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    Äußere Stressoren: Was die Mutter in ihren Körper aufnimmt    

 

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Die gegenwärtige Forschung hat die nachteiligen Wirkungen des Rauchens, Trinkens, Medikamenten­gebrauchs und der Mangelernährung auf den wachsenden Fetus eindeutig nachgewiesen. Die Folgen dieser Wirkungen reichen weit — so weit, daß vieles von dem, was uns im späteren Leben geschieht, auf sie zurückgeführt werden kann. Lebenslange Muster werden während der Schwangerschaft in einer Umwelt festgelegt, die niemand sehen kann. 

Eine intrauterine Verletzung wird in die gesamte psychophysiologische Veranlagung inkorporiert, so daß der Säugling sein Leben mit einer Verletzung beginnt. Er paßt sich dieser Verletzung automatisch an, so daß seine späteren übertriebenen Reaktionen als normal erscheinen. Er schreit und wimmert als Säugling vielleicht zu viel, ist als Kind hyperaktiv und muß eventuell als Erwachsener ständig Antihistaminika einnehmen — all das, um Ereignisse zu kompensieren, die vier Monate vor seiner Geburt eintraten.

Das Entscheidende ist, daß jeder schädliche Zustand, der normal — das heißt am häufigsten oder vorherrsch­end — für die Mutter ist, dem Kind als »normales« biologisches Verhalten eingeprägt wird.

Wie? Der Teil des fetalen Nervensystems, der reif genug ist, um zu lernen, ist der Teil, der artspezifische, unver­änder­liche Verhaltens­weisen wie Husten, Würgen, Erbrechen, Niesen, Urinieren und Defäkieren vermittelt. Jeder signifikante Stimulus, der im intrauterinen Milieu des sich entwickelnden Fetus auftritt, wird im Nervensystem registriert und mit einer Permanenz gelernt, die der Permanenz der eben genannten Verhaltensweisen analog ist. So lernt das Kind, daß gewisse Arten von »Umwelten« im Blutstrom der Mutter entweder mit Lust und einem Gefühl des Wohlbefindens oder mit Schmerz und einem Gefühl der Bedrohung assoziiert sind. Es lernt, zum Beispiel, daß die Mutter nur ruhig und entspannt ist, wenn ihr Blutstrom einen gewissen Alkoholspiegel — oder Nikotin-, Morphin- oder Fettspiegel — aufweist.

Der Zustand ist beruhigend für die Mutter und wird dann beruhigend für das Kind. Man spricht in einem solchen Fall von einem zustandsabhängigen Lernen: der Seinszustand der Mutter wird vom Kind gelernt und inkorporiert. Es ist dies eine Art von Lernen, die nichts mit Genen oder Vererbung zu tun hat, sondern nur mit der Umwelt innerhalb des Uterus. 

Deshalb verringert die Mutter nicht nur das Körpergewicht ihres Kindes, wenn sie während der Schwangerschaft raucht oder trinkt; sie kann darüber hinaus Bedingungen festlegen, die vorausbestimmen, ob ihr Kind in der Zukunft Kettenraucher, Alkoholiker oder Drogensüchtiger sein wird oder nicht.

  Anoxie  

Anoxie ist der medizinische Fachausdruck für Sauerstoffmangel (bis zur Erstickung). Sie tritt nicht selten während der Wehen oder der Geburt selbst ein, kann aber auch während der ganzen Schwangerschaft als mögliche Nebenwirkung vieler der in diesem Kapitel besprochenen Stressoren auftreten.

Anoxie kann durch das verursacht werden, was die Mutter in ihr System aufnimmt — durch Nikotin, Drogen oder fette Speisen. Ebenso kann sie verursacht werden durch die innere Verfassung der Mutter — durch das Vorhandensein von Angst, Spannung und Urschmerz. Aber unabhängig von der Ursache hat Anoxie immer dieselben schädlichen Wirkungen.

Ashley Montagu erklärt mit einfachen Worten, wie der Prozeß der Sauerstoffübertragung von der Mutter auf das ungeborene Kind vor sich gehen sollte:

»Der Sauerstoff, der so wichtig ist für das Überleben (des Kindes) und für die normale Entwicklung seines Körpers, erreicht es durch den Blutstrom der Mutter. Ihr Blut, das Sauerstoff­moleküle mitführt, umspült die Hunderttausende von wurzelartigen Zotten, die an der Oberfläche der Plazenta hervorstehen. Die Sauerstoffmoleküle dringen ziemlich langsam durch die Wände der Zotten in die winzigen darin befindlichen Blutgefäße ein. Diese führen zur eigentlichen Plazenta, dann zur Nabelschnur und schließlich zu den Blutgefäßen im Körper des sich entwickelnden Kindes. Die Sauerstoffmoleküle wandern in seinem Blutstrom zu seinem Herzen und werden von dort aus durch den Körper zu allen wachsenden und sich entwickelnden Geweben gepumpt, wo der Sauerstoff benötigt wird, um die Arbeit und die Teilung der Zellen auszuführen.«3

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Alles, was diesen heiklen Prozeß stört, bedroht das Kind. Wie das Kind im Einzelfall geschädigt wird, hängt von der Schwere der Anoxie und von den Wachstumsschüben ab, die es gerade durchmacht. Bekannte Wirkungen der Anoxie sind Gehirnschäden, Gehirnlähmung, Epilepsie, geistige Retardation und möglicherweise der spätere Ausbruch einer Geisteskrankheit.

Manchmal ist der Schaden nicht offen feststellbar. Man weiß heute, daß auch eine schwache Anoxie leichte Formen von Gehirnschäden hervorrufen kann. Spätere Leseschwierigkeiten, Verhaltensprobleme wie Hyperaktivität und leicht beeinträchtigte geistige Fähigkeiten können durch kurze Zeitspannen von Sauerstoffmangel vor oder während der Geburt verursacht werden.

Eine andere mögliche Folge einer leichten Anoxie ist eine verminderte Verdrängungsfähigkeit. Es gibt gewisse Zellen im Limbischen (oder emotionalen) System, die sehr empfindlich auf Sauerstoffmangel reagieren. Diese Zellen haben etwas mit der Verdrängung von Schmerz zu tun. Eine Schädigung des Fetus in diesem Bereich kann viele Jahre lang unbemerkt bleiben, aber sie macht das Individuum empfindlicher für Traumata und verringert seine Fähigkeit, sie zu bewältigen. Das kann einen beinahe unaufhörlichen Angstzustand beim Kind und beim Erwachsenen aufgrund von mangelhaft wirkenden Verdrängungs­mechanismen bedeuten.

Woher kommt das? Es gibt im Gehirn eine Reihe von »Schleusen«, die sowohl neural als auch biochemisch arbeiten, um Schmerz auszuschalten — das heißt: das Bewußtsein des Schmerzes. Einer der Hauptbereiche dieses Schleusungsprozesses ist das Limbische System, das für Erinnerungen zuständig ist. Es speichert Erfahrung und hält sie für eine spätere Integration bereit. Unterdessen wandern emotionale Erinnerungen oder zumindest die aus ihren nichtintegrierten Komponenten stammenden Energien in reverberierenden Kreisläufen in diesem System umher und lassen Erinnerungsaspekte wie Angst, Entsetzen, Wut, Trauer und Spannung aufblitzen, jedoch ohne Zusammenhang.

3)  Aus: Montagu, A., Life Before Birth, Signet Books, New York, S. 48.

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Eine mangelharte Schleusung ist nicht imstande, diese Ausströmungen niederzuhalten, und sie bahnen sich ihren Weg ins Bewußtsein. Wir sehen die Resultate in hartnäckigen Alpträumen, unerklärlichen Ängsten, Phobien und Unruhezuständen. Montagu stellte fest, daß »verschiedene geistig-seelische Störungen viel häufiger bei Individuen, die bei der Geburt eine Anoxie erlitten, nachgewiesen wurden als bei solchen, die ohne Anoxie zur Welt kamen. Der Mechanismus könnte so zu verstehen sein, daß das Zentralnervensystem während seiner Entwicklung durch die Anoxie geschädigt wurde — mit der Folge, daß es in späteren Jahren für die Stresse des Lebens empfänglicher ist«.4

Sehr oft wird der durch pränatale Anoxie entstandene Schaden gar nicht erkannt. Haesslein und Niswander sprechen von...

»... der Häufigkeit, mit der eine unerkannte Hypoxie/Asphyxie während der Schwangerschaft und vor der perinatalen Periode zu einem gewöhnlich unerkannten frühen Gehirnschaden des Fetus führt, der dann einer perinatalen Asphyxie zugeschrieben wird. Die pränatalen Bedingungen in der (schwangeren) Frau, die einen solchen Schaden verursachen könnten, sind oft schwer zu identifizieren und bleiben oft völlig unerkannt.«5

Bei ihrer Untersuchung von fünfundsiebzig Neugeborenen, die während der Geburt an Sauerstoffmangel gelitten hatten, stellten sie fest, daß die Deprivation nicht zu neurologischen Schäden führte, sofern der Fetus nicht schon einer chronischen Notlage im Mutterschoß ausgesetzt war:

»Da eine chronische intrauterine Notlage bei fünf von sechs unserer neurologisch geschädigten Neugeborenen nachgewiesen werden konnte, ist es wahrscheinlich, daß die chronische (fetale) Notlage der hauptsächliche mitverursachende Faktor war.«6

4)  Op. dt., S. 62.
5)  Haesslein, Hanns C. und Niswander, Kenneth R., »Fetal Distress in Term Pregnancies«, in: American Journal of Obstetrics and Gynecology, 137: 245-251, 1980.
6)  Ibid., S. 249.

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Sie stellten fest, daß auch andere Forscher

»... kein erhöhtes Risiko einer Gehirnschädigung bei einer Gruppe von schwer asphyxierten Neugeborenen verglichen mit nicht asphyxierten Neugeborenen beobachteten, sofern die asphyxierten Neugeborenen nicht auch eine intrauterine Wachstumsverzögerung erlitten hatten«.7

Die Bedeutung all dieser Forschungen liegt darin, daß sie zeigen, wie sehr die intrauterinen Bedingungen die Wirkung des Traumas bei der Geburt beeinflussen. Gewiß ist ein Kind, das während der ganzen Schwangerschaft gut mit Sauerstoff versorgt wurde, besser imstande, das Trauma der verminderten Sauerstoffzufuhr zu bewältigen, wenn es während der Wehen und der Geburt eintritt. Es erscheint nur sinnvoll, daß das Trauma kumulativ ist. Ein Nervensystem, das während seiner ganzen Entwicklung reichlich Sauerstoff erhalten hat, ist kräftiger und besser imstande, mit einem Sauerstoffmangel bei der Geburt fertig zu werden als eines, das schon durch neun Monate chronischer Unterversorgung mit Sauerstoff verkümmert und unterentwickelt ist. Das Problematische an diesen Untersuchungen ist jedoch, daß behauptet wird, Kinder könnten den Sauerstoffmangel bei der Geburt unbeschadet überstehen, wenn nur die fetalen Bedingungen zufriedenstellend waren.

Ich bin anderer Meinung:  

Das Erlebnis des Sauerstoffmangels ist immer traumatisch. Der Unterschied liegt nur darin, wie gut das Neugeborene ausgerüstet ist, das Trauma zu bewältigen. Das Ringen um Sauerstoff — das kritische Lebenselement — ist von Natur aus traumatisch. Es könnte auch gar nicht anders sein. Wenn Sie jemals verzweifelt nach Luft geschnappt haben, nachdem Sie zu lange unter Wasser geblieben waren, wissen Sie, wie primär schreckerregend dieses Erlebnis ist. Für das Kind, das darum kämpft, geboren zu werden, ist es noch ungleich schreckerregender, weil es nichts tun kann.

Letzten Endes verhält es sich so: das vorausgegangene Erleben im Schoß kann eine leicht traumatische Geburt in eine schwer traumatische verwandeln und umgekehrt. Aber so günstig die Bedingungen im Schoß auch gewesen sein mögen, das Trauma bei der Geburt ist dennoch traumatisch, es wird dennoch eingeprägt, es spiegelt sich im ganzen System wider und hat Auswirkungen auf allen Bewußts­einsebenen.

Ibid., S. 249.

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Alkohol

Alkohol und Schwangerschaft vertragen sich nicht miteinander. Die FDA warnt nun werdende Mütter vor den Gefahren des Trinkens. Es gibt Anzeichen für etwas, was jetzt das »Fetale Alkohol-Syndrom« (FAS) genannt wird, eine Reihe von abnormalen Entwicklungen beim Fetus und Neugeborenen, die man mit Alkoholmißbrauch durch die Mutter in Verbindung bringt. Diese Entwicklungs­anomalien bilden eine lange Liste: geringes Geburtsgewicht, kleine Kopfgröße, charakteristische faziale Dysmorphologie (abnormale Bildung der Gesichtszüge), intrauterine Wachstums­verzögerung, angeborene Mißbildungen und Anomalien, Beeinträchtigungen des Zentral­nervensystems wie Reizbarkeit und Depressionen in der frühen Kindheit, verzögerte motorische und geistige Entwicklung, Hyperaktivität in der Kindheit und eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Das Fetale Alkohol-Syndrom ist jetzt als die dritthäufigste Ursache für Geistesschwäche bekannt.8

Die Folgen sind so schwerwiegend, daß das Research Society on Alcoholism Executive Committee im Oktober 1979 die folgende Erklärung über das Fetale Alkohol-Syndrom veröffentlichte:

»Beobachtungen an menschlichen Babys und experimentell behandelten Tieren haben klar gezeigt, daß starkes Trinken der Mutter ihr ungeborenes Kind schwer schädigen kann. Wir kennen nicht das genaue Ausmaß oder den genauen Zeitpunkt des Trinkens, die diese Wirkungen verursachen. Wir können nicht sagen, ob es eine unschädliche Menge an Alkoholgenuß oder einen unschäd­lichen Zeitpunkt während der Schwangerschaft gibt. Wir wissen aber, daß starkes Trinken schädlich sein kann. Frauen sollten daher bezüglich des Trinkens während der Schwangerschaft, und wenn die Möglichkeit einer Schwangerschaft besteht, besonders vorsichtig sein.«9

8  Clarren, S. K. und Smith, D. W., »The Fetal Alcohol Syndrome«, in: New England Journal of Medicine, 298, 1978: 1063.

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Nachgewiesene oder korrelierte Wirkungen von mangelhafter Ernährung, Trinken und Drogengebrauch auf den sich entwickelnden Fetus und das Neugeborene:

  1. Alkohol
     Fetales Alkohol-Syndrom: Geburtsfehler; Faziale Dysmorphologie; Intrauterine Wachstums­verzögerung; Verringertes Geburtsgewicht; Geistige Retardation; Schäden des Nervensystems; Krebs im Säuglingsalter; Spontaner Abortus

  2. Koffein
      Geburtsfehler; Erhöhter Hormonausstoß

  3. Drogen
      Anoxie (Sauerstoffmangel); Gehirnschäden; Pränatale Süchtigkeit; Postnatale chronische Lethargie

  4. Mangelernährung
      Adrenalinüberschuß; Glukosemangel; Verringertes Geburtsgewicht; Geistige Retardation; Prädisposition für Anorexia nervosa (Magersucht); Frühgeburt; Reduzierte Anzahl von Gehirnzellen

  5. Nikotin
      Anoxie; Verengung der Blutgefäße; Intrauterine Wachstumsverzögerung;
    Verringertes Geburtsgewicht; Prädisposition für Nikotin; Frühgeburt; Totgeburt; Intoxikation

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Es ist heute keine Frage mehr, daß Alkohol das allgemeine Wachstum und die körperliche Entwicklung des Fetus verzögert. Man weiß, zum Beispiel, daß er das Gehirngewicht des Fetus verringert und daß er, was kaum überrascht, das Zerebellum verändert, das für Gleichgewicht und motorische Koordination zuständig ist. Was Alkohol beim Erwachsenen bewirkt, prägt er dem Fetus ein: Gleichgewicht und Koordination können für immer verändert werden, weil die betreffende Gehirnstruktur selbst durch Alkohol bleibend verändert wird.

Wie die Schädigung auf der Ebene der Gewebe und Zellen genau vor sich geht, war bisher nicht klar. Nun haben James R. West und seine Kollegen am University of Iowa College of Medicine einen möglichen Mechanismus entdeckt.10 Durch Experimente mit Mäusen stellten sie fest, daß Alkohol die Nervenfasern des Hippokampus einer Gehirnstruktur, die für Erinnerung, Lernen und Empfinden zuständig ist drastisch verändert. West und sein Team kamen zu dem Schluß, daß solche Nervenanomalien im Hippokampus für die auffälligeren Abnormitäten des Zentralnervensystems verantwortlich sein könnten, wie sie bei Kindern auftreten, die während der Schwangerschaft dem Alkoholgenuß ihrer Mutter ausgesetzt sind.

Die Forschung bringt auch verschiedene Arten von Krebs im Säuglingsalter mit dem Fetalen Alkohol-Syndrom in Verbindung. Kinney und andere11 entdeckten Nebennierenkrebs bei einem Säugling, dessen Mutter während der ganzen Schwangerschaft stark getrunken hatte. Der Säugling starb im Alter von drei Monaten.

 

9)  Zitiert in; »A Clinical Perspective of the Fetal Alcohol Syndrome«, Leitartikel in:  Alcoholism: Clinical und Experimental Research, Bd. 4, No. 2, (April) 1980, S. 121.
10)  West, Nornes, Barnes, und Bronfenbrenner, »The Cells of Origin of the Commisural Afferents to the Area Dentata in the Mouse«, in: Brain Research, 160(2): 203, 15. Jan. 1979.
11)  Kinney, Hannah, Faix, Roger und Braze, Jane, »The Fetal Alcohol Syndrome and Neuroblastoma«, in: Pediatrics, Bd. 66, No. l, Juli 1980, S. 131-133.

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Während es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht genug Beweise dafür gibt, daß das Fetale Alkohol-Syndrom Krebs im Säuglingsalter verursacht, folgerten die Forscher, daß ihr Fall zusammen mit anderen in der Literatur beschriebenen Fällen12 »eine mögliche Beziehung zwischen dem Alkohol­mißbrauch der Mutter während der Schwangerschaft und Neoplasie (Bildung von Geschwulsten) beim Kind nahelegt. In der Zukunft würde die klinische und pathologische Dokumentation von Krebs bei Patienten im Säuglingsalter mit Fetalem Alkohol-Syndrom dazu beitragen, die Rolle des Alkohols als fetales Karzinogen zu klären.«13

Das alles bedeutet letzten Endes, daß intrauteriner Streß in Form von alkoholischen Toxinen Krebs bei Säuglingen verursachen kann. Es könnte aber auch die Möglichkeit andeuten, daß mäßigere Alkoholmengen, die während der Schwangerschaft genossen werden, mit einer späteren Krebserkrankung im Erwachsenenalter in Verbindung stehen.

 

Eine weitere Beziehung zwischen Krebs und Alkohol wurde mit der Entdeckung der Anwesenheit eines Aflatoxin genannten Giftes im Alkohol festgestellt. Nach dem Gewicht gerechnet, ist Aflatoxin eines der stärksten Karzinogene, die wir kennen. Es entwickelt sich im Korn, das in Speichern ohne Klimaanlage gelagert wird. Das Korn wird feucht und beginnt zu schimmeln. Da der Schimmel das Korn für sein Wachstum benötigt, scheidet er zwei Arten von Aflatoxin in das Korn aus. Vor mehreren Jahren wies ein Wissenschaftler darauf hin, daß die in den USA auf dem Markt befindlichen zehn führenden Alkoholmarken signifikante Mengen von Aflatoxin enthielten. Aflatoxin verursacht Leberkrebs bei allen Wirbeltieren — von der Forelle bis zum Menschen —, an denen es bisher getestet wurde, und es kann Krebs schon in Mengen hervorrufen, die in Pikogramm, daß heißt billionstel Gramm, gemessen werden.

Daher setzt die trinkende Mutter sich und ihr Kind zusätzlich zu den von Natur aus schädlichen Bestand­teilen des Alkohols auch noch einem weiteren, hochgradig karzinogenen Gift aus: einem Gift, das ein ungeborenes Kind tatsächlich für eine tödliche Krebserkrankung in der Kindheit prädisponiert.

 

12  Hornstein, L., Crowe, C. und Gruppe, R., »Adrenal Cardnoma in a Child with History of Fetal Alcohol Syndrome«, in: Lancet 2: 1292, 1977.
13  Kinney, op. cit., S. 132.

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In einer Studie von Sokol und seinem Team14 wurde festgestellt, daß Alkoholmißbrauch während der Schwangerschaft einen Risikofaktor für ein »ungünstiges perinatales Ergebnis« von 50 Prozent ergab. Das heißt, daß das Kind einer Trinkerin eine Chance von nur 50 Prozent hat, normal geboren zu werden — frei von den mit dem Fetalen Alkohol-Syndrom verbundenen Dysfunktionen und Mißbildungen. Mit anderen Worten, das Kind einer Trinkerin muß sein Leben mit einer Chance von 1:1 beginnen.

Ein weiteres Ergebnis dieser Studie war, daß die Mutter, die trinkt und raucht, die Gefahren für ihr Kind vervierfacht: »... Alkoholmißbrauch und Zigarettenrauchen schienen unabhängig voneinander zu einer intrauterinen Wachstums­verzögerung beizutragen, wobei jedes die Gefahr der Geburt eines für sein Schwangerschaftsalter zu kleinen Kindes ungefähr verdoppelte ... Bei der laufenden Studie schienen sich die Wirkungen des Alkohol­mißbrauchs und des Zigarettenrauchens auf die intrauterine Wachstums­verzögerung zu addieren, so daß sie zusammen das Risiko etwa vervierfachten.«15

Sie schlossen mit der Annahme, daß das, was man derzeit über das Fetale Alkohol-Syndrom weiß, erst »die Spitze des Eisbergs« ist.

Das National Institute of Alcohol Abuse and Alcoholism führte unlängst eine gründliche Umfrage über die wissenschaftliche Forschung bezüglich des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft durch. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Umfrage, so wie sie im November 1980 dem Kongreß vorgelegt wurden, waren16:

1. Schwangere Frauen, die nur 28 Gramm Alkohol zweimal wöchentlich trinken, zeigen eine erhöhte Neigung zu Fehlgeburten.

2. Ein Alkoholkonsum von 85 bis 115 Gramm pro Tag trägt zu Geburtsfehlern bei.

3. Übermäßiges Trinken führt zum Fetalen Alkohol-Syndrom mit geistiger Retardation, Wachstumsverzögerungen, abnormaler Gesichtsbildung, Erkrankungen des Herzens und anderer Organe und Störungen des Zentralnervensystems.

4. Alkohol dringt schließlich in die Muttermilch ein und wird dem Säugling beim Stillen eingeflößt — eine weitere mögliche eingeprägte Assoziation zwischen Ruhe (lies: Liebe) und Alkohol.

 

14  Sokol, Robert J., Miller, Sheldon I. und Reed, George, »Alcohol Abuse During Pregnancy: An Epidemiologie Study«, in: Alcoholism: Clinical and Experimental Research, Bd. 4(2), April 1980.
15  Ibid., S. 144.
16  Laut Interview mit John Deluca, dem Leiter des genannten Instituts, in der International Herold Tribüne, 20. Juli 1981.

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Unter der »Spitze des Eisbergs« kommen die langfristigen Folgen, deren harmloseste noch eine Prädisposition für Alkoholismus sein kann, und zwar aus denselben Gründen wie beim Rauchen. Viele Alkoholiker sagen, daß sie sich nicht gesund fühlen, solange sie nicht eine gewisse Menge getrunken haben.

Vielleicht ist deshalb die Behandlung des Alkoholismus so erfolglos, und vielleicht fordern deshalb die meisten konventionellen Behandlungen, wenn sie »Erfolg« haben, daß der Geheilte nie wieder auch nur einen Tropfen Alkohol anrührt. Es scheint so zu sein, daß jede Rückkehr zum Alkohol eine sehr frühe Erinnerung wiedererweckt, die den Zwang von neuem auslöst. Patienten in der Primärtherapie, die Alkoholiker waren, sind imstande, gelegentlich mäßig zu trinken, gewöhnlich aber erst, nachdem ein gut Teil von sehr frühem Trauma der ersten Ebene wiedererlebt worden ist. Die Ausrottung der Wurzel des Zwangs — und ein Zwang ist es — schaltet die dahinterstehende Kraft aus und erlaubt es dem Menschen, Alkohol zu kosten, ohne weitertrinken zu müssen, um den ganzen Urschmerz auszulöschen, der vom ersten Glas heraufbeschworen wurde. Auch hier wieder weckt das erste Glas eine starke Erinnerung. Das ist das Kernproblem. Schmerz auszulöschen tut gut, daher tut Trinken gut.

 

Koffein

Koffein ist ein Stimulans und kann daher ein Stressor sein. Es beschleunigt das System der Mutter, bürdet ihm eine zusätzliche Last auf und beeinflußt den Fetus wahrscheinlich auf zellularer Ebene. Im August 1980 ließ die U.S. Food and Drug Administration eine Warnung an schwangere Frauen ergehen, die den Kaffee­konsum betraf. Sie berichtete, daß Koffein (die hauptsächliche wirksame Substanz im Kaffee), das Tieren zwangsweise eingegeben wurde, zu einem viel häufigeren Auftreten von Mißbildungen bei den Nachkommen führte.

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Einige Tassen Kaffee täglich beschleunigen den Herzschlag der Mutter und lösen einen allgemeinen Erregungs­zustand aus. Wenn das geschieht, während der Fetus sein Nervensystem und seinen Hormon­ausstoß organisiert, kann es zu einem veränderten »Einstellpunkt« auf den Aktivierungsebenen des Fetus kommen, das heißt zu einer Tendenz zu höheren Sekretionen aktivierender Hormone und zu einem beschleunigten Stoffwechsel. Als Einprägung kann das zu Hyperaktivität des Kindes bei der Geburt und in der Kindheit führen. Dazu kommt eine Hypermotilität — eine Beschleunigung gewisser Körpervorgänge — mit dem Endresultat einer Erkrankung.

Die allgemeine Persönlichkeitsentwicklung kann die eines Menschen sein, der ständig »im Trab« ist, der sein Leben in ein hektisches Tempo hineinmanövriert, um, unbewußt, seinen hektischen Stoffwechsel zu rationalisieren. Wichtiger noch ist, daß ein »Hyper«-Zustand, der so früh in der Embryonalentwicklung erlebt wird, dafür bestimmend sein kann, wie die Reaktion auf den Geburtsvorgang verläuft, und diese verstärkt ihrerseits die eingeprägten Persönlichkeitstendenzen. So wird, zum Beispiel, das »Hyper«-Baby bei der Geburt härter kämpfen, um herauszukommen, und das wiederum macht Aggression und Selbstbehauptung zur primären Tendenz gegenüber Hindernissen und Widerständen im späteren Leben. Mit größter Wahrscheinlichkeit kommt das daher, daß der Hypothalamus (die alte Struktur, die Reaktivität reguliert) und das retikuläre Aktivierungssystem schon sehr früh ausgebildet werden.

Jede künstliche Substanz, die häufig genug und in hinlänglich hohen Dosen genommen wird, kann zellulare Veränderungen beim Fetus bewirken und Bedingungen für spätere Krankheiten schaffen, die in der Adoleszenz oder im Erwachsenenalter plötzlich und auf unerklärliche Weise auftreten. Die Wirkungen von in der Kindheit angehäuftem Streß können dann den letzten Ausschlag geben und das System in eine schwere Krankheit stürzen.

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Medikamente und Rauschgifte

 

Alle Drogen sind imstande, von der Mutter durch die Plazenta in den Körper des Kindes zu gelangen. Sie sind besonders gefährlich für das ungeborene Kind. Erstens, weil sie auf der Basis des Körpergewichts eines Erwachsenen verschrieben werden: eine Dosierung, die für eine 130 Pfund schwere Frau angemessen ist, kann kaum für einen drei Pfund schweren Fetus richtig sein. Zweitens, weil Medikamente voll entwickelte Systeme erfordern, um abgebaut zu werden. Die Leber des Erwachsenen produziert Enzyme, die chemische Veränderungen der Medikamente bewirken, so daß sie in den Blutstrom aufgenommen werden können. Die Leber des ungeborenen Kindes kann diese Enzyme noch nicht bilden, so daß das Medikament in seinem System unverändert bleibt und auf das Kind eine völlig andere Wirkung hat als auf die Mutter.

Ein tragisches Beispiel dafür erlebte man in den sechziger Jahren mit der Contergan-Katastrophe. 

Contergan war eine hochwirksame Schlaftablette. Sie war an Tieren getestet worden und hatte keine schädlichen Wirkungen gezeigt. Besonders angenehm für Schwangere war, daß sie die Übelkeit und das Erbrechen im Frühstadium der Schwangerschaft milderte. Sie war zudem billig und wurde in Europa und Asien sogar rezeptfrei verkauft. (In den USA war sie nicht im Handel, weil sie den Normen der FDA nicht entsprach.) 

Schließlich entdeckte man, daß Contergan — das für die Schwangere so wirksam war — einen schweren und seltenen Geburtsfehler verursachte, den man als Phokomelie oder Phokomelus bezeichnet: die Mißbildung oder das völlige Fehlen der Arm- und Beinknochen.

Es ist immer schwierig gewesen, durch Medikamente verursachte Schäden als solche zu erkennen, da sie in vielen Fällen erst nach Jahren sichtbar werden — und dann gewöhnlich nicht mit der wahren Ursache in Verbindung gebracht werden. Eine schwache Niere, die sich bei einem 35jährigen Erwachsenen bemerkbar macht, kann schon im Mutterschoß durch Medikamente geschädigt worden sein.

Anoxie ist ebenfalls eine übliche Nebenwirkung von Medikamenten. Die meisten Medikamente reduzieren die Sauerstoffmenge im Blutstrom der Mutter und dämpfen ihre Atmung. Eine Schwangere, die Tranquilizer oder schmerzstillende Mittel (einschließlich Barbituraten und Schlaftabletten) nimmt, reduziert den Zustrom von Sauerstoff zu ihrem Kind. Tatsächlich haben Wissenschaftler festgestellt, daß Medikamente, die »Seelenfrieden« herbeiführen, für den Fetus alles andere als friedvoll sein können.

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Eine Studie an der University of Rochester zeigte eine langanhaltende Lethargie bei den Nachkommen von mit Tranquilizern behandelten Muttertieren. Die jungen Tiere waren nach der Geburt teilnahmslos und hatten ein niedriges Energieniveau. Die Wissenschaftler sahen eine mögliche Ursache in einer Gehirnschädigung, denn sie hatten nicht die geringste Spur des Tranquilizers (Valium) in den neugeborenen Tieren finden können. Er hatte offensichtlich ihre Gehirnfunktionen dauerhaft beeinträchtigt.

Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft heroinsüchtig sind, werden als Rauschgiftsüchtige geboren. Sie müssen nach der Geburt durch die Verabreichung anderer Drogen von ihrer Sucht geheilt werden. Wenn eine stillende Mutter nach der Geburt ihres Kindes zu Heroin greift, erscheint das Rauschgift in der Muttermilch und wird an das Kind weitergegeben, das beim Abstillen Entzugs­erscheinungen zeigt. Rauschgiftsucht und Neurose sind nicht weit voneinander entfernt. Beide dienen dazu, Urschmerz abzustumpfen; beide ändern das System chemisch und biologisch, beide sind eine Sucht — man beobachte einen Neurotiker, der seine Abwehren aufzugeben versucht, um zu sehen, wie sich ein »Entzug« der Neurose auswirkt —, und beide werden weitergegeben.

Drogenabhängigkeit ist in Wirklichkeit nur eine Manifestation von Neurose. Drogengebrauch und Neurose sind nicht zwei getrennte Dinge. Eine Schwangere, die Medikamente — auch nur leichte Sedativa — nimmt, schädigt ihr Kind wahrscheinlich in zweifacher Hinsicht: durch die Wirkung des Medikaments selbst und durch die Wirkung des Urschmerzes, den sie mit dem Medikament zu betäuben versucht.

 

Mangelernährung

Mangelernährung kann von Anorexia nervosa oder Magersucht bis zu Fettleibigkeit so ziemlich alles bedeuten: zu viel essen, zu wenig essen, zu viel Fett, zu wenig Eiweiß essen ..... Die Wirkung der Mangelernährung der Mutter auf das sich entwickelnde Kind ist tiefgehend. Sie kann sogar der wichtigste Faktor für die Entwicklung des Fetus sein.

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Eine Studie nach der anderen hat gezeigt, daß richtig ernährte Frauen gesündere Kinder gebären, weniger anfällig für Frühgeburten sind, kürzere Wehen und keine Fehl- oder Totgeburten haben. Eine gute und gut ausgewogene Kost ist wesentlich, und je länger die Mutter selbst richtig ernährt wurde, desto besser ist es für das Kind. Auch wenn der Mutter keine Mangelerscheinungen oder Krankheiten durch schlechte Ernährung anzumerken sind, besteht die Möglichkeit, daß der Fetus leidet. Mütter mit einem Eisenmangel, die »klinisch« nicht als anämisch eingestuft werden, können dennoch anämische Kinder zur Welt bringen.

»Reagiert« der Fetus auf das, was die Mutter ißt? In einem gewissen Sinne, ja. Der Fetus macht während des letzten Drittels der Schwangerschaft Schluckbewegungen und schluckt auch tatsächlich etwas Flüssigkeit. Seine Geschmacksknospen scheinen schon im Uterus recht gut entwickelt zu sein: eine Änderung des Geschmacks des Fruchtwassers ruft Grimassen als Reaktion hervor. Man hat bei mangelhaft ernährten Fetussen weniger Schluckbewegungen festgestellt als bei solchen, deren Mütter gut ernährt sind. Es scheint, daß unser allgemeiner Appetit und unser Eßverhalten schon während der Schwangerschaft eingeprägt werden.

Eine Studie von R. A. McCance und E. M. Widdowson17 zeigte, daß jeder wachsende Organismus für Veränderungen der Ernährung empfindlich ist. Ist die Ernährung beispielsweise bei Ratten unzulänglich, so ergeben sich »dauerhafte Folgen«, wenn das Trauma während kritischer Wachstumsperioden auftritt.

Ein Forschungsteam an der UCLA demonstrierte, daß trächtige Ratten unter Protein-Entzug Nachkommen mit einer reduzierten Anzahl von Gehirnzellen hatten. Außerdem entwickelten die schlecht ernährten Muttertiere gewöhnlich eine kleinere und leichtere Plazenta als die gut genährten. Umgekehrt brachten trächtige Kaninchen mit einer gut ernährten Plazenta häufiger Junge zur Welt, die mehr als die normale Anzahl von Gehirnzellen hatten.

17  R. A. McCance und E. M. Widdowson, »Thc Determinants of Growth and Form«, in: Proceedings of the Royal Society of London, 1974, Serie B: Biological Sciences, 185: 1-17.

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Beim Menschen konnte festgestellt werden, daß eine Ergänzung der Ernährung von Frauen mit niedrigem Einkommen (die gewöhnlich nicht alles essen, was für eine gesunde Schwangerschaft nötig ist) zu einem erhöhten Geburtsgewicht ihrer männlichen Kinder führte. Man nimmt an, das kommt daher, daß der männliche Fetus gegen Ende der Schwangerschaft rascher wächst als der weibliche und daher für externe Umstände empfänglicher ist.18

Eine Studie, die an der University of Manchester, England, durchgeführt wurde, ergab, daß trächtige Ratten, die man einer nur leichten Mangelernährung während der Zeit aussetzte, in der sich das Zerebellum entwickelt. Nachkommen mit einer geringeren Anzahl von Gehirnzellen in diesem Bereich hatten. Das übrige Gehirn, vor allem die Hirnrinde, die sich langsamer entwickelt, zeigte ein weniger stark ausgeprägtes Neuronendefizit.

Gewisse Arten von geistiger Retardation lassen sich ebenfalls mit Mangelernährung in Verbindung bringen. Man hat, zum Beispiel, festgestellt, daß retardierte Kinder ein geringeres Geburtsgewicht hatten als andere, obwohl sie voll ausgetragen waren. Es ist daher anzunehmen, daß sich eine gewisse Art von Mangelernährung auf die Gehirnentwicklung auswirkt und buchstäblich das Wachstum verzögert und reduziert. Ein anderes wichtiges Forschungsergebnis, vor allem bei Tierstudien, ist die Entdeckung, daß die Mangelernährung der Mutter nicht nur auf ihr Kind übergreift, sondern auch noch auf dessen Kind. Die Kinder mangelhaft ernährter Mütter sind kleiner und weniger gut entwickelt und haben ihrerseits Kinder, die kleiner und weniger gut entwickelt sind.

Mangelernährung wird gewöhnlich mit Armut und Unwissenheit assoziiert. Aber sie hat in den Vereinigten Staaten (und anderen Ländern) auch noch eine andere Genese, nämlich die extremen und ausgefallenen Diäten allzu gewichtsbewußter Frauen. Schwangere, die eine ausgefallene Diät einhalten, hungern ihre Kinder buchstäblich aus. Wenn die Mutter während der Schwangerschaft weniger als rund 14 Pfund zunimmt, besteht eine weit größere Gefahr, daß sie ein gehirngeschädigtes Kind zur Welt bringt.

18  Mora, Jose, Sanchez, Ricardo, De Paredes, Belen und Herrera, Guillermo, »Sex Related Effects of Nutritional Supplementation During Pregnancy on Fetal Growth«, in: Early Human Development, 5, S. 243-251, No. Holland Biomedical Press (Februar 1981).

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Daß der Fetus durch eine diätbewußte Mutter ausgehungert wird, ist ein Erlebnis wie jedes andere soziale Erlebnis, das er später außerhalb des Schoßes haben wird. Der Fetus »lernt« etwas darüber, wie seine Mutter ihm gegenüber empfindet — und die allgemeine Botschaft lautet Hungern, das heißt Deprivation, Mangel, Vorenthaltung. Hungern ist eine Erinnerung, auf die man für den Rest des Lebens reagiert, obwohl es keine bewußte Rückerinnerung an das Trauma gibt. Tatsächlich berichten Patienten während früher, nichtverbaler Primais von unerklärlichen Empfindungen im Magen, oft ohne sich dessen bewußt zu sein, daß es Empfindungen fetalen Hungers sind.

Die Erinnerung kann einen dazu verleiten, später beim geringsten Hungergefühl gefräßig zu essen, um das Feeling des Hungers fernzuhalten (ein Feeling, das oft noch verstärkt wird durch Hungern im Säuglingsalter aufgrund einer Ernährung nach einem genauen Zeitplan), oder sie kann ein prototypisches Muster von Essen und Erbrechen entstehen lassen, um die ursprüngliche Einprägung beizubehalten — Füllen und Entleeren in einem Ritual, das Jahre andauert. Das wirkliche Feeling ist Hunger, und in dem Augenblick, in dem ein Völlegefühl eintritt, kommt es zum Erbrechen.

Anorexia nervosa ist der medizinische Fachausdruck für ein selbstauferlegtes Hungern. Man findet sie beinahe ausschließlich bei jungen Mädchen und Frauen. Ein schwerer Appetitverlust führt zu schweren und manchmal sogar tödlichen Gewichtsverlusten. Freudsche Deutungen für die Ursache der Anorexie sind weit verbreitet: das junge Mädchen ängstigt sich vor seiner erwachenden Sexualität oder reagiert auf inzestuöse Gefühle für den Vater. Es gibt aber auch weniger Freudsche Deutungen: das Opfer schreit nach Beachtung oder hat das Gefühl, keine Identität zu besitzen. Das Mädchen bringt daher seinen Körper durch Hungern buchstäblich zum Verschwinden.

Wir haben jedoch festgestellt, daß die Anorexie lange vor dem sogenannten Ödipuskomplex oder den Identitätskrisen beginnen kann — sie kann tatsächlich während des neunmonatigen Alptraums im Schoß beginnen. Eine Patientin schrieb:

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»Meine Mutter wollte mich nicht. Sie versuchte, mich abzutreiben. Als das nicht ging, hungerte sie sieben Monate lang, um nicht schwanger auszusehen. Sie fing schließlich während ihres (meines) siebenten Monats zu essen an, weil ihr Zustand nicht mehr zu verbergen war. Als ich geboren wurde, war ich anorexisch. Ich konnte nichts unten behalten. Ich habe jetzt das Gefühl, daß ich mich am Rand des Verhungerns halte, und dann esse ich schließlich etwas, weil ich dieses Gefühl von Anfang an hatte.«

Ihr Kampf darum, im Mutterschoß auch nur die elementarste Nahrung zu bekommen, führte zu einem lebenslangen Kampf, um jeden Preis die elementarste emotionale Nahrung zu erhalten:

»Ich bin eine Kämpferin. Ich lasse Menschen nicht los, auch wenn ich weiß, daß sie mich nicht mögen. Ich kämpfe ums Überleben, auch wenn das bedeutet, um jeden Preis bei der Person zu bleiben, bei der ich bin, so daß ich mich sicher fühle. Ich erkenne jetzt, warum ich immer in jemanden verliebt bin, um den ich wirklich kämpfen mußte; wo ich versuche und versuche und versuche bis zum Ende und dann aufhöre, aufgebe und mich füge.«

Während der Schwangerschaft nicht zu essen, beeinträchtigt nicht nur die körperliche Entwicklung des Kindes. Es ist eine Art, das Kind abzulehnen, Liebe zu verweigern während der Zeit, in der sie am meisten gebraucht wird. Und die Nichterfüllung jedes Bedürfnisses haftet in der Erinnerung.

Eine andere Patientin, die in utero einer Toxämie ausgesetzt war, erlebte als Folge ihr Leben lang Anorexie und Selbstmord­gefühle:

»Ich bin in meinem ganzen Erwachsenenleben anorexisch gewesen und habe gerade herausgefunden, woher das alles kommt. Wenn ich so darüber nachdenke, waren wirklich alle meine vegetativen Funktionen die meiste Zeit nicht in Ordnung. Ich habe Schwierigkeiten mit dem Schlafen, Schwierigkeiten beim Geschlechtsverkehr, Schwierigkeiten, Essen im Magen zu behalten, Schwierigkeiten mit dem Stuhlgang. Die Feelings, die ich jetzt durchgemacht habe, haben mir geholfen, alle diese Probleme auf einmal zu klären.

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Bevor ich geboren wurde, hatte meine Mutter ein Kind im fünften Monat verloren. Sie war toxisch geworden und hatte den Fetus vergiftet. Dasselbe passierte ihr auch mit mir, nur war ich sogar als Fetus irgendwie stark genug, um zu überleben. Heute fühlte ich die gleiche Toxizität und damit die Todesfeelings, die mich mein ganzes Leben lang gequält haben.

Ich habe immer ein leichtes Gefühl der Übelkeit gehabt, besonders unmittelbar nach dem Essen, so daß ich den Impuls hatte, alles, was in meinen Körper kam, zu erbrechen. Ich sehe jetzt, daß ich dieses Vergiftungserlebnis im Schoß wieder agierte. Ich muß im Schoß den Impuls gehabt haben, mich zu erbrechen, um am Leben zu bleiben — und vielleicht war es sogar dieser Impuls oder eine primitive Spielart davon, der mich tatsächlich am Leben erhielt. Aber dieser Impuls brachte mich später beinahe um, als ich anfing, so viel Gewicht zu verlieren.

Immer wenn ich in einer Streß-Situation oder verwundbar bin, kommen dieselben frühen Todesgefühle herauf, und mein Körper muß sie niederhalten. Im Schlaf sinke ich auf eine Bewußtseinsebene ab, welche die eines Babys zu sein scheint; die Folge davon ist, daß ich verängstigt bin und Mühe habe, überhaupt einzuschlafen. Beim Geschlechtsverkehr bin ich verwundbar, deshalb schalte ich einfach ab, wenn ich zu erregt werde. Ich glaube, das Problem ist, tief zu fühlen — es scheint dieses frühe Trauma wieder heraufzubringen.

Mein Leben ist ein lebendiger Tod gewesen, weil ich so nahe bei diesen frühen Todesgefühlen im Schoß gelebt habe. Ich bin jahrelang dem Selbstmord nahe gewesen, dachte ständig daran, und jetzt ist mir klar, warum. Schon bevor ich geboren wurde, war ich vom Tod umgeben und mußte ihn abwehren!

Ich hielt mich mit meiner Anorexie dem Tode nah oder blieb jedenfalls diesem Todesgefühl nah. Die Niederdrückung dieses Traumas bewirkte auch eine Verstopfung. Ich weiß es deshalb, weil ich jetzt nicht mehr verstopft bin. Keiner meiner Körpervorgänge funktionierte richtig, weil mein Körper immer das Todesgefühl in sich gefangenhielt. Es mußte etwas gegen diese Todesgefühle getan werden, bevor mein Körper wieder arbeiten konnte.

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Ich hielt mich in der Therapie an dasselbe Muster, meine Feelings zu blockieren. Wenn Feelings aufkamen, war ich überwältigt, ich unterdrückte das Feeling, mit dem ich in der Gegenwart zu tun hatte, und versuchte irgendwie, die ganze in mir aufgestaute Energie abzureagieren oder freizusetzen. Ich wurde immer als »hysterisch« betrachtet. Ich konnte mich auf kein bestimmtes Gefühl konzentrieren, weil ich einen Vulkan in mir hatte, mit dem ich fertig werden mußte. Ich sehe jetzt, daß der Tod in meinem Denken an höchster Stelle stand, weil er in Wirklichkeit am tiefsten war — er war wirklich so tief in meinem Geist begraben. Er quoll die meiste Zeit meines Lebens herauf, deshalb ist es kein Wunder, daß mir immer übel war. Ich hatte eine Einprägung von Toxizität, bevor ich geboren wurde, und ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, sie zu überwinden!«

*

Wenn eine Schwangere chronisch unterernährt ist, scheiden ihre Nebennieren fortwährend mehr Adrenalin als normal aus, weil zusätzlich Adrenalin gebraucht wird, um ihr eigenes Körperfett in Blutzucker zu verwandeln. Der Fetus steht damit ständig unter einem erhöhten Adrenalinspiegel, der von seinem Nervensystem als der normale Spiegel registriert werden kann. Später im Leben wird sich dann dieser Mensch nicht normal fühlen, wenn er nicht einen Adrenalinüberschuß hat. Ein bestimmter biologischer Zustand — in diesem Fall ein Zustand des Adrenalinüberschusses — wird als Norm etabliert.

Wenn umgekehrt eine Frau während der Schwangerschaft zu viel ißt, um ihren eigenen Urschmerz zu unterdrücken, kann ein hoher Fettspiegel im Blut mit emotionaler Ruhe und Wohlbefinden assoziiert werden — das, wie das Kind aufgrund seiner intrauterinen Erlebnisse lernt, mit dem Genuß großer Mengen von Fett verbunden ist. Das kann einen Menschen später zur Fettleibigkeit oder zu einem Verlangen nach fettreicher Kost verleiten, weil durch zustandsabhängiges Lernen die fettreiche Kost mit einem Gefühl des Wohlbefindens assoziiert wurde. Was wie Vererbung von der Mutter auf das Kind aussieht, ist einfach das Ergebnis gemeinsamer früher Erlebnisse.

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Die Rolle des Fetts als schmerzbetäubendes Mittel ist nicht allgemein bekannt. 

Fettgenuß ist, medizinisch gesehen, eine Beleidigung für den Körper, und zwar unabhängig vom Körpergewicht. Der Körper reagiert auf das Eindringen von Fett ins Blut wie auf einen Notfall und wehrt sich dagegen. Ich glaube, ein Teil dieses Abwehrprozesses führt zur Freisetzung von Endorphinen. Das wäre eine gute Erklärung dafür, daß Menschen in Spannungs- und Angstzuständen Eis essen und sich dann ruhiger fühlen. Warum ist der Genuß von Speiseeis für das Kind in utero relevant? Weil die Aufnahme von Fett den Blutstrom in den Kapillarien um 50 bis 60 Prozent reduziert. Das Kind bekommt also um 50 bis 60 Prozent weniger Blut, während die Mutter Eis ißt und verdaut.

Fett im Blut verursacht auch eine Verringerung der Versorgung der Zellen mit Glukose. Wie? Fett beeinträchtigt die Wirkung von Insulin, der Substanz, die Glukose aus dem Blutstrom in die Zellen bringt. Glukose ist wichtig für die Aufrechterhaltung des Zellstoffwechsels. Wenn eine werdende Mutter Fett ißt, arbeitet ihr Insulin weniger wirksam, und es muß mehr davon ausgeschieden werden, um die Glukose aus dem Blut in die Zellen zu befördern. Wird aber mehr Insulin ausgeschieden, als normal wäre, so entwickelt sich automatisch eine reaktive Hypoglykämie. Alles geht gut in den ersten zwanzig bis vierzig Minuten nach dem Essen, während das Insulin den Glukosespiegel im Blut senkt, indem es den Zucker in die Zellen befördert. Problematisch wird es, erst dann wenn das zusätzliche Insulin zur Wirkung kommt und den Blutzuckergehalt unter die Normalwerte sinkt.

In diesem Augenblick tritt für den ganzen Körper (und vor allem für das Gehirn) eine Notlage ein, weil nicht mehr genug Glukose zur Verfügung steht, um den Zellstoffwechsel aufrechtzuerhalten. Das kann zu Migräne, Muskelschmerzen, Angstanfällen, Zittern, Erstickungsgefühlen und so weiter führen.

Wenn eine Schwangere, nehmen wir an, täglich fünf Coca-Cola tränke, würden ihre Insulin- und Glukosespiegel heftige Schwankungen von sehr hoch zu sehr niedrig zu sehr hoch und so fort, gleichsam wie eine Berg- und Talbahn, durchmachen. Was bedeutet das für ihr Kind? Es bedeutet zunächst einmal, daß das Kind nicht genug Sauerstoff bekommt, während die Mutter hypoglykämisch ist — das heißt beinahe jedesmal, nachdem sie Coca-Cola getrunken oder süße oder fettreiche Speisen zu sich genommen hat.

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Die Versuche von Carson und anderen19 zeigten, daß eine ständige Insulin-Infusion bei trächtigen Schafen (was einem hypoglykämischen Zustand gleichkommt) zu einer signifikanten Abnahme der Sauerstoffversorgung der fetalen Lämmer führte. Wir werden im nächsten Abschnitt noch sehen, daß sogar schon eine geringfügige Sauerstoffabnahme minimale Gehirnschäden beim sich entwickelnden Fetus verursachen kann.

Ferner bekommt das Kind einer hypoglykämischen Mutter nicht nur zu wenig Sauerstoff, sondern auch zu wenig Glukose. Die Sauerstoffversorgung und die Glukoseverwertung der Gewebe sind eng und reziprok miteinander verbunden: wenn der Glukosespiegel zu niedrig ist, können die Zellen den Sauerstoff nicht richtig auswerten, da dazu Energie benötigt wird, und umgekehrt können die Zellen bei Sauerstoffmangel die Glukose nicht richtig auswerten. Glukose und Sauerstoff sind beide von zentraler und kritischer Bedeutung für die Gesundheit der Zellen, und wenn das eine von beiden zu stark absinkt, sterben gewisse Gehirnzellen ab.

Schließlich bedeutet Fett im Blut der Mutter, daß das Kind zu hohen Adrenalinspiegeln ausgesetzt ist: wenn der Blutzucker­spiegel zu stark sinkt (in der unteren Hälfte der hypoglykämischen Berg- und Talbahn), wird Adrenalin ausgeschüttet, um Fett in Zucker zu verwandeln, und das führt einen übermäßig nervösen Zustand herbei. Das kann letzten Endes bedeuten, daß die chronische Nervosität eines Erwachsenen durch die eingeprägte Veränderung der Glukoseverwertungsprozesse schon im Mutterschoß beginnt.

 

Tabak

Der Fetus muß alle seine Nährstoffe und seinen Sauerstoff durch die Plazenta aus dem Blutstrom der Mutter bekommen. Was das für das ungeborene Kind einer rauchenden Mutter bedeutet, ist fünf Minuten Erstickung und Vergiftung, sooft die Schwangere eine Zigarette raucht.

19  Carson, Philipps, Simmons, Battaglia, Meschia, »Effects of a Sustained Insulin Infusion Upon Glucose Up-take and Oxygenation of the Ovine Fetus«, in: Pediatric Research, 14: 147-152, 1980.

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Die Erstickung kommt auf zwei Arten zustande. Zunächst verdrängt der Tabakrauch Sauerstoff aus dem Blut, das heißt, das Blut der Mutter muß auf Kosten des benötigten Sauerstoffs Gase aus dem Tabakrauch aufnehmen. Die Folge davon kann ein Sauerstoffentzug mit ernsthaften Nebenwirkungen für den Fetus sein. Die Ursache der Erstickung ist möglicherweise aber auch darin zu sehen, daß Nikotin eine gefäßverengende Wirkung hat — es zieht die Blutgefäße der Mutter buchstäblich zusammen, so daß sie weniger Blut befördern.

Wissenschaftler haben »degenerative Veränderungen in der Nabelschnur« rauchender Mütter festgestellt, was bedeutet, daß diese empfindliche Lebensbrücke zwischen Mutter und Kind durch das Rauchen dauerhaft verändert wird.20

Die Bedeutung der Blutzufuhr zum Fetus ist offensichtlich, und alles, was — wie Zigarettenrauchen — diese Blutzufuhr hemmt, muß als Bedrohung des Fetus betrachtet werden. Es konnte festgestellt werden, daß das Volumen der uteroplazentalen Blutzufuhr bei Müttern mit »intrauteriner Wachstumsretardation« (ihre Fetusse waren kleiner, als für ihr Schwangerschaftsalter normal gewesen wäre) ein Viertel des Volumens der Blutzufuhr bei Müttern mit normaler Schwangerschaft betrug. Mit anderen Worten, die Kinder mit Retardationen in bezug auf Wachstum und Entwicklung erhielten von ihren Müttern um 75 Prozent weniger Blut als die normal entwickelten Kinder.21

Eine Untersuchung an 17.000 britischen Kindern zeigte, daß das Kind der starken Raucherin (das heißt einer Frau, die nach dem vierten Schwanger­schaftsmonat täglich zehn Zigaretten oder mehr raucht) bei der Geburt eine schlechte körperliche Verfassung und im Kindesalter eine unzulängliche soziale Entwicklung aufweist.22 Es finden sich auch Beweise dafür, daß Rauchen den Vitamin-C-Spiegel senkt, was sich ebenso schädlich auf die Zellstruktur wie auf den Aufbau der Kollagengewebe des Körpers

20  Asmussen, I. und Kjeldsen, K., »Intimal Ultrastructure of Human Umbilical Arteries«, in: Circul. Res., 36: 579-589, 1975.
21  Lunell, N.O., Sarby, B., Lewander, R. und Nylund, L., »Comparison of Utero-placental Blood Flow in Normal and in Intrauterine Growth-Retarded Pregnancy«, in: Gynecologic and Obstetric Investigation, 10: 106-118, 1979.
22  »Gravida's Smoking Seen Handicap to Offspring«, in: Ob. Gyn. News, 15. Juni 1970, Bd. 5, 12-16.

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auswirken kann. Raucher brauchen zweimal soviel Vitamin C wie Nichtraucher. Frauen, die während der Schwangerschaft rauchten, verloren ihre Kinder um 30 Prozent Mal häufiger als Nichtraucherinnen. Die Kinder, die überlebten, wurden bei dieser Untersuchung im Alter von sieben Jahren gemessen. Sie waren im Durchschnitt um 1,27 cm kleiner als die Kinder von Nichtraucherinnen.

Außerdem waren sie weniger geschickt im Lesen und hatten mehr psychologische Probleme in der Schule. Sie schienen körperlich schlechter koordiniert zu sein und zeigten eine Beeinträchtigung beim Kopieren einfacher Zeichnungen.

Der Fetus erleidet in Wirklichkeit eine zweifache Deprivation: er bekommt weniger Sauerstoff aus dem Blutstrom der Mutter, und er bekommt eine geringere Blutmenge, weil die Blutgefäße der Mutter verengt sind. Und neue Untersuchungen zeigen, daß schon der Gedanke daran, eine Zigarette zu rauchen, die Physiologie der Mutter verändert. Wenn sie sich auf eine Zigarette freut, ändern sich ihr Blutdruck und ihre Herzfrequenz nachteilig. Das entspricht der Tatsache, daß die Vorahnung von Schmerz physiologische Veränderungen auslöst.

Während dem Fetus durch diese Fünfminutenzigarette der Sauerstoff vorenthalten wird, werden ihm Gifte zugeführt. Tabakrauch enthält zahlreiche toxische Substanzen (Nikotin, Kohlenmonoxid, Methylalkohol, Kohlensäure, Alkali, Pyrrolin, Blausäure, Arsenik, Collidin, Furfural, Pyridin und verschiedene Teerprodukte), die in einem gewissen Grade alle für die Gewebe des menschlichen Körpers schädlich sind.

Besonders schädliche Folgen hat die Kohlenmonoxidvergiftung. Man weiß, daß Kohlenmonoxid höchst nachteilige Wirkungen auf die Zellfunktionen von Menschen aller Altersstufen hat. Durch Rauchen entsteht eine signifikante Konzentration von Kohlenmonoxid im Blut. Was bedeutet das für den Fetus, dessen Zellen gerade gebildet werden? Montagu schreibt:

»Man nimmt an, daß Kohlenmonoxid im Blut mehrere wichtige chemische Veränderungen verlangsamt, die während des pränatalen Lebens des Kindes stattfinden. In dem streng organisierten Plan, der diese Entwicklung steuert, kann eine nicht geplante Veränderung irgendeines einzelnen Aspekts weitreichende Wirkungen auf den ganzen Körper und Geist des Kindes haben.«23

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Die Forschung hat immer und immer wieder gezeigt, daß Rauchen während der Schwangerschaft zu Frühgeburten und zu unterdurchschnittlichen Geburtsgewichten führt; es kann eine Verzögerung der Atmung des Neugeborenen bewirken, und es gibt Anzeichen dafür, daß der ganze Atmungsapparat des Neugeborenen etwas retardiert ist.

Vermutlich die größte einzelne Studie über dieses Thema wurde vom U.S. National Institute of Health Perinatal Research Project durchgeführt. Sie begann 1958 und ist noch im Gange. Mehrere Jahre nach ihrem Beginn wurden Zwischenergebnisse aufgrund von Daten veröffentlicht, die von rund 30.000 schwangeren Frauen und ihren 24.000 Kindern gesammelt worden waren. Diese Daten zeigten, daß Frühgeburten bei Raucherinnen häufiger vorkamen als bei Nichtraucherinnen und daß das Kind mit großer Wahrscheinlichkeit um so kleiner war, je mehr Zigaretten eine Frau rauchte.

Zu früh geboren zu werden und kleiner als der Durchschnitt aufzuwachsen, kann ernsthafte langfristige Wirkungen haben. Die zahllosen Nachwirkungen der Frühgeburt werde ich noch in späteren Kapiteln zeigen, aber ich möchte hier schon festhalten, daß die Folgen der Frühgeburt nicht enden, sobald das Neugeborene außer Gefahr ist. Ebensowenig enden damit die Wirkungen von Sauerstoffmangel oder Vergiftungen durch Toxine. Diese physiologischen Veränderungen werden dem sich entwickelnden Fetus eingeprägt, sobald sie auftreten, und sie werden zu einem integralen Teil der Physiologie und Persön­lichkeit für die Dauer des Lebens. Die Einprägung bleibt bestehen, teilweise durch ebendiese Funktions­änderungen. Das Kind im Mutterleib hat ebenfalls geraucht, und die Warnung auf den Zigarettenpackungen gilt für das Kind wie für die Mutter. Wir müssen uns die Einstellung zu eigen machen, daß die Mutter einen Menschen in sich trägt, ein höchst verwundbares Wesen, das durch alles, was die Mutter tut, viel stärker beeinflußt wird als sie selbst.

23)  Montagu, op. cit., S.112.

Mehr noch:  Die Mutter kann ihr Kind für Nikotinabhängigkeit prädisponieren. Die Rauchgewohnheit des Erwachsenen kann schon im Schoß beginnen. Nikotin ist ein starkes schmerz­betäubendes Mittel, und wenn die Mutter ihren eigenen Urschmerz betäubt, indem sie raucht, während sie schwanger ist, beeinflußt sie auch den Fetus. Der Fetus »gewöhnt sich« an einen Nikotinspiegel in seinem System. Dieser wird zu einer Erinnerung, die ein ruhiges inneres Milieu mit einem gewissen Nikotinspiegel assoziiert. Die Mutter ist in diesem Zustand biologisch entspannter. Abgesehen von den biologischen Wirkungen des Nikotins auf das Zellwachstum, den Proteinstoffwechsel und die cholinergischen Synapsen des sich entwickelnden Nervensystems, findet also auch ein »Lernen« statt; es gibt eine erlernte Assoziation zwischen Nikotin und Entspannung. Der erwachsene Kettenraucher reagiert auf eine physiologische Erinnerung, die vor der Geburt eingeprägt wurde. Wir müssen bedenken, daß etwas, was sich in dieser inneren Welt ereignet, nicht wirkungslos ist, weil man es nicht sieht. Der Fetus sieht seine Mutter nicht rauchen und erlernt so das Muster, er fühlt, wie sie raucht, und erlernt es dadurch.

Innere Stressoren

Der Fetus wird nicht nur durch das beeinflußt, was die Mutter in ihr System aufnimmt, sondern ebenso auch durch den Zustand dieses Systems. Ist die Schwangere unbekümmert, entspannt und ruhig, oder ist die chronisch gespannt, deprimiert oder erregt? Ist ihre Lebenssituation ruhig und stabil, oder macht sie eine Krise nach der anderen durch? Untersuchungen an Tieren wie an Menschen zeigen, daß die innere Verfassung der Mutter die Entwicklung und die Persönlichkeit des Kindes tief beeinflußt, was auch kaum überraschen kann.

Die Art der Wirkung eines Traumas auf den Fetus hängt davon ab, zu welchem Zeitpunkt während der Schwangerschaft es auftritt. Wie schon erwähnt, gibt es einen Zeitplan kritischer Wachstumsschübe, in deren Verlauf verschiedene Funktionen des Nervensystems organisiert und die diese Funktionen regulierenden Hormone erstmals gebildet werden. Traumata während dieser Zeitperioden haben einen starken Einfluß auf diese kritischen Organisationsvorgänge.

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Janov 1983