4 Agenda 21 an der Oder: Ökospeicher Wulkow
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Das erste, was ich von Wulkow sehe, sind die Kinder. Sie tummeln sich im Sonnenschein auf einem mit Gras und Buschwerk überwucherten Erdhügel etwas abseits der Landstraße, die ich vom Nachbardorf Booßen aus entlangkomme. Immer wieder verschwinden die kleinen Gestalten im hüfthohen Gras. Dann tauchen sie ganz oben auf der Pyramide wieder auf, und ihre Silhouetten zeichnen sich gegen das Blau des Himmels ab. Die "Grashüpfer", so heißt die Kita, die sich das 200-Seelen-Dorf Wulkow immer noch leistet, haben diesen ganzen heißen Julitag lang ihren Spielraum - und Lernort - in der freien Natur.
Zum Dorf? Ja, da müsse ich den Weg da am Teich vorbei durch den Schloßpark nehmen. Mitten im Dorf stünde der Ökospeicher, und auf seinem Dach werde Strom gemacht. Aber wenn ich das genau wissen wolle, müsse ich ins Ufo gehen. Die Kinder zeigen auf einen pilzförmigen, hölzernen Rundbau neben dem Hügel, auf dem sie hocken. Ufo? Ja, es heiße so, weil es aussehe wie eine fliegende Untertasse.
Auf der angrenzenden Wiese steht ein Paar Weißstörche und putzt sich, als ich die paar Schritte hinübergehe. Der Eingang vom Ufo steht weit offen. Zwei noch etwas verschlafen wirkende Besatzungsmitglieder kommen gerade die Gangway herunter. Ich gehe das Treppchen hoch und betrete das unbekannte Objekt. "Domespace" - Kuppelraum, so lautet der französische Name für diesen Typ von futuristischem Niedrigenergiehaus, das 1993 an dieser Stelle, 80 Kilometer östlich von Berlin und zehn Kilometer nördlich von Frankfurt/Oder, gelandet ist. Ich stehe in einem runden, lichtdurchfluteten Raum mit umlaufenden Glasscheiben und Sitzbänken. Letztere sind mit Schlafsäcken und Kleidungsstücken belegt. Ein steiles Treppchcn führt hinauf auf die zweite Ebene.
Dort gibt es drei Gästezimmer, Küche und Waschraum. Im Gemeinschaftsraum wird gerade der Frühstückstisch gedeckt. Das Ufo beherbergt zur Zeit zehn Jugendliche, die an einem dreiwöchigen internationalen Workcamp teilnehmen. Betreut werden sie von zwei Gleichaltrigen, Katrin und Sonja, die am Ende ihres FOJ, des Freiwilligen Ökologischen Jahres, diese Aufgabe übernommen haben. Von Sonja, einer blonden Berlinerin, die zum Wintersemester in Rostock mit dem Studiengang Landeskultur und Umweltschutz beginnen will, erfahre ich nach dem Frühstück mehr über die avantgardistische Architektur dieses Hauses:
"Domespace" ist das Design eines französischen Architekten. Etwa 50 Exemplare stehen an der Atlantikküste, nur dieses eine in Deutschland. Die Kuppel mit einem Durchmesser von 15 Metern ruht auf einem Ständer, der nur drei mal drei Meter Bodenversiegelung erfordert. Das Haus hat 200 Quadratmeter Wohnfläche und ist im wesentlichen aus 80 Kubikmetern Holz und 60 Kubikmetern Kork, also nachwachsenden Rohstoffen, gebaut. Das Skelett besteht aus einer Stahlrosette und aus Kiefernlatten. Das Dach ist mit Schindeln aus Zedernholz gedeckt. Die Wände sind mit einer 20 Zentimeter dicken Korkschrotschicht isoliert. Das Holz ist unbehandelt, jedenfalls frei von synthetischen Farben und Lacken, um ein gesundes Raumklima zu schaffen.
Das Energiekonzept des Hauses: Warmwasser wird über Sonnenkollektoren aufbereitet. Richtung Süden stehen siebeneinhalb Quadratmeter Kollektorfläche zur Verfügung. Das Heizungssystem basiert auf einer Erdwärmepumpe. Ein Meter fünfzig tief im Erdboden sind 800 Meter Rohrleitung verlegt, durch die ein Kältemittel fließt, das Erdwärme absorbiert. In dieser Erdtiefe herrscht das ganze Jahr über eine konstante Temperatur. Die drei bis vier Grad Erdwärme reichen aus, um das Kältemittel zum Verdampfen zu bringen. Dieser Dampf wird im Haus komprimiert und die dabei anfallende Wärme an den Heizungskreislauf abgegeben. Das Abwasser fließt in eine Wurzelkläranlage, die ungefähr 50 Meter vom Haus entfernt angelegt ist. Das Terrain ist mit Schwertlilien und Rohrkolben, also typischen Feuchtbiotopgewächsen, bepflanzt.
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Sonja hatte in diesem Haus fast ein Jahr lang ihren Arbeitsplatz und hat einige Erfahrungen mit dem Ufo sammeln können. Die seien nicht nur positiv, sagt sie. Wenn der Wind stark gegen die Wand drückt, dann kühlt der Innenraum trotz der dicken Isolierung relativ schnell aus. Und wenn die Wärme von der Sonne durch die großen Fenster dringt, dann heizen sich besonders die Zimmer unterm Dach bald auf. Und es ist auch etwas hellhörig; besonders wenn jemand die Treppe herunterpoltert, vibriert es ziemlich stark. Aber alles in allem, sagt Sonja: "Man kann hier gut leben. Ich persönlich mag es, besonders das naturbelassene Holz. Das hat auch seinen speziellen Geruch, den Ufo-Geruch."
Wie so vieles, was ich in Wulkow noch sehen würde, ist die Idee zum Hausbau im Ökospeicher-Verein entstanden. Martin Merk, der Energie-Experte, hatte den Vorschlag, ein Niedrigenergiehaus zu bauen, ins Spiel gebracht und eines Tages ein Bündel Prospekte auf den Tisch gelegt. Darunter waren Fotos des "Domespace". Darauf konnte man sich einigen. Wulkow sollte einen Publikumsmagneten haben, etwas durch und durch Spektakuläres, was auch Schaulustige anlocken würde, die sich ansonsten nicht unbedingt wegen eines Niedrigenergiehauses auf den Weg machen würden. Das Geld, etwa 400.000 DM, kam zu 80 Prozent vom Land Brandenburg. Den Rest, immerhin noch an die 80.000 DM, hat der Verein zur Verfügung gestellt. Das Skelett und einige Bauelemente brachte ein LKW aus Frankreich. Der Tischlermeister aus dem Dorf hat die restlichen Teile geschreinert. Mitglieder des Vereins haben das "Domespace" im Herbst 1993 innerhalb von sechs Wochen errichtet. Seitdem wird es als Vereinshaus und Seminarzentrum genutzt. Im Programmheft der "Wulkower Umwelt Bildung" für 1997 ist das Konzept beschrieben: "Gemeinsames Ziel dieser Veranstaltungen soll es sein, Ökologie nicht als losgelöste Disziplin, sondern als Bestandteil einer nachhaltigen sozialen, ökonomischen und ökologischen Entwicklung zu verstehen."
"Hilf dir selbst" ist das altpreußische Motto, nach dem man in diesem Ort, drei Kilometer Luftlinie von der Oder und der polnischen Grenze entfernt, zu handeln versucht: Aus der bleiernen Vergangenheit eines heruntergewirtschafteten LPG-Dorfes wollte man nicht in die triste Gegenwart einer arbeits-
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losen, deprimierten, TV- und alkoholseligen Nachwende-Dorfgemeinschaft versinken, sondern das Risiko wagen, direkt in die - vielleicht - lichte Zukunft eines ökologisch erneuerten und wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehenden Dorfes zu investieren.
"Keine Ökoaussteiger sind hier am Werk", sagte Prof. Michael Succow, der Ökologe, Vorkämpfer der ostdeutschen Nationalparks und Träger des alternativen Nobelpreises 1997, "sondern Menschen mit neuem Denken, die Alternativen suchen und bieten." Das Ufo ist das exzentrische Symbol für den großen Sprung nach vorn, zu dem die Leute in Wulkow angesetzt haben.
Unterdessen ist der Workcamp-Frühstückstisch abgeräumt. Die Jugendlichen sind jetzt den dritten Tag hier. Katrin, die Campleiterin, eine 19jährige Brandenburgerin, teilt in ihrem besten Schulenglisch die Arbeit ein. Michal, ein polnischer Chemiestudent, und Roberto aus Madrid werden heute wieder zusammenarbeiten. Mit Spitzhacke und Spaten buddeln sie direkt am Sockel des Ufos einen Graben, um das Röhrensystem für die Wärmepumpe tiefer ins Erdreich zu legen. "Aber paßt diesmal auf", mahnt Sonja. Am Vortag hatten die beiden mit der Spitzhacke die Telefonleitung gekappt. Roland Kant vom Verein, der gerade mit seinem Elektroauto vorfährt, nimmt den Schaden gelassen in Augenschein: Wer arbeitet, macht auch Fehler.
Ich frage die Jugendlichen nach ersten Eindrücken. Roberte, der zu Hause in Spanien business studiert, staunt, wie grün dieses Land ist. Ben, ein schwarzer New Yorker, der sich für Erdarbeiten an der Pyramide einteilen läßt, ist dagegen von der ländlichen Idylle erst mal fürchterlich genervt. In den nächsten Tagen wird er sich langsam akklimatisieren und beim Abschied von allen die größte Trauer verspüren. Sänne, ein dänisches Mädchen, hat ihren Arbeitsplatz im Grasgarten nebenan, auf einem Versuchsfeld, wo unterschiedliche Gras- und Schilfarten angebaut werden, um deren Standortverhalten und ihre Verwertbarkeit als Biomasse zu testen. Unter Wulkow hatte sie sich ein richtiges Ökodorf voller Biohöfe und alternativer Architektur vorgestellt. Nun ist sie enttäuscht, daß das Ufo ziemlich allein auf weiter Flur steht und nicht als Wohnhaus, sondern lediglich als Informationszentrum dient.
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Die beiden Störche sind längst zur Nahrungssuche ausgeflogen, als ich das Ufo verlasse und mich auf den Weg ins Dorf mache. Wulkow aus der Storchenperspektive: Das Land ist dünn besiedelt. Der Ackerboden hier am Rand der Lebuser Hochfläche ist arm, besonders im Vergleich zur angrenzenden Niederung des Oderbruchs. Noch herrscht die konventionell betriebene Großfelderwirtschaft vor. Auf riesigen Schlägen stehen Mais, Sonnenblumen und Roggen. Daneben aber gibt es schon ökologisch bewirtschaftete Flächen. Dort werden unter anderem Dinkel, Buchweizen, Hirse angebaut und eine Herde Pinzgauer Rinder gehalten. Verstreut in dieser Gemarkung liegen einige besonders wertvolle Habitate für selten gewordene Pflanzen und Tiere.
Der Park, den ich auf dem Weg von der Landstraße ins Dorf durchquere, ist an einigen Stellen urwaldartig verwildert. Sehr alte Eichen und verschiedene Ahornarten in beachtenswerten Größen sind zu sehen sowie eine Fläche naturnahen Bruchwaldes aus Rot-Erlen, Eschen und Flatterulmen, die mehr oder weniger ganzjährig im Wasser stehen.
Hinter dem Dorf beginnen die alten Baumalleen. Jede ist mit einer anderen Art bepflanzt. So wie die Ackerraine und Hohlwege mit ihrer Vielfalt an Wildkräutern und das neu instandgesetzte Feldheckensystem legen die Alleen verschlungene grüne Bänder in diese Landschaft. Es entstehen Biotopverbünde, vernetzte Lebensräume, auch für Arten, die auf der roten Liste stehen. Wiesenweihe, Sperber und Storch fühlen sich hier wohl. Das Gewässersystem mit seinen zahlreichen fließenden und stehenden Gewässern ist in den letzten Jahren an vielen Stellen renaturiert worden. Einiges war schon immer Schilfgebiet und Bruchwald und wurde vom Menschen nicht genutzt, wohl aber vom Biber, der hier seine Staudämme baut.
Das Fließ verbindet Wulkow mit der Booßener Teichlandschaft im Süden und der Oder im Osten. An der Grenze der Gemarkung beginnen die Oderhänge von Lebus. Im Frühjahr, wenn das Adonisröschen blüht, leuchten die zum Fluß abfallenden Hänge im kräftigen Gelb. Eine Steppenvegetation, die es in Deutschland nur hier gibt. 20 Kilometer nach Westen und wenige Kilometer flußauf und flußab reicht der klimatische Brückenkopf, wo auf deutschem Boden das kontinentale Klima der weiten östlichen Ebenen vorherrscht. Hier weht Ostwind und sorgt für heiße, trockene Sommer und extremen Frost, bis zu 30 Grad, im Winter.
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Wulkow — der Ortsname ist abgeleitet von dem slawischen Wort für Wolf. Könnte der Wolf wiederkommen? Erste Anzeichen, daß sich in Brandenburg und in der Lausitz eine Wolfspopulation neu bildet, gibt es schon seit einiger Zeit. Bernhard, Student der Forstakademie Eberswalde und zur Zeit Praktikant in Wulkow, schließt die Rückkehr des Wolfes nicht aus. Die Oder zu durchschwimmen oder in einem strengen Winter auf dem Eis zu überqueren sei für den Wolf nicht schwierig, und wenn der Mensch es zulasse, könne er hier in Ostbrandenburg durchaus überleben.
Am alten Getreidespeicher auf dem weiten Dorfplatz fahren die Marktanbieter vor. Sie begrüßen sich, entladen ihre Fahrzeuge, verschwinden mit den schweren Körben und Kartons im Eingang. Von Mai bis Oktober und dann noch einmal in der Adventszeit ist sonnabends in Wulkow Markttag. Der Ökospeicher, das Herzstück der Dorferneuerung, ist ein klotziger, viergeschossiger Bau aus der Gutsherrenzeit. Das Erdgeschoß hat eine schöne Natursteinmauer. Die zwei Stockwerke darüber sind aus Backstein, das Obergeschoß ist aus Holzbalken konstruiert. Um 1900 erbaut, diente der Speicher dem damaligen Rittergut und später der LPG zur Verarbeitung und Lagerung des Getreides. Die Photovoltaikanlage, von der die Kinder mir erzählt hatten, ist äußerliches Zeichen der neuen Zeit. Zwei große, verstellbare Modulflächen, 18 Quadratmeter insgesamt, hängen in einem Winkel von 45 Grad an der Fassade des Anbaus.
Innen beginnt an diesem Julitag auf zwei Stockwerken ein reges Treiben. Etwa 25 Stände werden aufgebaut. Die Palette der Produkte reicht von selbsterzeugten Lebensmitteln bis zu Dienstleistungen. Heute sind Anbieter mit Fisch da, mit Fleisch- und Wurstwaren, zwei Imker mit Honig und Bienenwachskerzen, mehrere Stände mit Obst, Fruchtsäften und Gemüse. Wolle und Wollbekleidung werden angeboten, daneben Spielzeug aus Holz. Auch ein paar Kunsthandwerker sind vertreten. Auf einem Tisch liegt Schmuck aus Baumpilzen und anderen Pflanzen. Einen Stand mit Dämmstoffen und biologischen Baumaterialien gibt es, nebenan informiert eine junge Frau über Naturkosmetik und Hauttherapien. Nach dem Rundgang kann man sich zu Kaffee und Kuchen in der Cafeteria im Obergeschoß niederlassen.
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Die Ästhetik dieses Marktspeichers ist naturnah: Die Stände sind mit Feldblumen, mit Rainfarn, Kornblumen und Getreideähren geschmückt und in ein warmes Licht getaucht. Viele Waren liegen in Weidenkörben oder sind auf Stroh oder Schilf ausgebreitet. Es macht Spaß, durch diese kleine Markthalle zu wandeln.
Fast alle Anbieter sind Mitglieder im Ökospeicher-Verein. Aber hier ist jeder unabhängig, arbeitet gegen eine geringe Standgebühr auf eigene Rechnung. Lohnt es sich? Der ältere Mann, der mit Blumen und Gemüse nahe am Eingang steht, zuckt die Schultern. Er komme aus Lebus, wo er nach einer längeren Zeit der Arbeitslosigkeit und Fortbildung einen kleinen Laden aufgemacht habe. Sein Stand hier sei eher ein Hobby. Andere hätten ganz gute Umsätze. Für viele komme ein Zubrot dabei heraus. Einige arbeiteten gerade mal kostendeckend. Die fetten Jahre nach dem Medienrummel um das Ökodorf Wulkow von 1994 seien wohl erst mal vorbei.
"Ich bin zufrieden", sagt dagegen ein Händler im oberen Stockwerk. Auf seinem Stand liegen Kräuter, Zwiebeln, Bohnen, Tomaten und anderes Gemüse aus kontrolliert biologischem Anbau. Auch er ist schon seit langem Mitglied des Ökospeicher-Vereins, kommt mit seinen beiden Töchtern jeden Sonnabend von jenseits der Oder, aus dem polnischen Dorf Bolewice, wo er mit seiner Familie nebenberuflich einen Biohof betreibt. Im Hauptberuf ist er Lehrer. Neben ihm hat die Töpferin Ines Tauer aus Wulkow ihren Stand. Sie ist von Anfang an dabei und kennt das Auf und Ab des Kundeninteresses. Aber der Zusammenhalt unter den Anbietern sei sehr groß. Man arbeite Hand in Hand bei der Einrichtung und der Dekoration der Räume. Man kenne sich und halte zusammen. Die familiäre Atmosphäre sei das Besondere an diesem Markt.
Von einem "Ökomarkt" sprechen die Wulkower nicht. Das Hauptanliegen war vielmehr von Anfang an, einen Ort für die Vermarktung von lokalen und regionalen Produkten zu schaffen. "Die Marktwirtschaft kommt - Wir machen Markt im Dorf." Das griffige Motto wurde in den Anfangszeiten nach der Wende formuliert. Der Verein übt einen mehr oder weniger sanften Druck auf die Betreiber aus, langfristig auf nach-
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wachsende Rohstoffe, biologische Methoden und artgerechte Tierhaltung umzusteigen. Einem Anbauverband beizutreten, verlangt man aber von den Kleinstproduzenten nicht.
Neben einem Pfeiler sind ein paar handgeformte Strohlehmsteine aufgestapelt. Den Lehm hat man vor Ort aus dem Boden geholt. Wulkow steht auf Lehm. Fachleute haben die Qualität als gut und besonders für Putzarbeiten geeignet eingestuft. Nun überlegt man im Verein, ob die Produktion von Lehmbausteinen oder großformatigen Bauteilen aus Lehm sinnvoll wäre. An der Dorfkirche, aber auch am Dorfkrug und an den alten Gesindehäusern kann man sehen, daß Lehmbau in Wulkow eine jahrhundertelange Tradition hat. Heute erlebt dieser Baustoff eine Renaissance, weil er Wärme und Feuchtigkeit gut absorbiert und ein angenehmes Mikroklima schafft. Auch daß er sich zum Selbstbau eignet, macht diese Technik attraktiv. Statt für die Steine Stroh zu verwenden, könnte man den Lehm auch mit Schilf oder Holz-Hackschnitzeln kombinieren. Die Wirtschaftlichkeit hat der Verein schon geprüft. Wenn man den Lehm aus dem eigenen Boden nutzt, also im günstigsten Fall kostenlosen Rohstoff hat, dann kann es auch wirtschaftlich interessant werden. Der aktuelle Stand der Planung: Im alten Gutsstall gegenüber dem Speicher soll sich das Lehmbauzentrum mit seiner Produktion ansiedeln.
Auf einem Tisch im Erdgeschoß hat Martin Merk Info-Material der Solar-Initiative Wulkow ausgebreitet. Den gebürtigen Schweizer hat die Aufbruchstimmung der Wendezeit aus Westberlin, wo er damals lebte, nach Wulkow gelockt. Zusammen mit seiner Frau, die mit einem anderen Landwirt gemeinsam einen 170 Hektar großen Demeter-Hof betreibt, hat er sich neben der Kirche angesiedelt. Martin Merk ist Diplom-Ingenieur, hat in Zürich Verfahrenstechnik und anschließend Energieplanung studiert und dort als Berater für alternative Energien berufliche Erfahrungen gesammelt. In Wulkow betreibt er ein Planungsbüro für erneuerbare Energien, organisiert die regionale Selbstbaugruppe für Sonnenkollektoren und arbeitet im Vorstand des Ökospeicher-Vereins. Er habe nicht nur seine Fachkompetenz auf dem Energiesektor mitgebracht, höre ich im Dorf, sondern auch sein schwyzerdütsches Bewußtsein von Demokratie. Von ihm
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stammen sowohl das energetische Konzept für das Ufo als auch die Energie-Ideen, die hier im Speicher realisiert wurden.
Als erstes zeigt mir Martin Merk den Energiespar-Kühlschrank des Marktes, einen vom örtlichen Schreiner gebauten, wuchtigen Holzschrank mit vier Fächern, die man einzeln öffnen kann. Eingebaut wurde ein FCKW-freier Kompressor der Firma FORON, die damals gerade damit Furore machte. Der Energieverbrauch liegt bei einem Viertel eines normalen Haushaltskühlschranks. Eigentlich sollte mit einer Inselanlage solar gekühlt werden. Je heißer die Sonne scheint, desto größer ist ja auch der Bedarf an Kühlung. Aber dann hat man wegen der günstigen Konditionen, die der regionale Stromversorger eingeräumt hat, eine netzparallele Anlage für den gesamten Bau installiert und diesen Kühlschrank dort angeschlossen.
Langsam füllen sich die Gänge des Ökospeichers mit Besuchern. Draußen parken jetzt schon wesentlich mehr Autos, vorwiegend aus Frankfurt, aber auch aus Berlin. Die ersten Radwanderer treffen ein.
Neben dem Haupteingang hebt Martin Merk eine Klappe an, die dort im Boden liegt, und zeigt mir den Eingang zur Hackschnitzel-Feuerungsanlage, dem Kernstück einer lokalen Energierevolution. Von hier aus wird ein Großteil der Häuser im Zentrum von Wulkow beheizt. Wie bei den Wiederbelebungsversuchen für die Lehmbauweise werden auch hier traditionelle, lokale Formen des Wirtschaftens mit hochmoderner Technik sinnvoll verknüpft. Die Mark Brandenburg ist ein waldreiches Land. Bis vor einer Generation heizten die Leute im Dorf ihre Katen ausschließlich mit Holz."Holz ist immer dann sinnvoll einzusetzen", so beschreibt Martin Merk die heutige Situation, "wenn die Gestehungskosten für das Rohmaterial klein sind, das heißt, wenn es als Abfallholz irgendwo anfällt." In Wulkow existiert ein Landschaftspflegebetrieb, der auch einige Alleen und Hecken in seiner Obhut hat. Das beim Baum- und Heckenschnitt anfallende Holz wird in einem eigenen Hacker in daumengroße Stücke geschreddert und dann in diese Öffnung abgekippt. Auf diese Weise entstehen nicht mehr als eineinhalb Pfennige Kosten pro Kilowattstunde für die Primärenergie. Das entspricht einem Drittel der Kosten bei der Verwendung von Erdöl.
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Über Schubböden gelangen die Holzstücke aus dem Siloraum in die Feuerung. Diese erhitzt Wasser bis auf 100 Grad. Im Ort sind Fernwärmeleitungen erdverlegt, vor allem durch Eigenleistung der Dorfbewohner. Durch diese Leitungen fließt das heiße Wasser in die Heiz-Kreisläufe, die in den Häusern installiert sind. Abgerechnet wird über spezielle Zähler.
Das System funktioniert seit zwei Wintern. Es scheint sich zu rechnen. Man ist im Dorf stolz auf diesen kleinen Nahwärmeverbund. In den nicht immer einfachen Beziehungen zwischen Ökospeicher-Verein und Dorfbevölkerung, so scheint es, hat der Verein damit eine Menge Pluspunkte gesammelt.
Nicht, daß der Verfall des Dorfes schon gestoppt wäre! Der Blick vom Eingang des Ökospeichers über den Dorfplatz ist desillusionierend. Die weite, hier und da mit Kopfsteinpflaster, Grasnarben, Büschen und Gerumpel bedeckte Fläche, vor allem die Gebäude rundum, wirken trostlos. Ein neuerbauter Backofen und eine Fischräucherhütte in der Mitte des Platzes ändern nur wenig an diesem Eindruck. Das Herrenhaus, hier sagt man von alters her: Schloß, ist zu einer Ruine verfallen. Die Treppe liegt in Trümmern, Haustür und Fensteröffnungen sind zugemauert. Holzbalken stützen das Mauerwerk. Der Schwamm scheint das Gemäuer zu durchziehen. Ein hoher Zaun sichert die Gefahrenstelle ab. Auf der anderen Seite des Platzes ragen verkohlte Balken aus dem ehemaligen Gutsstall hervor. Er ist erst kürzlich ausgebrannt - ausgerechnet an dem Wochenende, als die letzten Besitzer von Wulkow ihren Familientag abhielten.
Die Schichten der Vergangenheit: An die mittelalterliche Rodungsperiode, als Slawen hier siedelten, erinnert nur noch der Ortsname. Später war Wulkow jahrhundertelang ein typisch preußisches Gutsdorf. Der Name der zeitweiligen Grundherren, von Burgstorff, taucht bei Fontäne mehrfach auf. Die Grundstruktur aus dem 17. Jahrhundert ist im Stadium des Verfalls noch zu erkennen: Das barocke Schloß mit dem Park und den Wirtschaftsgebäuden, die Dorfkirche mit dem Grufthaus für die Herrschaft, die an der Dorfstraße aufgereihten Katen für die Gutsarbeiter und ihre Familien, die baumbestandenen Sandwege, die hinaus zu den Schlägen führten.
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Das Ensemble um die Kirche ist das einzige trotz einiger Beschädigungen und Bausünden noch einigermaßen intakte historische Kleinod. Die gedrungene Gestalt der kleinen Kirche, die rote Wand mit den schwarzen Holzbalken, die blühenden Malven des prächtigen Bauerngartens hinter der Kirchhofsmauer, das Laub der alten Eichen und Linden - hier scheint die Uhr stehengeblieben zu sein, und ein Hauch von Paul Gerhardts "Sommergesang" weht aus der Bauzeit des Gotteshauses nach dem 30jährigen Krieg herüber: "Geh aus mein Herz und suche Freud."
Die Ordnung der Gutsherren bekam 1945 ihren Todesstoß. Einige hundert Kriegsgräber im Schloßpark erinnern an die Schlacht, die im Frühling 1945 nur ein wenig nördlich von hier zwischen Lebus und den Seelower Höhen tobte. Von dort aus begann die Offensive der Roten Armee gegen Berlin, und bei Erdarbeiten in dieser Region stößt man noch heute auf Gebeine von Gefallenen. Nach der Bodenreform wurden die riesigen Felder in LPG-Eigentum überführt. Wulkow bekam drei große Stallanlagen. Mit "Tierproduktion" verdienten die Dorfbewohner ihr Geld. Zum "sozialistischen Hauptdorf" mit der Groß-LPG und der großen Perspektive wurde aber das benachbarte Alt-Zeschdorf ernannt. Wulkow stufte man am Schluß in die Siedlungskategorie 6 ein. Das bedeutete: keine staatlichen Investitionen mehr, keine Baugenehmigungen, keine Zukunftsperspektiven. Das Dorf sollte im Laufe der Zeit "leergewohnt" werden. Der Verfall der Gebäude rund um den Dorfplatz war damit besiegelt. In den sieben Jahren seit der Wende konnte er nicht gestoppt werden. Einen Investor für das Schloß hat man nicht gefunden. Auch der Ökospeicher-Verein, der ein Nutzungskonzept vorgelegt hatte und den Bau tatsächlich von der Treuhand bekam, mußte nach kurzer Zeit kapitulieren und ihn zurückgeben.
Für eine Renovierung des Herrenhauses ist es vermutlich zu spät. Aber möglicherweise sind die Altlasten in den Köpfen der Leute für die Erneuerung des Dorfes hemmender als die Schäden an der Bausubstanz. In einem Gutsdorf gab es immer jemanden, der die Richtung angab und bestimmte, was zu tun ist und wo es langgeht. Die LPG mit ihrer hierarchischen Struktur hat in dieser Hinsicht nicht viel verändert.
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Neben einer Tradition des einfachen, naturnahen Lebens, der Selbstgenügsamkeit und des Zusammenhaltens hat sich möglicherweise auch die Gewohnheit des Kuschens und Meckerns über die historischen Brüche hinweg vererbt. Eine solche Mentalität, so ist in manchen Gesprächen herauszuhören, löst sich nicht so schnell auf. Neues Denken zu lernen braucht seine Zeit.
"›Öko‹ war in der Wendezeit ein Modewort, über das die Alten im Dorf ihre Köpfe schüttelten", erinnert sich Hans-Michael Hanert, der Pfarrer, der vom Nachbarort Booßen aus die Christen von Wulkow betreut. Den Ökospeicher-Verein hat er 1990 mitgegründet und seitdem die neuen Ideen unter die Leute gebracht. Die Alten hätten wissen wollen, was denn so neu daran wäre. "Neu ist gar nichts", habe er ihnen geantwortet, "nur, wir ordnen die Dinge anders und organisieren sie auf andere Art." Nachhaltiges Wirtschaften hätte schon die Generation der Großeltern unübertroffen praktiziert, indem sie auf die Wiederverwertbarkeit auch der einfachsten Dinge geachtet hätte. Und wäre nicht auch in der DDR-Zeit aufgrund der permanenten Mangelwirtschaft eine Art von Nachhaltigkeit normal gewesen? Wenn Hans-Michael Hanert heute auf Tagungen über das Modell Wulkow spricht, bezieht er sich auf die neuesten wissenschaftlichen Definitionen von sustainable development und - im nächsten Atemzug - auf die Schöpfungsgeschichte: "Die Ökologie formuliert die Voraussetzungen für die Ökonomie. Dies in den Kanon der Wissenschaften einzubringen bedeutet einen Paradigmenwechsel, dessen Folgen nur visionenhaft erahnt werden. Ökonomie hätte demnach grundsätzlich die Aufgabe, zu fragen, wie das Lebenshaus Erde eingerichtet werden kann durch den Menschen, der ja aus Sicht des sechsten Schöpfungstages nur Primus inter pares ist, und wie er die Erde geordnet bearbeiten und weltumfassende Arbeitszusammenhänge, Produktionszusammenhänge erstellen kann."
"Mit drei Beinen kann ein Schemel stehen." Mit diesem allgemeinverständlichen Bild erklärt Pastor Hanert das Wulkower Konzept. Die drei Standbeine der nachhaltigen Dorfentwicklung sind der Selbsterzeugermarkt im Kornspeicher, der Ökospeicher-Verein als "geistiges Zentrum" und die neuen gewerblichen Betriebe. Diese noch junge dörfliche Ökonomie
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besteht unter anderem aus einer Firma für Landschaftspflege, einem Betrieb für Gewässerpflege und Fischzucht, Martin Merks Planungsbüro und dem Demeter-Biohof. Aber auch die 1996 vom Verein ins Leben gerufene "Wulkower Umwelt Bildung" mit einem Programm, das von Naturerfahrung für Kindergruppen bis hin zu Seminaren über die kommunale Agenda 21 reicht, zählen die Wulkower zu ihren neuen Dienstleistungsunternehmen.
Viele dieser Aktivitäten haben Menschen von weither ins Dorf gelockt, was auch den Bewohnern, die nicht aktiv an der Arbeit des Vereins teilnehmen, zugute kommt. Die Leute haben in der Regel ein Haus und ein Stück Land. Die Häuser sind groß, denn sie waren für Großfamilien gebaut. Knapp 30 Fremdenzimmer sind in den letzten Jahren eingerichtet worden und bringen einigen Familien im Dorf wenigstens ab und an zusätzliche Einnahmen.
"Es kommt niemand, der uns hilft." Mit dieser Einstellung ist Marianne Schmidt, die ehemalige Bürgermeisterin von Wulkow, in die Zeit der Wende gegangen. Schon während ihrer Amtszeit in den 80er Jahren hatte sie gegen die staatlichen Pläne, den Ort allmählich sterben zu lassen, eine informelle Bürgerinitiative für die Erhaltung der Substanz ihres Dorfes ins Leben gerufen. Das Vereinsleben wurde aktiviert. Häuser und Schloßpark wurden so gut wie möglich durch Nachbarschaftshilfe instand gehalten. Rückblickend sieht Marianne Schmidt, die heute in der Amtsverwaltung Lebus arbeitet, in diesen selbständigen Initiativen die Anfänge des Wulkower Weges.
Als die Wende kam, war der nächste Schritt die Besinnung auf die eigenen Potentiale: "Wir können mit der Natur recht gut umgehen. Wir kennen den Boden hier sehr genau. Wir wissen, daß die gesunde Natur hier ein Pfund ist, mit dem wir wuchern können. Das war die Grundüberlegung. Und dann gab es die ersten Ansätze zu einem ökologischen Dorfentwicklungskonzept."
Marianne Schmidt und ihr Mann sind beide Absolventen der Forstakademie Tharandt, wo vor 200 Jahren die Wiege der forstlichen Nachhaltigkeitsidee stand. Auch nach der Wende nutzte Bernhard Schmidt dieses Kapital an Wissen und beruflicher Erfahrung. Sein persönliches Interesse war erst einmal, weiter in Wulkow leben zu können.
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Und darüber hinaus, "die Bewohner unseres Ortes in Lohn und Brot zu halten". Er gründete die "Ökopflege", einen Betrieb für ökologische Landschaftspflege. Und er kaufte aus der Konkursmasse der LPG den alten Getreidespeicher im Dorf und begann mit der Renovierung. Bernhard Schmidt war überzeugt, daß Wulkow als Bauerndorf keine Zukunft habe. Er hatte sich mit den Zukunftsszenarien der EG für den ländlichen Raum beschäftigt: Landwirtschaft im Haupterwerb sei nur da sinnvoll, wo man 600 Millimeter Niederschlag während der Vegationszeit (Wulkow hat 420 Millimeter Jahresniederschlag) und eine Bodenqualität von 60 Bodenpunkten und mehr habe (Wulkow hat in den besten Lagen 35). Und selbst unter optimalen Voraussetzungen kalkulierte die EG in dieser Expertise mit sage und schreibe einem Arbeitsplatz pro 150 Hektar. Für die Gemarkung Wulkow mit ihren 450 Hektar Ackerfläche hieße das: drei Arbeitsplätze. Diese Zahlen legte Bernhard Schmidt in den Dorfversammlungen der Nach-Wendezeit auf den Fisch und zog das Fazit: "Euch braucht im Prinzip kein Mensch."
Seine Ideen für einen Neuanfang basierten auf dem beruflichen Wissen, über das er als Forstmann und damit Ressourcen-Manager verfügte: Neue Formen von integrierter Landschaftsnutzung müßten an die Stelle der hergebrachten Land- und Forstwirtschaft treten. Biomasse für die Energie-Erzeugung, sanfter Tourismus und andere Dienstleistungen seien zukunftsfähige neue Elemente. Sein erster Vorschlag: "Ihr müßt euch was einfallen lassen, um zu überleben. Wenn ihr nicht Manns genug seid, euch an die Straße zu stellen und eure Tomaten und euren Honig zu verkaufen, gut, dann machen wir das in Wulkow so: Ihr kommt in den Speicher. Der gehört mir. Da könnt ihr euer Zeug verkaufen." Die erste Reaktion war ernüchternd: Niemand sprach sich für den Vorschlag aus.
Also machten sich die Schmidts auf die Suche nach Leuten, die in einer Interessengemeinschaft mit ihnen kooperieren wollten. Bernhard Schmidts Angebot: kostenloser Gewerberaum im Speicher, seine Bedingung: Die Betriebe müßten sich längerfristig auf ökologisches Wirtschaften umstellen. Der Besitzer des Fischteichs meldete sich, aus Berlin kamen Martin Merk und seine Frau.
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Der neue Pastor aus Booßen war von Anfang an dabei. Trotzdem war es nicht einfach, die sieben Unterschriften zusammenzubekommen, die zur Gründung eines Vereins erforderlich waren. Mit dem Dorfentwicklungskonzept und den ersten Erfolgen des Marktbetriebes rührte man die Trommel und bekam 1991 aus Potsdam den Titel "Modelldorf für ökologische Dorferneuerung". Und damit kamen dann auch öffentliche Fördermittel vom Land Brandenburg. Neben dem Niedrigenergiehaus wurden 1992 die Holunderplantage, das Fischbruthaus und die Photovoltaikanlage und 1993 die Hackschnitzelfeuerung überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert. Was schon bald den heftigen Unmut der benachbarten, weniger kräftig unterstützten Gemeinden hervorrief.
Im Dorf selbst ist die Phase des Belächelns der "Öko-Spinner" und die Phase der Anfeindung überwunden. "Die dritte Phase", sagt Bernhard Schmidt, "ist dann die Phase der Akzeptanz." Ob diese Stufe schon erreicht ist, bleibt offen. "Hier ist erlebbar", hatte Michael Succow 1994 in seiner Rede bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises gesagt, "daß Umweltverträglichkeit und Sozialverträglichkeit eng miteinander verknüpft sind und letztendlich auch zu ökonomisch tragfähigem Wirtschaften führen."
Roland Kant vom Vorstand des Vereins ist mit seinem schneeweißen "Twike"-Leichtbau-Elektroauto lautlos an der Solartankstelle vorgefahren. Diese besteht aus einem blauen Kasten an der Außenmauer des Ökospeichers. Der Kasten enthält nicht viel mehr als einen elektronischen Zähler, einen Chipkartenleser und eine Steckdose, die mit der Photovoltaikanlage verbunden ist. "Der Witz ist eben der", sagt Roland Kant, als er sein Auto anschließt, "daß es ein Leichtbaufahrzeug ist und nur 200 Kilo wiegt. Infolgedessen spare ich schon 90 Prozent der Energie, bevor ich losfahre." Mit der Ladung von drei Kilowattstunden kann er ungefähr 80 Kilometer weit fahren. Roland Kant wohnt in Lebus und hat sich als selbständiger Diplom-Psychologe auf dem freien Markt für Unternehmensberatung erfolgreich etabliert. Vor einigen Tagen ist er von einer Reise nach Schottland zurückgekehrt.
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Dort hat er an einer Tagung des "Europäischen Netzwerkes für Erfahrung mit nachhaltiger Entwicklung" teilgenommen. Zu dem ersten Treffen dieses Netzwerkes hatte übrigens der Verein in Wulkow eingeladen.
Die Batterie braucht eineinhalb Stunden zum Aufladen. Zeit für ein Gespräch über den Stand der Dinge im Ökospeicher-Verein.
Auf etwa 100 Mitglieder ist er inzwischen angewachsen. Allerdings wohnen viele von ihnen nicht in Wulkow, sondern unterstützen die Aktivitäten von außen. Im Dorf selbst arbeiten etwa 20 Leute engagiert mit.Was Roland Kant für ganz entscheidend hält: Der Ökospeicher-Verein ist ein offenes System. Er ist keine abgeschlossene Gruppe Gleichgesinnter, in der es strenge Gruppennormen gibt, sondern räumlich und gedanklich offen. Mit dem Markt kamen plötzlich Leute ins Dorf, die vielfältige geistige Einflüsse mitbrachten. "Es kam einfach Leben ins Dorf." Der Verein hat sich zunehmend emanzipiert. Um diesen Kreis sammeln sich heute viele, die gar nicht so sehr an der Vermarktung lokaler Produkte interessiert sind, sondern über Zukunftsperspektiven nachdenken wollen: Welche Chancen hat unsere Region Ostbrandenburg? Welche Zukunftsperspektive hat Deutschland? Und dann komme man bei Umweltfragen natürlich ganz schnell auf die globale Perspektive.
"Wir versuchen nicht, den Verein oder das Dorf von der Welt abzukoppeln, sondern wir gucken, wo macht es Sinn, eine lokale Ökonomie, also Kreisläufe im Dorf, aufzubauen, und wo sollte man in vernünftiger Weise mit der Außenwelt in Austausch treten. Es nutzt uns wenig, über Globalisierungsprozesse nur zu schimpfen. Ich bin der festen Überzeugung, daß sie Realität werden oder auch schon Realität sind. Und wir müssen überlegen: Wie etablieren wir uns in dieser Globalität?"
Bedingung dafür ist eine Veränderung der alten Gutsdorf- und LPG-Mentalität. Der Verein will nicht in die gleichen Strukturen verfallen: Wo wir sind, ist vorn, also marschiert mal in unsere Richtung. Selbstbestimmtes Tätigwerden müsse man anstreben. "Das braucht Räume", sagt Roland Kant, "und wir bemühen uns, sie zu schaffen, Anregung zu geben, zu sagen: Hier könnt ihr etwas machen. Versucht, eure Ideen zu verwirklichen.
Versucht, euer eigenes Leben irgendwie in den Griff zu kriegen. Das ist eine schwierige Situation. Die klassischen Anstellungsverhältnisse auf Lebenszeit wird es nicht mehr geben. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir unser Leben gestalten können. Jeder einzelne muß das tun, und zwar unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse hier im Dorf."
Es geht nicht mehr, daß jemand zum Verein kommt und sagt, ich habe da eine Idee, jetzt macht mal. Die Einheit von Denken und Handeln ist gefragt. Die Vereinsmitglieder sind aufgerufen, eine Projektidee und ein Konzept zur Umsetzung vorzustellen. Dann berät man über Finanzierungsmöglichkeiten und personelle Ressourcen und bildet ein Projektteam, das die Realisierung einer guten Idee in Angriff nimmt. Dabei gibt es eine ganz klare Trennung zwischen den wirtschaftlichen Aktivitäten einzelner Mitglieder oder Mitgliedsfirmen und den Angelegenheiten des Vereins. "Wir sind nicht gegen wirtschaftliches Denken, im Gegenteil, wir sind dafür. Aber daß man die Arbeit durch den Verein vergesellschaftet und die Ergebnisse privatisiert, das geht nicht."
Auch die Projekte des Vereins im kulturellen Bereich seien ein Zugewinn an Lebensqualität für das Dorf: Open-air-Konzerte, Freilufttheater in der Parkanlage, kleine spontane Feiern. Auf diesem Wege entstehen Möglichkeiten, sich zu begegnen, miteinander zu reden, zu sehen: Ja, wir haben eine Dorfgemeinschaft.
Das Schöne an Wulkow sei, sagt Roland Kant zum Schluß, daß es so klein und überschaubar sei wie ein Wassertropfen. Es werde darin vieles transparent, was auch für andere einmal wichtig sein könnte. "Die ganze Komplexität der großen Welt spiegelt sich in diesem kleinen Wassertropfen Wulkow." Und er fügt hinzu: "Das finde ich so interessant: Niemand kann herkommen und sagen, was in Wulkow passiert, das geht woanders nicht. Im Gegenteil: Wenn es in Wulkow geht, dann geht es überall."
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