

Bahros Perspektive war es in der „Alternative“ nicht, eine Parteiengesellschaft westlicher Spielart zu etablieren. Reale Demokratisierung erschien ihm als Voraussetzung der ökonomischen Emanzipation der Massen. Die Wahrung der Menschenrechte und die Einführung politischer Demokratie seien wichtig, doch zentral ist für ihn, dass man eine Aufklärungsbewegung zustande bringt, die den Kampf um eine neue Politik führt. Vo n unten sollte die Selbstverwaltung in die Institutionen hineinwachsen. Sein Anliegen war nicht, einen kolonialen Prozess hervorzurufen, bei dem das westliche System das östliche Deutschland wieder heimholt.

Um das Bild ein wenig abzurunden, sei hier die Linie bis in sein Werk „Logik der Rettung“ fortgeführt: Die „freiheitliche Demokra-tie“ werde es nötig haben, in der gegebenen beschränkten, korrumpierten und durch Ausbeutung rund um den Erdball diskreditierten Form abzusterben. Es gehe darum, dass die in ihr richtig gefassten Prinzipien wiedergeboren werden können, jenseits des kapitalistischen Expansionismus.

Gut zwei Jahre wurde Bahro inhaftiert und dann im Zuge einer Amnestie zum 30. Jahrestag der DDR entlassen. Nach seiner Ankunft im anderen deutschen Staat wandte Bahro sich den Grünen zu. Carl

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Amery hatte ihn im Westen als „heimlichen Grünen“ angekündigt. Dort interessierte Bahro das Bündnis von Dutschke bis Gruhl, das quer zu den bisherigen politischen Fronten verlief. Er meinte, die ökologische Krise könne nur von so einem breiten Bunde her politisch angegangen werden. Sein Engagement blieb jedoch beschränkt: Den Grünen gehe es nur um Ökokosmetik, den modernen Lebensstil stellten sie nicht in Frage. Er schrieb: „Obwohl in der Idee bei Öko-pax geblieben, haben sie vor lauter Reformismus und Machtbeteiligungsdrang die ursprüngliche Substanz ihres Ansatzes ganz in tagespolitisches Kleingeld umgewechselt.“ Eine Resolution zum Tierschutz, die den Standpunkt des „vernünftigen Experimentators“ verteidigte, war dann der letzte Anstoß für den Austritt 1985.

In den ersten Jahren in der Bundesrepublik widmet Bahro einen Großteil seiner Zeit der Friedensbewegung. Er will erreichen, dass die beiden Militärblöcke anfangen abzurüsten, statt neue Atomraketen aufzustellen.
Eine Auseinandersetzung mit den westlichen Systemen verfolgt Bahro in seinem zweiten Hauptwerk „Logik der Rettung“. Dort zielt er auf eine grundsätzliche Kritik der patriarchal-kapitalistischen Zivilisation. Täglich gelangen weltweit Millionen Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre und schließen die Wärmefalle immer weiter, drei-bis vierhundert Tier- und Pflanzenarten sterben täglich aus; die Wüstenregionen nehmen Quadratkilometer um Quadratkilometer mehr Land in Beschlag; innerhalb weniger Generationen werden die nicht erneuerbaren Rohstoffe aufgebraucht; die Bevölkerungszahl verdoppelt sich in immer kürzeren Abständen, ebenso wie die „Geburtenra-te“ von Automobilen.

Rudolf Bahro versucht, gestützt auf Wolfram Ziegler, den Energiedurchsatz pro Quadratkilometer mit einem „Schadäquivalent“ für den regional ermittelten Umfang an Stoffumwandlung und die Natureingriffe in Beziehung zu setzen. Ausgangspunkt ist, die eingesetzte technische Fremdenergie als entscheidenden Hebel unseres Eingriffs zu betrachten. Gekoppelt seien daran der Materialverbrauch und die Naturvergiftung. Es ist natürlich außerordentlich schwierig, die biosphärischen Belastungsgrenzen in konkrete Maßzahlen zu übersetzen, allein schon weil sich viele nichtlineare Entwicklungen in den Ökosystemen nur schwer exakt beschreiben lassen. Dennoch ist es ein interessanter Ansatz zu sagen: Wir markieren mit einer Kennzahl den

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„Belastungsdruck“ auf die Biosphäre, angegeben in Kilowatt-(äquivalent-)Stunden pro km2 je Tag.

Verdeutlicht wird von Bahro auch das Übergewicht der menschengemachten Infrastruktur. Der Mensch bringt in Westdeutschland 150 Kilogramm Lebendgewicht pro Hektar auf die Waage, während alle anderen Tiere der freien Wildbahn nur mit 8 bis 8,5 Kilogramm pro Hektar ins Gewicht fallen. Für den Menschen kommen noch mal 300 Kilogramm pro Hektar hinzu an Tieren, die er für den eigenen Verzehr hält. Insgesamt belastet der Mensch jeden Hektar im Schnitt mit zwei Tonnen.

Für Bahro ist klar: Wir müssen das Schadensprodukt aus Energie-und Materialdurchsatz um eine Zehnerpotenz zurücknehmen. Er propagiert den Ausstieg aus der „Megamaschine“, auch aus dem kleinen Auto. Militärische und industrielle Abrüstung stehe an. Wir müssten das Industriesystem hinter uns lassen.

Wenn man darauf insistiert, man müsse auf 90 Prozent industrieller Struktur verzichten, dann kann man verlangen, dass dies gründlich belegt wird. Es reicht nicht aus, die eben angeführten Fakten auszubreiten und ein paar Hinweise auf den extremen Anstieg des Artensterbens, das Bevölkerungswachstum und den Ozonschwund zu geben, um diese These zu belegen. Man wird aus den Büchern und Artikeln Bahros gewiss eine ganze Reihe Bruchstücke an Beweismaterial zusammentragen können. Ausreichend als Beleg ist dies aber nicht.

Dies heißt nun keineswegs, die Überlegung von Bahro sei völlig falsch. Die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ von 1996 stellt zum Beispiel fest, bis 2050 müsse Deutschland seinen Kohlendioxidausstoß um 90 Prozent zurücknehmen. Nimmt man noch die Notwendigkeit hinzu, die Materialverbräuche drastisch zu reduzieren, kommt man der Problembeschreibung Bahros trotz Differenzen sehr nahe. Die Schwierigkeit ist letztlich, dass man unzählige Daten zusammenführen kann und dennoch den Faktor 10 nicht streng wissenschaftlich zu untermauern vermag. Die andere Seite ist die, dass wer sich die vielfältigen Auswirkungen der Klimaänderung, des Artensterbens und andere Prozesse besieht, sehr schnell darauf kommt, dass die nichtlinearen Auswirkungen rasant weltzerstörerische Kontur annehmen dürften. Wenn die Gesellschaft sich weiter mit kosmetischen Kleinkorrekturen begnügt, sonst aber kein Kurswechsel erfolgt, ist absehbar, dass sich die Konfliktpotenziale immer mehr aufbauen. Jedes Jahr, das unverrichteter Dinge verstreicht, bedeutet eine

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Jahr, das unverrichteter Dinge verstreicht, bedeutet eine steigende Altlast.

Bahro macht deutlich, die ökologische Weltkrise stellte unsere gesamte Gesellschaftsverfassung in Frage, bis in die tiefenpsychologischen Strukturen hinein. Dies verbindet er mit einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik, spart aber auch Fragen nach dem patriarchalen Untergrund und dem europäischen Entstehungshorizont nicht aus. In dem Machtsyndrom vom „patriarchalen Ego“ bis hin zu den modernen wissenschaftlich-industriellen Exzessen liege der harte Kern der ökologischen Krise. Er kristallisierte sich um den Trieb zur kom-pensatorischen Ansammlung von Insignien, Sachen, Erkenntnissen und Siegen. Der permanente Aktionszwang unserer Kultur treibe sie dem Abgrund entgegen.

Bahro verweist darauf, es reiche nicht aus, die Marx’sche Vision der Verwaltung von Sachen anzustreben. Wir bräuchten auch eine Emanzipation von der Selbstsucht und vom Habenmüssen. Ökologische Politik beginne mit dieser inneren Perspektive. In seinem Aufsatz zum „Homo Integralis“ schreibt er, dass die Harmonie der Geister der Anfang eines neuen Zeitalters sein werde. So konfliktorientiert wie bisher würden wir nicht überleben, es komme auf die Zurücknahme der eigenen Aggression an. Es gehe darum, zu einer „neuen Politeia“ zu kommen, die uns trotz sozial-universeller Abhängigkeit ein warmes Haus bewahre. Wir bräuchten um den ganzen Planeten herum inneren und äußeren Frieden.

Wir sollten lernen, so Bahro, aus Urvertrauen statt aus Abwehr zu handeln. Nur glücklich können wir richtig gut sein. Die neue Welt fängt für Bahro mit dem sich ändernden Menschen an, einem neuen inneren Selbst, das sich über das bedürftige Ego erheben kann. Bahro wirft die Frage nach einer anthropologischen Revolution auf, als eine Neubegründung der Gesellschaft auf bisher unerschlossene, unentfal-tete Bewusstseinskräfte. Die Heilung unserer Kultur hänge davon ab, ob wir die systematische Selbstaufklärung nach innen wagten. Meditative Praktiken könnten auf diesem Weg unterstützend wirken.

Bahro postuliert die Neubegründung kleiner Lebenskreise, wie das dann in dem ökologischen Landgut Pommritz bei Bautzen als einem praktischen Versuch seinen Niederschlag fand. Sinnvoll hält Bahro den Aufbau von Basisgemeinden in Gestalt eines netzwerkartigen Verbundes von Gleichgesinnten, die lokale kommunitäre Zusammenhänge schaffen. Die Vision einer Umkehr in den Metropolen

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hänge davon ab, so Bahro, wie schnell der Mehrheit klar werde, dass die kapitalistische Kulturverfassung nicht geeignet sei, um uns als Menschen dauerhaft auf dieser Erde einzurichten.

Mit der Wende 1989 kam Rudolf Bahro zurück in die DDR, meldete sich auf dem außerordentlichen SED/PDS-Parteitag zu Wort, der Beifall hielt sich in Grenzen. Der Text ließ sich hinterher im „Neuen Deutschland“ nachlesen und wurde 1999 in einem Dokumentationsband über diesen Parteitag auch veröffentlicht. Im Herbst 1990 begann er die Berliner Vorlesungsreihe für Sozialökologie als Studium generale an der Humboldt-Universität. Manche Verknüpfung von Ideen und Konzepten dürfte den neuen ZuhörerInnen nicht einfach nachvollziehbar gewesen sein. Jedoch konnte man von ihm sehr viel lernen, wenn man sich auf seine Art zu denken einließ. Auch behielt Bahro für Vorschläge immer ein offenes Ohr. In den ersten Jahren war das Audimax öfter bis auf den letzten Platz besetzt, auch noch kurz vor seinem Tod 1997 – er starb an Blutkrebs – kamen häufig mehr als 200 ZuhörerInnen zusammen. Und dabei bunt gemischt; von grün alternativ über die Anhänger der unterschiedlichsten Religionen bis hin zu Grünen und PDS-Mitgliedern war wohl alles vertreten.

Anfang der 90er Jahre hatte er sich die besondere „Sympathie“ einer westlich-alternativen „Hauptverwaltung ewige Wahrheiten“ zugezogen. Da gab (und gibt es) eine bestimmte Art von Leuten, die sich dadurch profilieren, dass sie andere Ökologen anschwärzen. Besonders gut funktioniert das mit dem Vorwurf des „Ökofaschismus“. Das Engagement dieser Politpolizisten ging so weit, dass mitten in eine Vorlesung Pflastersteine von draußen durch die Scheibe geschleudert wurden, die Bahro nur knapp verfehlten. Interessant ist auch, wie Jutta Ditfurth über die etwa 100 Vorlesungen Bescheid wissen will, obwohl sie dort nie im Publikum saß und nur Auszüge der Vorlesungen später veröffentlicht wurden. Eine Einladung von Bahro, sie könne ihre Sicht der Dinge in seiner Vorlesungsreihe vortragen, schlug sie aus. Auch die Autoren der 2002 erschienenen Bahro-Biographie kritisieren, dass die Vorwürfe gegen Bahro nicht gerechtfertigt waren (vgl. Herzberg/Seifert 2002).

Im Jahre 1991 lud Bahro Kurt Biedenkopf zu einer Vorlesung ein. Dabei konnte er den CDU-Politiker davon überzeugen, dass es angesichts der ökologischen Krise sinnvoll sei, alternative Lebensplätze zu fördern. Es folgte ein Treffen auf einem sächsischen Alternativhof in

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Schönewitz. Aus diesem Impuls heraus entwickelten sich dann das Lebensgut Pommritz und der Ökohof Vogelsang bei Prenzlau. Die Texte zu diesen und anderen Initiationen sind in dem Band „Apokalypse oder Geist einer neuen Zeit“ zu großen Teilen dokumentiert.

Im Jahre 2002 erschien unter dem Titel „Wege zur ökologischen Zeitenwende. Reformalternativen und Visionen für ein zukunftsfähiges Kultursystem“, eine Reihe noch unbekannter Texte von Bahro zusammen mit Texten von Franz Alt und Marko Ferst. In mehreren Vorlesungen zur Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ lotet er darin aus, was alles nicht mehr hinreicht, um zu einer Gesellschaft mit menschlichem Antlitz zu kommen. In seinem letzten Aufsatz stellt er noch mal die Frage nach einer Kulturordnung zur Debatte, die auf Herz und Geist gebaut ist und nicht auf Beton und Chips.

An seine frühere Frau, Gundula Bahro, schreibt er 1994: „Wir haben versucht, ins Rad der Geschichte einzugreifen, es ist uns entglit-ten.“ Entglitten wohl in mehrfachem Sinne. Verloren gegangen ist der Versuch, eine emanzipatorische Gesellschaft im östlichen Deutschland und in den anderen pseudosozialistischen Staaten zu etablieren. Es spricht viel dafür, dass wir auf eine dunkle Zeit zugehen, so schrieb er in einem taz-Beitrag.

Von Herbert Gruhl unterschied sich Bahro insofern, als er niemals einem faktisch gesetzmäßigen Untergang das Wort redete. Andererseits betonte er, dass die westliche Demokratie ganz schnell im Notstand enden könne, mit einer zugehörigen diktatorischen Junta, wenn die ökologischen Katastrophen wirklich auf uns zukämen. Menschenfreundliche Begründungen und ehrenwerte Motive könnten dabei ausgenutzt und umgedreht werden. Schon in der „Alternative“ schrieb Bahro, wenn es der Menschheit nicht gelinge, die Naturgleichgewichte zu wahren, dann werde sie im Zeichen barbarischer Kämpfe und Diktaturen dahin gezwungen werden.

Es scheint mir auf jeden Fall sinnvoll zu sein, die Konzeptionen Rudolf Bahros in ihren Stärken zu sichten. Mit neuen Fragestellungen könnte künftiges „Vordenken“ aber auch schwächere Punkte alternativ formulieren. Ich habe Rudolf Bahro einmal mit der Frage konfrontiert, eigentlich müsste man doch einen zweiten Teil zu seinem Buch „Logik der Rettung“ schreiben, wobei der Schwerpunkt darauf zu legen sei, wie eine konkrete Utopie für eine zukunftsfähige Gesellschaft aussehen könne; es gehe doch um mehr als ein paar theoretische Rahmenbedingungen. Er bestand darauf, die innere, die psychologische Veränderungsperspektive sei die entscheidende Matrix; alles andere werde sich daraus ergeben.

In dem Band „Wege zur ökologischen Zeitenwende“ ist in einer ersten Lesung der Versuch einer Antwort auf die Frage nach einer „ökotopianischen Zukunftsgesellschaft“ zu finden, ein Versuch, mehr Fantasie für neue Gesellschaftsentwürfe jenseits der östlichen und westlichen gesellschaftlichen Ungetüme zu wecken.

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Weitere Informationen zu Bahros Werken, zur Person und zu wichtigen Texten unter: www.umweltdebatte.de/bahro-beitraege.htm

Literaturhinweise

Alt, Franz/Bahro, Rudolf/Ferst, Marko: Wege zur ökologischen Zeitenwende. Reformalternativen und Visionen für ein zukunftsfähiges Kultursystem, Berlin 2002.
Bahro, Rudolf: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Köln, Frankfurt a.M. 1977.
Bahro, Rudolf: „Ich werde meinen Weg fortsetzen“. Eine Dokumentation, Köln, Frankfurt a.M. 1977.
Bahro, Rudolf: Elemente einer neuen Politik. Zum Verhältnis von Ökologie und Sozialismus, Berlin 1980.
Bahro, Rudolf: Wahnsinn mit Methode. Über die Logik der Blockkonfrontation, die Friedensbewegung, die Sowjetunion und die DKP, Berlin 1982.
Bahro, Rudolf: Pfeiler am anderen Ufer. Beiträge zur Politik der GRÜNEN von Hagen bis Karlsruhe, Berlin, Bremen 1984.
Bahro, Rudolf: Logik der Rettung. Wer kann die Apokalypse aufhalten? Ein Versuch über die Grundlagen ökologischer Politik, Stuttgart, Wien 1987.
Bahro, Rudolf: Rückkehr. Die In-Weltkrise als Ursprung der Weltzerstörung, Berlin, Frankfurt a.M. 1991.
Bahro, Rudolf: Apokalypse oder Geist einer neuen Zeit, Berlin 1995.
Bahro, Rudolf: Das Buch von der Befreiung aus dem Untergang der DDR (von 1995, zurzeit noch unveröffentlicht).
Harich, Wolfgang: Kommunismus ohne Wachstum?, Hamburg 1975.
Havemann, Robert: Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg. Kritik und reale Utopie, Frankfurt a.M. 1980.
Herzberg, Guntolf/Seifert, Kurt: Rudolf Bahro – Glaube an das Veränderbare. Eine Biographie, Berlin 2002.
Hornbogen, Lothar/Nakath, Detlef/Stephan, Gerd Rüdiger (Hg.): Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS. Protokoll der Beratungen am 8./9. und 16/.17. Dezember 1989 in Berlin, Berlin 1999.
 

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