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4  Der Unterschied zwischen Spannung und Fühlen

 

 

 

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Es ist ungemein wichtig, Fühlen von Spannung zu unterscheiden, denn was als Fühlen erscheint, ist in Wahrheit oft Spannung. Neurotische Spannung ist das physiologische Segment vom Bewußtsein getrennten, schmerzhaften Fühlens. Sie ist die »Energie« des Fühlens. Wenn ein Gefühl aufgrund seines großen Schmerz­gehalts aus dem Bewußtsein verdrängt wird, spüren wir diese Energie als Spannung. Ein Geburtstrauma, das nicht integriert werden kann, lagert sich als Spannung ab, wenn sich der Körper abblockt. Demütigungen erzeugen die gleiche Spannung.

Wenn ein Kind den Geburtsablauf oder eine Demütigung unein­geschränkt fühlen und darauf antworten könnte, gäbe es kein »Schmerzgedächtnis«, das in Form von Spannung bewahrt wird. Das spezifische Gegenmittel für neurotische Spannung ist Verknüpfung: eine Empfindung zu einem verknüpften Gefühl zu machen. Ein uneingeschränkt fühlender Mensch ist nicht angespannt – und ein angespannter Mensch fühlt nicht. Er leidet unter amorphen Empfindungen, die die ihnen eigenen geistigen Wurzeln verloren haben.

Der Körper ist bei jedem Menschen das erste Instrument der Abwehr. Ehe wir einen Intellekt haben, haben wir Schmerz; und wir müssen diesen Schmerz abwehren, indem wir unseren Körper abtöten. Ein schweres Trauma, das sich früh genug ereignet, führt dazu, daß dem Betroffenen der eigene Körper sein Leben lang unzugänglich ist. Wenn es zum Beispiel bei der Geburt zu einer Strangulation durch die Nabelschnur kommt, kann das dazu führen, daß sich der Körper abblockt. Dieses Abblocken kann ein wesentlicher Faktor für spätere Frigidität sein. Das heißt, wenn die Eltern eines solchen Mädchens zudem eine puritanische Grundhaltung haben, kann es bei ihr später zu einem geringen oder gar zu keinem Empfindungsvermögen in der Vagina kommen. Dann wird ihr der eigene Körper unzugänglich, sie verfügt nicht über ihn.

Wie nah ein Mensch seinen Gefühlen ist, können wir normalerweise daran erkennen, ob er unter einem der üblichen neurotischen Symptome leidet – zitternde Hände, Magenflattern, Schwindelgefühle, Beben etc. – Zeigt sich bei einem Patienten keines dieser Symptome, dann neigen wir zu der Annahme, daß er von seinen Gefühlen weit entfernt ist und daß das Problem in seinem frühesten Leben begründet liegt*. Bei Patienten dieser Art ist das erste Anzeichen von Besserung ein Einsetzen von Zittern und Beben. Damit will ich sagen, daß körperliche Empfindungen die physischen Komponenten von Gefühlen sind, und deren Nicht­vorhandensein bei Neurotikern kann durchaus den jeweiligen Grad der Verdrängung anzeigen.

Jedes Schmerzgefühl, das nicht integriert werden kann, steigert die Spannung. Die Spannung bewirkt, daß der Mensch gezwungen wird, Wege zu finden, sie zu lindern. Da die einzige wirkliche Möglichkeit, Spannung zu beheben, darin besteht, das Gefühl zu fühlen, muß der Betreffende das Nächstbeste tun und lustvolle Empfindungen suchen, um sich zu besänftigen. Lust in diesem Sinne bedeutet für den Patienten erfolgreiche Schmerzbetäubung. 

Die Empfindungen, die er sucht, sind von mehreren Faktoren abhängig. Erstens von dem Bereich des ursprünglichen Traumas. Wenn ein Kind unter oralen Entbehrungen litt, wenn es zu früh entwöhnt wurde, nicht seinem Bedürfnis entsprechend lange genug saugen durfte, kann es auf den Mund und Lippen­bereich fixiert werden – das Ergebnis ist ein zwanghafter Raucher. Wenn der Bereich des ursprünglichen Traumas (der Brennpunkt für die ursprüngliche Spannung) in der Reinlichkeits­erziehung lag, kann der Genitalbereich zum Brennpunkt lustvoller Empfindungen werden.

Das zweite Kriterium für die Wahl der jeweils bevorzugten Empfindungen wird bestimmt durch das, was erlaubt ist. Wenn das Essen im Familienleben eine zentrale Rolle spielte, wird Befriedigung auf die Nahrungs­aufnahme (und den Mund) fixiert sein. Dieser Empfindungs­austausch, durch den wir die schlechte (spannungsgeladene) Empfindung durch eine gute ersetzen, hat zum Ziel, Spannung zu unterdrücken. Darum wird sich der Neurotiker auf Bereiche seines Körpers mit der größten Nerven­versorgung konzentrieren. Und genau da setzt die Verwirrung ein.

* In unserem Forschungslaboratorium sind wir gerade dabei, ein neurophysiologisches Verdrängungsprofil zu entwickeln, das bisher exakt anzeigt, wie stark ein Mensch verdrängt, das heißt, wie weit er von seinen Gefühlen entfernt ist. Wir hoffen durch die Entwicklung dieses Verdrängungs­profils den Schwierigkeitsgrad von Neurosen bemessen und damit therapeutische Fortschritte vorhersagen zu können.

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Denn er wird sich hungrig »fühlen«, wenn er in Wirklichkeit unter Spannung steht. Er wird sich sexuell erregt »fühlen«, wenn er lediglich unter erotisierter (trans­formierter) Spannung steht. Was wie große Gefühle aussieht, ist in Wirklichkeit große Spannung. Wenn ein Homosexueller sein starkes Bedürfnis nach väterlicher Wärme und das Bedürfnis, an der Brust seiner Mutter zu saugen, fühlt, ist er nicht länger gezwungen, ständig auf der Suche nach einer Gelegenheit zu sein, an einem Penis zu saugen. Sein zwanghaftes Bedürfnis nach dieser Empfindung ist beseitigt worden. Solange er sein wahres Bedürfnis nicht fühlen kann, bleibt er bei Empfindungen hängen.

Weil der Neurotiker versucht, ein Gefühl mit Empfindungen zu erfüllen, kann er nie genug bekommen. Ein Gefühl (das Gefühl der Leere des eigenen Lebens) mit Essen zu füllen, ist ein vergebliches Bemühen, denn alle Nahrung der Welt kann diese Leere nicht füllen. Ein Mensch, der seine Spannung automatisch in Sexualität umgewandelt hat, merkt den Unterschied nicht. Er fühlt sich tatsächlich sexuell erregt, wenn ihn etwas ängstigt. Warum der Sexualbereich? Warum nicht Hunger zum Beispiel? Die Wahl des Ventils hängt von unseren frühen, oft frühesten Erfahrungen ab.

In den letzten beiden Tagen war ich Zeuge zweier Urerlebnisse, die in diesem Zusammenhang sehr aufschluß­reich sind. 

Das erste betraf einen Mann, der zunächst ein recht angenehmes Erlebnis wiedererlebte, nämlich, wie er gewindelt wurde. Das wurde zu einem Urerlebnis, als er mehr als nur einfach Lust fühlte; er wurde überstimuliert. Er fühlte, wie die warmen Windeln gegen seine Hoden rieben, als sie nach oben, zum Bauch hin festgezogen wurden. Gleichzeitig erinnerte er, seine Windeln oft genäßt zu haben, weil seine besorgte Mutter, sobald er naß lag, herbeigeeilt kam und die Windeln wechselte und dabei die warme Empfindung an seinen Hoden auslöste. Nicht, daß ihn seine Mutter verführt oder absichtlich überstimuliert hätte; sie wollte nur verhindern, daß er naß lag. Das Erlebnis jedoch war sexueller Art oder zumindest auf einen Sexualbereich konzentriert. Dieser Bereich wurde für ihn zum Brennpunkt aller Spannung.

Bei einem ähnlichen Urerlebnis eines anderen Mannes ging es um die früh erlebte Spannung, urinieren zu müssen, und um die Angst, seiner Mutter zu mißfallen, wenn er in die Hosen näßte. Er entdeckte, wenn er dringend urinieren mußte, erigierte sein Penis, um das Bedürfnis zu urinieren auszuschalten. So wurde in komplexer Wechselwirkung eine Erektion zur Abwehr gegen mütterlichen Liebesverlust.

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Später wurde jede Spannung oder Furcht unbewußt und automatisch in eine Erektion umgesetzt. Erektionen (und später Sexualität) wurden zum zentralen Abwehrverhalten.

Hätte man die beiden Männer vor der Primärtherapie über ihr Sexualleben befragt, hätten sie mit Sicherheit gesagt, sie hätten einfach eine ausgeprägte Sexualität – hätten starke Sexualgefühle. Dabei hatten sie in Wirklichkeit äußerst schwache Sexual­gefühle, nur erotisierte Spannung. Nach den ersten Anfängen ihrer Behandlung ließ der Geschlechtstrieb mit abnehmender Spannung erheblich nach.

Es gibt einige wissenschaftliche Untersuchungen, die den Unterschied zwischen Spannung und Fühlen klären helfen. Versuchs­personen wurden in unangenehme, Furcht und Angst auslösende Situationen versetzt. Anschließend wurden die Erinnerungen an diese Episoden durch Hypnose beseitigt. Später wurden diese Versuchs­personen gebeten, sich für ein weiteres Experiment zur Verfügung zu stellen. Dieses Experiment ähnelte dem unangenehmen ersten, an das sich keine der Versuchs­personen erinnern konnte.

Diese Versuchspersonen wurden einer Reihe physiologischer Tests unterzogen, noch ehe die Unannehmlichkeiten begannen. Alle Spannungsmessungen lagen in der zweiten Situation höher, auch wenn an die erste keine Erinnerungen vorhanden waren. Das Spannungsniveau zu Beginn der zweiten Situation war in allen Fällen signifikant höher als das auf dem Höhepunkt des Unbehagens der ersten Situation verzeichnete Spannungsniveau.*

Wenn keine Erinnerung vorhanden gewesen wäre, wie ließe sich dann das höhere Spannungsniveau unmittelbar vor Beginn der zweiten Situation erklären? Versuchspersonen in Kontroll­gruppen wiesen kein erhöhtes Spannungsniveau auf. Offensichtlich bleibt Spannung unterhalb der Ebene bewußter Wahrnehmung erhalten, und Spannung kann reaktiviert werden, indem man den Menschen einfach in eine Situation versetzt, die einer früheren, »vergessenen« ähnelt. Die Spannung konnte nicht aufgelöst werden, weil keine bewußte Verknüpfung zur Ursache bestand – kein Fühlen.

*  E. Levitt, Clinical Research Design and Analysis in the Behavioral Science, Charles C. Thomas, Springfield, 111. 1961; zitiert nach The Psychology of Anxiety (derselbe Autor), Bobbs-Merrill, Indianapolis 1967, S. 40 f.

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Hypnose war hier ein von außen eingeleiteter Verdrängungsvorgang. Das heißt, kritisches, wertendes Bewußtsein wurde eingeschläfert, so daß die Versuchsperson auf den Kortex des Hypnotiseurs anstatt auf seinen eigenen reagierte. Das Ergebnis war die Blockierung der Erinnerung. Ein Primär- oder Urgefühl ist eine Erinnerung, die als Spannung erhalten bleibt, weil sie nicht bewußt ist. Aus diesem Grund kehren Erinnerungen nach Urerlebnissen zurück; Gefühle vergraben heißt Erinnerungen blockieren – und umgekehrt. Hypnose vermag Bewußtheit durch Suggestion abzuschalten. Demnach kann eine Versuchsperson bewußt sein, ohne (seine Umgebung) wahrzunehmen. Aufgrund dieses Abschaltens verhindert sie jene Verknüpfungen, die Spannung in Fühlen verwandeln würden. Fühlen ist die einzige Lösung für Neurose, eben weil es der einzige Weg ist, Spannung aufzulösen.

Nachdem wir festgestellt haben, daß Fühlen ein Bewußtsein von Empfindungen ist – ein richtiges Bewußtsein –, sehen wir uns der Frage gegenübergestellt, wie viele basale Gefühle es im Menschen überhaupt gibt. In den frühen zwanziger Jahren glaubte man, der Mensch habe drei basale Gefühle, Wut, Angst und Liebe. Später fügten Psychologen Vertrauen, Ablehnung und Ekel hinzu. Andere glaubten, man müsse auch Selbstachtung und Selbstvertrauen dazu-zählen. Ich bin der Auffassung, daß basale menschliche Gefühle jene sind, die endogen – ohne äußere Stimulierung – auftreten, zum Beispiel Hunger und Durst. Jedes endogene Gefühl kreist um ein Bedürfnis. Da ich nicht der Auffassung bin, daß Selbstachtung endogen erwächst, bezeichne ich sie nicht als ein primäres Gefühl.

Ich würde Wut und Angst als sekundäre Gefühle bezeichnen – als Gefühle, die äußerer Stimulierung bedürfen. Sekundäre Gefühle überlagern basale Gefühle und dienen dazu, sie zu blockieren. Zum Beispiel, wenn ein Baby fallengelassen wird. hat es eine Angstreaktion. Die Angst ist Ergebnis der Bedrohung der Sicherheit des Kindes – des basalen Gefühls, sich beschützt und sicher zu fühlen. Der Unterschied zwischen primären und sekundären Gefühlen ist mehr als eine Frage der Semantik. Wut ist im primärtheoretischen Kontext nichts Endogenes. Wut tritt auf, wenn basale Gefühle hintertrieben werden. Wenn wir es in der Primärtherapie dabei beließen, die Ausdrucksweisen von Wut zu erforschen, würden wir das ihr zugrunde liegende basale Bedürfnis vernachlässigen. Wenn unsere Theorie Wut oder Zorn als endogen auffaßte, würden wir uns damit zufriedengeben, daß der Patient seiner Wut Ausdruck verleiht, und würden fälschlicherweise annehmen, ihm damit zu helfen, das Problem zu lösen.

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Nehmen wir ein Beispiel:  

Eine Frau diskutiert in der Primärtherapie, wie ihr Vater sie in jungen Jahren sexuell belästigte. In ihrem Urerlebnis wütet sie gegen ihren Vater. Aber als wir weiter in sie dringen, weicht die Wut einem Bedürfnis – »Warum kannst du nicht mein lieber Papi sein?« schreit sie weinend. Der Grund, warum wir primäre Gefühle von anderen sorgfältig unterscheiden müssen, liegt darin, daß nur das Erleben primärer Gefühle zu lösen vermag.

Vielleicht wird dies verständlich, wenn wir uns die offensichtlich sekundären Gefühle wie Selbstachtung oder Selbstwertgefühle näher anschauen. Wenn ein Patient sich an einen Vorfall erinnert, bei dem er sich unwichtig »fühlte«, gehen wir der Sache grundsätzlich nach und gelangen zu etwas Grundlegendem – nämlich Verletztsein. Wir gelangen zu der Erkenntnis, daß einige dieser sekundären Gefühle im Sinne der Primärtheorie im Grunde gar keine Gefühle sind, sondern geistige Etikette für Verletztsein. Und dieses Verletztsein überdeckt das Bedürfnis. Zum Beispiel: Ein kleines Mädchen muß vor der Klasse ein Gedicht aufsagen. Sie verliert dabei eines ihrer Brillengläser. Die Klasse lacht über sie. Als sie diesen Vorfall wiedererzählt, sagt sie, daß sie sich gedemütigt und unwichtig gefühlt habe. Als sie an das Gefühl dieses Erlebnisses herankommt, beginnt sie zu rufen: »Bitte, tut mir nicht mehr weh!«

Wir haben also folgende Polarität – ein einziges basales Gefühl, das Bedürfnis, unser ganzes Selbst zu erfahren, wozu nur ein entspannter Qrganismus fähig ist, und die ausgleichende Kraft blockierter primärer Gefühle, die Verletzung erzeugen. Wäre Angst endogen, dann müßte, wenn die Blockaden in der Primärtherapie beseitigt werden, reine Angst zum Vorschein kommen. Doch das ist nicht der Fall. Angst verdeckt die basalen Gefühle, zu denen wir gelangen, wenn wir über die Angst hinausgehen. Das jedoch ist ein schwieriges Problem, da Angst abgeblockt sein kann. Zum Beispiel: Ein kleiner Junge hat nachts Angst, und sein Vater sagt ihm, er solle keine Heulsuse sein, er brauche doch nachts kein Licht. In diesem Falle verdeckt die Nachtangst zunächst Primärgefühle, und dann wird selbst diese Angst zurückgedrängt.

Der kleine Junge mag ein neues Gefühl entwickeln, nämlich Stolz. Jedesmal, wenn er Angst zurückdrängt, »fühlt« er sich stolz. Und nun sind Fachleute hergekommen und haben dieses symbolische, abgeleitete Gefühl als etwas Basales bezeichnet – als ein Bedürfnis, sich »stolz« zu fühlen. Aber wenn wir über den Stolz hinaus unmittelbar in das Gefühl hineingehen, entdecken wir, daß es etwas ganz anderes ist. In diesem Falle könnte es sein: »Papi liebt mich, weil ich ihm gezeigt habe, daß ich keine Heulsuse bin.«

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Der unnatürliche Mensch hat seine basalen Gefühle abgeblockt, daher ist es nur logisch, daß er die symbolischen für die realen hält. Der unnatürliche Mensch kann so weit von sich selbst entfernt sein, daß er ein basales Überlebensgefühl wie Hunger nicht mehr fühlt; oder daß er Sexualität oder das Bedürfnis nach Körperkontakt nicht mehr fühlt. Schmerz hat das richtige Bewußtsein körperlicher Empfindungen abgeblockt und dieses Bewußtsein in andere Kanäle umgelenkt. 

Wenn man an wilde Tiere denkt, wird das deutlicher. Muttertiere erzählen ihren Jungen nicht, daß sie wirklich wichtig sind. Sie überzeugen sie nicht, daß sie geliebt werden. Diese Mütter tun einfach, was natürlich ist. Die Jungen sagen sich nicht: »Ich fühle mich geliebt oder ich fühle mich wichtig«. Sie erfahren einfach sich selbst und was um sie herum geschieht. Sie handeln automatisch so, wie sie behandelt wurden. Der Gedanke, daß ein junges Tier, das mit Liebe aufwächst, einen genetisch bedingten Selbstachtungstrieb hat, ist ziemlich lächerlich. Was das Tier wollen wird, ist nicht, »wichtig zu sein«, sondern eher, daß seine Grundbedürfnisse erfüllt werden. Ein Kind, das geliebt wird, Zärtlichkeiten erhält, Ansprache, Zuhörer und Beachtung findet, hat kein Bedürfnis nach Wichtigkeit und fühlt sich nicht »wichtig«. Es fühlt sich selbst, und der Gedanke an »Wichtigkeit« würde ihm gar nicht in den Sinn kommen.

Noch würde es sich »geliebt« fühlen. Es hätte kein Bedürfnis nach einem solchen Begriff. »Liebe« wurde von denen erfunden, die sich ungeliebt fühlten. Liebe wird oft mit Bedürfnis verwechselt, weil bedürfende Menschen sie brauchen. Wenn der Mensch real wird, verringern oder verflüchtigen sich seine sogenannten basalen Gefühle (wie zum Beispiel Wut). Seine Gefühle werden rein und unkompliziert, und dann entdeckt er, wie gering an Zahl die basalen Gefühle des Menschen sind.

Um es zusammenzufassen: Wir alle wehren Schmerz zunächst durch Verdrängung ab – durch einen automatischen Prozeß, der Bewußtsein von körperlichen Prozessen abtrennt. Wir alle unterscheiden uns darin, was wir dann mit der verbleibenden Spannung machen. Einige rauchen, andere trinken, wieder andere stehen unter Redezwang. Spannung hat sowohl willentliche Symptome (Nägelkauen) als auch unwillentliche Symptome (Bettnässen). Das Abwehrverhalten hängt von zwei entscheidenden Faktoren ab: erstens, von dem ihm zugrunde liegenden Gefühl oder Bedürfnis (Saugen bei Rauchen); und zweitens, von dem frühen Milieu. Die Lösung tritt ein, wenn wir die körperlichen Prozesse und korrektes Bewußtsein wieder miteinander vereinen.

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Janov 1972