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Einleitung     von Stan Grof 1985

 

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Dieses Buch stellt den Versuch dar, die Ergebnisse fast drei Jahrzehnte langer Erforschung außergewöhn­licher Bewußtseins­zustände, hervorgerufen durch psychedelische Drogen und verschiedene andere Methoden, in einem einzigen Band verständlich zusammenzufassen. 

Es dokumentiert mein Bemühen, eine große Anzahl von Beobachtungen, die viele Jahre lang tagtäglich meine wissenschaftlichen Annahmen wie meinen gesunden Menschen­verstand herausgefordert haben, in umfassender Weise zu ordnen und zu integrieren. 

Aufgrund der über­wältig­enden Menge von verwirrenden Daten habe ich viele Male den theoretischen Rahmen neu gefaßt und mit verschiedenen ad-hoc-Hypothesen aufgebessert — allerdings nur mit dem Ergebnis, daß ich ihn erneut ummodeln mußte.

Über die Jahre fiel es mir selber schwer, die Ergebnisse zu akzeptieren, die ich jetzt in diesem Buch beschreibe. Deshalb erwarte ich auch nicht von meinen Lesern, daß sie vieles von dem, was ich ihnen biete, auf gut Glauben hinnehmen, wenn sie nicht selber schon entsprechende Erfahrungen persönlicher Natur oder in der Arbeit mit anderen gemacht haben. 

Ich hoffe aber, daß die betreffenden Leser meine Darstellungen als unabhängige Bestätigung ihrer eigenen Fragen und Probleme begrüßen werden. Es war immer wieder erfreulich und ermutigend für mich, wenn ich an Berichte von anderen gelangte, die mir zeigten, daß ich mit meiner Suche nicht allein war.

Was die anderen Leser angeht, möchte ich besonders gern diejenigen erreichen, die offen genug sind, um meine Daten als Anreiz für eigene Untersuchungen aufzunehmen, sei es nun, um sie zu bestätigen oder zu widerlegen. Ich erwarte nicht, daß jeder die dargestellten Ergebnisse für bare Münze nimmt. Die technischen Mittel, mit deren Hilfe die beschriebenen Erfahrungen und Beobachtungen gemacht wurden, sind so detailliert beschrieben, daß Wiederholbarkeit gewährleistet ist. 

Allerdings ist das am meisten überzeugende Verfahren, die Anwendung psychedelischer Drogen, heutzutage mit erheblichen politischen, gesetzlichen und administrativen Schwierigkeiten verbunden. Die anderen in diesem Buch beschriebenen Methoden sind aber jedem, der ernsthaft auf diesem Gebiet forschen will, ohne weiteres zugänglich. 

Die in diesem Buch besprochenen Daten könnten auch solche Forscher interessieren, die sich mit den gleichen oder mit verwandten Phänomenen im Rahmen anderer Disziplinen oder mit Hilfe anderer Techniken und Methoden befaßt haben. Dazu gehören beispielsweise Anthropologen, die Feldforschung bei Naturvölkern betreiben und dort die Praktiken von Schamanen, Übergangsriten und Heilungszeremonien studieren.

Weiter wären zu nennen: 

Thanatologen, die sich mit der Erfahrung des Sterbens oder anderen todesnahen Erfahrungen befassen; Psycho­therapeuten, die in ihre Arbeit sehr stark die Sinne oder den Körper einbeziehen oder nicht-autoritäre Hypnose anwenden; Wissenschaftler, die im Labor mit bewußtseins­verändernden Techniken wie etwa mit Reizdeprivation oder -überflutung, mit Biofeedback­techniken, mit holophonem Klang oder mit anderen Klangtechniken experimentieren; Psychiater, die Patienten mit akuten Formen von Bewußtseinsveränderung behandeln; Parapsychologen, die sich mit dem Phänomen der außersinnlichen Wahrnehmung befassen; und schließlich Physiker, die sich für die Beschaffenheit von Raum und Zeit sowie für die Auswirkungen der Quantenphysik auf das Verständnis der Beziehungen zwischen Materie und Bewußtsein interessieren.

Da ich selber Schwierigkeiten hatte, die neuen Beobachtungsergebnisse ohne wiederholte massive Bestätigung und vor allen Dingen ohne Kenntnis aus eigener persönlicher Anschauung zu akzeptieren, wurde mir klar, wie sinnlos es ist, die Daten der Bewußtseinsforschung aus dem Elfenbeinturm des eigenen alten Systems von Anschauungen heraus zu bewerten. Wie die Geschichte der Wissenschaft lehrt, erweist es sich als kurzsichtig, neue Beobachtungen und Untersuchungsergebnisse nur aufgrund der Tatsache abzulehnen, daß sie mit der gerade bestehenden Weltanschauung oder dem vorherrschenden wissen­schaftlichen Paradigma unvereinbar sind. 

Ein gutes Beispiel für die Beschränktheit einer solchen Denkweise ist der nicht vorhandene Wille der Zeitgenossen Galileis, durch sein Fernrohr zu schauen, da sie ja zu wissen meinten, es könne unmöglich Krater auf dem Mond geben.

Wie ich glaube, sind viele der in diesem Buch diskutierten Probleme von so grundlegender Wichtigkeit und von so allgemeinem Interesse, daß sie auch vielen Laien, die nicht auf einem der oben genannten speziellen Forschungsgebiete tätig sind, nützlich sein können. 

Von besonderer Relevanz für ein breiteres Publikum dürften sein: die neuen Vorstellungen von der Realität und der menschlichen Natur, die Einbeziehung der mystischen Dimensionen der Existenz in die wissenschaftliche Weltanschauung, ein alternatives Verständnis emotionaler und psychosomatischer Probleme einschließlich einiger psychotischer Zustände, eine neue Strategie für die therapeutische Behandlung und die Selbsterforschung sowie Einsichten in die Zusammenhänge der gegenwärtigen globalen Krise. 

Meiner Erfahrung nach hat sich dieses Buch schließlich schon als Manuskript für viele Personen hilfreich erwiesen, die gerade einen Zustand veränderten Bewußtseins durchmachten. Es verhalf ihnen zu einem neuen Verständnis und einer neuen Strategie.

Als ich in der Anfangszeit meiner Forschung mit psychedelischen Drogen meinen Freunden und den nächsten Kollegen meine neuen überraschenden Beobachtungen mitteilen wollte, mußte ich mir eine wichtige Lektion erteilen lassen.

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Schmerzhaft wurde deutlich, daß die aufrichtige und unzensierte Darstellung meiner Beobachtungen auf tiefen Unglauben und Mißtrauen stieß und ich ernsthaft Gefahr lief, beruflich disqualifiziert und ausgelacht zu werden.  

Von da an ging es mir nicht mehr darum, auf die bestmögliche Art und Weise die neuen Erkenntnisse in ihrer Gesamtheit zu artikulieren und weiter­zugeben, sondern je nach Situation zu entscheiden, wie weit dies möglich und vernünftig war, welche Metaphern und welche Sprache ich dazu verwenden sollte, und wie ich die mitgeteilten Fakten in den bestehenden, von der Fachwelt akzeptierten Wissensstand eingliedern konnte.

In den ersten zehn Jahren meiner psychedelischen Forschungen in der CSSR fand ich nur eine Handvoll Freunde und Kollegen, die aufgeschlossen genug waren, das gesamte Spektrum der neuen Untersuchungs­ergebnisse zu akzeptieren und sich ernsthafte Gedanken über ihre wissenschaftlichen und philosophischen Folgerungen zu machen. Zwar gab es 1967, als ich die CSSR verließ, über 40 Forschungs­projekte über die Anwendung von psychedelischen Drogen, doch viele der beteiligten Kollegen versuchten, ihre klinische Arbeit und ihren theoretischen Bezugsrahmen auf die biographische Ebene zu beschränken. Sie mieden oder ignorierten die neuen Untersuchungsergebnisse oder versuchten, sie auf traditionelle Weise zu interpretieren.

Als ich in die USA kam und anfing, Vorlesungen über meine Forschungen in Europa zu halten, begann sich der Kreis gleich­gesinnter Kollegen rasch zu erweitern. Zu meinen Freunden zählten nicht nur Forscher auf dem Gebiet psychedelischer Drogen, sondern auch Anthropologen, Parapsychologen, Neurophysiologen und Thanatologen, die gemeinsam mit mir entschlossen dafür kämpften, die Ergebnisse ihrer unkonventionellen persönlichen und wissenschaftlichen Bemühungen in die bestehende Wissenschafts­philosophie zu integrieren. 

Viele von ihnen verfügten — ebenso wie ich — über Stöße von Aufzeichnungen über unveröffentlichte und nicht zur Veröffentlichung geeignete Daten und Beobachtungen, Artikel und sogar ganze Manuskripte, die sie nicht an ihre dem Weltbild von Newton und Descartes verhafteten Kollegen und die Öffentlichkeit weiterzugeben wagten. 

Nach so langen Jahren beruflicher Isolation war dies für mich eine sehr erfreuliche und ermutigende Entwicklung.

Ende der sechziger Jahre schloß ich mich einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern — unter ihnen Abraham Maslow, Anthony Sutich, James Fadiman u.a. — an, die wie ich der Ansicht waren, daß die Zeit dafür reif war, eine neue Bewegung in der Psychologie ins Leben zu rufen. Diese Bewegung sollte sich auf das Studium des Bewußtseins konzentrieren und die Bedeutung der geistigen Dimensionen der Psyche hervorheben. 

Nach mehreren Treffen, in denen es um die Klärung der neuen Konzepte ging, beschlossen wir, diese neue Richtung »transpersonale Psychologie« zu nennen. Schon bald darauf gründeten wir die Zeitschrift »Journal of Transpersonal Psychology« und die Vereinigung »Association for Transpersonal Psychology«.

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Es war zwar sehr anregend, so etwas wie eine berufliche Identität gefunden zu haben, also mit einer rasch anwachsenden Gruppe gleichgesinnter Kollegen die gleichen Vorstellungen von Psychologie und Psychiatrie zu teilen, doch vermochte dies nicht vollständig meine alten Identitätsprobleme als Wissenschaftler zu lösen. Obwohl die transpersonale Psychologie über einen bestimmten Grad an innerer Festigkeit und Abgeschlossenheit verfügte, war sie doch nahezu vollständig vom Hauptstrom der Wissenschaft isoliert. 

So wie meine eigene Weltanschauung war auch sie dem Vorwurf ausgesetzt, irrational und unwissen­schaftlich zu sein, also sich nicht mit dem »gesunden Menschenverstand« und der vorherrschenden wissenschaftlichen Denkweise vereinbaren zu lassen. 

Diese Situation änderte sich schlagartig in den ersten zehn Jahren des Bestehens unserer transpersonalen Vereinigung. Es wurde deutlich, daß die transpersonale Orientierung weit über die engen Grenzen von Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie hinausging. In dieser Zeit knüpften wir auch wichtige Verbindungen zu revolutionären Entwicklungen in anderen Wissenschafts­zweigen, zur Quantenphysik, System- und Informationstheorie, Forschung auf dem Gebiet dissipativer Strukturen, Gehirnforschung, Parapsychologie, Holographie und zum holonomen Denken. In letzter Zeit wurden auch neue theoretische Entwicklungen in der Biologie, Embryologie, Genetik und Verhaltenswissenschaft sowie die Entwicklung der holophonen Technologie einbezogen.

Viele der geistigen Pioniere in diesen verschiedenen Wissenschaftszweigen nahmen im Laufe der Jahre als Gastdozenten im Rahmen der jeweils 4 Wochen dauernden experimentellen Kursangebote teil, die meine Frau Christina und ich auch heute noch am Esalen-Institut in Big Sur, Kalifornien, durchführen.  

Dabei hatte ich Gelegenheit zu formellen und informellen Kontakten mit Frank Barr, Gregory Bateson, Joseph Campbell, Fritjof Capra, Duane Elgin, David Finkelstein, Eimer und Alyce Green, Michael Hamer, Stanley Krippner, Rupert Sheldrake, Saul-Paul Siraq, Russel Targ, Charles Tart, Arthur Young und vielen anderen — alles Menschen, die mich ungemein bereicherten. Ich hatte auch die Möglichkeit zu einem innigen Gedanken­austausch mit Pionieren der transpersonalen Psychologie, mit Angeles Amen, Arthur Hastings, Jack Kornfield, Ralph Metzner, John Perry, June Singer, Richard Tarnas, Frances Vaughan, Roger Walsh und Ken Wilber.

Diese Kontakte mit den verschiedenartigsten originellen und kreativen Menschen, die durch unsere vierwöchigen Seminare am Esalen-Institut ermöglicht wurden, bildeten die Hauptinspirationsquelle für die internationale Vereinigung <International Transpersonal Association> (ITA), die ich 1978 zusammen mit Michael Murphy und Richard Price, den Gründern des Esalen-Instituts, ins Leben rief. Die ITA unterschied sich von der <Association for Transpersonal Psychology> durch ihre ausdrückliche Hervorhebung des Internationalen und Interdisziplinären.

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In den ersten Jahren des Bestehens der ITA, in denen ich als ihr erster Vorsitzender fungierte, konnte ich große internationale Konferenzen in Boston, Melbourne und Bombay organisieren. Diese Jahrestreffen der ITA ziehen auch heute Gruppen mit originellen Sprechern und eine große aufgeschlossene Zuhörerschaft an. Sie tragen nach wie vor dazu bei, die theoretischen Formulierungen zu präzisieren und die transpersonale Bewegung zu festigen.

Gegenwärtig scheint das neue wissenschaftliche Denken rasch an Antrieb zu gewinnen. Obwohl die faszinierenden Entwicklungen in den einzelnen Wissenschaftszweigen noch nicht in ein geschlossenes und umfassendes Wissenschaftsparadigma integriert worden sind, das das mechanistische Modell des Universums ablösen könnte, fügen sich mit einer Schnelligkeit wie nie zuvor immer neue Teile in dieses eindrucksvolle Puzzlespiel ein.

Wie ich persönlich glaube, ist es für die Zukunft der Wissenschaft und möglicherweise auch für die Zukunft unseres Planeten außerordentlich wichtig, daß die neuen Entwicklungen von der Fachwelt akzeptiert werden. 

Aus diesem Grund habe ich all die neuen Erkenntnisse nicht in vereinfachter und popularisierter Weise veröffentlicht, was vielen Verlegern, mit denen ich verhandelte, wohl lieber gewesen wäre. 

Vielmehr spürte ich das starke Bedürfnis, die Ergebnisse meiner Forschungen zum Thema Bewußtsein im Licht der genannten revolutionären Entwicklungen in den anderen Wissenschaftszweigen darzustellen, also den Zusammen­hang mit den Entwicklungen herzustellen, die so wichtig für meine eigene persönliche und berufliche Entwicklung waren.

Der Darstellung meiner Ergebnisse geht also ein Kapitel über das aufkommende Wissenschaftsparadigma voraus, in dem ich die Arbeit vieler anderer Forscher und Denker zusammenfasse und das den übergeordneten Rahmen für das übrige Buch liefert

Diejenigen Leser, die mit diesen Entwicklungen bereits vertraut sind oder sich ausschließlich für die Originaldaten interessieren, können sich in Kapitel 2 auf den dritten Abschnitt beschränken, in dem es um die theoretische Herausforderung von Seiten der modernen Bewußtseins­forschung geht, und auf Abschnitt 5, der den Titel trägt <Der holonome Ansatz: Neue Prinzipien und neue Perspektiven>. Im übrigen enthält das Buch — angefangen mit dem Abschnitt <Dimensionen der mensch­lichen Psyche> — vorwiegend Originaldaten oder kritische Auswertungen der Arbeit anderer aus der Sicht meiner eigenen Beobachtungen.

Einer der tiefgehendsten Einflüsse auf mein Denken war die Entdeckung holonomer Prinzipien, wie sie sich in den Arbeiten von Gottfried Wilhelm Leibniz, Jean Baptiste Fourier, Dennis Gabor, David Bohm, Karl Pribram und Hugo Zucarelli finden. 

Es sind dies die revolutionären Alternativen zur mechanistischen Vorstellung, daß »der Geist im Gehirn enthalten« sei, die das holonome Denken "jenseits des Gehirns" (<Beyond the Brain>, so der originale Titel) nahelegt und die für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie neue Dimensionen öffnen.

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Stanislav Grof 

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