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   Die Übermacht der Klimakatastrophe  

 

Folge 3/4       Forschung und Gesellschaft am 21.1.2010      

Was wissen wir über die Zukunft? - Über Grenzen des Erkenntnishorizonts - Von Hans-Jürgen Heinrichs  

https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-uebermacht-der-klimakatastrophe.1088.de.html?dram:article_id=176629

 



 

Sprecher:

Aussagen über die Zukunft verdanken sich der zumeist unausgesprochenen Idee, dass es möglich ist, vom Bekannten auf das Unbekannte zu schließen. Das aber ist zu bezweifeln. Oder lässt sich im Fall der drohenden totalen Klimakatastrophe doch vom Bekannten auf das Unbekannte schließen?

Musik

Sprecherin:

Eine Szene. Wir schreiben das Jahr 2060. Ein ferner Planet ist zu Besuch auf der Erde. Er fragt besorgt die Erde: "Wie siehst du denn aus, ausgebrannt, voller Flecken im Gesicht. Bist du krank, was hast du?" - "Ich habe homo sapiens." - "Ach, mach dir keine Sorgen, das hatte ich auch mal, das geht vorbei, die Krankheit ist inzwischen heilbar, sie, das heißt: der Mensch, verschwindet ganz."

Sprecher:

Der an der Freien Universität Berlin lehrende Humanbiologe Carsten Niemitz sieht die Chancen für eine Heilung, bei der der Mensch überlebt, eher skeptisch.

17. O-Ton (Niemitz): 

Die Heilungschancen sind zwar gegeben, aber sie sind nicht besonders groß.  

Ich kann mir vorstellen, dass der Homo Sapiens völlig unbeschadet überlebt, wenn wir in den nächsten zehn Jahren wirklich die Notbremse ziehen, und das bedeutet, dass wir die Klimaproblematik mit allen nötigen Handlungs­konsequenzen angehen und die Ursachen für die Klimakatastrophe begrenzen oder abschaffen und nicht die Symptome. 

Es wird sicherlich zu einer gewissen Erwärmung kommen und damit auch zu einem sich propagierenden Prozess. Die Rückstrahlung der Erde wird durch das Abschmelzen des Eises geringer, wir werden mehr Wärme auf der Erde aufnehmen, das heißt, dass die Permafrost-Böden zu einem großen Teil auftauen werden, und da werden viele, viele Millionen Tonnen Methan frei. Methan hat das dreißigfache Treibhauspotential von CO2, da gibt es viel zu tun.

Sprecher:

Jeder Mensch erzeugt an jedem Tag aufgrund des Atmens ein Kilogramm CO2. Also ergibt eine Milliarde Menschen mehr eine Milliarde Kilogramm CO2 mehr, jeden Tag. Carsten Niemitz plädiert dafür, solche Aspekte nicht isoliert zu betrachten, sondern sie zum Beispiel auch mit der Frage der Nahrung zusammen zu sehen.

17. O-Ton (Niemitz) Fortsetzung: 

Unsere Nahrungsproduktion ist zur Zeit noch sehr klimaschädlich, weil wir sehr viel Fleisch aufnehmen. Das Fleisch braucht etwa zehnmal soviel Energie, und Schweine sind auch lebende Tiere, die auch CO2 erzeugen, sie machen Mist und Methan, um mit so einer Alliteration mal das zu benennen. 

Das heißt, wir haben da einen sehr starken Verlust, einen sehr starken Verschleiß an Energie, die reingesteckt wird. Die US-amerikanische hoch­industrialisierte Landwirtschaft ist in ihrer Energiebilanz negativ. Das heißt, es wird mehr Energie hineingesteckt an Dieselöl, an Herstellung für Traktoren, an Herstellung für Dünger etc., als hinterher auf den Feldern wächst.

Sprecherin:

Spätestens seit den letzten vier, fünf Jahren ist das Ausmaß des Klimawandels unübersehbar und kann von niemandem, der sich verantwortungsvoll mit dem Weltgeschehen beschäftigt, ignoriert werden. Und dennoch deutet alles darauf hin, dass das kommende Jahrzehnt für ein radikales Umdenken nicht adäquat genutzt wird. 

Dabei könnte es nicht deutlicher als jetzt sein: eine völlig andere ethische und ökonomische Einstellung wäre notwendig, um die Bedingungen für eine lebenswerte Umwelt zu schaffen. 

Es geht nicht um eine ferne Zukunft, sondern um die unmittelbar vor uns liegenden Jahrzehnte, in denen mit der totalen Ausbeutung der Rohstoffe und der globalen Erwärmung um vier und mehr Grad Celsius auch die demokratischen Ordnungen von Grund auf gefährdet sind.

Sprecher:

Würde man jetzt einen Schnitt machen und den angemessenen Verbrauch an Ressourcen pro Jahr genau aufteilen und begrenzen, könnte man die Abwärtsspirale aufhalten. Stattdessen ist unser kalkuliertes Jahresbudget immer schon Monate vor Jahresende aufgebraucht. Danach leben wir, lebensgefährlich, auf Pump.

Claus Leggewie und Harald Welzer, die Autoren der Studie <Das Ende der Welt, wie wir sie kannten>, schreiben:

 

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Zitat:

"Gerade in Deutschland dreht sich alles um einen Industriezweig, der in Zukunft gar nicht mehr die Rolle spielen darf, die er in der Vergangenheit einmal hatte. Wer die Automobilindustrie päppelt (und dann auch noch mit so unsinnigen Maßnahmen wie mit einer Verschrottungsprämie), gibt für Überlebtes Geld aus, das für die Gestaltung einer besseren Zukunft nicht mehr verfügbar ist. Solche Rettungspläne folgen der Auto-Suggestion, eine Welt mit mehr als neun Milliarden Bewohnern könnte so aussehen wie Europa heute, mit achtspurigen Straßen und ausufernden Parkplätzen.

Wir müssen heraus aus den Pfadabhängigkeiten und Vergleichsroutinen. Die akute Weltwirtschaftskrise wird mit der Großen Depression der 1930er Jahre verglichen und überschreitet bereits deren Parameter! Doch das verkennt noch den Ernst der Lage. Die Welt durchlebt nicht nur eine historische Wirtschaftskrise, ihr steht auch die dramatischste Erwärmung seit drei Millionen Jahren bevor. Es mag sich bombastisch oder alarmistisch anhören: Aber die Große Transformation, die ansteht, gleicht in ihrer Tiefe und Breite historischen Achsenzeiten wie den Übergängen in die Agrargesellschaft und in die Industrie­gesellschaft."

Sprecher:

Die bevorstehende "Große Transformation" erscheint den Autoren unzweifelhaft. Ganz in diesem Sinn äußert sich auch etwa der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros-Ghali:

Zitat:

"Das einzige, womit wir gewiss rechnen können, ist, dass unser Jahrhundert eine Periode radikaler Transformationen sein wird, einer noch radikaleren, als die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts es war." 

Sprecher:

Nur die Schwerpunkte dieser Transformationen werden in den Prognosen unterschiedlich gesetzt, entweder stärker auf die politischen, die kulturellen und ökonomischen oder aber auf die ökologischen Veränderungen und Entwicklungen. Noch einmal die Frage: Müssten nicht alle Aspekte zusammen gesehen und miteinander verknüpft werden? Carsten Niemitz:

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18. O-Ton (Niemitz): 

Unbedingt. Ich kann nur sagen, ja, unbedingt. Alle, und zwar alle Denkrichtungen aller Menschen aller Provenienz mit ihren jeweiligen Handlungs- und Denkschemata und auch über die Schemata hinaus Möglichkeiten ihrer Freiheitsgrade zu denken, müssen begreifen, dass wir uns die Handlungsmöglichkeiten erarbeiten. Sehen Sie, wenn wir jetzt sagen, wir sind jetzt schon zu viele Menschen und wir leben jetzt schon auf Kosten der Natur - und das ist der Fall -, dann ist es ganz, ganz schwer, Politikern beizubringen, und zwar ob das jetzt Landwirtschaftler sind oder ob sie Verkehrsexperten sind, ganz gleich, dass es darum geht, eine internationale Bevölkerungspolitik auf globaler Ebene. 

Wir brauchen eine Globalisierung des Denkens, des Erfindergeistes für alle Rettungsringe, derer die Menschheit wirklich bedarf.

Sprecherin:

Man kann mit Recht davon sprechen, dass sich der Klimawandel immer mehr zu einem Kulturschock auswachsen wird, insofern unsere gesamte Wirklichkeit, unsere Lebens- und Sozialverhältnisse von Grund auf betroffen sind. Und dennoch die Frage: So evident die Hinweise und Belege für die Klima­katastrophe auch sind, können wir die Zukunft wissen? Sind nicht auch Entwicklungen denkbar, die unsere schlimmsten Befürchtungen nicht Wirklichkeit werden lassen?

19. O-Ton (Niemitz): 

Die Erde ist eine Kugel und sie rollt. Und sie rollt von der Humanperspektive aus auf einen Abgrund zu. Da eine Notbremse zu sehen, ist sehr schwer. Ich denke mir Folgendes: Es ist momentan keine Erfindung in Sicht, die grundsätzlich hilft. Wir haben diese Wasserstoff­energietechnik, die hilft, viele Transport­probleme zu lösen und Antriebsprobleme zu lösen. Wir haben die Nukleartechnik, die hoch risikoreich ist, aber die kein CO2 erzeugt, die natürlich teurer ist als alle alternativen Energien, auch wenn das immer bestritten wird, weil es Vorlaufskosten, Betreiberkosten und Entsorgungskosten gibt, und das auf ziemlich ewig. Da finden wir also keine Lösung.

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Alle Flächen und alle Räume auf der Erde, die es gibt, konkurrieren: Siedlungsflächen, Industrieflächen, Naturräume, die wir natürlich brauchen, auch damit das CO2 wieder von den Pflanzen aufgenommen werden kann. Also können wir nicht die ganze Erde besiedeln, auch wenn wir die Menschen dort ernähren könnten. Diese Probleme der konkurrierenden Flächen und Räume wird immer dramatischer. 

Eine ganze Reihe von Prognosen klammern immer irgend etwas aus, wenn es darum geht, wie können wir uns retten. Wir dürfen aber da nichts ausklammern, denn was wir da ausklammern, ist die Überlebensmöglichkeit.

Sprecherin:

Der Weltklimagipfel in Kopenhagen, im Dezember 2009, schloss an die Erwartungen und Forderungen des 2012 auslaufenden globalen Koyoto-Protokolls an. In Kopenhagen trafen sich Politiker aus 192 Staaten, um auszuhandeln, wer welchen Beitrag zur Abwendung einer Klimakatastrophe leisten soll. Eingebunden war dieses Mal vor allem auch China. Das Ergebnis war ein Triumph nationalstaatlicher Interessen über eine globale Ordnung, ein globales Handeln und das Ideal eines Weltethos. Vor dem Gipfel waren solche hochgesteckten Ziele — diktiert von der Rationalität und der Klimaforschung — formuliert worden. Dieser Gipfel — der den Abschluss von zehn Gipfeltreffen zur globalen Politik und Wirtschaft im letzten Jahr bildete — hat noch nicht einmal das Minimalziel einer verbindlichen Begrenzung des Anstiegs der Erderwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius erbracht. Die "Kopenhagen-Vereinbarung" wurde lediglich von den Staaten "zur Kenntnis genommen".

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Sprecher:

Auf konkrete Schritte etwa für die Umstellung von einer mit fossilen Brennstoffen betriebenen Industrie auf erneuerbare Energien konnte man sich nicht einigen. Das hier zur Diskussion stehende planetarische Problem wurde von den Repräsentanten einer anachronistischen nationalstaatlichen Souveränität und nicht von Architekten globalen Regierens verhandelt. Für den Philosophen Peter Sloterdijk hat das Debakel des 21. Jahrhunderts mit dem Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen begonnen. Jetzt sollte allen klar sein: Von den Regierungen und dieser Art von UN-Spektakeln ist keine "effektive Weltsteuerung", kein Global Governance zu erwarten. Offensichtlich glaubten die Mächtigen bei diesem Gipfel nicht wirklich an das, was sie wissen, dass nämlich ein radikales Umdenken jetzt notwendig ist.

Zitat:

"Glauben und Wissen klaffen im Hinblick auf unser globales Management völlig auseinander ... Ich denke in der Tat, daß die Ungläubigkeit das letztlich entscheidende Element der globalen Krise ausmacht. Kopenhagen war ein Konzil der Ungläubigen."

Sprecherin:

Die Zukunftsprognosen gehen davon aus, dass die dramatische Klimaentwicklung die Schuldigen eher begünstigt und dass den Unschuldigen die größere Last aufgebürdet wird. Der reiche Norden wird noch reicher, der arme Süden noch ärmer. Viele Lebensmittelpreise, vor allem der Getreidesorten, werden wegen der zunehmenden Unwetter weiter steigen, und so werden die Probleme bei der Ernährung der Weltbevölkerung zunehmend größer. Lassen wir, probeweise, den Blick über die Landkarte der Zukunft schweifen. Was vor allem auffällt: wo ehemals Inseln verzeichnet waren, ist nur noch Wasser zu erkennen. Die Malediven zum Beispiel sind verschwunden. Kurzfristig konnte man sich im Robinson Club auf der Insel Funamadua noch in einer Luxussuite das Katastrophenszenario anschauen, bevor man per Helikopter ausgeflogen wurde. Die Bevölkerung war bereits nach Indien und Australien umgesiedelt worden.

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Sprecher:

Aber Wasser sieht man jetzt auf der Landkarte auch dort, wo ehemals fruchtbares Ackerland war; zum Beispiel bei der Kornkammer der USA im Mittleren Westen, die im Überflutungsgebiet der großen Flüsse liegt. Die unvorstellbaren Wassermassen der Gewitterstürme haben sie dauerhaft über die Ufer treten lassen. In anderen Regionen haben sich die Wüsten ausgebreitet. Und in Grönland? Eine Garten- und Freizeitidylle mit Schnittblumen und Palmen, mit Schlitten aus früheren Zeiten, umgerüstet zu Sonnenliegen, und Bikinis aus Seehundfell ...

Vieles sieht man natürlich auf den Landkarten nicht; zum Beispiel den Anstieg der Weltbevölkerung. Aber Klimaschutz und Bevölkerungspolitik hängen aufs engste zusammen. Carsten Niemitz:

21. O-Ton (Niemitz): 

Meine Vision ist, dass die Menschen auf die Idee kommen, dass sie nicht vorrangig daran denken, wie können wir bewältigen, dass wir immer mehr werden, sondern dass sie auf die Idee kommen, wie können wir verhindern, dass wir immer mehr werden, so dass sie dann auf die Idee kommen, die Grundursache zu bekämpfen. # Wären wir Hundert Millionen Menschen auf der Erde, dann könnten wir mit den dicksten Autos rumfahren, dann könnten wir uns vielleicht auch in einem entlegenen Gebiet ein Kernkraftwerk leisten. Wir könnten die dümmsten Umweltsünden begehen wie vor 500 Jahren um des Silbers willen den ganzen Harz abholzen. Alle solche Sachen könnten wir wieder machen. Aber zur Zeit können wir das eben uns alles nicht leisten.

Sprecherin:

Die Fakten sprechen für sich und drohen das Klima so stark zu verändern, dass die bekannten Kreisläufe von Sommer und Winter, Hitze und Kälte, Regen und Trockenzeiten, Sturm und Windstille gleichsam außer Rand und Band geraten. Kennen wir also die Zukunft? Der französische Philosoph und Wissenschafts­historiker Michel Serres:

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Zitat:

"Welchen Weg wir einschlagen sollten? Ich antworte, dass wir das niemals wissen werden. Wir kennen weder das Ziel künftiger Entwicklungen noch das der Geschichte an sich."

Sprecherin:

Lässt sich eine solche distanzierte und reflexive Haltung auch bei der jetzt gebotenen Dringlichkeit des Handelns in ökologischen Fragen vertreten? 
Kann es eine Zukunfts­wissenschaft nach dem Vorbild der Geschichts­wissenschaft geben?

22. O-Ton (Seel): 

Zum einen würde ich das Programm einer Zukunfts-Geschichtswissenschaft doch nur für eine weitere Illusion halten, weil wir auch dann glauben sollen, die Geschichte nach vorne schreiben zu können, während Geschichte doch immer nach hinten geschrieben werden muss und, ich glaube, nicht anders geschrieben werden kann. Das Beispiel der Klimakatastrophe ist ein gutes Beispiel, dass wir durchaus allen Anlass haben, uns um unsere weltweite gesell­schaft­liche Zukunft zu kümmern. Auch hier aber ist das Entscheidende, dass die negativen Tendenzen es sind, die uns auch zum Handeln drängen.

Sprecher:

Welchen Spielraum aber haben wir tatsächlich in der Interpretation der Tatsachen? Auf den ersten Blick erscheint der Spielraum äußerst gering - viel zu übermächtig wirken die Tatsachen. Und die sind immer bereits interpretierte, bewertete. Selbst die nüchternsten Zahlen sind innerhalb bestimmter Modelle und Theorien errechnet. Ihre dramatisch erscheinende Bedeutung erhalten sie vor allem dadurch, dass man von der Vergangenheit und Gegenwart auf die Zukunft im Sinne einer linear verlaufenden Entwicklung schließt. Im Grund genommen müsste man jede Aussage über die Zukunft mit der Einschränkung "Unter der Bedingung, dass ..." oder "Vorausgesetzt, dass ..." beginnen.

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Sprecherin:

In Bezug auf den Klimaschutz könnte man das uns zur Verfügung stehende Wissen über die wahrscheinliche zukünftige Entwicklung sehr sinnvoll nutzen: Würden wir jetzt den Ausstoß von CO2 um so und so viel Prozent reduzieren, hätten wir eine sehr gute Chance, den Prozess eines dramatischen Klimawandels noch zu korrigieren. In diesem Sinn könnte man sagen: Die Zukunft ist jetzt.

Sprecher:

Der Kulturwissenschaftler Harald Welzer schlägt vor, anstelle von Daten, Zahlen und Fakten, die immer abstrakt wirken, von Lebenszeiten und Generations­zeiten zu sprechen: Prozesse, die durch den Klimawandel ausgelöst werden, fallen vor allem in die Lebenszeit derjenigen, die heute Kinder, Jugendliche und Heranwachsende sind. Hat man diese verantwortungsvoll im Blick, kommt man als Erwachsener nicht umhin, sich zu fragen:

23. O-Ton (Welzer): 

Wer möchte man denn gewesen sein? Und wenn man feststellt, wer man gewesen sein möchte, das kann man dann negativ bestimmen, dann würde man sofort zu dem Schluss kommen, man möchte eigentlich nicht der gewesen sein, der verantwortlich für den Untergang des Planeten gewesen ist. Man möchte nicht der gewesen sein, der so doof war, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat, man möchte nicht der gewesen sein, der in dieser Situation nicht handelnd gewesen ist.

Sprecherin:

Ganz in diesem Sinn spricht auch der Wirtschaftswissenschaftler Joshua Cooper Ramo von der Notwendigkeit, im "Zeitalter des Undenkbaren" neue zukunfts­bestimmende Maßstäbe zu entwickeln. Die Menschen sollten sich an dem messen, was sie tun können und wollen und wie viel Raum sie neuen Ideen geben.

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Zitat:

"Wir müssen uns davon befreien, Dinge so zu sehen, wie sie sind; das heißt, sie so zu betrachten, dass ihre künftige Gestalt erkennbar wird."

Sprecherin:

Joshua Ramo spricht auch von der Geschichte als "Wegweiser in die Zukunft", von der Aufforderung, besser in dem Geschehenen zu lesen und die richtigen Konsequenzen daraus für das gegenwärtige Handeln zu ziehen. Die treibenden Faktoren in der dramatischen Entwicklung der Weltordnung sieht er unter anderem darin, dass die Menschen ihren Instinkt und die Aufmerksamkeit für drohende Abstürze und Katastrophen -sei es in der Wirtschaft oder in Fragen der Ökologie weitgehend eingebüßt haben.

Sprecher:

Und wieder die Frage: Was können wir von der Zukunft wissen?  

Zum einen gibt es Gefahren, von denen wir noch gar nichts wissen, und zum anderen können wir eher erstaunt darüber sein, dass wir von Kriegen mit chemischen Waffen oder bewusst herbeigeführten epidemielogischen Verseuchungen mit Viren global noch verschont geblieben sind. Vor allem Formulierungen wie die geforderte "Große Transformation des Denkens und Bewusstseins", die "Entwicklung neuer Maßstäbe" und neuer Forderungen an sich selbst, sich an dem zu messen, was man "tun kann und will", legen einen veränderten Begriff von Zukunft nahe.

Sprecherin:

Müsste man den Begriff der Zukunft nicht aus der begrifflichen Erstarrung einerseits und aus der Aura des Vagen andererseits herauslösen und ihn stärker in seinen Momenten der Bewegung und nicht nur kausal erfolgenden Ereignishaftigkeit - geleitet von Eigenverantwortlichkeit - fassen? Harald Welzer:

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24. O-Ton (Welzer): 

Ja, auch da würde ich zustimmen. Ich würde das auch erweitern und denken, als Sozialwissenschaftler gehe ich sowieso nicht davon aus, dass soziale Prozesse und soziale Handlungen nach Kausalitäten funktionieren. Das gehört ja zu den größten Fehlvorstellungen, die auch natürlich weite Teile der Sozialwissenschaft prägen, dass Menschen nach kausalen Gründen handeln. Menschen handeln in Beziehungen und nach Beziehungen und nach den Anforderungen, die Beziehungen für sie stellen, aber nicht nach Kausalitäten. 

Deshalb tut man ja die überraschendsten Dinge. Man hat vielleicht hinterher so eine Art erzählerische Verpflichtung, das Ganze nach Gründen und Kausalitäten zu ordnen, damit man sich begreiflich machen kann. Aber was tatsächlich passiert in sozialen Handlungen, hat mit Kausalität überhaupt nichts zu tun. Und weil das so ist, ist man im Zusammenhang des Sozialen immer damit konfrontiert, dass es nicht-lineare Entwicklungen gibt. Das macht es einerseits schwierig, Prognosen abzugeben; es macht die ganze Sache aber deshalb eigentlich auch sehr charmant, weil diese Prozesse tatsächlich offen sind. Im Unterschied zu Naturprozessen, wie die ablaufen, wo man dann eben bestimmte Pfadabhängigkeiten hat, die man rekonstruieren und dann antizipieren kann, sieht es im Bereich des Sozialen vollkommen anders aus. Wir haben Entwicklungs­geschwindigkeiten von Zerfallsprozessen, die kein Mensch vorhersieht, auch kein Sozialwissenschaftler und kein Philosoph.

Sprecherin:

Wie also von der Zukunft sprechen? Sie auf Einzelaspekte (wie etwa den Klimawandel) reduzieren oder eine Gesamtsicht versuchen, wie dies etwa der syrische Dichter Adonis anstrebt?

Zitat:

"Immer geht es um das Problem der Zukunft. Es ist sehr schwer, von der Zukunft zu sprechen. Hier und jetzt aber stirbt nicht nur der Mensch, sondern auch die Natur, unser aller Mutter. Ständig, tagtäglich... Die Aktivisten der Ökologiebewegung versuchen etwas zu unternehmen, aber sie werden nichts ausrichten! 

Diese Krankheit unserer Zeit - ich weiß auch nicht, wie man ihr beikommen könnte. Meine Rolle als Poet ist es, Dichtung zu schreiben, die ein neues Bild der Welt gibt, die die Liebe zu dieser Welt predigt und zeigt, dass die Welt schön ist und dass man sie lieb haben muss und sie nicht zerstören darf. Weil man sich selbst zerstört, wenn man die Natur zerstört. Das ist es, was ich machen kann. Aber den Lauf der Dinge ändern, das ist etwas anderes!"

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Sprecher:

Was aber könnte das heißen: den Lauf der Dinge ändern, die Zukunft so mitgestalten, dass der Klimawandel keine katastrophalen Folgen hat? Die gegenwärtige Bedrohung der Welt hat eine Situation geschaffen, in der es sinnvoll und vernünftig erscheint, auch das Schlimmste als reale Möglichkeit mitzubedenken und in das Handeln, in die Entscheidungen, einzubeziehen. Dies könnte man eine rationale Sicht möglicher katastrophischer Entwicklungen nennen. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Erde nicht länger als eine sich selbst regulierende Naturgröße angesehen werden kann. Sie bedarf vielmehr eines Klimamanagements. Aus diesem Blickwinkel heraus erscheinen apokalyptische Visionen als Teil einer vernünftigen Zukunftspolitik.

Sprecherin:

Von solchen Überlegungen ging auch Peter Sloterdijk in seinem Vortrag während der Klimakonferenz in Kopenhagen aus. Die Konsequenzen, die er für das praktische Handeln vorschlug, sind nun aber konträr zu der allgemeinen Forderung nach globaler Mäßigung in bezug auf die Verschwendung von Ressourcen. Die Chancen für die Durchsetzung einer globalen Ethik und Verantwortlichkeit oder gar die Hoffnung auf einen "klimatischen Sozialismus" hält Sloterdijk für illusorisch, da sie der geschichtlichen Eigendynamik der gegenwärtigen Entwicklung widersprechen.

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Zitat:

"Solche Forderungen und Hoffnungen haben nicht nur die ganze Schubkraft expressionistischer Zivilisation gegen sich, sie widersprechen auch den Einsichten in die Triebkräfte der höheren Kulturen. Diese sind nämlich ohne die Liaison zwischen dem Streben nach Selbsterhaltung und dem Willen zur Selbststeigerung nicht zu denken. In der Verbindung von Selbsterhaltung und Selbststeigerung ist die Vorentscheidung zugunsten einer Kultur enthalten, in welcher der Überfluss, die Verschwendung und der Luxus das Bürgerrecht erhalten. ... 

Wir sind heute gezwungen, bei allen Prognosen und Projekten für die Welt von morgen davon auszugehen, dass die Menschen in den reichen Nationen ihren Wohlstand und seine technischen Prämissen für Eroberungen halten, die sie nicht mehr aus der Hand geben. Sie werden überzeugt bleiben, es sei die Aufgabe der Evolution, durch stetiges Wachstum den materiellen Wohlstand und die expressiven Privilegien zu globalisieren, die sie selbst genießen. Sie werden sich weigern, sich mit einer Zukunft anzufreunden, die auf Schrumpfung und Zurückhaltung gründet."

Sprecher:

Der Wille zur Selbststeigerung ist in Sloterdijks Verständnis ein individueller und kollektiver Grundimpuls und Voraussetzung für kreative Entwicklungen. So gesehen ist es nicht nur unvorstellbar, dass Gesellschaften freiwillig ihre Privilegien aufgeben, es wäre auch nicht im Sinne der Selbststeigerung. Es kommt aber noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: Stimmt überhaupt die Grundannahme, worauf alle Grenzen-des-Wachtums-Argumente beruhen, dass die Erde nur in einem einzigen Exemplar vorhanden ist?

Zitat:

"Solange man die Erde und ihre Biosphäre als eine unvermehrbare Singularität auffasst, muss das ausbeuterische Verhalten der modernen Ausdrucks- und Komfort­zivilisation als eine unverzeihliche Irrationalität erscheinen. 

Der Umgang der Menschen mit ihrem Planeten gleicht dann einem Katastrophenfilm, in dem rivalisierende Mafiagruppen sich an Bord eines Flugzeugs in 12.000 Meter Höhe ein Feuergefecht mit großkalibrigen Waffen liefern. 

Gleichwohl ist es legitim, die Frage aufzuwerfen, ob wir aus der monadologischen Deutung der Erde die angemessenen Konsequenzen gezogen haben. 

Verstehen wir denn unsere Lage richtig, wenn wir den Planeten und seine Biosphäre als eine unmultiplizierbare Eins interpretieren und diese als ein unüberschreitbares Fixum auffassen?"

 

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   http://de.wikipedia.org/wiki/Monadologie  

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