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3. KAPITEL

ARBEIT

 

1. Ein Tag wie der andere

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Um halbfünf morgens wurden die Barackentüren polternd aufgerissen, und in die Stille scholl der laute Ruf: "Paidjom – an die Arbeit!" Sofort ging der "Raswodtschik", ein Gefangener, der dafür verantwortlich war, daß die Brigaden sich pünktlich an ihre Arbeitsplätze begaben, an den Pritschenreihen entlang und zog alle, die noch schliefen, heftig an den Beinen.

Die Gefangenen räkelten sich, warfen die Mäntel, mit denen sie sich zugedeckt hatten, ab, richteten sich mühsam auf, als könnten sie kaum ein Glied bewegen, und ließen sich dann gleich wieder mit Jammern und Stöhnen zurückfallen. Der "Dnewalni", der Barackenälteste, schritt darauf langsam an den Pritschen entlang, wobei er immer wieder monoton flüsterte: "An die Arbeit, Kinder, an die Arbeit."

Er hatte dafür zu sorgen, daß alle Barackeninsassen auf den Beinen waren, ehe die Küche geöffnet wurde, und tat dies auf eine höflich-sanfte Weise. Nicht grob wie der Raswodtschik, sondern so wie es sich für jemanden ziemt, der selbst nicht arbeiten muß, sondern nur andere auf Arbeit schickt und der als Knecht von Sklaven sich nicht die Barschheit jener herausnehmen kann, die als freie Männer das Lager regieren.

In diesen wenigen Minuten nach dem Wecken, da wir bewegungslos auf unseren Pritschen liegen blieben, beteten wir auf unsere besondere Art. Unser Gebet begann gewöhnlich mit Flüchen und Beschwörungen und endete meist mit dem verzweifelten Klageruf: "Oh, was für ein blutiges Leben!", in dem sich alles ausdrückte, was die hier lebendig Begrabenen quälte.

In anderen Ländern und unter anderen Bedingungen beginnt der Tag im Gefängnis mit einem wirklichen Gebet oder wenigstens mit der Gewißheit, daß man dem Ende der Haft wieder um einen Tag näher gerückt ist. Wem sonst alles genommen ist, der lebt verständlicherweise allein von dieser Hoffnung. Den Gefangenen in der Sowjetunion aber hat man selbst diese Hoffnung genommen, denn keiner von ihnen weiß je mit Bestimmtheit, wann er wieder freigelassen wird. Jeder kennt Hunderte von Fällen, in denen die Haftzeit durch einen Federstrich des Sondergerichts der NKWD um zehn Jahre verlängert worden ist. Nur wer selber schon im Gefängnis gesessen hat, kann die Grausamkeit dieser Tatsache nachfühlen.

In den

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