Schwarz war die Nacht und dunkle Sterne brannten

durch Wolkenschleier matt und bleich,

die Flur durchstrich das Geisterreich,

als feindlich sich die Parzen* abwärts wandten

und zorn´ge Götter mich ins Leben sandten.

 

Die Eule sang mir graus'ge Wiegenlieder

und schrie mir durch die stille Ruh'

ein gräßliches WILLKOMMEN!  zu.

Der bleiche GRAM und JAMMER sanken nieder

und grüßten mich als längst bekannte Brüder.

 

Da sprach der GRAM in banger Geisterstunde:

"Du bist zu Qualen eingeweiht!

Ein Ziel des Schicksals Grausamkeit!

Die Bogen sind gespannt und jede Stunde

schlägt grausam dir stets neue blut´ge Wunde.

 

Dich werden alle Menschenfreuden fliehen,

dich spricht kein Wesen  FREUNDLICH an,

du gehst die wüste Felsenbahn,

wo Klippen droh'n, wo keine Blumen blühen,

der Sonne Strahlen heiß und heißer glühen.

 

Die Liebe, die der Schöpfung All durchklingt,

der Schirm in Jammer und in Leiden,

die Blüte aller Menschenfreuden,

die unser Herz zum höchsten Himmel schwingt,

wo Durst aus sel´gem Born ERQUICKEN trinkt,

 

die Liebe sei auf ewig dir versagt!

Das Tor ist hinter dir geschlossen,

auf der Verzweiflung wilden Rossen

wirst du durchs öde Leben hingejagt,

wo keine Freude dir zu folgen wagt.

 

Dann sinkst du in die ew´ge Nacht zurück,

siehst tausend Elends auf dich zielen,

im SCHMERZ dein Dasein nur zu fühlen!

Ja! - Erst im ausgelöschten Todesblick

begrüßt voll Mitleid dich das erste Glück!"

 

 

* OD: Die drei römischen Schicksalsgöttinnen.

Melankolie
von
Ludwig Tieck

Geboren am 31. Mai 1773 in Berlin.
Von 1792–94 Jurastudium in Halle, Göttingen und Erlangen.
1794 beginnt Tieck ein Leben als freier Schriftsteller in Berlin.
Kontakte mit den literarischen Größen seiner Zeit sollen den Weg ebnen:
In Jena lernt er Novalis, die Brüder Schlegel und Brentano kennen.
Besuche führen ihn zu Schiller und Goethe.
1798 heiratet er Amalie Alberti.
1853 stirbt Tieck nach Jahren der Krankheit am 28. April in Berlin.