Utopien und die PDS
Bärbel Dorn, tarantel, Ökologische Plattform der PDS
Es gibt in unserer Zeit keine Utopien mehr. Wir orientieren uns an dem Machbaren, dem Notwendigen, dem Konkreten. Wir leben in "Sachzwängen".
Wann ist es geschehen, daß die Aussage "ein Utopist zu sein" mit etwas Anrüchigem, Nicht-Solidem in Verbindung gebracht wurde, so daß heute Menschen, die sich mit Utopien beschäftigen, oft vorschnell als "Spinner" abqualifiziert werden können?
Es scheint mir, daß mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus, der ja nur ein Zerrbild der Marxschen Utopien war, auch alle utopischen Gesellschaftsvisionen und der Sinn von Utopien überhaupt in den Strudel des Vergessens und Vernichtens geraten sind. Andererseits sind die gesellschaftlichen Widersprüche, das Zusteuern auf eine ökologische und soziale Katastrophe der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft so offensichtlich, daß ich mir einfach nicht vorstellen kann, daß Menschen keine Visionen entwickeln, die "von den Möglichkeiten ausbeutungs-, unterdrückungs- und diskriminierungsfreier gesellschaftlicher Beziehungen ausgehen, von ganzheitlicher Lebensweise auf der Grundlage gattungserhaltener wirtschaftlicher und sozialer Prinzipien, von der ethisch-moralischen Verpflichtung des Menschen zum erhalten allen Lebens auf der Erde".
Es ergibt sich die Frage, welchen Stellenwert utopische Gesellschaftsentwürfe in einer Partei wie der PDS spielen und spielen sollten.
Wenn ich die Diskussionen in der PDS zum Parteiprogramm, zu Fragen der Ökologie, des Feminismus und der internationalen Beziehungen verfolge, erlebe ich auch bei der PDS ein Denken in "Sachzwängen", eine Betonung der machbaren Politik, der gegenwärtigen Bedürfnisse und Befindlichkeiten. Es ist mir durchaus bewußt, das dies wesentliche Betätigungsfelder einer Partei sein müssen, die nicht über kurz oder lang in der Bedeutungslosigkeit verschwinden will. Nur wünsche ich mir auch, daß eine Partei, die sich der sozialistischen Idee verbunden fühlt, in gleicher Weise über den Tellerrand des Kapitalismus hinausdenkt - und sich damit utopischen Fragestellungen widmet. Es wäre gut, wenn die Frage "Wozu brauchen wir Utopien?" in Rahmen der Programmdebatte mit erörtert wird und sozialistische Utopisten in der PDS ein Wirkungsfeld finden können.
Sozialistische Utopie heißt für mich dabei das Aufnehmen allen humanistischen utopischen Gedankengutes vergangener Zeiten, als dessen Vertreter ich stellvertretend nur nennen möchte: Jesus, Buddha, Meister Eckart, Karl Marx, Edward Bellamy, Albert Schweitzer, Bertrand Russell, Erich Fromm,... Nicht nach den Irrtümern der Altvorderen zu suchen, nicht bei ihrem Denken stehenzubleiben, dafür aber ihre Erkenntnisse an unseren Erfahrungen zu messen, kann zu einer sozialistischen Utopie führen, die die gesellschaftliche Rolle übernehmen kann, die Hanna Behrend einer solchen zudenkt: "Utopische Gesellschaftsentwürfe sind Gedankenbilder, die - wie andere kulturelle Momente einfließen in die Motivationsstrukturen von Individuen und Gruppen und die deren aktuelles Handeln in gewissen Zusammenhängen beeinflussen können."
In ganz besonderen Maße treffen die bisherigen Überlegungen auch auf das Verhältnis der PDS zu ökologischen Fragen zu. Es macht keinen Sinn, daß sich Ökologen darüber die Köpfe heiß reden, was denn wichtiger sei: die nächsten zwingend notwendigen Schritte in der Energiepolitik oder die ökologische Zeitenwende. Wir brauchen beides! Das muß sich in den Aktivitäten der ökologischen Plattform und auch in der Tarantel widerspiegeln. Ich wünsche mir in der Tarantel Berichte über Aktivitäten und Aktionen zum gesamten ökologischen Spektrum, wünsche mir Anregungen, wie sich jede/r einzelne noch mehr einbringen kann, wünsche mir eine sachliche Analyse brisanter ökologischer Themen, und gleichzeitig wünsche ich mir in der Tarantel ein Forum zu den Fragen: "Wie kann eine künftige Gesellschaft aussehen?", "Welche individuellen Entwicklungen sind für die Abwendung der ökologischen Katastrophe erforderlich?", "Wie werden sich die individuellen und sozialen Beziehungen zukünftig gestalten?"...
Die Ausgewogenheit aller genannten Aspekte in der Tarantel zu sichern, liegt in unser aller Verantwortung.
Es scheint mir sehr wichtig, daß sich der Kreis der Autoren vergrößert und sich jeder mit seinen persönlichen Sichten einbringt.