10 - Unausweichlicher Klimawandel - Was tun?
1.3.2020 Von Dr. Jörg Phil Friedrich - Was kommt nach dem Klimawandel - Teil 10
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Während dieser Teil des Manuskripts entstand, brannten in Brasilien seit drei Wochen riesige Flächen des Amazonas-Urwaldes nieder, vermutlich verursacht durch Brandstifter. Zugleich meldeten die Nachrichten, dass das amerikanische Interesse an Grönland so groß wäre, weil die Hoffnung bestünde, unter dem zurückweichenden Festlandseis Erdöl-Vorkommen zu finden. In der Sprache des Klimasystems heißt das: Eine Folge des Klimawandels wird da als Chance gesehen, den Klimawandel noch dramatischer voranzutreiben, denn die freigelegten Erdölvorkommen werden ja wieder als Treibstoff für Kraftfahrzeuge und Flugzeuge sowie als Brennstoffe für die Stromproduktion genutzt werden, wobei wieder große Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen werden.
Es sind Nachrichten wie diese, die uns jeden Tag erreichen, die das Szenario, welches auf den vorigen Seiten dramatisch und eindringlich formuliert wurde, immer wahrscheinlicher werden lassen, und welche es illusorisch erscheinen lassen, dass in Politik, Wirtschaft und Alltag noch Vernunft einkehrt, die den Anstieg der CO2-Konzentration in der Luft tatsächlich noch auf ein vertretbares Maß begrenzen kann.
Es stellt sich die Frage, was wir im Angesicht der fast unausweichlichen Katastrophe tun können, um tatsächlich auf der neuen Erde anzukommen, die als Hoffnungsschimmer im vorigen Abschnitt skizziert wurde. Die Antworten auf diese einfache Frage sind vielfältig und sie ergeben sich aus dem Szenario, das wir hier entwickelt haben.
Es gibt kein "Alles oder Nichts"
Ein Programm für das Überleben der Menschen in der Klimakatastrophe muss zwei Schwerpunkte haben, die miteinander zusammenhängen: Aufschieben und Vorbereiten. Es geht nicht mehr darum, die Klimakatastrophe zu verhindern, aber es ist notwendig, Zeit zu gewinnen, die Katastrophe hinauszuzögern und wenigstens kurzfristig abzumildern.
Wir haben mit der Vorbereitung auf die dramatischen Veränderungen, die uns bevorstehen, schon zu lange gewartet und noch immer tun wir viel zu wenig, um die Frage zu beantworten, wie wir das Klimachaos überleben können. Nun müssen wir Zeit gewinnen. Die gute Nachricht ist: Was wir dafür tun müssen sind genau die Maßnahmen, die Klimaschützer schon lange fordern. Jeder Liter Benzin, der weniger verbrannt wird verzögert die Katastrophe um Sekunden - und diese Verzögerung brauchen wir, um uns vorzubereiten auf das, was unausweichlich auf uns zukommt.
Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen den Forderungen der Klimaaktivisten, die heute ihre Stimme erheben, und dem, was für die Vorbereitung auf das Klimachaos notwendig ist: Wir verlassen die absolute und damit letztlich lähmende Sicht des Alles oder Nichts. Wir sagen nicht mehr: Es ist ein radikaler Wandel notwendig, damit wir die Katastrophe noch verhindern können und anderenfalls wird die Menschheit untergehen, statt dessen konzentrieren wir uns auf jeden kleinen Schritt, jede winzige Verbesserung, die dazu führt, dass die Katastrophe hinausgezögert und abgemildert wird und die uns Zeit gibt, um uns vorzubereiten.
Vorbereitungen auf das Klimachaos wiederum sind in mehreren Dimensionen nötig: politisch auf allen Ebenen von der internationalen Kooperation über die Energie-, Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik der Länder bis zur kommunalen Ebene, wirtschaftlich und im Alltag.
Alle Wissenschaften sind gefragt
Zunächst ist es notwendig, dass sich die Forschung auf die Folgen des Klimawandels konzentriert. Für nahezu jede wissenschaftliche Disziplin ergeben sich Aufgaben.
Die Physik wird sich im Zusammenwirken mit der Chemie und den Werkstoffwissenschaften mit der Entwicklung von Materialien beschäftigen müssen, die einer großen Bandbreite klimatischer Bedingungen standhalten zügig und preiswert produziert werden können und an vielen kritischen Stellen der Infrastrukturen die schwächeren, nur auf einen engen klimatischen Rahmen zugeschnittenen Materialien ersetzen können.
Die Ergebnisse dieser Forschung müssen kostenlos und unkompliziert, vor allem auch in den Regionen verfügbar gemacht werden, die als erste und am schwersten schon bald von der Klimakatastrophe getroffen werden - und die zugleich selbst über die geringsten Ressourcen verfügen, um sich auf die kommenden Herausforderungen vorzubereiten.
Hier sind dann auch schon die geografischen und politischen Wissenschaften gefragt, die zugleich nach Wegen der internationalen Kooperation und nach Mechanismen der friedlichen Zusammenarbeit und der Konfliktvermeidung im Krisen- und Katastrophenfall suchen müssen. Hier werden auch die ökonomischen und die Sozialwissenschaften ihre Aufgaben finden. Die Geschichtswissenschaften können versuchen, aus historischen Phasen der Krisenbewältigung in und nach Kriegen und Epidemien Vermutungen abzuleiten, wie Menschen in solchen schweren Zeiten handeln, wieweit sie in der Lage sind, die Gemeinschaften zusammenzuhalten und die Zivilisation zu erhalten.
Was für die Physik und die Ingenieursdisziplinen gilt, gilt ebenso für die Biologie und die landwirtschaftlichen Wissenschaften. Hier müssen Pflanzensorten und Tierrassen gefunden und gezüchtet werden, die ebenfalls mit unsicheren Klimabedingungen und mit kargen Böden zurechtkommen. Es muss eine Feldforschung beginnen, die herausfindet, welche Sorten und welche Arten wie auf Schwankungen und Extremsituationen reagieren. Völlig neue Verfahren der Landwirtschaft sind womöglich nötig, die es ermöglichen, auf unerwartete Schwankungen in der Witterung zu reagieren und diese abzufangen. Auch für diesen Bereich gilt natürlich, dass die Ergebnisse der Forschung international verfügbar gemacht werden müssen.
Eine solche internationale Kooperation hilft nicht nur den schwächeren Regionen, die den Klimawandel am wenigsten zu verantworten haben, sie hilft auch, die international Vertrauen zu schaffen, die es Machthabern, die Konflikte schüren wollen, schwer macht, ihre Ziele zu erreichen. Zudem wirkt es darauf hin, so weit es die schwieriger werdenden Bedingungen möglich machen, gemeinsame Lösungen für die globalen Herausforderungen zu finden und Schutz- und Rettungsprogramme international zu organisieren.
Politische Strukturen krisenfest machen
Politisch ist es auf jeder Ebene notwendig, die Gesellschaft auf die kommenden Krisen vorzubereiten und die staatlichen und gemeinschaftlichen Strukturen möglichst krisenfest zu machen. Dazu gehören ganz praktische Maßnahmen, wie die schon genannte Vorbereitung der Infrastrukturen, die Umstellung der Land- und Forstwirtschaft, die Einrichtung von Wasserspeichern, die Vorbereitung auf große Waldbrände und anderes. Jede Region, jede Gemeinde und jede Stadt muss schon bald beginnen, sich auf den Klimawandel vorzubereiten und lokale Maßnahmen zu entwickeln. Es geht darum, wie mit knappen Ressourcen das Leben aufrechterhalten werden kann, wie dezentrale und regionale, autarke Infrastrukturen geschaffen werden können, die nicht von fernen Kraftwerken abhängen, sondern lokale Quellen erneuerbarer Energien nutzen. Es geht darum, die Vegetationsflächen, die Parks und Straßenbäume auf Dürre und Hitze vorzubereiten. Es geht darum, die lokalen Strukturen der Kultur und des Zusammenlebens zu erhalten.
Private und persönliche Vorbereitungen
Schließlich sind jeder private Freundeskreis, jede Familie, jede lokale Dorf- oder Hausgemeinschaft und jede einzelne Person gefordert, sich auf die kommenden Herausforderungen einzustellen. Die Frage ist einfach, aber ihre Beantwortung dürfte oft schwierig sein: Kann ich mir vorstellen, unter den Bedingungen, die in diesem Buch beschrieben wurden, zu leben? Was müsste ich ändern und ausprobieren, um in den Zeiten des Klimachaos zurecht zu kommen?
So trivial es klingt, es wird wichtig sein, zu lernen, mit dem Wenigen, knappen Lebensmitteln und beschränkten Mitteln des täglichen Bedarfs klarzukommen. Es wird darauf ankommen, einfachste Techniken zu beherrschen, mit denen unsere Vorfahren ihr Leben gemeistert haben, handwerkliche Fähigkeiten, Basis-Techniken des Überlebens, Hilfe in der Nachbarschaft, Zusammenhalt im Freundeskreis und in der Familie.
Trotz steigender Sorgen vor dem Klimawandel erleben wir derzeit eine stetig wachsende Motorisierung und Automatisierung von Alltagshandlungen. Küchen-, Garten- und Haushaltsgeräte sind schon seit Jahrzehnten nicht mehr mechanisch, werden nicht mehr durch Muskelkraft angetrieben, sondern durch Elektromotoren. Wir fegen das Laub nicht mit dem Besen, schneiden Hecken nicht mit der manuellen Heckenschere. Wir waschen das Geschirr und die Wäsche schon lange nicht mehr mit der Hand. Gerade sind wir dabei, mit E-Bikes und E-Scootern auch den letzten Kilometer der Fortbewegung noch zu motorisieren.
All diese Möglichkeiten werden in Zeiten des fortschreitenden Klimachaos immer mehr eingeschränkt, da die Energieversorgung instabil wird und wir damit rechnen müssen, die betreffenden Geräte immer seltener benutzen zu können. Zudem ist ihre Produktion von weltweiten Lieferströmen abhängig, die Produktion moderner Haushaltsgeräte und E-Mobile ist eine globale Angelegenheit.
Wir werden lernen müssen, darauf zu verzichten, und es wäre im Sinne des Klimaschutzes, schon jetzt damit zu beginnen. Auch wenn viele dieser Geräte nicht mehr mit einem Verbrennungsmotor betrieben werden, ist die Energie, die da gebraucht wird, bekanntlich nicht ohne CO2-Ausstoß zu haben, ganz zu schweigen von der Produktion der Motoren, Verpackungen, Batterien, elektronischen Komponenten und Gehäuse und des Transportes dieser Komponenten und Produkte rund um den Globus.
Es zeigt sich: Das, was wir tun können, um uns auf den Klimawandel vorzubereiten, ist genau das, was wir auch tun müssen, um diesen Klimawandel so gering und erträglich wie möglich ausfallen zu lassen. Klimaschutz, der von der Hoffnung getragen wird, dass sich der Klimawandel noch eindämmen lässt, ist kein Widerspruch mit dem, was wir tun müssen, um uns auf die Klimakatastrophe vorzubereiten.
Alte Erfahrungen reaktivieren
Es kommt also darauf an, Kulturtechniken verfügbar zu machen und zu erhalten, die ohne Klimaschädigungen und umweltbelastende Nebenwirkungen auskommen. Wir verfügen über eine jahrhundertelange Erfahrung mit solchen Techniken, und auch wenn einige aus dem Alltag verschwunden sind, sind sie noch bekannt und können wieder verfügbar gemacht werden. Womöglich werden Kulturvereine, die alte Traditionen pflegen und Alltagswissen bewahren, eine wesentliche Funktion beim Leben im Klimachaos erhalten.
Selbst das Geschichten-Erzählen-Können, das Spielen und das gemeinsame Musizieren können dazu gehören, denn letztlich kommt es nicht nur darauf an, am Leben zu bleiben, sondern auch die Zivilisation und die Kultur zu bewahren und dabei, auch in schweren Zeiten, Momente des Glücks und der Gemeinsamkeit zu erleben.
Zwar werden die Bücher in den Schränken und in den Bibliotheken erhalten bleiben, wenn die Festplatten der Internetserver längst zum Stehen gekommen sind, weil kein Strom mehr die Rechenzentren von Google und Amazon versorgt. Aber wenn sich die Menschen auf den Weg machen müssen in andere Gegenden, weil ihre Heimat vertrocknet oder überschwemmt ist, dann werden sie Bücher wohl zurücklassen. Für die Bewahrung des Lebensmutes und der Hoffnung werden die großen Geschichten und die kleinen Erzählungen, die Gedichte und Lieder der Generationen aber wichtig sein.
Manche Menschen meinen, dass es angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe richtig sei, auf Kinder zu verzichten - damit würde, so liest man, das Klima geschützt werden. Aber nichts ist falscher als das: Das Klima, die Natur, die Umwelt wird sich schnell vom menschlichen Eingriff in das Klimasystem erholen, es wird eine andere Welt sein, aber sie wird schlicht "da sein". Letztlich kommt es darauf an, dass wir Menschen diese Welt um unserer selbst Willen bewahren - und um unserer Kinder Willen. Wenn die nicht geboren werden, dann kommt es auch nicht auf die Bewahrung der Welt an. Die käme so oder so nicht an ihr Ende.
Es geht nicht ohne Kinder
Wichtig ist, dass wir Kinder in diese Welt setzen, die unsere Fehler nicht wiederholen, die mit der Gewissheit aufwachsen, dass Glück und Zufriedenheit auch ohne Wachstum, materiellen Wohlstand und Ausbeutung der Natur möglich sind. Damit bereiten wir uns und sie am Besten auf das Chaos vor, das uns bevorsteht.
Vielleicht ist das Szenario, welches hier geschildert wurde, zu katastrophal, vielleicht wird es nicht so kommen, vielleicht kriegen wir noch "die Kurve" oder vielleicht schafft es die Wissenschaft und die Ingenieurskunst, uns wieder vor der ganz großen Katastrophe zu bewahren. Der Autor dieses Textes wird gern Unrecht haben mit seinen düsteren Prognosen.
Aber es wird nicht schaden, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Es wird sogar dazu beitragen, das Schlimmste so weit es geht zu vermeiden.