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Für Vivian:

Ich glaube, ich könnte hingehen und mit den Tieren leben,
sie sind so ruhig und beschlossen in sich, 
Ich stehe und schaue sie an, lange und lange.
Sie schwitzen und wimmern nicht über ihre Lage,
Sie liegen nicht wach im Dunkeln und weinen über ihre Sünden,
Sie ekeln mich nicht an mit Erörterungen ihrer Pflichten vor Gott,
Keins ist unzufrieden, keins besessen von dem Wahn, Dinge besitzen zu wollen, 
Keins kniet vor dem andern oder vor seinesgleichen, das vor tausend Jahren gelebt hat, 
Keins ist Respektsperson oder unglücklich auf der ganzen Erde. 

Walt Whitman

Einführung 

9-11

In den Jahren seit Erscheinen meines Buches <Der Urschrei> habe ich vor Laien wie vor Fachleuten häufig Vorträge gehalten. Ihre Fragen zeigen, daß in jenem Buch vieles ungesagt blieb. Das vorliegende Buch ist ein Versuch, auf einige dieser Fragen einzugehen. Zum Beispiel: Warum kann die Primärtherapie nicht in andere Behandlungs­methoden integriert und eklektisch angewendet werden? Warum muß sie eine Sonderstellung beanspruchen? 

Ich habe versucht, im ersten Kapitel, unter dem Titel »Warum es nur eine Heilmethode für psychische Krankheiten geben kann«, eine Antwort darauf zu geben. Ich bin der Auffassung, daß sie nicht in andere Behandlungs­methoden integriert werden kann, und hoffe, das erste Kapitel wird erklären, warum.

Andere Fragen, wie etwa: »Sind Patienten nach einer primärtherapeutischen Behandlung glücklich?«, sind für mich mehr oder weniger ein Hinweis auf die allgemeine Verwirrung hinsichtlich der Begriffe Glück und Depression; deshalb bin ich in dem Kapitel »Über Glück, Depression und das Wesen des Erlebens« näher darauf eingegangen. 

Es wurde mehrfach geäußert, ich selbst hätte mich in dem Buch <Der Urschrei> ausgespart. Habe ich mich der Primärtherapie unterzogen? Wie ist es mir dabei ergangen? Und ähnliche Fragen mehr. Ich habe einige meiner Urerlebnisse einbezogen und erläutert, weniger aus autobiographischen Gründen, sondern weil diese Urerlebnisse einen bestimmten Punkt erhellen helfen — in diesem Falle das Wesen des Trauerns. 

Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Fragen von Laien und Fachleuten ähneln. Zum Beispiel stellten beide Gruppen häufig Fragen zum Thema Regression. Wenn man zur Kindheit regrediert, kommt man dann überhaupt wieder zurück? Wie können Sie dafür garantieren? Dazu sei hier zunächst soviel gesagt, daß ich eine von den historischen Konzeptionen abweichende Auffassung von dem habe, was Regression ist. Ich hoffe, das Kapitel über Regression wird meine Auffassung verständlich machen.

 9/10

Ich habe versucht, auf einige in meinen bisherigen Veröffentlichungen nur beiläufig behandelte Punkte ausführlicher einzugehen. Der Sinn vom Sinn des Lebens, der Unterschied zwischen Spannung und Fühlen, was ist Homosexualität, um nur einige zu nennen. Ich habe für Leser, die mit einem Urerlebnis oder »Primal« noch keine präzisen Vorstellungen verbinden, einige Fall­geschichten einbezogen; dabei habe ich die wenigen aufgegriffen, die gut geschrieben sind und das Gefühl eines Urerlebnisses verdeutlichen.

Ferner gebe ich einige kurze schriftliche Berichte von Patienten wieder, die Veränderungen schildern, die in ihnen stattgefunden haben. Ihre Geschichten zeigen, wie schwierig es ist, ein Forschungsprojekt zu entwerfen, mit Hilfe dessen sich durch Primärtherapie bewirkte Veränderungen voraussagen und messen ließen. Die Veränderungen sind ihrer Art nach oft äußerst überraschend und nicht voraussagbar. Daß ein Milchzahn endlich durchbricht oder daß Kiefer und Gebiß sich so zurückbilden, daß angeborene, durch kieferorthopädische Eingriffe korrigierte Gebißanomalien wieder auftreten, sind Dinge, die wir mit der Primärtherapie nicht unmittelbar anstreben; dennoch haben sich diese Veränderungen nachweislich ergeben.

Im Schlußkapitel endlich habe ich versucht anzudeuten, wie die Welt aussehen würde, wenn sie ein realer und fühlender Ort wäre. Dabei handelt es sich keineswegs um eine reine Utopie, es ist vielmehr eine Skizzierung dessen, was tatsächlich sein könnte, wenn wir uns entschlössen, in dieser Welt reale Menschen hervorzubringen. 

Das ist nicht so schwierig, wie es den Anschein haben mag. Radikale Veränderungen der Methoden zur Kindererziehung wären ein guter Anfang. Veränderungen des Schulsystems würden ein Weiteres tun.

Solche Veränderungen der Erziehungsmethoden können weitgreifende Auswirkungen haben; die gleichen Auswirkungen (nur mit umgekehrtem Vorzeichen), wie sie die Behavioristen in den dreißiger und vierziger Jahren erzielten, als sie darauf drangen, daß man Säuglinge nicht aufnehme, wenn sie schreien, daß man sie nach einem strikten Zeitplan füttern müsse etc. Sie haben großen Schaden angerichtet, entscheidend jedoch ist, daß sie eine breite Wirkung erzielten; es ist also durchaus möglich, Menschenmassen zu beeinflussen.

Ich bin der Auffassung, daß wir keine Welt haben werden, sofern wir nicht eine reale Welt haben werden. Das hat nichts mit Schwarzmalerei zu tun, sondern vielmehr damit, die Zeichen zu deuten und die ständig zunehmende Zerstörung der Menschen zu sehen, sowohl im Hinblick auf umweltbezogene wie auch auf psychische Faktoren. 

Wir haben unseren unmittelbaren Kontakt zur Natur verloren, haben unsere Existenz Maschinen anvertraut, und wir Psychologen haben gesehen, wie in der Psychotherapie in steigendem Maße Maschinen eingesetzt werden. Wir haben Menschen Schocks verabreicht, damit sie sich angepaßt verhalten; Schocks, wenn sie wahnsinnig werden; Schocks, wenn sie bettnässen; und Schocks, wenn sie zum Alkohol greifen. 

Wir haben den mystischen Kräften der Maschine vertraut, weil psychische Krankheit ein unergründliches Geheimnis war, das, um gebannt zu werden, irgendeiner Magie bedurfte. Dabei ist sie gar nicht solch ein Geheimnis, und sie bedarf weder der Magie noch der Maschinen. 

Wir müssen den Menschen lediglich helfen zu verstehen, wodurch psychische Störungen hervorgerufen werden, und wir brauchen außerdem eine neue Einstellung hinsichtlich deren Behandlung.

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     (Ordner)    www.detopia.de

Arthur Janov - Revolution der Psyche - Anwendung und  Erfolge der Primärtherapie   The Primal Revolution  Toward a Real World