( Replik bei Stefan Rahmstorf und Rolf Kreibich )

detopia-2019: Eine "Kathedrale" ist ein Bauwerk, eine "Epedimie" hat mit Bakterien und menschlicher Gesundheit zu tun.

Horx zweckentfremdet Begriffe (die ihm nicht gehören) und vermatscht die Sprache.

Das wird uns noch teuer zu stehen kommen (wenn unser Hauptmittel zur Kommunikation in Horxsche Dialekte zerfällt.) 

 

Matthias Horx 2007: 

Warum ich nicht an die Klimakatastrophe glaube

Über den Zusammenhang von Religion und Klimakatastrophe

WELT 13.03.2007   =  welt.de/759237 

 welt.de Warum-ich-nicht-an-die-Klimakatastrophe-glaube  

 

Nun ist es also amtlich. Alle Zweifel sind ausgeräumt, die nörgelnden Kleingeister widerlegt oder als "Klimaleugner" enttarnt. Der Mensch, so haben es herrschende Gremien, Regierungen und öffentliche Meinung beschlossen, ist Verursacher einer Erderwärmung, die in ihrer "Gefährlichkeit durch nichts zu übertreffen ist". 

Der IPCC-Bericht vom 1. Februar 2007 brachte den großen Durchbruch des Themas ins öffentliche Bewusstsein. Seitdem marschieren die Bilder in einer nie gekannten Synchronizität über Bildschirme und Titelseiten: Die Zukunft, das sind glühende Feuerbälle, Stürme, und kalbende Gletscher und traurige Eisbären. 

Umweltminister Sigmar Gabriel, sprach davon, dass nun "ein Führer der Welt" gefordert sei. Die Bildzeitung schrieb auf der Titelseite in gigantischen Lettern: <WIR HABEN NOCH 13 JAHRE ZEIT!> Und einige Tage später: <MÜSSEN WIR DEUTSCHEN ALLEIN DIE WELT RETTEN?> 

Wenn's ans (deutsche) Weltretten geht, sind keine Zweifel mehr erlaubt. Und genau das ist das Problem. Wir hören einen süßlichen Chor singen, düster, aber gleichzeitig jubilierend - den Abschlusschor von Berthold Brechts <Die Maßnahme>:

Euer Bericht zeigt uns, wieviel
Nötig ist, die Welt zu verändern:
Zorn und Zähigkeit, Wissen und Empörung.
Schnelles Eingreifen, tiefes Bedenken
Kaltes Dulden, endloses Beharren
Begreifen des Einzelnen und Begreifen des Ganzen: 
Nur belehrt von der Wirklichkeit, können wir
Die Wirklichkeit ändern.

   Waldsterben: eine Erinnerung   

Vor mehr als 35 Jahren, im Sommer des Jahres 1981, brachte der SPIEGEL sein berühmtes Titelbild, auf dem rauchende Fabrikschornsteine einen dürren, verkrüppelten Wald überragen. Seitdem war ein Begriff geprägt: Waldsterben, LE Waldsterben in Frankreich, THE Waldsterben im angelsächsischen Sprachraum.

Mindestens einmal pro Jahr wird der neue Waldschadensbericht veröffentlicht. In den Zeitungen findet sich klein auf Seite 3 oder 27 dann immer dieselbe Meldung: "Dem Wald geht es immer schlechter." Oder "Wald erholt sich nur langsam". Derweil gehen wir wandern, und wie immer ist der Wald grün. Aber das Waldsterben ist längst unsterblich geworden.

Als chronisch neugieriger Journalist und alter Waldgänger (mich treibt es jeden Herbst hinaus in die Pilze) habe ich lange an diesem Thema recherchiert

Für mich steht heute fest, dass das Waldsterben ein MYTHOS ist. 

Ein Mythos, der es allerdings "in sich hat".

Ist der Wald krank? Ja, so wie alle Organismen "krank" sind. Der Wald ist ein lebendiges Biotop, in dem ständiger Wandel vorherrscht; Wachsen, Werden und Vergehen. Bäume haben Alterungs- und Greisenphasen wie Menschen. Es gibt Umwelteinflüsse: trockene Sommer, nasse Sommer, Schädlingsbefall. Es gibt Fehler der Forstwirtschaft, falsche Pflanzungen auf falschem Boden. 

  Der Wald lebt, weil er vergeht   

Die jährliche Messung der Katastrophe misst das Normale – und verkauft es uns als Abnormalität. Was aber hat das Waldsterben mit dem Klimawandel zu tun? Beide Phänomene bilden, im Sinne der Kognitionspsychologie, eine KIRCHE. Da sind zunächst die Katakomben: 

Jene Ebene unseres Tiefenbewusstseins, mit der die jeweilige Angst unsichtbar verbunden ist. Im Fall Waldsterben ist dies die deutsche (mitteleuropäische) Bindung an den Wald als Mythos- und Lebensraum. Wir Deutschen KOMMEN aus dem Wald, aus dem gewaltigen, finsteren, feuchten, "mütterlichen" Biotop, das wir in Jahrtausenden genutzt und gerodet haben. Dieses Roden war AUCH eine Zerstörung, eine Schändung, für die wir eine Bestrafung fürchten. (Anders als bei den Engländern, Franzosen, Italienern, die schon vor vier Jahrhunderten ihre Wälder abholzten und soziokulturell andere Wege gingen).

Zweitens der Kirchturm: 

die Signal- und Symbolwelt, mittels der sich ein Glaubens-Phänomen im kollektiven Bewusstsein verankert. Beim Waldsterben kann man die NEGATIVE SELEKTION VON EXTREMEN, den so genannten "Kirchturmeffekt", besonders gut studieren. In der Tat gab es in den 70er Jahren Fabriken (die heute längst geschlossen oder saniert sind), die starke SO2-Rauchfahnen freisetzten; so wurden regionale Wälder tatsächlich zerstört, und die Bilder der Baumgerippe gingen durch die Medien. Die Folge: Noch heute kann niemand durch den Wald gehen, ohne lichte Kronen wahrzunehmen: AHA-Waldsterben! Gesunder Wald wird hingegen aus unserem Wahrnehmungsraum ausgefiltert.

Eine solche Konditionierung unserer Wahrnehmung liegt allen modernen Angst-Syndromen zugrunde: Wenn wir gerade eine Fettleibigkeits-Pandemie "branden", sehen wir überall nur noch dicke Menschen. Wenn gerade eine "Die-Familie-wird-durch-moderne-Phänomene-zerstört"- Welle durch Land rollt, wirken plötzlich auch die Meiers von nebenan wie ein schrecklich asozialer Haufen...

Drittens: die Priesterschaft.

Für die Forst-Lobby, die in der Industrialisierung der 60er Jahre einen massiven Einflussverlust erlebte, war das Waldsterben eine hervorragende Gelegenheit, ihre Interessen zu re-organisieren. Tausende von Förstern, Botanikern, Biologen, Forstwissenschaftler und Waldgurus machten sich auf den Weg in die Wälder; bis heute zählen sie fleißig kranke, gesunde und halbkranke Bäume. Inzwischen ist ein ehernes Ritual daraus geworden, ein Kultus mit etlichen Millionen fest gebundener Gelder, Berichte, Protokolle, Subventionen.

  Das Waldsterben kann nicht mehr sterben – es ist ein Zombie  

In dieser dreieinigen Architektur – Katakomben, Kirchturm, aktive Priesterschaft - funktionieren alle Epidemien der Angst. Denken wir an die unzähligen Alarme, die wir in den letzten Jahren durchgemacht haben, und die nur im Deutschen diese wunderbare phonetische Eindringlichkeit und wundersame Experten-Vermehrung erlangten: "Atomtod" – "Rinderwahn" – "Vogelgrippe" – "Feinstaub" - "Demographische Katastrophe" – "Krieg der Kulturen" – "neoliberalistische Globalisierung" - "Neue Unterschicht" – "Prekarisierung". 

Gegen die Kathedrale der Klimakatastrophe sind allerdings alle bisherigen Angstepidemien kleine Kirchlein. Es geht um die Deutungsmacht des mächtigsten aller archaischen Symbole: des Wetters. Jeder Regenschauer ist nun ein Anzeichen. Jeder milde Winter ein Menetekel. Jeder Sturm ein Armageddon. Wer DIESE Angst beherrscht und funktionalisieren kann, verfügt über den zentralen Code der Menschheitsängste. Im Namen dieses Traumas haben sich ganze Kulturen in den Abgrund gestürzt. Wie etwa die Maya, deren mächtige Priesterkaste immer blutigere Opferrituale zelebrierte, um die gnadenlosen Wetter- und Naturgötter zu besänftigen.

Der Planet des Wandels 

Im dritten vorchristlichen Jahrtausend, nach der kleinen Zwischeneiszeit, lagen die Temperaturen in den Alpen 2 Grad Celsius über den heutigen, weshalb neolithische Wanderer wie der "Ötzi" die Berge durchqueren konnten (und bisweilen dabei schockgefroren wurden). Nach 850 vor Christus sanken die Temperaturen stark ab, die Pässe wurden unüberwindbar. Um Christi Geburt wurde es wieder wärmer – in der Blütezeit des römischen Reiches existierte eine dauerhafte Garnisonsverbindung über das Schnidejoch nach Norditalien. Im Hochmittelalter war es in Zentraleuropa so warm, dass man in Klöstern und Kirchen nur selten fror. In England wurde in großem Maßstab Wein angebaut. Und dann kippte das Klima, wie so oft in der Erdgeschichte: In der "kleinen Eiszeit" zwischen 1550 und 1750 (Breughels holländische Winterlandschaften, eine gefrorene Themse in London), fror Europa erbärmlich, fielen Ernten aus – der Beginn des 30jährigen Krieges könnte hier eine weitere Ursache finden.

Und in all den Zyklen kamen und gingen die Gletscher, mal sanft, mal polternd, mal langsam, mal abrupt – nur dass vor Jahrtausenden keine dramatischen Fernsehbilder, kommentiert von düsteren Meteorologen in die Wohnzimmer flimmerten. 

Was für das Klima bestimmter Erdteile gilt, ist im langfristigen planetaren Maßstab noch dramatischer. Mindestens viermal in der Urgeschichte kam es zu ausgedehnten Wärmeperioden. Vor 400.000 Jahren dauerte die "Global Warming"- Phase 30.000 Jahre. Auch in den letzten 3,5 Millionen Jahren taute die Antarktis, wie der Jenaer Geowissenschaftler Lothar Viereck-Götte anhand von Bohrkernen herausfand, mehrmals auf und wieder zu.

Der Kohlendioxidgehalt, heute das Schlüsselindiz der Global-Warming-These, variierte in all diesen Äonen heftig. Vor einer halben Milliarde Jahren lag er bei 28 Prozent der Atmosphärengase, um dann in mehreren Kaskaden abzufallen. Der Sauerstoffanteil der Atmosphäre lag 300.000 Jahre vor unserer Zeit bei 30 Prozent, fiel dann auf 12 Prozent ab (vor 200.000 Jahren), und stieg dann langsam auf die heutigen 21. Prozent.

Die bittere oder auch befreiende Wahrheit ist: 

Es gab nie (und wird nie) ein "Normklima" geben, in dem es ruhig, berechenbar, "nachhaltig", "stabil" zugeht. Sagen wir: 25 Grad im Sommer, 35 Zentimeter Schnee im Winter, blauer Himmel mit ab und an einem mäßigen Schauer. Also jenes Wetter, gegen das alle Abweichung als Desaster gedeutet wird.

Der Mensch: ein Terraformer

Im Jahre 2005 entdeckte der US-Klimaforscher William Ruddiman bei der Überprüfung langfristiger Klimamodelle eine Anomalie. Vor zehntausend Jahren, so Ruddiman, hätte es nach den astronomischen Zyklen, die das Klima prägen, eigentlich deutlich kälter werden müssen. Als Ursache für die Abweichung machte Ruddiman einen bislang unbeachteten Faktor aus: den Menschen. Aber eben nicht den industriellen, die fossilen Energieträger verheizenden Menschen. Sondern den paläolithischen und frühagrarischen Hominiden. Nur durch gewaltige Rodungen und Holzverbrennung konnten die Kohlendioxidwerte steigen. 

Und damit eine Abkühlung entlang des sogenannten Milankovitch-Zyklus verhindert werden.

"Terraforming" wurde vor einigen Jahren jener Prozess getauft, bei dem man ganze Planeten klimatisch umformt – eine utopische Technologie, die eines Tages helfen soll, den Mars zu besiedeln. Aber nun wissen wir, dass Terraforming schon längst betrieben wird. Viele Landschaften sind das Produkt anthropomorpher Wechselwirkungen. Die Abholzung des Mittelmeergebietes hat erst das mediterrane Klima entstehen lassen. Die Reisterassen Fernasiens verstärken schon seit Jahrtausenden das Mikroklima aufsteigender, regenreicher Winde.

Die Pflanzenwelt ist der erste große Terraformer des Planeten. Die "Erfindung" der Photosynthese vor eineinhalb Milliarden Jahren durch die Cyanobakterien (Blaualgen) brachte dem Planeten seine erste Klimakatastrophe – die Luft wurde nun mit Sauerstoff "vergiftet" - für die damaligen Lebewesen reines Gift. Vor 530 Millionen Jahren endete die "kambrische Explosion" – das größte Artensterben aller Zeiten vernichtete 95 Prozent aller Arten. Das gigantische Massensterben ließ innerhalb kurzer Zeit die Meere umkippen - der Kalziumgehalt des Meerwassers verdreifachte sich. Für die überlebenden Meeresorganismen ein tödliches Problem. Doch wie immer blieb die Evolution nicht untätig. 

Im zähen Wirken von Selektion und Adaption brachte sie den zellulären Mechanismus des "Kalzifizierens" hervor. Die Meeresorganismen "lernten", den Kalk auf ihrer Außenfläche zu verhärten.

Die Dinosaurier, die eine Viertelmilliarde Jahre lang diesen Planeten dominierten, waren ganz hervorragende Terraformer; nicht so sehr, weil sie mit ihrem Gewicht die Landschaft plattwalzten, sondern weil sie mit ihren Fressgewohnheiten und Dungkapazitäten ganze Ökosysteme formten.

Gerade wenn wir die "Gaia"-Hypothese – die Erde als lebendiger Organismus – ernst nehmen, müssen wir den engen Rahmen homozentrischen Denkens sprengen. Die Evolution hat auf ihrem langen Weg vom Einzeller zur Intelligenz unendlich viele Technologien erfunden. Warum, muss man ketzerisch fragen, "durften" die Blaualgen das Nervengift Sauerstoff herstellen, die Dinosaurier den ganzen Planeten umformen – aber Menschen haben gefälligst spurenlos auf diesem Planeten zu leben – in einer ökologischen Null-Nische, oder wie man heute zu sagen pflegt "nachhaltig"? Was man auch zynisch mit "am besten gar nicht" übersetzen könnte...

Der unruhige Planet

Anfang der fünfziger Jahre habe ich mich Ende Januar im Sportschwimmbad auf der Margareteninsel in Budapest stundenlang bei 20 Grad gesonnt. Einige Tage später war der Winter zurückgekommen. In alten Chroniken kann man nachlesen: Im Sommer 1304 trocknete der Rhein aus. 1624 blühten um die Weihnachtszeit in Hildesheim Rosen. 1718 regnete es von April bis Oktober nicht ein einziges Mal. Dennoch sprach kein Mensch von einer bedrohlichen Klimaverschiebung... 

So schrieb ein Leserbriefschreiber in der WELT am 12. Februar 2002. Die einsame Stimme eines "Klimaleugners". Aber gerade deshalb ist diese Stimme so kostbar: Ein kleiner Widerstand gegen einen übermächtigen Wahrnehmungs-Kontext.

Als Systemanalytiker, der sich intensiv mit prognostischen Techniken auseinandersetzt, bin ich zur Überzeugung gelangt, dass sich das Klima nicht wirklich voraussagen lässt. Alle "brute force" unserer Mega-Computer reicht nicht einmal aus, Regen und Sonnenschein für Kleindettelhausen in 7 Tagen vorherzusagen. Unser Planet dreht sich exzentrisch um die Sonne. Die Erdachse unterliegt Unwuchten, die Aktivitäten der Sonne selbst können massive klimatische Auswirkungen haben, auch die Magnetfelder erzeugen Klimaeffekte, Sonnenwinde, kosmische Strahlungen. Ebenso verändern die auf der Erde lebenden Organismen ständig Wetter und Klima. Beim turbulenten Prozess, den wir "Leben" nennen, werden unentwegt Substanzen freigesetzt, entstehen Atmungs- und Verdauungsprodukte, die wiederum Rohstoffe für neues, anderes Leben sind.

Evolution ist kreative Abfallwirtschaft. 

Der globale Erwärmungsprozess, der sich in den letzten Jahrzehnten abzeichnet, wird eine Erwärmungsphase von vielen sein. Wir wissen KEINESWEGS, welche Dimensionen er haben wird, wann er sich umkehrt. 

Die Klimaveränderung setzt unsere Technologien einem starken Evolutionsdruck aus. 

Exzesse des Energieverbrauchs und der Substanzfreisetzungen, wie sie in der "Rohphase" der industriellen Zivilisation auftraten, werden beendet, technologische Transformationsprozesse beschleunigt.

Menschen sind adaptive Wesen. Sie lernen. Sie können Wandel gestalten. 

Daran glaube ich. 

Und ich werde diesen Glauben verteidigen, gegen alle dunklen Auguren des Untergangs, gegen alle Hohepriester, die uns im Namen der Schuldhaftigkeit des Menschen von den Kanzeln "finale Maßnahmen" verkünden.  

 


 

"Ich zweifele an der Klima-Katastrophe" 

Interview mit Matthias Horx, 08.06.2009,   derwesten.de  WAZ 2009   

 

 

Niemand bürstet so lustvoll gegen den Strich wie Trendforscher Matthias Horx. Im WAZ-Interview klagt er über Zukunftspessimismus, verkannte Chancen der Krise, Zweifel an der Klima-Katastrophe und darüber, wie linkes Dagegensein und rechte Rückwärtsgewandtheit sich aufs Schönste verbinden. „Warum die Welt nicht schlechter wird“, heißt es im Untertitel ihres heutigen Vortrags in Essen. Das müssen Sie mal erklären. Wenn Sie 100 Menschen fragen, sagen 90, aber klar wird die Welt täglich schlechter.

Horx: Deshalb muss es noch lange nicht stimmen. Wenn man sich etwas intensiver mit den großen, globalen, langfristigen Trends beschäftigt, wird schnell deutlich, dass die historische Entwicklung unterm Strich positiv ist. Natürlich gab und gibt es Rückschläge, es gibt vor allem in anderen Kontinenten noch existentielle Armut, aber dass wir heute in einer anderen Welt leben als vor 100 Jahren - und zwar in einer besseren, was Lebenserwartung, Bildung, Lebenschancen und allgemeinen Wohlstand angeht -, das ist doch offenkundig. Denken sie nur, welche Erfolgsgeschichte Europa heute hinter sich hat. Man fragt sich natürlich, warum die allgemeine Wahrnehmung eine derart andere ist.

Ja, warum? Der Blick zurück in die Geschichte könnte doch wirklich zum Optimismus verleiten.

Horx: Die Annnahme, dass die Welt den Bach heruntergeht, ist uns offensichtlich näher, sie bringt offenbar echte Vorteile. Journalisten zum Beispiel können mit einer negativen Botschaft erheblich mehr Aufmerksamkeit erlangen als mit einer positiven. Wir sprechen auch vom „Alarmismusvorteil“: Wer die Welt mit düsteren Farben malt, dem ist Aufmerksamkeit gewiss.

“Bad news are good news”, wie man in der Branche sagt.

Horx: So ist es. Aber warum ist das so? Erstens sind die Medien heute in einer brachialen Konkurrenz-Situation, in der die entscheidende Knappheit die Aufmerksamkeit des Publikums ist. Zweitens interessieren wir uns auch deshalb für Katastrophen, weil wir selbst verschont wurden. Es gibt so etwas wie einen „apokalytischen Voyerismus“. Und daraus entsteht ein schiefes Weltbild. Wenn sie Leute fragen, wie geht es Ihnen persönlich, dann sagen die meisten: eigentlich gut! Ihre Stadt oder Gemeinde? Eigentlich ganz prima! Dem Land geht es schon deutlich schlechter und dem Rest der Welt richtig dreckig. Das ist so etwas wie ein „autistischer Selbstwohlfühl-Effekt“: Wir erzielen durch solche Sichtweisen einen Gewinn für unser Selbst-Erleben. Schließlich gibt es auch ein typisch deutsches Angsthasentum, dessen Wurzeln in unserer Mentalität und Geschichte liegen – das ist hierzulande fast so etwas wie ein medial geförderter Breitensport.

Nicht verzagen trotz Finanzkrise: Auch diese bietet Chancen, meint Trendforscher Horx. Nun gut, aber dass wir übermäßig Grund zum Optimismus hätten, erscheint in der derzeitigen Finanzkrise wirklich absurd.

Horx: Das sehe ich differenzierter. Finanz- und Wirtschaftskrisen sind zunächst mal eine Konstante der Ökonomie. Es gab sie immer, das können Sie bis ins alte Ägypten zurückverfolgen. Wirtschaftskrisen, so hart sie vorübergehend für den Einzelnen sein mögen, leiten letztlich unverzichtbare Erneuerungsprozesse ein, sie führen zu einer höheren Innovationsrate. Die jetzige Krise lässt sich auch als Ende eines 20-jährigen Booms lesen, in dem viele Unternehmen ihr Geschäft einfach aufgebläht statt innovativ verändert haben. Denken Sie an die Autokonzerne, die immer schnellere, immer schwerere Autos bauten statt intelligentere; oder der Handel mit seinen immer größeren Läden und immer spottbilligeren Preisen, ganz zu schweigen von den Banken mit ihren bizarren Derivaten. Jetzt plötzlich können wir über Innovationen reden, die lange Zeit keiner ernst genommen hat. Alle mögen jetzt Elektroautos, selbst die Automanager sind ganz begeistert davon. Das nenne ich den „Krisen-Segen“.

Die Krise als Chance – das klingt zynisch.

Horx: Das ist wie im persönlichen Leben. Ein Leben ohne jedes Scheitern und ohne Krise ist doch meist sehr dröge und langweilig. Eine Krise zu bewältigen, ist eine enorm wichtige Erfahrung, sie führt zu geistigem UND materiellem Wachstum.

Sie sehen eine Ära kommen, die Sie Softkapitalismus nennen. Was ist das?

Horx: Wir beobachten seit Jahrzehnten den Wandel von einer produktionsorientierten Ökonomie hin zu einer wissensgestützten, und dabei verändern sich auch die kulturellen Formen des Kapitalismus. Das Humankapital ist in einer Industriegesellschaft nicht so wichtig, da können sie Arbeiter einfach austauschen. Aber je komplexer die Wirtschaft wird, desto wichtiger wird auch der „Faktor Mensch“. Das ist auch einer der Gründe, weshalb die Unternehmen in dieser Krise viel weniger Personal abbauen als in früheren vergleichbaren Phasen. Man will die Leute halten, weil man mehr und mehr auf sie angewiesen ist. Das zeigt, dass es in Richtung auf einen „softeren“ Kapitalismus geht, eine Marktwirtschaft, in der die Arbeitskraft nicht mehr nur eine Ware ist. Wir erleben gleichzeitig eine Rückkehr des Staates und eine neue Werte-Debatte, in der sich die Menschen fragen, ob das Streben nach immer mehr Materie eigentlich den „heißen Kern“ einer Gesellschaft ausmachen kann.

Und was wäre die Alternative?

Horx: Der Trend weg vom Tonnagedenken, hin zum qualitativen Wachstum muss noch viel stärker werden. Ein Beispiel: Wir können nicht verhindern, dass Milliarden aufsteigende Arme in der globalen Ökonomie, in den Schwellenländern, ebenso Auto fahren wollen wir wir. Und wir müssen es so hinkriegen, dass das nicht den Planeten ruiniert. Das bedeutet, wir brauchen Energie- und Mobilitätssysteme jenseits von Öl und Gas. Es geht nicht mehr länger um Schneller-mehr-lauter-bunter, wenn wir an Innovation denken. Zukunfts-Innovation heißt: systemischer, menschlicher, eleganter - smarte Technik, die dem Menschen hilft.

Das setzt starke Veränderungen in den Köpfen voraus.

Horx: Aber es sind auch viele Menschen auf dem Weg dorthin. Ich treffe zurzeit viele Menschen auch aus dem Big Business, die sich sehr ernsthaft fragen: Muss ich mein Leben ändern? Was können wir in Zukunft anders machen? Wie können wir diese Prozesse einer „smarten Technik“ vorantrieben? Das sind interessante Signale.

Andererseits konstatieren Sie aber auch einen „Biedermeier-Bolschewismus“. Das hört sich weniger freundlich an.

Horx: Wir können sehen, dass sich die alten, schon überwunden geglaubten Ideologien wieder Bahn brechen. Und es gibt diese große Harmoniesehnsucht gerade in Deutschland, die bei ökonomischen Umbrüchen wieder hochkommt. Die moralinsaure Debatte, die viele Medien beherrscht, führt nur menschliche Opfer vor – der arme Arbeitslose, der vom bösen Kapitalismus entlassen wurde. Das führt dann zu einer völlig unterkomplexen Analyse nach dem Motto: Wenn der Staat sich den Problem annimmt, dann wird alles wieder prima. Ich nenne dieses Phänomen deshalb Biedermeier-Bolschewismus, weil es eine Mischung aus Spießertum und „Dagegensein“ ist. Das Schlechte von 68, das nörgelnde Dagegensein, hat sich mit dem Schlechten der Konservativ-Kultur, dem Rückwärtsgewandten, zusammengetan. Heraus kommt ein reaktionäres Linkssein. Alles soll wieder so „sicher“ werden, wie es angeblich früher war, und auf keinen Fall darf sich etwas verändern.

Die Leute wollen eben gerne, dass alles bleibt wie es ist. Das ist doch menschlich.

Amerikanischer Optimusmus - in Deutschland nicht gerade weit verbreitet. Horx: Das Problem ist nur, es funktioniert nicht. Eine Gesellschaft wie unsere braucht Wandel, um existieren zu können. Sicherheit können wir nur in Veränderung erzeugen. Diese Veränderung muss ja nicht immer radikal sein, aber jeder muss auch seinen Teil dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft schlauer, gebildeter, menschlicher werden kann. Wir haben alle Barack Obama bewundert, und wie die amerikanischen Gesellschaft seinen Willen zum Neuanfang aufgegriffen hat. Yes, we can – das ist die Formel einer Hoffnung, die besagt: Eine bessere Gesellschaft ist möglich! Wir können aus Fehlern und Unzulänglichkeiten lernen! Warum ist so etwas nicht in Deutschland möglich? Eine Zukunfts-Gelassenheit, statt dem ewigen Geschrei?

Diesen Impulswollen Sie anscheindend nach Kräften fördern?

Horx: Genau, es geht mir als Zukunftsforscher nicht so sehr um Prophezeiungen, eher darum, die Zukunft als gestaltbare Aufgabe darzustellen. Das ist hierzulande schon eine Titanenaufgabe.

Apropos Zukunft: In nächster Zeit werden uns wieder einige Klima-Konferenzen heimsuchen. Für einen Zukunfts-Optimisten wie Sie eine schreckliche Zeit, oder?

Alte Industrien - keine Option für die Zukunft? Bei ThyssenKrupp in Duisburg (Bild) sieht man das vermutlich anders. (Foto: ap) Horx: Zum Verständnis: Ich sage nicht, es gibt keinen menschlich bedingten Klimawandel. Ich zweifele lediglich an der Klimakatastrophe. Das ist ein entscheidender Unterschied. Klimatischen Wandel gibt es aber in der Geschichte der Erde seit vielen Millionen Jahren, oft kam er kurzfristig, oft innerhalb langer Perioden. Wir müssen damit leben. Wir müssen adaptiv sein.

Wieso haben Sie es dann zu einem Lieblingsgegner der deutschen Klima-Päpste gebracht?

Horx: Ich habe den apokalyptischen Droh-Zeigefinger etwas beleidigt. Von Wolf Lotter, dem Autor des Buchs „Die Kreative Revolution“ stammt das schöne Zitat: „Sehet, der Untergang kommt! Tuet Buße! Diese Phrase bedeutet damals wie heute: Her mit Eurer Kohle!“ Ich glaube einfach nicht, dass die Erwärmung in jener katastrophalen Form stattfindet wie es uns weisgemacht wird. Heute ist ja jede ungewöhnliche Wetterlage angeblich Vorbote einer Katastrophe, was ich für medial aufgebauschten Unsinn halte. Zweitens bin ich der Meinung, dass wir als technische Kultur durchaus in der Lage sind, Neue Technologien zu erfinden, um die Effekte des CO2 abzuschwächen. Wir müssen zum Beispiel in der Tat umsteigen auf neue, postfossile Energieformen. Nur: Ich traue uns das zu. Damit schere ich natürlich aus der apokalyptischen Rhetorik aus, mit der man die Menschen so schöne Schuldgefühle machen kann.

Aber vielleicht ist Angst gar kein so schlechter Ratgeber, vielleicht entsteht so erst Handeln.

Horx: Manchmal mag das stimmen, aber ungerichtete und exzessive Angst zerstört unsere Fähigkeit zum vernünftigen und zielgerichteten Handeln. Die ständige apokalyptische Berieselung hat einen kontraproduktiven Effekt. Je mehr man die Leute erschreckt, desto weniger handeln sie – wieso soll ich etwas tun, wenn sowieso alles zum Teufel geht? Schauen Sie, wie viele große Katastrophen sind schon durch unsere Angstkathedrale getrieben worden! Ich erinnere ans Waldsterben, Atomtod, Schweinegrippe, Rinderwahnsinn, tödliche Flüssigeier in Nudeln, an Spermasterben, den Krieg der Generationen, das Überrollen Europas durch den Islamismus, an Überalterung, Vergreisung und Gammelfleisch, an ganze Heerscharen von apokalyptischen Reitern, die jetzt in den Museen verstauben. Einige von diesen Ängsten haben sich als prima Instrumente des Rechtpopulismus herausgestellt, was auch einiges über ihre Qualität sagt.

Stimmt das alte Klischee, wonach in Deutschland alles schlimmer ist, Stichwort „German Angst“?

Horx: Viele Ängste sind anthropologisch bedingt. Als Spezies sind wir nun einmal sensibel gegenüber der Umwelt, wir fürchten uns seit Tausenden von Jahren vor Fluten, Trockenheiten, eben Klimaveränderungen. In Deutschland verbindet sich das Alles aber auch noch mit historisch gewachsenen Ängsten, die mit der deutschen Geschichte zusammenhängen: das Trauma des Totalverlusts von Wohlstand und Zivilisation in den furchtbaren Kriegen des 20sten Jahrhunderts ist tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Wir trauen dem Frieden nicht und auch nicht dem Fortschritt. Dieses Misstrauen pflanzt sich fort von Generation zu Generation. Es dauert eine ganze Weile bis der neurotische Teil der Ängste abgebaut ist. Eigentlich lässt sich erst dann ein realistisches, unvoreingenommenes Bild von der Welt und ihrem Wandel gewinnen. Und ein spannender Blick in die Zukunft.

 

 

 

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