2 - Was wandelt sich im Klimawandel?
16. November 2019 Jörg Phil Friedrich Was kommt nach dem Klimawandel? Teil 2
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Diese Serie soll das, was in einer Klimakatastrophe passiert, vorstellbar machen und er soll auch eine Vorstellung davon entwickeln, was "danach" kommt. Natürlich ist es nicht möglich, in die Zukunft zu sehen. Auch wenn die Klimaforscherinnen und Erdsystemwissenschaftler immer genauere Szenarien davon entwickeln können, wie sich in welchen Gegenden der Erde das Klima und die Lebensbedingungen der Menschen verändern können, kann niemand vorhersagen, was wirklich genau passieren wird.
Der Grund dafür ist, dass wir nicht wissen und auch nicht plausibel abschätzen können, wie die Menschen selbst wirklich handeln werden. Wir wissen nicht, wann die Menschen im Alltag, in der Politik und in der Wirtschaft tatsächlich auf die drohenden Gefahren reagieren werden. Wir können nicht wissen, welche Ideen entwickelt werden, um diesen Gefahren zu begegnen. Wir können auch nicht wissen, wie die Menschen handeln, wenn die Katastrophe unabwendbar geworden ist. Wir wissen nicht, ob sie in Kriegen und Feindseligkeiten zu ihrem eigenen Ende beitragen werden, ob sie sich in großen Wanderungsbewegungen auf die Suche nach den Orten machen werden, wo Überleben vielleicht möglich ist, ob sie vernünftig und kooperativ versuchen, gemeinsam die Katastrophe zu überstehen.
Sinnvoll spekulieren
Aber dennoch ist es möglich, sinnvoll zu spekulieren. Zum einen gibt es gewisse historische Erfahrungen über das Verhalten der Menschen in anderen katastrophalen Zeiten, etwa in und nach großen Kriegen oder während großer Epidemien wie der Pest. Zum anderen kann man verschiedene Möglichkeiten durchdenken und auf ihre Konsequenzen hin prüfen. Diese mögen für eine Leserin plausibel sein oder für den anderen Leser unwahrscheinlich erscheinen - ich hoffe, dass sie alle aus meinen Spekulationen Konsequenzen für ihre eigenen Vermutungen ableiten können und ihre je eigenen Schlüsse ziehen - und dass sie am Ende, hinsichtlich der Frage, wie wir uns auf das Kommende vorbereiten sollten, mit mir übereinstimmen können.
In den Folgen dieser Serie werden einige katastrophale und erschütternde Möglichkeiten zukünftiger Entwicklungen durchdacht. Das mag dazu führen, dass Menschen dazu geneigt sind, nicht mehr weiter zu lesen, weil sie sich mit dem Schlimmsten, was kommen kann, nicht beschäftigen wollen und weil sie vielleicht auch meinen, dass es lähmend ist, einer katastrophalen Zukunft entgegen zu sehen. Ich hoffe jedoch, dass auch sie die Serie zu Ende lesen, denn aus der Schilderung der größten Gefahren erwächst am Ende ein Weg in eine neue Wirklichkeit, in der auch die Menschen einen Platz haben. Und es zeigt sich, was zu tun ist, um sich schon heute auf das Weiterleben im Klimachaos und danach vorzubereiten. Das, was da heute zu tun ist, ist zudem genau das, was wir tun können, um den Klimawandel so gut wie möglich einzudämmen.
Das Folgende ist Spekulation, es ist hypothetisch. Der ganze Text müsste im Konjunktiv formuliert sein, in jedem Satz müsste es heißen: "es wäre möglich" oder "es könnte sein" oder "vielleicht" oder "womöglich". Diese Art zu schreiben würde den Text schwer lesbar machen. Deshalb ist er, wenn er mögliche zukünftige Geschehnisse beschreibt, im einfachen Präsens oder Futur abgefasst. Er beschreibt etwas, was passiert. Dass es nicht genau so passieren wird, wie es hier beschrieben ist, ist eine fast triviale Selbstverständlichkeit.
Dass der Text womöglich sogar ein kleiner Beitrag dazu ist, dass es nicht so kommt, wie es hier spekulativ skizziert wird, ist eine Hoffnung. Jeder nicht verbrannte Tropfen Erdöl, jedes nicht verfeuerte Stück Kohle trägt dazu bei, dass der Klimawandel weniger dramatisch ausfällt. Die Folgen des Klimawandels werden damit abgemildert und verzögert, wir gewinnen Zeit. Das, was auf den folgenden Seiten geschildert wird, ist ganz gewiss keine rosige Zukunft, nicht einmal ein herausforderndes Abenteuer, das man wagen sollte. Es wäre zu wünschen, dass unseren Nachfahren vieles davon erspart bliebe und sie mehr Zeit bekämen, sich auf das Unvermeidbare vorzubereiten.
Manche Beschreibung, die ich im weiteren gebe, mag zynisch wirken. Ihnen mag die moralische Bewertung des Geschehens, das Mitleid für die Betroffenen fehlen, und insbesondere für die die ohne eigenes Verschulden Gefahren ausgesetzt sein werden, die andere verursacht haben. Ziel dieses Textes ist es aber nicht, Schuldige zu benennen und zu verurteilen. Er ist kein moralischer Appell. Es geht darum, einen Blick in eine mögliche, gewissermaßen sogar wahrscheinliche, Zukunft zu werfen. In dieser Zukunft wird für Mitleid mit weit entfernten Menschen kaum Platz sein - und das soll deutlich werden.
Der rasante Klimawandel ist bereits Realität
Auf Grund des Anstiegs der Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre erwärmt sich die Atmosphäre der Erde insgesamt und mit ihr auch die oberen Schichten der Ozeane und der Gewässer. Die kurzfristigen Folgen sind u.a. langanhaltende Hitzeperioden im Sommer in Regionen, die bisher von wechselhafter Witterung geprägt waren. Die globale Erwärmung hat zudem das Abschmelzen der Gebirgsgletscher, des antarktischen Eisschildes, des Grönlandeises und des Eises in der Arktis zur Folge. Es kommt zum allmählichen Ansteigen der Meeresspiegel. Durch die Erwärmung der Luft und der oberen Wasserschichten erhöht sich der Wasserdampfgehalt in der Luft, dies hat zur Folge, dass Starkniederschläge und überhaupt intensivere Wetterereignisse (Gewitter, Stürme, Hagel usw.) sich häufen.
All das erleben wir bereits gegenwärtig. Wir müssen uns hier mit den Details gar nicht aufhalten und können einfach ganz allgemein festhalten, dass das Klima sich an ziemlich jedem Ort der Erde radikal ändert. Um die Konsequenz dieser Veränderung klar zu sehen, müssen wir uns klar machen, was Klima eigentlich heißt. Denn "Klima" - das ist eigentlich nicht in einer einfachen Zahl einer "Globalen Mitteltemperatur" zu fassen. So wichtig dieser Wert, und ihre Veränderung im Verlauf einiger Jahrzehnte, für die wissenschaftliche Erfassung der Klimawandels ist, sie macht die Dramatik eines Klimawandels nicht deutlich. Man mag denken, dass die Erwärmung der Luft um ein paar Grad nicht gravierend ist, dass sie kaum spürbar ist. Und selbst wenn diese Erwärmung in unterschiedlichen Gegenden der Erde unterschiedlich stark ist, wenn sie irgendwo vielleicht zu bestimmten Jahreszeiten doppelt so hoch ist, mag man glauben, dass das, im Vergleich zu den Schwankungen der Witterung von einem Jahr zum Anderen, doch erträglich sein wird. Klima ist aber vor allem für unseren praktischen Umgang mit der Welt etwas anderes, und deshalb sind die Konsequenzen selbst eines geringen Klimawandels auch gravierend.
Was heißt "Klima"?
Klima bedeutet, dass es ziemlich verlässliche Bedingungen und Erfahrungen gibt, auf die wir uns einstellen können. Es gibt etwas "normales", etwas "durchschnittliches". Es gibt einen normalen Sommer und einen normalen Winter mit normalen Temperaturen und normalen Wetterverläufen. Für diese normalen Jahreszeiten kaufen wir uns Kleidung, dazu passende Autos, auf diese normalen Verhältnisse sind unsere Wohnhäuser, unsere Heizungen und Straßen ausgelegt. Die Pflanzen und Tiere, die sich in einer Gegend angesiedelt haben, kommen mit diesen normalen Verhältnissen zurecht. Die Landwirtschaft baut Pflanzen an und züchtet Nutztiere, die mit diesen Bedingungen gut zurechtkommen.
Jeder weiß, dass es Abweichungen gibt, ja, dass kaum mal ein längerer Zeitraum hinsichtlich des Wetterverlaufs ganz normal ist. Ein Sommer ist zu nass, ein Winter ist zu mild, das nächste Frühjahr ist zu kalt und der darauffolgende Herbst zu trocken. Aber innerhalb gewisser Toleranzbereiche gehört auch das noch zum Normalen, auch auf diese Schwankungen haben wir uns, unsere Infrastrukturen und unsere Landwirtschaft eingestellt.
Manchmal gibt es größere Abweichungen, das sind dann extreme Wetterverläufe, die beeinträchtigen unser Leben dann schon enorm. So kann extremer Schneefall Strommasten umstürzen und zu Stromausfällen führen. Innerhalb eines stabilen Klimas stellt sich eine Gesellschaft auf solche Extremereignisse nicht ein, das wäre viel zu teuer und auch nicht effektiv. Jedes Extremereignis ist so selten und so individuell und lokal, dass es Ressourcenverschwendung wäre, alle Infrastrukturen und Gebäude auf sie vorzubereiten. Innerhalb eines stabilen Klimas besteht immer die Möglichkeit, dass die Gesellschaft sich von extremen Wetterereignissen schnell wieder erholt: Die Strommasten werden erneuert, Dächer wieder gedeckt, unterspülte Schienen und Straßen werden wieder hergerichtet und das Leben geht weiter.
Wenn wir sagen, dass es in einer Gegend der Erde ein bestimmtes Klima gibt, dann bedeutet das also aus praktischer Perspektive weniger, dass es dort gewisse "mittlere Temperaturen" oder "mittlere Niederschlagsmengen", "mittlere Sonnenscheindauern" oder eine "mittlere Anzahl von Niederschlagstagen" gibt - es bedeutet vielmehr, dass es eine bestimmte Bandbreite von Wetterereignissen gibt, auf die wir gut vorbereitet sind, weil wir die richtigen Kleidungsstücke im Schrank haben, die passenden Autos fahren und eine angemessene Heizung installiert haben. Was richtig und angemessen ist, lehrt uns die jahrzehntelange Erfahrung mit dem stabilen Klima dieser Gegend. Dann gibt es ein paar unangenehme Ausnahmen, bei denen wir in den Häusern schwitzen oder mal mit dem Auto im Schnee stecken bleiben. Und schließlich gibt es die extremen Ereignisse, die einen Schaden verursachen, der aber in den folgenden Jahren behoben werden kann.
Klima bezeichnet also das Geschehen, mit dem wir zurechtkommen. Persönlich und kulturell haben wir die Techniken und die Ausstattung, um damit zu leben. Auf die meisten Ereignisse, die da kommen, sind wir gut vorbereitet, weil wir sie schon oft erlebt haben und weil sie unseren Erwartungen entsprechen. Manche sind unangenehm, weil sie nur selten passieren, aber sie sind erträglich. Ganz selten passieren "Jahrhundertereignisse", die Zerstörungen und ernsthafte Probleme mit sich bringen. Aber das ist, in einem insgesamt stabilen Klima, so selten, dass wir uns davon erholen können. Wir können in der Zeit nach dem Extremereignis alles wieder reparieren und vergessen.
Die Folgen des Klimawandels zu diskutieren, heißt vor allem, die Frage zu beantworten, wie Mensch und Gesellschaft reagieren, wenn ein solches gewohntes System aus den Fugen gerät. Darum geht es in den nächsten Teilen dieser Serie, die mittlerweile auch als eBook erschienen ist.
(Jörg Phil Friedrich)
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