Esoterik, Sozialökologie

und Büstenhalter

Von Anne Kathrein Petereit in tarantel

 

Esoterik heißt Geheimwissen, Geheimlehre. In matriarchalen Kulturen wurden das astronomische, heilkundliche und kultische Wissen, die mythologischen Überlieferungen mündlich von einer Priesterin an die nächste, ihre Nachfolgerin, weitergegeben. Erwies sich die angehende Priesterin im Verlauf der Einweihung als charakterlich-moralisch unwürdig, so wurde die Einweihung abgebrochen. Diese Menschen waren nicht geistig minderbemittelt, um sich eine Schrift zu schaffen, sondern sie hatten keinen Bedarf dafür. Vom keltischen Priestern wissen wir, daß sie die griechische Schrift kannten. Sie haben ihr Wissen dennoch nicht aufgezeichnet, da es nicht an Unwürdige gelangen durfte. Es ist mit ihnen untergegangen. Ich empfinde Respekt vor dieser Denkweise, aber als Demokratin plädiere ich natürlich für den freien Zugang aller zum Wissen.

Was heute unter dem Wissen Esoterik läuft, ist längst kein Geheimwissen mehr, denn jede/r, die/der das Geld dazu hat, kann es kaufen: in Esoterik-Läden und einschlägigen Workshops, Selbst die einst streng gehüteten Reiki-Symbole hat ein Autor in seinem Buch verraten. Das muß uns nicht stören: Ich beschäftige mich mit dem Begriff Esoterik nur aus Anlaß des bei einigen Ökologen irrtümlichen Gebrauch dieses Wortes.

Mit Esoterik (im ursprünglichen und gegenwärtigen Sinne) ist die ökologische Krise nicht zu lösen, darüber besteht Einigkeit. Die Meinungen gehen auseinander in der Frage, ob die Probleme allein durch Gesetze, Regularien, wissenschaftlich-technische Verbesserungen gelöst werden können. So dringend notwendig vernünftige Gesetze, eine echte ökologische Steuerreform, ja selbst die solare Energiewende sind - wer sich intensiv mit Sozialökologie beschäftigt, wird bezweifeln, daß dies einen ausreichenden Wandel bringen wird bzw. daß es ohne Bewußtseinsveränderung genügend großer Teile der Bevölkerung überhaupt zustande kommen wird.

Vielleicht sollte das Wort "Sozialökologie" hin und wieder durch "Tiefenökologie" ersetzt werden. Denn oft wird Sozialökologie als Mischung aus Ökologie und sozialen Belangen betrachtet, wobei "sozial" auch noch in dem eingeschränkten Sinn von "auf Pekuniäres bezogen" verwendet wird. Die Sozialökologie befaßt sich mit den Ursachen der Ursachen der Umweltzerstörung, bleibt also nicht bei den ökonomischen Ursachen stehen. Sie fragt, warum der Mensch endlos nach Geld, Macht und materiellen Dingen strebt, und kommt zu dem Ergebnis, daß die Ursachen in der patriarchalen Gesellschaft und letztlich in der seelischen Verfaßtheit der heutigen Menschen liegen (E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität; H. Göttner-Abendroth: Das Matriarchat). Dabei wird deutlich, daß die ökologischen Probleme mit den anderen Krisenerscheinungen der Menschheit, von ökonomischer Ausbeutung über allen Formen von Gewalt bis zum Kindesmißbrauch, in ursächlichen Zusammenhängen stehen.

Wenn der Club of Rome als Voraussetzung für eine Welt im wirtschaftlichen und ökologischen Gleichgewicht eine "geistige Wende kopernikanischen Ausmaßes" als erforderlich erachtet, so halte ich das eher für untertrieben. Kein Bereich der menschlichen Gesellschaft wird so bleiben, wie er ist. (Wenn die Uhr nicht überhaupt schon abgelaufen ist.) Von der Philosophie, dem Wertesystem, den gesellschaftlichen Strukturen, dem Geldsystem, dem, was als Wissenschaft oder Wirtschaft verstanden wird, bis zu den Liebesbeziehungen steht uns ein ungeheurer Wandel bevor. Er kündigt sich vor allem auf solchen Feldern an, die für das herrschende System nicht im Mittelpunkt des Interesses liegen und deshalb weniger Druck ausgesetzt sind. Wenn dagegen der Daimler-Chef Edzard Reuter die Autoproduktion einschränken will zugunsten anderer Produkte, bestraft das System dies mit Ausschluß.

Große Veränderungen in der gesellschaftlichen Realität sind Folge allgemeiner Bewußtseinsveränderungen. Einen solchen Bewußtseinswandel hat es schon mehrfach in der Geschichte gegeben. So in der Frühantike, als das Individuum sich aus dem Herdenbewußtsein gelöst hat. So in der Renaissance, als die Menschen das mittelalterliche Denken überwanden und in die Neuzeit gingen. (Was neben der Befreiung des Individuums und der Eröffnung neuer Persönlichkeitshorizonte auch, verbunden mit der starken Entwicklung der Produktivkräfte, letztlich zu rücksichtsloser Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur führte.) Wesentlicher Bestandteil des künftigen Bewußtseinswandels müßte sein, daß wir nicht länger Ersatzbefriedigungen wie übertriebenen Konsum und Karrierestreben oder den materiellen Fortschritt für die wahren Glücksbringer halten. "Das generelle Argument gegen die Realität des materiellen Fortschritts lautet also, daß er im Grunde vergeblich ist, weil er nur den Sockel erhöht, an dem sich die Artikulation von Bedürfnissen orientiert." (Rolf Peter Sieferle: "Fortschrittsfeinde?")

Einst kam ein christlicher Missionar zu "Wilden". Er stellte fest, daß diese Menschen nur 4-5 Stunden täglich arbeiteten. Dabei schwatzten, lachten und sangen sie. Er sah auch, daß die Eingeborenen mit weiten, sackartigen Gewändern bekleidet waren, kaum unterschieden nach Geschlechtern. Bei dem heißen Klima war diese Kleidung sehr praktisch. Natürlich erklärte der Missionar ihnen, daß ein anständiger Mensch nicht so herumlaufen kann, daß vor allem eine anständige Frau unbedingt Schuhe und Strümpfe sowie Hemd, Schlüpfer und Büstenhalter braucht. Die Eingeborenen glaubten dem Missionar. Da sie diese Kleidungsstücke nicht selbst herstellen konnten, ließen sie sich zu Lohnarbeit überreden. Da ist ihnen das Lachen und Singen schnell vergangen.

Wir brauchen keinen Missionar, wir haben das Werbefernsehen. Und andere Werbeträger. Und ich habe da noch eine Nachbarsfamilie, die wissen immer, was gerade "in" ist. Vorletzten Sommer haben sie in den Minigarten, der zu jeder Wohnung gehört, eine weiße Plaste-Villa gestellt. Obwohl ein Baum Schatten spendet, obwohl sie bei beginnendem Regen sofort ins Haus gehen können. Es dauerte keine 2 Monate, da stand in fast jedem Gärtchen so ein Ding. Was haben wir nicht alles zusammengetragen in unseren Wohnungen, Gärten, Garagen, Datschen! Wie leer dagegen, berichten Touristen, ist eine Hütte in Afrika oder Vietnam. Die Hungernden dieser Erde und auch die Erde selbst werden sich unseren Überfluß nicht ewig gefallen lassen. Wir fühlen uns als freie Bürger, aber wir lassen uns von den Konzernen unsere Bedürfnisse diktieren.

Oft habe ich mich gefragt, warum in einer Partei, die einmal theoretisch gebildet war bis ins letzte Glied, relativ wenig Interesse besteht, neuere Gesellschaftstheorien (2. Hälfte 20. Jahrhundert) zur Kenntnis zu nehmen. (Was keinesfalls heißt, daß ich die Praxis gering schätze.)

Ja, warum gar Menschen angegriffen werden, die dies tun. Könnte es nicht sein, daß eine Ursache dafür ein unbestimmtes Gefühl, eine Ahnung von dem anstehenden umfassenden Paradigmenwechsel ist? Die eigene Denkweise verändern, die Lebensweise, womöglich gar sich selbst - wer hat schon Lust dazu! Sie etwa?

 

 


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