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Teil 5 Die Zeit des Menschen und die Zukunft der Evolution Geulen-2023
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Einmal im Jahr schlägt die Doomsday Clock, die Uhr der Endzeit. Kernphysiker, die in Los Alamos die ersten Atombomben gebaut hatten, gründeten nach dem Zweiten Weltkrieg mit Albert Einstein das »Bulletin of the Atomic Scientists«. Es gibt keine präzisere Einschätzung der Gefahren nuklearer Kriege.
1947 wird die Uhr auf 7 Minuten vor Midnight gestellt, mit dem Ende der Sowjetunion 1990 auf 17 Minuten, die sicherste Zeit seit Ende des Krieges. Seit den neunziger Jahren rückt die Doomsday Clock der Midnight time immer näher: 2019 auf 120 Sekunden und seit 2020 auf 100 Sekunden.
Die Doomsday Clock lehrt uns noch etwas anderes: Die Evolution ist eine ewige Entwicklung höherer Lebensformen, sie kennt keine Zukunft, ist immer Gegenwart, das Leben selbst. Die Zeit des Menschen aber verrinnt in der rastlosen Beherrschung der Natur.
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Jedes Jahr, um die Mitte des Monats Januar, schlägt die Doomsday Clock, die Uhr der Endzeit, der Entropie.
Kernphysikern, die in Los Alamos die ersten Atombomben gebaut hatten, waren dem großen Oppenheimer gefolgt und hatten sich geweigert, für die Regierung neue Nuklearwaffen zu entwickeln. Gemeinsam mit Albert Einstein gründeten sie das »Bulletin oft the Atomic Scientists«, dem inzwischen elf Nobelpreisträger, Physiker, Biologen und Klimaforscher angehören. Die Sprache ist nüchtern und frei von Pathos. Es gibt keine präzisere Einschätzung des Risikos nuklearer Kriege und der Schädigung des Klimas als das jährliche »Bulletin«. Inzwischen ist es 76-mal erschienen, das Bulletin spiegelt uns schonungslos die Geschichte der wachsenden Bedrohung des Lebens seit dem Ende des Zweiten Kriegs.
In seiner ersten Ausgabe von 1947 setzt das Bulletin die Uhr auf 7 Minuten vor 12 Uhr Midnight fest. Die Doomsday-Risiken jener Zeit liegen verglichen mit dem Zerstörungspotential der Gegenwart im Promillebereich. Mit der Entwicklung nuklearer Waffen und der zunehmenden Aufrüstung weiterer Nationen zu Atommächten - nach den USA die Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien, Indien, Pakistan, China und Israel - rücken die Leute des Bulletins die Zeiger der Midnight immer näher. 1990 stellen sie die Uhr zurück auf 17 Minuten vor Midnight, die sicherste Zeit seit der Einführung der Doomsday Clock: Die Auflösung der Sowjetunion schien die Chance zu bieten, die existentielle Gefährdung des irdischen Lebens aufzuhalten. Aber die Atomwaffen und die Raumtechnologie folgten ihrem eigenen Automatismus und blieben von dem kurzen politischen Frühling unberührt. Seit Ende der neunziger Jahre rückt die Uhr Jahr für Jahr der Midnight wieder näher. Grund hierfür ist die Entwicklung der Atomwaffen von den ersten Freifallbomben zu nuklearen Sprengköpfen, die mit Trägerraketen von Land, von Wasser und aus der Luft jedes beliebige Ziel auf der Erde angreifen können - und seit einigen Jahren die Cyberwarfare, die Kriegsführung der Künstlichen Intelligenz.
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Hatte die Endzeituhr von 1947 bis 2006 ausschließlich die Risiken nuklearer Kriege bewertet, nimmt sie ab 2007 auch die Risiken der Klimazerstörung in den Blick. Dies führt dazu, dass die Uhr auf fünf Minuten vor Midnight rückt und sich in den folgenden Jahren immer weiter der Midnight time nähert: 2019 auf zwei Minuten,(1) seit 2020 auf hundert Sekunden.(2)
Die existenzielle Bedrohung durch anthropogene Erderwärmung ist bedrohlich und wird schlimmer. Jedes Jahr in dem durch menschliche Aktivitäten der Atmosphäre weiteres Kohlendioxid zugeführt wird, erhöht das Niveau des menschlichen Leids und der Zerstörung der Ökosysteme, dass zu einem globalen Klimazusammenbruch führt. Das entscheidende Kriterium der Verbesserung an der Klimafront sind die Anstrengungen, die globalen Kohlendioxidemissionen auf Null zu bringen. Diesen Maßstab haben die Staaten der Erde hoffnungslos verfehlt. Die weltweite Zunahme von Kohlendioxidemissionen war bis zum Jahre 2012 exponentiell gestiegen. In den Jahren 2013 bis 2016 blieb sie im Wesentlichen gleich. Selbst wenn dieses Niveau sich fortgesetzt hätte, hätte dies die Erderwärmung nicht gestoppt. [...] Die erschreckenden Nachrichten der Jahre 2017 und 2018 sind, dass die weltweiten Kohlendioxidemissionen weiter angestiegen sind.(3)
1 Vgl. Science and Security Board. Bulletin of the Atomic Scientists: It is still 2 minutes to midnight. 2019 Doomsday Clock Statement; thebulletin.org/doomsday-clock/2019 (Zugriff 2022)
2 Vgl. Science and Security Board. Bulletin of the Atomic Scientists: It is 100 seconds to midnight. 2020 Doomsday Clock Statement; thebulletin.org/doomsday-clock/2020 (Zugriff 2022)
3 Vgl. Science and Security Board. Bulletin of the Atomic Scientists: It is 100 seconds to midnight. 2021 Doomsday Clock Statement; thebulletin.org/doomsday-clock/2021 (Zugriff 2022)
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2021 sieht das Bulletin eine weitere Erhöhung des Risikos in der »anhaltenden Korrumpierung der Informationssphäre [...], weil die Staatsoberhäupter es zugelassen haben, dass die internationale politische Infrastruktur zur Steuerung dieser Gefahren erodiert.«(4) Nationale Regierungen und internationale Organisationen seien nicht darauf vorbereitet, »nukleare Waffen und Klimaveränderungen zu beherrschen, die gegenwärtig existenzielle Bedrohung der Menschheit.«
Die Menschheit sieht sich weiterhin zeitgleich mit zwei existenziellen Gefahren konfrontiert: Atomkrieg und Klimawandel. Diese Gefahren werden noch verschärft durch Cyber-Informationskriegsführung - ein Bedrohungsmultiplikator, der die Reaktionsfähigkeit von Gesellschaften untergräbt. Die internationale Sicherheitslage ist katastrophal [...].
Beschleunigt vorangetriebene Atomprogramme in mehreren Ländern haben die Welt im vergangenen Jahr in instabileres und weniger kontrollierbares Gebiet bewegt. Die Entwicklung von Hyperschall-Gleitflugkörpern, Raketenabwehr und flexiblen Trägersystemen, die mit konventionellen oder nuklearen Sprengköpfen bewaffnet werden können, erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung in Zeiten der Spannungen. [...]
Nach unserer Schätzung hat sich die Möglichkeit eines Absturzes der Welt in einen Atomkrieg - in den vergangenen 75 Jahren eine allgegenwärtige Gefahr - im Jahre 2020 gesteigert. Ein extrem gefährliches globales Versagen, sich diesen existenziellen Bedrohungen zu stellen - was wir im Jahre 2019 als »die neue Abnormalität« bezeichnet hatten - hat sich im Bereich der Kernenergie im vergangenen Jahr weiter verschärft und somit die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe erhöht. (5)
4 Ibid. + 5 Ibid.
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2022 stellte das Bulletin die Uhr nochmals auf 100 Sekunden vor Mitternacht.
Diese Entscheidung bedeutet auf keinen Fall, dass sich die internationale Sicherheitssituation stabilisiert hätte. Im Gegenteil, die Uhr steht weiterhin nah wie nie an der zivilisationsbeendenden Apokalypse, weil die Welt weiterhin in einer extrem gefährlichen Lage steckt.(6)
Zu der nuklearen Bedrohung stellt das Bulletin fest, dass die großen Atommächte zwar Gespräche geführt hätten über eine Rüstungsbegrenzung; gleichwohl sei die Zahl und Gefährlichkeit der Nuklearwaffen wieder gestiegen. Das Kapitel zum Klimawechsel überschreibt das Bulletin mit: »Viele Worte, relativ wenig Taten«; insbesondere seien die Zusagen der Nationen, die den größten Teil der Karbon-Emissionen verursachen, unverbindlich und unrealistisch.(7)
Die Doomsday Clock hat eine tiefere Bedeutung. Die Evolution des Lebens verdankt ihre Bewegung der ewigen Entwicklung neuer, höherer Lebensformen. Sie kennt weder Zeit noch Maß, sie hat kein Ziel, sie bedarf keiner Zukunft, sie ist immer Gegenwart, das Leben selbst. »On the Origin of Species«, das große Werk Darwins über die Evolution des Lebens, endet mit den berühmten Sätzen:
Da alle jetzigen Organismen lineare Abkommen derjenigen sind, welche lange vor der silurischen Periode gelebt haben, so werden wir fühlen, dass die regelmäßige Aufeinanderfolge der Generationen niemals unterbrochen worden ist und eine allgemeine Fluth niemals die ganze Welt zerstört hat. Daher können wir mit einigem Vertrauen auf eine Zukunft von gleichfalls unberechenbarer Länge blicken [...].
Es liegt eine Größe [grandeur] darin, dass der Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und während die Erde den ewigen Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise dreht, hat sich aus so einfachem Anfang eine endlose Reihe immer schönerer und vollkommenere Wesen entwickelt.(8)
Die menschliche Beherrschung der Natur hat mit der Evolution des Lebens nichts gemein. Was wir unter »Zeit« verstehen, ist das Maß für die Beherrschung der Natur. Es begann mit der Messung von Wasserständen in den frühen Hochkulturen, der Beobachtung des Sonnenverlaufs an einem Tag oder in einem Jahr in der ägyptischen Kultur vor etwa 4500 Jahren; vermutlich sind sie in anderen Kulturen älter. Diese frühe Chronometrie diente der Ordnung des Wirtschaftens, in den Anfängen auch kultischen und rituellen Zielen.
Im 18. Jahrhundert beginnt die Herrschaft der Chronometer. Aber noch zeigen die Gemälde inmitten von Reichtum und Überfluss Totenschädel, die das verrinnende Leben symbolisieren, Symbole der Eitelkeit und der Demut. Die Vanitas-Symbole der geschlossenen barocken Gesellschaft wenden sich nicht gegen den Besitz der Reichen. Sie zeigen die Vergänglichkeit des materiellen Lebens. Im 19. Jahrhundert bricht die Zeit des Menschen endgültig in die zeitlose Welt des Lebens ein. Die barocken Vanitas-Symbole gelten nun als altmodisch.
Die Doomsday Clock lehrt uns, dass die Evolution des Lebens umunkehrbar bedroht ist durch die menschliche Beherrschung der Natur. Während die Erde, wie Darwin sagt, immer vollkommenere Wesen entwickelt, hat die Industriegesellschaft immer vollkommenere Produkte zur Vernichtung des Lebens hervorgebracht. Mit dem Doomsday, der Midnight, wird das Leben der Menschen enden; was aus den bleibenden Pflanzen und Tieren wird, ist nicht abzusehen.
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6 Science and Security Board. Bulletin of the Atomic Scientists: It is 100 seconds to midnight. 202a Doomsday Clock Statement; https://www.thebulletin.org/doomsday-clock/2022 (Zugriff 2022).
7 Ibid.
8 Charles Darwin: On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favorite Races in the Struggle for Life, 5th Edition, London 1859, S. 579
(Übers. R. G. in Anlehnung an die von Heinrich Georg Bronn: Über die Entstehung der Arten, Stuttgart 1860, S. 494).#
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