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Vorwort von Werner Boote

 wikipedia  Werner_Boote  *1965 in Wien       wernerboote.com 

 

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Die Schminke spannte im Gesicht. Mein bester Anzug saß seltsam eng. Und die Krawatte schnürte mir den Hals zu. Schon gingen die grellen Scheinwerfer an! Als Filmemacher war ich zwar Fernsehstudios gewohnt, aber so unwohl wie zu Beginn dieser Livesendung hatte ich mich noch nie gefühlt.

»Kann man umweltfreundlich leben?«, war die zentrale Frage dieser spätabendlichen Ausgabe der legendären Diskussionsendung »Club 2« im Österreichischen Rundfunk, die anlässlich meines Films <Plastic Planet> im Oktober 2011 abgehalten wurde. In der Runde erkannte ich Vertreter der Industrie und ging davon aus, dass sie kein gutes Haar an meinem Film lassen und den Menschen vor den Bildschirmen erzählen wollten, dass Plastik keine Bedrohung für Mensch und Natur sei.

Aber da war auch Kathrin Hartmann. Sie fühlte sich sichtlich wohler als ich, ja, sie war richtiggehend in ihrem Element! Damals wusste ich noch nicht, wie sehr Kathrin aufblüht, wenn sie mit Vertretern der Industrie diskutieren und ihnen die Realität entgegenschmettern kann. So habe ich sie kennengelernt. Ich hatte einen wunderbaren Abend und sah ihr begeistert zu, wie sie informativ und wortgewandt die untergriffigen und heimtückischen Statements der Geschäftsleute auseinandernahm und die Profitinteressen der umweltzerstörerischen Konzerne offenlegte.

Ein halbes Jahr später fragte ich sie, ob sie mit mir den Film The Green Lie machen wolle. Es erschien mir reizvoll, gemeinsam mit DER Expertin in Sachen Greenwashing die grünen Lügen der Konzerne filmisch darzustellen und aufzudecken. Wir entschieden uns für den Stil der Doppelconference im Film.

Kathrin nahm die Rolle der klugen und gebildeten Gesprächspartnerin ein, während ich den begriffsstutzigen Hedonisten verkörperte. Daran bin ich gewöhnt. Schließlich mache ich das in meinen Kinodokumentarfilmen oft. Kathrin fand sich auch schnell in ihre Rolle. Sie war einfach so, wie sie ist.

Ihre Gabe, aus ihrem reichhaltigen journalistischen Wissen zu schöpfen und spielerisch gedankliche Zusammenhänge zwischen Politik,Wirtschaft, Menschenrechten und Umweltschutz herzustellen, ist beeindruckend. Ich schätze ihre ehrlichen Bemühungen, Verbesserungen in der Gesellschaft und in unserem System herbeizuführen. Und es gibt noch etwas, was wir von Kathrin lernen können: Unerbittlich macht sie auf Ungerechtigkeiten aufmerksam, gibt uns aber auch gleichzeitig Mut und Hoffnung im Kampf für mehr Gerechtigkeit in der Zukunft, indem sie uns vor Augen führt, dass viele Menschen weltweit am gleichen Strang ziehen.

Wenn immer mehr Menschen die zerstörerischen Mechanismen der Konzerne und des deregulierten Kapitalismus verstehen, wird es uns vielleicht einmal gelingen, ein System zu schaffen, das keine grünen Lügen mehr braucht. Menschen, die im 18. und 19. Jahrhundert parlamentarische Demokratie und Wahlrecht für alle forderten, wurden damals auch als Träumer abgetan. Mittlerweile wird dieses Regierungssystem vielerorts geübt. Heute dürfen und müssen wir von einem demokratischen Weltwirtschaf tssystem träumen, wenn wir das schützen möchten, was wir am meisten brauchen: das Recht der Menschen und die Rechte der Natur.

Ich schätze mich glücklich, Kathrin im Spannungsfeld mit den Konzernen als Mitstreiterin an unserer Seite zu haben, und wünsche diesem Buch sehr viele Leserinnen und Leser.

Werner Boote

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Darum geht es bei guter Propaganda: einen Slogan zu erfinden, den niemand ablehnt und dem alle zustimmen werden.
Zwar weiß keiner, was er bedeutet, weil er nämlich gar nichts bedeutet. Sein Wert besteht darin, die Aufmerksamkeit von der Frage abzulenken, die etwas bedeutet:
Unterstützt ihr unsere Politik? Über jene soll man aber nicht sprechen.
Noam Chomsky(1)

»Es ist schwierig, jemanden dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn er sein Gehalt dafür bekommt, dass er es nicht versteht.«
Upton Sinclair(2)

I. DES KAISERS GRÜNE KLEIDER

  Warum grüne Fake News umso bereitwilliger geglaubt werdende offensichtlicher sie sind 

 

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Doug Evans hatte nicht einfach nur eine findige Geschäftsidee. Nein: Er wollte »die Zukunft bauen«. Und sowieso »die Welt verändern«. Darunter geht es heute nicht mehr, wenn man übersättigten westlichen Konsumenten ein neues Produkt schmackhaft machen will. »Baue die Zukunft mit einem Ziel, das größer ist als du selbst und das so viele Leute wie nur möglich auf positive Weise erreicht«, sagt Evans in einem Werbespot. »Ich baue sie, weil die Menschen mehr Portionen Obst und Gemüse brauchen.« Evans »Innovation« war, nun ja: Obst- und Gemüsesaft. Aber eben nicht irgendein Saft, nein: »Smart Juice«, also schlauer Saft. Und diesen schlauen Saft sollte ausschließlich der sogenannte Juicero bereitstellen, eine 400 Euro teure Saftpresse, die, man höre und staune: ans Internet angeschlossen werden sollte.

Evans Idee also: Diese Maschine presst Plastikbeutel aus, in denen sich zerschreddertes Obst und Gemüse befinden. Die Fünferpackung Plastikbeutel mit frischem Obst- und Gemüsematsch für 30 Dollar. Also sechs Dollar pro Glas und satte 180 Dollar im Monat - pro Person! -, will man jedenTag frisch gepressten »Smart Juice« trinken. Aber, hey! dafür sammelt die Maschine Daten, um die perfekte Zusammenstellung der nächsten Lieferung garantieren zu können, und meldet, wann die Haltbarkeitsgrenze der Obst-und Gemüsebeutel überschritten ist. In Echtzeit! Vor allem aber ist der ganze Saft und alles »nach dem 4,5 Milliarden Jahre alten Originalrezept der Erde« hergestellt, also gentechnikfrei, ohne Zusatzstoffe, regional und saisonal geerntet bei Biobauern, die man selbstredend damit unterstützt. So viel Natur war nie. Alles nachzulesen auf der Homepage, wo im Eröffnungsvideo keimende Pflanzen, reifende Früchte und die obligatorische sich drehende Erdkugel gezeigt werden.

Ein schickes weißes Hightechgerät, das aussieht wie irgendwas von Apple (!), angefertigt von jemandem, der sich einmal als »Steve Jobs der Saftpressen« bezeichnet haben soll? Das könnte interessant sein für eine besser verdienende, urbane Käuferschicht, die technikbegeistert, anspruchsvoll, gesundheitsbewusst und auch ein bisschen öko ist, irgendwie, vor allem aber: ziemlich bequem.

So dachten sich das wohl die Investoren, als sie ihre Geldbeutel weit öffneten. Insgesamt soll Evans 120 Millionen Dollar eingesammelt haben, bevor der Juicero in Serie ging. Zu den Geldgebern gehörten unter anderem die Wagniskapitalfirma Kleiner Perkins Caufield & Byers, Google Ventures sowie Thrive Capital, die Investmentgesellschaft von Joshua Kushner, dem Bruder von Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner.

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Ende 2016 kam das Luxusprodukt zum stolzen Preis von 699 Dollar auf den Markt, im Januar senkte Juiceros neuer Chef, Ex-Coca-Cola-Manager Jeff Dünn, den Preis auf 399 Dollar.

Dann entdeckte das Wirtschaftsmagazin Bloomberg, dass es keine teure Maschine brauchte, um die Beutel auszupressen (mit einer Kraft, die laut Evans reichen würde, um »zwei Teslas zu heben«). In einem Video führte Bloomberg vor, dass man den ganzen Inhalt der Plastikpackung einfach von Hand genauso fix ausquetschen konnte wie mit dem Juicero.3 Das Video verbreitete sich in kürzester Zeit im Internet, und die Medien machten sich in hämischen Berichten über den »Saftladen« lustig. In einem Moment wurde aus Juiceros »Mission, Wohlbefinden in einem Glas« zu liefern, eine Lachnummer. Ein Computer, der Saftpäckchen ausquetscht und damit auch noch eine Menge Plastikmüll produziert: Was für ein Blödsinn. Als hätten sich das Satiriker ausgedacht. Nein wirklich, so was braucht kein Mensch.

Wie gut, dass man Nespresso-Kapseln nicht einfach mit der Hand auspressen kann! Die hatte sich, man ahnt es, Doug Evans nämlich zum Vorbild genommen. Obwohl es in seiner Idiotie dem Juicero in nichts nachsteht, wurde das Kapselkaffeesystem von Nestle zum Welterfolg. Von 2006 bis heute hat sich die Menge der verkauften Kaffeekapseln von drei auf zehn Milliarden mehr als verdreifacht. Mit der Marke Nespresso erwirtschaftet Nestle vier Prozent des Gesamtumsatzes von mehr als 80 Milliarden Euro. Nespresso generiert ein Viertel der Kaffeeverkäufe des größten Lebensmittelkonzerns der Welt.

In 400 Boutiquen rund um den Erdball kann man zwischen 24 verschiedenen Alu-Kapseln aus den »Gourmetfamilien«

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»intensiv«, »ausgewogen« oder »fruchtig« wählen und dazu passende Accessoires kaufen. Zum Beispiel Espressotassen, die nach dem Vorbild der Kapseln geformt sind, und Behältnisse, in denen man die metallicbunten Kapseln schön präsentieren kann, bevor sie nach Gebrauch in den Müll fliegen. Allein die leeren Alu-Kapseln von Nespresso ergeben jedes Jahr einen mindestens 8000 Tonnen schweren Müllberg.

Dabei weiß wirklich jeder, dass die Herstellung von Aluminium eine einzige Umweltsauerei ist: Es wird aus dem Rohstoff Bauxit gewonnen, für dessen Abbau in Australien, Brasilien, Guinea und Indonesien gigantische Regenwaldflächen gerodet werden. Um daraus eine Tonne Aluminium herzustellen, braucht es so viel Strom, wie ein Zwei-Personen-Haushalt über fünf Jahre nutzt. Das setzt acht Tonnen CO2 frei. Die Aluminiumproduktion hat einen Anteil von drei Prozent am globalen Stromverbrauch. Dafür werden monströse Staudämme und Wasserkraftwerke gebaut, die Indigenen das Land rauben. Der hoch umstrittene Belo-Monte-Staudamm im Amazonasgebiet von Brasilien zum Beispiel, für den bis zu 40.000 Indigene »umgesiedelt« werden sollen. Pro Tonne Aluminium fallen bis zu sechs Tonnen giftigen Rotschlamms an, der in offenen Becken gelagert wird. Immer wieder kommt es zu Dammbrüchen, dann überströmen die ätzenden Schlammmassen Dörfer und Felder, Schwermetalle wie Blei, Cadmium und Quecksilber vergiften Wasser und Böden und machen die Menschen krank.

So verändern Menschen mit findigen Geschäftsideen die Welt und bauen die Zukunft.

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Alu-Müll als Entwicklungshilfe

Nespresso ist einer der teuersten Kaffees der Welt - ein Kilo Kapselkaffee kostet 80 Euro. Doch das hat seinen Grund, denn dafür gibt es ein weiteres Lifestyle-Accessoire gratis obendrauf; ein reines Ökogewissen. »Jede Tasse Kaffee hat einen positiven Einfluss«, heißt es auf der Homepage. »Bei Nespresso sind wir der Überzeugung, dass jede Tasse Kaffee nicht nur Genussmomente bereiten, sondern auch Gutes für die Umwelt und das Gemeinwohl bewirken kann.«4 »The Posititive Cup« nennt sich Nespressos »Nachhaltigkeitsvision«. Und die sieht so aus: Bis 2020 wolle man Aluminium »verantwortungsvoll verwalten« und die »Rücknahmekapazität« auf 100 Prozent steigern. Tatsächlich braucht das Recycling von Aluminium nur fünf Prozent der Energie, die für dessen Herstellung aus Bauxit benötigt wird. Aber die umweltverträgliche Entsorgung überlässt Nespresso seinen Kunden: Die bittet das Unternehmen, die Kaffeekapseln in den Gelben Sack zu werfen, in die Gelbe Tonne oder sie in die Wertstoffsammlung zu geben. Nespresso zahlt dafür, dass die Kapseln im Dualen System recycelt werden. Wie viele aber dort landen statt schlicht im Hausmüll, weiß kein Mensch. Auch nicht, wie viel recyceltes Aluminium Nespresso überhaupt verwendet.

Nespresso will aber auch die »nachhaltige Aluminiumproduktion« vorantreiben - zusammen mit den größten Aluminiumproduzenten der Welt, Alcan, Norsk Hydra und Rio Tinto. Also ausgerechnet mit jenen Konzernen, denen Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Die sind, wie auch Nespresso, vor allem an wachsenden Mengen interessiert: Alleine Rio Tinto steigerte seine Fördermenge Bauxit zwischen 2006 und 2014 von 16 Millionen auf satte 42 Millionen Tonnen.

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Auch solche Ökogranaten wie Audi, BMW, Coca Cola und Jaguar gehören der Aluminium Stewardship Initiative an, die daran arbeitet, die Wertschöpfungskette von Aluminium zu zertifizieren. BMW, Nespresso und Rio Tinto sitzen sogar im Vorstand - neben dem unvermeidlichen WWF.

Die Schweizer NGO Solidar Swiss beklagt, dass der teuerste Kaffee der Welt nicht einmal fair gehandelt sei. Nespresso hat gegen solcherlei Bedenken ein Programm für »nachhaltigen Kaffee« aufgestellt. Mit der US-amerikanischen Organisation Rainforest Alliance, die problematische Produkte wie Bananen, Kaffee, Tee, Palmöl und Rindfleisch für problematische Firmen wie Chiquita, Dole, Lidl und McDonald's mit Unbedenklichkeits­siegeln versieht, hat Nespresso das Programm »Nespresso AAA Sustainable Quality« entwickelt. Dabei handelt es sich aber um weder biologisch angebauten noch fair gehandelten Kaffee -aber es klingt halt so ähnlich. Irgendwie gut. Jedenfalls strahlen die Kaffeebauern und ihre Familien auf den Fotos der Nes-presso-Homepage um die Wette.

Wäre es nicht eigentlich ökologisch und sozial gerecht gewesen, wenn Nespresso gar nicht erst auf den Markt gekommen wäre? Ja, na klar. Aber solche Fragen stellen sich in der nachhaltig zertifizierten, fortgeschrittenen Konsum­gesellschaft nicht. Im Gegenteil: Es geht eben darum, genau solche Widersprüche zu überwinden. Und so kommt es, dass ein überflüssiges, überteuertes Kaffeesystem, das eine Menge Müll produziert, Ressourcen verschwendet und Kleinbauern ausbeutet, nicht nur als ökologisch unbedenklich gelten kann. Sondern sogar als Wohltat für Mensch, Natur und Klima.

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Nespresso ist kein bizarrer Einzelfall. Wer sich den Spaß erlaubt und bei Google »nachhaltig« eingibt, bekommt 16 Millionen Treffer. Das englische Wort »sustainable« hat sogar dreihundert Millionen Einträge. Wenn man ein bisschen in den Ergebnissen stöbert, also in Medienberichten, auf den Homepages von Konzernen und NGOs oder in den ungezählten Portalen für »ethischen Konsum« stellt man schnell fest: Alles, was einmal als schädlich und schändlich galt, dient heute der Weltrettung. Thunfischsteaks, dicke Autos, die Formel 1, Aktienfonds, Flugreisen, Pelzmäntel, Gemüse aus Südspanien, Pflanzensprit, Palmöl, gentechnisch verändertes Soja, Kohlekraft, Staudämme, Erdöl aus der Arktis - all das gibt es heute auch in »nachhaltig«, »grün« oder »verantwortungsvoll«.

Der Ölkonzern Shell wirbt mit Windrädern, der Getränkekonzern Coca Cola, der in armen Ländern ganze Brunnen bis zum Versiegen leer pumpt, stilisiert sich zum Schützer der Welttrinkwasserreserven. Monsanto betrachtet sein gentechnisch verändertes Saatgut samt der dazugehörigen giftigen Pestizide als Beitrag zur Hungerbekämpfung, obwohl es Böden und Bauern ruiniert. Der Chemiekonzern Henkel, der Seit' an Seit' mit den Energieriesen für den Erhalt von Atom- und Kohlekraft kämpfte, feiert seinen Klebstoff für Windturbinen als »wichtigen Beitrag für die Erneuerbare Energie«. Europas größter CO2-Emittent, der Stromkonzern RWE, versteht seine Kohlemeiler als Artenschutz, weil an den Kühltürmen Vögel nisten. Paul Polman, Chef von Unilever, behauptet allen Ernstes: »Unilever ist die größte NGO der Welt.« Dabei verbraucht der Lebensmittelkonzern, der so unverzichtbare Dinge wie Tütensuppen und Soßenpulver herstellt, jedes Jahr acht Millionen Tonnen solcher Rohstoffe, die für die Hälfte der globalen Waldzerstörung verantwortlich sind: Rindfleisch, Soja und Palmöl.

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Und selbst die Waffenindustrie mordet umweltverträglich: Für Rheinmetall ist die »Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen von elementarer Bedeutung«,5 und die Krauss-Maffei-Wegmann-Group legt »großen Wert auf Qualität und Nachhaltigkeit in ihren eigenen Wertschöpfungsprozessen«.6

Die überwältigende Ansammlung solcher guten Nachrichten macht immerhin ein gutes Gefühl: Jeder, so scheint es, kann bei der großen Weltrettung mitmachen, wenn er sich nur für das Produkt einer Firma entscheidet, die ebendas im Sinn hat. Und tut nicht schon jeder, was er kann? Ziehen nicht alle, Verbraucher, Industrie und Politik, »an einem Strang«? Gibt es nicht viele »Schritte in die richtige Richtung«? Geht es nicht voran?

Aber ja. Ziemlich schnell sogar. Denn jenseits der grünen Scheinwelt schreitet die globale Zerstörung rapide fort. Laut dem Global Foodprint Network lebt die Weltbevölkerung so, als hätte sie 1,6 Erden zur Verfügung. Würden alle auf der Welt so konsumieren wie wir in Deutschland, brauchte es mehr als drei Erden, um den »Bedarf« zu decken. Das Global Foodprint Network berechnet jedes Jahr den sogenannten Earth Overshoot Day, den Erdüberlastungstag. Das ist jener Tag, an dem alle Ressourcen der Welt, die binnen eines Jahres klimaverträglich, ökologisch und sozial gerecht genutzt werden können, aufgebraucht sind und die Kapazität erschöpft ist, Müll und Treibhausgase aufzunehmen. Und der findet jedes Jahr früher statt: 2015 war er am 13. August, nur ein Jahr später, 2016, bereits am 8. August. 2017 am 2. August. Im Jahr 2000 war er noch am 8. Oktober.

Zwischen 1980 und 2010 hat sich der jährliche globale Verbrauch von Biomasse, mineralischen Rohstoffen und fossilen Brennstoffen von unter 40 auf 80 Milliarden Tonnen verdoppelt.

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Längst ist nicht mehr nur die Rede vom »Peak Oil«, jenem Zeitpunkt also, ab dem die Ölfördermengen nur noch abnehmen werden, sondern vom »Peak Everything«. Jede Minute wird Wald in der Ausdehnung von 36 Fußballfeldern zerstört. Bis zu 58.000 Tierarten verschwinden jedes Jahr. 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens gehen jährlich verloren. Die Zahl der Hungernden ist sogar wieder auf 815 Millionen Menschen gestiegen. Zwei Milliarden leiden an Mangelernährung, obwohl so viele Lebensmittel wie nie zuvor in der Geschichte produziert werden.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst grotesk: Laut Oxfam besitzen acht Milliardäre zusammen genauso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. 46 Millionen Menschen schuften heute als moderne Sklaven. Jeden Tag werden auf dieser Welt mindestens 3,5 Millionen Tonnen Müll produziert, 13 Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr im Meer. Auch der Ausstoß von Treibhausgasen steigt, obwohl die Welt von Konferenz zu Konferenz jettet und beteuert, das Klima retten zu wollen.

Nichts Neues? Weiß man eh? Natürlich ist das alles kein Geheimwissen. Schließlich waren die Möglichkeiten nie größer als heute, sich fundiert und auch aus erster Hand darüber zu informieren, was der überbordende westliche Lebensstil in den Ländern des Südens anrichtet. Dennoch gelingt es Konzernen hervorragend, ihr so schmutziges wie profitables Kerngeschäft unter einem grünen Mäntelchen zu verstecken. Mit dem Versprechen, sich selbst um die Probleme zu kümmern, die sie verursachen, halten sie sich die Politik vom Hals, die den Profit durch Auflagen und Gesetze einschränken könnte. Gleichzeitig verkaufen sie ihren Kunden den Mehrwert des guten Gewissens, damit diese weiter sorglos konsumieren können. Greenwashing nennt sich diese Strategie.

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Grüne Fake News

Von solchen grünen Lügen lebt ein weiterer Industriezweig ziemlich gut: Werbe-, PR- und Marketingagenturen, Risikomanager, Unternehmensberater, Siegelinitiativen, Zertifizierungsfirmen, Prüforganisationen, Kongress-, Messe- und Eventveranstalter, Trendforscher, Lifestyle- und Wirtschaftsmagazine, Entwickler von Apps für »ethische Konsumenten« und Blogs für »nachhaltigen Konsum«. Ganze Firmen - etwa das in 17 Ländern tätige Reputation Institute - sind mit nichts anderem beschäftigt, als Konzernen ein tadelloses Image zurechtzuzimmern.

Und das zahlt sich aus; Laut dem Bericht »The State of Sustainability Initiatives Review 2014: Standards and the Green Economy« des International Institute of Sustainable Develope-ment haben Produkte mit grüner Zertifizierung insgesamt einen Handelswert von 31,6 Milliarden Dollar.

Nun ist es das eine, dass Unternehmen Lügen verbreiten, um ihre Produkte zu verkaufen. Man nennt das Werbung. Niemand glaubt ja ernsthaft, dass Schokolade gesund ist, Duschgel unwiderstehlich macht oder die Reichen in ihren Villen billigen Tankstellensekt trinken.

Doch ausgerechnet Greenwashing hält jedweder Aufklärung stand und trotzt den Fakten. Je offensichtlicher und durchschaubarer grüne Lügen sind, je schädlicher das Produkt und die dafür verwendeten Rohstoffe und je absurder das daran geknüpfte Ökoversprechen ist, desto eher wird alles geglaubt. Und zwar ausgerechnet von jener Zielgruppe, die als besonders gebildet gilt.

George Clooney, dunkelgrauer Anzug, schwarzes Hemd, sitzt auf einem braunen Ledersofa. Auf der Lehne steht ein gläsernesTäss-chen Espresso. Der Hollywoodstar ist schon seit vielen Jahren

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Testimonial von Nespresso. In der Werbung tritt er so charmant und selbstironisch auf, wie man ihn aus seinen Filmen kennt. Aus den originellen Spots sind mittlerweile aufwändig produzierte Kurzfilme geworden, in denen auch Feuilleton-Lieblinge wie Jack Black, Danny DeVito, John Malkovich, Matt Damon, John Dujardin und lan McShane mitspielen.

Auf dem Werbesofa jedoch gibt sich Clooney vollkommen unironisch: »Das Nachhaltigkeitsprogramm von Nespresso übertrifft niemand, keiner auf der ganzen Welt macht das so, wie die das machen«, sagt er und schaut treuherzig in die Kamera. In einem Filmchen sieht man dann, wie der Hollywoodstar umringt von Bauern in Costa Rica ein Kaffeebäumchen pflanzt. »Sie kümmern sich darum, dass all diese Leute versorgt sind, dass sie die Möglichkeit bekommen, ein großartiges Produkt herzustellen und besser bezahlt zu werden. Ich könnte nicht stolzer sein, Teil dieser Firma zu sein.«7

Es passt ganz gut, dass der Millionär auch als Menschenfreund bekannt ist. Er war UN-Botschafter des Friedens, ist mit der Menschenrechtsanwältin Amal Ramzi Alamuddin verheiratet und hat sich für die Unabhängigkeit des Südsudan engagiert. Das jüngste Land der Welt liegt jetzt allerdings wirtschaftlich am Boden, nach wie vor herrscht Bürgerkrieg, es ist gezeichnet von Hunger, nacktem Elend und Verzweiflung. Dort will Nespresso also »2000 Kaffeebauern aus der Armut befreien« und hat 2,2 Millionen Dollar - einen Bruchteil der 26 Millionen Dollar, die Clooney für seine Werbeauftritte bekommen haben soll - in den Aufbau von Kaffeekooperativen investiert. So gerät jede Müll produzierende Tasse Kapselkaffee zur individuellen Entwicklungshilfe und der umstrittenste Lebensmittelkonzern der Welt zur Menschenrechtsorganisation.

What else? Seit gut vier Jahrzehnten gilt Nestle als der Gottseibeiuns unter den Groß-

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konzernen. NGOs und kirchliche Organisationen rufen seit den siebziger Jahren zu Konsumboykotten auf. Dem Schweizer Multi wird bis heute aggressive Vermarktung von Babymilchprodukten in sogenannten Entwicklungsländern, Wasserraub sowie Ausbeutung und Kinderarbeit auf Kaffee- und Kakaoplantagen vorgeworfen sowie die Verwicklung in die Ermordung des kolumbianischen Gewerkschafters Luciano Romero.8 Auch das großherzige Engagement im Südsudan verblasst ein wenig, wenn man weiß, dass Nespressos südsudanesische Kaffeebauern nur zwei Dollar pro Kilo Exportkaffee bekommen. Das liegt unter dem Weltmarktpreis für Kaffee der vergangenen drei Jahre. Davon kann keine Familie leben. Die Lebensmittelpreise sind hoch, das Land ist auf Importe angewiesen, weil das fruchtbare Ackerland brachliegt. Viel wichtiger wäre es, die Bauern könnten für ihre Selbstversorgung Nahrung anbauen. Stattdessen sind sie davon abhängig, dass ihnen der größte Lebensmittelkonzern der Welt Rohware zu Billigpreisen abnimmt.9

Besucht man jedoch die Homepage des Konzerns, meint man, sich auf die der Vereinten Nationen verirrt zu haben: Mit 42 verschiedenen Selbstverpflichtungen wolle Nestle 50 Millionen Kindern helfen, ein besseres Lebens zu führen, und die Existenzgrundlage von 30 Millionen Menschen in Gemeinden verbessern, die mit Nestles Business verknüpft seien. Darüber hinaus strebe man an, null (!) Umweltschaden anzurichten. Damit würde sich (wie ich später erläutern werde) die Verwendung von Palmöl komplett verbieten. Aber die schönen Versprechen auf der Homepage sind mit Piktogrammen auf bunten Quadraten verziert, ganz so, wie die UN ihre 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Developement Goals) wiederum auf ihrer Seite darstellt.

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Trotz seines Kerngeschäfts, das weltweit zu Armut, Ausbeutung und Umweltzerstörung beiträgt, erklärt sich der Nestle-Konzern im Brustton der Überzeugung zum Stützpfeiler der UN-Entwicklungsagenda. Noch schlimmer ist nur, dass die Vereinten Nationen Multis wie Nestle, Unilever, Bayer und Novartis an der Ausarbeitung dieser Agenda beteiligt hatten.

Auf verstörende Art und Weise haben sich Großkonzerne der Bilder und Begriffe der Umweltbewegung bemächtigt. Sie benutzen die Zerstörung, die sie selbst anrichten, dazu, sich als Retter zu inszenieren. Es ist ihnen sogar gelungen, NGOs vor ihren Karren zu spannen und Politiker im Namen der Nachhaltigkeit zu Verwaltern von Konzerninteressen zu machen.

Der Bürger indes scheint sich mit seiner ökonomischen Rolle als Verbraucher abgefunden zu haben, hat politisches Engagement durch »ethischen Konsum« ersetzt und verbraucht munter weiter.

Und selbst in der Theorie, im medialen Diskurs, konkurriert heute jede negative Kritik an Konsum und Konzernen mit »Verbrauchermagazinen«, die lieber Einkaufstipps geben, als die Konsumlaune zu verhageln. Nicht die Firmen, so scheint es, müssen sich mehr für ihre Zerstörung rechtfertigen - sondern ihre Kritiker für die Kritik daran.

»Wenn ich Ihnen sage: >Der Himmel ist grün<, dann ist das gar nicht so sehr mein Ziel, dass Sie mir auf Anhieb glauben. Mein Ziel ist vielmehr, so häufig zu behaupten, dass der Himmel grün sei, bis Ihre Ressourcen, den Widerspruch auszuhalten, erschöpft sind und Sie einlenken und sagen: >Das ist Ihre Meinung. Ich denke, der Himmel ist blau. Es gibt wohl keine Möglichkeit, die Farbe des Himmels objektiv festzustellen<.  So legitimiert man das offensichtlich Falsche«,

schrieb die Psychologin und ehemalige Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Marina Weisband, in der ZEIT über die Kommunikationsmethoden des US-Präsidenten Donald Trump. »Das Ziel offensichtlicher Lügen ist der Beweis der Machtlosigkeit der Wahrheit; die Verschiebung des Diskurses, so dass plötzlich alles in infrage gestellt wird.«

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Nicht anders als Trump haben Konzerne mit ihren grünen Fake News heute eine zweite Realität geschaffen, in der die Wahrheit infrage gestellt wird. So haben sie es geschafft, dass die scheinbar letzte Hoffnung von Gesellschaft und Politik auf Weltrettung die ist, dass sich Konzerne »zum Guten« wandeln.

Wenn sich »die Großen« nur ein bisschen »verbessern«, habe das weitreichende positive Folgen, so die gleichermaßen absurde wie naive Theorie. Diese blendet aus, welche Strukturen zu all den Problemen führen. Denn im globalen Kapitalismus sind Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen, Klimaschäden und Naturzerstörung selbstverständlich keine vermeidbaren Kollateralschäden. Auf ihnen gründet der Profit. Je weniger Rücksicht Konzerne auf Arbeits-, Land- und Menschenrechte (oder gar Umweltgesetze) nehmen müssen, desto besser fürs Geschäft. Eigentlich ist es ja ganz einfach: Könnten Unternehmen mit ökologisch und sozial gerechtem Wirtschaften tatsächlich Profit machen - warum sollten sie etwas anderes tun?

Darum ist es wesentlich fürs Image, dass Konzerne die von ihnen selbst verursachten Probleme wie eine Bedrohung von außen erscheinen lassen. So wähnt sich etwa Nestle »im Kampf« gegen Armut, Kinderarbeit und Klimawandel. Als wären dies rätselhafte und unabwendbare Naturkatastrophen und nicht etwa logische Folgen des Geschäftsgebarens des mächtigsten und reichsten Lebensmittelkonzerns der Welt. »Die Probleme erscheinen deswegen nicht als das Ergebnis des Systems, eines Ungleichgewichts von Macht, einflussreichen Netzwerken der Kontrolle, zügelloser Ungerechtigkeit oder von fatalen Fehlern, die diesem System eingeschrieben sind - stattdessen wird ein Außenseiter verantwortlich gemacht«, schreibt der Geograf Erik Swyngedouw.

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In seinem Essay <Apocalypse forever?> beschreibt der Professor der Universität Manchester am Beispiel des Klimawandels, wie Politik und Wirtschaft derartige Bedrohungen als Apokalypse inszenieren und entpolitisieren. Damit wurden strukturelle Ursachen ausgeblendet: nämlich der Kapitalismus, der mit seinem Wachstumsdiktat, dem Rohstoffhunger und seinen mächtigen Konzernen fortwährend Ungerechtigkeit und Zerstörung produziere. Stattdessen wurden Probleme wie ein Feind von außen behandelt, den man nur von innen heraus, mit den Mitteln des Kapitalismus, bekämpfen könne. »Mit anderen Worten: Wir müssen uns radikal ändern, aber im Rahmen der bestehenden Umstände, sodass sich nichts wirklich ändern muss«, schreibt Swyngedouw.

Psychologisch gesprochen: Die Probleme werden externalisiert, eine Abspaltung wird eingeleitet - bis zur Verdrängung ist es nur noch ein winziger Schritt. Greenwashing funktioniert auch deshalb so gut, weil Angehörige westlicher Konsumgesellschaften gerne hören, dass alles so weitergehen kann wie bisher, ja, dass ihr überbordender Lebensstil selbst es sein könnte, der dafür sorgt, die Welt besser zu machen. »Wouldn't change a thing.« Sagt doch auch George Clooney im Nespresso-Spot.

»In unerträglichen Verhältnissen zu leben, darin permanent unerträgliche Effekte zu produzieren und es sich trotzdem schönzureden« - diese »intelligente Form des Selbstbetrugs« ist einer der Mechanismen, die der Externalisierungesellschaft eingeschrieben sind. Mit diesem Begriff beschreibt Stephan Lessenich,

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