Feuer am Fluss (2015)
Abschied von der Welt des Überflusses
Literarische Erkundungen über künftige Gesellschaften im Fokus des Klimawandels
Von Marko Ferst
Angesiedelt im Jahr 2035, die kapitalistische Welt liegt in weitgehender Agonie, könnte man von einem Buch der Ernüchterung sprechen. Cording, als Journalist des politischen Magazins „Emergency“, einen Titel, den man mit Notfall oder Ausnahmezustand übersetzen kann, reist an zahlreiche Brennpunkte dieser geschundenen Welt für seine Reportagen. Roman und politischer Reisebericht in einem, muß er zu Beginn gerettet werden als er aus den indischen Slums kommend, im Moskauer Metro-Untergrund festgenommen wird.
Er besucht unter anderem die USA oder besser, was von ihr übrig blieb. An der Westküste etablierte sich eine rigide Ökodiktatur, in der die Menschen als Arbeitssklaven ausgebeutet werden und freie Meinungsäußerung unmöglich ist. Einige Gebiete dagegen sind Mitglied in der URP, einem Bund ökologischer Regionen weltweit, dem bereits über tausend Gebiete angehören. Eine solche Annahme kann man als optimistisch werten.
Der Rest der USA wird noch von Washington aus regiert, doch längst ist die einstige Weltmacht in Auflösung begriffen. Jene, die sich nicht regierungskonform verhalten, verschwinden auch hier in Internierungslagern, ein ehemaliger Insasse berichtet ihm von den Zuständen. Liest man sich die Illustrationen des kapitalistischen Zerfalls ein, die er beschreibt, so wären sie womöglich plausibler, wenn man sich schwere Finanzmarktcrashs vorstellt, die auch unzählige Betriebe durch ihren Absturz begraben.
Verschleppt von Söldnern der Ecoca-Diktatur, wird dem einstigen Präsidenten Barack Obama ein Schauprozeß bereitet. Cording genehmigt man die Einreise und wie sich später herausstellt - seine Berichte, werden die einzigen authentischen sein, obwohl ein anderer Kollege ebenfalls angereist war. Zum Verhängnis wird Obama nicht die völlig unzureichende Klimapolitik der USA, sondern unter anderem das Monsanto-Schutzgesetz, das er 2013 unterschrieben hatte. Gerichte konnten daraufhin mit begründeten Zweifeln an der Umwelt- oder Gesundheitsverträglichkeit die Aussaat und den Verkauf neuer genmanipulierter Produkte nicht mehr unterbinden. Vom Ecoca-Ankläger wurde ihm vorgeworfen in diesem Kontext mitverantwortlich zu sein für die mangelhafte Ernährungssicherheit in vielen Ländern, erodierte Böden und nicht zuletzt Hungerrevolten, die in späteren Jahren auftraten.
Eine Guerillagruppe mit dem Titel 43 a. C. und einer Idee, die aus römischer Zeit stammte, gab eine Liste mit hundert Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft bekannt, die sich künftig ihres Lebens nicht mehr sicher sein konnten. Gezielt wurden immer neue unvorhersehbare Nadelstiche gegen die alten Regime gesetzt. Ein Ausfall des Flugsicherungssystems am Kennedy-Airport in New York provozierte unzählige Flugzeugabstürze. Andere trennen mit der Kettensäge an der Nordsee dicke Glasfaserkabel, die für den Datenfluß zwischen den Kontinenten sorgten.
Doch Cording bereist auch ökologische Regionen im französischen Elsass, die eine Ökonomie versuchen, wie man sie heute vielleicht im Ökodorf Siebenlinden in Sachsen-Anhalt ansatzweise vorfinden mag. Mangels Öl wurden Pferde für die Landwirtschaft unersetzlich. Felder mischten sich mit Bäumen, um die Saaten besser vor Wetterunbilden schützen zu können. Vegetarische Ernährung überwog. Das Internet stand vielerorts nicht mehr zur Verfügung. Ob die indianische ökospirituelle Versöhnung mit der Natur gelingt, scheint dem Autor selbst nicht gewiß.
Für seine Recherchen besuchte der Journalist (Cording) den Ort Walbach, eines von drei Bücherdörfern im Elsass. Eine Jury entschied dort, welche literarisch wertvollen Bücher auf äußerst haltbarem Hanfpapier nachgedruckt werden, um der Nachwelt erhalten zu bleiben. Die übrigen handelte man in Tauschbörsen. Druckmaschinen, über 70 Jahre alt, funktionierten noch immer zuverlässig. Im Gespräch wird er darauf aufmerksam gemacht, in China fand man Hanfpapiere, die noch aus der Zeit von vor Christi Geburt stammen. Hier in Walbach wurden elektronische Lesegeräte aus der ganzen Region ausgewertet mit Blick auf die Rettung von Büchern. Immer mehr Druckwerke liefen Gefahr, für immer verloren zu gehen.
Das Buch knüpft an Flecks frühere Romane „Das Tahiti-Projekt“ und „Maeva“ an, setzt deren Lektüre zum Verständnis jedoch nicht zwingend voraus. Die Passagen, die sich auf literarische Figuren aus dem ökologisch gewandelten Südseeland beziehen, gewinnen jedoch an Reiz, wenn man die Vorgeschichte kennt. Die einstige Präsidentin Ökologisch-Polynesiens Maeva bekommt kurze Auftritte. Diskutiert wird, ob sogenannte Wolkenschiffe helfen könnten, den globalen Temperaturanstieg durch die reflektierende Wolkenbildung zu mindern. Sie wendet ein, das damit viel Konfliktpotential zwischen den Ländern geschaffen würde.
Freilich, sollte die globale Verdunkelung durch Rußpartikel etc. wirklich einen erheblichen Teil des Treibhauseffektes verbergen, wird das für die Zivilisation zum Waterloo, wenn dies in Krisenzeiten nicht mehr geschieht. Falls die Ressourcen reichen, könnten zu diesem Zeitpunkt den Treibhauseffekt dämpfende Methoden der letzte Rettungsanker sein.
Diese literarische Reise in die Zukunft ist über weite Strecken spannend, verlangt aber ein hohes Maß an Mitdenken, um dem subversiven Geist dieses Romans folgen zu können.
erschienen in:
Neues Deutschland, 7.12.2016,
Andromedanachrichten Nr. 256,
Rabe Ralf, Berliner Umweltzeitung 8,9 / 2017
Dirk C. Fleck: Feuer am Fuß,
Roman, Verlag: p. machinery
Von Marko bei www.detopia.de