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Der ökologische Countdown
läuft
Alan Weisman erkundet wie wir das Wachstum der Weltbevölkerung
bremsen könnten
Von Marko Ferst
Alle 4,5 Tage vermehrt sich die Bevölkerung auf unserem Globus
um eine Million Menschen. Hochgerechnet auf ein Jahr kommt mit 81,1 Millionen
Zuwachs knapp ein neues Deutschland an Menschen dazu. Erst 1815 überschritt
die Weltbevölkerung die Grenze zu einer Milliarde Menschen. Alan
Weismann reiste für sein neues Buch in über 20 Länder,
sprach mit Experten und wertete Erfahrungen in den verschiedenen Regionen
der Welt aus und ging der Frage nach wie kann sich die Menschheit selbst
begrenzen, ohne dass es am Ende, die Naturgewalten sind, die den Zuwachs
aufhalten. Es ist eine spannend zu lesende Reportagelandschaft, mit vielen
wenig vertrauten Erkenntnissen. Dabei zeigt er, wie wir den „Teppich“ ökologischer
Verknüpfungen immer weiter auflösen. Er besucht Regionen mit
extremen Bevölkerungswachstum wie Niger, Indien und die Philippinen
und stellt Länder gegenüber, denen es erfolgreich gelang hohe
Geburtenraten zu mindern. Am Beispiel Japan analysiert er wie sich Gesellschaften
mit schrumpfender Bevölkerung den daraus entspringenden Herausforderungen
stellen können. Der Band erörtert auch wie kurzsichtig es ist,
mit Verweis auf sich leerende Rentenkassen in Deutschland mehr Geburten
anregen zu wollen. Angesichts der drohenden Klimawirren, der Ausstoss
der globalen Kohlendioxidmenge wurde seit 1990 um 50 % erhöht, ist
absehbar, dass wir am gefahrvollsten Szenario entlangschrammen werden.
Ü
berschreitet bei Mais die Temperatur Schwellenwerte von 28,8 Grad und
bei Sojabohnen 30 Grad sinken die Erträge, nicht zu reden von zunehmenden
Wetterkapriolen. Hinzu kommt, wichtige Kornkammern der Welt könnten
der Ausbreitung trockener Gebiete zum Opfer fallen, so Weisman. Auch
für zahlreiche Reisanbaugebiete sieht die Prognose schlecht aus.
Der Norden Kanadas und Sibiriens eignet sich nicht als neuer Brotkorb.
Auf sauren Taigaböden wächst einstweilen kein Getreide bei
wärmerem Klima. Wenn eine Welt mit künftig neun oder zehn Milliarden
Menschen auf gravierende Klimaumbrüche trifft, sind Massensterben
die logische Konsequenz. Es wird auch keine zweite „grüne
Revolution“ geben bei der erneut die Nahrungsmittelproduktion gesteigert
werden könnte.
Dabei ist die Lage schon jetzt kritisch. Bei sieben Milliarden Menschen
sind eine Milliarde chronisch unterernährt, 16000 Kinder verhungern
täglich. Weisman argumentiert, würden Nahrungsmittel gerechter
verteilt, statt damit Profit zu machen, ließe sich dieser Skandal
sicher lindern. Überdies wird fast ein Drittel der eisfreien Landmasse
unseres Planeten als Weidefläche oder für Viehfutter genutzt.
Die Hälfte der globalen Weizenernte verfüttert man ans Vieh.
Eine vegetarische oder fleischarme Ernährung könnte die Lage
entspannen. Freilich bleibt dagegen zu halten, eine ökologisch verträgliche
Landwirtschaft benötigt mehr Fläche, angesichts geringerer
Erträge.
Zu den erfolgreichsten Ländern, in denen die Bevölkerungsbegrenzung
gelang, gehört der Iran. Noch 1956 brachten die Frauen dort im Schnitt
7,7 Kinder zur Welt. In weniger als 25 Jahren fiel die Quote auf 1,7
Kinder pro Frau. Bemerkenswert insbesondere, kein Gesetz verbot wie in
China mehr Kinder zu bekommen, gleichzeitig erwies sich das iranische
Vorgehen aber als ähnlich erfolgreich wie im Reich der Mitte. Eine
an sich sinnvolle Massnahme, führte bei der Umsetzung in den chinesischen
Provinzen immer wieder zu entsetzlichen Tragödien in den achtziger
Jahren.
Als Schlüssel im Iran erwies sich die Bildung für Frauen, die
jetzt mehr als 60% der Studierenden an iranischen Hochschulen ausmachen.
Eheleute bekamen vor der Heirat einen Pflichtkurs in dem u.a. aufgezeigt
wurde, wie viel es kostet, ein Kind aufzuziehen, bis ins letzte Dorf
gelangte die Aufklärung. Verhütungsmittel wurden im ganzen
Land angeboten. Wie wichtig das ist, zeigt Pakistan, wo nur 13 % der
Frauen Zugang dazu haben, mit negativen Rekorden beim Bevölkerungswachstum,
was sich dann auch in der ökologischen Übernutzung der Naturressourcen
dort wiederspiegelt.
Unstrittig ist, Länder mit hohen Geburtenzahlen sollten darin unterstützt
werden, diese zu senken. Jede/r muss über Verhütungsmittel
verfügen können, im Zweifel kostenfrei. Rund 140000 Tier- und
Pflanzenarten pro Jahr, abhängig von deren Gesamtartenzahl, sterben
derzeit aus. Ein zentraler Grund dafür ist das Vordringen des Menschen
in immer neue Regenwaldareale, seine Zerstörung als artenreichstes
Refugium und neben Konzerninteressen ist dabei auch der Bevölkerungsdruck
ein zentraler Faktor. Gleichwohl hinterlässt ein Inder gegenüber
dem Amerikaner einen vielfach geringeren ökologischen Fußabdruck.
Dies ist Weisman durchaus klar, aber es würde erfordern, dass man
die vollständige solare Energiewende in nur wenigen Jahren vollziehen
muss und der Durchsatz an Material und Energie in den reichen Industrieländern
um mindestens den Faktor zehn zu reduzieren wäre, z.B. durch einen
tiefgreifenden ökologischen Umbau des Steuersystems. Energie- und
Materialverbrauch statt Arbeit wäre hoch zu besteuern.
Weisman ist Professor für internationalen Journalismus an der Universität
von Arizona. In „Die Welt ohne uns“ ging er der Frage nach,
wie sich die Natur unseres Planeten entwickeln würde, wenn der Mensch
von einem Tag auf den anderen fehlen würde. Ein spannendes ökologisches
Szenario mit dem ihm ein Bestseller gelang, der in mehr als 30 Sprachen übersetzt
worden ist. Zuvor ging er in einem Buch dem Werdegang des kolumbischen Ökodorfes
Gaviotas nach, wie es sich über Jahrzehnte immer wieder neu erfinden
musste in schwierigem politischen Umfeld. Sein Buch „Countdown“ wurde
gerade mit dem renommierten Los Angeles Times Book Prize in der Kategorie
Science / Technology ausgezeichnet.
Alan Weisman: Countdown. Hat die Erde eine Zukunft?, Piper Verlag,
2013, Hartcover mit Schutzumschlag, 576 Seiten, 24,99 €
Neues Deutschland, 6.5.2014 (in kürzerer Fassung)
www.umweltdebatte.de
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