HILF MIR --
ICH BIN
S LEID, MICH SO SCHLECHT ZU FÜHLEN

Neuere, einfachere und wesentlich tiefere Anleitungen,
um ernsthaften emotionalen Schmerz und Stress zu überwinden
 

PAUL VERESHACK, M.D.

 

TEIL EINS - ERLEBEN
Tiefentherapie einschließlich der Anwendung von Berühren und Halten

TEIL ZWEI - ERWACHEN

Der gefühlsorientierte Umgang mit ernstem emotionalen Schmerz und Stress

 

  TEIL EINS

Alles Wissen oberhalb des Abgrundes
ist Wissen, das vermeidet

  (
Erstes Gesetz der Regressionstherapie)

 

·     VORWORT

·     Einleitung in Teil 1

·     KAPITEL 1: Ein wenig Hintergrundwissen

·     KAPITEL 2: Wie das zentrale Nervensystem geschädigt wird

·     KAPITEL 3: Therapeutische Intensitätsstufen

·     KAPITEL 4: Wie holen wir das Unbewusste herauf?

·     KAPITEL 5: Das aktive Bestreben des Gehirns, das Unvollendete zu

·     vollenden

·     KAPITEL 6: Direktes Therapeutisches Nähren

·     KAPITEL 7:  Die Lust des Therapeuten als Problem in der

·     Regressionstherapie

·     KAPITEL 8: Anforderungen an Regressionstherapie der Stufe

·     Vier

·     KAPITEL 9: Gefahren, Vorsichtsmaßnahmen und Indikationenen für

·     die Therapie

 

 

 

 

TEIL ZWEI

Je schwieriger die Therapie, desto ängstlicher der Therapeut

- Konsequenz aus dem ersten Gesetz der Regressionstherapie

 

·     Einleitung in Teil 2

·     KAPITEL 10:  Das Grundproblem von Stressbewältigung und

·     Innerem Wachstum

·     KAPITEL 11:  Wichtige Vorsichtsmaßnahmen, die man unter keinen

·     Umständen ignorieren sollte

·     KAPITEL 12:  Wer sollte die Reise unternehmen?

·     KAPITEL 13:  Was macht das Gehirn, wenn es im Schmerz ist

·     KAPITEL 14:  Wie das Gehirn uns auf seine Notlage hinweist

·     KAPITEL 15:  Das Problem mit der Erlebnisintensität

·     KAPITEL 16:  Schwimmen im Meer der Regressionstherapie

·     KAPITEL 17:  Was wir im Meer des tiefsten Selbst zu tun versuchen

·     KAPITEL 18:  Mögliche Ergebnisse des Verschmelzens

·     KAPITEL 19:  Wie sich unser Gehirn wehrt: Widerstand

·     KAPITEL 20:  Die Muster, Kräfte und Tricks, die das Unbewusste

·     benutzt, um uns aus dem eigenen Kopf heraus zu halten

·     KAPITEL 21:  Gegenmaßnahmen, um die Abwehrtricks des Gehirns

·     aufzulösen

·     KAPITEL 22:  Spezifische Gegen-Muster um die Abwehrtricks des

·     Gehirns zu unterlaufen

·     KAPITEL 23:  Die innere Einstellung als therapeutischer

·     Schlüssel

·     KAPITEL 24:  Reinheit der Absicht und therapeutische Arbeit

·     KAPITEL 25:  Weltlichkeit gegen Innerlichkeit (AS)

·     KAPITEL 26:  Therapie ohne Therapeut/-in (RWR)

·     KAPITEL 27:  Zusammenfassung der Anweisungen (AS)

·     KAPITEL 28:  Erfahrung versus Symbolisierung (RWR)

·     ·     ANHANG: Bilder, Bildersequenzen und Träume (AS)

·    

 

 

 

"Dieses Buch von Dr. Vereshack enthüllt mehr vom Prozess der Primärtherapie als alle
vorangegangenen Bücher auf diesem Gebiet zusammen. Die Geschichte wird zeigen, dass diese Arbeit
 der wichtigste Einzelbeitrag dieses Jahrhunderts zur Weiterentwicklung
der Primärtheorie und -praxis ist.
(Donald Allan)

 

Vorwort
Im Herbst 1991 musste ich mich vor der Berufsvereinigung der Mediziner und Chirurgen von Ontario gegen zwei Anklagen wegen sexuellen Fehlverhaltens in meiner Praxis verteidigen. Ich hatte über das, was in meinem Beruf als annehmbar angesehen wird, hinaus experimentiert, und ich war mir dessen durchaus bewusst. Die Öffentlichkeit wurde vom Verfahren ausgeschlossen. (Für dieses Buch wurde  eine Ausnahme gemacht, da Teil 1 bereits geschrieben war und keine spezifischen Informationen über die Anhörung preisgab.)

Das juristische Verfahren, das ja bekanntlich seine Zeit braucht, gab mir über ein Jahr, um in einem Text für den Disziplinarausschuss meine besonderen und ungewöhnlichen Psychotherapiemethoden genau darzustellen.

Ich entschloss mich, diese Darstellung als Buch zu veröffentlichen, obwohl mich viele Menschen dazu drängten, den Text umzuschreiben. Sie sagten, ich solle mich aus dem Text ganz herausnehmen und einige sehr kontroverse Beispiele meiner Arbeit abändern, um den Text auf diese Weise akzeptabler zu machen.

Nach vielem Nachdenken habe ich beschlossen, den Text so zu lassen, wie ich ihn vor Gericht präsentiert habe, und zwar deshalb, weil er meiner realen und lebendigen Erfahrung entspricht, und weil er Wort für Wort mein Bemühen darstellt, mich einfach und klar verständlich zu machen. Teil eins diese Buches ist im Wesentlichen das, was das Gericht gehört hat.

* * *

In Oktober 1991 kam es zu dem viertägigen Verfahren vor dem Disziplinarausschuss der Vereinigung der Mediziner und Chirurgen von Ontario, dem zuständigen Gremium dieser Vereinigung. Zusätzlich zur Präsentation des ersten Teils dieses Buches traten 23 Frauen, fünf Männer und zwei Paare, auf, um das Wesen meiner Arbeit und die Wahrheiten, die in diesem Buch vorgelegt werden, zu bestätigen.

Trotzdem entzog mir die Vereinigung meine Arztlizenz auf Lebenszeit. Daraufhin legte ich Berufung bei dem "Divisional Court" von Ontario ein. (Dies entspricht in etwa dem deutschen Oberlandesgericht und ist Teil eines zivil-öffentlichen Gerichtssystems, Anm. d. Ü.).

In Oktober 1992 sahen die drei Richter dieses Gerichts meine ursprüngliche Präsentation in einem anderen Licht als die oben erwähnte Vereinigung. Dementsprechend hoben sie die lebenslange Suspendierung auf und verkürzten sie auf 18 Monate, mit obligatorischer Wiederzulassung.

Im Januar 1993 versuchte die Vereinigung noch einmal, mir die Lizenz auf Dauer zu entziehen, doch das Berufungsgericht von Ontario zeigte sich mit dem Urteil des "Divisional Court" zufrieden und verbot jede weitere Berufung gegen mich. Der Fall war damit geschlossen.

Kurz nachdem ich wieder zugelassen worden war, gab ich meine Arztlizenz zurück. Seitdem arbeite ich  in meiner Privatpraxis für Psychotherapie in Toronto.

 

Einleitung zu Teil eins

ERFAHREN

Tiefenpsychotherapie, einschließlich des Einsatzes von Berühren und Halten

Alles Wissen oberhalb des Abgrunds

Ist Wissen, das vermeidet

- Erstes Gesetz der Regressionstherapie

 

Dies ist ein Buch über neue Techniken in der Tiefenpsychotherapie. Es ist einfach zu lesen, und es wird dein Verständnis der Psyche sehr vertiefen.

Dieses Buch könnte sehr, sehr gefährlich sein, wenn du es als Selbsthilfe-Handbuch ohne kontinuierliche therapeutische Supervision gebrauchen würdest. In Teil zwei wird genau dieses Thema sehr detailliert behandelt.

Die ungewöhnliche Art von Psychotherapie, die ich praktiziere, machte es für mich notwendig, allgemein akzeptierte therapeutische Methoden in Frage zu stellen. Ich fand heraus, dass die Voraussetzungen einer Tiefenpsychotherapie oft völlig verschieden von denen sind, die generell in der Psychotherapie gelten.

Wie Taucher, die Tausende von Fuß unter der Meeresoberfläche so exotische Gase wie Helium einatmen müssen, um zu überleben, so müssen auch Tiefentherapeuten und ihre Klienten sich mit Praktiken befassen, die an der Oberfläche ihres Lebens exotisch, unnötig, höchst problematisch und sogar unethisch erscheinen würden.

 

Kapitel 1
Ein wenig Hintergrundwissen

 

Im Jahr 1969 beendete ich ein zwölf Jahre dauerndes Studium an der Universität von Toronto: 3 Jahre an der philosophischen Fakultät; 4 Jahre Medizin; ein allgemeines Praktikum von einem Jahr in verschiedenen Fachabteilungen und 4 Jahre Vollzeitausbildung in Psychiatrie in 5 psychiatrischen Ausbildungszentren in Toronto. Es waren dies: das psychiatrische Krankenhaus von Toronto, das Wellesley Krankenhaus, das New Mount Sinai Krankenhaus, das Clarke Institut für Psychiatrie und die psychiatrische Abteilung der Universität des Gesundheitswesens von Toronto.

Während eines Seminars für Fortgeschrittene am Ende meiner Ausbildung, bei dem ich die theoretischen Grundlagen ständig in Frage stellte, sagte mir der Professor für Psychiatrie an der Universität von Toronto schließlich: "Hören Sie um Himmels willen endlich damit auf, das Rad immer wieder neu erfinden zu wollen!" Meine damalige Antwort war genau die gleiche, die ich auch heute noch geben würde: "Ich kann nicht anders". Obwohl ich die Psychotherapie damals genauso liebte wie heute, war ich sehr enttäuscht darüber, wie wenig es ihr offensichtlich gelang, Klienten tatsächlich zu heilen.

Mein Misstrauen gegenüber der Psychotherapie hatte unterschiedliche Ursachen:

1. sie erfordert eine Unmenge an Zeit;

2. die Klienten verändern sich nicht so tief oder so signifikant, wie man es erwarten würde;

3. viele der Psychiater, die ich kannte, schienen mir eine starke Reserviertheit, einen Mangel an Spontaneität und an Wärme auszustrahlen, was bei mir ein tiefes Misstrauen auslöste. Ich begann zu ahnen, dass Heilung eine Art direktes Nähren (nurture) erfordern könnte, das die Menschen in meinem Beruf theoretisch einfach untragbar finden würden, und das sie auf Grund ihrer Charakterstruktur ohnehin nicht würden anbieten können.

Ich gewann allmählich den Verdacht, dass die Psychiatrie in einem außerordentlich komplexen theoretischen Turm wohnt, der hauptsächlich dazu dient, die Sicherheit der Menschen, die sie praktizieren, zu gewährleisten. Tatsächlich bekam ich nach und nach das Gefühl, dass die Psychiatrie die raffinierteste Form von persönlicher Abwehr ist, welche die Welt je gesehen hat. Der Klient ist immer das Objekt, und der Psychiater ist immer in sicherer Distanz, verschanzt hinter einer enormen Menge an Theorie.

Ich erinnere mich, wie ich einmal bei einer Tanzveranstaltung der psychiatrischen Gesellschaft die steifen, hölzernen Körper meiner Kollegen beobachtete und zu dem Schluss kam, an unserem ganzen Heilungsansatz müsse etwas falsch sein. Ich hatte diese Steifheit der Bewegung auch an mir selber beobachtet, und in meinem Herzen wusste ich, dass sie von unserer neurotischen Abwehrstruktur und der Körperpanzerung herrührt.

Inzwischen begann ich, eher aus dem zu lernen, was ich sah und intuitiv spürte, eher als aus der Theorie, die man mir beibrachte. Die Theorie schien mir irrelevant und stand mit dem Fluss des Gesprächs und dem Schmerz meiner Klienten nur selten in Verbindung.

Ich selber fühlte mich zu diesem Zeitpunkt, nach zwölf Jahren Studium und zwei unterschiedlichen, eigenen Psychotherapien, von meinem Schmerz noch nicht so weit geheilt, wie ich es erwartet hätte; gewiss, man hatte mir geholfen, aber ich war nicht wirklich geheilt. Schließlich, als Krönung von alledem, löste ich meine Augen vom Boden, auf dem ich stand, und betrat von der Seite her jene Welt, die man humanistische Psychologie genannt hat, und dort ging alles leichter und experimenteller zu.

Nach Freuds epischen Beiträgen zu unserem Verständnis des Unbewussten machten viele Fachleute um die Mitte des letzten Jahrhunderts auf diesem Gebiet weitere wichtige Schritte nach vorn.

Carl Rogers hatte gezeigt, dass klare, spiegelnde Aussagen es der Psyche erlauben, auf ihrem eigenen Weg  zu heilen, statt auf den Wegen, die von der psychologischen Theorie diktiert werden. Allmählich ersetzte die Vorstellung von Heilung als einer Entfaltung der Psyche, die von Konflikten befreit ist, die Vorstellung von Heilung als einer Einsicht in eine ausgefeilte psychiatrische Theorie.

Fritz Perls, der berühmte Begründer der Gestalttherapie, fügte der Vorstellung von der Entfaltung der Psyche noch etwas Wichtiges hinzu: Die Psyche kämpft immer darum, Unaufgelöstes in ihrem Inneren abzuschließen oder, kurz gesagt, eine Gestalt zu bilden. Er gab uns einen völlig neuen Satz von Werkzeugen, um unbewusstes Material herauf zu holen und es innerhalb des größeren Ensembles psychischer Phänomene zu integrieren. Das tatsächliche Erleben von bisher abgewehrten Prozessen und verschütteten Verletzungen wurde so noch wichtiger als zuvor.

Und damit tauchte das ZENTRALE PARADOX der ganzen Erlebnistherapie auf:  Wenn wir an das absolute Gefühlszentrum, an die schmerzhaftesten und schlimmsten Erfahrungen, die uns je widerfahren sind, heran kommen, dann brechen Schranken innerhalb der Psyche zusammen, wir erleben den Schmerz, und wir werden emotional wieder ganz. Perls hat nicht all unsere Probleme gelöst, aber er hat uns geholfen, einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung zu gehen.

Mit seinem Psychodrama fügte Jacob Moreno noch die Vorstellung hinzu, man könne die Pathologie durch die Darstellung der Teile unseres Selbst und der Menschen aus unserer Vergangenheit ausdrücken, und er baute seine Arbeit auf dieser Idee auf.

Alexander Lowen und Ida Rolf,  die von Wilhelm Reichs Körperpanzer-Konzept ausgingen, begannen, einen Zugang zu frühem, traumatischem Material über körperliche Schmerzen und Fehlfunktionen zu finden. Die Idee der Berührung als eines therapeutischen Werkzeugs war geboren.

Roberto Assagioli brachte in die psychische Heilung spirituelle Vorstellungen ein.

Eric Berne analysierte die menschliche Kommunikation und fand heraus, dass sie fast immer eine Manipulation zum eigenen Vorteil darstellt.

 Schon Fritz Perls hatte betont, dass die menschliche Persönlichkeit mit ihrem endlosen Reden die Summe all der Mittel darstellt, die wir je erlangt haben, um unsere Mitmenschen zu manipulieren. Das wird in Kürze wichtig sein, wenn ich etwas über unsere Therapie erzähle, welche die gewöhnlichen sprachlichen Abwehrmechanismen des Menschen zerschlägt, sodass sie ihm nicht mehr zur Verfügung stehen.

Dann brach in die Therapieszene die meiner Meinung nach wichtigste Figur seit Freud ein. Arthur Janov, der in Los Angeles arbeitet, ging von einer sehr alten psychiatrischen Vorstellung aus und brachte sie um die Mitte des 20. Jahrhunderts (um 1969, Anm. d. Ü.) voll in die Psychiatriediskussion ein. Er entdeckte Folgendes: Wenn man eine Person dazu bringt, sich in einem verdunkelten und schallisolierten Raum hinzulegen, sie vom Reden abhält und sie bittet, bei dem zu bleiben, was sie fühlt, dann bricht ihre Abwehr zusammen, und frühe traumatische Erinnerungen und Schmerzen schießen an die Oberfläche, wo sie, manchmal recht konvulsiv, ausgedrückt werden. Zu ihrem Erstaunen fühlen sich die Klienten nach solchen Erfahrungen innerlich leichter und besser als je zuvor in ihrem Leben. Kurz gesagt stellt jeder Kindheitsschmerz ein Trauma für das zentrale Nervensystem dar und kann behandelt werden, als sei er eine traumatische Kriegsneurose, jedoch ohne die Notwendigkeit, auf Sodium-Penthotal zurück zu greifen, um die Regression zu erleichtern. Janov entdeckte, dass der Königsweg zum tiefen Unbewussten nicht nur der Traum ist, wie Freud gesagt hatte; er bestand vor allem darin, bei einem Gefühl zu bleiben, und sich nicht mit Reden davon abzulenken.

Später werde ich Ihnen, so weit mir bekannt, überhaupt erstmalig einen anderen Königsweg zum Unbewussten vorstellen. Es gibt ein neues und sogar noch mächtigeres Prinzip, das es dem Therapeuten ermöglicht, die Abwehr zu durchdringen und damit seinen Klienten zu helfen, unbewusste Kindheitsschmerzen wiederzuerleben. Wenn Sie die Intensität der Gefühle verstehen, mit denen ich in meiner Praxis arbeite, ebenso wie die Notwendigkeiten, die sich in meiner Arbeit beim Umgang mit solchen Gefühlen ergeben, so werden Sie, glaube ich, auch verstehen, dass das, was zu diesen zwei Anklagen gegen mich geführt hat, nicht ein Mangel an Ethik meinerseits ist, sondern ein Missverständnis bezüglich dieser Art von Therapie, ein Missverständnis, das ich jetzt verstehe und bereinigt habe.

Janovs Technik brachte ernste Schwierigkeiten mit sich, und diese Schwierigkeiten werden Ihnen zu verstehen helfen, warum wir uns mit Praktiken befassen müssen, die recht ungewöhnlich erscheinen, wie zum Beispiel die Anwendung des Ganzkörper-Haltens, wenn bestimmte Stufen der Regression erreicht werden.

Das Problem, mit dem uns Janov konfrontierte, war zweifacher Art:

1- Wenn die Abwehr anfängt zusammenzubrechen, dann beginnt auch das Ego, das unsere integrierte Fähigkeit zu funktionieren enthält, zu bröckeln, und so kann es zu einer erdrutschartigen Desintegration bei unseren Klienten kommen. Menschen in der Tiefentherapie können über Monate oder sogar Jahre hinaus psychisch ernsthaft gestört werden, während sie sich in einer sich immer weiter vertiefenden Spirale von Schmerz und Dysfunktion verfangen. Deshalb war es absolut notwendig, Methoden zu finden, um nicht nur diese Desintegration zu kontrollieren, sondern auch, um das Kind in uns, welches diese mächtigen, regressiven Techniken freilegen, zu erhalten und zu nähren.

2- Der Therapeut muss seinen Klienten dabei helfen, durch ein Eingangsfenster in das tiefere Selbst zu gelangen, so wie es die Astronauten tun, wenn sie zur Erde zurückkehren. Das Niveau der therapeutischen Intensität darf nicht so tief sein, dass sie das Gehirn vom normalen Funktionieren abhält, aber es darf auch nicht so oberflächlich bleiben, dass kein echtes Eindringen in das tiefere Selbst möglich ist. Es gibt viele Wege, um die Häufigkeit, die Intensität und die Tiefe der Regression zu kontrollieren.

 

 

 

 

Kapitel 2
Wie das zentrale Nervensystem geschädigt wird

 

Es ist Aufgabe des zentralen Nervensystems (ZNS), das mächtige und verschüttete Material aus der Kindheit unter Verschluss zu halten, damit es nicht zu Suizid oder zu Mord kommt.

Das ZNS tut das, indem es ein langsames Ablassen dieses Überdrucks in sehr verschleierter Form zulässt. So kann etwa die Wut eines Kindes zum Skalpell eines Chirurgen werden; dadurch wird sie ein Leben lang sowohl in Schach gehalten als auch in sehr konstruktiver Weise abgelassen. Bei einem anderen Kind kann aus alter Wut die Klinge eines Messers bei einer Straßenschlägerei werden. Oder sie wird zum Verriss eines professionellen Kritikers.

Wie auch immer die Verkleidung aussehen mag - der Druck kommt immer von demselben Ort, dem weiß glühenden Inferno des Unbewussten, das von den Abwehrmechanismen der Psyche gebildet und von diesen in alle Schattierungen und Texturen des Verhaltens der Erwachsenen hineingetragen wird. Wir sind die lebendige Tarnung eines primitiven und mächtigen Kindheits-Selbst.

Wenn wir eine Tiefentherapie aufsuchen, bitten wir den Therapeuten, unser äußeres, zivilisiertes Selbst zu durchdringen und zu beiseitigen, sodass die verwundeten und infizierten Teile unseres Wesens frei- und trockengelegt werden und somit heilen können.

Therapeuten arbeiten in unterschiedlicher Tiefe, jede Stufe hat seine eigene Methode und seine eigenen Notwendigkeiten. Nur wenige von uns Therapeuten wagen es, das weiß glühende Material des Unbewussten direkt anzugehen. Die meisten arbeiten nahe der Oberfläche und lassen die Haie in der Tiefe lieber in Ruhe.

Therapie wird von den gleichen Impulsen geleitet wie alles andere Verhalten auch: dem Bedürfnis, Unabgeschlossenes abzuschließen und das Notwendige zu erreichen. Was Menschen, die eine Therapie machen, von Durchschnittsmenschen unterscheidet, ist, dass sie direkter als diese den frühen Schmerz, die Situationen, die ihn verursacht haben und die Folgen, die sich dadurch in ihrem Erwachsenenleben ergeben, aufzudecken und laut auszudrücken suchen. Heilung beginnt dann, wenn der Klient mit dem unbewussten Material in Verbindung tritt und es über den riesigen Strom seiner Abwehr ins Bewusstsein herüberholt. Bisher festgefrorene Vorgänge tauen auf, treten ein in den Hauptstrom der psychischen Phänomene und werden integriert: So verlieren sie die Macht, das menschliche Denken, Fühlen und Verhalten aus einem unsichtbaren Versteck in unserem Inneren heraus, das wir nicht sehen können, zu verzerren. Wir wollen uns nun die Verletzungen aus der Kindheit anschauen, um zu sehen, was es ist, das wir zu heilen versuchen.

Es gibt nur zwei Arten, wie ein Erwachsener ein Kind verletzen kann. Erstens kann er dem Kind sich selbst, seine Anwesenheit, sein Mitgefühl, seine körperliche und verbale Unterstützung vorenthalten. Vom Standpunkt der Kindes aus wird dies im Berufsjargon "Objektverlust" genannt. Das elterliche Objekt fehlt. Das Kind beginnt, langsam und unaufhaltsam, zu verhungern; der Baum seines Lebens, der nicht genährt wird, verkümmert und verbiegt sich wie eine Pflanze, die keine Nährstoffe erhält.

Die zweite Art, wie ein Erwachsener ein Kind verletzen kann, besteht darin, dass er in seine Welt mit verbalem, körperlichem oder sexuellen Missbrauch eindringt. In unserem Berufsjargon wird das als "Eindringen ins Objekt" bezeichnet, und wiederum verkümmert der Baum.

Die meisten Kindheitstraumata enthalten beide Arten von Verletzung. So erfährt ein Kind, das geschlagen wird, einen Übergriff, und es erleidet zugleich einen gravierenden Verlust an Mitgefühl.

Ein Trauma muss nicht plötzlich und dramatisch ein. Es kann auch in kleinen Dosen über einen längeren Zeitraum entstehen.

Die Unfähigkeit seitens der Eltern, ihren Kindern richtig zuzuhören, ohne ihre eigenen Gedanken und Gefühle der Psyche des Kindes überzustülpen, ist eine der verletzendsten Verhaltensweisen der Eltern. Sie unterbricht das Wachsen des Selbst durch die dauernde Verleugnung der inneren Wirklichkeit und der Gefühle des Kindes. Dieser Mangel an Mitgefühl und die endlose Anwendung von Regeln und Überzeugungen, welche die dem Kind eigenen inneren Vorgänge überrollen und missachten, kann über die Jahre die inneren Ausgleichsmechanismen des sich entwickelnden Gehirns zerstören.

Dieses Fehlen von Mitgefühl kann schließlich ebenso viel Schmerz und Behinderung erzeugen wie tatsächliche physische Gewalt.

- Mami, Mami, der Lehrer war heute gemein zu mir.

- Ach was, er hat's doch nur gut gemeint.

Wenn das Kind auf diese Weise seine Gefühle nicht erkunden darf, wenn sie da sind, und dies zigtausend- mal während der Jahre seines Aufwachsens, dann behindert das die zarten Vorgänge in der jungen Seele ganz entscheidend.

Das meines Wissens beste Buch zu diesem Thema ist Elternschule von Thomas Gordon.

Wenn negative Einflüsse auf das Kind einwirken, wie verkrümmt und verbiegt sich dadurch der Baum des Lebens? Ganz einfach, das Kind versucht, den Schmerz zu vermeiden, indem es nicht nur den Schmerz, sondern gleichzeitig auch große Teile seiner psychischen Prozesse unterdrückt. Gedanken, Bedürfnisse, Gefühle und Verhaltensweisen, die zum Schmerz führen könnten, oder die es später im Leben an den Schmerz erinnern könnten, werden ins Unbewusste abgedrängt; so werden viele seiner inneren Vorgänge "offline" geschaltet (um die Computersprache zu benutzen ), und das Kind baut sich bewusst und unbewusst ein Selbst auf, das zu Sicherheit und zur Befriedigung seiner Bedürfnisse führt. Rebellion gegen, oder aber Vermeidung und Anpassung an seine Welt, gewinnen die Oberhand. Durch diese Unterdrückung seines realen und organischen Selbst wird das Unbewusste des Kindes mit Schmerzen und unbefriedigten Bedürfnissen angefüllt; so sorgfältig wir diese auch zu verstecken suchen, sie machen sich auf vielfältige und subtile Weise bemerkbar und zerstören unser erwachsenes Leben.

Aus dem geschädigten Kind werden zwei Erwachsene:

1- Erstens entsteht so das falsche, äußere Selbst, in dem wir in einem gewissen Ausmaß alle wohnen. Dieses Selbst wurde aufgebaut, um den inneren Schmerz in Schach zu halten. Es sieht sich selbst nicht, oder besser gesagt, wir sehen uns selbst nicht als falsch an, und wir kämpfen, wie eine in die Enge getriebene Ratte, darum, unsere Sicht der Wirklichkeit aufrecht zu erhalten - ungeachtet der äußeren Realität. Und diese falsche Sicht der Realität wird uns durch den kulturellen Konsens immer wieder nahe gelegt.

2- Das zweite Selbst ist das darunter liegende verletzte Kind, das immer noch in einem Druckkessel aus Schrecken, Angst, Wut und Traurigkeit lebt. Bei einem verletzten Kind finden wir gleichzeitig ein zunehmend chaotisches Unbewusstes und eine zunehmende Schwäche des Selbst, welches das Unbewusste unter Verschluss halten muss. So wird das Selbst brüchig, verschreckt, leicht reizbar, sturmgepeitscht und lebensuntüchtig. Dadurch missverstehen wir unsere Welt und überreagieren auf sie. Diese Kräfte sind ungeheuer mächtig. Man braucht nur an ein Kind zu denken, das nicht im Arm gehalten und in seinem Bettchen allein gelassen wird. Zuerst schreit es nach Aufmerksamkeit, dann fällt es in eine Depression, und schließlich stirbt es an dem, was man Marasmus nennt.

Versetzen Sie sich doch für einen Augenblick in dieses sterbende Kind hinein, und Sie beginnen, die Kräfte zu verstehen, mit denen ich mich befasse. Diejenigen unter uns Therapeuten, die ihre Klienten in der Zeit zurückführen, damit sie diesen Schmerz direkt erfahren, setzen sich damit der unglaublichsten emotionalen Intensität und den schwersten therapeutischen Herausforderungen aus. Die Welt in der Tiefe unserer Seele  erscheint zuweilen höchst eigenartig.

Womit der Therapeut ringt, ist ein falsches Selbst, das fest um einen Kern von Schmerz geschlossen ist, den es zugleich fühlen und nicht fühlen will.

Nun müssen wir aber, getreu dem zentralen Paradox der Tiefentherapie, zusammen mit unserem Klienten in das Zentrum dieser chaotischen Orte reisen. Die Befreiung, die wir mit dem Heraufholen dieses Materials an die Oberfläche erreichen, ist die einzige und endgültige wirkliche Befreiung, die wir erreichen können. Jede tiefe Heilung geschieht im Umkreis dieses Paradoxons. Um es kurz zu sagen: Fühle es, und du wirst davon befreit. Es ist schon erstaunlich, wie die überwiegende Mehrzahl der Therapeuten ebenso wie der Klienten alles tut, um diese Wahrheit zu vermeiden. Die Psychotherapie ist vor dieser Einsicht geflüchtet und hat an ihrer Stelle große Theorieburgen errichtet, die, wie erwähnt, dem Zweck dienen, den Therapeuten vor den Gefühlen zu schützen, die ein Klient, der sich in tiefer Regression befindet, in ihnen auslöst.

Als Assistenzarzt in der Psychiatrie erhielt ich eine Ausbildung in den klassischen Denkmethoden und brauchte dann 25 Jahre und mehr als 32000 Stunden Psychotherapie, um mich durch das ehrwürdige Gebäude der psychodynamischen Theorie durchzuarbeiten und die einfachen Wahrheiten zu finden, die ich heute mit Ihnen teilen will. Meine Methoden funktionieren bei den Menschen, die sie anzuwenden wissen. Ich habe mehr als 1000 Klienten, darunter wenigstens 700 Frauen, behandelt. Ich weiß, wovon ich spreche.

 

Kapitel 3
Therapeutische Intensitätsstufen

 

Therapeutische Intensität: Stufe Eins

Die Psychotherapie auf Stufe eins, umgangssprachlich auch Therapie im Sitzen' genannt, funktioniert folgendermaßen: Therapeut und Klient sprechen in einem angenehm eingerichteten Raum in der Sitzposition miteinander. Diese Körperhaltung unterstützt eine bewusste, defensive Selbstdarstellung beider Selbste. Therapeut und Klient verhalten sich nach üblichen Standards höflich und rational. Die Wirkung ist so ähnlich wie bei einer seriösen Unterhaltung im Rahmen der peinlich genau eingehaltenen Konventionen einer Teegesellschaft. Die Distanz zu tiefem Schmerz ist maximal, und das gilt für den Therapeuten genauso wie für den Klienten. Dieser präsentiert eine Geschichte und spricht über die Ereignisse in einer im Wesentlichen logischen, linearen und diskursiven Art und Weise. Während er über die Ereignisse aus der Vergangenheit nachdenkt und sich aktiv an diese erinnert, befindet sich das Gespräch jederzeit unter der Kontrolle des Bewusstseins. Der Therapeut hört aufmerksam und objektiv zu, und die Bemerkungen, die er macht, sind klientenzentrierte Spiegelungen. Eventuell bietet er auch Ratschläge an. Die Klienten erwarten vom Therapeuten Unterstützung, Klärung und Bestätigung, und dabei hoffen sie mehr oder weniger, dass ihre Abwehr auf diese Weise nicht allzu sehr in Frage gestellt wird. Sie wollen, dass ihre Überzeugungen und ihre Werte, kurz, ihre Persönlichkeitsstruktur, weitestgehend intakt bleiben.

Es kommt nicht zu einer ernsthaften Bedrohung ihrer bewussten Vorstellung davon, wer sie sind, und wie sie funktionieren. Was der Klient erwarten kann, ist etwas Erleichterung bei seinen aktuellen Gefühlen und Verhaltensweisen, die aber meist nur von kurzer Dauer ist. Das zentrale Nervensystem bleibt im Wesentlichen geschlossen, und es kommt nicht zu tiefen Veränderungen bei den inneren Vorgängen. Diese Art Therapie ist das, was die meisten Spezialisten für seelische Gesundheit, vom Psychiater bis hin zum Sozialarbeiter, anbieten. Sie hat Tradition, ist sicher und bewirkt nur minimale Veränderungen.

 

Therapeutische Intensität: Stufe Zwei

Hier kommt es zu dem, was wir auch Therapie "im Liegen" nennen. Der Klient liegt in einem behaglichen, strukturierten Raum und wird, auf Grund dieser Körperhaltung, allmählich von dem bewussten, alltäglichen und defensiven äußeren Selbst frei. Der Therapeut sitzt gewöhnlich in einem bequemen Sessel. Die entscheidende Veränderung auf dieser Stufe ist der Abbau der Alltagslogik sie wird ersetzt durch den Gebrauch der freien Assoziation, einer von Freud entwickelten Technik. Indem wir zulassen, dass die Gedanken einfach auftauchen, statt sie selbst bewusst zu manipulieren, betreten wir die Welt nicht-logischer Erfahrung, und diese erlaubt es tieferem Material, leichter und flüssiger ins Bewusstsein hoch zu kommen. Verbindungen entstehen nun freier, durch Assoziation statt durch Logik. Hier, auf Stufe Zwei, werden wir zum ersten Mal zum Empfänger von Informationen, die direkter aus den tieferen Schichten der Psyche stammen.

Die Äußerungen des Klienten richten sich verstärkt an der Notwendigkeit aus, dass unerledigtes Material aus dem Inneren zum Ausdruck kommen soll.

Aber immer noch wird mächtiges Material, wenn es ins Bewusstsein tritt, in einen linear verlaufenden sprachlichen Ausdruck gebracht, und Gefühle werden immer noch in die Form logischer Unterhaltung gepresst. Dadurch wird sichergestellt, dass Psychotherapie auf Stufe Zwei nicht tiefer geht und auf Stufe Drei gerät. Und ebenso werden damit dem Fühlen von tieferem Schmerz enge Grenzen gesetzt.

Unter Umständen wird mit der Zeit dennoch ein tieferes Eindingen in die Persönlichkeit erreicht, und es kann durchaus zu einem realen In-Frage-Stellen unserer grundlegenden Vorstellungen über unser Selbst kommen, mit entsprechend tieferen Veränderungen.

Auf dieser Stufe vertieft sich die Verletzbarkeit des Klienten und damit auch die Notwendigkeit, dem Therapeuten zu vertrauen. Der Therapeut bleibt weiter in der aufrechten Sitzposition und überwiegend auch in seinem logischen Denken, er ist "professionell losgelöst vom Schmerz des Klienten", höflich, hilfreich und bis zu einem gewissen Grad auch intuitiv, bleibt aber gleichwohl distanziert und verstandesbetont analytisch. Wenn tieferes Material zu direktem Ausdruck drängt, wird dieser Impuls unterbunden und frustriert. Aus diesem Grund sind Psychotherapien, wie etwa die Psychoanalyse, bekannt dafür, dass sie sich über viele Jahre hinziehen, ohne zu einer wirklichen Lösung zu führen.

 

Therapeutische Intensität: Stufe Drei

Auf Stufe drei erfolgt ein Durchbruch, der mit zu den bedeutsamsten in der modernen Psychotherapie zählt. Erstmals werden Gefühle und Körperempfindungen benutzt, um die freie Assoziation hin zu tiefem, unbewusstem Schmerz zu lenken. Auch während der ganzen Therapie werden sie im Vordergrund gehalten, um die Einsichten, die ins Bewusstsein treten, zu verankern und ihnen mehr Intensität und Bedeutung zu verleihen.

Die einfache und tiefe Wahrheit der Tiefentherapie, die weltweit, vor allem in Nordamerika, entdeckt wurde, ist folgende: Wenn jemand  sich in einer bequemen, neutralen Position auf den Rücken legt, mit den Armen seitlich und den Beinen unverschränkt, und wir ihn dann bitten, sich nicht auf Gedanken, sondern auf Gefühle und/oder Körperempfindungen bzw. auf körperliches Unbehagen zu fokussieren, dann beginnen diese Empfindungen, nach einer kurzen Phase der Neuorientierung des psychophysischen Systems, wie Magnete zu wirken und genau jene Erinnerungen anzuziehen, die verdrängt waren.

Mit am meisten beigetragen zu diesem Bereich, den ich mittelintensive Therapie auf Stufe Drei nennen möchte, hat Eugene Gendlin von der Universität Chicago. Er hat uns bei einem Problem, mit dem wir alle in dieser Tiefe zu tun haben, sehr geholfen. Wenn wir, unter der Führung von Gefühlen und Körperempfindungen, die Tür zum Unbewussten direkt aufstoßen, dann begegnet uns in den oberen Bereichen des Unbewussten extrem flüchtiges Material. Gedanken und Bilder huschen hier durch die Untiefen, wie Ellritzen, die ein Kind am Strand zu fangen versucht. Zu diesen Fischchen nun eine Gefühlsverbindung aufzubauen, sie aufrecht zu halten und die Einsichten dann ins Bewusstsein zu heben, ist äußerst schwierig. Sobald wir über eine dieser kaum wahrgenommenen, schnellen und herumflitzenden Einsichten zu reden oder nachzudenken beginnen, sind wir schon wieder "im Kopf", und prompt ist das Gefühl verloren. Und schon sind wir wieder zurück auf Stufe Eins und wieder im Reden über genau die Ereignisse, die wir doch fühlen wollten, und damit distanzieren wir uns wieder von ihnen.

Ziel der Arbeit auf Stufe Drei ist eine fühlende Erfahrung des Selbst. Wenn ich also eine Klientin, die eine Verengung im Hals wahrgenommen hat, bitte, einfach weiter darüber zu sprechen, dann verschwindet die Intensität. So wird die Einsicht intellektualisiert und damit wertlos. Gendlin hat nun die folgende Anregung gegeben: Wenn wir, statt über das Gefühl zu reden, mit unserer Aufmerksamkeit einfach bei dem Gefühl bleiben und dabei nur ein einzelnes Wort oder einen kurzen Satz von der Körperempfindung her hochkommen lassen, dann bleiben wir mit dem unbewussten Material verbunden. Dieses einfache kortikale, aber nicht intellektuelle Verbundensein wird sogar noch dadurch verstärkt, dass wir das Wort immer wieder aussprechen und es dabei in Kongruenz mit dem Gefühl halten. Der Körper spürt, ob das Wort eine genaue Verbindung herstellt, und an diesem Punkt können wir dann weitere Informationen in einer einfachen Form anfordern. Falls man dabei sehr vorsichtig mit dem Klienten umgeht und ihm ein Abdriften in zu viel Intellektualisierung nicht erlaubt, wird er so etwas wie eine verbundene oder geerdete Einsicht haben. Tatsächlich erfährt der Körper so, dass sich innerlich etwas bewegt hat.

Beispielsweise könnte die Klientin mit dem Engegefühl im Hals, sobald sie in diesem Gefühl zentriert ist, das Wort "schlucken" aussprechen, und dann würde ich sie bitten, das Wort mehrmals zu wiederholen. Das Gefühl bzw. die Körperempfindung, die wie ein Magnet funktionieren, könnten die Verbindung herstellen: "Ich kann von meinem Chef einfach keinen Schmerz mehr schlucken. Betont der Therapeut diese Intensität des Fühlens und des Verbundenseins mit dem Körpersymptom, ehe er zu der intellektuellen Verbindung übergeht, dann führt das dazu, dass der Klient in sich eine Veränderung fühlt. Diese geerdete Einsicht ist mächtig und führt oft zu einer realen therapeutischen Veränderung.

In unserem Fall ist es vielleicht so, dass das Engegefühl im Hals verschwindet, oder aber es verändert sich auf eine andere Weise. Dies wiederum könnte dazu führen, dass die Klientin sich besser gegenüber dem Chef behaupten kann, indem sie ihm Feedback über das gibt, was er tut, und das könnte ihn leichter verdaulich machen.

Wieder einmal jedoch verwandeln wir ein Gefühl oder ein Körperempfinden, wie hier die Enge im Hals, vorschnell in die Einsicht: " Ich kann von meinem Chef einfach keinen Schmerz mehr schlucken. Die Geschwindigkeit, mit der wir diese Umwandlung herbeigeführt haben, stellt sicher, dass die Therapie auf der Intensitätsstufe Drei nicht in Stufe Vier übergeht.

Auf Stufe Vier würde diese Frau direkt wiedererleben, wie ihr Onkel ihr im Alter von drei Jahren seinen Samen in den Mund spritzt und sie damit für ein ganzes Leben darauf fixiert, alles runterzuschlucken, was ihr von aggressiven Männern serviert wird. Mit Erfahrungen auf Stufe Vier werden wir uns gleich befassen. Viele moderne Therapien verankern inzwischen Einsichten in Gefühlen und Körperempfindungen. Zwei Beispiele dafür wären die Bioenergetik nach Alexander Lowen oder die Bindegewebsmassage nach Ida Rolf.

 

Therapeutische Intensität: Stufe Vier

Auf Stufe Vier kommt es zu einem direkten Wiedererleben von tiefem, verdrängtem Material. Dabei entstehen für die Psychiatrie völlig neue Herausforderungen, Herausforderungen, vor denen wir uns seit Anbeginn dieser Heilkunst gedrückt haben, und die doch so offensichtlich sind, wenn wir die Probleme auf dieser Stufe frei legen. Hier haben wir es nun direkt mit weiß glühendem unbewusstem Material zu tun. Haben wir diesen Prozess einmal in Bewegung gesetzt, dann sind die Kräfte derart stark, dass wir den Herausforderungen, die dadurch entstehen, unbedingt Rechnung tragen müssen.

Sobald die Brüder Wright einmal in der Luft waren, machten sie, was die Luft von ihnen verlangte: Bewegungen, wie sie kein Mensch auf dem Boden machen würde. Sobald der Holzfäller auf die im Wasser rollenden Stämme aufspringt, tut er, was diese von ihm verlangen, er vollführt einen seltsamen exotischen Tanz, der in einem Restaurant vollkommen unangebracht wäre, der aber, wenn ihm sein Leben lieb ist, in diesem Moment eine absolute Notwendigkeit ist. Auf Stufe Vier haben wir den Hai endlich beim Schwanz gepackt, und wir reiten mit ihm in die Tiefe. Wir vertiefen und intensivieren die Gefühle und Empfindungen, bis sie uns, durch furchtbare Schmerzen hindurch, hinab zu den Seelenlandschaften der frühen Erfahrungen führen. Dort unterstützen wir als Therapeuten dann das reale Wiedererleben dieser Erfahrungen.

 

Mit der Regressionstherapie auf Stufe vier sind hauptsächlich drei Probleme verbunden:

1- Wie können wir das Abtauchen in jene Tiefen auslösen?

2- Wie können wir derart mächtige Erfahrungen innerhalb einer Ego-Struktur im Zaum halten, deren Belastbarkeit von Person zu Person stark variiert?

3- Wie sollen wir mit einer weit offen liegenden, gemarterten Kindheit bzw. einem frühkindlichen zentralen Nervensystem umgehen? Unter welchen Bedingungen kann der Klient an diesem verletzbaren und chaotischen Ort leben und geheilt werden?

 

Kapitel 4
Wie holen wir das Unbewusste herauf ?

 

Jahrhunderte lang hat man uns beigebracht, nicht zu fühlen. Es ist eines unserer ältesten Gebote.

Hör auf zu heulen, oder ich gebe dir was zum Heulen!

Hör auf, dich  zu bemitleiden und mach dich an die Arbeit!

Denk nicht nur an dich, denk auch mal an andere!

Nicht fühlen zu dürfen ist das Kainsmal der menschlichen Spezies. Wenn wir das Fühlen begraben, begraben wir zugleich die unermesslichen, subtilen und intuitiven Ressourcen des Gehirns. So verlieren wir den größten und organisch produktivsten Teil von uns selbst. Der tiefste Kompass des Geistes funktioniert nicht mehr richtig. Intuition und Kreativität erleiden Schaden. Die Sensibilität für das Selbst und die Welt wird gedämpft.

Nichts ist wichtiger, als dass der Therapeut seinen Klienten die Erlaubnis zurück gibt, wieder zu fühlen. Das erreichen wir auf unterschiedliche Weise. All diese Methoden fußen auf dem gleichen Prozess, den ich KONGRUENZPRINZIP nennen will.

Ereignisse in der Gegenwart haben ihre eigene Realität. Oft aber bringen sie alte Gefühle zum Schwingen bzw. lösen sie aus (triggern sie'). Tatsächlich lösen aktuelle Ereignisse überraschend oft innere Erfahrungen aus, die mit Erfahrungen aus der Vergangenheit genau kongruent sind.

Wenn ein Therapeut einen Klienten dazu bringt, eine Reihe von Kongruenzen zwischen einem gegenwärtigen und einem vergangenen Ereignis zu erleben, dann kommt die Psyche wieder ins Lot, und das vergangene Ereignis wird mit großer Intensität wiedererlebt.

Wir ermutigen zum Wiedererleben von vergangenen Erlebnissen, denn nur so kann sich die Psyche von ihrem Ausgeliefertsein an ein frühes Trauma befreien. Solange ein Ereignis nicht wiedererlebt wurde, und zwar so vollständig wie nur möglich, bleibt es in den Tiefen der Seele verankert und verändert sich nicht. Von diesem versteckten Ort aus strahlen die frühen Gefühle Verwirrung in unser gegenwärtiges Leben hinein und bewirken, dass jedes Mal, wenn etwas uns als Erwachsene verletzt, wir eine doppelte Last tragen müssen: den aktuellen Schmerz, und dazu noch den Schmerz aus der Vergangenheit.

Diese Doppelbelastung führt zu Vermeidungsverhalten und Überreaktionen in unserem alltäglichen Leben. Ein Mensch, der einen Raum voller Menschen nicht betreten kann, aus Angst, kritisiert zu werden, reagiert auf  frühe Kritik, die in den Tiefen der Vergangenheit verschüttet bleibt. Dies beeinträchtigt unser Funktionieren in der Gegenwart so lange, bis es wiedererlebt wird.

So bewegen wir uns als Erwachsene immer in zwei Landschaften, ohne es je zu wissen. Wir sind nie ganz verfügbar, um unsere jetzige Existenz zu gestalten oder ihren Anforderungen zu genügen. Die Vergangenheit vergiftet die Gegenwart.

Daraus folgt, dass die erste und wichtigste Kongruenz, um die wir uns bei unseren Klienten bemühen, die KONGRUENZ DES FÜHLENS ist.

 

Kongruenz I:

Durch das Hochholen von unbewusstem Material regressive Psychotherapie auf Stufe Vier bewirken.

Die Kongruenz des Fühlens

Wenn eine Person bei einem gegenwärtigen Ereignis ein starkes Gefühl empfindet, so gab es nahezu immer das genau gleiche Gefühl auch in ihrer Vergangenheit und zwar als Begleiterscheinung eines frühen traumatischen Ereignisses. Bricht beispielsweise jemand unter der anhaltenden Kritik seines Chefs zusammen, dann trägt er die doppelte Last des aktuellen Geschehens UND die der massiven Kritik aus seiner Kindheit. Der aktuelle Stress triggert dabei den unbekannten Schmerzfundus aus der Vergangenheit und schwingt in Resonanz mit ihm. Das führt zu einer Überreaktion und und zu einem mehr oder weniger schlimmen Zusammenbruch seines Funktionierens in der Gegenwart.

Als Therapeuten haben wir die Aufgabe, die Vergangenheit in den Blick zu rücken. Als Regressionstherapeuten ist es auf Stufe Vier unsere Aufgabe, den Klienten dahin zu bringen, dass er eine gefühlte Kongruenz zwischen dem aktuellen und dem vergangenen Ereignis erlebt, eine Kongruenz, die mächtig genug ist, um Vergangenes zu reaktivieren, sodass es im Therapieraum wiedererlebt werden kann. So wird der Klient aus dieser frühen Landschaft befreit.

Deshalb bitten wir die Klienten, sich in bequemer, neutraler Position in einem halbdunklen, schalldichten Raum auf eine gepolsterte Matte zu legen, und fordern sie auf, ihr gesamtes Denken außen vor zu lassen.  Dann bitten wir sie, sich auf die Gefühle einzulassen, die sich auf das aktuelle Ereignis beziehen. Jedes Mal, wenn sie wieder in ihren Kopf gehen und anfangen, über sich zu sprechen und ihre Geschichten zu erzählen  (Therapie auf Stufe Eins), lenken wir ihre Aufmerksamkeit sanft, aber bestimmt wieder zurück auf das, was sie fühlen und in ihrem Körper spüren. Anders als ein Therapeut auf Stufe Drei übersetzen wir aber die Gefühle nicht unmittelbar in Worte. Wir bitten den Klienten, noch tiefer in das Erleben einzusteigen und im Gefühl zu bleiben. Wie der Choke eines Autos bei kaltem Wetter das Gemisch anreichert, so reichern wir die Erfahrung an und zünden den Regressionsprozess. Wie ein Schlitten an einem steilen Hang gewinnt dieser zunehmend an Fahrt und Intensität und führt zu einem Wiedererleben des frühen Kindheitstraumas.

Das Zünden dieser Erfahrung ist selten so einfach, wie ich es gerade anklingen ließ. Psyche und Körper werden, auch bei hochmotivierten Menschen, von Schmerz zutiefst abgestoßen. Diese Abwehr ist eindeutig jenseits der bewussten Kontrolle unserer Klienten. Das ist auch der Grund dafür, dass sich der Kopf verzweifelt darum bemüht, zum normalen und alltäglichen intellektuellen Funktionieren zurückzukehren.

Im Fall des kritisierten Angestellten beispielsweise bitten wir den Klienten, der jetzt in unserem halbdunklen, schalldichten Raum liegt, einfach in dem Gefühl zu bleiben, das er spürt, während der Chef ihn kritisiert. Wenn er es zulassen kann, dass das Gefühl intensiv genug wird, und wenn es ihm gelingt, ausreichend lange in diesem Gefühl zu bleiben, dann ist er auf einmal wieder sechs Jahre alt, und sein Vater lacht ihn vor seinen Geschwistern aus, während er sich abmüht, auf seinem neuen Fahrrad zu fahren. Die damalige Angst kommt dann voll zurück, und er erlebt sie mit aller Wucht erneut.

Dieses Prinzip, das Erleben von Gefühlen, die mit einem gegenwärtigen Ereignis verbunden sind, im Therapieraum mit ausreichender Intensität und lange genug aufrecht zu erhalten, ist entscheidend für den Trigger-Effekt bei all den Kongruenzen, die wir noch untersuchen werden.

 

Kongruenz II:

Das Wiedererleben von frühen traumatischen Erfahrungen in der regressiven Psychotherapie auf Stufe Vier in Gang bringen.

A. Die Kongruenz unartikulierter Laute

Die Kongruenz unartikulierter Laute ist nicht unbedingt eine Kongruenz zwischen einem gegenwärtigen Laut und dem Laut eines Ereignisses aus der Vergangenheit. Vielmehr geht es um die Kongruenz zwischen dem, was wir in einer Therapiesitzung fühlen und dem, wie es sich angehört hätte, wenn wir während des Gefühlserlebnisses damals hätten sprechen oder losschreien dürfen. Das kann, muss aber nicht, sich mit dem decken, wie wir als Kind geschrieen haben, als wir verletzt wurden. Es kann nämlich sein, dass wir damals überhaupt nicht schreien durften.

Jedenfalls gibt es in der Gegenwart einen Laut, der in Qualität und Intensität genau zu dem Gefühl passt, das wir in der Therapiesitzung empfinden. Nebenbei bemerkt, die Tatsache, dass wir keinen Laut von uns geben, kann selbst in Resonanz mit einer Kindheitssituation stehen und schnell zu einem Wiedererleben führen.

Der direkte Ausdruck des Schmerzes, den wir empfinden, während wir einen unartikulierten Laut ausstoßen, verschafft uns ziemlich unmittelbar Erleichterung bei körperlichem, insbesondere aber bei seelischem Schmerz.

In der Regressionstherapie auf Stufe Vier bitten wir also den Klienten, denjenigen Laut von sich zu geben, der genau zu dem schmerzhaften Gefühl passt bzw. es exakt spiegelt. Die Intensität und die Qualität dieses Lautes bringen das Gefühl in Richtung Kongruenz. In dem Augenblick werden wir außen zu dem, was wir innen fühlen, und so erreichen wir Kongruenz.

Beispielsweise würden wir den Mann, der einen Schmerz im Bauch spürt, ermutigen, mit einem tiefen grunzenden Laut zu experimentieren, während eine Frau, die als Baby allein und unbehütet in ihrem Bettchen gelassen wurde, vielleicht in einer hohen Tonlage zu wimmern anfängt. Es ist am Klienten selbst, die genaue Beschaffenheit des Lautes zu gestalten; geleitet wird er dabei von einer inneren Körperempfindung, die ihn einen Laut hervorbringen lässt, der exakt passt.

Man denke etwa an die oben erwähnte Geschichte von der Frau, die dieses Engegefühl in ihrem Hals spürte und nichts mehr von ihrem Chef schlucken konnte. Hätten wir sie ermutigt, statt dieses Beengungsgefühl zu verbalisieren, die Laute eines Menschen von sich zu geben, der am Ersticken ist, dann hätte diese Kongruenz mit dem tatsächlichen Erstickungsgefühl, als der Onkel ihr den Mund mit Sperma voll spritzte, höchstwahrscheinlich ein Wiedererleben des Inzests bei ihr ausgelöst.

 

B: Die Kongruenz artikulierter Laute

In der regressiven Tiefentherapie mit Sprache zu arbeiten kann äuβerst hilfreich sein, birgt aber ein schwer wiegendes Problem.

Wie schon erwähnt, neigen wir dazu, uns in der Tiefentherapie umso mehr vom direkten Erleben zu entfernen, je gesprächiger wir werden. Der Prozess wird dadurch intellektuell, und wir sind wieder bei der Psychotherapie auf Stufe Eins. Reden ist (in allen sozialen wie auch therapeutischen Zusammenhängen) fast immer eine Abwehr gegen das Fühlen. Trotzdem kann man es auf verschiedene Weise im Rahmen einer Tiefentherapie nutzen.

Zunächst einmal kann das Gespräch als Mittel der Sondierung eingesetzt werden. Für Klienten, die sich nicht hinlegen und gleich in Kontakt mit einem Gefühl oder einem inneren Körperzustand kommen können, ist Reden ein ausgezeichneter Einstieg. Wenn wir einem Klienten die Freiheit geben, über alles zu reden, worüber er reden will, so wird das, worüber er dann spricht, langsam, aber sicher seinen nicht abgeschlossenen emotionalen Themen immer näher kommen. Wie ein Magnet zieht der Schmerz das, wovon wir normalerweise reden, unvermeidlich in Richtung der in uns verschütteten Verletzungen. Wir beginnen dann, endlos über den tieferen Themen zu kreisen, wenn auch auf hochgradig indirekte und symbolisierte Art und Weise.

So kommt beispielsweise ein Mann, den seine Mutter nicht gut behandelt hat, auf das Thema der Unzulänglichkeit von Frauen in der Politik zu sprechen. Lange Zeit lässt er sich dann vielleicht darüber aus, wie sie einfach nicht stark genug sind, um sich konsequent für ihre Wähler einzusetzen.

Ein Therapeut, der auf das darunter liegende Thema hinhört, spürt unter Umständen, dass die wichtigste Frau in seinem Leben sich nicht angemessen um den Klienten gekümmert hat, als er ein Kind war. Einfühlsam unterstützt er den Klienten dann darin, die Verbindung herzustellen und über die Beziehung, die er als Kind zu seiner Mutter hatte, zu sprechen.

Der Regressions-Psychotherapeut wird den Klienten fragen, was er fühlt, während er über Politikerinnen spricht und ihn veranlassen, bei diesem Gefühl zu bleiben, bis es zu einer Kongruenz kommt. Das kann dann ein Wiedererleben dieser frühen Beziehung auslösen.

Nicht nur dreht sich unser Alltagsgespräch häufig  um unaufgelösten Schmerz, auch die tatsächlichen Worte und Sätze aus der frühen Kindheit liegen überall verstreut am Strand des Gesprächs der Erwachsenen. Für Therapeuten, die sie zu erkennen wissen, stellen diese kleinen, noch intakten Muscheln einen hervorragenden Zugang zu tiefem, unbewusstem Material dar.

So beschreibt beispielsweise eine Klientin einen Streit mit einem Taxifahrer, der sie zu einer falschen Adresse gefahren hat. Im Verlauf ihrer Geschichte sagt sie dann: "Egal, wie sorgfältig ich ihm seinen Irrtum auch zu erklären versuchte, er konnte mich einfach nicht hören."

Vielleicht bittet der Tiefentherapeut, der den Satz er konnte mich einfach nicht hören" hört, die Klientin, die im halbdunklen, schalldichten Raum liegt, den Satz immer wieder zu sagen, bis sie möglicherweise in Tränen ausbricht und erkennt, dass der gröβte Teil des mit diesem Streit verbundenen Gefühls aus ihrer Kindheit stammt, weil ihr Vater sie während ihrer ganzen Kindheit nie gehört hat. Der Satz er konnte mich einfach nicht hören" schafft eine perfekte Kongruenz zwischen Gegenwart und Vergangenheit, und die Türen des Unbewussten öffnen sich.

Wenn der Klient Sätze aus seiner Kindheit wiederholt, die in sein Reden als Erwachsener eingestreut sind, wirkt das wie ein Diamantbohrer und durchdringt die Abwehr mit Leichtigkeit.

Als Tiefentherapeuten können wir das, was der Klient sagt, durchaus nutzen, doch dazu  müssen wir es erst seiner defensiven Eigenschaften entkleiden. Wir müssen es überarbeiten, damit es zu einem Instrument des Suchens und Zugang-Findens und nicht zu einem Mittel des Vermeidens wird.

Eine andere Methode, das Reden des Klienten tiefentherapeutisch zu nutzen, besteht darin, ihn zu bitten, seinen Wortschatz auf den Gebrauch kurzer Wörter und einfacher Sätze zu beschränken. Weil diese Art zu sprechen der Kindersprache ähnlich ist, führt sie auch zu mehr Kongruenz mit der Kindheit. So dringen diese einfachen Worte und kurzen Sätze durch die Abwehr des Erwachsenen.

Der Gebrauch bedeutungsgeladener kurzer Worte und einfacher Sätze, die der Klient in der Therapie mit gefühlten frühen Erlebnissen verbindet, erlaubt einen Übergang vom Symbol zur Wirklichkeit und erreicht dann fast die intensive Macht unartikulierter Laute.

Ein Klient erzählt eine lange und komplizierte Geschichte von einem Mann, der ihn bei einem Geschäftsabschluss übervorteilt hat. Gebraucht der Therapeut an diesem Punkt einen einfachen Satze wie etwa er hat dich sehr verletzt", dann durchbricht das oft das defensive Reden und bringt den Klienten zum Weinen. Der Satz hat ein Kindheitsthema berührt.

 

 

 

 

Kongruenz III:

Durch das Hochholen von unbewusstem Material  Regressionstherapie auf Stufe Vier bewirken.

Die Erfahrung der Körperposition

Die dritte Methode, um das Erleben des ursprünglichen Traumas zu zünden, benutzt das, was Tiefentherapeuten als Körper-Erinnerung bezeichnen.

Wurde ein Klient als Kind geschlagen, während er zusammengerollt auf einem Bett lag, dann bitten wir ihn, genau die gleiche Position auf der Matte einzunehmen. Wenn wir ihn zusätzlich auffordern, in dieser Position in seine Gefühle zu gehen und ihm dazu noch vorschlagen, die Laute zu machen, welche seine Verzweiflungsschreie von damals genau nachmachen, dann addieren wir drei verschiedene Kongruenzen. Dadurch setzen wir die psychischen Abwehrmechanismen einem hochspezifischen Druck aus. Schließlich  geben sie nach und erlauben so ein Wiedererleben des frühen Kindheitstraumas.

Kongruenzen sind kumulativ, und wir versuchen, so viele wie möglich davon zu kombinieren.

Wenn die Körperposition im Therapieraum mit der Körperposition während des Kindheitstraumas kongruent wird, dann feuern unzählige Nervenzellen im peripheren und im zentralen Nervensystems in genau der gleichen Konfiguration wie damals, während des Vorfalls in der Kindheit. Dieser elektronische Schlüssel passt ins Schloss, und die Therapie kommt voran.

Bei der Herstellung von Kongruenzen handelt es sich durchwegs um Methoden, um das Unbewusste zum Vorschein zu bringen. Daher möchte ich in diese Gruppe von Techniken noch eine vierte Methode, die Abwehr zu durchdringen, einbeziehen. Obwohl es sich dabei eigentlich nicht um die gleiche Art von Kongruenz handelt, ist es doch eine hochspezifische Form der körperliche Intervention, die ein Wiedererleben der Kindheit auslöst.

 

Kongruenz IV:

Durch das Hochholen von unbewusstem Material  Regressionstherapie auf Stufe Vier bewirken

Die Methode der körperlichen Intensivierung

Bei dieser Methode, die Abwehr zu durchdringen, benutzen wir Berührung, um den körperlichen Schmerz von Symptomen zu intensivieren, die im Körper verschoben wurden. Bei Stufe Drei sprachen wir über das Hineinspüren in das diffuse, subtile innere Körperempfinden, wie es Gendlin beschrieben hat. Hier beziehen wir uns auf eine andere Technik, bei der es um ein unauffälligeres, intensiveres und enger umrissenes Körpersymptom geht, und die Herangehensweise ist unterschiedlich. Das können wir bei jedem psychisch bedingten körperlichen Schmerz tun.

Ein Mann liegt nicht weit von mir im Halbdunkel meines Primalraums. Im Moment spürt er nichts als einen leichten Schmerz im oberen Teil des Bauchs. Er hat mit der inneren Erkundung aufgehört, weil nicht ausreichend Intensität vorhanden ist, um damit weiterzukommen. Das Gefühl in seinem Bauch entsteht durch die Erinnerung an einen noch unbekannten Konflikt, und es absorbiert und versteckt ihn gleichzeitig.

Ich lege meine Fingerspitzen genau in die Mitte der schmerzenden Stelle. Wenn die Position der Finger nicht auf den Millimeter genau stimmt, passiert gar nichts. Die Vergangenheit bleibt dann verborgen. Ich bitte den Klienten, meine Finger zu führen, und sein inneres Gespür zeigt ihm den genauen Punkt.

Nun beginne ich, leicht zu drücken, und so verstärke ich die Intensität des Schmerzes. Ich passe dabei auf, dass ich nicht zu fest drücke, um nicht ein mögliches Zwölffingerdarmgeschwür zu verletzen. Ich sage dem Klienten, dass er jetzt unbedingt vermeiden muss, über irgendetwas nachzudenken; vielmehr soll er einfach hochkommen lassen, was immer kommen will. Dadurch, dass er  "aus seinen Kopf heraus bleibt, vermeidet er, wieder zu einer Verknüpfung auf Stufe Zwei oder Drei zurückzukehren. So wird die Kraft seiner Einsicht nicht verwässert.

Während meine Finger den Schmerz verstärken, gelingt es plötzlich dem Symptom nicht länger, die Kräfte der Verdrängung zu halten und zu binden. Das Symptom, könnte man sagen, ist überwältigt, und der Klient fängt an zu schluchzen. Jetzt ist er in seiner Vergangenheit und fühlt den Tod seines Vaters, als er neun war, und er spürt die Trauer, die er damals nicht fühlen durfte, weil er für Mami und seine kleinen Geschwister stark sein musste. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren entspannt sich sein Magen, er trauert, und sein Magengeschwür, das zuvor mit unterschiedlichen Medikamenten behandelt wurde, kann endlich zu heilen beginnen.

Bei dieser letzten Methode ist die Kongruenz etwas verdeckt. In dem obigen Beispiel muss die Position der Finger mit der Lokalisation des Schmerzes genau kongruent sein. Der ausgeübte Druck muss genau den Schmerz schaffen und verstärken, den der Klient fühlt: Er muss mit dem Schmerz kongruent sein. Wenn diese Arbeit genau gemacht wird, spürt der Klient mit ansteigendem Schmerz die Finger des Therapeuten tatsächlich überhaupt nicht mehr. Das Einzige, was er fühlt, ist, wie sich der damalige Schmerz bis zu dem Punkt verstärkt, wo er die Erinnerung nicht länger binden und versteckt halten kann. Die Magenschmerzen waren damals in seiner Kindheit vielleicht vorhanden, vielleicht auch nicht.

Ich fasse zusammen: Bei dem Gefühl bleiben, die genau stimmigen Laute und Wörter hervorbringen, den Körper in die exakte Position des ursprünglichen Traumas bringen, und den genauen Schmerzpunkt berühren jede dieser vier therapeutischen Methoden impliziert eine Reihe von Kongruenzen.

Bei der Anwendung dieser Techniken wird klar, dass die psychophysische Achse wie ein Kombinationsschloss arbeitet. Jede Technik, die ein zusätzliches Kongruenzniveau einbringt, ist eine weitere richtige Ziffer in der Kombination. Schließlich, wenn alle Riegel in der richtigen Position sind, treten die psychischen Abwehrmechanismen zurück, und die Kindheit kommt zum Vorschein. Diesen Vorgang nenne ich  die KONGRUENZ VON BEWUSSTSEIN UND UNBEWUSSTEM.

In einem kompetenten und fürsorglichen therapeutischen Umfeld muss sich dieser Vorgang bis zu seinem Ziel, dem Wiedererleben, entfalten können. Dieses Wiedererleben, das in der Therapie bei vielen Klienten immer wieder erfolgen muss, ist notwendig, wenn es darum geht, tiefe Traumatisierungen zu integrieren.

Es besteht allerdings die Gefahr, dass Klienten von diesen warmen, sich selbst bestätigenden, frühen schmerzlichen Erfahrungen abhängig werden. So seltsam es auch klingen mag, mit dem Wiedererleben von frühem Schmerz ist eine Art Wärme und ein Gefühl von Realsein verbunden, das manche Klienten dazu führt, dieses Wiedererleben endlos wiederholen zu wollen. Deshalb ist das Vermeiden  dieser Abhängigkeit ist ein weiteres Thema für Tiefentherapeuten.

Wenn, wie Freud sagte, Träume der Königsweg zum Unbewussten sind, dann sind die Techniken der KONGRUENZ VON BEWUSSTSEIN UND UNBEWUSSTEM der Expresslift dorthin.

 

Kapitel 5
Das aktive Bestreben des Gehirns, das Unvollendete zu vollenden

 

Nun kommen wir zu einem Wendepunkt auf unserer Reise. Bisher haben wir über Techniken gesprochen, die der Therapeut anwendet. Jetzt müssen wir über den Mechanismus reden, der den Klienten vorwärts treibt.

Um frühes unerledigtes Material aus der Kindheit aufzuarbeiten, sind zwei Mechanismen erforderlich, die dem therapeutischen Prozess auf Stufe Vier Kraft und Richtung verleihen. Ich nenne sie die Suche nach Kongruenzund Körpernotwendigkeit. Der erste Begriff drückt aus, was geschieht, und der zweite beschreibt die Kraft hinter diesem Prozess.

Auf der therapeutischen Intensitätsstufe Zwei haben wir festgestellt, dass unsere Psyche bei der freien Assoziation ihr nicht durchgearbeitetes Material abzuschlieβen sucht. Dieses Bedürfnis lenkt den scheinbar unlogischen Zustand des freien Assoziierens, und zwar gemäß der tieferen Logik der Gestaltbildung. So kann das eigentliche Ziel, das bisher Unbewusste zu erinnern und laut auszusprechen, erreicht werden. Dabei müssen wir jedoch unbedingt bedenken, dass die Intensität dieser Erfahrung der Intensität von Therapie auf  Stufe Zwei entspricht und überhaupt nicht mit dem zu vergleichen ist, was wir auf Stufe Vier finden. Man könnte sagen, auf Stufe Zwei liegt das Boot des Klienten in einer sanften Brise, und der Hafen der Erinnerung lässt sich leicht finden.

Bei einer therapeutischen Intensität der Stufe Drei erhöht sich der Druck, unbewusstes Material zu erinnern. Doch hier entschärft der Therapeuten diesen höheren Druck, indem er vorschnell Gefühle und Körperwahrnehmungen in Worte fasst. So kann es auf Stufe Drei durchaus zu einer fundierten Erinnerung von hoher Qualität kommen, ein tatsächliches Wiedererleben ist jedoch weniger wahrscheinlich als auf Stufe Vier, wo wir über längere Zeit in den Gefühlen bleiben. Hier kommt es zur Zündung des Wiedererlebens, ohne dass der Therapeut Gefühl und Erinnerung zusammen bringen muss. Die kleinen Fische im seichten Gewässer brauchen nicht erst ins zerebrale Netz gelockt zu werden. Im Nu werden sie tatsächlich sehr groß und springen ohne jeden Druck ins Netz. Und genau an diesem Punkt begegnen wir unseren zwei neuen Phänomenen, der Suche nach Kongruenz und der Körpernotwendigkeit.

Der Schub in Richtung Erinnerung, den wir auf den vorherigen Stufen der Therapie beobachtet haben, wird nun in einen Schub in Richtung Tun umgewandelt. In diesem Fall bedeutet Tun das Herstellen einer Kongruenz. Der Körper bemüht sich aktiv darum, die zuvor besprochenen Kongruenzen zu finden, sodass er frühe, verschüttete Traumata tatsächlich wiedererleben kann und sich nicht einfach nur daran erinnert.

Genau in dieser SUCHE NACH KONGRUENZ und in der KÖRPERNOTWENDIGKEIT sehen wir die wirkliche Kraft der Regressionstherapie. Die Psyche drängt danach, sich zu öffnen und zu fühlen, die Stimme will unbedingt den exakten stimmigen Laut hervorbringen, und der Körper ist bestrebt, sich in die gleiche Position wie beim ursprünglichen Trauma zu legen. Zusätzlich sucht oder drängt die psychophysische Achse aktiv danach, zu berühren oder berührt zu werden, und zwar so, dass es zu einer Kongruenz kommt. Wie die Frau an einem gewissen Punkt  im Geburtsprozess die Kontrolle verliert, und die Wehen nach ihrem eigenen Urrhythmus einsetzen, so übernimmt auch die Körper/Psyche-Achse irgendwann die Regie und drängt in Richtung Kongruenz, damit das Verdrängte wiedererlebt werden kann. Es ist die Kraft hinter diesem Schub, die ich KÖRPERNOTWENDIGKEIT genannt habe.

Und nun betritt etwas völlig Neues die Szene: Es kommt zu einer neuen Art Einsicht, wenn wir frühe schmerzhafte Erfahrungen auf diese Weise wiedererleben. In diesem Fall ist das Erwachen des Bewusstseins insgesamt tiefer, und zwar auf Grund des enormen inneren Drucks. Es ist tiefer, weil es mehrdimensional und nicht linear ist, und weil das Erlebnis uns mehr wie eine Wellenfront denn als ein einzelnes Ereignis trifft. Es ist, als würden wir unseren Weg durch einen Garten in absoluter Dunkelheit ertasten, und plötzlich leuchtet ein Scheinwerfer auf und beleuchtet nicht nur den Garten, sondern auch das dazu gehörige Haus und die gesamte Umgebung.

Ein Klient versucht, die plötzliche und komplexe Einsicht, die er während eines Wiedererlebnisses hat, zu beschreiben. In einem Bahnhof hebt ihn sein Vater von der Schulter und übergibt ihn seiner Mutter, während sie in den Zug steigt. Wir sind in England im Jahre 1940, zu Beginn des 2. Weltkriegs. Der Kleine ist dreieinhalb Jahre alt, und er wird seinen Vater nicht wieder sehen, bis er erwachsen ist.

Beim Wiedererleben dieser Szene spürt er, wie seine Wange die Tweedjacke seines Vaters berührt. Er fühlt die volle Tragödie, dass er jetzt seinen Vater verliert. Und er sieht, wie er all diese Jahre Freundschaft mit Männern geschlossen hat, deren Schultern sein Unbewusstes ohne sein Wissen an diesen schrecklichen Moment der Trennung erinnern. Blitzartig spürt er, wie dieses Ereignis sein ganzes Leben und seine Beziehungen jahrzehntelang verbogen hat. Und gleichzeitig erfasst er auf einer völlig anderen Ebene, wie die Tatsache, dass er nie von seinem Vater im Arm gehalten wurde, ihn dazu verdammt hat, einen unentwickelten Körper zu haben. Damit meint er, dass er bei all seinen körperlichen Aktivitäten schüchtern ist, und dass es ihm an männlicher Kraft fehlt. Es wird ihm klar, dass körperliche Kraft bei einem Mann eng mit der körperlichen Präsenz seines Vaters zusammenhängt. Und so werden (durch das Wiedererleben dieser Szene) die Gärten mit ihrer Trauer sowie das gesamte Umfeld seines Lebens beleuchtet, und das bezieht sich auch auf die Männer, die er gemocht hat und auf seine Beziehung zum eigenen Körper.

Diese Einsichten kommen alle auf einmal hoch, und sie kommen scheinbar aus dem ganzen Körper. Sie bewegen sich wie eine Wellenfront oder eine Wand von Verständnis, und sie scheinen aus dem Bauch, der Brust, den Knochen und den Muskeln zu kommen und nach oben ins Bewusstsein zu drängen. Sie fühlen sich nicht an wie Gedanken, eher schon wie eine plötzliche Erleuchtung. Sie haben die Qualität der Sonne, die plötzlich durch die Wolken bricht und die verdunkelte Landschaft um uns herum mit einem einzigen, Ehrfurcht gebietenden Strahl von Verständnis erleuchtet. Nach solchen Erfahrungen in der Regressionstherapie ähnelt das linear-intellektuelle Denken dem Schlürfen einer wässrigen Suppe, während man sich dabei einen Schwarz-Weiß-Film anschaut. Es befriedigt einfach nicht mehr. Es ist die Kraft und die Tiefe dieser Wiedererlebnisse, die uns schließlich von der Trauer befreit, die wir auf keine andere Weise loswerden können.

Menschen, die solche Erfahrungen machen, fühlen sich danach sowohl total erschöpft als auch völlig erleichtert, so, als hätte man ihnen zehn Zentner Zement von der Schulter genommen. Große Brocken von verdrängtem Schmerz samt den sie begleitenden Prozessen branden an und verursachen tiefe Veränderungen im seelischen Wachstum. Die Klienten erleben eine ungekannte Leichtigkeit ihres Daseins, sie verlieren die Ängstlichkeit in ihrem Alltag, sie spüren, wie innere Blockaden einstürzen und ein neues Selbstgefühl entsteht.

Die Gefühle, welche die Klienten auf dieser Stufe erleben, haben sie oft nicht einmal zum Zeitpunkt des Geschehens gespürt. So schwebte z.B. eine Frau in meiner Praxis regelmäßig an die Decke, wenn sie wiedererlebte, wie  ihr Vater sie schlug. Aufgabe der Therapie auf Stufe Vier ist es, sie von ihrem Höhenflug herunterzuholen und ihr zu erlauben, die Schläge tatsächlich zu fühlen.

Jetzt sind Sie allmählich in der Lage, nicht nur die Mechanismen hinter der bizarren Qualität dessen zu verstehen, was jetzt folgt, sondern auch die Intensität, mit der diese Erfahrungen zu einem Abschluss drängen.

Wir wollen uns nun eine Reihe von Beispielen anschauen, um das Prinzip zu belegen, dass die psychophysische Achse in der Therapie auf Stufe Vier aktiv nach Kongruenz sucht; diese führt dann zum Einstürzen der Abwehr und erlaubt es dem Klienten, ein frühes Trauma wiederzuerleben. Sie werden sehen, dass, so unlogisch und nicht-linear das Ganze, oberflächlich betrachtet, auch erscheinen mag, sich die tiefere Logik der Gestaltbildung doch immer durchsetzt.

 

Beispiel 1: Die Körpernotwendigkeit treibt einen Klienten in Richtung Kongruenz, um ihm so zu erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben.

Ein Mann mittleren Alters sitzt mit dem Gesicht zur Wand in meinem Primalraum. Er fühlt sich getrieben, Grimassen zu schneiden (eine Körpernotwendigkeit). Kein Ton ist zu hören, während er diese Grimassen schneidet und sein Gesicht zu einer endlosen Serie von schrecklichen Masken verzerrt. Er weiß nicht, warum er das tut. Wir wissen, dass, vorausgesetzt, wir vertrauen dieser Körpernotwendigkeit, er schließlich eine Kongruenz mit einem Trauma tief in seinem Inneren, das wir noch nicht sehen können, erreichen wird. Sechs Wochen lang tut er sonst nichts. Ich versichere ihm, dass er, wenn er aus seinem Kopf heraus bleibt und dem, was geschieht, vertraut, schlieβlich zum Verstehen des Ganzen kommen wird. Woche um Woche sieht er für alle Welt völlig verrückt aus. Es gibt keine Oberflächenlogik mehr, und eine tiefere Logik treibt ihn vorwärts. Schließlich wird Kongruenz erreicht, und der Groschen fällt. Die Einsicht ist ebenso einfach wie tief. Er hat einfach die Grimassen geschnitten, die er, hätte er es denn gedurft, damals als Kind gezeigt hätte, als er traumatisiert wurde. Bisher sind noch keine Gefühle mit der Einsicht verbunden, ebenso wenig wie Laute; doch das wird kommen, wenn er nur darauf vertraut, dass sein Körper und seine Gefühle ihn führen werden. Im Augenblick genügt es, dass er mit dem Bauch versteht, dass er diese Fratzen ist, und nicht der fein gekleidete, weltmännische Geschäftsmann, der er zu sein glaubte. Der nächste Schritt in der Therapie besteht darin, die Kongruenz noch zu erweitern; deshalb werden wir ihn bitten, die Laute zu machen, die genau zu diesen schrecklichen Fratzen passen. Sie verstehen, wieso ein schalldichter Raum notwendig ist.

 

Beispiel 2: Die Körpernotwendigkeit treibt eine Klienten in Richtung Kongruenz, um ihr so zu erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben.

Eine Frau in ihren Dreißigern liegt in meinem Primalraum, sie treibt im Strom der Zeit. Unbewusst nimmt sie meine Hand und beginnt, mit meinen Fingern zu spielen. Der Zweck dieser Berührung ist weder romantisch noch sexuell - es ist etwas Todernstes, und es zeigt, dass sie auf der Suche nach seelischem Wachstum ist. Langsam spielt sie mit jedem einzelnen Finger, und dann, ihr völlig unbewusst, schließt sie meine Hand und ballt sie zu einer Faust. Sie beginnt zu wimmern. Jetzt ist sie sechs Jahre alt und erinnert sich daran, wie ihr Vater sie oft mit der Faust geschlagen hat. Eine unbewusste Notwendigkeit, unterhalb der Ebene der Logik, hat sie dazu getrieben, eine Kongruenz herzustellen sie hat die Faust ihres Therapeuten zur Faust ihres Vaters gemacht. Das Schloss öffnet sich, die Abwehrmechanismen fallen weg, und sie erlebt das ursprüngliche Ereignis erneut.

 

Beispiel 3: Die Körpernotwendigkeit treibt eine Klienten in Richtung Kongruenz, um ihr so zu erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben

Eine 25-jährige Frau sitzt neben mir. Sechs Monate lang hat sie in meiner Praxis kein Wort gesagt. Bei einem Psychiater, bei dem sie vorher in Behandlung war, hatte sie  mehr als ein Jahr völlig geschwiegen. Ich merke, dass sie mit den Fingern kleine Bewegungen in Richtung der Knöpfe meines Hemds macht. Ich erkenne eine Körpernotwendigkeit und bitte sie, ihre Finger gewähren zu lassen. Langsam, über mehrere Sitzungen verteilt, öffnet sie die Knöpfe, und, noch langsamer, über noch viel mehr Sitzungen verteilt, drückt sie ihre Lippen gegen meine Brustwarze und fängt an zu saugen. Sie saugt an meiner Brust und liegt, während mein Hemd geöffnet ist, drei Jahre lang neben mir, wobei ihre Hände meine Arme und meinen Rücken kneten und drücken.

Es scheint, dass ihr Körper in der frühen Kindheit mit hässlichen, eiternden Wunden bedeckt war, und dass sie als Säugling lange Zeit nicht im Arm gehalten wurde. Sie wurde mit der Flasche in ihrem Kinderbettchen gefüttert. Ihr Körper fand in der Therapie genau das, was er brauchte. Sie trank dabei sowohl mit ihren Lippen wie mit ihren Fingerspitzen. Ihr ungestilltes Baby-Bedürfnis, berührt und gehalten zu werden und zu saugen, wurde jetzt gestillt. Später werde ich über diese Klientin noch mehr zu sagen haben.

 

Beispiel 4: Die Körpernotwendigkeit treibt eine Klientin Richtung Kongruenz, um ihr so zu erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben

Dieses Beispiel bringt uns in eine therapeutische Situation, bei der wir uns auf ein noch viel gefährlicheres Terrain begeben, ganz so, als wäre das vorherige Beispiel für den Therapeuten nicht schon gefährlich genug.

Eine Frau, welche seit mehr als einem Jahr mit mir im Primalraum arbeitet, ist jetzt tief in ihrer Innenwelt, auf Stufe Vier. Sie fragt mich, ob ich mich in einer sexuellen Stellung auf sie legen wolle, wobei wir beide ganz angezogen bleiben würden. Ich spüre, dass es sich um eine Körpernotwendigkeit handelt, gleichzeitig habe ich Angst, meine Arztlizenz zu verlieren, und so bin ich in einem heftigen inneren Zwiespalt. Ich entschließe mich, ihr zu helfen und klettere zwischen ihre Beine, so, als würden wir gleich Sex miteinander haben. Sie beginnt, ihr Becken gegen mich zu stoßen und gutturale Laute zu machen. Nach etwa zwanzig Minuten legt sie sich erschöpft zurück, es ist zu keiner Einsicht gekommen. Es gab in dieser Szene keine sexuelle Lust,  und überhaupt war diese Erfahrung für uns beide körperlich schmerzhaft. Ich denke daran, wie lange der Mann, der die Grimassen schnitt, bei seiner ´unlogischen´ Suche nach Kongruenz bleiben musste, und als sie mich in der nächsten Sitzung darum bittet, alles zu wiederholen, sage ich noch mal ja, obwohl mir das Ganze ziemlich Angst macht. Schließlich fällt der Groschen, und sie stellt fest, dass sie versucht hat, ihre Mutter aus ihrem Körper auszustoßen. Sie hat das Gefühl, dass sie damit Erfolg hatte.

Diese Klientin hatte eine Mutterfigur verinnerlicht, die äußerst negativ war, und ihr ganzes Leben lang hatte sie sich über diese tief negativen Aspekte in ihr Sorgen gemacht. Ihr Körper, der dieses mütterliche Introjekt abstoßen musste, hatte unbewusst nach einem weiblichen Weg dafür gesucht, und das war eben durch ihre Vagina. Um die dafür notwendige Intensität und Kongruenz zu erreichen, hatte sie jemanden gebraucht, gegen den sie heftig stoßen konnte, und durch die Schaffung dieser körperlichen Metapher konnte sie Kongruenz erfahren. Genauso, wie sie gegen ihre Mutter gestoßen hatte, deren boshafte Persönlichkeit ihr allerdings keinen Erfolg bescherte, stieß sie auch gegen mich, und meine rezeptive und einfühlsame Art erlaubte ihr, ihren symbolischen Akt zu Ende zu bringen. Ohne diese Erfahrung wäre ihre Heilung stark behindert worden, womöglich wäre es auch nie dazu gekommen.

 

Beispiel 5: Die Körpernotwendigkeit treibt eine Klienten in Richtung Kongruenz, um ihr so zu erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben

Dieses letzte Beispiel dringt noch tiefer in den geheiligten Bereich der Sexualität vor.

Sie erinnern sich noch an die Frau, die an meiner Brust saugte. Nach drei Jahren Saugen entwickelte sie einen Zwang, meinen Penis zu streicheln. Immer wieder schob ich ihre Hand weg, bis ich merkte, dass ich da auf eine äußerst mächtige Körpernotwendigkeit der Stufe Vier zu stoßen schien. Und wieder entschloss ich mich, sie gewähren zu lassen und ihr zu erlauben, das zu tun, was sie tun musste. Nach der langen Saugerfahrung musste sie sich tief im Inneren vergewissern, dass ich tatsächlich ein Mann war. Ihr tiefstes Gefühl für mein Geschlecht hatte sich verwischt,  und dies wirkte sich am Rande auf ihre eigene sexuelle Identität aus. Indem sie meinen Penis spürte, und in diesem Fall dadurch, dass sie spürte, wie er auf ihre Berührung durch meine Kleidung hindurch reagierte, konnte der Mann in mir ihr das Gefühl für ihre Weiblichkeit zurückgeben und damit in ihrer Psyche unsere jeweilige geschlechtliche Identität wieder ins Gleichgewicht bringen.

Aber es sollte noch zu etwas wesentlich Tieferem kommen. Nach ein paar Sitzungen mit sanften Berührungen ihrerseits hatte sie die bisher größte Einsicht in ihrem Leben. Jetzt erinnerte sie sich daran, dass ihr Vater sie an jedem einzelnen Tag ihres Lebens zwischen drei und dreizehn Jahren sexuell belästigt hatte. So mächtig war ihre Verdrängung dieser Erlebnisse, dass selbst nach vier Jahren Tiefentherapie nur dieser Moment der Kongruenz sie an die Oberfläche bringen konnte. So mächtig war ihre Verdrängung dieser Erlebnisse, dass sie während dieser ganzen Jahre eher bereit war, epileptische Anfälle zu haben, als diesen Erinnerungen zu erlauben, an die Oberfläche zu kommen. Bei unserer gemeinsamen Arbeit musste ich sie in solchen Momenten  fest an der Schulter packen, sie sanft schütteln und ihr Sitzung für Sitzung sagen, sie solle keinen epileptischen Anfall haben, sondern die Erinnerung an die sexuellen Aktivitäten ihres Vaters in ihrem Bewusstsein halten.

Während der letzten Jahre kamen sehr viele Erinnerungen bei ihr hoch, und sehr vieles wurde geheilt. Doch sie konnte nur dann wieder in diese Erinnerungen eintauchen und sie wiedererleben, wenn sie ihre Hand auf meinen Penis legte und sich so daran erinnerte, wie ihr Vater ihr beigebracht hatte, ihre Hand auf seinen Penis zu legen. Es war der Zwang, dies zu tun, den ich als Körpernotwendigkeit bezeichne. Wenn diese Körpernotwendigkeit ihre Hand zu der Kongruenz zwischen ihren gegenwärtigen und ihren vergangenen Erlebnissen hin drängte, war die Verdrängung besiegt, das Schloss rastete ein, und ihre Kindheit tauchte wieder auf. Ich denke, Sie verstehen, dass diese Ereignisse, auch wenn sie mit Sexualität zu tun haben, nicht wirklich sexuell sind. Es gibt hier keine Verführung. Hier ist kein Raum für sexuelle Erregung. Wir haben es hier mit einer todernsten Sache zu tun, wir müssen einer Körpernotwendigkeit Genüge tun, damit es zu einer Kongruenz und zum Wiedererleben eines Kindheitstraumas kommen kann. Diese Suche nach der Krankheitsursache unterscheidet sich nicht von der internen Untersuchung eines Gynäkologen, der nach der Krankheitsursache im körperlichen Bereich sucht. Diese Suche ist für mich als Therapeuten sexuell nicht aufreizender als die Forschungsarbeit von Masters and Johnson, die einen mechanischen Penis beobachteten, der sich in der weiblichen Vagina hin- und her bewegte, um so die genauen physiologischen Reaktionen bei der weiblichen Sexualität zu studieren.

Wir müssen noch weiter über die Anwendung von Berühren und Halten in der regressiven Tiefentherapie sprechen, und zwar weit über das hinaus, was wir bereits behandelt haben. Tatsächlich bleibt der tiefste Gebrauch dieser Techniken noch zu diskutieren.

 

Kapitel 6
Direktes Therapeutisches Nähren

 

Wenn wir einen Klienten bitten, auf den Schwingen des Schmerzes zu einem Kindheitstrauma zurück zu reisen, so ist das irgendwie so, als würden wir mit einem Baby einen Sonntagsspaziergang machen, es in seinem Kinderwagen quälen und es schließlich in den Trümmern einer zerbombten Stadt allein zurück lassen. Es tut weh, in die Kindheit zurückzukehren, und dort finden wir uns gewöhnlich in einer psychologischen Wüste wieder. Wenn wir die Trostlosigkeit einer Kindheit betreten, der es völlig an Liebe, Berührung und Empathie gefehlt hat, und die voll Missbrauch war, was tun wir dann mit dem Erwachsenen, der nun zu einem Baby geworden ist, und dessen zentrales Nervensystem weit offen ist, um seinen Schmerz zu fühlen, weit offen in einer Welt ohne Nähren (nurture)? Die Antwort ist klar. Wir lassen diesen psychologischen Säugling nicht einfach sterben, indem wir ihn aussetzen, wie es die alten Römer, einem groteskem Brauch folgend, taten. Sie wissen ja, dass diese aus sehr unterschiedlichen Gründen Babys sterben ließen, indem sie diese auf einem Berg aussetzten.

Ich setze meine psychologischen Kinder nicht aus, und wieder einmal erfordert das einen Vorstoß in eine strikt verbotene Zone. Ich biete an, was ich "direktes therapeutisches Nähren" nenne; es ist das der dritte Mechanismus, den ich als neues und legitimes therapeutisches Phänomen anführe.

Was bedeutet nun direktes therapeutisches Nähren?

Erstens muss der Therapeut äußerst präsent sein, um der Intensität der Verletzbarkeit auf Stufe Vier gerecht zu werden. In meinem Fall bedeutet das viele Dinge. Manchmal liege ich ganz nahe bei meinen Klienten, ohne sie direkt zu berühren und sehe sie dabei im Halbdunkel an, sodass sie, wenn sie die Augen öffnen, ein  fürsorgliches Gesicht sehen, wie sie es ja in ihren frühen Jahren nie sahen.

Zweitens bedeutet direktes therapeutisches Nähren Berührung. Ich berühre meine Klienten auf vielfältige, nicht-sexuelle Art. So lege ich ihnen etwa meine Hand auf die Hand, den Arm, den Rücken oder den Nacken, das Gesicht oder den Kopf - wie ein Vater sein Kind berühren würde, das Schmerzen hat.

Wenn ich Berühren für Zuwendung und Nähren nutze, lege ich vielleicht auch meine Hand auf den Bauch eines Klienten, auf oder unter seine Kleidung, wo sein Körper die Wärme aufnehmen kann, notfalls mache ich das auch von Haut zu Haut. In der Tiefenregressions-Therapie erkennen wir den Hunger nach Körperkontakt und nach Hautkontakt an.

Der Hunger nach Hautkontakt ist in der Welt des Säuglings wohl bekannt. Ein Mangel an Hautkontakt kann zu Depression und zum Tod führen. Dieser Prozess ist bei Säuglingen seit den Studien von Spitz und Bowlby, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gemacht wurden, gut bekannt. In Waisenhäusern, wo Babys einfach nur gefüttert und sauber gehalten wurden, litten diese an Depressionen und starben schließlich, falls sie nicht berührt wurden.

Kürzlich fand man, dass die Sterblichkeitsrate bei Frühgeborenen deutlich gesenkt werden kann, wenn man sie auf ein Schaffell statt auf ein Bettlaken legt. Das Fell, auf dem sie liegen, rettet ihr Leben. In der Welt eines Säuglings sind Berührtwerden und Leben ein- und dasselbe.

Nähren mit direkter Berührung ist die zweite Körpernotwendigkeit - so, wie die Suche nach Kongruenz die erste ist. Wenn Menschen in ihrer frühen Kindheit nicht ausreichend seelisch genährt wurden, bleibt bei ihnen ein intensives Bedürfnis nach Berührung und nach Gehaltenwerden zurück. Dies führt normalerweise während und nach der Pubertät dazu, dass sie Sexualität  benutzen, um Erleichterung zu finden. Wie oft habe ich Frauen sagen hören: "Wenn er mich bloß im Arm halten könnte, ohne gleich sexuell zu werden". In der Therapie halte ich tief verletzte Menschen, ohne dabei sexuell zu werden. Wir halten unsere Klienten, damit sie regredieren können, und wir halten sie, damit sie heilen können. Manchmal kann die gleiche Geste beides verbinden.

So kam eine junge Psychotherapeutin zu mir wegen Depressionen und schwerer Panik in Momenten sehr niedriger Selbstachtung. Sie hatte schreckliche Angst davor, ihr Mann könnte in ihrer neuen Ehe nichts Wertvolles an ihr finden, um damit seine Liebe zu ihr zu begründen. Sie zitterte vor Panik bei jedem negativen Blick und fühlte, dass sie kurz davor war, zusammenzubrechen.

Während unserer Arbeit entwickelte diese Klientin heftige Bauchschmerzen. Einem intuitiven Gefühl gehorchend, legte ich ihr die Hand auf den Bauch. Dieser fing an, sich heftig zu bewegen. Ich rollte mich in ihre Nähe, um sie körperlich dadurch zu unterstützen, dass ich sie im Arm hielt. Auf diese Weise wollte ich ihr helfen, eine dramatisch ansteigende Flutwelle von körperlichem und seelischem Schmerz aufzufangen.

Sie hatte sich ebenfalls zu mir gewandt, und so kam es, wie so oft und mit gegenseitiger Zustimmung in meiner Therapie, zu einer Position, in der wir uns gegenseitig in einer festen, frontalen Umarmung hielten. Die Bewegung ihres Bauchs nahm zu. Deshalb empfand ich es als notwendig, meine Hand unten auf ihren Rücken zu legen und ihren Bauch noch fester gegen meinen zu drücken.

Sie fing an zu schreien, ihr Körper wurde von Krämpfen erschüttert, und die Laute, die sie machte, waren laut und beängstigend. Allmählich veränderte sich ihre Stimme und wurde zunehmend zu der eines Säuglings. Solche Sitzungen setzten sich über Monate fort, ohne dass eine Einsicht auftauchte.

Ich spürte, dass es da zusätzlich zu einem völlig ablehnenden Vater und einer wütenden und boshaften Mutter noch ein anderes Trauma geben musste. Ich fragte sie, ob sie als kleines Kind noch eine andere, ernsthafte Verletzung erlitten habe. Sie erzählte mir, dass sie im Alter von weniger als elf Monaten für mehrere Wochen mit einer heftigen, gastro-intestinalen Fehlfunktion ins Krankenhaus musste. Während dieser Zeit durfte sie ihre Mutter nicht sehen. Die Forschung hat gezeigt, dass ein irreparabler Schaden entstehen kann, wenn ein Säugling von weniger als elf Monaten für längere Zeit allein gelassen wird. Während sie sich krampfhaft an mich drückte, schrie sie immer wieder: "Lass mich nicht allein". Als ich ihr sagte, ich würde sie nicht allein lassen, musste sie ein Stück wegrücken und mein Gesicht sorgfältig erforschen, um sich zu vergewissern, ob sie mir trauen könne oder nicht. Seltsamerweise ließen nach dem Wiedererleben dieses frühkindlichen Problems ihre Panikattacken im Zusammenhang mit ihrer niedrigen Selbstachtung allmählich nach. Wenn ein Kleinkind auch nur für wenige Wochen allein gelassen wird, so kann das jahrzehntelange Nachwirkungen haben und die Selbstachtung im Intimleben des Erwachsenen zerrütten.

Hier sehen wir, wie das Halten ein Kindheitstrauma sowohl auslösen als auch heilen kann. Wo eine intensive körperliche Nähe nötig ist, um ein von Schmerz erschüttertes Ich aufzufangen, oder eine katastrophale Vernachlässigung in der frühen Kindheit zu heilen, muss die Berührung wirklich sehr eng sein.

Wie Anna Freud in ihrem Buch über die psychischen Abwehrmechanismen gezeigt hat, entspricht die Stärke der Abwehr der Stärke der Verletzung. In meiner Welt bedeutet dies, dass ich bei Menschen, die tiefe Kindheitsverletzungen erlitten haben, eine ebenso tiefe und intensive Reparaturarbeit leisten muss. Und sie unterliegt der Kongruenzregel: Sie muss genau stimmig sein.

Im Falle der obigen Klientin zum Beispiel, die schrie und zum Alter von neun Monaten regredierte, geschah dies nur, wenn ich meinen Bauch gegen den ihren presste. Kein noch so intensives Händehalten oder verbales Drängen hätten den dafür notwendigen Schlüssel abgegeben.

Während ihrer regressiven Momente war ich die mütterliche Rettungsleine, das nährende Element, ehe sie ihren potenziellen Tod als Kleinkind nochmal aufsuchte. Sie klammerte sich an mich mit der Intensität eines Opfers in einem Konzentrationslager, das zu den Öfen geschleppt wird. Ich klammerte dagegen mit einer kraftvollen, empathischen, menschlichen Reaktion. Etwas anderes hätte ich nicht tun können.

Nachdem sie die Kongruenz hergestellt hatte, und wir ihre akuten Bauchschmerzen genutzt hatten, fanden wir uns schnell in der tiefen, vorsprachlichen Vergangenheit wieder. Sie erlebte ihre gastro-intestinale Notsituation wieder und ebenso die todverheißenden Verlassenheitsgefühle des Kleinkindes.

Auf dem Gebiet der therapeutischen Berührung ist Haut-zu-Haut-Kontakt ein äußerst wichtiger Aspekt. Er ist tief, mächtig und notwendig für die Entfaltung der psychophysischen Strukturen des Kleinkindes.

Ich glaube, dass es während der Adoleszenz zu einer emotionalen Verschiebung kommt. Diese Verschiebung im emotionalen Bereich ist analog dem Schließen der Öffnung zwischen der rechten und der linken Seite des Herzens gleich nach der Geburt, die bewirkt, dass der Blutkreislauf des Säuglings anfängt, Sauerstoff aus der eigenen Lunge aufzunehmen, statt, wie bisher, über die Nabelschnur von der Mutter.

In der Adoleszenz verschiebt die Berührung der Haut viel von ihrer inneren Bedeutung weg vom direkten Nähren hin zur sexuellen Erregung.

Diese Doppelnatur der Berührung führt zu einem ernsthaften Problem in der Regressionstherapie. Wenn ein Erwachsener in den Kindheits- oder Säuglingszustand regrediert, ist direkte Berührung oft notwendig. Doch der Klient ist stets auch ein Erwachsener. Dieser Erwachsene kann Sexualität hochkommen lassen, oder aber er wählt die nährende Seite der nährend-sexuellen Verschiebung. Was hätte sexuell sein können, wird jetzt zu einem nährenden Ereignis. Kommt es dabei zu einem leichten Überschwappen (spillover) in sexuelle Erregung, so kann der Erwachsene im Klienten wie im Therapeuten daran arbeiten, diese zu neutralisieren. In der Regel setzt sich der nährende Aspekt so deutlich durch, dass der Klient diesen zunehmend als zentrales und lebensrettendes Ereignis erlebt.

Sicherlich müssen wir bei diesen nährenden Erfahrungen mit außerordentlicher Sorgfalt vorgehen. Viel Vertrauen und guter Wille sind hier vonnöten. Doch gibt es in der Medizin nicht auch häufig Gelegenheiten, bei denen große Sorgfalt geboten ist?

Wenn zwei Menschen sich mit dem Bauch aneinander legen, so ist das eines der stärksten Beruhigungsmittel gegen panische Angst, die es für Erwachsene gibt. Die beruhigende Wirkung dieser Erfahrung wird noch verzehnfacht, wenn die Kleidung im Bauchbereich zurück geschoben wird. Die Befreiung von tiefer Angst und Verzweiflung, die diese Art von Berührung mit sich bringt, ist dramatisch und wirkt unmittelbar. Wir alle haben diese Art von Trost in abgeschwächter Form schon bei der Umarmung als Erwachsene erfahren.

Diese Technik können wir in der Regressionstherapie verwenden, um starke Beruhigung und tiefes Nähren zu bewirken. Dabei sollte der Druck gegen Brust und Becken so schwach wie möglich sein, und sexuelle Bewegungen des Beckens müssen unterbleiben.

Einer meiner Klienten, der seine schweren Angstzustände und sein krampfhaftes Weinen mit Hilfe dieser Technik lindern konnte, nannte diese Momente Bauchumarmungen.

Es ist für unsere Kultur auf ihrem derzeitigen Entwicklungsstand schon bezeichnend, dass man einem so einfachen, organischen und effektiven Beruhigungsmittel, das wir in der Tiefentherapie bei großer Angst einsetzen, zuweilen mit so viel Intoleranz begegnet.

Wenn wir einen Moment innehalten, um das Ganze zu überdenken, dann erinnern wir uns daran, dass das Schönste, was eine junge Mutter für sich und ihren Säugling tun kann, darin besteht, ihn sich auf den Bauch zu legen. So drückt sie ihre Liebe in einer kraftvollen Form aus, und dieser Haut-zu-Haut-Kontakt ist ein mächtiger Katalysator für das frühe Wachstums ihres Kindes. Das Nähren von Haut zu Haut bildet das körperliche Fundament, auf dem die psychologische Gesundheit gründet. Es ist die grundlegende Basis für eine gesunde Persönlichkeit.

Es kann sein, dass körperliches Wiederbeeltern (reparenting) in der Tiefen-Regressionstherapie eine absolute Notwendigkeit ist. Es gibt Klienten, die offensichtlich außerordentlich tiefe, regressive Arbeit leisten zu können, ohne die Berührung ihres Therapeuten zu benötigen. Andere wiederum können mit der extremen Intensität dieser schmerzhaften Regressionen ohne sehr viel Berührung und ohne tiefe körperliche Verbundenheit nicht umgehen.

Immer wieder weisen Therapeuten, die diese Art des Nährens anbieten, ihre Klienten darauf hin, dass sie unter keinen Umständen in der Öffentlichkeit darüber reden dürfen. Es ist an der Zeit, mit dieser Ängstlichkeit und dieser Unehrlichkeit Schluss zu machen. Wenn wir die Kernenergie sicher machen können, dann können wir das auch beim tiefen Nähren.

 

Die Rolle des Geruchssinns bei menschlichen Wachstumsprozessen

Auf dem Gebiet der direkten Berührung gibt es noch ein weiteres Thema, das mit dem direkten Hautkontakt in Verbindung steht. Beim Halten von Klientinnen habe ich immer wieder festgestellt, dass sie dabei ihr Gesicht unten an meinem Hals vergruben, dort, wo über dem obersten, offenen Knopf meines Hemds ein V-förmiges Stück Haut frei liegt. Daraufhin begann ich, mein Hemd oben weiter zu öffnen, sodass die Klientinnen ihr Gesicht direkt auf meine Haut in der Halsgegend legen konnten. Sie schienen genau diesen Haut-zu-Haut-Kontakt häufig zu suchen, obwohl es keine leichte Position zum Atmen ist.

Dann wurde mir klar, dass es dabei gerade um das Atmen geht. Die Klientinnen suchten nach einem Gefühl der Sicherheit über ihren Geruchssinn, genauso, wie es manche Säugetiere tun. Jeder, der schon einmal einen Hund oder eine Katze hatte, ist damit vertraut. Obwohl sie etwas verkümmert sind, sind die Geruchslappen des Gehirns, die uns das Riechen ermöglichen, doch immer noch relativ groß in unserer Spezies.

Das Bestreben, dem Therapeuten körperlich immer näher zu kommen, bildet den Grundstein für die Bindung (bonding), welche die Verinnerlichung eines neuen Elternersatzes erleichtert. Dieser Wiederbeeltern-Effekt (reparenting), den der Klient danach verinnerlicht, bietet ihm eine neue und stabilere Basis für seine Persönlichkeit. Dies gilt besonders für Menschen, die als Kinder von ihren richtigen Eltern zu wenig Liebe erfuhren oder anderswie geschädigt wurden.

Eine solche extreme Nähe zum Therapeuten ist bei Regressions-Therapie der Stufe Vier für einige Menschen eine absolute psycho-physiologische Notwendigkeit. Wie ich schon oben gesagt habe, ist die extreme körperliche Nähe zwischen Therapeut und Klient die zweite Körpernotwendigkeit in der Tiefentherapie der Stufe Vier. Die erste ist, wie Sie sich erinnern, die Suche nach Kongruenz diese haben wir ja bereits besprochen haben.

Zwei meiner Klientinnen haben mir berichtet, dass sie sich während Phasen von Schlaflosigkeit oder nach einem Albtraum meine Gegenwart auf nicht-sexuelle Art in der Fantasie vorstellten, um ihre Angst zu neutralisieren. Die eine stellt sich vor, wie ich sie im Arm halte, die andere, wie ich ihr den Nacken streichle. Diese Fantasien bewirken bei ihnen ein Nachlassen der Angst und eine Rückkehr des Schlafs. Eine andere Klientin fragte mich, ob ich für sie ein Stück meines Hemds abreißen könnte, damit sie es sich zwischen ihren Sitzungen ans Gesicht halten und so den Duft meines Körpers zur Beruhigung einatmen könnte. Damit benutzte sie ein Elternersatzobjekt, um so ihren Geruchs- wie auch ihren Tastsinn zu stimulieren. Diese Klienten versuchen offensichtlich, ein Elternersatzobjekt in sich aufzunehmen, bzw. zu verinnerlichen, das sie stärker beruhigen soll, als es ihre realen Eltern taten. Dies stützt und festigt den Grund ihres Persönlichkeitssystems angesichts dieser traumatischen Wiedererlebensszenen. Das meine ich, wenn ich von der intensiven Präsenz des Therapeuten in der Regressionspsychotherapie der Stufe Vier spreche. Bitte beachten Sie, dass diese Art der Präsenz in keiner Weise störend in die inneren Prozesse des Klienten eingreift, was die Produktion von Einsichten betrifft. Sie ist im Gegenteil ein Katalysator für genau diese tieferen Einsichten.

Berührung ist für die physiologische und psychologische Entfaltung des Babys genauso unerlässlich wie Vitamine während der Schwangerschaft für die Entfaltung seiner intellektuellen Kompetenz.

Als ich in den späten siebziger Jahren zum ersten Mal Berühren und Halten als mächtige Unterstützungsfaktoren entdeckte, machte ich eine Reihe von Fehlern. Zuerst machte ich keine saubere Trennung zwischen beiden; oft sind sie nämlich völlig separat, dann wieder sind sie sich ganz ähnlich.

Direkte Berührung als Auslöser für ein frühes Wiedererleben funktioniert gewöhnlich sehr gut. Sie werden sich an den Mann mit dem Magengeschwür im ersten Teil dieses Buches erinnern. Fälle wie dieser sind recht häufig. Direkte Berührung kann eine Regression auslösen, kann aber auch zur körperlichen Beruhigung und Dämpfung gebraucht werden. Wenn ein Klient zum Beispiel an tiefe negative Gefühlen herankommt, dann kann ich dadurch, dass ich ihm eine Hand fest auf die Mitte seines Rückens lege, ihm die nötige Unterstützung geben, um diese mächtigen Gefühle hochkommen zu lassen.

Auch das Halten kann, wie wir gesehen haben, das Hochkommen überwältigender Gefühle sowohl unterstützen wie dämpfen. In den ersten Jahren, als ich diese Techniken erforschte, machte ich in einzelnen Fällen einen schweren Fehler, indem ich mit Hilfe des Haltens das Zurückgehen des Klienten in seine Kindheit erleichterte, ehe der Klient ein Bedürfnis danach spürte. Kurz, ich hörte auf, klientenzentriert zu sein. Das Ergebnis war, dass ich mehrere Klienten so durcheinander brachte, dass sie sich eher bedrängt als unterstützt fühlten. Und so lernte ich die alte Lektion der Therapie, die besagt: Du sollst neben oder hinter dem Klienten gehen, aber du musst äußerst vorsichtig sein, wenn du vor dem Klienten her gehst und dabei ein mächtiges, unterstützendes (facilitative) Verfahren anwendest. Ich lernte, Halten nur dann zu benutzen, wenn ein starkes Bedürfnis des Klienten organisch danach verlangt. Ehe ein Bedürfnis danach besteht, kann Halten als nicht kongruent, invasiv und möglicherweise auch als sexuell erlebt werden. Ehe ein Bedürfnis danach besteht, kann Halten die Therapie zu schnell vertiefen und eine Reihe unproduktiver Ergebnisse zur Folge haben, und der Klient erlebt dies zurecht als verletzend.

Berühren und Halten müssen von einem Selbst gebraucht, gewollt und verlangt werden, das versteht, was ihm zugemutet wird. Dieses Selbst muss sich dem Erleben zutiefst verschrieben haben, und es muss stark genug sein, um die mächtigen Gefühle, die dabei hochkommen, auszuhalten und zu verarbeiten.

Wenn ein Klient wirklich in Tiefentherapie der Stufe Vier am Arbeiten ist, dann sind Berühren und Halten ein warmer und sicherer Herd in einem verzweifelten Sturm.

 

Sexuelle Berührung

Ich verstehe heute, dass es einfach zu schwierig ist, mit sexueller Berührung therapeutisch zu arbeiten. Es ist mir heute klar, dass die meisten Klienten, die danach verlangen, keine Ahnung haben, wie sehr diese sie durcheinander bringen kann.

Die Sexualität ist in der Welt des Klienten ein Ozean für sich: tief, tückisch und von Stürmen gepeitscht und das besonders, wenn ein Klient in seiner Kindheit sexuell missbraucht wurde.

Die schreckliche und alles erschwerende Wahrheit über sexuelle Berührung, ist, dass sie nicht nur das Wiedererleben des Kindheitstraumas auslöst, sondern zugleich auch den Paarungsprozess im Gehirn zünden kann. Dies kann zu dem ganzen Spektrum von Reaktionen führen, der die "Liebe" ausgesetzt ist, d.h. zu mächtigen Liebeserwartungen, zu Verlassenheitsgefühlen, zu Eifersucht, Wut usw. Im Gegenzug können diese Gefühle das beschädigte Ego (ego container) des Klienten, und sogar den Therapeuten, überwältigen und mit verheerenden Folgen in die Therapie überschwappen.

Und als ob das der Probleme noch nicht genug wären, können die defensiven Kräfte des Gehirns den Therapeuten zur Quelle des Schmerzes machen und so die Angst machende frühe Primärarbeit vermeiden. Wie ich anderswo sage, fällt es uns leichter, den Therapeuten zu zerstören, als uns unseren frühen Missbrauchserfahrungen zu stellen.

Und doch haben Masters und Johnson und andere Forscher direkte sexuelle Techniken und Ersatzpartner benutzt, und dabei immer mehr Innovationen in diesen Bereich eingeführt. Meine Behandlung der Klientin, die den sexuellen Missbrauch aus ihrer Kindheit nur wiedererleben konnte, indem sie mich berührte, ist für  mich ein Beispiel von ethischer Therapie.

Doch Therapeuten müssen auf der Hut sein und unterscheiden können, ob eine Bitte nach sexueller Berührung von krankhaften Impulsen geleitet wird, oder ob sie, im Gegensatz dazu,  eine Körpernotwendigkeit der Stufe Vier darstellt, die nach Kongruenz sucht, um ein therapeutisches Wiedererleben zu ermöglichen.

Trotz dieser Einschätzung habe ich nicht das Gefühl, dass ich es je wieder riskieren könnte, therapeutisch mit sexueller Berührung zu arbeiten. Stattdessen habe ich mich dem Gebrauch von therapeutischen sexuellen Modellen zugewandt. So konnte zum Beispiel ein langer, harter Gegenstand unter einem Bettlaken effektiv das Wiedererleben eines frühen Missbrauchs bei einer meiner Klientinnen auslösen.

 

 

 

Kapitel 7
Die Lust des Therapeuten als Problem in der Regressionstherapie

 

Eines der schwer wiegendsten Probleme in jeder Therapie, die Berühren und Halten einbezieht, ist das Problem der Lust des Therapeuten. Besonders heikel wird das Problem, wenn wir an einen sexuellen Kontakt ganz gleich welcher Art zwischen Klient und Therapeut denken. In der Tat ist dieses Problem so akut, dass wir jedwede Art von sexuellem Kontakt in der Therapie völlig ausgeschlossen haben.

Wir wollen einige unserer am meisten geschätzten Annahmen auf diesem Gebiet kurz überdenken.

Jede Psychotherapie ist für den Therapeuten eine Quelle der Lust; es ist die Lust am Heilen und die Lust, in einer intimen Beziehung zu sein. Für den Therapeuten ist diese Intimität sicher. Der Therapeut muss nichts riskieren, er trägt die Verantwortung. Er weiß mehr als seine Klienten; er steht über ihnen und hat einen sicheren Abstand. Und doch kann, von diesem günstigen Aussichtspunkt aus, sich der Therapeut innerhalb seiner professionellen Beziehung zu seinen Klienten emotional nähren, und zwar deshalb, weil diese das Ganze durch das, was sie einbringen, zu einer intimen Beziehung  machen, und das unter erheblichem eigenem Risiko.

Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass wir Therapeuten uns alle von dieser Art Intimität emotional nähren können und es auch tun, ob wir es zugeben oder nicht. Ich vermute, dass wir hier eine Nähe erfahren, die wir als Kinder nie erlebt haben. Niemand von uns darf es zulassen, dass sein eigenes Nähren vorrangig wird, und dass er so die klientenzentrierte Qualität dieser Erfahrung schädigt.

Lust in der Psychotherapie entsteht auch durch ihren voyeuristischen Aspekt. Aktuelle Untersuchungen zum Beispiel warnen Klienten wie Therapeuten davor, sich allzu sehr für peinliche Details aus der Kindheit des Klienten und aus seinen anderen sexuellen Begegnungen zu interessieren. Das ist besonders deshalb sehr schwierig für beide, da, wie ich wiederholt gesagt habe, traumatische Erlebnisse äußerst detailliert wiedererlebt werden müssen, damit es zur Heilung kommt. Allerdings kann man in den meisten Fällen intuitiv gut unterscheiden, ob es sich um ein explizites Interesse am detaillierten Wiedererleben von schwierigen Lebenssituationen zum Zwecke der Unterstützung und der Heilung handelt, oder um ein voyeuristisches Interesse.

Machen wir uns nichts vor: Einem Therapeuten macht das Therapieren Spaß, genauso wie dem Piloten das Fliegen oder dem Taucher das Tauchen; allerdings ist auf dem Gebiet der Psychotherapie das eigene Nähren bei der beruflichen Erfahrung direkter und ähnelt stärker der Intimität, in der wir hätten aufwachsen sollen, es aber so selten konnten.

Wenn ein Mensch tiefe, persönliche Wahrheiten ausspricht, nährt das den Zuhörer immer.

Regressive Psychotherapie der Stufe Vier erhöht die Intimität und das Nähren, die der Therapeut erhält, weil sie so viel intensiver ist, und diese Intensität wird noch verstärkt, wenn es zu direktem Hautkontakt kommt. Bei einer therapeutischen Erfahrung, die tiefes, emotionales Material enthält und zusätzlich dazu noch mit Berühren und  Halten verbunden ist, kann es bei Therapeut und Klient zu einem tiefen, gegenseitigen, primären Nähren kommen. Natürlich können wir als Therapeuten uns nicht gehen lassen und aktiv nach dem gleichen Grad von Nähren suchen wie der Klient. Schließlich hat der Therapeut auch noch eine objektive Arbeit zu tun. Trotzdem wird auch der Therapeut genährt. Und tatsächlich: Wenn ich nicht voll präsent bin und den Klienten einfach nur meinen Körper zur Verfügung stelle, scheinen diese es zu merken und sagen mir vielleicht so etwas wie: "Du bist heut nicht ganz hier". Ich habe also entdeckt, dass, wenn ich einen Klienten halte, das Nähren eindeutig in beide Richtungen fließt. In der Therapie müssen wir das Hauptaugenmerk jedoch unbedingt auf den Klienten richten.

Während einer langen Tiefenbehandlung entdeckte ich, dass sich ein Magengeschwür, das mich schon seit acht Jahre lang plagte, aufgelöst hatte, und das als Nebenprodukt der Behandlung. So wurde auch der Therapeut geheilt.

Erhalten nicht auch die Eltern etwas zurück, wenn sie geben? Mehr als eine Frau hat mir von der tiefen sinnlichen Lust beim Stillen ihres Säuglings berichtet.

Berühren und Halten in den Dienst des Klienten zu stellen, es wirklich klientenzentriert anzuwenden, setzt einen Grad persönlichen Wachstums beim Therapeuten voraus, der nur schwer und erst am Ende einer langen und schwierigen Reise zu erreichen ist. Es stammt nicht aus Büchern, sondern aus der Erfahrung. Und da Erfahrung ihre eigene Lehrmeisterin ist, kommt es zu persönlichem Wachstum dadurch, dass wir Fehler machen. Und genauso, wie ein Forschungsreisender von den Mitgliedern eines Naturvolkes in eine Falle gelockt und dann gefangen genommen werden kann, können auch die Schwierigkeiten der Tiefentherapie den Therapeuten in eine Falle locken und damit eine therapeutische Reise untergraben.

Natürlich fügt sexuelle Berührung einer bereits nährenden Erfahrung noch zusätzlich Lust hinzu. Gibt es denn irgendetwas auf der Erde, das beim Therapeuten die Haltung aufrecht erhalten kann, sich mehr für die Heilung seiner Klienten als für seine persönliche Befriedigung zu interessieren? Ich glaube, es gibt im Menschen eine Kraft, die dieser Herausforderung gewachsen ist, eine Motivation, die noch stärker ist als das tiefe Nähren beim Berühren und die sexuellen Lust in der Therapie. Ich glaube, einen Sinn in seinem Leben zu haben, ist ein noch mächtigerer Antrieb als der, Lust zu empfinden.

Männer und Frauen haben seit jeher viel mehr als nur ihre Lust geopfert, wenn es um „den Sinn ihres Lebens“ ging. Männer haben sich auf Handgranaten geworfen, um ihre Freunde zu retten. Frauen haben Folter und Tod riskiert, um zu Zeiten der Unterdrückung in einer Widerstandsbewegung aktiv zu werden. Ich könnte noch endlos Beispiele anführen. Mitglieder unserer Spezies haben alle Arten von Stress auf sich genommen, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Der Kampf gegen die Sinnlosigkeit des eigenen Lebens ist der entscheidende und tiefe Grund dafür, dass ein Therapeut, der guten Willens ist, sich von den Bedürfnissen seines Klienten leiten lässt. Wenn Therapeuten sich gestatten, ihre eigenen Interessen während der Therapie zu verfolgen, ist es mit dem Sinn vorbei.

Können wir klientenzentriert sein? Wir müssen es. Die Alternative ist das Nichts und die Verzweiflung, und die beherrschen dann eine geistige Landschaft, die immer düsterer wird, bis es zu Depression und/oder Tod kommt. Sinnlosigkeit und Tod sind sehr enge Partner.

Am Ende, wenn alles gesagt und getan ist, kommt Lust bei einem entwickelten menschlichen Wesen gegen den Sinn nicht an.

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Sinnhaftigkeit hat ja Vorrang vor der Lust. Deshalb habe ich früher behauptet, falls es für den Klienten klar sei, dass eine Intervention mit sexueller Berührung auf  einem gesundheitsorientierten Bedürfnis seinerseits beruhe, und der Therapeut von einer klientenzentrierten Orientierung, nicht von seiner Lust, motiviert werde, könnte eine solche Intervention gelegentlich zu echter Heilung führen, ohne dass die Beziehung dabei zu Schaden kommen müsse.

Heute glaube ich, dass dieses Experimentierfeld so gefährlich ist und so leicht zu Missverständnissen führen kann, dass man es nie betreten sollte. Fünf Jahre intensiver Gespräche mit Klienten und Kollegen haben meine Meinung geändert.

Bei den seltenen Gelegenheiten in der Therapie auf Stufe Vier, wo der Klient einer Körpernotwendigkeit folgt, um (zum Zwecke des Wiedererlebens) eine Kongruenz mit einem vergangenen Ereignis herzustellen, muss der Therapeut auf  sexuelle Berührung unbedingt verzichten.

Wenn man eine attraktive Frau hält, kann während der Lernphase dieser Technik so etwas wie ein sexueller Halo-Effekt innerhalb der therapeutischen Beziehung entstehen. Manchmal ist es unter diesen Umständen für den Therapeuten unmöglich, sich nicht bewusst zu sein, dass er den Körper einer Frau im Arm hält. Es ist dabei jedoch nicht so besonders schwierig, Gefühle sexueller Erregung unter Kontrolle zu halten. Reife Männer können sich auf diesem Gebiet sehr wohl beherrschen.

Sollte ich beim engen Halten einer Frau diese sexuellen Gefühle bzw. diesen sexuellen Halo-Effekt spüren, und sollte dies bei mir zu einer gewissen Erregung führen, dann konnte ich der Frau versichern, es handele sich dabei lediglich um eine physiologische Reaktion, und sie bräuchte sich deshalb keine Gedanken zu machen. Diese Erregung muss unser Urteilsvermögen und unsere Selbstkontrolle nicht beeinträchtigen. Vorausgesetzt, guter Wille und Vertrauen sind vorhanden, dann hat die Klientin bei solchen Gelegenheiten keine Schwierigkeiten damit, diese sexuelle Reaktion als ein Artefakt zu betrachten. Sie braucht keine Tür zu einer Katastrophe zu öffnen. Wir können zur Kenntnis nehmen, was passiert, und brauchen uns nicht darin zu verstricken. Wenn wir einfach mit dem weiter machen, was für den therapeutischen Prozess gesund ist, geht die sexuelle Erregung zurück. In dieser Situation ist sie fehl am Platz.

Wenn wir nicht bereit sind, gelegentlich ein Risiko einzugehen, wenn wir Nähren und körperliche Unterstützung anbieten, dann verlieren wir allmählich das Gefühl, therapeutisch lebendig zu sein. Einige Klienten, denen wir hätten helfen können, bleiben dann für immer in einer verwüsteten Kindheit stecken, aus der sie nicht gesund zurückkehren können. Vielleicht gelingt es ihnen ja, ihre Abwehr wieder aufzubauen, doch am Schluss sind sie rigide, verletzlich und voller Angst. Das zentrale Paradox der Therapie kann dadurch sicherlich vermieden werden, doch der Preis, den die Klienten dafür zahlen müssen, ist immer hoch.

 

Noch ein letztes Wort über das Nähren

Unter normalen Umständen ist das Halten eines Menschen zwar eine recht angenehme Erfahrung, doch es nährt und verändert das innere Kind nicht. Doch im Fall einer Tiefenregression ist das anders: Dann nährt das Halten das innere Kind tatsächlich, weil das zentrale Nervensystem weit offen ist. Diese Technik habe ich THERAPEUTISCHES NÄHREN genannt.

Heute kommen Klienten zu mir, da sie wissen, dass ich Regressionstherapie mache und unterstützendes Nähren anbiete. Bei vielen Klienten sind die letzten 15 Minuten jeder Sitzung in der Tat dem Halten vorbehalten. Im Grunde handelt es sich dabei um warme, tief bedeutungsvolle Ganzkörperumarmungen, wobei  Therapeut und Klient auf der Seite liegen. Nährendes Halten kann auf Stufe Vier der Regressionstherapie vorkommen, ohne dass es notwendigerweise Teil eines mächtigen regressiven Wiedererlebens ist.

Eine meiner Klientinnen, die Tochter eines Alkoholikers aus einer stark dysfunktionalen Familie, besteht darauf, dass ich sie am Ende jeder Sitzung zwanzig Minuten lang im Arm halte. Sie sagt, es sei dieses Halten, das ihrem Alkoholismus, ihrer Bulimie, ihrem zwanghaftes Erbrechen und ihrer obsessiven Beschäftigung mit dem Selbstmord ein Ende gesetzt habe. Sie hat auch aufgehört, Selbstmordnotizen mit ihrem Blut zu schreiben. Ihr Gefühl sagt ihr, dass sie dieses Gehaltenwerden braucht, und dass es das Nähren ersetzt, das sie damals nicht bekam, und das ihr auch noch so viele Diskussionen nie werden geben können.

Immer wieder äußern sich Klienten mir gegenüber positiv über die Auswirkungen des tiefen Nährens. Es wird immer Teil der regressiven Tiefentherapie bleiben.

Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens kann ich die endlosen Debatten von Psychiatern darüber, ob der Therapeut dem Klienten die Hand schütteln soll oder nicht, nicht länger ertragen. Die Art Psychotherapie, die ich und ein paar andere praktizieren, ist so weit über die Ambivalenz der psychiatrischen Hauptströmung, was das Halten betrifft, hinaus, dass die Literatur dazu für uns sinnlos ist.

 

Kapitel 8
Anforderungen an Regressionstherapie der Stufe Vier

 

a: Klarheit

Das Vermögen, klar zu sehen, ist beim Menschen extrem beeinträchtigt, und damit ist auch seine Fähigkeit einzugreifen, beeinträchtigt.

Die menschliche Abwehrhaltung, die wir alle ständig am Werk sehen, legt den Eindruck nahe, dass Persönlichkeit ein Konstrukt ist, das auf  einem Unterbau von großer Angst steht. Es sieht so aus, als hätten wir schreckliche Angst vor unserem Ende. Wir können eine Infragestellung unserer Glaubenssysteme nicht ertragen, weil sie uns in die Nähe unserer Angst vor dem Nicht-Sein bringt.

Hast du Recht, und ich habe Unrecht, dann breitet sich womöglich mein Gefühl, Unrecht zu haben, aus, und ich falle in einen Abgrund von Im-Unrecht-Sein, wo ich zerfalle, zu einem Nichts werde und sterbe. Alles, was von außen auf uns zukommt, kann diese Art von Schrecken in uns auslösen. Unfähig, die Bodenlosigkeit unseres Im-Unrecht-Seins zu ertragen, verteidigen wir uns, hören nicht zu, verdrehen die Tatsachen und bleiben um jeden Preis bei unserer Wahrheit. Es ist dieser Schrecken, der unsere Meinungen erzeugt, und der uns zu dem Versuch veranlasst, die Meinungen anderer Menschen zu ignorieren. Es ist dieser Schrecken, der Therapeuten dazu bringen kann, ihren Klienten ihr eigenes therapeutisches Glaubenssystem aufzuzwingen. Interessanterweise ist es unter anderem genau dieses Persönlichkeitskonstrukt, das der Zen-Buddhismus mit Hilfe seiner Koans, der "unlösbaren" Fragen, aufzulösen sucht. Koans sind eine der Methoden des Zen auf dem Weg zur Absichtslosigkeit (no-mindedness).

Die Wahrnehmung von Therapeuten ist genauso getrübt wie die von anderen Menschen. Sie besitzen jedoch das weltbeste Abwehrsystem, die Abwehr des Wissens. Es ist schon bemerkenswert, wie viel manche Therapeuten wissen, und doch scheinen sie nicht in der Lage zu sein, mit ihren Klienten direkt tiefentherapeutisch zu arbeiten. Daraus könnte man schließen, dass das, was sie wissen, ein Konstrukt ist, um ihre eigene Sicherheit zu schützen. Man könnte daraus schließen, dass sie schreckliche Angst haben. Die Belastung der Reise eines Klienten durch die Angst des Therapeuten geschieht fortwährend, ist subtil, unsichtbar und vollständig. Oft trägt sie den Namen "psychodynamische Theorie".

Viele Therapeuten, die sich selbst als "rational" ansehen, können die oberste Wahrheit der Therapie nicht wirklich glauben: Dass die Psyche des Menschen, wenn sie fühlen darf, sich selbst heilt. Sie können diesen fundamentalen Glaubenssatz nicht akzeptieren. So seltsam es auch scheinen mag, die Fähigkeit, vor der regressionstherapeutischen Arbeit des Klienten zurückzutreten und ihr nicht im Weg zu stehen, fußt auf der Zen-Doktrin der Absichtslosigkeit. Das bedeutet Folgendes: Auch wenn ein Therapeut noch so sehr an seine Techniken zur Öffnung der Pforten der Seele glaubt, ist es doch extrem wichtig, dass er dann, wenn diese Pforten sich öffnen, diesem Prozess nicht die eigenen Überzeugungen überstülpt. Er muss warten, voll Hoffnung, doch ohne sich einzumischen. Sein eigener Geist muss von eigenen Konflikten "leer" sein, sodass er mit dem Klienten intuitiv in Resonanz treten kann. Ist der Therapeut voll von Wissen, so wird er ziemlich sicher die Verknüpfungen stören, die im Laufe des Prozesses entstehen. Die Lehre von der Absichtslosigkeit ist ein Konzept des Zen-Buddhismus, das in die westlichen Psychotherapie durch Fritz Perls Begriff der fruchtbaren Leere Eingang gefunden hat. Ich kann an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, ich weise nur darauf hin, dass dieses Konzept in seiner buddhistischen Bedeutung ein fast unerreichbares Ziel darstellt; im therapeutischen Kontext ist das viel eher möglich.

Die Absichtslosigkeit eines Therapeuten beruht im Wesentlichen darauf, dass er selbst mindestens zwei bis vier Jahre als Klient in tiefentherapeutischer Behandlung war (eine weitere Voraussetzung, um diese Arbeit zu machen). Jeder Therapeut, der nicht auf Stufe Vier an sich selbst gearbeitet hat, würde eine Gefahr  darstellen. Es wäre einem solchen Therapeuten unmöglich, beiseite zu treten und das Wiedererleben zuzulassen. Das liegt daran, dass das menschliche Bewusstsein sich auf halbem Weg zwischen der eigenen Vergangenheit und der äußeren Welt befindet. Nur ein kurzes Beispiel: Wenn ich als Kind von einem Hund gebissen wurde, ohne mich bewusst daran erinnern zu können, dann beeinflusst diese Erinnerung, ohne mein Wissen, die Art und Weise, wie mein Bewusstsein auf einen Klienten, der über Hunde spricht, reagiert. Angenommen, der Klient möchte zwei oder drei Hunde besitzen, und ich mache, völlig unbewusst, die Bemerkung: Meinst du nicht, ein Hund wäre genug?", so mag es durchaus den Anschein haben, als sei ich Klientenzentriert und fürsorglich (Ereignis in der Außenwelt), In Wirklichkeit jedoch reagiere ich auf ein mir unbekanntes Ereignis aus meiner Vergangenheit. Wenn wir uns klar machen, dass die meisten Ereignisse aus unserer Kindheit unserer bewussten Erinnerung nicht zugänglich sind, dass diese Erinnerungen aber die Art und Weise beeinflussen, wie wir fühlen, denken und täglich auf Menschen reagieren, dann wird klar, dass die Reaktionen des Therapeuten auf seine Klienten enorm getrübt sind. Wenn Menschen versuchen zuzuhören, nehmen sie meist doch nur die Ängste wahr, die durch das, was sie gehört haben, in ihnen ausgelöst werden und reagieren bloß auf diese.

Auch starke Gefühle unterlaufen die Klarheit von Fühlen und Denken. Wenn ich ohne Liebe aufwuchs, kann mein Bedürfnis nach Liebe meine Arbeit ungünstig beeinflussen. Vielleicht fokussiere ich mich zu sehr auf dieses Thema, oder ich scheue davor zurück, meine Klienten zu konfrontieren, aus Angst, ihre Liebe zu verlieren. Wenn ich in einer Familie mit viel Wut aufwuchs, so kann meine Wut meine therapeutischen Ziele durchsetzen. Es gibt endlos viele Formen von Voreingenommenheit, und alle rühren von einem einzigen Problem her.

Die Psyche besitzt eine enorme Flexibilität. Sie kann jedes beliebige einzelne Ereignis aus der Vergangenheit, das uns geprägt hat (es kann sich auch um eine Reihe von Ereignissen handeln), nehmen und dann sowohl seine Bedeutung als auch die zahllosen Methoden, mit denen wir diese Prägung abwehren, verschleiern.

Wenn Therapeuten zuhören, dann tun sie das aus der unsichtbaren inneren Matrix ihrer sicherheitsorientierten Denkprozesse heraus, und damit verstricken sie den Klienten in das feingewobene Netz ihrer eigenen Abwehr. Der Therapeut weiß nichts davon, der Klient weiß nichts davon, und tatsächlich hat dieser oft nicht die geringste Ahnung, wie der Therapeut seine Reise zum Scheitern gebracht hat.

Jedes Mal, wenn ein Klient mit einem Therapeuten spricht, mobilisiert er bei diesem Reaktionen, die in einer Klientenzentrierten Therapie fehl am Platz sind. Was der Klient (als Außenwelt) in mir als Therapeuten auslöst, ist meine persönliche Abwehrhaltung gegenüber jedem Thema, das er vorbringt. Dieses Problem stellt sich bei der Regressionstherapie noch viel dringlicher, denn hier wird die Abwehr des Therapeuten sehr, sehr schnell aktiviert; Ein Klient auf Stufe Vier bringt extrem mächtiges Material hoch, und das löst bei ihm und auch, in Resonanz darauf, beim Therapeuten äußerst heftige Reaktionen aus, und vor denen will der Therapeut sich schützen und sie beherrschbar halten. Hatten wir etwa selbst, ohne uns daran zu erinnern, Schwierigkeiten mit unserem Vater, und der Klient rührt an einen ähnlichen wunden Punkt mit seinem Vater, so husten wir vielleicht im falschen Moment, räuspern uns oder machen einen so genannten hilfreichen Vorschlag und alles nur, um unsere eigenen Erinnerungen verdeckt zu halten. Wenn wir demnach verborgene, uns unbewusste Gefühle haben, so verhindern diese das Hochkommen von ähnlichem Material bei unseren Klienten.

Praktisch jede unserer Reaktionen lässt sich, wenn wir uns dieser Problematik nicht bewusst sind, auf Dinge in uns selbst zurückführen, an die wir uns nicht erinnern. Und so scheitern unsere Versuche, klientenzentriert zu bleiben und Angst machendes Material hochkommen zu lassen, immer wieder. Doch es gibt hier eine Sicherheitsvorkehrung: Therapeuten, die sich dieses Phänomens nicht bewusst sind, bewirken nie ausreichend empathische Kongruenz, um einen Klienten bis auf Stufe Vier zu bringen. Sollte es doch einmal vorkommen, so führt das Unbewusste des Therapeuten seinen Klienten bald wieder zu einer weniger intensiven Arbeit zurück.

 

Kongruenz V:

Kongruenz zwischen Therapeut und Klient

Die empathische Kongruenz des Therapeuten mit den tiefsten Themen des Klienten ist Kongruenz Fünf, und ohne sie wird das Wiedererleben von frühem schmerzlichem Material immer wieder blockiert.

Wir begegnen jetzt einem therapeutischen Paradoxon. Wie kann ein Verängstigter einen Verängstigten unterstützen? Wie kann ein Mensch mit einem getrübten Bewusstsein einen anderen, ebenfalls bewusstseinsgetrübten Menschen unterstützen?

Zuallererst einmal muss der Therapeut seine eigene persönliche Therapie durchlaufen; je tiefer er dabei kommt, um so klarer wird er. Diese Therapie, mit mindestens einer Sitzung pro Woche, dauert meist mehrere Jahre.

Der Zen-Meister fragt seine Mönche, ob irgendeiner von ihnen "ein einziges wahres Wort" sagen kann. Sie entdecken, mit ganz seltenen Ausnahmen, dass sie dazu nicht in der Lage sind. Der Zen-Meister stellt den Mönchen eine Aufgabe, die ihnen helfen soll, das symbolische Substitut, das sie zwischen sich und eine direkte Erfahrung des Universums gestellt haben, aufzulösen. Die Aufgabe, letzte Klarheit zu erlangen, die manchmal als plötzliche Erleuchtung oder Satori bezeichnet wird, könnte auch für Therapeuten ein Ziel sein.

Im Wirklichkeit haben wir als Therapeuten jedoch eine etwas einfachere Reise vor uns. Unsere Aufgabe ist es zuzuhören, und zwar mit einer so offenen und ungetrübten Aufmerksamkeit, wie wir aufbringen können. In der Psychiatrie gibt es den Begriff der "Mutter, die gut genug ist" (good-enough mother),  und das beruhigt uns insofern, als eine Mutter nicht perfekt sein muss. Das Konzept des "Therapeuten, der gut genug ist" befreit uns von der analogen Angst, wir müssten in unserer Arbeit perfekt sein.

Allerdings sollten wir schon so zuzuhören, dass wir dabei dem Zustand derAbsichtslosigkeit des Zen möglichst nahe kommen, und damit zulassen, dass die Worte unseres Klienten uns zu wirklich klientientenzentrierten mitschwingenden Reaktionen anregen. Auf unserem Weg zu einer ungetrübten Therapie ist die beste aller Techniken das Spiegeln nach Rogers. Es infiziert den Klienten nicht mit Material des Therapeuten. Es spiegelt einfach.

 

 

ANFORDERUNGEN AN REGRESSIONSTHERAPIE DER STUFE VIER

b: Spiegelnde Therapie

Man meint oft, spiegelnde Therapie habe zu wenig Power. In Wirklichkeit ist sie das mächtigste Werkzeug überhaupt und das am wenigsten getrübte. Das Zurückspiegeln von dem, was ein Klient gesagt hat, gibt dem Gesagten vor dem Hintergrund des Dunkels und der Verwirrung des emotionalen Schmerzes klarere Konturen. So macht etwa der Kommentar "es scheint, du hattest Schwierigkeiten, als du zur Tür hereinkamst" eine diffuse Angst spezifischer und handhabbarer. Sie zeichnet mit klaren Strichen nach, was der Klient zuvor nur undeutlich wahrgenommen hat. Dies bringt die Einsicht zum Abschluss und erlaubt so der nächsten Verknüpfung, hervorzutreten.

Das Wiederspiegeln von Gefühlen schärft unseren Sinn dafür, wo in Momenten der Verwirrung unsere Energie herkommt. Beispielsweise zeigt die Spiegelung "du hast ihn gehasst, als er dir das antat" sowohl, wo das Gefühl entstand, als auch die Tiefe, in der ein Ereignis uns berührt hat.

Das Spiegeln von Lebensthemen macht sichtbar, wie wir uns all die Jahre immer wieder an ähnlichen Punkten festgehakt haben. Ein Beispiel: "Jedes Mal, wenn eine Frau dich um etwas bittet, machst du Schluss mit ihr".

Der Therapeut lernt, Material widerzuspiegeln, das sich so gerade noch innerhalb der Grenzen dessen befindet, was der Klient, wenn er es hört, noch fühlen kann. Wenn der Therapeut etwas spiegelt, das tiefer liegt, verfehlt er das Ziel, der Klient verliert das Gefühl, und die therapeutische Arbeit kommt zum Erliegen.

Diese Fähigkeit, den Wahrnehmungshorizont des Klienten dadurch zu erweitern, dass man ein klein wenig mehr spiegelt als das, was er weiß, allerdings nur so viel, dass er es immer noch fühlen kann, wenn er es hört, ist das Wesen der Kunst therapeutischer Unterstützung. Kurz, wenn Klienten die Information nicht fühlen können, ist sie nutzlos.

Beispielsweise ist die Spiegelung jedes Mal, wenn du einen schwierigen Chef hattest, hast du deinen Job wütend hingeschmissen" etwas, das der Klient hören und fühlen kann. Anders der Satz: "Weil dein Vater in deiner Kindheit ständig wütend auf dich war, gibst du heute jedes Mal, wenn du auf einen schwierigen Chef triffst, deinen Job auf"; zwar mag dieser Satz vollkommen richtig sein, doch der Klient kann ihn nicht fühlen, und daher ist er als therapeutischer Kommentar ungeeignet, Wachstum zu fördern.

 

 

ANFORDERUNGEN AN REGRESSIONSTHERAPIE DER STUFE VIER

c: Resonantes Zuhören

Es gibt eine Haltung des Zuhörens, bei der es uns als Therapeuten gelingt, unsere Aufmerksamkeit so tief auf unsere Klienten zu zentrieren, dass unsere eigenen Probleme zurücktreten, und ein neues Phänomen auftritt: Resonanz.

Zu Resonanz kommt es beim Therapeuten in Momenten intensiven, klaren Zuhörens. Diese Intensität führt zu einer Art meditativem Zustand. In diesem Zustand werden wir so kongruent mit unseren Klienten, dass ihre Probleme und ihre Aussagen in uns einen ähnlichen Satz von Verknüpfungen auslösen. Tatsächlich beginnt unser Unbewusstes, in Resonanz mit ihrem Unbewussten zu treten, und das führt uns zu Spiegelungen, die fast telepatisch werden und beim Klienten Material in Bewegung bringen, das tief unterhalb seines Bewusstseins liegt. So hat beispielsweise eine Frau zwanzig Minuten lang dem Therapeuten erzählt, wie enttäuscht sie in ihrem Leben sei. Ohne darüber nachzudenken, antwortet der mit einer Metapher: "Seitdem du das Schloss verlassen hast, ist nichts mehr so wie früher". Ihre Augen öffnen sich weit, und sie erzählt ihm mit überraschter Stimme, dass sie während ihrer ganzen Kindheit ein Spiel spielte, das sie "die Prinzessin im Schloss" nannte.

Dieses meditative Zuhören kommt dem Phänomen der Absichtslosigkeit im Zen nahe, also der Fähigkeit, die Welt ohne die Trübung aufzunehmen, wie sie die Filterungs- und Symbolisierungsprozesse der Psyche bewirken. Es ist dieses Phänomen der Absichtslosigkeit und der Resonanz beim Zuhören des Therapeuten, welches die fünfte Kongruenz der Tiefentherapie auf Stufe Vier ausmacht:

Ohne kontinuierliches mitfühlendes Verstehen gibt es keine Kongruenz, und die Therapie bricht sofort zusammen.

Die Richtigkeit dieser Spiegelungen wird immer dadurch bestätigt, dass der Klient sie als stimmig erlebt. Liegt der Therapeut falsch, so spürt der Klient das schnell, und der empathische Augenblick ist weg. Therapie ist ein fortlaufender, sich selbst korrigierender Prozess, der sofort stockt, wenn der Therapeut ungenau arbeitet. Für die Arbeit auf den Stufen Eins bis Vier gilt: Die Fähigkeit, dem Klienten zurückzuspiegeln, worüber er spricht, und zwar dann und nur dann, wenn er bereit ist, es zu hören, vertieft den Rapport erheblich und macht es möglich, dass eine Sache reibungslos zur nächsten führt. Wenn wir dem dann noch eine auf Gefühle und den Körper gegründete Ausrichtung geben und sicherstellen, dass der Klient sich nie sehr weit davon entfernt, dann wird jede Therapiestunde tiefer als die vorherige.

 

ANFORDERUNGEN AN REGRESSIONSTHERAPIE DER STUFE VIER

d: Jenseits Therapeutischer Neutralität

Der Weg zur idealen Tiefentherapie ist gepflastert mit scheinbaren Paradoxa. Wir stehen nun vor einem Paradox, das die Psychotherapie mehr als hundert Jahre lang gelähmt hat. Einerseits habe ich gesagt, es sei von höchster Bedeutung, dass der Therapeut klar ist und den Prozess des Klienten nicht trübt. Andererseits habe ich in meiner therapeutischen Praxis ein Ausmaß an Engagement gezeigt, das allen üblichen Standards nach unvertretbar erscheint. Dieses Paradox löst sich auf, wenn wir die duale Natur der Psychotherapie verstehen.

1- Therapie als einsichtsorientiertes Wiedererleben.

Um einer Klientin dabei zu helfen, unbewusste Verknüpfungen und Erfahrungen an die Oberfläche zu holen, bedarf es der federleichten Berührung durch absolut klare, spiegelnde Aussagen. Wenn das Material, sowie es auftaucht, kontinuierlich in Gefühle und Körperzustände zurückgeerdet wird, dann ist der regressive Erdrutsch, von dem ich oben gesprochen habe, eine natürliche Folge. Dieser Prozess verläuft so, dass ein Gedanke nach dem anderen auftaucht, ein Gefühl nach dem anderen und ein Wiedererleben nach dem anderen. Diese zarten Ketten von Verknüpfungen zwischen inneren Phänomenen können nur dann allmählich hervortreten, wenn der Prozess der Klientin nicht durch die Einmischung des Therapeuten gestört wird. Und genau in diesem Bereich der Psychotherapie ist es für das Vorankommen entscheidend, dass der Prozess nicht getrübt wird. Wenn die Präsenz eines Therapeuten aufhört, resonant und kongruent zu sein, scheitert die Therapie. Doch genau dieses Versagen des Therapeuten ist die wichtigste einzelne Absicherung gegen eine Katastrophe. So wird verhindert, dass die Therapie wirklich in die Tiefe geht.

2- Therapie als Neubeeltern (Re-Parenting): Mit Berühren, Halten und Einbringen persönlicher Erfahrungen

Kleine Kinder wachsen in der strukturierenden Gegenwart ihrer Eltern auf. Stellen Sie sich für einen Moment ein Kind vor, das von Maschinen, Robotern und Fernsehprogrammen aufgezogen würde. Stellen Sie sich für einen Moment ein Kind vor, das versuchen würde, mit irgendeiner Maschine zu kuscheln und eine Beziehung zu ihr zu aufzubauen. Was für eine entsetzliche Vorstellung! Das Zentralnervensystem wie auch der Körper des Menschen entfalten sich im Rahmen eines beschützenden Umfelds kontinuierlicher Berührung und elterlicher Präsenz, mit all der guten und schlechten Strukturierung, die damit verbunden ist. Strukturierung und gesundes Wachstum sind Synonyme.

Wenn wir als Therapeuten auf Stufe Vier der regressiven Tiefentherapie dem Kind  wieder begegnen, dann müssen wir Struktur anbieten. Und das bedeutet oft Halten und Berühren als Nähren, Halten und Berühren, um schmerzvolles Wiedererleben aufzufangen, und Halten und Berühren als Unterstützung beim Auftauchen von Kindheitsproblemen. Diese Struktur bildet die körperliche Basis für neues Wachstum.

Wie können wir auf dieser körperlichen Ebene klaren und wirksamen, unterstützenden Kontakt anbieten? Durch Versuch und Irrtum habe ich entdeckt, dass genauso, wie es eine klientenzentrierte Gesprächstherapie gibt, es auch so etwas wie klientenzentrierte körperliche Therapie gibt.

Berühren und Halten sind natürliche mitfühlende Reaktionen des Menschen. Die Schwierigkeit liegt darin zu wissen, wann diese Reaktionen Wachstum fördern, und wann sie es blockieren. Wenn ich einen Klienten in den Arm nehme, kann dies das Wiedererleben fördern, es kann seine Gefühle aber auch "wegkuscheln" und so die therapeutische Arbeit abrupt stoppen.

Ein Mann mittleren Alters liegt in meinem Primalraum und hat die Gegenwart hinter sich gelassen. Er ist jetzt wieder ein Kind, das gerade nach seinem Schultag nach Hause kommt.

Der Junge entdeckt Blutspuren auf dem Boden. Wie in einem Albtraum folgt er der Spur von einem Zimmer zum andern. Schließlich kommt er dahin, wo sein Vater mit aufgeschnittenen Pulsadern auf einem Sofa liegt, das Blut strömt noch aus seinen Adern  und bildet Lachen auf dem Boden.

Das Kind von damals und der Mann in meinem Raum fangen an zu schreien. Schließlich setzt sich der Mensch in meinem Zimmer aufrecht hin, um den Kontakt mit seinem Kindheitsselbst abzubrechen. Ich lege meine Arme um ihn und drücke ihn fest.

Habe ich zu früh, habe ich zu spät reagiert? Reagiere ich auf mein eigenes Entsetzen oder auf das seine? Blockiere ich sein Wachstum? Oder unterstütze ich es? Gebe ich einem zerrütteten Ego Halt? Nähre ich ein verstörtes Kind, das in lebenslangem Alkoholismus Zuflucht gesucht hat?

Bin ich kliententenzentriert, oder agiere ich aus? Wie kann ich auf all das eine Antwort finden?

Die Antwort ist, dass therapeutische Arbeit ein eigenes Leben und eine eigene Struktur besitzt und sich auf eigene Weise vorwärts bewegt, auf eine Weise, die vom Therapeuten wahrgenommen werden kann. Diese differenzierende Wahrnehmung ist das Herz klinischer Erfahrung, und nur Erfahrung kann dem Therapeuten sagen, wann Berührung geboten ist, und wann nicht. Dieses Wissen zu vermitteln ist wohl das Schwierigste, was es auf der Welt gibt, doch es gibt ein paar Richtlinien.

Erstens kann das ganze Thema Berühren und Halten mit dem Klienten zu Beginn der Therapie offen besprochen werden. Ich kann beispielsweise einfach sagen, dass Menschen es manchmal brauchen, dass man sie im Arm hält, wenn sie Kindheitsschmerz wiedererleben, und dass der Klient nach diesem körperlichen Kontakt fragen kann, wenn er ihn braucht. In Wirklichkeit fällt es den meisten Menschen jedoch sehr schwer, eine so intime Bitte auszusprechen. Also frage ich in schmerzlichen Momenten den Klienten zwischendurch immer mal wieder, ob er wünscht, dass ich ihn halte.

Es gibt auch Klienten, die von sich aus fragen, ob ich sie halten werde, falls sie sich entschließen, Tiefentherapie zu machen. Manche kommen schon gar nicht in meine Praxis, wenn sie nicht sicher sind, dass ich ihnen dieses Sicherheitsnetz anbiete.

Viele Klienten wissen ganz einfach nicht, was sie brauchen werden, aber in schmerzvollen Phasen der therapeutischen Arbeit greifen sie dann automatisch nach meiner Hand. Viele Menschen können überhaupt nur dann zulassen, dass Schmerz hochkommt, wenn eine körperliche Verbindung da ist.

Schlieβlich gibt es keinen Ersatz für Intuition und den Mut, das anzubieten, von dem man fühlt, dass es gebraucht wird, selbst wenn man sich dabei irren kann.

Wie bei so vielem in der Therapie sind es guter Wille, Fürsorge und gegenseitiges Vertrauen, die dem Prozess über so manchen potenziell gefährlichen Moment hinweghelfen.

Ein Therapeut muss ein hohes Maβ an Vieldeutigkeit und Verwirrung aushalten können. Sie erinnern sich an den Mann, der wochenlang nur Grimassen schnitt ohne zu einer Einsicht zu kommen. Hätte dieses wochenlange bizarre Verhalten mich aus meiner eigenen Ängstlichkeit heraus dazu veranlasst, irgendeine beruhigende theoretische Wahrheit vorzubringen, dann hätte das diese Reise blockiert. Hätte ich, wiederum auf Grund meiner eigenen Ängstlichkeit, sein Verhalten fälschlich als Borderline-Psychose diagnostiziert, so hätte ich vielleicht starke Beruhigungsmittel verschrieben, und das im Grunde nur, um mich selbst zu beruhigen, dann hätte ich dadurch seinen Prozess völlig aus der Bahn gebracht.

Doch ein anderer Klient in tiefer Regressionsarbeit begann zu glauben, andere Menschen könnten tatsächlich seine Gedanken lesen. In diesem Fall gab ich ihm ein antipsychotisches Medikament, um einen schweren paranoid-schizophrenen Zusammenbruch zu verhindern. Diese Unterschiede zu erkennen ist ein wichtiger Teil in jeder psychiatrischen Ausbildung.

Die Erkenntnis, dass das Grimassenschneiden eine nichtpsychotische Körpernotwendigkeit war, erlaubte es dem Klienten, uns beide schlussendlich zu seiner Einsicht zu bringen.

* * *

Der Therapeut muss fähig sein, auf umsichtige Weise von sich selbst zu reden, wenn er danach gefragt wird. Wir befinden uns in der gleichen Situation wie die Eltern eines Kindes; sich mitzuteilen schafft Struktur und das Spalier, an dem das Kind im Klienten hoch wachsen kann. Und wenn Klienten spüren, dass wir einmal nicht absolut aufrichtig und genau sind, müssen wir auch bereit sein, ihre wachsende Sensibilität zu bestätigen. All das natürlich im Rahmen von gesundem Menschenverstand, Feingefühl und Klientenzentrierung.

Es gibt einen Unterschied zwischen Informationen, die Abhängigkeit fördern, und solchen, die Wachstum unterstützen. Es gibt einen Unterschied zwischen Informationen, die auf der Arroganz des Therapeuten beruhen und solchen, die sich von innen her heilsam anfühlen. Und auch hier sind  Erfahrung, Hingabe an das Ziel, Wachstum zu fördern, und Sinn für das richtige Maß allesamt notwendig in diesem Bereich.

- Wie komme ich in meiner Therapie voran?

* Fragst du mich, wie du dich fühlst?

- Nein. Ich möchte wissen, ob du glaubst, dass ich vorankomme.

* Fragst du mich, wie du dich fühlst?

- Hm ... kann schon sein.

* Ich kann dir nicht sagen, wie du dich fühlst. Frag dich doch selbst.

- Nun, ich fühle mich besser als noch vor sechs Monaten.

* Wie kommst du also in deiner Therapie voran?

- Ich glaube, es geht mir allmählich besser.

* * *

- Ich habe mich in letzter Zeit schrecklich gefühlt. Ist es üblich, dass Leute sich in dieser Art Therapie immer schlechter fühlen?

* Ja, so ist es.

- Also, ich war wirklich ganz schön am Boden in letzter Zeit.

* Hast du neben all diesen schlechten Gefühlen auch den Eindruck, dass du einen Haufen Gerümpel aus dir rausbringst, das sehr, sehr lange in dir rumgelegen hat?

- Na ja, ich habe schon den Eindruck, dass ich an Sachen rankomme, die ich vorher nicht gespürt habe. Aber es tut ganz schön weh. Falls ich zu depressiv werde, kann ich dann Medikamente bekommen?

* Klar können wir langsamer treten, falls wir über die Belastbarkeit und das Verarbeitungsvermögen deines Körpers hinausgehen, und/oder wir können deine Stimmung mit Medikamenten unterstützen.

- Und woher weiß ich, wann ich sie brauche?

* Es gibt da Anzeichen, wie etwa Gewichtsverlust, Schlaflosigkeit und Erschöpfungszustände, oder auch sehr schlechte Stimmung und zu viel Angst. Wir werden das im Auge behalten.

* * *

- Hast du dich schon jemals so schlecht gefühlt, dass du einfach sterben wolltest?

*  Ja, das kenne ich.

- Was hast du dann gemacht?

* Ich habe mich hingelegt und mich ganz auf das Gefühl konzentriert. Ich habe dann immer wieder genau diese Worte wiederholt: "Ich will einfach sterben". Ich habe das sehr, sehr oft wiederholt, bis schließlich das Gefühl, sterben zu wollen, abgeebbt ist.

- Und danach hattest du nie mehr Suizidgedanken?

* Das Thema kommt bei mir immer mal wieder hoch, wenn ich tief genug gestresst bin. Wenn das der Fall ist, wende ich diese Technik an, und dann löst sich das Gefühl, sterben zu wollen, jedes Mal auf.

- Dann war das Leben auch für dich schon mal ein Kampf?

* Allerdings, das Leben ist nun mal ein Kampf für alle sensiblen Menschen.

Wann und wie soll man als Therapeut von sich selbst sprechen? Dafür gibt es keine Regeln; hier entscheidet ein wissendes und liebendes Herz. Mein eigener Therapeut pflegte zu sagen: "Lade dein eigenes Zeug nicht auf die Klienten ab, und verbringe nicht viel Zeit damit, dich zu rechtfertigen."

Wenn ein Mensch, der Heilung sucht, mir in guter Absicht eine Frage zu meinem Leben stellt, dann spreche ich oft über persönliche Dinge. Das ist Teil der Struktur des Neubeelterns. Es sorgt für eine gefühlsmäßige Beziehung zum Klienten. Wenn man etwas von sich selbst mitteilt, ist das wie körperliche Präsenz. Es ist das Spalier. So wird die Hungerkur psychoanalytischer Neutralität aktiv vermieden, auch wenn Schweigen immer noch eines unserer wichtigsten Werkzeuge ist. Die Klienten brauchen unsere Menschlichkeit, und wenn wir diese mit der nötigen Umsicht anbieten, muss sie keineswegs ihr aufkeimendes Gefühl für das eigene Selbst stören.

So biete ich beispielsweise regelmäßig Anekdoten aus meinem Leben an, wenn ich das Gefühl habe, dass sie wirklich passen. In einer liebevollen und wachstumsorientierten Situation nehmen die Klienten diese Anekdoten als echte Bereicherung der Therapie an.

 

ANFORDERUNGEN AN REGRESSIONSTHERAPIE DER STUFE VIER

e: Therapeutischer Glaube ans Fühlen

Der Therapeut muss an das zentrale Paradox der gefühlsorientierten Therapie glauben: Wenn wir ins Zentrum der schmerzlichsten und schwierigsten Gefühle vordringen, wo auch immer diese uns hinführen mögen, und ihre Schmach und ihren Schrecken wiedererleben, dann werden wir nach und nach diese Last los und heilen.

Therapie ist selten einfach, und gewöhnlich braucht es Monate oder sogar Jahre, um diese Erlebnisse an die Oberfläche zu bringen. Und sogar, wenn uns das gelingt, müssen die individuellen Wachstumssequenzen oft viele, viele Male wiederholt werden.

 Dabei baut der Klient sehr viel Vertrauen auf und gewinnt Schwung, sodass er ganz natürlich immer mehr von sich mitteilen will. Aufrichtigkeit dem Therapeuten und dem eigenen Selbst gegenüber wird zu einem leidenschaftlichen Ziel und wischt so ein Leben voller Falschheit weg.

Es gibt noch viele weitere Anforderungen an den Therapeuten in der Praxis der Psychotherapie auf Stufe Vier: Hier ein paar davon:

* Der Therapeut muss ein liebendes Herz besitzen. Technische Kompetenz allein reicht nicht aus. Für einen Begleiter durch die Wüstenei einer tief verletzten Kindheit ist das nicht genug.

* Der Therapeut muss neugierig sein und viel Energie für die Erkundung des Unbekannten aufbringen - das darf aber nie zu einer übereifrigen Anwendung der Techniken führen.

* Der Therapeut muss dem Klienten gegenüber sowohl sanft als auch fest auftreten.

Je länger ich in den Tiefen der Seele tätig bin, um so mehr erkenne ich, dass die Dinge ständig ins Unbekannte übergehen, bis hin zu einem letzten Ort, aus dem alle Vorgänge des Universums hervorgehen. Tatsache ist, dass ich in keinem Augenblick weiß, was als Nächstes passieren wird, und, in Anlehnung an Alan Watts, einen bekannten Denker des zwanzigsten Jahrhunderts, würde ich sagen: "Ich bin jederzeit umgeben von Dunkelheit, und letztlich ist meine Sehfähigkeit sehr begrenzt." Angesichts dessen beobachte und vertraue ich. Nach 25 Jahren und 32 000 Stunden Berufserfahrung komme ich mit dem Unbekannten einigermaßen zurecht, ich weiß, dass es sich auf die eine oder andere Weise auflöst.

Unsere Prinzipien halten stand. Wenn wir die Psyche von ihren Trümmern befreien und Unterstützung anbieten, dann kommt es fast immer zur Heilung.

 

 ANFORDERUNGEN AN REGRESSIONSTHERAPIE DER STUFE VIER

f: Erforderliche Klienten-Eigenschaften

Die Fähigkeit, sich ganz auf ein Gefühl einzulassen (lie inside a feeling) und es zuzulassen, ohne es auszuagieren, ist die wichtigste Voraussetzung für jeden Klienten in der regressiven Tiefentherapie. Manche Menschen besitzen diese Fähigkeit; manche können sie erlernen; aber viele können diese Erfahrung einfach nicht ertragen, und sie können nicht zwischen dem Fühlen und dem Ausagieren eines Gefühls unterscheiden.

Wenn die Verletzungen der Kindheit das Ego mit allzu viel chaotischem Material überlastet und ihn dadurch übermäßig geschwächt haben, führen mächtige Gefühle einen Klienten manchmal zum Ausagieren, und dies, um so die unerträgliche Spannung einer auseinander brechenden Persönlichkeit zu vermeiden.

Das alltägliche Leben lehrt uns, unangenehme Gefühle zu neutralisieren, indem wir etwas dagegen tun. Allerdings ist das "Tun" im Alltag das Gegenteil vom "Tun" in der Tiefentherapie.

Im "Tun" des Alltags essen wir, wenn wir Hunger haben; sind wir wütend, dann verletzen wir; sind wir bedürftig, dann suchen wir nach Befriedigung.

Im "Tun" der Tiefentherapie legen wir uns hin und fühlen. Das Gefühl führt zu Einsicht, die Einsicht zu Klarheit, die Klarheit zu Ausgeglichenheit, und all das führt zum Hervortreten eines neuen organischen Selbst.

Das organische Selbst bemüht sich nicht darum, etwas zu tun. Es reagiert spontan und als Ganzes auf äußere und innere Reize und zwar auf natürliche und  harmonische Weise, und ohne Anstrengung. Das organische Selbst kämpft nicht mit allen Mitteln darum, die Kontrolle zu erlangen. Es ist einfach in Bewegung und verdankt seine Existenz dem Zentrum eines von Konflikten befreiten Gehirns, das sich von selbst immer wieder ins Gleichgewicht bringt.

Oft fragen Klienten: "Was muss ich tun?". Die Antwort ist, dass sie nichts zu tun brauchen außer der inneren Arbeit der Therapie. Das "Tun" des Alltags kommt allmählich von allein, wenn sie ihre innere Arbeit auf der Matte verrichten.

In der Welt gibt es beispielsweise Selbstbehauptungs-Trainingskurse, die Techniken der Selbstbehauptung vermitteln. Man lehrt uns, was man sagen muss, und wie man es sagen muss, wenn jemand unsere persönlichen Grenzen überschreitet.

In der Tiefentherapie führt das allmähliche Erwachen des Gefühls für die außergewöhnliche Kostbarkeit des Selbst automatisch zu einer unverkrampften Selbstbehauptung. Ich sage "nein", wenn ich merke, dass mein Selbst gefährdet ist, und zwar nicht deshalb, weil ich gelernt habe, wie man "nein" sagt. Ich sage "nein", weil ich nicht mehr "ja" sagen will zu etwas, das mich verletzt.

 

Kapitel 9
Gefahren, Vorsichtsmaßnahmen und Indikationen für die Therapie

 

Gefahren für Therapeuten und Klienten

Der Weg zum organischen Selbst mit Hilfe der Psychotherapie auf Stufe Vier ist mit Risiken behaftet.

Wenn Impulse das Ego überwältigen, richten sie sich oft gegen den Therapeuten. Es ist leichter, symbolisch oder sogar wirklich zu töten, als die überwältigende Traurigkeit und Wut des frühen elterlichen Verrats zu fühlen.

Dies ist ein Risiko, das alle Tiefentherapeuten eingehen. Einer meiner Klienten, der in großer Tiefe arbeitete, sagte zu mir: Es gab Zeiten in meiner Therapie, da hatte ich den Wunsch, dich zu zerstören, weil ich es nicht aushalten konnte, mich dem auszusetzen, was mein Vater mir angetan hat.

* * *

Ein Regressionstherapeut ist eine Person, die unbedingt wissen will. Unsere Suche muss eher vertikal (nach unten und innen) als seitwärts gehen, um nicht den endlosen Verführungen zum weltlichen Wissen zu erliegen. Beim weltlichen Wissen gibt es keinen Endpunkt. Es durchdringt nichts.

Der Regressionstherapeut kommt zu der Einsicht, dass alles, was er findet, eine Maske ist, die über einer weiteren Maske liegt. Jede Schicht ist geschützt und liegt unter einer Lage von Terror, durch die wir durch müssen, um an die darunter liegende Wahrheit zu gelangen. Jede Schicht verschiebt die Wahrheit der darunter liegenden Schicht, sodass die tiefsten menschlichen Wahrheiten weit weg von dem liegen, was an der Oberfläche zu sein scheint. 

In unserer Kultur werden wir mit Hilfe von Verkleidungen aufgezogen und von ihnen geprägt, bis wir völlig verloren sind. Wir laufen Schimären und Schattenfiguren nach, und I just can´t get no satisfaction wird unser Lied..

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Ein Mann, der selbst Therapeut ist, liegt in meinem Primalraum am Rande seines Terrors. Er hat eine übertriebene Angst davor entwickelt, einer seiner männlichen Klienten wolle ihn töten. Er kommt nicht von dem Bild los,  er werde erstochen. Diese Szene verfolgt ihn ständig und kommt ihm ungebeten immer wieder in den Sinn. Unter dem Eindruck des Terrors wird ihm zu seiner Bestürzung zunehmend klar, dass er tatsächlich darauf  hofft, von seinem Klienten erstochen zu werden. Kurze Zeit fühlt er sich erleichtert, dann beginnt der Terror von neuem. Er bleibt drin und  sieht, dass er in Wirklichkeit von seinem Klienten nicht erstochen, sondern vergewaltigt werden will. Er wünscht sich, dieser Mann möge seinen Penis  in seinen Darm einführen. Diese Einsicht verschafft ihm wiederum für kurze Zeit Erleichterung, er fragt  sich, ob er homosexuell ist, und dann beginnt der Terror von neuem. Er bleibt in dieser Schicht und merkt, dass das, was er wirklich will, nicht die Einführung eines Penis ist, sondern die enge körperliche Umarmung eines Vaters, eines Vaters, den er nie hatte. Endlich ist er von seiner Angst befreit, und er liegt schluchzend in dem schallgedämpften Halbdunkel. Und nun weiß er es: Alles, was er sich je gewünscht hat, war, einen Papa gehabt  zu haben. Der Terror ist weg, die Angst, von seinem Klienten ermordet zu werden, ist weg, genauso wie die Angst vor seiner Homosexualität, und stattdessen fühlt er die reale Traurigkeit, die er sein ganzes Leben lang unterdrückt hat.

Wenn ich diesem Mann oder irgendeinem anderen Menschen auf der Straße begegne, haben die Dinge, die sie sagen und tun, keine wahrnehmbare Beziehung zu ihrer Wahrheit.

Ich habe mich in einer Elternschaft und in einer Gesellschaft abgequält, die keine erkennbare Beziehung zu ihrer Wahrheit hat. In meinem Schmerz habe ich leidenschaftlich nach den Wahrheiten dieser Gesellschaft gesucht. Je tiefer ich ging, desto mehr war ich allein, und die Laute meiner Mitmenschen auf ihrer intellektuellen Reise waren wie Regen, der auf ein fernes Dach fällt. Ich habe gelernt, dass nichts so ist, wie es zu sein scheint, und jeder Klient, der zu mir kommt, lernt dieselbe, Ehrfurcht gebietende Lektion. Ich habe gelernt, mich ins Unbekannte hinauszuwagen und meinen Geist von allem Erlernten frei zu machen, um in ihm Raum für die Gespenster meiner Klienten zu schaffen. Ich habe gelernt, dass die entscheidende Richtschnur das ist, was wir fühlen und in unserem Körper spüren. Es sind diese beiden Prozesse (Gefühle und Körperempfindungen), die unsere Psyche, in ihrer Verzweiflung, zu einer Lagerstätte der Erfahrungen gemacht haben, die wir nicht anzuschauen wagen, und die wir mit Angst und intellektuellem Wissen überlagert haben. Und genau hier, unter dem Terror und dem Wissen, liegen die verschlossenen Behälter `Reihe an Reihe`. Es ist hier, wo die Worte `bleib bitte bei diesem Gefühl` zum Schlüssel werden. Werden diese Worte ganz ruhig ausgesprochen, und zwar an einem Ort, wo die Reaktion des Klienten von einem Therapeuten respektiert wird, der still wartet und nicht weiß, was passieren wird, dann kommt die Wahrheit schließlich ans Licht. Nur dann können wir damit aufhören, symbolische menschliche Wesen zu sein und zu dem organischen Selbst zurückfinden, das uns vor Zehntausenden von Jahren abhanden gekommen ist.

 

Vorsichtsmaßnahmen

Ungefähr die Hälfte meiner Klienten kann lernen, sich tief auf ihre Gefühlen zu fokussieren. Etwa eine von acht Personen macht kontinuierlich Therapie auf Stufe Vier.

Der Wille, Arbeit in der Tiefe zu machen, ist ein entscheidender Faktor bei dieser Therapie. Doch dieser Wille bedeutet noch nicht, dass eine Person auf diese Weise arbeiten kann, oder es tun sollte. Viele Menschen, die Regressionstherapie machen wollen, stellen fest, dass ihre Abwehrmechanismen diese Arbeit einfach nicht zulassen. Sie kommen einfach nicht in diese Tiefen.

Andere, die diese Tiefen erreichen können, sollten es nicht versuchen. Ihr Schmerz ist vielleicht zu groß, ihre Egostruktur zu sehr durch Kindheitserfahrungen geschwächt. Diese gefährliche Kombination kann zu heftigem Abreagieren oder zu anderen Formen von Zusammenbruch führen.

Ein erfahrener Tiefentherapeut kann bei diesen Entscheidungen helfen und die Techniken oft an die individuellen Bedürfnisse anpassen. Gewöhnlich erfordert es aber einige Monate Arbeit mit einem Klienten, um herauszufinden, was für sie/ihn gut oder nicht gut ist. Andere Klienten jedoch erwerben die erforderlichen Fähigkeiten und das nötige Vertrauen erst, nachdem sie ein Jahr oder noch länger weniger intensive Arbeit gemacht haben.

Persönlich habe ich das Gefühl, dass jeder, der es will, die Chance haben sollte, Tiefentherapie auszuprobieren; allerdings muss ich betonen, dass Regressionstherapie auf Stufe Vier für bestimmte Menschen keine sichere Option ist.

Indikatoren für die Bereitschaft für eine Tiefentherapie

1- Nachdem dem Klienten die Techniken erklärt wurden, zeigt er eine dauerhafte Bereitschaft, sich im Therapieraum hinzulegen und sich auf seine Gefühle und seine inneren Körperzustände zu zentrieren.

2- Der Klient zeigt, dass er fähig ist, in dem Gefühl zu bleiben und das nicht-logische Material, welches das Gefühl hoch bringt, zu verbalisieren.

3- Der Klient erlaubt es seinen Gefühlen, intensiver zu werden und fährt fort, sie mit Worten und Lauten zu externalisieren. Externaliserung ist von entscheidender Bedeutung  bei dieser Therapie.

4- Der Klient erkennt, dass er diese Gefühle fühlen und von ihnen lernen muss, und dass sie nicht ausagiert werden dürfen.

5- Der Klient ´vergisst´ die Therapiearbeit nicht einfach zwischen den Sitzungen, sondern denkt während dieser Zeit über das Material nach und verarbeitet es auf eine nicht zwanghafte Weise. Es dauert normalerweise einige Wochen oder Monate, bis das Vertrauen, sich auch allein hinzulegen und allein Tiefentherapie zu machen, auftaucht.

6- Es überrascht den Klienten nicht, wenn er Phasen durchmacht, in denen er sich wirklich schrecklich fühlt, wenn sich die Therapie vertieft. Er spürt jedoch deutlich, dass diese wirklich schrecklichen Gefühle genau das sind, Gefühle, und als solche können und werden sie auf der Matte verarbeitet, und zwar mit Hilfe der Techniken, die wir bereits beschrieben haben.

 

Indikatoren für die Bereitschaft für Berühren und Halten

Wenn ein Klient alle sechs genannten Kriterien erfüllt, dann hat er so in etwa ein Bauch-Gefühl für die regressive Psychotherapie. Das gibt ihm ein sich allmählich vertiefendes Körpergefühl dafür, dass es Zeiten geben kann, wo körperlicher Kontakt notwendig ist, um tiefe Gefühle auszulösen, zu verankern und den Klienten zu nähren. Zu diesem Zeitpunkt sind Vertrauen und guter Wille bereits tief verwurzelt. Zusätzlich dazu ist der Klient gewöhnlich zum Experimentieren bereit, denn er weiß: Wenn der Therapeut einen Fehler macht, so kann er auch damit arbeiten und so die Therapie voranbringen.

* * *

Die Menschheit ist sich seit Urzeiten selber fremd geblieben.

Diese Entfremdung beruht auf einem ganz einfachen Gehirnmechanismus.

Wenn wir fühlen, handeln wir.

Dieses „Nach-Außen-Gerichtet-Sein“ entfremdet uns von uns selbst. Es ist der einfachste Weg, um Spannung abzubauen.

Wenn wir diesen Mechanismus umkehren, wenn wir uns hinlegen und im Gefühl bleiben, statt es auszuagieren, und wenn wir diesem Gefühl mit Lauten und Worten Ausdruck verleihen, werden wir nach unten in unsere Tiefen gezogen.

An diesem Punkt endet die unserer Spezies innewohnende Unehrlichkeit.

 


 

 

Einleitung in Teil 2

ERWACHEN

Der gefühlsorientierte Umgang mit ernsthaftem emotionalem Schmerz und Stress

                           Je komplizierter die Therapie, desto ängstlicher der Therapeut

                      - Konsequenz aus dem ersten Gesetz der Regressionstherapie


Zu der Zeit, als ich die High School beendete, war ich so sehr von meinem organischen Selbst getrennt, dass ich davon ausging, ich würde wohl für den Rest meines Lebens
daneben bleiben.

12 Jahre Studium der Geisteswissenschaften, der Medizin und der Psychiatrie trugen nicht dazu bei, diesen Schaden zu beheben.

Dieser Teil des Buches ist den Menschen gewidmet, die das Buch benutzen wollen, um das Erste und Wichtigste zu finden, wonach wir suchen können: UNSER SELBST.

Da ist ein Tiger,
der mit mir spielt.

Seine Pfoten auf meiner Brust.

Pfotenabdrücke
der Ewigkeit.

Pfotenabdrücke eines jeden
Gesichts und eines jeden Blattes,
das ich je gekannt habe.

 

KAPITEL 10

Das Grundproblem von Stressbewältigung und Innerem Wachstum

 

Handbücher zur Stressbewältigung taugen meist nicht viel. Der Grund dafür ist, dass sie einen zentralen und unausweichlichen seelischen Prozess außer Acht lassen, das, was die Psychoanalyse als die Wiederkehr des Verdrängten bezeichnet.

Diese Bücher suchen den Schmerz dadurch zu unterdrücken, dass sie entweder die Psyche mit Entspannungs- und Meditationstechniken ruhig stellen, oder sie benutzen die Kraft des positiven Denkens, um die Bedeutung von Ereignissen durch Neubewertung zu verändern (reframe). Natürlich kommt der Schmerz immer wieder zurück, weil er nie wirklich beseitigt wurde.

Bücher, die auf Einsicht hin arbeiten, haben ein echtes Problem: Selbst bei ideal angepassten Menschen steht das Gehirn ständig unter Druck. Bücher über Stress gehen mit diesem Problem so um, dass sie sich von den tiefsten Schichten des Selbst fern halten. Sie halten sich an das intellektuell Fassbare, und so brechen sie die Wege zu tiefer und dauerhafter Veränderung ab.

Wie wir in Teil Eins gesehen haben, füllt sich bei verletzten Menschen, und dazu gehören die meisten von uns, das Unbewusste mit Schmerz. Wir haben gesehen, dass sich Wut und Angst im tiefsten Selbst machtvoll aufbauen. Gleichzeitig schwächt die mangelhafte elterliche Zuwendung, die ja zu diesem Schmerz geführt hat, diejenigen Teile des Selbst, deren Aufgabe es ist, den Schmerz aufzufangen. Und so haben wir es mit einem stetig ansteigenden Druck in einem zunehmend geschwächten Gefäß zu tun. Das ernstliche Problem, dem sich alle Stressbewältigungs-Handbücher stellen müssen, ist Folgendes: Wie schaffen wir es, einen Apparat zu reparieren, der, wie die menschliche Psyche, unter enormem Druck steht, ohne dabei eine Explosion auszulösen?

Sollen wir einfach aufgeben und uns mit einem weniger intensiven Niveau von Therapie begnügen? Sollen wir nie, unter keinen Umständen, ein Handbuch veröffentlichen, das tiefes organisches Selbst-Management zum Gegenstand hat?

Ich glaube, es wäre nicht richtig, an diesem Punkt aufzugeben. Tiefe Ozeane, unbekannte Kontinente und Furcht erregende Abgründe haben die Menschheit in der Vergangenheit noch nie davon abgehalten, sich nach vorn zu wagen. Der Fortschritt der menschlichen Spezies bis in die Bereiche der Ultra-Hochtechnologie legt es uns nahe, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Unsere seelische Entwicklung muss unbedingt parallel zum technologischen Fortschritt fortschreiten, und das im Interesse von uns allen, nicht nur von den wenigen, die das Wissen haben

Dieses Buch ist der These gewidmet, dass nicht-psychotisches seelisches Leiden durch frühkindlichen Schmerz und den daraus resultierenden Mangel an Bewusstheit im Erwachsenenalter verursacht wird.

* * *

Wir wissen, dass der Geist in der Lage ist zu beobachten, das Beobachtete zu verarbeiten und zu speichern, und zu funktionieren, und das alles perfekt.

Wenn ein Neurochirurg das freigelegte Gehirn eines Klienten mit einem minimalen Stromstoβ berührt, kann dies zum Wiedererleben eines frühkindliches Ereignisses mit allen Details führen.

Menschen in Situationen plötzlicher Lebensgefahr haben berichtet, dass ihr Beobachtungs- und Reaktionsvermögen dabei so weit über dem Durchschnitt lag, dass es buchstäblich einer anderen Existenzebene entsprach.

Bei einer regressionstherapeutischen Erfahrung erleben Klienten Vorkommnisse aus ihrer frühen Kindheit mit völliger Klarheit wieder. Dabei erleben sie tatsächlich sogar Gefühle, die zum Zeitpunkt der Traumatisierung derartig schnell verdrängt wurden, dass sie bisher noch nie bewusst erlebt wurden.

Zweifellos existiert also in den Tiefen des Gehirns eine Reihe von Vorgängen, die wir ungetrübt, perfekt oder unbeschädigt nennen können.

Diese Prozesse umfassen: Fehlerfreies Beobachten, Fehlerfreies Speichern, Fehlerfreies Verarbeiten (einschließlich des Wiedererlebens) und Fehlerfreies Funktionieren.

Wir verlieren diese unbeschädigten Prozesse dann, wenn wir Angst haben, ihr Gebrauch könnte unermesslichen Schaden über uns bringen. Das Prinzip, zuallererst für die persönliche Sicherheit zu sorgen, setzt die unbeschädigten Vorgänge des Gehirns außer Kraft. Bei drohender Gefahr schaltet das Kind, und der Erwachsene ebenso, das bewusste Wissen ab, sobald es auftaucht, und verschiebt es an einen sicheren Ort tief unten und fern vom Bewusstsein.

Das von Gefahr bedrohte und traumatisierte Kind begräbt nicht nur augenblicklich sein Wissen, es begräbt dabei auch lebendige innere Vorgänge, die mit dem Wissen, das es loswerden will, zusammen hängen. Dadurch gehen uns nicht nur Erinnerungen, sondern auch Funktionen verloren.

Wenn beispielsweise ein Kind bei einem Autounfall traumatisiert wurde und dieses Wissen verdrängt, dann kann es sein, dass es sich später weigert, selbst Auto zu fahren. So verliert es nicht nur das Wissen um das ursprüngliche Ereignis, sondern auch die Fähigkeit, in der Gegenwart zu funktionieren.

Das gesamte Funktionieren des menschlichen Gehirns beruht auf dem Vertrauen, dass das, was wir sehen, denken und fühlen, wahr ist. Könnten wir uns nicht darauf verlassen, würden wir in panische Angst  versinken. Hättest du beispielsweise den Eindruck, der Bürgersteig würde gleich unter deinen Füßen verschwinden, so würdest du dich weigern, auch nur einen Schritt zu machen.

Das Gehirn muss darauf vertrauen können, dass das, was es weiß, wahr und beständig ist. Gleichzeitig aber unterdrückt das Gehirn immer mehr und mehr von dem, was es weiß. Dies tut es, um uns im Augenblick Sicherheit zu geben, sodass wir den inneren Schmerz und die Bedrohung von außen ausklammern, ganz gleich, wie hoch die Kosten auch sind. Das unmittelbare Überleben hat immer Vorrang vor der Wahrheit. So lebt das traumatisierte Kind zwar weiter - aber es ist in seinen Möglichkeiten zunehmend eingeschränkt.

Um weiterhin funktionieren zu können, obwohl wir immer weniger von unserer inneren Wahrheit kennen, und dabei gleichzeitig unseren Glauben an die tragende Basis unter unseren Füßen aufrecht zu erhalten, füllen wir die Lücken mit falschen Überzeugungen. Wir erinnern, was wir erinnern müssen, und wir verdrängen, was wir verdrängen müssen. Wir sehen, was unsere Sicht der Dinge bestärkt, und wir hören auf, das  zu sehen, was sie in Frage stellt. Unbewusst bauen wir ein bewusstes persönliches Selbst auf, das zu  einem Kartenhaus wird. Dieses Kartenhaus kann nur durch immer mehr Bestätigung von außen aufrecht erhalten werden. Nur dadurch, dass wir uns anpassen und diese Bestätigung von außen erhalten, verhindern wir, dass unser Kartenhaus zusammenfällt.

Stell dir vor, du gehst eines Tages zur Arbeit, und niemand nimmt deine Anwesenheit zur Kenntnis. Stunde um Stunde blicken die Leute einfach durch dich hindurch und tun so, als wärst du Luft. Wie lange, glaubst du, könntest du das aushalten, ohne in Angst und Schrecken zu versinken, wenn du nicht einmal auf diesem ganz elementaren Niveau Bestätigung erhalten würdest?

Der Erwachsene ersetzt FEHLERFREIE BEOBACHTUNG durch gestörte Beobachtung, FEHLERFREIES SPEICHERN ( Erinnerung) durch gestörtes Speichern, FEHLERFREIE KOGNITIVE VERARBEITUNG durch gestörte kognitive Verarbeitung und FEHLERFREIES FUNKTIONIEREN durch gestörtes Funktionieren. Diese unsichtbaren Störungen machen uns zunehmend lebensunfähiger und führen dazu, dass wir wichtige Lebensentscheidungen, etwa die, wen wir heiraten, oder welchen Beruf wir ergreifen, treffen, ohne eigentlich zu verstehen, was wir tun. So bekommen wir nicht, was wir brauchen, sondern im Gegenteil das, was wir nicht brauchen. Dabei erschöpfen wir unsere Reserven, fühlen uns unzufrieden und finden keinen Sinn im Leben, und so gehen wir unseren Weg von der Geburt bis zum Tod.

Das Handbuch, das Sie gerade lesen, wurde geschrieben, um uns aus genau dieser menschlichen Notlage zu befreien. Wir können unsere Wahrheit finden, wir können auf organische und fruchtbare Weise leben.

* * *

In und um die verschütteten Fehlerfreien Prozesse (Beobachten, Speichern, Verarbeiten und Funktionieren), die wir besprochen haben, herum liegt eine völlig verschiedene Gruppe von Gehirnfunktionen, die aber mit ihnen in Verbindung stehen. Diese nenne ich die Prozesse der Holistischen Einsicht.

Holistische Einsicht ist das plötzliche, ganzheitliche, nicht-lineares Gewahrwerden des Selbst und der Welt, das die gestörten Gehirnfunktionen auflöst, die wir diskutiert haben. Holistische Einsicht stellt selbst eine Fehlerfreie Funktion dar und führt uns in Quantensprüngen zu immer größerer Klarheit zurück.

In diesem Buch geht es uns darum, die Techniken zu finden, die den FEHLERFREIEN PROZESS HOLISTISCHER EINSICHT aktivieren, um so die Teile in uns, die verloren sind, real zu erfahren. Auf diese Weise wollen wir die subtilen Prozesse der Psyche wieder der Dunkelheit entreißen. Dabei werden wir das falsche Selbst, das wir aufgebaut haben, um alles zu vermeiden, was unseren Schmerz auslöst, wieder abbauen. Wir wollen klar und natürlich in unserem Funktionieren werden, indem wir jede verschüttete Verletzung, die unser Leben fehlleitet und uns davon abhält, klar, ausgeglichen und organisch zu leben, auffinden und erfahren.

Mit dem Geschenk der HOLISTISCHEN EINSICHT werden wir dann wieder Zugang zu den FEHLERFREIEN FUNKTIONEN des Gehirns gewinnen.

Dann können wir endlich wahrnehmen, verarbeiten und handeln, ohne all die Verzerrungen, welche uns das Leben zur Qual gemacht und die Grundlage der Lügen gebildet haben, die wir leben. Und zusätzlich können wir dann emotionalen Schmerz und Stress noch mit den Werkzeugen verarbeiten, die wir uns gleich aneignen werden.

 

Kapitel 11

Wichtige Vorsichtsmaßnahmen, die man unter keinen Umständen ignorieren sollte

 

Vorsichtsmaßnahme 1

Gehe zu einem Arzt für Allgemeinmedizin und lasse deinen Körper vollständig untersuchen, mit besonderer Beachtung der Herztätigkeit. Es gibt Klienten, bei denen es zu Angina Pectoris, Blutdruckschwankungen und anderen körperlichen Problemen während der Tiefentherapie kam. Kürzlich habe ich einem meiner Klienten, der während der Therapie unter Brustschmerzen litt, vorgeschlagen, sich einer Bypass-Operation zu unterziehen, ehe er mit der Tiefentherapie weitermachte. Er tat es, und jetzt, wo er gesundet, wartet er auf den Neubeginn seiner Therapie.

 Vorsichtsmaßnahme 2

Finde einen Psychiater, der deine allgemeine psychische Gesundheit untersucht, mit besonderer Berücksichtigung der Fähigkeit deiner Psyche, starke Gefühle auszuhalten und zu verarbeiten, ohne dabei eine Psychose zu entwickeln oder hinausrennen zu müssen und dann dich selbst oder andere zu verletzen.

 Vorsichtsmaßnahme 3

Finde einen Psychotherapeuten, der dich auf deiner inneren Reise begleitet; jemanden, der warm und fürsorglich und nicht übertrieben voreingenommen und defensiv ist. Besonders wichtig ist es, dass er keine Schwierigkeiten hat, wenn du sehr tiefe Gefühle erlebst.

 Vorsichtsmaßnahme 4

Falls dein Therapeut nicht bereit/fähig ist, dich durch Berührung und Halten zu unterstützen, wenn du es brauchen solltest, so finde einen Masseur und gehe ein paar Mal im Monat zu ihm, mit dem ausdrücklichen Ziel, dich durch den Hautkontakt mit seinen Händen zu nähren, und zusätzlich noch eine tiefere Muskelmassage zu bekommen.

Der Masseur, den du wählst, muss unterscheiden können zwischen Berührung und Massage zum Zweck des Nährens und Massage zum Zweck der Behandlung und Entspannung von tiefem Gewebe. Bitte diesen Masseur, kreativ mit dir umzugehen, und werde nicht sexuell. Gehe niemals über das hinaus, was sich für dich jeweils intuitiv richtig anfühlt.

 Vorsichtsmaßnahme 5

Finde eine Selbsthilfegruppe wie die Zwölf-Schritte-Gruppen der Erwachsenen Kinder von Alkoholikern und aus anderen dysfunktionalen Familien. Sieh im  Telefonbuch nach.

Das Focusing-Netzwerk von Eugen Gendlin, das sich immer mehr verbreitet, könnte ebenfalls hilfreich für dich sein. Siehe dazu den Anhang dieses Buches.

Vergewissere dich, dass es sich um gefühlsorientierte Gruppen handelt, welche eine sorgfältige und kontinuierliche Tiefenarbeit nicht durch unbegründete Glaubensvorstellungen und die Kraft des positiven Denkens ersetzen. Glaube und positives Denken sind beide durchaus wertvoll. Aber auch sie können, wie übrigens alles, zu Formen der Abwehr werden.

Vorsichtsmaßnahme 6

Lies das ganze Buch dreimal langsam und sorgfältig durch. Verdaue jeden einzelnen Abschnitt sehr genau.

Immer wieder stellen mir Menschen nach der Lektüre des ersten Teils des Buches Fragen, auf die es bereits eine sorgfältige und klare Antwort im Text gibt. Das heißt für mich, dass ein- oder zweimaliges Lesen nicht ausreicht. So klar es auch geschrieben sein mag, ist dieses Buch doch voll gepackt mit Informationen, und jeder einzelne Punkt hängt mit vielen Themen zusammen.

Eine meiner Klientinnen hat einen Doktortitel in Psychologie und ist bei mir seit mehreren Jahren in tiefentherapeutischer Behandlung. Sie sagte mir, sie habe das Buch achtmal gelesen. Obwohl sie schließlich das Gefühl hatte, es verstanden zu haben, hatten wir zwischendurch immer noch Meinungsunterschiede, und wenn wir dann auf den Text zurückkamen, fanden wir, dass sie gelegentlich Textstellen, die sehr deutlich sind, entweder vergessen oder falsch in Erinnerung hatte.

Ich wiederhole es: Lies dieses Buch langsam und sorgfältig, mindestens dreimal, sodass du einen allgemeinen Eindruck von dem hast, worauf du dich einlässt, wenn sich der Wald, den du betrittst, immer enger um dich schließt.

Ich rate davon ab, mit den Übungen in diesem Handbuch ohne eine angemessene Psychotherapie herumzuexperimentieren.

 

Dieses Wachstums-Handbuch kann äußerst gefährlich sein,

falls du es ohne kontinuierliche professionelle Hilfe benutzt!

 

 

KAPITEL 12

Wer sollte die Reise unternehmen?

 

Klienten, die zu mir kommen und unsicher sind, ob sie eine Psychotherapie machen sollen, habe ich immer gesagt: "Wenn dein Gehirn funktioniert, dann lass es in Ruhe". Wenn du in deinem Denken, deinem Fühlen und deinem Verhalten einigermaßen zurecht kommst, wenn es mit deiner Arbeit, deiner Freizeit und deinem Intimleben gut klappt, wenn du die meiste Zeit einigermaßen zufrieden bist und dich meistens gut fühlst, dann versuche um Himmels willen nicht, deine Psyche durcheinander zu bringen.

 Wenn du dich aber allzu oft schlecht fühlst, wenn es in allzu vielen Bereichen deines Lebens nicht gut läuft, oder wenn du einer von den Menschen bist, die den Drang verspüren, ihr tiefstes Selbst zu verstehen, und wenn du bereit bist, auf unbestimmte Zeit emotionalen Schmerz zu empfinden, um schließlich zu Holistischer Einsicht und einem besseren Funktionieren zu gelangen, dann: Willkommen an Bord!

 

 

 

 

 

KAPITEL 13

Was macht das Gehirn, wenn es im Schmerz ist

 

In der Psyche ist nichts so einfach, wie es scheint.

Und dennoch ist es auch wahr,
dass die Dinge oft viel einfacher sind,
als uns die Psychiatrie einreden will.

 

 

Um zu verstehen, was wir tun müssen, wenn wir mit den tiefsten Tiefen der Psyche arbeiten, müssen wir zuerst auf eine einfache Art begreifen, was die Psyche macht, wenn sie leidet. Dazu brauchen wir keine komplexen, physiologischen Informationen, sondern nur ein einfaches und klares Gespür für das, was da vor sich geht.

Ausdruck und Heilung von psychologischem Schmerz hängen von den folgenden Wahrheiten unserer Gehirnfunktionen ab:

1. Das Gehirn hasst Schmerz.

2. Das Gehirn hasst es, genau zu wissen, wie es zu seinem Schmerz gekommen ist.

3. Wird das Gehirn entweder mit Schmerz oder mit dem Wissen, wie es zu diesem Schmerz kam, konfrontiert, dann versucht es, das vollständig zu vergraben, indem es sowohl den Schmerz als auch das damit verbundene Wissen verdrängt, und zwar weit weg vom Bewusstsein in der Tiefe der Psyche. Wenn das Gehirn sich dann im späteren Leben unwohl fühlt, jedoch nicht genau wissen will, warum, so bemüht es sich, das Problem auf eine verdeckte und unfruchtbare Weise zu lösen. Dazu ordnet es Vergangenheit und Gegenwart um und verändert die Bedeutung von allem, was in ihm und außerhalb von ihm geschieht, um sich sicher zu fühlen und zu versuchen, seine Probleme irgendwie zu lösen.

 
Ich wurde von Dr. Aletha Solter darauf aufmerksam gemacht, dass Babys und Kleinkinder ihre Schmerzen nicht vermeiden, wenn man ihnen erlaubt, ihre Gefühle zu fühlen. Bitte schaut euch sowohl ihr Buch "Auch kleine Kinder haben großen Kummer" (erschienen im Kösel-Verlag, 2000- Anm. d. Ü.) als auch ihre Homepage: Aware Parenting Institute (http://www.awareparenting.com/) an.

4. Das Gehirn ist schmerzunempfindlich. Es kann nicht direkt fühlen. Wenn man es während einer Operation frei gelegt hat, kann man hineinschneiden oder es verbrennen - es fühlt nichts dabei. Wenn deshalb das Gehirn in Schwierigkeiten ist, bemüht es sich zwar, uns zu warnen, doch es kann das nur indirekt tun.

 

Auf dem Hintergrund der eben erwähnten Einschränkungen seiner Funktionen gelangt das Gehirn zu folgenden Lösungen:

Wie ein Filmprojektor nimmt die Psyche das, was innen in ihr passiert und projiziert es nach außen, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass etwas nicht stimmt. Da sie in einem vollkommen stillen Raum lebt, muss die Psyche einen Weg finden, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken. Die Signale, die sie sendet, müssen für unsere Sinne wahrnehmbar werden, sonst würden wir nichts davon merken.

So könnte ein schiffbrüchiger Seemann eine Flaschenpost ins Meer werfen, doch wir können seine Not nur dann wahrnehmen, wenn wir diese Flasche am Strand entdecken. Ein Mann, der sich nachts auf einer Autobahn verirrt hat, müsste erst einmal ein Telefon finden, bevor wir seine Not hören können. In jedem Beispiel dieser Art merken wir die Not erst, wenn sie  unsere Sinne erreicht.

Das Gehirn funktioniert genauso. Es sendet uns durch unsere Sinne und Gefühle Botschaften, welche unsere Aufmerksamkeit erregen. Zum Beispiel werden wir uns unserer Angst vielleicht erst bewusst, wenn unser Herz zu rasen beginnt, oder wenn wir "Schmetterlinge im Bauch" spüren. Die Flasche ist am Strand unseres Bewusstseins angekommen, das Telefon hat geklingelt.

Um die Sache noch komplizierter zu machen, sind die Empfindungen, die uns tief aus unserem Inneren erreichen, unspezifisch. Wenn wir uns in den Finger stechen, dann können wir den Ort der Störung lokalisieren, und wir wissen meist sogar genau, was die Störung verursacht hat, und zwar deshalb, weil die externen Sinne ein hohes Unterscheidungsvermögen haben. Sie wissen meist ganz genau, was vor sich geht.

Die Sinnesorgane tief in unserem Körper haben kein hohes Unterscheidungsvermögen. Botschaften aus dem Inneren unseres Körpers sind oft extrem diffus. So hatten die meisten von uns irgendwann im Leben schon einmal Bauchschmerzen, doch wir konnten nicht sagen, wo genau die Schmerzen waren.

Ein Gehirn, das nicht genau wissen will, warum es Schmerzen hat, und das unfähig ist, direkt in sich hinein zu fühlen, muss nun seinen Schmerz nach außen verlagern, um ihn dann an unser Bewusstsein zurückzumelden, wobei es sehr diffuse und unspezifische Botschaften übermittelt.

Unsere ganze Reise in diesem Handbuch besteht darin, Techniken zu finden, welche diese verwirrenden Botschaften transparent machen. Jetzt verstehst du auch, warum wir dabei immer mit sensorischen Phänomenen beginnen. Unsere Reise nach innen fängt immer mit dem an, was wir in unserem Körper spüren und fühlen.

 

KAPITEL 14

Wie das Gehirn uns auf seine Notlage hinweist

 

1. Spezifische Körperempfindungen oder -symptome

2. Diffuse innere Körperzustände

3. Spezifische Gefühle

4. Gedanken, Bilder und Bildfolgen, wie etwa Träume

5. Auffälliges Verhalten

6. Psychosomatische Erkrankungen

 

WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE HINWEIST

1. Spezifische Körperempfindungen oder -symptome

Diese gehören zu den einfachsten Methoden des Gehirns, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir in Not sind.

Herzrasen oder Kopfschmerzen sind Beispiele für einfache spezifische Körperempfindungen. So einfach sie auch sein mögen, so interessiert es dich doch vielleicht zu wissen, dass die tiefsten Ursachen dafür zeitlich und räumlich weitab von den körperlichen Empfindungen liegen können, deren wir uns zuerst bewusst werden. Wir werden also gewarnt, haben aber vielleicht keine Ahnung, was nicht in Ordnung ist. Diese Erfahrung, zu spüren, dass wir uns in einer Notlage befinden, aber nicht zu wissen, was tatsächlich nicht stimmt, ist all den Alarmsystemen, die wir noch kennen lernen, gemeinsam. Und sogar dann, wenn wir wirklich wissen, was in der Gegenwart nicht in Ordnung ist, schwingt dabei meist etwas aus der Vergangenheit mit, das wir nicht kennen.

Die ganze Woche hatte ich entsetzliche Magenschmerzen.

* Die ganze Woche?  

Ja, ich glaube, es hat letzten Sonntagabend angefangen, als ich diesen Streit mit meiner Tochter hatte. Sie hasst mich.

 

WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE HINWEIST

2. Diffuse innere Körperzustände

Diffuse innere Körperzustände sind genau das: ein umfassendes inneres Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Etwa der allgemeine Zustand von Unwohlsein, der uns vielleicht ganz durchdringt, wenn wir irgendwo sind, wo wir nicht sein wollen. Obwohl diese Empfindungen von keinem bestimmten Organ ausgehen und zunächst nur schwer greifbar sind, können sie doch einer der lohnendsten unserer grundlegenden Zugänge zum Unbewussten sein. Sobald wir gelernt haben, uns auf sie zu fokussieren, entdecken wir, dass sie außerordentlich reich an Details sind. Wir stellen dann fest, dass sie gleichzeitig von einer oder mehreren Stellen im Körper ausstrahlen, wobei verschiedene Bereiche verschiedene Informationen mit unterschiedlicher Textur und Intensität beitragen.

- Ich fühle mich seit ein paar Tagen innen irgendwie komisch. Ich weiß nicht genau, was es ist. Ich fühle mich einfach nicht wohl. Mein Kollege in der Firma wurde letzte Woche gefeuert. Ich glaube, ich hab mich irgendwie gefragt, ob ich wohl als Nächster dran bin.

 

WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE HINWEIST

3. Spezifische Gefühle

Gefühle sind eigentlich eines der komplexesten Phänomene überhaupt, und genau sie wollen wir hier zu verstehen suchen. Gefühle liegen im Inneren all der Phänomene, mit denen wir uns beschäftigen werden, und sie liegen auch um sie herum. Sie vermischen sich mit Körperempfindungen und diffusen Körperzuständen. Manchmal sind sie im Vordergrund, manchmal im Hintergrund. Doch sie werden uns überallhin auf unserer Reise begleiten und uns führen - und manchmal werden sie erheblich zu unserer Verwirrung beitragen.

Nichts in der Tiefentherapie besitzt eine ähnlich große Beweglichkeit wie Gefühle, nichts kann sich so leicht wie sie verwandeln. In der Welt der Regression verändern Gefühle ständig ihre Form.

Gefühle sind mächtig; sie ziehen im Rudel, und oft vertragen sie sich nicht miteinander. Sie kommen auch in der Form von zwei unterschiedlichen, einander entgegengesetzten Paaren daher. Auf Grund ihrer Schnelligkeit sind sie Handlanger der Abwehrmechanismen des Gehirns; sie können bösartig sein; und sie sind Meister darin, Verwirrung zu stiften. Und als wäre das noch nicht genug, können sie unsichtbar sein, und oft sind es auch.

Trotz dieser eindrucksvollen Liste chaotischer Leistungen sind die Gefühle, wenn sie erst einmal heimisch geworden sind, unsere besten Freunde. Wenn wir als Kind tief verletzt wurden, so sind es vor allem unsere Gefühle, die dysfunktional werden. Es ist eines der großen Paradoxa der Psyche, dass wir uns genau diesen dysfunktionalen Elementen zuwenden und uns schließlich auf sie verlassen, damit sie uns zurück nach Hause, zur Heilung führen.

- Ich bin so verängstigt in letzter Zeit. Ständig habe ich Angst. Ich glaube, das ist so, seit meine Mutter starb.

Im Reich der Gefühle gibt es spezifische individuelle Gefühle und auch zwei Arten von Gegensätzen:

 

DIE PAARUNG VON GEGENSÄTZLICHEN GEFÜHLEN:

A. Einfache gutartige gegensätzliche Gefühle

Diese erste Gruppe von gegensätzlichen Gefühlen ist verwirrend, aber relativ gutartig. Wir können jemanden lieben und ihn gleichzeitig hassen. Wir können etwas wollen und es zugleich nicht wollen. Derartige einfache Gegensätze stiften so lange Verwirrung, bis jemand uns erlaubt, sie zusammen leben zu lassen.

Ich kann ihm nicht böse sein, ich liebe ihn. Aber manchmal bin ich so wütend auf ihn, dass ich ihn regelrecht hasse. Mir ist klar, dass das keinen Sinn ergibt, da ich ihn doch liebe.

* Du fühlst also zugleich Liebe und Hass ihm gegenüber?

Ist das nicht verrückt?

* Es ist das, was du fühlst.

Sieht ganz so aus.

 

DIE PAARUNG VON GEGENSÄTZLICHEN GEFÜHLEN:

B. Komplexe, bösartige Gegensätze

Das Gehirn hat Impulse, und es hat auch Kontrollen. Ein Mensch ohne Kontrollen ist sehr, sehr gefährlich. So unverzichtbar Kontrollen auch sind, im verletzten Kind werden sie oft viel zu groß und können dann das Wachstum des Erwachsenen abwürgen.

Zu viel Kontrolle beim Erwachsenen kann viele Ursachen haben. Hat ein Kind vor seinen Eltern entsetzliche Angst, so traut es sich nicht, seine Meinung zu sagen. Es hat Angst, dass sie es dann umbringen oder es zumindest sehr schlecht behandeln werden. Diese Lektion wird es nie vergessen; es lernt, sich ständig zu kontrollieren. Der Terror des Kindes kann solche Ausmaße annehmen, dass es sich später als Erwachsener mit wirklich bösartiger Energie selbst unterdrückt.

Darüber hinaus kommt das tief verletzte Kind immer zu dem Schluss, es sei selbst wertlos. Weshalb, denkt es, würden die Menschen mir sonst so wehtun? Und wenn ich wertlos bin, kann natürlich auch nichts von dem, was aus meinem Inneren kommt, irgendeinen Wert besitzen - und wieder macht es, ein für alle Mal, dicht'.

Wenn wir uns darum bemühen, die Psyche solcher Menschen zu befreien, kommt nach und nach eine endlose Reihe dieser bösartigen Gegensatzpaare hoch. Es gibt sie überall in der Psyche, und es sind die größten Stolpersteine auf ihrem Weg zur Reifung. Sie sind das Ergebnis von zu viel Kontrolle und dienen dazu, die Geheimnisse der Seele gut und fest verschlossen zu halten.

Daneben dienen sie auch noch dazu, den Ausdruck mörderischer Wut gegen uns selbst oder andere zu verhindern.

Ich will - ich soll nicht wollen

Ich liebe - ich soll nicht lieben

Ich hasse - ich soll nicht hassen

Ich denke - ich soll nicht denken

Ich will sprechen - ich soll nicht sprechen

Ich bin in Ordnung, so wie ich bin - ich bin das abscheulichste Miststück auf der ganzen Welt. Ich habe kein Recht zu denken, zu fühlen oder irgendetwas zu tun.

Die Liste ist endlos, und jeder Punkt darauf hemmt das Wachstum. Was all dem zu Grunde liegt, ist natürlich, dass diese Menschen nicht sein dürfen. Sie haben kein Recht zu leben - auf welcher Stufe auch immer. Jede Vorwärtsbewegung in ihrem Wachstum und in ihrer Therapie ist von daher vollständig und definitiv blockiert.

Ich will dir erzählen, wie oft meine Mutter betrunken nach Hause kam.

* Nur zu, erzähle!

Ich kann nicht. Ich darf über meine Mutter nicht schlecht reden. Ich will zwar, aber jedes Mal, wenn ich anfange, darüber zu sprechen, schaffe ich es einfach nicht.

 

WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE HINWEIST

4. Gedanken, Bilder und Bildfolgen, wie etwa Träume

Die Gedanken, Bilder oder Bildfolgen, denen wir auf unserer inneren Reise begegnen, können uns ihre Botschaft ganz direkt vermitteln, sodass diese kaum der Interpretation bedarf. Sie können aber auch stark symbolisierte und verfremdete Repräsentationen sein für Inhalte, die wir nicht leicht wahrnehmen können. Nichts ist reicher ausgeschmückt als ein Traum, und doch können auch Träume uns geradewegs ins Gefühlszentrum eines Problems führen, wenn wir dabei nur ein paar einfache Regeln beachten. Wenn du dieses Handbuch ganz gelesen hast, bist du bereit, auch den Anhang zu lesen, der ganz kurz darstellt, wie du die exotisch erscheinenden Mitteilungen der Träume enträtseln kannst.

Immer wieder kommt mir das Bild in den Sinn, wie mein Baby ermordet wird.

* Ermordet?

Ja, jemand schleicht in sein Zimmer und erwürgt es. Entsetzlich. Werde ich jetzt verrückt oder was?

* * *

Letzte Nacht träumte ich von einem winzigen Frosch,  der von einem riesigen LKW
überfahren wurde.

 

WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE HINWEIST:

5. Ungewöhnliche Verhaltensweisen

Von Zeit zu Zeit ertappen wir uns alle dabei, dass wir Dinge tun, die keinen Sinn ergeben. Das kann etwas so  Komplexes sein wie der Ausdruck einer multiplen Persönlichkeitsstörung, vielleicht hängen wir aber auch einfach nur mit Leuten herum, die wir nie mochten. Jedes Mal, wenn wir Dinge tun, die von unseren alltäglichen Gewohnheiten abweichen, haben wir es vielleicht mit etwas zu tun, das zu erkunden sich lohnt. Nun habe ich in diesem Buch nicht die Absicht, mich tiefer mit diesem Thema zu befassen. Aber ich halte es doch für erwähnenswert, denn es kann unsere Aufmerksamkeit auf tieferliegende Probleme richten.

- Ich glaube, ich hatte letzte Woche eines der verrücktesten Erlebnisse, die frau haben kann

* Und zwar?

- Ich ging im Restaurant aufs Klo. Und da stand so ein Typ vor einem Pissoir und glotzte mich voller    Überraschung an.

* Dann warst du also auf dem Männerklo?

- Ja. Doch warum, meinst du, mache ich bloß so einen Fehler?

 

WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE HINWEIST:

6. Psychosomatische Erkrankungen

Auch hier ist es nicht meine Absicht, dieses Thema zu vertiefen; ich will bloß noch einmal betonen, dass unaufgelöster emotionaler Stress den physischen Körper schädigt. Ob es nun das Asthma eines unglücklichen Kindes ist (obwohl nicht jedes Asthma seinen Ursprung im Unglücklichsein hat) oder das Magengeschwür eines Erwachsenen, dessen Bedürfnisse nie gestillt wurden, ein solcher Zusammenbruch von Körperfunktionen ist immer eine gute Eingangstür ins Unbewusste.

- Mein Mann hat mich letzte Woche wieder geschlagen, und ich hab darauf total komisch reagiert. Ich bekam einfach keine Luft mehr. Mein Hausarzt sagte mir, es sei ein Asthma-Anfall gewesen. Dabei hatte ich in  meinem ganzen Leben noch nie Asthma.

 

KAPITEL 15

Das Problem der Erlebnisintensität

 

Ich habe es schon öfters gesagt: Wenn wir uns einen Weg durch unsere Abwehr hindurch zu den tieferen Schichten unserer Psyche bahnen wollen, braucht unser Bewusstsein die intensivierende Kraft des Schmerzes.

Du erinnerst dich bestimmt noch an die sechs Wege, durch die uns das Gehirn auf seine Not aufmerksam macht. Es sind:

1) spezifische Körperempfindungen oder -symptome
2) diffuse, innere Körperzustände
3) spezifische Gefühle
4) Gedanken, Bilder und Bildfolgen wie z.B. Träume
5) ungewöhnliche Verhaltensweisen
6) psychosomatische Erkrankungen.

Nur die ersten drei vermitteln uns eine direkte Erfahrung schmerzhafter Empfindungen, obwohl man auch die psychosomatischen Erkrankungen dazu zählen könnte. Unabhängig davon, was jetzt unsere Aufmerksamkeit ausgelöst hat, ist es deshalb unsere Aufgabe, die spezifischen Körperempfindungen und gefühle, die diffusen inneren Körperzustände oder die spezifischen Gefühle zu finden, welche all die anderen Botschaften des Gehirns begleiten. Es ist die Intensität dieser Gefühle innerhalb all der Alarmbotschaften, welche uns schließlich nach Hause, in unser tiefstes Selbst führt. Genau aus diesem Grund werden wir unsere Aufmerksamkeit und unseren Fokus immer wieder auf diejenigen Aspekte unserer Erfahrungen richten, die wir wirklich und wahrheitsgetreu fühlen können. Diese Gefühle sind der Fluss, auf dem wir navigieren müssen, wenn wir den Ursprung unserer Not finden wollen.

Wir tauchen in unsere Schmerzen nicht ein, weil das uns Spaß macht. Wir tun es, weil er uns stets ins Herz der Dinge führt. So hart es auch scheinen mag, so ist dies doch ein sehr positiver Aspekt der Erfahrung von emotionalem Schmerz.

Schmerz, der mit innerer Arbeit verbunden ist, fühlt sich konstruktiv an. Das ist ein sehr zentraler Punkt. Dieses konstruktive Gefühl gibt uns das ständige, positive Feed-back, das uns während unserer dunkelsten Stunden unterstützt und aufrecht erhält.

Wenn wir zum Beispiel endlich die brennende und schmerzhafte Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen fühlen, so wissen wir bei all unserem Schmerz doch gleichzeitig auch, dass wir uns auf diese Weise heilen. Jedes Mal, wenn wir etwas Schreckliches, das in uns verschüttet lag, endlich in unser Bewusstsein einlassen, erleben wir gleichzeitig mit diesen Todesqualen ein tiefes und bleibendes Gefühl der Erleichterung. Wenn der Schmerz sich mit seiner ursprünglichen Quelle verbindet, kann uns das entsetzlich quälen, doch zur selben Zeit oder kurz danach fühlen wir, dass diese Erfahrung genau richtig und notwendig war. Wir wissen, dass wir uns endlich auf dem Pfad der Genesung befinden, und auch wenn wir es nur sehr undeutlich wahrnehmen, jetzt bricht die Sonne durch die Wolken und erhellt die so lange verdüsterte Landschaft unseres Lebens. Der Schmerz wird uns ein Freund. Er ähnelt dem Geräusch einer verrosteten Türangel, wenn wir eine lange unbenutzte Tür öffnen und einen Schatz finden, der unsere Existenz hell erleuchtet.

Wenn ein Mensch Schmerz um des Schmerzes willen sucht (also Schmerz, der nicht mit seinem Ursprung verknüpft wird), ist das natürlich nutzlos und masochistisch.

 

KAPITEL 16

Schwimmen im Meer der Regressionstherapie

 

Wenn wir unter die Wellen des Alltagslebens tauchen und beginnen, uns für die Gefühle und Empfindungen zu öffnen, die uns ein Not leidendes Gehirn auf Umwegen übermittelt, dann betreten wir eine sehr ungewöhnliche Welt. Wie ist es dort, und wie können wir uns in dieser Welt bewegen?

In der Welt der Psyche herrscht eine Freiheit, die wir im Alltagsleben nie erreichen können. Innen ist es, als würden wir in einem dreidimensionalen Raum schweben, vergleichbar einem Taucher, der zwischen dem Grund und der Wasseroberfläche schwebt. Aber anders als der Taucher können wir uns in jede Richtung bewegen, ohne Arme und Beine zu benutzen, Wir bewegen uns, indem wir uns einfach ein Ziel vorstellen, und dann gleiten wir dorthin, als würden wir in einer Fantasiewelt leben. So können wir uns auf innere Gegenstände zu bewegen oder uns von ihnen entfernen. Wir können tiefer oder flacher tauchen, oder, wenn wir es wollen, das Wasser ganz verlassen.

Wir können innere Objekte und Vorgänge mit unseren Sinnen und unserer Intuition genauso erkunden, als hätten wir es mit Vorgängen in der Außenwelt zu tun.

Wir erleben das, was uns im Innern begegnet, genauso lebhaft wie die Dinge, die draußen sind. Und wir können uns von den gleichen Reaktionen leiten lassen. Doch wir sind unendlich wendiger, sodass wir uns sehr langsam, aber auch, wenn wir das wollen, schnell wie ein Blitz bewegen können. Es ist uns sogar möglich, uns während einer Therapieerfahrung aufrecht hinzusetzen, die Augen zu öffnen und uns dadurch von unserer inneren Welt zu lösen.

Wir können uns jedoch nicht immer darauf verlassen, dass die innere Welt, im Gegensatz zur äußeren Welt, fest gefügt und von uns getrennt bleibt. Hier kann es uns passieren, dass wir überwältigt werden und die Kontrolle über das, was passiert, verlieren. Wir tragen in uns das uralte Wissen unserer Spezies, dass irgendetwas in den Tiefen unserer Seele sich unserer Kontrolle entziehen und uns so einen tödlichen Schrecken einjagen könnte. Was wir in der inneren Welt beobachten (beispielsweise ein Traumbild), kann unter Umständen plötzlich auf uns zu kommen und unsere Fähigkeit, uns von ihm getrennt zu halten, überrennen.

So haben die Menschen vor Kontrollverlust genau so viel Angst wie vor sonst irgendetwas. Wir fürchten, von einem Gefühl übermannt zu werden, das so mächtig ist, dass es uns zum Handeln zwingt, sodass wir uns selbst oder jemand anderen verletzen müssen. Wir haben Angst, von unseren Gefühlen überwältigt zu werden, durchzudrehen und in ein gigantisches Irrenhaus verfrachtet zu werden, wo man uns auf eine obskure Station bringt, uns einschließt, in eine Zwangsjacke steckt und mit Drogen voll pumpt oder mit Elektroschocks behandelt, sodass wir dahinvegetieren und nie wieder auftauchen.

Tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass einige Menschen, die versuchen, dieses Buch zu benutzen, schließlich die Hilfe eines Psychiaters oder einer psychiatrischen Einrichtung benötigen könnten. Die eben beschriebene Situation gehört jedoch eindeutig einer archaischen Vergangenheit an.

Ich glaube aber, dass man einen ernsthaften Zusammenbruch dadurch vermeiden kann, dass man die Vorsichtsmaßnahmen beachtet, die ich schon aufgeführt habe, bzw. noch beschreiben werde.

Sind wir erst einmal unter die Oberfläche des Alltags-Selbst getaucht, so schweben wir in unserer dreidimensionalen Welt. Wir begegnen den schon zuvor erwähnten Botschaften. SPEZIFISCHE KÖRPEREMPFINDUNGEN streifen uns, wie die Spitzen von Korallen. DIFFUSE INNERE KÖRPERZUSTÄNDE huschen wie dunkle Schatten um uns herum. GEFÜHLE machen sich wie Wasserströme unterschiedlicher Temperatur bemerkbar. BILDER begleiten uns, wie Kreaturen der Unterwasserwelt, und BILDFOLGEN ziehen an unseren Augen wie Fischschwärme vorbei.

Der Unterschied zwischen der Unterwasserwelt des Selbst und derjenigen des Ozeans besteht natürlich darin, dass alles, was wir in der Unterwasserwelt des Selbst sehen, aus den Tiefen der eigenen Seele dorthin projiziert wurde. Es ist eine symbolische Welt, und weil sie tief aus unserem Inneren kommt, hat alles in ihr eine Bedeutung für uns. Wir spüren die Verwirrung und den Sog der Gezeiten, die von diesen möglichen Bedeutungen ausgehen, und wir wissen, dass wir an einem Platz sind, der uns etwas zu sagen hat - wenn wir nur lernen, ein Ohr dafür zu haben.

Mit Hilfe unserer Unterwasser-Sinne können wir uns öffnen, sodass wir unsere inneren Qualen spüren. Wir fühlen den Schmerz im Nacken und das diffuse Unwohlsein und den Brechreiz im Bauch. Wir nehmen das Engegefühl in unserer Brust wahr die dunklen, schmerzhaften Landschaften unseres Inneren werden um uns herum sichtbar.

Sind wir zum Beispiel ins Meer unserer Innenwelt getaucht und fühlen dann dort eine ungewöhnlich starke Angst vor Kritik, dann ist diese übertriebene Angst etwas, das in der wirklichen Welt nicht existiert. Wir haben sie aus unserem tieferen Selbst heraus auf das Meer, das uns umgibt, projiziert, und so können wir uns jetzt auf sie zu bewegen, oder uns vor ihr zurückziehen.

 

Kapitel 17

Was wir im  Meer des tieferen Selbst zu tun versuchen

RÜCKKEHR ZUM ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE

Das Herz, der Kern, die Seele der gefühlsorientierten Regressionstherapie ist die Vorstellung, dass wir mit unserem Schmerz verschmelzen müssen, um ihn zu verdauen und dadurch automatisch seine bösartigen Formen aufzulösen.

Was wir tun, sobald wir im Meer des tieferen Selbst angekommen sind, ist, mit jedem einzelnen schmerzhaften Phänomen, dem wir begegnen, zu verschmelzen und eins zu werden. Wir konzentrieren uns dabei auf den Schmerz, denn er ist unser Signal, dass da etwas in uns ist, das noch nicht verarbeitet ist. Freude wird später kommen, und zwar als ein Nebenprodukt der Arbeit, die wir machen.

 

VERSCHMELZEN (MIT DEM SCHMERZ EINS WERDEN)

Stufe 1: Mit dem Prozess des Verschmelzens beginnen

Wenn ich in das tiefere Selbst eintauche, so kann es sein, dass ich zum Beispiel eine diffuse, innere Körperempfindung spüre. Der ganze vordere Bereich meiner Brust tut mir vielleicht ein wenig weh. Zuerst nehme ich es als ein diffuses Ausstrahlen des Schmerzes wahr. Ich empfinde den Schmerz als etwas von mir Getrenntes, ich bin hier und beobachte ihn, und der Schmerz ist dort in meiner Brust. Ich scheine über ihm zu schweben und auf meinen Körper hinunter zu blicken, wie ein Astronaut in einem Science-Fiction-Film.

Ich öffne mich, um ihn ganz zu spüren. Ich lasse ihn auf mich zu kommen. Er spült durch mich hindurch und zeigt mir seine Lage, seine Intensität und seine Beschaffenheit. Ich warte, bis dies mir keine weiteren Sinnesinformationen mehr bringt.

Diesen Prozess, bei dem ich es dem Schmerz erlaube, intensiver zu werden und mich mit seiner Beschaffenheit vertraut zu machen, nenne ich den Prozess der „Anreicherung“ oder der „Texturerhöhung“.

Bis jetzt war ich passiv und habe den Schmerz einfach kommen lassen. Nun, da ich von dem reichen, sensorischen Wissen um seine Existenz durchdrungen bin, werde ich aktiv und bewege mich sanft in sein Zentrum. Jetzt habe ich das Gefühl, in ihm zu liegen. Ich versuche, die Grenzen zwischen meinem Bewusstsein und dem Schmerz, der in mir versteckt lag, aufzulösen. Ich versuche, mit dieser körperlichen Kommunikation eins zu werden. Ich öffne mich ganz. Es ist, als würde jede Pore meiner Haut und all meine Körperöffnungen den Schmerz in mein Bewusstsein einlassen. Ich und der Schmerz werden eins. Der Schmerz dringt in alle Teile von mir ein, dringt durch bis in mein Knochenmark. So, und nur so, kann ich ihn verdauen. Seine bisher eingefrorene und bösartige Form beginnt, sich allmählich völlig aufzulösen. Während seine Struktur auseinander fällt, verliert er gleichzeitig seine Kraft, mich zu verletzen. Aber ich werde diesen Schmerz tief und möglicherweise viele Male fühlen müssen, um endgültig frei davon zu werden.

 

Stufe 2: Den Prozess der Verschmelzung vertiefen

An diesem Punkt sollte der Leser zum Teil 1 des Buches zurückkehren, wo wir uns mit der Schaffung von Kongruenzen befassen, um mit unserer schmerzhaften inneren Landschaft völlig zu verschmelzen.

A: Die Kongruenz des Fühlens benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen

Wenn ich es dem bewussten Teil von mir erlaube, die Empfindungen zu fühlen, die ein inneres Ereignis zu mir ausstrahlt, dann befasse ich mich mit der Schaffung der KONGRUENZ DES FÜHLENS. Je tiefer ich mich in das Zentrum dieser Gefühle und Empfindungen eintauchen lasse, desto kongruenter werde ich mit ihnen. Mein Bewusstsein erlebt genau das, was vorher unbewusst war. Diese Offenheit für Gefühle und Empfindungen, dieses Verschmelzen des Bewusstseins mit der inneren Erfahrung muss zu unserer kontinuierlichen therapeutischen Arbeit werden.

Die übrigen Kongruenzen benutzen wir, um diese Einheit von Bewusstsein und Empfindung weiter zu intensivieren. Dieses Verschmelzen und Einswerden mit unserem inneren Zustand ist ein Gesetz der emotionalen Heilung. Dieses Gesetz duldet keine Ausnahmen. Bei den Klienten, welche nicht mit ihrem Schmerz verschmelzen, um ihn auf diese Weise in seine Bestandteile zu zerlegen, kommt es zu keiner Besserung. Sie leiden weiter und laden ihren Schmerz weiterhin in verkleideter Form auf ihre Welt ab. Immer dann, wenn wir von einem ausgeglichenen, harmonischen Funktionieren abweichen, laden wir etwas Unbewusstes auf unser alltägliches Leben ab.

B: Die Kongruenz der nicht artikulierten Laute benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen

Jetzt kommt es zur KONGRUENZ DER NICHT ARTIKULIERTEN LAUTE, während ich zulasse, dass Laute aus meinen Körperempfindungen in meinem Hals aufzusteigen und dann aus meinem Mund herauszuströmen. Ich passe den Laut meinen Empfindungen in Intensität und Qualität genau an. Meine inneren Körpersinne spüren es, wenn der Laut stimmig ist, genauso, wie wir es spüren, wenn wir einen Tennisball exakt mit der Mitte des Tennisschlägers treffen. Wir halten diese Kongruenz, bis die Anreicherung (die Erfahrung der Lage, der Intensität und der Textur) zusammenbricht.

C: Die Kongruenz der artikulierten Laute benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen

Vielleicht stellen wir fest, dass sich unsere nicht artikulierten Laute in Richtung realer einfacher Wörter oder einfacher Sätze bewegen wollen vielleicht auch nicht. Es ist wichtig, diese Veränderungen zuzulassen, ohne bewusst einzugreifen. Vergiss nie, dass du lediglich der Empfänger von Informationen bist. Wenn du versuchst, etwas zu erzwingen und Informationen zu manipulieren und dich nicht damit begnügst, die richtigen Türen zu öffnen, dann brichst du den Zauber, den das tiefste Selbst braucht, um mit dir zu kommunizieren.

Wenn Worte hoch kommen wollen, dann lass es geschehen, aber halte sie kurz, halte auch deine Sätze kurz und springe nicht von einem Satz zum andern. Versuche immer, einen langen Satz möglichst kurz zu machen, geh dabei aber nur so weit, dass er noch das Gefühl einfängt, mit dem du zu verschmelzen suchst.

Wenn du dich zum Beispiel daran erinnerst, wie dein Vater dich geschlagen hat, und wenn du dann hörst, wie du den Satz sagst: "Ich will nicht mehr, dass du mich schlägst", dann kannst du diesen Satz progressiv kürzen, zuerst zu: "Schlag mich nicht mehr", dann zu: "Schlag mich nicht" und schließlich auf das Wort "Nein!". Wenn du deinen Satz immer weiter verkürzst, entdeckst du, dass sich die ganze Intensität des Gefühls in diesem Wort: "Nein!" konzentriert. Nun kannst du dieses einfache Wort: "Nein!" ständig wiederholen oder hinaus schreien, um so den Schmerz der damaligen Begegnung mit deinem Vater auf eine höchst kraftvolle und intensive Weise loszuwerden. Ein einzelnes Wort wie dieses "Nein!" wird zum letzten verbalen Destillat deines Schmerzes, bevor er zu einem nicht artikulierten Laut wird, wie etwa einem Schrei der Wut, des Schmerzes oder der Angst.

Es kann sein, dass du zwischen Worten und Lauten hin und her pendelst. Das ist in Ordnung, doch versuche, solange bei jedem Gefühlsausdruck zu bleiben, bis seine Energie ihren Höhepunkt erreicht hat und dich auf natürliche Weise zum nächsten führt. Versuche nicht, bewusst Verknüpfungen herzustellen, es sei denn, sie kommen von alleine. Intellektuelle Verknüpfungen blockieren und engen die Prozesse deiner Psyche ein. Der Intellekt führt dich zurück an die Oberfläche (Therapie auf Stufe Eins) und errichtet in dir Schranken zwischen deinem bewussten Selbst und deinem tiefen Potenzial für GANZHEITLICHE ERFAHRUNG. Deine Kongruenzen sind wie ein Bohrer, der sich nach unten durchbohrt. Warte auf das Nachlassen der Spannung dabei kommt es vielleicht zu unterschiedlichen Graden GANZHEITLICHER BEWUSSTHEIT, vielleicht auch nicht.

D: Die Kongruenz der Körperposition (ohne Bewegung) benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen

Erlaube deinem Körper, die Position anzunehmen, die er will, lass ihn sich verkrümmen, so wie er es will. Vielleicht krümmst du dich zusammen wie ein Fötus, oder du liegst auf dem Rücken, und deine Beine drücken sich gegen die Wand. Nimm die Position ein, die dein Körper einnehmen will.

E: Die Kongruenz der Position des Körpers (in Bewegung) benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen

Lass deinen Körper sich kontinuierlich bewegen, wenn er es will, indem er sich zum Beispiel von einer Seite zur anderen schaukelt, oder was auch immer er tun will.

Deine inneren Körperempfindungen sagen dir, ob diese körperlichen Reaktionen dazu beitragen, Intensität und Tiefe deiner Gefühle zu verstärken, oder ob sie diesen Prozess der Intensivierung irgendwie stören.

Alles, was du in der Tiefentherapie tust, kann deinen Fortschritt fördern und vertiefen, oder es kann die Intensität verringern und dich an die Oberfläche zurückbringen (Therapie auf Stufe Eins). Nirgendwo wird das deutlicher als bei der Körperbewegung. Wenn wir zum Beispiel in tiefem Schmerz sind, kann die wiegende Bewegung des Säuglings unsere Reise zur Auflösung des Schmerzes und zu GANZHEITLICHER EINSICHT verstärken und vertiefen. Doch sie kann unsere Spannung auch abschwächen und uns beruhigen. Wir haben ein inneres Körperwissen, das uns sagt, ob wir uns auf dem Weg der Intensivierung des Prozesses befinden, oder aber auf dem Weg der Abschwächung dieser Intensität. Versuche, dies bewusst wahrzunehmen und dann wähle das aus, was für dich in dem Moment das Beste ist - erinnere dich daran, dass deine Heilung umso tiefer sein wird, je tiefer du gehst.

Wahr ist aber auch, dass eine kontinuierliche therapeutische Begleitung umso notwendiger wird, je tiefer du gehst.

 

 

 

KAPITEL 18

Mögliche Ergebnisse des Verschmelzens

 

Wenn du vorsichtig, fokussiert und aufnahmebereit den aufgezeigten Weg gegangen bist und eine Gefühls- Sequenz vollständig durchlaufen hast, wirst du vermutlich eines oder alle der folgenden Resultate erzielen.

Erstes Ergebnis des Verschmelzens

Fast immer wirst du ein sehr deutliches Nachlassen von Symptomen und Spannungen feststellen. Dies ist das zuverlässigste Ergebnis jeder vollständig durchlaufenen Sequenz in der Tiefentherapie. Handelt es sich dabei um ein außergewöhnlich schweres Trauma, dann braucht es vielleicht Wochen oder Monate, bis es  vollständig aufgelöst ist. Stelle dich deshalb darauf ein, dass du eine bestimmte Wachstums-Sequenz unter Umständen sehr oft wiederholen musst - bis ein bestimmtes Thema aufhört, auf sich aufmerksam zu machen.

Zweites Ergebnis des Verschmelzens

Auch wenn du im Augenblick zu keiner HOLISTISCHEN EINSICHT kommst, so hast du dein Gespür für deine inneren Strukturen doch beträchtlich verbessert. Diese nichtspezifische Vertiefung der Selbst-Wahrnehmung nenne ich STRUKTURELLE SELBST-ERWEITERUNG. Dieses wachsende Gespür für die Tiefe, die Komplexität und die Textur deines tiefsten Selbst ist ein wesentlicher Teil deines Wachstums. Es verstärkt unseren Sinn dafür, wie komplex, feinstrukturiert und kostbar wir im Grunde sind. Dies wirkt sich direkt und positiv auf unser elementares Selbstwertgefühl aus. Wir erkennen, dass wir von anderen Menschen getrennt sind, und dass letztlich niemand uns sagen kann, was wir zu tun oder zu fühlen haben. Wir sind zu tief und zu komplex, als dass die Meinung irgendeines anderen Menschen für uns wichtiger sein könnte als die eigene. Es befreit uns von unserer lebenslangen Angst vor dem, was andere Leute von uns denken könnten, und es gibt uns unser Dasein wieder fest in die eigene Hand zurück. Es wird uns klar, dass niemand außer uns selbst je wissen kann, was wir von uns wissen.

Obwohl die STRUKTURELLE SELBST-ERWEITERUNG sehr unspezifisch ist, ist sie eine der unverzichtbaren Grundvoraussetzungen, um zu heilen und eine neue Persönlichkeitsstruktur zu entwickeln.

Drittes Ergebnis des Verschmelzens

Hier geht es natürlich um unsere so sehr ersehnte Erfahrung der HOLISTISCHEN EINSICHT. Hier haben wir jetzt endlich das Blitzlicht im Garten zu mitternächtlicher Stunde. Hier ist die plötzliche Erleuchtung des Selbst und des Anderen. Hier haben wir das letzte psychobiologische Erleuchtungserlebnis vor der eigentlichen Satori-Erfahrung des Zen. Hier ist unser großes menschliches Erbe: die Einsicht, die auf der psychobiologischen Ebene unser Dilemma auflöst.

Noch ein Wort zu Intensivierung, Anreicherung und zum Halten des einmal Erreichten

Immer dann, wenn wir in der Unterwasserwelt der Tiefentherapie sind, lassen wir die Dinge von sich aus geschehen. Wir werden zum Empfänger eines Geschenks, das von innen kommt.

Wir spüren zunehmend deutlicher, dass etwas Bedeutsames geschieht. Das ist ein Teil der ANREICHERUNG. Wenn wir uns beispielsweise auf einen inneren Vorgang wie etwa eine spezifische Körperempfindung zu bewegen, dann wird diese Erfahrung zunehmend intensiver und reicher. Wenn wir in das Gefühl gelangen und uns von ihm durchdringen lassen, haben wir wiederum das Gefühl, dass etwas innerhalb dieser Verbindung sich zunehmend verstärkt. Dieser Anreicherungsvorgang kommt zu einem Höhepunkt, und dann ebbt er entweder ab, wobei es zu körperlicher Erleichterung, mit oder ohne Einsicht, kommt, oder aber er wird auf diesem Intensitätsplateau gehalten, und das kann dann zu einem Wandel von Kontext und Ausdruck führen.

Es ist sehr, sehr wichtig, dass du dich nicht zwischen verschiedenen Prozessen hin und her bewegst, bevor du das Anreicherungsplateau erreicht hast. Springe nicht von Gefühl zu Gefühl, von Satz zu Satz, oder von einem Glied der Kette der Phänomene, deren Spur du verfolgst, zum nächsten.

Wir sind zu sehr an unsere alltäglichen Gespräche und ihre fließenden, sehr schnellen Übergänge gewöhnt. Bewege dich langsam in deiner Wachstumsarbeit, während du dich im Dunkeln von einem Stein zum nächsten vortastest. Gelegentlich kommt es schon vor, dass die Psyche, um dir zu helfen, wie ein Blitz nach vorne schießt, aber im großen Ganzen sind schnelle Übergänge für das Wachstum nicht förderlich. Behandle jede neue Empfindung oder Kongruenz wie einen kleinen Schluck extrem kostbaren Weins. Halte sie mit allen Sinnen fest, sodass du ihre Textur Welle um Welle spüren kannst. Je unangenehmer diese Empfindung ist, um so wahrscheinlicher führt sie zu Erleichterung, Einsicht und Wachstum.

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KAPITEL 19

Wie sich unser Gehirn wehrt: Widerstand

 

Das Gehirn hasst Schmerz. Das Einzige, was es noch mehr hasst als Schmerz, ist, genau zu wissen, wo der  Schmerz her kommt. Das Gehirn hasst es, mit den Details konfrontiert zu werden, wie und warum wir ursprünglich verletzt wurden. Es tut alles, um sich von der direkten Erfahrung dieses Wissens fern zu halten.

Das Gehirn blockiert dieses Wissen, um nicht vom Schmerz überwältigt zu werden. Es ist nicht fähig, all die unzähligen großen und kleinen Verletzungen, die es ein Leben lang erlitten und gegen die es sich während seines ganzen Lebens gewehrt hat, auf einmal zu erinnern und wiederzuerleben. Das immer wachsame Unbewusste lässt dich nur dann ein, wenn es schließlich merkt, dass du den Weg nach innen gewählt hast, und dass dich nichts mehr davon abbringen wird. Dann, und nur dann, beginnt es, dir seine Pforten zu öffnen. Es stellt dich dadurch auf die Probe, dass es dir dabei sehr schlecht geht. Wenn du dich davon nicht abschrecken lässt und trotz allem auf diesem Weg bleibst, füllt es dein Bewusstsein mit seinen schrecklichen und bittersüßen Schätzen.

Abwehrmechanismen und Widerstände sind sowohl für das Kind wie für den Erwachsenen äußerst wichtig. Das gilt besonders für Kinder, die so verletzlich sind, und bei denen das zentrale Nervensystem so offen ist (es sei denn, es wurde wiederholt traumatisiert). Obwohl das zentrale Nervensystem des Erwachsenen viel weniger offen ist, hat der Erwachsene, vorausgesetzt, Timing und Bereitschaft werden berücksichtigt, eine sehr beachtliche Fähigkeit, traumatische Informationen zuzulassen und zu integrieren, und dies gilt für Erlebnisse aus der Gegenwart wie aus der Vergangenheit.

Die Tiefentherapie setzt voraus, dass du dich sowohl gegenwärtigen als auch vergangenen traumatischen Ereignissen stellst. Dabei musst du bereit sein, den Schmerz des Wiedererlebens zuzulassen. Weiterhin musst du in der Tiefentherapie zulassen, dass der Schmerz sich noch erheblich steigert, bevor du zu tiefen Einsichten kommst. Du musst dich dem Paradox stellen, dass du immer tiefer in den Schmerz eintauchen musst, um schließlich von ihm frei zu werden (das ZENTRALE PARADOX DER THERAPIE). Tust du das, dann besteht deine Belohnung darin, dass du tiefe Verknüpfungen herstellst und von deiner lebenslangen Anspannung und deinem schlechten Funktionieren in der Welt befreit wirst. Auch gewinnst du eine tiefe Einsicht in dein Selbst und in alle Aspekte deiner Welt eimschließlich des manipulativen Verhaltens der Menschen um dich herum.

Das immer wachsame Unbewusste weiß, dass du dein Unwohlsein los werden willst. Was es nicht weiß, ist, ob du auch bereit bist, die dafür notwendige, mühsame Reise auf dich zu nehmen. Es weiß nicht, ob du bereit bist, den Preis dafür zu zahlen.

Alle Menschen, die ich bisher getroffen habe, wollen von ihrem Schmerz befreit werden. Aber nur jeder Dritte von den Menschen, die unvorbereitet in meine Praxis kommen, ist bereit, dafür zu kämpfen, indem er  sich mit Mut, Energie und Entschlossenheit auf seine eigenen Tiefen einlässt. Nur jeder Dritte ist bereit, sich seinem Schmerz zu stellen, um von ihm zu frei zu werden. Nur einer von dreien ist bereit, seine Überzeugung aufzugeben, sein Schmerz existiere nur deshalb, weil andere Menschen ihn ständig verletzen. Nur jeder Dritte ist bereit, sich auf die  erstaunliche Vorstellung einzulassen, dass er erst einmal seine eigene innere Reise auf sich nehmen muss, ehe er andere beschuldigen kann. Erst sehr viel später, nachdem er diese ganze Reise hinter sich gebracht hat, klärt sich schließlich alles, und er spürt genau, wer wem was antut. Dieses Wissen um sich selbst und andere, diese enorme Klarheit entsteht als Nebenprodukt der Wendung nach innen. Menschen, die versuchen, es zu erreichen, ehe sie ihre innere Reise beendet haben, machen einen schwer wiegenden Fehler. Ganz gleich, ob sie nach innen oder außen schauen, sie erkennen die wahren Ursachen  ihres Schmerzes nicht.

***

Wir wollen jetzt untersuchen, wie es dem Gehirn auf vielfältige Weise gelingt, die Reise nach innen zu vereiteln. Ich habe bereits gesagt, dass das Unbewusste dich nicht in seinem Bereich haben will. Um dich fern zu halten, greift es zu Gewalt und zu allen möglichen Tricks. Die Kräfte, die es dabei gegen dich einsetzt, sind sehr mächtig und oft völlig unsichtbar. Es ist, als hätte man dich in einem kleinen Ruderboot ausgesetzt, und zwar in Küstennähe, dort, wo ein riesiger Strom sich ins Meer ergießt. Der Strom, der tausend Meilen lang ist, leert den riesigen, dunklen Kontinent des Unbewussten ins Meer.

In dem Moment, wo du dich entschließt, auf die Mündung des Flusses zu zu rudern, musst du gegen zwei Kräfte ankämpfen: gegen die Strömung, die dich wegtreibt, und gegen den heftigen Küstenwind, der ständig versucht, dich aufs offene Meer hinauszutreiben. Wie die Strömung des Flusses und wie der Wind sind die Abwehrmechanismen der Psyche gewöhnlich unsichtbar - doch sie üben eine kontinuierliche, subtile, und mächtige Kraft gegen dich aus.

Eine der Hauptaufgaben dieses Buches besteht darin, diese Kräfte des Unbewussten sichtbar zu machen, und ich werde dir Methoden anbieten, um diese Kräfte zu neutralisieren, damit wir uns stromaufwärts gegen diese Widerstände bis zur Quelle des Schmerzes hoch arbeiten können.

Ich werde versuchen, eine sehr einfache Sprache zu benutzen, damit wir uns nicht in einer weiteren Abwehr - der Intellektualisierung - verlieren.

 

KAPITEL 20

Die Muster, Kräfte und Tricks, die das Unbewusste benutzt,
um uns aus dem eigenen Kopf heraus zu halten

 

Im Folgenden eine Liste der Abwehrmechanismen, mit denen wir uns beschäftigen werden :

 

1. Die Muster "Unsichtbarkeit" und "Nicht-Wissen"

2. Das Muster "Fehlgeleitete Aufmerksamkeit"

3. Der Bann der Vergesslichkeit

4. Die Abwehr des Nicht-Wollens

5. Die Abwehr des Nicht-Dürfens und die Loyalitätsproblematik

6. Die Abwehr alternativer Verlockungen

(a) Wortreiches Schwelgen im Intellektuellen

(b) Wortreiches intellektuelles Fragen-Stellen und das Wissen-Wollen

(c) Das Vergnügen der Gelüste

(d) Die Lust und die Sicherheit verletzenden Schwelgens

(e) Die Sicherheit falscher Überzeugungen

7. Das Muster "Verwirrung"

8. Die Schranke der Dummheit

9. Das Vermeiden negativer Selbst-Konzepte

10. Das Muster des Gestaltwechsels und der Symptom-Wanderung

11. Das Muster "Extremer Schrecken"

 

 

MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN:

1. Die Muster "Unsichtbarkeit" und "Nicht-Wissen"

Der unbewusste Teil unserer Psyche  lenkt unser Denken, Fühlen und Verhalten die ganze Zeit, und er will unter keinen Umständen, dass wir um diese Tatsache wissen. Seine Arbeit ist unsichtbar und erfolgreich. Tatsächlich sehen wir diesen Teil praktisch nie am Werk. Das Unbewusste ist brutal, und es schubst uns dahin, wo es uns haben will.

In der realen Welt verlässt eine Frau eine Party frühzeitig. Bewusst glaubt sie, sie würde nach Hause gehen, weil sie genug hat von den oberflächlichen Gesprächen um sie herum.

Tatsächlich hat ein Mann, der neben ihr saß und auf eine autoritäre Weise sprach, ein negatives Gefühl in ihr ausgelöst, das sich eigentlich auf ihren Vater bezieht. Aber davon weiß sie nichts. Die unbewusste Verknüpfung und die Kraft, mit der diese sie aus dem Raum treibt, sind vollkommen unsichtbar. Ohne zu wissen, dass sie flüchtet oder wovor sie flüchtet ist sie doch auf der Flucht.

DIE MUSTER "UNSICHTBARKEIT" UND "NICHT-WISSEN" haben ihr seelisches Wachstum verhindert, aber andererseits ihre Sicherheit geschützt.

Wir werden im Folgenden sehen, dass die MUSTER "UNSICHTBARKEIT" UND "NICHT-WISSEN" alle psychischen Phänomene, die wir untersuchen werden, verbiegen und verzerren, von den oberflächlichsten bis hin zu den tiefsten.

- Ich weiß nicht, warum ich dauernd so mürrisch und reizbar bin. Mir geht's doch gar nicht so schlecht. Zwar hatten wir Bobs Mutter zu Besuch, aber sie gibt sich solche Mühe, dass ich ihr echt keinen Vorwurf machen kann, wenn sie mich wütend macht.

* Du bist wütend auf sie?

- Nicht wirklich. Aber mir wäre es lieber, sie würde sich nicht so viel Mühe geben. Sie ist jetzt schon zwei Monate bei uns. Ich mag sie wirklich. Sie ist okay.

MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN:

2. Das Muster "Fehlgeleitete Aufmerksamkeit"

Das Unbewusste kann nur dann seinen Willen durchsetzen, wenn es uns dazu bringen kann, uns mit den falschen Dingen zu befassen. Die falschen Dinge als Grund für unseren Schmerz und unser Verhalten anzusehen, ist das Kainsmal der menschlichen Spezies.

Die Frau, die von der Party weggeht, sagt ihren Freundinnen tags drauf wahrscheinlich, wie viel reifer sie inzwischen ist. Sie wird damit prahlen, dass sie jetzt über oberflächliches Partygeschwätz weit erhaben ist. Ihre Aufmerksamkeit wurde von ihrem Unbewussten in die Irre geleitet; sie hat den Fluss des Wissens verlassen und untersucht jetzt die Bäume am Ufer.

Ein Mann in meinem Primalraum erforscht den Widerwillen, den er verspürt, wenn er mit einem homosexuellen Geschäftspartner zusammen ist. Er erzählt mir ausführlich von AIDS und anderen Geschlechtskrankheiten. Er ist zu einem Experten auf diesem Gebiet geworden. Einen Abend in der Woche macht er Gemeindedienst und berät Jugendliche, wie sie Geschlechtskrankheiten vermeiden können. Was er sich jedoch nicht anschauen kann, ist sein Kindheitswunsch, den Penis seines großen Bruders anzufassen, der ihm oft als Beispiel von Männlichkeit präsentiert wurde. Seine Aufmerksamkeit wurde in der Gegenwart von seinem Unbewussten auf Schwule fehlgeleitet, und das wird auch noch gesellschaftlich anerkannt - er hilft ja Jugendlichen, Krankheiten zu vermeiden, die sexuell übertragen werden.

Seine Aufmerksamkeit wurde fehlgeleitet, und er wird sein Leben lang falsche Ziele verfolgen, es sei denn, er entdeckt und erlebt die ursprünglichen Verknüpfungen. Sein Interesse und sein Einsatz für die Sexualerziehung haben ihn vor seinen frühen Erinnerungen und Wünschen "beschützt".

Das Muster "FEHLGELEITETE AUFMERKSAMKEIT" tritt immer zusammen mit den Mustern "UNSICHTBARKEIT" UND "NICHT-WISSEN" auf.

Abwehr kommt in allen möglichen Kombinationen und Intensitätsstufen daher. Wir können gegenüber bestimmten Dingen völlig blind sein und inmitten dieser Blindheit die falschen Ziele mit ungeheurer Energie verfolgen.

- Dieser scheiβ Boss, er kotzt mich an. Tatsächlich, ich hab noch jeden Chef, den ich bisher hatte, gehasst.

Später werden wir ein paar eigene Tricks kennen lernen, um solche Abwehrmechanismen sichtbar zu machen. Und schließlich werden wir sie ganz auflösen. Im Moment jedoch müssen wir jeden für sich betrachten, sodass sie sich vertraut anfühlen, wenn wir mit ihnen arbeiten.

 

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3. Der Bann der Vergesslichkeit

Eine Mutter, die in Therapie ist, schreit ihr zweijähriges Kind unkontrolliert an, weil es gerade Haferbrei auf den Küchentisch gekleckert hat. Sie hat vergessen, was sie gelernt hat; ihr Geschrei verbirgt ein Gefühl. Sie hat vergessen: Wenn sie sich aufs Bett legt und ihre Wut fühlt, wie sie es bei uns lernt, dann verflüchtigt sich ihre Wut, und sie fügt ihrem Kind keinen Schaden zu.

Ein Mann lernt gerade, wie er sich an seine Träume erinnern kann. Bevor er einschläft, soll er sich sagen, dass er träumen will. Er soll einen Block, einen Bleistift und eine Taschenlampe auf seinen Nachttisch legen. Jedes Mal, wenn er nachts aufwacht, oder auch morgens, soll er schnell seine Erinnerungen sichten und jedes Fragment seines Traums, an das er sich erinnert, aufschreiben.

In der ersten Woche vergisst er, sich an diese Hinweise zu halten. In der zweiten Woche sagt er sich, dass er sich an seine Träume erinnern soll, doch er vergisst Block und Bleistift. In der dritten Woche ist er sich derart sicher, dass er sich an einen sehr lebhaften Traum erinnern wird, dass er ihn gar nicht erst aufschreibt, und dann vergisst er ihn später. In der vierten Woche macht er alles so, wie verlangt, lässt aber dann den Block mit seinen Notizen zu Hause liegen. In der fünften Woche denkt er daran, den Block mitzubringen, vergisst jedoch, an meiner Haltestelle aus dem Bus zu steigen. In dieser ganzen Zeit beharrt er aber fest darauf, dass seine Vergesslichkeit reiner Zufall war.

In Wirklichkeit steht er völlig unter dem BANN DER VERGESSLICHKEIT, einem Trick des Unbewussten, um den Zugang zum tieferen Selbst zu verhindern.

- Hast du dich diese Woche überhaupt schon einmal hingelegt und mit deinen Gefühlen gearbeitet?

- Ach, du weißt doch, wie's so geht. Du hast so viel zu erledigen, und ehe du es merkst, ist eine Woche vorbei.        Aber wütend war ich schon; ich  habe mich dauernd mit Jean gestritten.

 

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4. Die Abwehr des Nicht-Wollens

Eine Frau, die in der vorherigen Sitzung ihren ersten regressiven Durchbruch erlebt hat, betritt meine Praxis. Sie sagt, sie habe die ganze Woche über geheult. Sie will nicht noch mehr Tränen. Sie will nicht mit verheulten Augen zur Arbeit gehen.

* Was möchtest du heute machen?

- Ich weiß nicht. Ich will bloß im Augenblick nicht noch mehr Schmerz fühlen.

* Möchtest du diesmal früher gehen und es nächste Woche noch mal probieren?

- Eigentlich nicht. Ich will hier bleiben. Aber ich will diese Woche einfach keinen Schmerz mehr.

* * *

Ein Mann liegt weinend im Dunkeln. Er erinnert sich an den Tod einer Spielgefährtin, als er sechs war.

- Ich will das nicht fühlen.

* Es tut zu arg weh?

- Ja ... Es war meine Schuld.

* Du hast sie getötet?

- Nein, aber irgendwie hatte ich immer den Eindruck, es sei meine Schuld gewesen.

* Willst du versuchen, in dem Gefühl zu bleiben, dass du sie umgebracht hast?

- Nein!

* Du willst nicht?

- Nein, da ist was Schlimmes dabei.

* Was möchtest du tun?

- Ich denke, ich probier's doch mal.

* Geh ins Zentrum dieses sehr alten Gefühls: Du bist sechs, und du hast etwas getan, und dadurch starb deine kleine Freundin.

- ( der Klient beginnt zu weinen ) Wir haben uns immer ausgezogen und einander angeschaut und uns berührt. Und deshalb ist sie gestorben. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie starb, weil wir diese schlimmen Dinge gemacht haben.

* Das wolltest du wirklich nicht fühlen, nicht wahr?

- Nein, das nicht.

* * *

* Bitte geh ganz in dieses Gefühl.

- Das kann ich nicht.

* Ich denke schon, dass du es kannst. Stell dir vor, du steigst in den Aufzug, um zu deinem Wagen zu kommen.

- Bitte, ich will das nicht machen.

* Wenn du davon frei werden willst, musst du diese Vergewaltigungsattacke wiedererleben.

- Ich erlebe sie doch ständig; ich träume dauernd davon.

* Wenn du sie im Wachzustand hier bei mir in der Therapie wiedererlebst, muss sie nicht länger in deinen Träumen zu dir kommen.

- Ich will's einfach noch nicht machen.

* Gibt es sonst etwas, das du heute tun willst?

- Ja, ich will über meine Mutter sprechen.


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5. Die Abwehr des Nicht-Dürfens und die Loyalitätsproblematik

Hier handelt es sich  um die eine Seite der bösartigen Gegensatzpaare, von denen ich oben gesprochen habe, als es um Gefühle ging, die paarweise auftreten:

* Es gibt da etwas im Zusammenhang mit deiner Mutter, worüber du wirklich nicht sprechen willst.

- Stimmt.

* Fällt es dir schwer, über sie zu sprechen?

- Ja.

* Gibt's da ein Gefühl?

- Ja, ich will einfach nicht über sie sprechen.

* Lass dich bitte in dieses Gefühl sinken, dass du es nicht willst.

- Ich glaube, es ist nicht so, dass ich es nicht will, sondern ich darf es nicht. Ich darf nicht über all die bösen Dinge sprechen, die sie getan hat.

Nach einem langem Schweigen ringt sie Hände:

- Sie hatte einen Liebhaber ... Ich weiß nur, dass ich darüber nicht sprechen sollte.

* Du hast dieses Geheimnis all die Jahre mit dir herumgetragen?

- Ja.

* Geh mal in dieses Gefühl hinein, dass du es niemandem sagen darfst. Werde zu dem kleinen Mädchen, das es niemandem sagen durfte. Und sage jetzt mindestens eine Minute lang nichts.

- Ich...

* Nein, sage nichts; bleib in diesem Gefühl: Du bist ein kleines Mädchen, das ein schreckliches Geheimnis kennt.

- Papa hätte sie umgebracht. Er hatte unkontrollierbare Wutanfälle, und er hatte Gewehre im Keller.

* Dann hast du ihr also mit deinem Schweigen das Leben gerettet.

- Ich glaube schon.

* Wie hat sich das angefühlt?

- Ich hab in ständiger Todesangst gelebt.

 

Der ABWEHR DES NICHT-DÜRFENS liegt die extrem mächtige und subtile LOYALITÄTSPROBLEMATIK zugrunde.

Immer wieder kommt es vor, dass Klienten ihren Prozess dadurch zum Stoppen bringen, dass sie es als nicht loyal empfinden, negativ über wichtige Personen in ihrem Leben zu sprechen, Menschen aus der Vergangenheit und aus der Gegenwart. Ich kann nicht stark genug betonen, dass Schuldzuweisung nicht das Gleiche ist wie eine tiefe innere Verknüpfung herzustellen.

Wenn jemand auf der Matte arbeitet und dabei seinen Vater anschreit, er hasse ihn, dann ist dies das Durchfühlen einer wichtigen, inneren, prägenden Erfahrung. Es ist also nicht so, dass hier der Klient seinen Vater für das, was er ihm angetan hat, beschuldigt. Der Unterschied zwischen Schuldzuweisung und dem Durchfühlen einer Verknüpfung ist subtil, aber absolut zentral. Mit dem Kopf wissen wir, dass unsere Väter das Produkt ihrer Erziehung waren und deshalb auch nicht schuldig sind für das, was sie uns angetan haben. Doch wir müssen dieses intellektuelle Wissen umgehen und die Erlaubnis haben, den Schmerz, den ihr Verhalten in unsere Welt gebracht hat, zu fühlen und zu externalisieren. Das Fühlen der Verknüpfungen aus der Vergangenheit ist entscheidend für unsere Heilung. Beschuldigen ist etwas völlig anderes.

Sobald wir begreifen, dass der Ausdruck von Gefühlen ein therapeutisches Externalisieren und keine Schuldzuweisung ist, werden wir frei, das Gefühl zu fühlen. Die ABWEHR DES NICHT-DÜRFENS fällt weg, und endlich können wir Negatives über die uns nahe stehenden Menschen sagen, weil wir erkennen, dass wir ein Gefühl erkunden.

Es ist jedoch wichtig, uns daran zu erinnern, dass die ABWEHR DES NICHT-DÜRFENS selbst auch ein Gefühl ist, und sich eventuell erst auflöst, nachdem wir viele Male hineingegangen sind und es gefühlt haben. Die Tatsache, dass wir intellektuell den Unterschied zwischen Schuldzuweisung und der Erfahrung eines Gefühls kennen, macht uns nicht plötzlich frei - das gilt ja für jedes andere rein intellektuelle Wissen auch. Allerdings gibt uns dieses Wissen einen Punkt, auf den wir unsere gefühlsbezogenen Techniken fokussieren können.

Tatsache ist: Uns nicht loyal zu fühlen, ist einer der subtilsten Tricks des Gehirns, um uns daran zu hindern, in das tiefere Selbst zu gelangen. Es ist ein Muster, das aus der tiefen Angst vor unserem frühen Schmerz entsteht, und ich werde ausführlicher darauf zurückkommen, wenn wir das MUSTER EXTREME ANGST untersuchen.

* Was hat dein Vater damals jeden Abend im Keller gemacht?

- Ich kanns dir nicht sagen.

* Du kannst es mir nicht sagen?

- Wir durften nie über unsere Eltern sprechen. Sie sagten uns, das sei nicht loyal.

* Kannst du jetzt darüber sprechen?

- Nein. Ich kriegs einfach nicht raus.

* Aber da sitzt eine Menge Gefühle über all das, nicht wahr?

55- Allerdings.

 
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN:

6. Die Abwehr durch andere Versuchungen

( a ) Wortreiches intellektuelles Schwelgen

- Mein ganzes Leben lang hab ich die Leute zum Lachen gebracht. Ich bin ein Urtyp, ein Clown. Verstehst du, ein Urtyp ist...

* Wie fühlt es sich an, die ganze Zeit witzig zu sein?

- Nun ja, ich stehe gern im Mittelpunkt. Auch mein Vater hat schon gern Witze erzählt.

* Hör jetzt damit auf; lege dich hin und stelle dir die Situation vor. Wo bist du?

- In meinem Verein.

* Schließe die Augen, stelle dir vor, du bist dort und baue das Bild auf, bis es so real wie nur möglich ist. Jetzt gehe in das Gefühl, das du hast, während du einen Witz erzählst ... Rede nicht mit mir darüber,  bleibe mindestens eine halbe Minute lang in diesem Gefühl.

- Da ist so ne Art Druck in mir, ich müsse lustig sein.

* Bleib in diesem Druck und lass ihn sich vertiefen. Lass ein einzelnes Wort, einen Satz oder einen Laut hoch kommen, und dann lass es raus. Erzähle mir keine Geschichte und räsoniere nicht.

- Lacht über mich!

* Ist das der Satz, der genau passt?

- Ja.

* Dann wiederhol diesen Satz immer wieder, und achte sorgfältig darauf, in dem Gefühl zu bleiben.

- Lacht über mich ... Lacht über mich ... Lacht über mich ... Lacht über mich ... Ich bin auf einmal ganz traurig.

- Bleib in dem Gefühl des Traurig-Seins und wiederhole den Satz immer weiter.

- Lacht über mich ... ( der Klient beginnt zu weinen ) Liebt mich ... (weint jetzt laut ) Ich will nur, dass mich jemand liebt!

* Möchtest du noch über Urtypen sprechen?

- Nein, ich will nur, dass mich jemand liebt.

* Genau.

Wenn wir die Menschen davon abhalten, intellektuell zu werden und sie dazu bringen, im Gefühl zu bleiben, haben sie eine erheblich größere Chance, sich selbst immer tiefer zu erfahren. Ohne diesen Fokus und diese Intensität gibt es keine echte Therapie.

- Mein Papa konnte einfach nicht anders, weißt du.

* Du meinst, er konnte nicht anders, als dich zu schlagen?

- Ja, genau. ( Pause ) Es ist doch bewiesen: Wenn die Eltern selbst geschlagen wurden, dann geben sie es an ihre Kinder weiter und schlagen diese ebenfalls.

* Wie hat es sich für dich angefühlt, geschlagen zu werden?

- Das ist doch jetzt nicht wichtig. Ist doch alles schon so lange her, und ich hab inzwischen ne Menge Bücher darüber gelesen.

* Wie hat es sich für dich angefühlt?

- Ist doch egal ich hab damit abgeschlossen. Ich hab eine Diplomarbeit über Gewalt in der Familie geschrieben.

* Wie hat es sich für dich angefühlt?

- Bitte verlang jetzt nicht von mir, das zu fühlen.

* Wie hat es sich für dich angefühlt?

- Ich hatte ständig so entsetzliche Angst ... ( weint dabei )

 

MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN:

Die Abwehr durch andere Versuchungen - Fortsetzung

( b ) Wortreiches Intellektuelles Fragen-Stellen und das Wissen-Müssen

Um gefühlsorientierte Tiefentherapie zu machen, müssen wir die normale Alltagsroutine umkehren. Damit meine ich, dass wir darauf vertrauen müssen, dass sich, wenn wir zuerst das Gefühl fühlen, ohne Fragen zu stellen, die Balance zwischen Bewusstem und Unbewusstem neu justiert und uns die gesuchte Antwort gibt. In gewisser Weise müssen wir lernen, von der Klippe ins Gefühl hinein zu springen, doch ohne hinzusehen - und das heißt, ohne Fragen zu stellen.

Viele Menschen müssen anscheinend erst wissen, was sie tun, bevor sie es sich gestatten, etwas zu fühlen. Dieses Fragen-Stellen und das Festhalten am WISSEN-MÜSSEN hält die Balance zwischen Bewusstem und Unbewusstem auf den Intellekt hin ausgerichtet und fern von der Reise nach unten und nach innen. Das Wissen-Müssen entsteht auf Grund von tiefem Schrecken, und es ist das Wesen der bewussten Kontrolle. Das Wissen-Müssen und das Fragen-Stellen, noch bevor wir uns erlauben zu fühlen, ist eine der Hauptmethoden des Gehirns, um die Therapie auf Stufe Eins zu halten.

- Ich hab keine Ahnung, warum ich jedes Mal, wenn ich in die Wohnung meiner Mutter komme, dieses Gefühl habe.

* Bleibe bitte nur in diesem Gefühl, ohne zu fragen warum.

- Aber es macht doch keinen Sinn. Warum ist das immer so?

* Geh bitte nur in das Gefühl, stell dir die Wohnung deiner Mutter vor und sieh dich, wie du sie gerade betrittst. Hör auf, nach Gründen zu fragen, ehe du das Gefühl fühlst. Das hält dich im Kopf gefangen.

- Okay. Ich stehe jetzt in der Tür zur Wohnung meiner Mutter.

* Was fühlst du?

- Ich fühle, dass ich weglaufen will.

* Erlaube bitte dem Gefühl, sich zu vertiefen. Denk nicht und stell keine Fragen.

- Bitte, Mammi, hau mich nicht wieder. Bitte hau mich nicht wieder (sie weint)

* Dann ist deine Frage also beantwortet.

- Oh ja.

Wenn wir unser wortreiches intellektuelles Fragen-Stellen und unser Wissen-Wollen aufgeben, erlaubt uns das Fühlen des Gefühls, unsere Wahrheit erfahren.


MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN:

Die Abwehr durch andere Verlockungen - Fortsetzung

(c) Das Vergnügen der Lüste

- Wenn ich versuche, mich hinzulegen und an mir zu arbeiten, spüre ich den Drang zu masturbieren. Und danach schlafe ich ein.

* Hilft das dir auf deiner therapeutischen Reise?

- Ich denke nicht.

* OK;  wenn du also masturbieren willst, bleibe in dem Gefühl, dass du es tun willst. Lass Laute und Worte heraus und bleib bei dem, was kommt.

***

- Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich zum Eisschrank gehe, um mir was zu holen.

* Lässt du dich diesen Hunger fühlen, ohne die Eisschranktür aufzumachen?

- Ich vergesse es ständig.

* Das glaube ich dir sofort.

***

- Ich will das nicht fühlen. Ich will nur, dass du mich hältst.

* Bleibe lieber mal eine Weile in dem Gefühl, und lass uns das Halten für später aufheben.

***

- Sex mit meiner Frau ist immer so viel schöner, wenn wir uns gestritten haben.

 

MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN

Die Abwehr durch andere Versuchungen - Fortsetzung

(d ) Die Lust und die Sicherheit verletzender Freuden

Wenn wir uns anderen gegenüber negativ verhalten, handelt es sich oft um einen (unbewussten) Versuch, uns von unserem Schmerz zu befreien. Dies trifft besonders dann zu, wenn wir kritisieren.

Seit Urzeiten ist Kritikfähigkeit Teil des Lebens. Die Amöbe muss beurteilen, ob das, was sie sich gerade einverleiben will, Gift oder Nahrung ist. Der Elefant hat das gleiche Problem. Bei Kritik handelt es sich um diese gleiche grundlegende Beurteilung in Bezug auf die Lebensnotwendigkeiten, allerdings auf einer höheren Stufe. In diesem Sinn hilft uns verbale und symbolische Kritik immer noch, das, was auf lange Sicht giftig ist, von dem zu trennen, was nährt und Wachstum fördert.

Leider überlagern die meisten Menschen diese grundlegende und notwendige Funktion mit etwas Zusätzlichem. Wir benutzen Kritik, um gegenüber unserer Angst Abstand und Sicherheit zu gewinnen. Und letztlich lauert unter dieser Angst die Trauer über all die Verletzungen aus unserer Kindheit.

- Dieser Mann ist so ein Arsch. Dauernd macht er Unsinn.

* Du hast nicht viel Achtung für ihn übrig?

- Das ist es nicht. Ich mag ihn einfach nicht.

* Kannst du in diesem Gefühl bleiben?

- Nun ja, eigentlich macht er mir Angst. Er hat ne Art wie mein Vater.

Wie viel leichter ist es doch zu hassen, als den Blick nach innen zu richten und den eigenen Ängsten ins Gesicht zu sehen.


MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN

Die Abwehr durch andere Verlockungen - Fortsetzung

(e) Die Sicherheit falscher Vorstellungen (siehe dazu Kapitel 10)

- Ich glaube echt, alle Männer sind Scheißkerle.

* Alle Männer sind Scheißkerle?

- Echt. Ich hasse sie.

* Lass dich ins Zentrum dieses Hasses sinken und wiederhole den Satz ich hasse sie mindestens fünfmal.

- Ich hasse sie ... Ich hasse sie ... Ich hasse sie ... Ich hasse sie ... Es ist mein Bruder ( beginnt zu weinen ). Ich hasse ihn für all die Gelegenheiten, wo er mir wehgetan hat. Dass er mir seine Finger rein gesteckt hat.

* Alle Männer sind Scheißkerle?

- Mein Bruder war ein Scheißkerl.

* Ja, das war er sicher.

Immer, wenn wir aufhören, unseren Gefühlen nachzugehen, bildet sich wieder eine Plattform falscher Vorstellungen, die man "Persönlichkeit" nennt. Mit ihr manipulieren wir unsere Welt und vermeiden unseren Schmerz.


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7. Das Muster "Verwirrung"

Oft treffen in der Landschaft des Unbewussten eine ganze Reihe verschiedenartiger Gefühle aufeinander, wie verschiedene Flüsse, die aus unterschiedlichen Richtungen zusammen kommen. Die sich mischenden Strömungen wirbeln viel Schlamm auf und bringen das Wasser durcheinander. Wenn wir, nach dem lebenslangen Verleugnen unserer Gefühle, uns dafür entscheiden, endlich die Landschaft der Gefühle zu betreten, dann fühlen wir nicht selten viele verschiedene Dinge gleichzeitig, und das wiederum kann zu einem Gefühl der Verwirrung führen. Diese Verwirrung kann wie jedes andere Gefühl behandelt werden. Wir steigen ins Wasser, wir bleiben in seinem Zentrum, und langsam, aber sicher, machen sich, nach einigen [Therapie-]Stunden, die einzelnen Strömungen und Schichten für uns kenntlich.

- Immer, wenn ich an meine Familie denke, werde ich völlig verwirt.

* Bleibe ganz in dieser Verwirrung, lass deine Gedanken hinter dir und fühle den Reichtum und die Komplexität. Lass das mindestens eine halbe Minute lang auf dich einwirken. Und lass jeden Satz, der aufsteigen will, hoch kommen und lass ihn raus. Sei nicht logisch und erzähl mir keine Geschichten.

- Ich liebe dich, Bobby.

* Bobby?

- Mein älterer Bruder, der Einzige im Haus, dem ich etwas zu bedeuten schien. Wenn alles andere schrecklich war, wusste ich doch immer, dass er für mich da war.

* Aber dieses Gefühl ist frei von Verwirrung?

- Genau, das ist frei davon.


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8. Die Schranke der Dummheit

Das Oberflächenselbst hat sich der Logik verschrieben. Wenn es das Tiefenselbst betrachtet, dann schaut es auf unlogische Vorgänge. Das tiefere Selbst funktioniert auf der Grundlage von Assoziationen, sodass eine Sache zu einer anderen führen kann auf eine Art, die auf den ersten Blick dumm scheint. Doch wir haben in diesem Buch schon gesehen, dass sich die nicht-logischen Vorgänge im tieferen Selbst, wenn sie erst einmal entwirrt sind, am Ende immer als sehr sinnvoll erweisen.

Wenn das logische Oberflächenselbst auf das nicht-logische Tiefenselbst blickt, dann hat es eine eingebaute Entschuldigung dafür, sich nicht weiter mit ihm zu befassen. Das Oberflächenselbst sagt: "Sinnlos, da näher hin zu kucken, es ist zu blöd. Immer wieder hören wir in der Therapie den Kommentar, etwas sei dumm und deswegen nicht der Mühe wert, sich damit zu befassen.

- Ich will nicht darüber sprechen. Ich komme mir blöd vor, wenn ich mich über Mutters Geschenk beschwere.

* Du fühlst dich blöd?

- Na ja, es ist doch albern. Sie schenkt mir eine Pelzjacke und ich fühle mich blöd, weil ich dafür nicht dankbar bin. Ich bin einfach nicht glücklich damit, und es ist doch so ein teures Geschenk.

* Erlaube dir, in das Gefühl zu gehen, das du hast, wenn du an das Geschenk denkst.

- ( Nach einiger Zeit ) Ich hasse es.

* Du hasst es.

- Immer versucht sie, mich zu einer kleineren Ausgabe ihrer selbst zu machen.

* Dann ist also dein Hass auf die Jacke gar nicht so blöd.

- Nein, ich glaub nicht.

* * *

 - Letzte Nacht hatte ich einen Traum, aber er kommt mir sehr blöd vor.

* Worum gings in dem Traum?

- Nun, ich war in der Wüste, und da hing dieser Eiszapfen an einem Baum.

* Konzentriere dich auf die Szene. Lass dich Gefühle dazu haben und schau, was kommt.

- Der Eiszapfen ist kalt inmitten all der Hitze.

* Ergibt das irgendeinen Sinn für dich?

- Nun, mein Mann überschüttet mich mit Liebe, und trotzdem fühle ich mich aus irgendeinem Grund ihm gegenüber kalt.

* Wenn du den Traum also als Metapher betrachtest, ist er dann blöd?

* Nein, ich glaube nicht. Tatsächlich ist das mein größtes Problem.

 

MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN

9. Das Vermeiden eines negativen Selbstbildes

Nichts kann unsere Reise ins ZENTRALE PARADOX DER THERAPIE so wirkungsvoll durchkreuzen wie dieses Muster. Wenn wir dieser Form der Abwehr begegnen, kann unser Abscheu so extrem werden, dass es das Ende unserer Wendung nach innen bedeutet. Der Gebrauch dieses Musters scheint jeder Vernunft so völlig zu widersprechen, dass es die Selbsterkundung der Menschheit von Anbeginn an verhindert hat.

Und doch gilt auch hier das ZENTRALE PARADOX DER THERAPIE. Um einen bösartigen inneren Prozess aufzulösen, musst du erfahren und anerkennen, dass er ein Teil von dir ist, ganz gleich, wie bösartig oder negativ er auch scheinen mag. Das allein kann dich aus der Gewalt dieser sehr schwierigen Gefühle befreien. Hier, mehr als irgendwo sonst, unterscheiden wir uns von Therapien ab, welche die Kraft des positiven Denkens nutzen oder tiefe, negative Grundeinstellungen mit neuen Bewertungen versehen (reframing), um sie akzeptabel zu machen. Sobald wir diese seichten Selbsthilfetricks benutzen, sind wir verloren. Das Verdrängte bleibt verdrängt. Es gibt dann keine wirkliche Hoffnung auf Integration, und wir stecken für immer in den Strukturen des falschen Selbst fest. Dann bleiben wir abgespalten von unserem großartigen Erbe, der Fähigkeit, vermittels GANZHEITLICHER EINSICHT zu integrieren und mit den dunkelsten Teilen unserer inneren Landschaft ins Reine zu kommen.

Verleugnung ist der Grundstein der psychischen Abwehrmechanismen, das Fundament, auf dem das Kartenhaus des falschen oder Pseudo-Erwachsenen-Selbst ruht. Verleugnung steht in der Psyche an der Kreuzung zwischen  Richtig und Falsch. Sie hält die scheinbar negative oder dunkle Seite von uns in unserem Unbewussten so tief gefroren, dass die meisten Menschen sterben, ohne je auch nur einen kleinen Teil ihres tieferen Selbst kennen gelernt zu haben.

Nirgendwo funktioniert die Verleugnung wirkungsvoller als beim Vermeiden eines NEGATIVEN SELBSTBILDES.

Du wirst dich erinnern, dass ich weiter oben in diesem Buch gesagt habe, das Kind begrabe seine Trauer und seine Wut und entwickle an ihrer Stelle den äußeren und zutiefst manipulativen Teil des Selbst, den wir Persönlichkeit nennen. Das heißt, das Kind lernt, was es sagen darf und was nicht, was es fühlen darf und was nicht, und sogar, was es denken darf und was nicht, um als menschliches Wesen akzeptiert zu werden. Das tiefere Selbst mit seinem Schmerz geht unter und wird vergessen, während das Oberflächen-Selbst seine immer reicher ausgeschmückte Matrix von Rationalisierungen entwickelt, um das zu bekommen, was es braucht, und um innerhalb der größeren Menschheitsfamilie sicher aufgenommen zu werden.

Zum Schluss haben wir eine Persönlichkeit, die nach und nach sehr komplex wird. Sie erhebt sich hoch in den Himmel, doch sie steht auf einem Fundament von Unwahrheit, ich bin dies und nicht jenes, oder ich bin jenes und nicht dies“ – alles nicht wahr. Wir werden sehen, dass die Menschen aus Fleisch und Blut sind. Es gibt keinen Verbrennungsmotor ohne Feuer und Hitze, egal, wie sanft sich die Räder auch drehen.

Das führt dazu, dass unser Selbstwertgefühl nicht auf einem organischen und daher wirklich ethischen Kern beruht, sondern auf dem, was Scott Peck als die Lüge bezeichnet hat.

Doch wie schaffen wir es, uns gut und sicher zu fühlen, wo wir doch hoch oben in einem Turm leben, der auf Sand gebaut ist?

Wir müssen einen immer mächtigeren Verleugnungsprozess entwickeln und uns dafür dann ständig von unserer Welt Bestätigung holen. Wir treten der Gesellschaft der Lüge bei.

Immer dann, wenn ich meine Rationalisierungen vorbringe, lächelst du und bestätigst mich, und ich tue das Gleiche für dich. Damit geht es uns allen gut, solange wir uns nicht hinlegen und tief fühlen.

Gefühle sind die Röntgenstrahlen der Seele, und auch wenn sie anfänglich verwirrend erscheinen mögen letztlich lügen sie nicht, wenn wir nur tief genug schürfen.

Das menschliche Gehirn (das Ganzheitliche Gehirn)  kann in seinen Tiefen nach und nach so ziemlich jede Wahrheit integrieren. Zuerst allerdings muss es diese Wahrheit finden. Das Verleugnen tiefer und scheinbar hässlicher Gefühle hindert das Ganzheitliche Gehirn daran, die volle Kraft seines Integrations- und Heilungspotenzials einzubringen.

Die Reise ins tiefste Selbst ist eine Reise in eine Welt, die zunächst wie ein unannehmbares Selbst scheint. Auf dieser Reise müssen wir uns bemühen, unsere gesellschaftlich geprägten Urteile über das, was gut und böse ist, hintan zu stellen. So wie Sporttaucher eine Zeit lang ihre Oberflächenatmung aussetzen, um in die Tiefe zu tauchen.

Leider haben wir die Matrix unserer sozialen Urteile so gründlich verinnerlicht, dass wir in Panik geraten können, wenn wir beginnen, uns davon zu lösen. Wir befürchten, nun würde jeder uns zurückweisen, und am Ende müssten wir ganz allein in einer Agonie negativer Gefühle sterben.

Wie schaffen wir es, das scheinbar Hässliche in uns anzuschauen und zu fühlen, mit dem wir am Schluss ja verschmelzen müssen, und das wir uns letztlich doch wieder anzueignen müssen? Wie können wir, um unsere innere Erfahrung zu vertiefen, immer wieder Sätze wiederholen, die scheinbar allem, was wir je gelernt haben, Hohn sprechen? Wie können wir Dinge laut aussprechen, die scheinbar weitab von jedem vertretbaren Standard von Selbsthilfe sind?

Die Antwort heißt: Wir müssen darauf vertrauen, dass das, was wir fühlen, uns zum nächsten Glied in der Kette der Gefühle führen wird. Wir müssen darauf vertrauen, dass das ZENTRALE PARADOX DER THERAPIE, wenn auch auf verschlungenen Pfaden, uns am Ende zu einer Wahrheit führt, die gehört und integriert werden muss.

Wir fangen mit kleinen Dingen an. Wir beginnen, Erleichterung zu spüren, während wir unsere Wahrheiten erfahren, und so wird unser Vertrauen in uns selbst und in diese therapeutische Methode allmählich immer stärker. Der Turm kommt langsam wieder ins Gleichgewicht, und der Boden an seiner Basis wird zunehmend fester und sicherer.

Die folgenden Beispielen machen den extremen Abscheu sichtbar, von dem ich oben gesprochen habe. Doch beim Nachvollziehen der Entfaltung dieser Prozesse lernt man etwas Wichtiges verstehen: Wenn wir uns das, was sich völlig negativ in uns anfühlt, wieder aneignen, öffnet sich dadurch die Tür zu den letzten Verstecken in der Tiefe unserer Seele. Hier also, mehr als irgendwo sonst, wird dir das ZENTRALE PARADOX DER THERAPIE zunächst wie ein krasses Fehler im therapeutischen Bemühen vorkommen. Später wird es sich dann aber als die strahlendste und reinste aller Methoden der Selbst-Erkundung erweisen.

- Ich war neulich so wütend auf meine Kinder.

* So wütend?

- Ja, echt scheißwütend.

* Lege dich hin, geh in die Wut, und wenn du voll davon bist, dann lass einen einfachen Satz kommen.

- Ich hasse euch ... Ich kann das nicht sagen ...

* Was  kannst du nicht sagen?

- Ich kann einfach nicht weitersprechen ...

* Vertrau deinem Gehirn, es wird mit dem Gefühl schon zurecht kommen.

- ( Klientin weint ) Ich kann nicht weiter.

* Lass uns mit dem Ich kann nicht genauso umgehen wie mit jedem anderen Gefühl. Lass dich auf das Fühlen dieses Widerstands ein, auf dieses Ich kann nicht, und wenn du Kontakt dazu hast, dann sage die Worte Ich kann nicht sehr, sehr achtsam fünf bis zehn Mal.

- Ich kann nicht ... Ich kann nicht ... Ich kann nicht ... Ich kann nicht ... Ich kann nicht ... Ich kann nicht ... Ich kann nicht ... ICH HASSE EUCH, IHR SCHEISSKINDER ... Mir wird jetzt klar, dass ich meine Kinder manchmal einfach umbringen will. ( Klientin schaut mich völlig entgeistert an )

* Knie dich auf die Matte, nimm den Plastikschläger in beide Hände, hole bis über deinen Kopf aus und schlag zu, so fest du kannst und schrei dabei: Ich bring euch um!( Lange Pause ... Klientin haut zögerlich auf die Matte und sagt mit halbherziger Stimme: )

- Ich bring euch um.

* Ich will, dass du richtig fest auf die Matte haust und schreist: Ich bring euch um.

- ICH BRING EUCH UM ... ICH BRING EUCH UM ... ICH BRING EUCH UM ...

( Klientin schlägt jetzt mit aller Gewalt )

Achte jetzt auf das, was passiert, wenn die Klientin ihren Widerstand gegen etwas in sich überwindet, das ihr "normales Selbst" mit tiefstem Abscheu erfüllt. Achte auf das, was passiert, wenn sie darauf vertraut, dass das, woran sie arbeitet, ein Gefühl ist, und dass das nicht notwendigerweise die letzte Wahrheit ist, (auch wenn es sich so anfühlen mag). Wenn sie in diesem Prozess bleibt, so wird sich nicht nur dieses Gefühl auflösen, sondern es wird sie auch nach und nach zur nächsten, tieferen Einsicht hin führen.

- Ich bring euch um ... Ich bring euch um ... Ich bring euch um ... ( haut mit aller Kraft auf die Matte ). Mein Gott, genau so hat ja meine Mutter mich oft angeschrieen!

* Schrei  weiter.

- Ich bring euch um ... Ich bring euch um ... ( Klientin schlägt nun in rasender Wut ) Ich bring euch um ... Bring mich nicht um, Mammi ( schluchzend ) ... Bitte, bring mich nicht um, Mammi.

Erst als die Klientin die volle Kraft ihrer Wut auf ihre Kinder zulässt, steigert sich ihr Schmerz zu einer Intensität, die ihre Abwehr gegen die Erinnerung an die Tatsache zerschlägt, dass ihre Mutter ihr Leben regelmäßig bedrohte.

Wenn diese Sequenz richtig durchlaufen wird, dann und nur dann wird der Rest des Eisbergs an die Oberfläche gehoben, sodass das Ganze sichtbar wird. Erst jetzt, wo alles offen gelegt ist, kann das Ganzheitliche Gehirn mit seiner Arbeit beginnen. Was zunächst wie etwas unmöglich und abträglich Negatives aussah, entpuppt sich jetzt als etwas, das psychologisch einfach und leicht zu verzeihen ist. Tatsächlich und zutiefst gibt es buchstäblich nichts zu verzeihen. Die Klientin war einfach in eine durchaus logische Kette von Gefühlsumständen geraten, die zu mörderischer Wut auf ihre eigene Nachkommenschaft führte.

Wenn wir an das Negative herankommen, dann entdecken wir auf der Gefühlsebene, dass der Schmerz keine Vergebung von außen braucht. Wenn wir dem GLAUBEN AN DAS NEGATIVE IN UNS tief genug nachgehen, dann öffnet es sich, genau wie jedes andere Gefühl auch, immer auf eine Landschaft ganzheitlichen Verstehens, die letztlich zeigt, dass es gar nichts zu vergeben gibt. Alles, was wir je gedacht und getan haben, erweist sich als durchaus sinnvoll, und das Ganzheitliche Gehirn integriert sich letztlich selbst.

Dies ist kein Freibrief, um Unrecht zu tun. Es ist ein sich vertiefendes organisches Wissen, dass wir unter den Umständen, in denen wir lebten, gar nicht anders konnten, als genau das zu tun, was wir getan haben, und genau so zu sein, wie wir waren. Wenn wir das erkannt und gefühlt haben, sind wir von Schuld rein gewaschen, und wir können nach vorn schauen, im Rahmen eines tieferen und wirklich ethischen Lebens.

Durch die Tiefentherapie der Stufe Vier löst sich unsere Abhängigkeit von Menschen auf, die davon leben, dass sie Akzeptanz und Vergebung "verkaufen". Wenn man das recht bedenkt,  ist die Bedeutung  für unsere Zivilisation enorm.

* Wie fühlst du jetzt gegenüber deinen Kindern?

- Ich liebe sie, und manchmal hab ich eine solche Wut auf sie, dass ich sie umbringen könnte. Irgendwie ist das in Ordnung. Es macht mir jetzt keine Angst mehr, das zu sagen.

***

Ein Mann gerät in Wut, während er in der ambulanten Abteilung eines Krankenhauses sitzt und auf  das Resultat einer wichtigen Untersuchung wartet. Erst schreit er eine Krankenschwester an, und dann steht er auf und läuft davon.

- Keine Ahnung, was da in mich gefahren ist.

* Versetze dich zurück in die Krankenhausumgebung. Lass das Gefühl hoch kommen und bleibe eine halbe Minute drin.

-Ich weiß nicht, warum ich einen Tumor haben soll. Ich bin kein schlechter Mensch.

(Hier haben wir es wiederum mit einem Menschen zu tun, der versucht, ein Gefühl abzuwehren, das seiner seelischen Gesundheit abträglich scheint.)

Mal sehen, was geschieht, wenn wir am ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE fest halten:

* Ich möchte, dass du fünf- oder sechsmal sagst: Ich bin böse.

- Ich will das nicht sagen. Ich bin nicht böse.

* Vertraue darauf, dass dein Gehirn mit Dingen fertig wird, die total  negativ scheinen.

- Ich bin böse.

* Sag es noch mal.

- Ich bin böse.

* Fünfmal, bitte.

- Das ist doch idiotisch.

* Sage bitte fünfmal, und zwar mit Gefühl.

- Ich bin böse ... Ich bin böse ... Ich bin böse ... Ich bin böse ... Ich bin böse ... An allem gab Mutter mir die Schuld.

* Sag es nochmal fünfmal.

- Ich bin böse ... Ich bin böse ... Ich bin böse ... Sie gab mir die Schuld, als unser Vater uns im Stich ließ. Mein Gott, ich fühls, ich bin böse. Ich fühle, es war meine Schuld ... Ich hab mich so hilflos gefühlt, als er fort ging. So, als könnte ich überhaupt nichts dagegen tun,  und als sei alles meine Schuld.

* Dann lass uns jetzt zurück ins Krankenhaus gehen und uns  nochmal diese ganze Wut ansehen. Du sagtest zu mir: Ich verstehe nicht, warum ich diesen Tumor habe. Ich bin nicht böse.

- Ich weiß nicht, warum ich diesen Tumor haben soll. Ich bin nicht böse. Mein Gott, ich bin an diesem Tumor schuld. Ich kanns nicht glauben. Genau das gleiche Gefühl wie damals, als mein Vater ging. Es ist meine Schuld, dass ich krank bin. Was hab ich für einen Haufen Scheiße zu schleppen!

* Genau.

Therapeuten, welche Menschen dazu ermutigen, die Dinge positiv zu sehen, indem sie die "Kraft des positiven Denkens" einsetzen, hindern ihre Klienten daran, ins Zentrum ihrer wichtigsten Probleme zu gehen. Wenn wir nicht am ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE fest halten und unsere Klienten nicht ermutigen, alles Negative über sich selbst zu fühlen, das an die Oberfläche kommt, dann helfen wir ihnen lediglich, ein immer höheres Kartenhaus zu bauen. Wir sagen ihnen, dass sie sich nicht auf die Fähigkeiten ihres Ganzheitlichen Gehirns verlassen sollen. So bleiben sie in einer immer komplexeren Verleugnung stecken. Was wir ihnen wirklich sagen, ist, dass wir als Therapeuten es weder ihnen noch uns selbst zutrauen, die tiefste und notwendigste Arbeit zu machen. Wenn jemand, der für sie eine Autorität im Bereich der seelischen Gesundheit ist, die große gesellschaftliche Lüge weiter spinnt, dann kann das nur zu namenloser und tiefster Verzweiflung führen. Für einen Menschen, der dem Therapeuten als der letzten Instanz in Sachen Wahrheit der Seele vertraut, ist das ein schwer wiegender Verrat. Wenn das in einer Therapie geschieht, kann es letztlich zum Suizid führen, weil der Klient jetzt weiß, dass sogar der Therapeut sich dem Negativen, das so tief ein Teil von uns allen ist, nicht stellen kann.

Wenn selbst in der Therapie der Mut fehlt, die dunkelsten Orte im Leben zu betreten, dann kann man sich  tatsächlich nirgendwo mehr hinwenden.

Wenn ich höre, dass Leute, die in Therapie waren, Selbstmord begangen haben, dann frage ich mich oft, ob sie das nicht aus genau diesem Grund getan haben. Wenn der Therapeut vor dem, was völlig unerträglich scheint, zurückschreckt, statt sich dorthin vorzukämpfen, dann kann es Klienten so vorkommen, als bliebe ihnen nichts anderes übrig, als sich das Leben zu nehmen. Sie haben die Botschaft erhalten, dass es eine Grenze für das gibt, was wir verkraften und integrieren können.

Gefühlsorientierte Tiefentherapie, die auf dem ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE beruht, vermittelt nie eine endgültig pessimistische Sicht des Lebens. Diese Therapie bleibt immer offen und von daher zutiefst optimistisch.

Das ZENTRALE PARADOX DER THERAPIE lässt uns auch an diesem erschreckenden Ort nicht im Stich, es sei denn, unsere Ego-Struktur (unsere persönliche Stärke) wurde so sehr von Kindheitstraumen erschüttert, dass unser Gehirn nicht mehr über genug Kraft verfügt, um uns hier beizustehen.

Lies bitte die Kapitel über Vorsichtsmaßnahmen noch mal [ Kapitel 9 und 11 ].

Doch trotz allem können wir, wenn wir uns langsam vorwärts bewegen, immer noch Wunder vollbringen bezüglich dessen, was wir annehmen können.

Dies ist vielleicht einer der Momente in der Therapie, wo es sehr hilfreich sein kann, wenn ein Psychiater beurteilt, was für dich möglich ist und was nicht. Bedenke dabei aber immer, dass auch ein Psychiater kein Synonym für letzte Weisheit ist. Auch Psychiater besitzen ihr Glaubenssystem, das ihnen Sicherheit geben soll, wie jeder andere Mensch auch. Kehre deiner eigenen, tiefsten Intuition nie ganz den Rücken, auch wenn sie, Gott sei's geklagt, manchmal falsch sein kann. Deshalb auch die Warnhinweise in diesem Buch.

In den frühen Stadien der Therapie, und auch noch eine ganze Zeit danach, brauchen wir möglicherweise das Mitgefühl unseres Therapeuten als eines Weggefährten, der uns versichert, dass wir okay sind. Wie einer meiner Therapeuten zu mir zu sagen pflegte: "Du bist auch nur ein Mensch, Paul, und kein Ungeheuer"

Ein paar letzte Beispiele, wie man mit dem Negativen arbeiten kann, sollen zeigen, dass "das Negative" eine Pforte zur Wahrheit und kein Tor zur Hölle ist.

- Sie hat mich verlassen. Und das Verrückte daran ist, ich bin nicht mal wütend.

* Wiederhole dieses Ich bin nicht wütendmehrmals.

- Ich bin nicht wütend ... Ich bin nicht wütend ... Ich bin nicht wütend ... Ich bin nicht wütend ... Himmel noch mal! Was für ne verdammte Scheiße. Ich hasse sie dafür.

* Lege dich hin, konzentriere dich auf den Hass und wiederhole den Satz Ich hasse dich, so, als würdest du sie direkt ansprechen.

- Ich hasse dich ... Ich hasse dich ... Ich hasse dich ... Ich hasse dich ... Ich hasse dich ... Ich könnte dich umbringen ... Ich mag das nicht. Es macht mir Angst.

* Bleibe dabei.

- Ich könnte dich umbringen ... Ich könnte dich umbringen ...

* Hier ist der Plastikschläger, nimm ihn in beide Hände,  hole bis über den Kopf aus und hau auf die Matte, während du deinen Satz wiederholst.

- Ich hab Angst, das zu tun.

* Hole deine Wut aus deinem Zentrum über deine Rückenmuskeln, deine Schultern und deine Arme herauf auf die Matte. Wenn du mit deiner Wut hier auf der Matte arbeitest und sie auch hier lässt, dann brauchst du dich draußen nicht mit ihr rumzuschlagen.

(der Klient schlägt und brüllt bis zur Erschöpfung )

* Wie stehts jetzt mit deiner Wut?

- Sie fühlt sich viel kleiner an, und ich merke, dass ich mein ganzes Leben lang wütend war.

* Dann geht es nicht nur darum, dass deine Freundin dich verlassen hat?

- Nein, das löst nur etwas viel Tieferes aus.

* Richtig.

- Aber vermissen tu ich sie schon, weißt du.

* Du hast sie sehr geliebt.

- Ja ... stimmt.

 

Jedes Mal, wenn du feststellst, dass du etwas verleugnest, vor allem dann, wenn das Gefühl der Verleugnung besonders stark scheint, kehre die Verleugnung um. Zieh deinen Taucheranzug an, tauche unter deine Ich bin okay-Haltung und verschmelze mit dem Eingeständnis der negativsten Aussage, die du machen kannst. Bring sie immer wieder zum Ausdruck, bis dein Prozess der GANZHEITLICHEN EINSICHT die richtige Balance zwischen Positivem und Negativem in dir findet. In neunundneunzig von hundert Fällen wirst du feststellen, dass die Verleugnung ein tief sitzendes negatives Selbstbild abwehrt und verdeckt. Und diesen wiederum verdeckt die tiefere Verknüpfung, die du fühlen musst, um dich von dieser negativen Überzeugung zu befreien.

Der folgende Therapie-Ausschnitt illustriert das Problem der Verleugnung und die Wiederkehr des Verdrängten:

"Als ich sechs war, ging die Ehe meiner Eltern in die Brüche, und ich glaubte, es sei meine Schuld. Ich fühlte mich so schlecht, dass ich sterben wollte. Man sagte mir, ich solle nicht albern sein; es sei nicht meine Schuld. Schließlich verdrängte ich meine Überzeugung, ich sei für die Trennung meiner Eltern verantwortlich, zusammen mit dem Gefühl, sterben zu wollen.

Mit den Jahren wurde ich zu einem Menschen, der sich immer gleich verantwortlich fühlt, sobald irgendetwas schief läuft. Starke Schuldgefühle und Suizidgedanken quälten mich. Ich bemühte mich, dagegen anzukämpfen, indem ich mich voll und ganz guten Taten widmete. Trotzdem konnte ich mich nicht von meinen Todeswünschen frei machen. Ich sagte Kindern in der Sonntagsschule, sie müssten lernen, sich zu vergeben, wenn sie einen Fehler gemacht hätten. Alle sagten mir, was für ein wertvoller Mensch ich doch sei. Doch immer noch wollte ich sterben. Jetzt endlich habe ich beschlossen, therapeutisch daran zu arbeiten.

* Nach allem, was du gesagt hast, scheinst du einen ausgeprägten Selbsthass zu haben.

- So hab ich das bisher noch nicht betrachtet.

* Und doch willst du dich ständig umbringen.

- Tja, ich denke, das stimmt.

* Leg dich hin und sag fünf- bis zehnmal den Satz: Ich hasse mich

- Das kann ich nicht.

* Warum?

- Es ist gegen meine Überzeugung, mir selber negative Dinge zu sagen. Ich dachte, ich sei hier, um mich lieben zu lernen. Ich sehe nicht ein, wie ich lernen kann, mich zu lieben, wenn ich mir immer wieder den Satz wiederhole, dass ich mich hasse.

* Vertraue darauf,  dass dein Gefühl, wenn du ihm nur folgst, dich von diesem Hass befreien wird. Leg dich hin und lass dich fühlen, wie es  tief innen aussieht, wenn du dich umbringen willst. Bleib in diesem Gefühl und sag den Satz: Ich hasse mich fünf- bis zehnmal, sei ganz achtsam dabei.

- Ich hasse mich ... ich hasse mich ...

* Lauter!

- Ich hasse mich ...

* Lauter!

- ( schreit) ICH HASSE MICH ... ES IST ALLES MEINE SCHULD!

* Woran bist du schuld?

- Mein Papa hat mich verlassen ... Er ist für immer weg gegangen, und es ist alles meine Schuld.

* Du bist schuld daran, dass deine Eltern sich getrennt haben?

- Ja.

* Sag den Satz: Ich bin schuld mindestens fünf- bis zehnmal und bleibe in dem Gefühl.

- Ich bin schuld ... Ich bin schuld ... Verlass mich nicht, Papi ... Geh nicht weg!
(
der Klient schluchzt) Bitte ... Bitte ... Bitte verlass mich nicht, Papi ...( lange Stille )

* Nun, ist es wirklich deine Schuld?

- Nein. Aber ich denke, ich hab es immer geglaubt.

* Wie ist es im Augenblick mit deinen Selbstmordabsichten?

- Ich will mich nicht umbringen.

* Wenn du also wirklich loslässt und bis auf den Grund deiner schrecklichen und negativen Überzeugung gehst, dass du dich selbst hasst, und dass du allein an der Trennung deiner Eltern schuld bist, dann entdeckst du plötzlich, dass du nicht mehr sterben willst.

- Ja, ich glaube, das stimmt.

 Jedes Mal, wenn du sterben willst, verlasse das Brückengeländer; steig in deinen Wagen, lehne dich zurück und beginne deine Gefühlssequenz, bis du diesen Entspannungsgrad erreicht hast. Du wirst das vielleicht hundertmal während zwei oder drei Jahren tun müssen, bevor du deine Suizidgefühle ganz überwunden hast.

 

Wenn du dem Hässlichen in dir begegnest, lass dir von niemandem einreden, dass du es unterdrücken musst. Nähere dich ihm mit dem Wissen, dass du weder dich noch andere zu verletzen brauchst, wenn du nur deine Gefühlsarbeit auf der Matte machst.

Nebenbei gesagt: Ich glaube, dass die meisten Erwachsenen-Suizide in Wirklichkeit Kindheits-Suizide sind, die aufgeschoben und viel, viel später ausagiert werden.

Es gibt viele Momente im Leben, wo ein wenig bewusstes positives Denken uns durch bedrohliche oder schwierige Situationen bringen kann. Einfache Sätze wie: "Ich weiß, ich komme da durch" und ähnliche  ermutigende Worte können ein hilfreiches Rettungsboot sein.

Aber versuche niemals, positives Denken als Grundpfeiler in deine Persönlichkeitsstruktur einzubauen. Das wird letztlich nie wirklich funktionieren, und selbst wenn es so scheint, musst du mit der inneren Verhärtung, die so entsteht, einen wirklich sehr hohen Preis für die Verdrängung zahlen.

Bei der Arbeit auf der Matte müssen wir alle Gefühle ohne Ausnahme ausdrücken, und zwar kongruent, indem wir die gleiche Energie, die innen vorhanden ist, auch außen zeigen. Tun wir das nicht, oder lassen wir uns durch falsche positive Vorstellungen davon abbringen, dann morden wir die Prozesse des Selbst.

Wir heilen nie.

Während des Übergangs von einem repressiven, linearen und urteilenden Bewusstsein zum holistischen, nicht-urteilendem Bewusstsein brauchen wir normalerweise Unterstützung, Erlaubnis und ein Gefühl der Sicherheit. Nichts ist furchterregender, als einem tieferen Selbst zu begegnen, dem der Freistempel der sozialen Billigung fehlt. Deswegen solltest du unbedingt Vorsichtsmaßnahme drei in Kapitel 11 lesen.

Je tiefer wir in die Psyche eindringen, und je ganzheitlicher unsere Einsichten sind, umso weniger sind wir bereit zu urteilen. Wenn wir die enorme, unbewusste Komplexität der Dinge erfahren, die unser Verhalten bestimmen, ebenso wie die äußeren Kräfte, die ihm Form geben, neigen wir immer weniger dazu, Menschen und ihr Verhalten in gut und schlecht einzuteilen. Wir entwickeln eine innere Haltung der Vergebung, uns selbst und anderen gegenüber und das ist die einzig echte Basis für ein mitfühlendes Leben.

In der Welt ist es für das Überleben unserer Spezies notwendig, darüber zu urteilen, inwiefern menschliches Verhalten für die Gesellschaft als Ganzes konstruktiv oder destruktiv ist. Auf  gesellschaftlicher Ebene müssen wir selbstverständlich immer noch die Regeln befolgen, soll nicht Chaos ausbrechen.

In den Tiefen der Psyche jedoch sehen wir, dass alles durch Kräfte geformt wurde, über die wir keine Kontrolle haben. Das resultierende Verhalten kommt aus Bereichen, die so tief unterhalb von allem liegen, was wir sehen können, dass die Vorstellung einer persönlichen Verantwortung, im Sinne eines Bewusstseins, warum wir bestimmte Dinge tun oder nicht, zunehmend gegenstandslos wird.

HOLISTISCHE EINSICHT schafft vollkommene Klarheit, und schon Bruchteile dieser Klarheit lösen Schuldgefühle in Nichts auf. Wir erkennen dann, dass wir, mit den extrem eingeschränkten Informationen, die unserem Bewusstsein zugänglich waren, immer unser Bestes getan haben.

Ein Mann vertraut jemandem bei einem gewichtigen Geschäftsabschluss. Man warnt ihn, aber ein tiefes Gefühl in ihm sagt ihm, er müsse eben so handeln. Er verliert sein ganzes Geld.

Nie wird er wissen, dass die Frisur dieses Mannes bei ihm tiefe Assoziationen ausgelöst hat, die sich auf seinen Vater beziehen. So macht er sich Vorwürfe wegen seines schlechten Urteilsvermögens und leidet an Schuldgefühlen. Dadurch, dass ihm in der regressiven Tiefentherapie frühe Verbindungen zu seinem Vater bewusst werden, kann er erkennen, dass er erstens keine Kontrolle über die Kräfte hinter seiner geschäftlichen Entscheidung haben konnte, und zweitens, dass diese Kräfte ihm völlig unbekannt waren. Seine Schuldgefühle lösen sich auf. Zugleich spürt er immer weniger das Bedürfnis, die scheinbar merkwürdigen Entscheidungen anderer Menschen zu kritisieren.

 

MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN

10. Das Muster des Gestaltwechsels und der Symptomverschiebung

Eines der verwirrendsten Muster, die das Unbewusste benutzt, um unsere Reise nach innen zu verhindern, ist das endlose Hin-und-Her-Wechseln zwischen Phänomenen, zu denen wir eine Verbindung aufzubauen suchen. Im Unbewussten kann alles seine Form verändern und zu etwas anderem werden. Gefühle verhüllen sich immer wieder, verstecken sich unter vielfarbigen Deckmänteln und hinter Gebäuden mit vielen Fassaden. Es ist, als wäre das Gefühl ein schelmischer Waldgeist, der mal in einen Baum, mal in einen Fels und dann wieder in einen Fluss fahren kann. Was jetzt für dieses steht, kann plötzlich für etwas ganz anderes stehen, und, wie ich eben sagte, alles kann zu allem werden. Lass dich dadurch nicht verunsichern. Ganz gleich, wie bizarr und wechselhaft die inneren Vorgänge auch werden, wir besitzen magische Kräfte, die den ihren gleichwertig sind, um sie zu verfolgen und sie aus ihrem Versteck hervorzuholen.

- Die ganze Woche hatte ich Bauchweh.

* Lege dich hin, lass dich in deinen Schmerz treiben und von ihm durchtränken wie Pickles von der Lake. Denke nicht, sprich nicht, saug ihn einfach auf.

- Mein Chef hat mich letzten Montag vor allen Kollegen angeschrieen.

* Wie fühlte das sich an?

- Ich war höllisch wütend, konnte aber nichts sagen.

* Und du hattest die ganze Woche Bauchweh?

- Genau.

* Bleibe in dem körperlichen Schmerz.

- Ich würde ihn jetzt gern anschreien.

* Bleibe in deinem Körperschmerz und schrei alles hinaus, was aus diesem schmerzenden Bauch herauf kommt.

- Du Scheißkerl ... Du Scheißkerl ... Du Scheißkerl ... Du Scheißkerl ...

* Wie gehts deinem Bauch?

- Etwas besser, er tut aber immer noch weh.

* Dann zentriere dich wieder auf ihn und lass noch mehr raus.

- Arschloch ... Arschloch ... Arschloch ... ARSCHLOCH!

* Wie gehts deinem Bauch jetzt?

- Der Schmerz ist weg.

 

Wut und Demütigung wurden zu Bauchschmerzen. Sie haben ihre äußere Form geändert und sich an einem anderen Platz versteckt.

 

* * *

- Ich hoffe, er krepiert in diesem Sportwagen. Er macht mir solche Angst mit all den verdammten Risiken, die er eingeht. ( Pause ) Ich liebe ihn wirklich, weißt du.

Liebe wird zu Wut. Wut wird zu Angst. Und Angst verwandelt sich zurück in Liebe. Ganz gleich, wo wir beginnen, im Unbewussten verändern sich die Vorgänge ständig und dauernd und immer wieder. Fast nie sind wir am Ende dort, wo wir angefangen haben. Weil wir nie vorher das Ende einer Sequenz absehen können, werden Menschen wie die, welche wir schon erwähnt haben, die ständig wissen müssen, warum sie ein bestimmtes Gefühl haben, nie in der Lage sein, von einer unbewussten Verbindung zur nächsten zu gelangen. Zuerst kommen die Gefühle, und erst später, vorausgesetzt wir vertrauen ihnen, locken sie die Gründe für ihr Vorhandensein in unser Bewusstsein.

Symptomwandel ist eine der gängigen Formen des Gestaltwechsels inmitten des ständigen Übergangs von einer Sache zur anderen, während wir einem Prozess im tiefen Wald auf der Spur zu bleiben suchen.

- Ich spüre einen Schmerz im Magen.

* Bleib in dem Schmerz.

- Irgendwie scheint es, ist er jetzt in meiner Brust.

* Dann geh hinauf in deine Brust und bleib in diesem Gefühl.

- Ich weiß, es klingt verrückt, aber jetzt sitzt er mir im Hals.

* Dann bleibe da bei ihm.

- Es ist mit, als müsste ich würgen. Ich kann kaum sprechen.

* Bleib in diesem Würgegefühl und lass dich Würgelaute machen.

- Ich kriege einfach nichts raus.

* Dein Unbewusstes tut alles, um dich daran zu hindern,  deinen Schmerz zu äußern.

- Ja, genau. Ich glaube, du hast Recht.

Stell dir vor, du versuchst, in ein Symptom hinein zu kommen, aber es unterläuft deinen Versuch dadurch, dass es sich im Körper von einer Stelle zur anderen verlagert; wenn du dich jetzt geduldig auf jede neue Äußerung des Symptoms fokussierst, dann werden diese Gestaltwechsel und Symptomverschiebungen, welche die Einsicht binden und verhindern, schließlich zusammenbrechen. Manchmal, wie in unserem Fall, muss ein Klient sogar in einen Papierkorb würgen, bevor das Symptom aufgibt und es dem Schmerz und der Einsicht erlaubt, hervorzutreten.

 

MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN

11. Das Muster "Panische Angst"

Von allen Schranken zwischen uns und dem, was wir über uns wissen müssen, ist panische Angst am schwierigsten zu überwinden. Nur sehr wenige Menschen können sich ihr stellen, wenn sie intensiver wird. Auch bei den Therapeuten gibt es nur sehr wenige, die sie aushalten, bei ihren Klienten und bei sich selbst.

Doch die Wahrheit ist verblüffend einfach: Wenn wir in unserer panischen Angst bleiben und sie fühlen, sie aufsaugen und zulassen, dass sie uns überflutet, löst sich dieses Monster aus der Tiefe auf, wie jedes andere Gefühl, mit dem wir es noch zu tun haben werden.

Panische Angst ist der Vorhang vor der Hauptvorstellung. Wird dieser mysteriöse und schmerzliche Prozess ganz gefühlt, dann verschwindet er, und gewöhnlich wird er ersetzt durch ein Wiedererleben aus der Kindheit und eine wichtige Einsicht. Das sagt sich so leicht, doch es zu tun fällt den meisten von uns so unendlich schwer.

Gewöhnlich brauchen Menschen Monate oder Jahre des Vertrauen zu sich selbst und zu ihrem Therapeuten, um diese flammende Schwelle zu überwinden. Manche schaffen es nach ein paar Sitzungen, andere bringen es nie fertig, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Die Bereitschaft dazu ist eine tiefe und ganz persönliche Angelegenheit. Niemand sollte sich auf panische Angst einlassen, ohne die Vorsichtsmaßnahmen in Kapitel 11 dieses Buches sehr sorgfältig gelesen zu haben. Das Muster PANISCHE ANGST kann, wie jede andere Abwehr, eine notwendige Schutzmaßnahme gegen eine wirkliche Desintegration darstellen. Doch die meisten meiner Klienten lernen, mit etwas Unterstützung, damit umzugehen. Wenn wir schließlich an die Einsicht hinter der Angst herankommen, entdecken wir oft, dass der große defensive Wirbel, den sie ausgelöst, hat, nicht gerechtfertigt erscheint. Wenn wir wirklich hinter die Angst zu dem darunter liegenden Gefühl und der HOLISTISCHEN EINSICHT gelangen, erfahren wir eine tiefe Erleichterung in Körper und Seele.

Allgemein gilt: Je größer das Trauma, um so größer die Angst. Und: Je schwächer die Ego-Struktur (die Stärke der Persönlichkeit), umso größer die Angst. Aber oft gibt es auch keine eindeutige Beziehung zwischen diesen Faktoren.

Manchmal kommt eine Person voller Angst in eine Sitzung, oder die Angst kommt beim Sprechen hoch.

- Irgend etwas am Mann meiner Freundin macht mir Angst.

* Lege dich hin und tauche ins Zentrum dieses Gefühls ein.

- Das macht mir noch mehr Angst.

* Bleibe dabei.

- Ich hab Herzklopfen.

* Lass es klopfen.

- Ich schwitze plötzlich am ganzen Körper.

* Lass dich schwitzen. Lass dein Herz klopfen und bleibe in dieser Angst ( sehr lange Pause ).

- Er erinnert mich an meinen Onkel.

* Wie alt bist du?

- Elf Jahre.

* Was passiert?

- Er bringt mir bei, wie man küsst. Er sagt, es wird Zeit, dass ich das lerne.

* Was macht deine Angst?

- Ist verschwunden.

Wenn wir in der Angst bleiben, dann öffnet sie sich auf eine Ebene des Verstehens hin, und sie verschwindet.

Nichts kommt in meiner Praxis mit größerer Regelmäßigkeit vor als die Auflösung der Angst - solange ein Klient nur immer wieder zu ihr zurückkehrt und in ihr bleibt, bis sie aufbricht und ihre Einsicht preisgibt.

Chronische Angstzustände waren seit jeher ein Problem in der Psychotherapie, und im Allgemeinen kam die Psychotherapie nicht gut damit zurecht. Doch  im Rahmen einer gefühlsorientierten, regressiven Therapie ist chronische Angst unser Verbündeter. Sie ist ein sehr langer Korridor mit vielen Türen, die sich auf frühen Kindheitsschmerz öffnen und auf all die Probleme, die mit ihm im Erwachsenenleben in Verbindung stehen.. Chronische Angst ist eines der besten Werkzeuge, das wir besitzen; sie ist der Zugang zum Tiefen-Selbst, und am Ende weicht sie immer vor unseren Methoden zurück und das bringt Befreiung und Einsicht.

- Letzte Woche hatte ich wirklich eine Menge Angst.

- Lege dich hin und lass die Angst zu.

( Klientin beginnt, unkontrolliert zu zittern ) Was passiert jetzt mit mir?

* Du zitterst. Das ist eine Art, wie der Körper Gefühle ausdrückt.

- Ich mag das nicht.

* Lass das Zittern einfach zu und schau, ob es Worte gibt, die hoch kommen und heraus wollen.

- ( Die Klientin zittert noch stärker ) Nein ... Nein ... Nein... ( schluchzt jetzt beginnt dann zu schreien ) NEIN ... NEIN ... NEIN ... Mein Vater nimmt meine kleinen Schwestern mit in den Keller, um sich an sie ran zu machen. Ich kann sie schreien hören ... Ich kann nichts dagegen tun ... Oh mein Gott, ich kann sie nicht beschützen ... Er hat ein Gewehr ... Er sagt, er wird uns alle umbringen, wenn ich irgendjemandem etwas davon erzähle ...

* Was ist mit der Angst, die du die ganze Woche mit dir herumgetragen hast?

- Sie ist weg,  aber mir ist jetzt schlecht.

* Willst du dich auf dieses Gefühl einlassen?

- Nein, mir reichts für heute.

* Gut.

Die meisten Menschen in meiner Praxis erleben kein so starkes Trauma, aber ungewöhnlich ist es auch nicht. Und wiederum sehen wir: Wenn wir nur den Mut aufbringen, in unserer Angst zu bleiben, löst sie sich auf.

Ehe es zu einer tiefen Einsicht kommt, sind mittlere bis schwere Angstgefühle so häufig wie Wind vor einem Sturm. So lernen wir, dass Angstgefühle und sogar panische Angst, wenn wir sie nur ganz zulassen, uns nicht zerstören. (Wenn dein Therapeut in dem Moment, wo deine Panik hoch kommt, zu reden anfängt und die Panik so daran hindert, sich ganz zu zeigen, hast du vermutlich den falschen Therapeuten.) Oft brauchen wir einige Monate Übung darin, in der Angst zu bleiben, bevor wir damit klar kommen. Manche allerdings bemühen sich jahrelang darum, sie endlich zulassen zu können. Sobald wir merken, dass die Angst uns nicht zerstört, sondern im Gegenteil zum Wiederentdecken von außerordentlich bedeutsamem frühem Material führt, wird dieses ursprünglich beängstigende psychische Muster (das MUSTER PANISCHE ANGST) einfach zu einem weiteren Gefühl, zu einem weiteren Zugangstor, und  wir brauchen es nicht länger um jeden Preis zu vermeiden.

Ich muss hier noch mal unterstreichen, dass es verschiedene psychische Zustände gibt, wie etwa psychotische Borderline-Zustände, bei denen es zu einer psychotischen Desintegration kommen kann, wenn der Klient in der panischen Angst bleibt. Lies bitte noch einmal Vorsichtsmaßnahme Zwei (Kapitel 11).

Doch ich muss betonen, dass dies für die große Mehrzahl der Psychotherapie-Klienten kein Problem darstellt. Natürlich ist es wichtig, dass dein Therapeut dir als Begleiter mit seiner Unterstützung zur Verfügung steht, wenn du erstmals diese Abwehrstrukturen durchbrichst.

Nun wollen wir unser Augenmerk auf die Zauberkräfte richten, um die Muster und Tricks der Abwehrkräfte des Gehirns aufzulösen - und damit den tiefen, unbeschädigten Selbstheilungsprozess der Psyche ans Tageslicht zu bringen.

 

KAPITEL 21

Gegenmaßnahmen, um die Abwehrtricks des Gehirns aufzulösen

EINLEITUNG

Schmerz sickert durch. Er sendet uns Informationen über seine Existenz und seine Position. Schmerz ist wie ein Kind, das sich im Schrank versteckt hat und dann ruft: "Du kannst mich nicht finden".

Schmerz sendet uns Informationen über seine Existenz und seine Position, indem er die Symptome bildet, die wir uns bereits angeschaut haben.

1. Spezifische Körperempfindungen

2. Diffuse innere Körperzustände

3. Aktuelle spezifische Gefühle

4. Gedanken, Vorstellungen und Traumsequenzen

5- Ungewöhnliches Verhalten

6- Psychosomatische Erkrankungen.

 

Diese sechs verschiedenen Schmerzbotschaften sind Botschaften eines Gehirns, welches in Not ist. Sie alle enthalten schmerzhafte körperliche und emotionale Empfindungen, oder sind eng mit ihnen verwandt.

 

SCHMERZHAFTE KÖRPERLICHE UND EMOTIONALE EMPFINDUNGEN
sind für uns wichtig, da sie
das Energiefeld darstellen, das:

1.   den Kompass unseres Bewusstseins ausrichtet

2.   die Kraft besitzt, die Abwehr zu durchbrechen

3.         die Prozesse enthält, die wir fühlen müssen, um die Fehlerfreien Funktionen auszulösen die im Zusammenhang mit der Holistischen Einsicht stehen und sie einbeziehen

 

 

Wenn wir dem Schmerz so folgen, wie wir es hier beschreiben, dann wird er uns unser Leben zurück geben. Seine Gegenwart ist für unsere Arbeit absolut notwendig. Aus den oben erwähnten Gründen müssen wir ihn immer lokalisieren, besonders dann, wenn er sich in den unauffälligeren Symptomen versteckt.

Wir können das menschliche Gehirn so trainieren, dass es immer sensibler und zu einer Art Kompass wird, der innerhalb des magnetischen Feldes unserer Gefühle operiert. So können wir die Gegenwart von körperlichem wie von emotionalem Unwohlsein spüren, auch wenn diese Gefühle äußerst schwach oder verworren sind. Wir können lernen, die Feinheiten ihrer Textur zu erkennen. Wir können ihre Fährten verfolgen (sie aufspüren) und mit ihnen verschmelzen.

Auf diese Weise können wir durch den Schleier unserer Psyche hindurch bis zu ihrem tiefsten Kern vordringen, bis in ihre entfernte Vergangenheit und ihre komplexe Gegenwart. Hier, am Ende unserer Reise, werden wir zu neuen Verständnis-Dimensionen für uns selbst und für andere gelangen.

All die defensiven Muster der Psyche, welche wir uns angeschaut haben, können uns nicht von unserem Ziel abbringen, genau so wenig, wie Wind und Regen eine Kompassnadel beeinflussen können.

Es ist immer das gleiche Prinzip: Wenn wir in dem Gefühl bleiben und unsere Laute, Worte und Körperbewegungen kongruent wiederholen, finden wir uns im Zentrum der schlimmsten Erfahrungen, die uns geformt haben, wieder. Sind wir einmal in diesem Zentrum, bleiben wir offen und lassen die Winde der schmerzhaften Erfahrungen durch uns hindurch wehen, so zerfallen die schmerzvollen frühen oder gegenwärtigen Erlebnisse und werden in den Hauptstrom unseres psychischen Lebens integriert. Dadurch verlieren sie ihre Fähigkeit, uns Schaden zuzufügen.

 

KAPITEL 22

Spezifische Gegenmuster, um die Abwehrtricks des Gehirns aufzulösen

DIE AKTIVIERUNG DER UNBESCHÄDIGTEN FUNKTIONEN DER PSYCHE

1. Das Muster "Dranbleiben"

2. Der Magische Zeitreise-Teppich

3. Zeitkiesel

4. Holistische Einsicht

GEGENMUSTER, UM DIE ABWEHRTRICKS DES GEHIRNS ZU UNTERLAUFEN:

1. Das Muster "Dranbleiben"

Ich erinnere an etwas, das wir im ersten Teil dieses Buches gesehen haben: Wenn wir so lange in einem Gefühl bleiben, bis es intensiv genug geworden ist, und genug Zeit vergangen ist, bewirkt das eine gründliche Neuorientierung der Balance zwischen Bewusstem und Unbewusstem. Wenn wir uns aktiv von unserem intellektuellen, zerebral gesteuerten Funktionieren (dem normalen Alltagsdenken) abwenden, uns unserer Sinneserfahrung überlassen und Gefühlen und Körperempfindungen gegenüber aufmerksam bleiben, dann richtet sich das Gehirn neu aus, auf tieferes, unterdrücktes Material hin. Das neue Gespür, auf das wir uns damit einlassen, wirkt wie ein Magnet und zieht die Vergangenheit kraftvoll und erfahrbar in unser Bewusstsein. Dieses Phänomen des DRANBLEIBENS ist der zentrale und entscheidende Mechanismus bei jeder gefühlsorientierten Regressionstherapie. Es ist unser ständiger Begleiter, der die Erfahrungen der Tiefentherapie untermauert und hervorruft. Durch das DRANBLEIBEN und nur durch das DRANBLEIBEN bleiben wir kontinuierlich im ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE, und das erlaubt uns das reale Wiedererleben der Verletzung, und das ist ja unser einziger Weg in die Freiheit.

Der Therapeut übt einen kontinuierlichen, sanften Druck gegen das normale Alltagsgespräch des Klienten aus. Diese Arbeit ist ständig im Gange und hört so lange nicht auf, bis der Klient so weit ist, dass er tief, fest und bewusst erkennt, dass das normale Alltagsgespräch eine Abwehr ist. Diese Abwehr muss entweder benutzt werden, um die Gefühle aufzuspüren, mit denen wir therapeutisch arbeiten wollen, oder sie muss  ganz zerstört werden. (Lies bitte noch einmal den Abschnitt in Kapitel 4 über die KONGRUENZ UNARTIKULIERTER UND ARTIKULIERTER LAUTE.)

Der Bruder meines Mannes platzt ständig einfach so in unsere Wohnung. Ich hab meinen Mann gebeten, ihn darauf anzusprechen, aber er tuts einfach nicht. Ich weiß, sie sind sehr vertraut miteinander, aber ...

* Du bist jetzt im Eingangsbereich deines Hauses. Stell dir vor, du siehst, wie der Bruder deines Mannes gerade  zur Tür hereinkommt. Fixiere diesen Moment in deinem Geist. Halte die Szene fest und lass dich das fühlen, was du fühlst, wenn es passiert.

Nun, ich weiß, dass er jedes Recht hat, hier zu sein und ...

* Erzähl mir keine Geschichten. Rechtfertige das Ganze nicht. Versetze dich in die Diele und fühle das Gefühl.

Ich hab überhaupt kein Gefühl ...

* Stell dir nochmal die Diele vor, stell dir vor, wie der Bruder herein kommt. Geh in die Szene rein. Schau ihn an und warte, bis ein Gefühl sich zeigt

Ich vermute, ich bin ärgerlich.

* Vermute nicht. Vermuten hat einen Fuß in deinem Denken und den anderen in der Verleugnung deiner Gefühle. Versetze dich wieder in die Diele. Schau den Bruder an und warte, bis du weißt, was du fühlst.

Ich bin wütend.

* Lass die Wut hoch kommen und bleibe drin. Spüre hin, wo sie in deinem Körper sitzt. Fühle dich in ihre Intensität und Textur hinein.

Hau ab aus meiner Wohnung!

* Wiederhole diesen Satz fünf- bis zehnmal.

Hau ab aus meiner Wohnung ... Hau ab aus meiner Wohnung ... HAU AB AUS MEINER WOHNUNG ... ( und so weiter ). Es ist mein Bruder, er platzte ständig in mein Zimmer, um zu gaffen, wenn ich mich anzog.

* Nimm dir etwas Zeit, um dich daran zu erinnern, wie sich das angefühlt hat, und dann sage deinem Bruder den ersten einfachen Satz, der dir einfällt.

( die Klientin wird sehr wütend ) Verpiss dich aus meinem Zimmer...

* Sag diesen Satz immer wieder, bis du damit fertig bist.

Die Klientin schreit den Satz mehrmals und wird dabei immer lauter. Schließlich legt sie sich wieder hin, sie ist völlig erschöpft.

* Jetzt versetze dich zurück in die gegenwärtige Situation mit dem Bruder deines Mannes in der Diele. Was fühlst du?

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, bin ich gar nicht mehr so wütend.

* Was würdest du ihm gerne sagen?

Bitte, Michael, läute, bevor du bei uns reinkommst, es könnte ja sein, dass ich nicht ganz angezogen bin.

* Wie fühlt es sich an, wenn du ihm das  sagst?

Iss ganz okay für mich

* Die Wut ist weg?

Ja.

Dieses Beispiel zeigt deutlich: Wenn der Therapeut es dem Klienten nicht gestattet zu intellektualisieren, sondern vielmehr einen steten, sanften Druck in Richtung Fühlen und Spüren der Erfahrung ausübt, dann folgt Aufmerksamkeit des Klienten dem Kongruenzgefühl und bewegt sich schnell vom gegenwärtigen zum Kindheitsgefühl; so werden wir augenblicklich bereit für das Erfahren einer weiteren Etappe unserer Vergangenheit.

Wir wollen jetzt den Gehirnmechanismus noch genauer untersuchen, der diese plötzliche Zeitreise entlang den Kongruenzlinien zwischen einem Gegenwartsgefühl und einem entsprechenden Vergangenheitsgefühl ermöglicht.

 

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2. Der magische Zeitreise-Teppich

 (Zeitliche Kontext-Verschiebung): Eine Fehlerfreie Funktion des Gehirns

Nachdem wir unsere Spurensuche, unser DRANBLEIBEN und unsere Kongruenztechniken angewandt haben, kommt in jeder Tiefentherapie für uns irgendwann der Moment der großen Belohnung: Plötzlich und unerwartet werden wir in der Zeit zurückgeworfen, um eine frühe, prägende Erfahrung zu verstehen und / oder wiederzuerleben. Diese Zeitreise geschieht blitzschnell. Das Wiedererleben ist oft außerordentlich real, und das Verstehen, das so entsteht, ist umfassend. Unser Bewusstsein verwandelt sich tiefgreifend in einem einzigen, intensiven, lebenssteigernden Moment. Immer folgt diesem Erleben eine tiefe emotionale und körperliche Entspannung.

Diesen plötzlichen Wechsel von Zeit und Kontext zwischen zwei Ereignissen, die das gleiche Gefühl oder die gleiche Körperempfindung teilen, können wir als Zeitliche Kontext-Verschiebung oder, einfacher, als MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICH bezeichnen. Dieser magische Vorgang, der ganz plötzlich eintritt, funktioniert immer dann am besten, wenn er von selbst kommt. Das geht dann so: Wir finden ein Gefühl oder ein Unbehagen, begeben uns hinein, erlauben ihm, sich zu intensivieren, sich anzureichern und zu einem Höhepunkt zu kommen, und dann finden wir uns unter Umständen tief in der Vergangenheit wieder, und das, was vorher ein kleines, träges Stückchen Information war, wird plötzlich in unserem Erleben lebendig.

Immer dann, wenn Klienten in einem Gefühl feststecken, und dieses Gefühl sie nirgends hinbringt, ist für den Therapeuten die Versuchung groß, die Kontrolle über den MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICH erlangen zu wollen. Gelegentlich kann dies in der Therapie dadurch hilfreich sein, dass es das Ziel des therapeutischen Prozesses verstärkt. Versucht der Therapeut jedoch aktiv, eine ZEITLICHE KONTEXT-VERSCHIEBUNG zu arrangieren, dann muss der Klient dafür immer einen hohen Preis bezahlen. In diesem  Fall wird die ausgegrabene Erinnerung oder Verknüpfung immer verwässert. So wird die Intensität, und damit das Wachstumspotenzial, aus der Erfahrung herausgewaschen, und der Verlust, der dabei entsteht, entspricht genau dem Ausmaß an Anleitung und Verknüpfung, die der Therapeut herstellt.

- Ich hatte heute solch eine Wut auf meine Mutter, als sie den Kuchen, den ich gebacken hatte, kritisierte.

* Erinnere dich an deine frühe Beziehung zu deiner Mutter und schau, ob dein heutiges Wutgefühl den Gefühlen ähnelt, die du früher für sie hattest.

- Ja, ich erinnere mich: Immer dann, wenn sie mich kritisiert hat, hab ich mich so gefühlt.

 

In diesem Beispiel hat der Therapeut aktiv eine nicht aus der Erfahrung des Klienten stammende ZEITLICHE KONTEXT-VERSCHIEBUNG geschaffen, mit dem Resultat, dass das Potenzial an Kraft und Entwicklung dieser Erfahrung vertan wurde. Wir versuchen es noch mal:

 

- Ich hatte heute solch eine Wut auf meine Mutter, als sie den Kuchen, den ich gebacken hatte, kritisierte.

* Bleib bitte bei diesem Gefühl der Wut.

- Ich hasse sie.

* Wiederhole diesen Satz bitte ein paar Mal und bleibe in dem Gefühl.

- Ich hasse sie. ICH HASSE SIE. ... Genau so hat sie mich während meiner ganzen Kindheit behandelt.

* Bleib in dem Gefühl. Was willst du ihr aus dieser Kindheitserfahrung heraus sagen?

- Lass mich in Ruhe. (weint dabei) Lass mich doch einfach in Ruhe.

 

Hier hält der Therapeut den Druck aufrecht, widersteht aber der Versuchung, selbst eine Verknüpfung herzustellen. Immer dann, wenn wir Therapeuten versuchen, eine bewusste Kontrolle über die Prozesse unserer Klienten zu erlangen, verwässern wir einen Teil der Energie ihrer Reise. Therapeuten, die viel reden und erklären, nehmen dir immer deine Reise und deine Entwicklung weg.

Auch Therapeuten, die dich zu sehr unter Druck setzen ("pushen"), sei es emotional (etwa indem sie dich veranlassen, Gefühle früher zu fühlen, als du dazu bereit bist Anm. d. Ü.) oder körperlich (etwa durch die Aufforderung, mit dem Schläger zu arbeiten oder regelrecht mit ihnen zu kämpfen etc. Anm. d. Ü.), können dir deine Reise aus der Hand nehmen. Sie können dadurch neue und tiefere Abwehrformen schaffen. Vielleicht machst du als Klient danach zwar eine Menge Lärm und physischen Krawall, doch so  kommst du kaum zu einer wirklich tiefen Erfahrung von Einsicht und Befreiung. Wenn ein Therapeut dich in der Tiefentherapie zu etwas auffordert, bevor du offen dafür bist, schaltet das tiefe Gehirn automatisch auf Abwehr, während sich das falsche äußere Selbst brav den Anordnungen des Therapeuten fügt.

Erzwungene Manöver in der Therapie können dazu führen, dass du Wasser statt Suppe bekommst.

Gute Therapieerfahrungen haben die Qualität eines Blitzschlags. Unsere Aufgabe ist es, unsere Klienten in das Zentrum des emotionalen Sturms zu stellen. Aufgabe der Psyche des Klienten ist es, selbst den Blitzschlag einer vollen Holistischen Einsicht zu zünden.

- Ich war so traurig, als ich mich letzte Woche von meiner Freundin verabschiedete, die nach Europa fuhr. Ich konnte gar nicht glauben, wie tief das mich traf. Man hätte meinen können, sie läge im Sterben, oder sowas. Dabei geht sie nur für den Sommer fort.

* Deine Trauer kam dir zu groß vor?

- Ich hab sogar geschluchzt, als ich ihr ade sagte.

* Du bist jetzt am Flughafen, finde wenn möglich das Gefühl, gehe hinein und bleibe drin. Welcher einfache Satz, welches Wort, welcher Laut kommt dir dabei hoch und will raus?

- Ich will nicht, dass du gehst.

* Sag diesen Satz bitte, pass dabei gut auf, dass er deinem Gefühl genau entspricht, und wiederhole ihn mehrmals.

- Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst (die Stimme des Klienten wird hoch, wie die eines kleinen Kindes )

* Bleibe dabei.

- Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst ...  (der Klient fängt an zu schluchzen) ... Bitte geh nicht fort, Mama, bitte, geh nicht weg ... (lange Pause) Mama ist krank. Geht weg ins Samitorium'.

* Ins Samitorium'?

- Mama hat TD'. Ich werde sie ganz lange nicht sehen.

Um nochmals eine der zentralsten Anweisungen dieses Buches zu wiederholen: Es ist für die Aktivierung des MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICHS und das daraus entstehende HOLISTISCHE WIEDERERLEBEN äußerst wichtig, mit genug Intensität und ausreichend lange in einem Gefühl zu bleiben. Das ist der Grund dafür, dass eine gefühlsorientierte Therapie mächtiger ist als alle anderen Therapien.

Hier noch etwas äußerst Wichtiges: Bei extremer Traumatisierung kommt es vor, dass der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH den Klienten in einem vergangenen Erlebnis absetzt und ihn dann in die Gegenwart zurückbringt, ohne dass er sich daran erinnert, je eine solche Zeitreise gemacht zu haben. Ich selbst habe jahrelang regressionstherapeutisch gearbeitet, bevor mir das klar wurde.

Es ist eminent wichtig, dass Therapeuten dafür sorgen, dass die Klienten mit intakter Erinnerung in die Gegenwart zurückkehren. (Lies bitte dazu nochmals Kapitel 5, Beispiel 5, Körpernotwendigkeit und Kongruenz).

 

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3. Zeitkiesel

(oder Umgekehrte Zeitliche Kontext-Verschiebung)

Der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH besitzt eine sehr wichtige Umkehrfunktion. Nicht nur transportiert er uns in der Zeit zurück, er kann auch die Vergangenheit in die Gegenwart holen. Diese extrem hilfreichen Geschenke aus der Vergangenheit sind aber zugleich eine der gängigsten Maskierungen der Psyche. Wenn der ZEITREISE-TEPPICH uns ein Geschenk aus der Vergangenheit bringt, verändert er dessen Kontext und verschleiert so zugleich sein eigenes Wirken.

Es handelt sich dabei um Sätze und Gefühle aus der Kindheit, die, wie schon gesagt, verstreut auf dem Strand der Gespräche Erwachsener liegen. Diese ZEITKIESEL bringen, unter dem Deckmantel aktueller Vorgänge, viel Energie in den Therapieraum. Wenn wir sie im Gegenwartskontext lesen und nicht merken, dass sie aus der Vergangenheit stammen, können sie uns völlig fehlleiten. In dem Moment, wo wir erkennen, dass es sich dabei um ein vergangenes Gefühl handelt, das an einen aktuellen Prozess geknüpft ist, haben wir einen wichtigen Schlüssel zum Unbewussten in der Hand. ZEITKIESEL (Umgekehrte Zeitliche Kontext-Verschiebung) kommen im aktuellen Therapieprozess in Form von Schlüsselwendungen vor, die einen großen Gefühlsgehalt und zugleich eine kindliche Einfachheit besitzen.

Eine Frau erzählt beispielsweise von einem Sommerurlaub aus ihrer Vergangenheit. Bei dem Versuch, dieses Ereignis aus der Vergangenheit wiederzuerleben, stößt sie auf großen Widerstand. Das Gespräch darüber hört sich etwa so an:

- Immer, wenn ich an unser Familien-Ferienhaus denke, krieg ich so ein komisches Gefühl.

* Spürst du im Moment etwas davon?

- Ja, doch.

* Dann lass dieses Gefühl zu und lass es intensiver werden.

Es kommt zu einer Pause, während die Klientin dem Gefühl erlaubt, sich zu entwickeln und anzureichern. Sie macht sich bereit, mit dem Gefühl zu verschmelzen. Dann sagt sie:

- Ich kann es nicht.

Da haben wir unseren ZEITKIESEL. Spüren wir das nicht, dann denken sowohl Therapeut wie Klientin, dass sie mit diesem Satz einfach meint, diese therapeutische Übung sei zu schwer für sie.

Falsch. Genau hier findet die KONTEXT-VERSCHIEBUNG statt. Dieser Satz fühlt sich so an, als sei er ein Widerstand in der Gegenwart. Hier nun, was passiert, wenn wir ihn einfach als Gefühl behandeln und ihn nicht in einen gegenwärtigen Kontext zwängen. Wir haben es dann mit einer ZEITKONTEXT-VERSCHIEBUNG zu tun, die uns zurück in die Kindheit der Klientin führt. Kehren wir zu dem vorhergehenden Dialog zurück:

* Stell dir euer Ferienhaus bildlich vor und lass das Gefühl hoch kommen.

(eine Pause, in der die Klientin das Gefühl sich entwickeln lässt und sich bereit macht, damit zu verschmelzen. )

- Ich kann es nicht.

* Lass dich bitte den Satz "ich kann es nicht"  fühlen,  und wiederhole ihn fünf- bis zehnmal.

- Warum soll ich weiter machen? Ich hab dir doch eben gesagt, dass ich diese Übung nicht machen kann.

* Wiederhole den Satz zehnmal.

- Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. ( Ihr Körper ändert die Position ) Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. (Ihre Augen weiten sich) Ich kann es nicht. ( Ihr Atmen wird schneller ) Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. (Ihre Stimme wird zu der eines Kindes ... sie macht eine Pause und schaut mich an)

* Sieh mich nicht an. Bleibe bei dem Satz und bei dem, was sonst noch hoch kommt.

- Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. Oh Gott, zwing micht nicht dazu! (sie beginnt, heftig zu weinen).

Der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH hat sie in ihr Ferienhaus zurück versetzt, als sie acht war, und, wie du erraten hast, erlebt sie eine Inzest-Szene.

Der Satz "Ich kann es nicht" war ein ZEITKIESEL, den das Unbewusste in die Gegenwart geschleust hat, um uns zu alarmieren und uns zugleich in die Irre zu führen.

Und wieder sehen wir hier, wie das Gehirn auf sein altes Dilemma reagiert: Es will nämlich den Ursprung seines Schmerzes zugleich kennen und nicht kennen. Wie gewöhnlich bemüht es sich auch hier nach Kräften, uns einen Hinweis zu geben, während es gleichzeitig genau diesen Hinweis verschleiert.

Der Widerstand der Klientin dagegen, dieses unangenehme Ereignis mit ihrem Onkel wiederzuerleben, war kongruent genug zu ihrem Widerstand gegen die therapeutische Arbeit, sodass der Satz " ich kann es nicht" sich vom ursprünglichen Erlebnis löste und durch die Zeit in die Gegenwart schlüpfte. Auf diese Weise wechselte der Satz den Kontext und tauchte in der Gegenwart als ZEITKIESEL auf. Diese UMGEKEHRTE ZEITLICHE KONTEXT-VERSCHIEBUNG, bei der eine vergangene Bedeutung in einen gegenwärtigen Kontext zu passen scheint, ist einer der subtilsten Abwehrmechanismen der Psyche in ihrem verzweifelten Bestreben, das Wiedererleben eines Ereignisses aus der Vergangenheit zu verhindern.

Beobachte nun, was in der Therapie passiert, falls man einen ZEITKIESEL nicht erkennt, wenn er in der Gegenwart auftaucht.

- Ich kann es nicht.. (Zeitkiesel)

* Entspanne dich einfach ein wenig. (Missverständnis bezüglich des Kontextes)

- Ich kann's einfach nicht. (Zeitkiesel)

* Fällt es dir schwer, mir zu vertrauen? (Erneutes Missverständnis des Therapeuten)

- Ich kann einfach niemandem vertrauen. (Kontaminierung der therapeutischen Arbeit, da die Klientin auf den falsch verstandenen Kontext reagiert)

* Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, hier bist du sicher. ( Der Therapeuten hält am falsch verstandenen Kontext fest)

- Ich weiß, dass ich hier sicher bin. (Die Klientin lügt auf Grund des verdeckten inzestuösen Treuebruchs)

* Nun, vielleicht sollten wir heute mit etwas anderem weiterarbeiten. (Klientin und Therapeut gehen hier total in die Irre und haben sich vom Hinweis auf eine frühere Bedeutung im ursprünglichen Satz "ich kann es nicht" völlig entfernt.)

Unbewusste Abwehrmechanismen haben die Schlacht gewonnen: Der frühe Schmerz bleibt weiter verborgen.

Wichtig ist hier, festzuhalten, dass der Satz "ich kann es nicht" eine gefühlsbezogene Aussage ist. Wenn wir einen Widerstand als Gefühl behandeln, beginnen wir zu verstehen, ohne es allerdings im Voraus zu wissen, dass viele derartige Sätze Ausdrucksformen früher Gefühle sind, die in Zeit und Kontext verschoben wurden, und die ich ZEITKIESEL nenne. Vertraue dem Gefühl innerhalb des Widerstands, gehe mit ihm und lass es nicht verschwinden dann wirst du sehr oft entdecken, dass dein Unbewusstes dir einen ZEITKIESEL geschickt hat, der dann die Kontext-Verschiebung des MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICHS aktivieren und dich in die tiefe Vergangenheit führen kann.

Ein Mann spricht über seinen Chef:

- Er hasst mich (Zeitkiesel)

* Kann es sein, dass du vielleicht etwas auf ihn projizierst? (der Therapeut schwelgt in seiner intellektuellen Analyse) 

- Nein, er hasst mich (Zeitkiesel)

* Hast du dafür irgendwelche konkreten Anhaltspunkte? (falsch verstandener zeitlicher Kontext; der Therapeut geht in die Irre).

Es geht hier nicht nur darum, dass der Therapeut den Satz "er hasst mich" missversteht und nicht merkt, dass es ein ZEITKIESEL ist; hinzu kommt noch, dass er seinen Klienten ständig weg von seinen Gefühlen und in eine intellektuelle Sackgasse der Stufe Eins treibt.

Der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH kann aktiviert werden, wenn wir das Gefühl finden, das in der Aussage "er hasst mich" verborgen liegt. Dieses Gefühl, das eine Kongruenz von Vergangenheit und Gegenwart darstellt, verknüpft so den vergangenen und den jetzigen Satz, und es kommt zu einer plötzlichen ZEITLICHEN KONTEXT-VERSCHIEBUNG, die ihrerseits in eine HOLISTISCHE EINSICHT mündet.

Sehen wir uns noch kurz den völlig anderen Verlauf der Therapie dieses Klienten an, wenn der Therapeut den Satz "er hasst mich" als ZEITKIESEL erkennt, als einen Satz, der für den Klienten sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart bedeutsam ist.

 - Er hasst mich. (Zeitkiesel)

* Bleibe in dem Gefühl und (Suche nach einem möglichen Zeitkiesel) lass es anwachsen, während du dabei den Satz wiederholst.

- Er hasst mich. Er hasst mich. (Magischer Zeitreise-Teppich aktiviert). Er hasst mich ... . Es ist mein Bruder. (gelungene Kontext-Verschiebung in die tiefe Vergangenheit) Ständig hat er auf mir rumgehackt.

Jedes Mal, wenn ein einfacher Satz, wie ihn ein Kind verwenden könnte, in die Erwachsenen-Unterhaltung hinein rutscht (besonders dann, wenn er von einem Gefühl begleitet wird, das für die aktuelle Situation zu heftig ist), ist es gut möglich, dass wir es hier mit einem zeitversetzten Satz zu tun haben. Verschmilz mit ihm, wiederhole ihn und mache dich bereit, zurück an seinen Ursprung zu reisen.

 

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4. Holistische Einsicht ( eine Fehlerfreie Funktion des Gehirns )

HOLISTISCHE EINSICHT hat Abstufungen hinsichtlich Qualität und Ausdehnung, die in sechs Stufen eingeteilt werden können:

Holistische Einsicht: Stufe Eins

Holistische Einsicht der Stufe Eins beginnt mit dem Erleben von Innerlichkeit, die dann kommt, wenn wir uns hinlegen und uns auf die innere Arena unseres Lebens fokussieren.

Wir beginnen, den Grund unseres Daseins zu spüren, den Ort, an dem wir die bisher abgewehrten Teile unseres tiefsten Selbst untersuchen werden, um dann mit ihnen zu verschmelzen.

Wenn wir die Hand ins Wasser strecken, spüren wir direkt, was Wasser ist: Genau so gelangen wir nun allmählich zu einer nicht-verbalen, nicht-intellektuellen Wahrnehmung unserer inneren Umgebung.

So beginnt ein langer und köstlicher Prozess der Erleichterung, der darin besteht, ein gequältes Oberflächen-Selbst für das Studium unserer tieferen Prozesse aufzugeben.

Diese Erleichterung wird noch dadurch gesteigert, dass wir es unserem bewussten Selbst erlauben, voll die sechs Wege zu fühlen, auf denen das Gehirn uns seinen Schmerz übermittelt (spezifische Körperempfindungen usw.).

Und es kommt noch zu einer weiteren Steigerung unserer Erleichterung, wenn wir unseren kongruenten Ausdruck ganz mit diesen tieferen Erfahrungen zum Verschmelzen bringen.

Genau hier fängt die Holistische Einsicht an: Wir fühlen jetzt, wie das tiefere Selbst und das Oberflächen-Selbst sich erstmals aneinander ausrichten. Jetzt beginnt der frische Wind der Aufrichtigkeit, den verlagerten und verschleierten, fruchtlosen Kampf unseres Lebens zu neutralisieren.

Holistische Einsicht auf Stufe eins ist also die unmittelbare, nicht-lineare und nicht symbolisch vermittelte Erfahrung von Innerlichkeit. Sie ist eine Neuausrichtung zwischen den unbewussten und den bewussten Anteilen unseres Seins, durch den Gebrauch der Techniken von Kongruenz und Externalisierung.

Auf dieser Stufe sind keine spezifischen Einsichten erforderlich, keine Worte, keine Bilder und kein Wiedererleben. Allerdings spüren wir tief in uns und immer stärker, dass etwas in uns sich entspannt und ganz wird.

Weil es bei all diesen Prozessen auf Stufe eins zu keiner spezifischen Einsicht kommt. und sie doch unsere unspezifische Wahrnehmung vertiefen, können wir sie auch als STRUKTURELLE SELBSTERWEITERUNG bezeichnen.

Holistische Einsicht: Stufe Zwei

Holistische Einsicht der Stufe Zwei ist dadurch gekennzeichnet, dass ein spezifisches Thema und ein Teil der damit verbundenen Bedeutung in unser Bewusstsein tritt.

Wir haben uns nach innen auf ein Unbehagen fokussiert. Wir erlauben diesem, unser Bewusstsein auszufüllen. Wir verschmelzen mit ihm und haben vielleicht schon begonnen, unsere Kongruenzen zu machen, vielleicht auch noch nicht. Plötzlich entdecken wir etwas Neues über uns und unsere Welt. Wir werden uns einer Wahrheit, die unser Dasein betrifft, voll bewusst.

Beispielsweise fühlen wir uns nach einem Streit mit jemandem sehr unwohl und spüren eine Enge in der Brust. Wir legen uns hin, fokussieren uns auf diese Enge, verschmelzen mit ihr, und plötzlich hören wir uns sagen: "Bitte, tu mir nicht weh. Wir wiederholen diese Kongruenz fünf- bis zehnmal, wobei wir aufpassen, dass die Worte dem Gefühl genau entsprechen. Plötzlich kommen wir zu der Einsicht, dass wir sehr tief verletzt worden sind, und zwar viel tiefer, als wir geglaubt hatten. Wir spüren, dass unsere ganze Körper-Psyche-Achse in ihren Grundfesten irgendwie erschüttert worden ist.

Dies ist eine Erkenntnis, die deutlich Form und Einsicht hat. Allerdings ist sie auf die Gegenwart und auf das beschriebene Ereignis begrenzt. Genau dies kennzeichnet die HOLISTISCHE EINSICHT der Stufe Zwei. Sie ist nicht-linear und kommt plötzlich - in einer kleinen Wellenfront von Bewusstheit. Und es ist dieses unmittelbare, aus dem Bauch kommende, nicht-verbale, nicht-lineare Wissen, das diese Erfahrung zu einer Holistischen Erfahrung macht.

Die Erfahrung ist ganzheitlich, weil unsere Selbsterkenntnis und unser Gespür für unser Leben sich mit dieser Erfahrung augenblicklich erweitern. Wir spüren es geistig als Klarheit und körperlich als Entspannung beides ist simultan und unmittelbar. Diese tiefe Erfahrung beschäftigt uns, denn wir spüren, dass wir durch sie plötzlich mehr sind, als wir bis dahin waren. Die Qualität unseres Wissens strahlt in viele Richtungen hin aus. Beispielsweise erkennen wir, dass da etwas in uns ist, das wirklich weh tut, und dass wir wirklich verletzlich sind. Das falsche Gefühl von Stärke verwandelt sich in das Gefühl, dass wir immer verletzlich sind. Aber gleichzeitig wissen wir, und zwar auf Grund unserer neu erworbenen Fähigkeit, dass wir auch wieder heil werden können. Wir brauchen nicht rigide und immer nur auf unsere Sicherheit bedacht zu sein. Wir können offener leben - ohne deshalb zerstört zu werden. Dies ist ein Beispiel für die Art von Bewusstseinserweiterung, wie sie eine typische HOLISTISCHE EINSICHT begleitet.

HOLISTISCHE EINSICHT der Stufe Zwei ist also eine plötzliche, nicht-lineare Erweiterung unseres gegenwärtigen Bewusstseins, die auf ein einziges Thema beschränkt ist, und zugleich ist diese Einsicht eine rein innere Erfahrung der Person, die sie hat. Sie wird geistig als Einsicht und körperlich als Entspannung erfahren.

Holistische Einsicht: Stufe Drei

Die dritte Stufe der HOLISTISCHER EINSICHT ist ein plötzliches, nicht-lineares Bewusstsein, das sich lateral in der Gegenwart ausbreitet und Selbst und Welt einschließt. So kann eine Gefühlssequenz auf der Matte von einem Streit mit dem Chef ausgehen und  uns zu der Erkenntnis führen, dass nicht nur wir zutiefst verletzt wurden (Holistische Einsicht der Stufe Zwei), sondern dass auch der Chef ein zutiefst verletzter und deswegen verletzender Mensch ist. Wir verstehen dann, wie sein Verletztsein die Welt um ihn herum durchtränkt und bei den Menschen, die mit ihm zu tun haben, Schmerz auslöst. Uns wird dadurch bewusst, dass viele Menschen in Führungspositionen so sind, und wir spüren Dinge, die zu einer negativen Autorität gehören, wir verstehen, wie es dazu kommt, und wie sie uns alle verletzt.

Die dritte Stufe Holistischer Einsicht erhöht also mit einem Schlag unser Verständnis: So verstehen wir nicht nur uns selbst besser, sondern unsere Einsicht breitet sich nach außen aus und erfasst die Welt um uns herum mitsamt ihrer Dynamik. Allerdings beschränkt sich unsere Bewusstheit auf die Gegenwart.

Holistische Einsicht: Stufe Vier

Auf dieser Stufe weitet sich unsere Erkenntnis nicht nur lateral (in der Gegenwart), sondern auch zurück in der Zeit aus. Plötzlich sehen wir wie von einem Blitz erleuchtet Teile unseres früheren Lebens und erkennen, wie unsere augenblicklichen Schwierigkeiten mit ihnen zusammenhängen. Uns wird klar, dass alte Schmerzen  in uns aktiviert wurden. Und wieder ist es eine Woge von Verstehen, die plötzlich über uns hereinbricht. Es handelt sich dabei jedoch nicht um das tatsächliche Wiedererleben eines vergangenen Ereignisses, wenn wir uns auch im Augenblick der Wahrnehmung in Körper und Psyche erleichtert fühlen.

Holistische Einsicht: Stufe Fünf

Auf dieser Stufe wird der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH (die Zeitliche Kontext-Verschiebung) aktiviert. Wir befinden uns in einem Kindheitserlebnis, das Bewusstsein für die Gegenwart tritt zurück, und wir erleben das Geschehen erneut, mit der Vollständigkeit und Intensität einer realen Halluzination. In unserer Psyche öffnen sich Verknüpfungspfade, die von dem vergangenen Ereignis zu vielen bedeutsamen Erlebnissen durch unser ganzes Leben führen. Wie durch eine plötzliche Erleuchtung erkennen wir die vielfältigen Ursachen unserer Existenz, wie sie durch wichtige Ereignisse im Laufe unsere Lebens bestimmt wurde.

Wenn die Barrieren innerhalb der Psyche fallen, ist das eine sonderbare und wundersame Erfahrung, die eine bis drei Sekunden zu dauern scheint. Die Nachwirkung ist ein sehr tiefes Wissen auf psychobiologischer Ebene, das den Körper auf Dauer tief entspannt und verändert zurücklässt, insbesondere in seinen Abwehrstrukturen. Für die Psyche werden Offenheit und Verletzbarkeit zu einem Bestandteil ihres tiefen organischen Funktionierens, dem sie voll vertraut. Der Klient lernt, sich selbst und anderen zu vergeben, weil seine organische Mitte entwirrt ist. Eine nicht urteilende, zutiefst ethische Haltung ersetzt allmählich ein Leben, das bisher durch von außen gesetzte Regeln und Zwänge bestimmt war. Das Gehirn beginnt, auf eigenen Füßen zu stehen, es braucht niemanden und keine Institution, um ihm Lehrmeister zu sein oder ihm seine Sünden zu vergeben. Ein Gespür für die tiefe Komplexität und den Wert des Lebens führt automatisch zu Mitgefühl und ethischem Verhalten.

Holistische Einsicht der Stufe Fünf ist die letzte Stufe Holistischen Bewusstseins vor der großen Erfahrung der Plötzlichen Erleuchtung (des Satori), die ja das Ziel des Zen ist. Holistische Einsicht der Stufe Fünf teilt viele der Charakteristika und Qualitäten des Satori. Sie kommt plötzlich, ist tief, bringt enormes Verstehen mit sich und führt zu einer herrlichen Entspannung von Köper und Seele. Dennoch ist dies noch nicht das eigentliche Satori. Holistische Einsicht der Stufe Fünf ist auf die psychobiologische Ebene begrenzt und beschränkt sich auf Verknüpfungen und Vorgänge weltlicher Natur. Mit anderen Worten, sie ist nicht metaphysisch.

 Holistische Einsicht: Stufe Sechs ( Plötzliche Erleuchtung oder 'Satori')

Weil ich glaube, dass die Mechanismen bei der Psychobiologischen Holistischen Einsicht und diejenigen beim wirklichen Zen-orientierten Satori auf ähnlichen Prozessen beruhen, will ich hier einige kurze Bemerkungen zu dieser höchsten Art der Erfahrung machen.

Das Satori, wie ich es studiert und erlebt habe, ist das plötzliche und tiefe Erwachen einer völlig anderen Art von Bewusstsein.

Psychobiologisches Erwachen ( Holistische Einsicht ) befasst sich mit dem Aufbrechen der einzelnen bisher abgegrenzten Bereiche der inneren Erfahrung. Es wird erreicht durch sorgfältige und genaue Achtsamkeit gegenüber inneren Körperzuständen sowie durch das Herstellen der schon beschriebenen Kongruenzen. Dabei handelt es sich um Mechanismen von Psyche und Körper (Erkundung auf psychobiologische Ebene), und entsprechend führt die Arbeit in diesem Bereich zu Bewusstseinsbildung auf dieser Stufe.

Satori dagegen ist ein noch viel tiefer gehender Versuch, die Zerstückelung des Geistes aufzubrechen. Es ist ein Versuch, die primäre Grundlage des Symbolisierens aufzubrechen, auf welcher der Blick des Geistes auf alle Dinge beruht. Hier geht es um eine viel allgemeinere, faktisch um eine unendliche Erkundung, welche die Struktur des Geistes, die Struktur der Materie und die Beziehung zwischen beiden umfasst. Und sie schließt auch den Urgrund des Universums mit ein.

Durch einen einzigen blendenden Blitzstrahl überwindet das Satori alle symbolischen Schranken zwischen Verstehen und Materie und stellt damit unsere bisherige Wahrnehmung aller Dinge in Frage.

Genau deswegen ist das Zen-Koan (ein spirituelles Rätsel) so zutiefst rätselhaft. Die Lösung eines Zen- Koans (beispielsweise: Was für ein Geräusch macht eine einzelne Hand, die klatscht?) bringt die konkreten Symbolisierungsfunktionen des Geistes zum Einstürzen, bis wir und das Universum schließlich eins sind. Ein Zen-Mönch braucht Jahre, manchmal Jahrzehnte, konzentrierten Meditierens, um die endgültige Auflösung dieser ureigenen Gehirnfunktionen zu erreichen.

Außerordentlich interessant ist es festzustellen, dass die Kultivierung von dem, was wir die Reinheit der Absicht bei der Annäherung an Holistische Einsicht nennen wollen, der Reinheit der Absicht bei der Annäherung an das Satori sehr ähnlich ist. Beide erfordern den gleichen paradoxen Prozess von Zielgerichtetheit und Loslassen, sie erfordern außerordentliche Demut, Geduld, Erwartungslosigkeit und absolute Konzentration.

Auf psychobiologischer Ebene ist Schmerz die treibende Kraft. Die Methode besteht darin, zwischen genwärtiger und vergangener Erfahrung mittels kongruenter Gefühle eine Verbindung herzustellen. Das extrem hohe Kongruenzniveau zwischen einem aktuellen und einem  frühen Gefühl aktiviert den psychobiologisch unbeschädigten Prozess nicht-linearer Holistischer Einsicht. Holistische Einsicht ist die plötzliche, überwältigende Bewusstseinserweiterung im psychobiologischen Erfahrungsfeld.

Die treibende Kraft, die zu der Satori-Erfahrung führt, ist eine tiefe existenzielle Unzufriedenheit, die gekoppelt ist mit außerordentlich intensiven Meditationstechniken über lange Zeit und unter Verwendung von Rätseln, die auf der Ebene der Symbolisierungsprozesse des Geistes keine Lösung haben.

Das Gemeinsame an beiden Vorgängen ist eine plötzliche tiefe Bewusstseinserweiterung. Holistische Einsicht ist aber immer noch eingeschränkt auf ihren psychologischen und biologischen Erfahrungsbereich. Satori sprengt alle Schranken des Bewusstseins. Es ist wohl die tiefste und vollständigste Bewusstseinsleistung, die unserem auf biochemischen Grundlagen beruhenden Bewusstsein möglich ist.

Im nächsten Kapitel werden wir noch deutlich tiefer auf die Haltung eingehen, die für die Kultivierung von Wachstum nötig ist.

 

Kapitel 23

Die innere Einstellung als therapeutischer Schlüssel

DAS HINDERLICHE PARADOX DER ABSICHT

Es kommt vor, dass wir alles anwenden, was wir gelernt haben, ohne dass wir zu einer tiefen Einsicht gelangen. Ein letzter Schlüssel bleibt noch, und das ist der Schlüssel der inneren Einstellung.

Es gibt da ein Rätsel, und es liegt in unserer Einstellung zu unserer therapeutischen Arbeit. Während der ganzen Menschheitsgeschichte hat dieses Rätsel alle Anstrengungen, Weisheit zu erlangen, zunichte gemacht. Dieses Paradoxon könnte man das HINDERLICHE PARADOX DER ABSICHT nennen. Es entsteht, sobald wir versuchen, an unserer Erleuchtung zu arbeiten, ob auf dem Gebiet der Psychotherapie oder der eigentlichen spirituellen Erleuchtung. Die Schranke dieses Paradoxes der Absicht besteht darin, dass wir den folgenden Gegensatz auflösen müssen: Während wir uns mit allen Kräften darum bemühen, unsere innere Arbeit zu erledigen, müssen wir genau gleichzeitig loslassen und uns entspannen. Es gibt mehrere Gründe dafür, dass es zu diesem Paradox kommt.

Unser waches Bewusstsein kann sich immer nur auf eine Sache auf einmal einstellen. Wir können das Entstehen von ganzheitlichen Einsichten nicht erzwingen. Wir können nur auf sie hoffen. Einsichten kommen als Geschenk. Wir machen sie nicht. Alles, was wir tun können, ist, die Umstände in uns zu schaffen, welche uns öffnen, sodass wir Empfänger von Weisheit (d.h. von Einsichten, die über egozentrische Bedürfnisse hinaus gehen) werden. Das eigentliche Geschenk, nämlich die Einsicht, können wir nicht durch eigenes Tun in unser Bewusstsein holen. Das geht über unsere Möglichkeiten hinaus. Aus diesem Grund muss die eine Seite des HINDERLICHEN PARADOXES DER ABSICHT die Qualität von Loslassen und Offensein haben, sonst öffnen sich die vielen schmalen Pforten der Psyche nicht.

Vielleicht zu unserem Glück lassen sich die Gaben der echten Weisheit nicht durch Manipulation ins Leben rufen. Wäre das möglich, so könnten gerissene Drahtzieher tiefe Weisheiten gegen uns alle benutzen. Tatsächlich gehört es zum Wesen tiefer Weisheit, dass sie Manipulation aufhebt. Sie löst die manipulative Einstellung auf, sobald sie auftaucht.

Die andere Seite des HINDERLICHEN PARADOXES DER ABSICHT ist ebenso klar: Wenn wir uns nicht wirklich bemühen, nach innen auf die Suche zu gehen, bekommen wir Einsichten wohl kaum geschenkt. Wir müssen deshalb viel Intensität und Hingabe dafür aufbringen. Diese Intensität muss sowohl bei der Verfolgung der Gefühle als auch bei dem tatsächlichen Erleben der Gefühle vorhanden sein. Zusätzlich dazu müssen wir uns mit außerordentlicher Intensität auf unsere Arbeit konzentrieren und jede Technik, die wir hier erlernen, sehr genau anwenden. Auf dieser Seite des hinderlichen Paradoxes geht es also bei der ganzen Reise darum, uns intensiv zu bemühen und uns voll auf die Arbeit zu konzentrieren. Jetzt verstehen wir das Wesen dieses Paradoxes: Es verlangt von uns, intensives Streben und tiefes Loslassen miteinander zu verbinden.

Die Lösung für das hinderliche Paradoxes der Absicht

Die Auflösung dieses hinderlichen Dilemmas liegt in der Kultivierung einer speziellen inneren Einstellung.

Diese neue Einstellung heißt Demut. Wahre Demut arbeitet hart und ist voller Hoffnung, doch sie ist frei von eigennützigen Erwartungen. Echte Demut zeigt ein hohes Ausmaß an Absicht, doch ohne Gier auf Belohnung, ohne den gierigen Egoismus des Manipulators, der die Arbeit am geistigen Wachstum mit der Vorstellung beginnt, er könne die Tore der Psyche direkt und unmittelbar aufbrechen, und zwar nur, um die eigene persönlichen Macht auszuweiten.

Zur Lösung des Problems uns intensiv zu bemühen und gleichzeitig entspannt loszulassen  - müssen wir unserem Gehirn eine Botschaft übermitteln, die es ihm erlaubt, diese Einstellung zu entwickeln. Wir können dabei behilflich sein, indem wir zwischen den Perioden intensiver Arbeit über die Schwierigkeit unseres hinderlichen Paradoxes (Streben und Loslassen) nachdenken. So können wir uns von Zeit zu Zeit in unserem Alltag mit diesem Problem befassen und uns darauf einstimmen, als Grundlage unserer intensiven Arbeit eine entspannte Einstellung zu kultivieren.

Wenn wir dem Unbewussten diese Botschaft immer wieder vermitteln, wird diese nach unten an das tiefe Selbst weitergegeben. Mit der Zeit wird sie zu einem unbeschädigten Schlüssel zu den FEHLERFREIEN PROZESSEN DER HOLISTISCHEN EINSICHT. Dies ist eine der seltenen Gelegenheiten, wo wir uns direkt darum bemühen können, einen Fehlerfreien Prozess zu schaffen (die Einstellung der wahren Demut). Es ist fast so, als würden wir unserem Gehirn einen posthypnotischen Auftrag geben, oder uns immer wieder sagen, dass wir uns an unsere Träume erinnern wollen. Das Unbewusste hört uns und gibt uns schließlich das, was wir brauchen.

Hinzu kommt noch Folgendes: Während wir allmählich mit Entspannung und tieferer Einsichten beschenkt werden, wird uns immer deutlicher, dass, auch wenn wir selbst an unserem Wachstum arbeiten können, die Einsichten an sich doch ein Geschenk sind. Dieses Wissen gibt uns inmitten unseres Strebens die Entspannung, die nötig ist, um unser Wachstum fördern.

Je mehr wir an alldem arbeiten, desto klarer sehen wir. Je klarer wir sehen, umso mehr Vertrauen haben wir in die Prinzipien unserer Therapie. Diese nach oben gerichtete Wissensspirale führt langsam und allmählich zur Erfahrung des Erwachens, zu einer Art psycho-biologischem SATORI in Zeitlupe. Zu diesem allmählichen Erwachen kommt es durch plötzliche kleine Einsichten, die unser wachsendes organisches und ausgewogenes neues Bewusstsein erweitern und steuern. Diese Wachstumssprünge, die je nachdem klein oder groß sein können, sind vielleicht mit den Quantensprüngen der Energie in der subatomaren Physik vergleichbar.

Nun verstehen wir, wie es zur Auflösung des Rätsels des HINDERLICHEN PARADOXES DER ABSICHT kommt: Sie liegt in unserer Einstellung gegenüber dem Wachstum. Wir bemühen uns, unsere Übungen intensiv und äußerst sorgfältig zu machen, während wir gleichzeitig wissen, dass wir aus eigener Kraft nicht zu Einsichten gelangen können. So harren wir aus, machen unsere Arbeit und warten mit Geduld und Offenheit. Nun fangen die vielen kleinen Pforten an, mit unserem neuen Bewusstsein mitzuschwingen.

 

 

 

KAPITEL 24

Reinheit der Absicht und therapeutische Arbeit

WAS WIR TUN KÖNNEN, UM UNS FÜR DAS
GESCHENK DER EINSICHT BEREIT ZU MACHEN

Reinheitsregel Eins in der therapeutischer Arbeit

Die Reinheit der therapeutischer Arbeit hat damit zu tun, wie wir uns Gefühlen gegenüber öffnen. Wenn uns ein Gefühl bewegt, müssen wir außerordentlich ruhig und offen werden. Wenn wir dabei extrem vorsichtig sind, wird diese innere Stille, mit ihrem sanften Fokus auf dem Nichtfassbaren, es dem Gefühl in uns erlauben, noch mehr aufzublühen und eine immer deutlichere Feinzeichnung zu zeigen. Es ist diese Anreicherung der Erfahrung, die uns in Richtung Holistische Einsicht trägt. Ein Beispiel dafür wäre ein Fotograf, der im Wald auf das Auftauchen eines Tieres lauert. Er geht sehr sorgfältig in Stellung, sitzt da mit einer Haltung energetischer Ruhe und merkt allmählich, dass das, was wie ein gescheckter Schatten aussah, sich nach und nach als die Gegenwart eines Tiers der Wildnis erweist. Er verhält sich bewusst ruhig und vermeidet alles, was den Prozess, der sich da zeigt, unterbrechen könnte. Er knipst das Bild (fühlt das Gefühl), und das Tier verschwindet.

Reinheitsregel Zwei in der therapeutischen Arbeit

Dieses Reinheitsregel hat mit der besonderen Sorgfalt zu tun, mit der wir unsere innere Arbeit verrichten. Dabei kommt es vor allem darauf an, dass wir unsere Kongruenzen zustande bringen.

Das heißt, wir müssen die Muskeln unseres Körpers, die wir bewusst steuern können, sehr, sehr vorsichtig ins Spiel bringen, um außen zu einem genauen Abbild dessen zu werden, was wir innen sind.

Diese willkürlichen Muskeln umfassen natürlich unsere Stimmbänder ebenso wie die großen Muskeln des physischen Körpers.

Es geht um das Äußern von Lauten, das Einnehmen einer bestimmten Körperhaltung und vielleicht auch um eine Körperbewegung.

Wir beginnen mit dem Hervorbringen von Lauten:

Erinnere dich daran, dass inneres Unwohlsein, sei es nun ein Gefühl, eine Körperempfindung oder ein komplexerer Körperzustand, seinen Ort, seine Intensität und seine Qualität hat. Im Augenblick geht es uns jedoch um die Intensität und um die Qualität der inneren Erfahrung. Diese Reinheitsregel der therapeutischen Arbeit verlangt, dass der Laut, den wir von uns geben, ganz genau der Intensität und der Qualität von dem entspricht, was wir fühlen. Ein starker Schmerz erfordert einen starken Laut. Ein starkes Gefühl verlangt einen starken Laut. Ein diffuser Schmerz erfordert einen diffusen Laut. Ein undeutliches Gefühl verlangt einen undeutlichen Laut, und so weiter. Wenn wir uns also für die Ausweitung der inneren Erfahrung geöffnet und unsere Stimmbänder aktiviert haben, um so den entstehenden Veränderungen zu folgen (ihnen auf der Spur zu bleiben), gestalten wir unser Außen so, dass es genau dem entspricht, wie wir innen sind. Die Reinheit unserer therapeutischen Arbeit führt zu einer genauen Deckung von Innen und  Außen. Diese Art der inneren Arbeit bringt uns in größtmögliche Nähe zur Holistischen Einsicht. Dies ist die akribische Arbeit, die wir bewusst kontrollieren und auch tun können.

Wenn uns aus diesem inneren Empfindungszustand heraus Worte erreichen, so aktivieren wir erneut unsere Stimmbänder, um die Worte zu finden, die den inneren Gefühlen genau entsprechen. Worte und Sätze müssen genau so einfach sein wie die inneren Gefühle. Wir dürfen uns von einem bestimmten Wort oder Satz nicht weg bewegen, bevor wir nicht die Energie, die während der Kongruenz darin emporsteigt, erschöpft haben. Das schnelle Wechseln von einem Wort zum nächsten oder von einem Satz zum anderen ist in etwa so, als würde man einen Bohrer nacheinander an verschiedenen Stellen auf einem Stück Holz anzusetzen, bevor er eine Chance hatte, ins Holz einzudringen. Ganz gleich, wie oft ich meinen Klienten erkläre, dass es oft notwendig ist, bei einem bestimmten Wort oder Satz ein paar Minuten, manchmal bis zu einer halben Stunde, zu bleiben, sie scheinen das nie zu verstehen. So muss ich das Wort "Schmerz" vielleicht fünfzig- bis hundertmal in einer meiner eigenen Sitzungen wiederholen, bis die Gefühlsblase eine maximale Größe erreicht hat.

Stell dir eine Schauspielerin vor, die in einem Moment außerordentlicher Intensität ein einzelnes Wort mit all der Tiefe und Kraft ihres Könnens ausspricht. Um der Reinheit deiner therapeutischen Arbeit willen musst du ein ähnliches Resultat erzielen. Pass dabei auf, dass du während deiner Arbeit den Kontakt zu dem zu Grunde liegenden Gefühl nicht verlierst und dich nicht in das verliebst, was du hervorbringst. Andernfalls koppelst du dich von den inneren Empfindungen ab, die dir Energie und Richtung geben.

Auch dann, wenn du die willkürliche Muskulatur aktivierst, um außen noch mehr so zu werden, wie du innen bist, ist Genauigkeit wichtig. Wenn du spürst, dass innen etwas verdreht ist, dann verdrehe auch deinen Körper, um dem zu entsprechen. Öffne dich für die neue Gruppe von Empfindungen, die dein verdrehter Körper dir dann nach und nach rückmeldet. Die Reinheit der therapeutischen Arbeit verlangt, dass deine äußere Körperhaltung sich genau stimmig anfühlt. Ich selbst lag in meiner eigenen Arbeit oft mit zurückgeworfenem Kopf da, mein Oberkörper war nach links verdreht, der rechte Arm nach hinten ausgestreckt, die Handfläche nach außen, während mein linker Arm locker am Körper lag. Diese bizarre Körperhaltung sandte einen brennenden Schmerz entlang der Muskeln, die mein rechtes Schulterblatt mit der Wirbelsäule verbinden, und ich befand mich Hunderte Male in dieser Position, wobei ich gurgelnde Laute wie ein Baby von mir gab. Ich musste mich dieser seltsamen Erfahrung viele, viele Monate lang vollkommen hingeben, ohne die geringste Idee zu haben, warum ich das tat. (Das hat viel Ähnlichkeit mit dem Beispiel vom Anfang dieses Buches, wo der Klient Monate lang Grimassen schneiden musste.) Wie sich schließlich herausstellte, hatte diese Erfahrung mit meiner Geburt zu tun..

Die gleiche Reinheitsregel der therapeutischen Arbeit und die gleichen Prinzipien gelten, wenn wir aktiv Körperbewegungen machen. Das heißt, wenn unsere inneren Gefühle und Empfindungen durch Bewegung richtiger nach außen gebracht werden als durch Stillhalten, dann müssen wir uns bewegen.

Denke daran, dass der einzige ernsthafte Nachteil bei der Körperbewegung als Mittel, Kongruenz herzustellen, darin besteht, dass Körperbewegung das Gehirn beruhigt. Körperbewegung überflutet das zentrale Nervensystem mit Impulsen von den Muskeln und den Gelenken - dabei handelt es sich um warme Empfindungen, mit denen wir uns selbst beruhigen.

Ein Beispiel hierfür sind die Schaukelbewegungen, die ein Kind oder ein Erwachsener als Folge einer Traumatisierung macht, um so außergewöhnlich starken emotionalen Schmerz zu verarbeiten.

Reinheitsregel Drei in der therapeutischen Arbeit

Um es noch mal zu wiederholen: Es ist sehr wichtig zu wissen, ob du deinen emotionalen Schmerz verstärkst oder beruhigst. Zweifellos gibt es Zeiten, in denen es notwendig ist, dass du dich beruhigst. Zumindest solltest du dir bewusst sein, auf welchem der beiden Pfade du dich befindest, um nicht durch die Ergebnisse  überrascht zu werden.

Erinnere dich daran: Wenn ein Therapeut dir Berührung und Halten anbietet, besteht das gleiche Problem. Es gibt Berührung, die tröstet, und es gibt Halten, das tröstet. Es gibt Berührung, die den Schmerz verstärkt, und es gibt Halten, das den Schmerz verstärkt: Beides macht eine Intensivierung dadurch möglich, dass die körperliche Unterstützung die emotionale Unterstützung in Phasen extremer Belastung verstärkt. Es ist deine Aufgabe als Klient, deinem Therapeuten Feed-back darüber zu geben, was Berührung und Halten dir zu jedem Zeitpunkt geben, und was du in einem bestimmten Moment brauchst.

Reinheitsregel Vier in der therapeutischen Arbeit

Diese Reinheitsregel der therapeutischen Arbeit gebietet, dass du deinen Gefühlen und deinen Kongruenzen vertraust, und zwar, ohne zu wissen, was du gerade tust, und warum du es tust. Dieses Loslassen des intellektuellen Wissens, im Vertrauen darauf, dass das Gefühl an erster Stelle steht und das Verstehen an zweiter, ist entscheidend, wenn du in der Therapie voran kommen willst. Auf diese Weise sagst du "ja" zum tieferen Gehirn. Ohne dieses "Ja" öffnet das Unbewusste seine Türen nicht für die Holistische Einsicht.

Reinheitsregel Fünf in der therapeutischen Arbeit

Eine der Hauptgefahren dieses Handbuchs kommt hier ins Spiel. Halte deinen Schmerz auf der Matte. Es ist völlig inakzeptabel, das unerledigte psychologische Material, das in dir liegt, zu nehmen und es auf die Welt abzuladen und dabei andere zu verletzen. Erstens ist es äußerst unehrlich, einen anderen Menschen auf diese Weise zu gebrauchen. Zweitens verwässert es den therapeutischen Prozess, indem es den Schmerz, der die Therapie antreibt, in das VERGNÜGEN VERLETZENDEN SCHWELGENS ableitet, und dies bringt uns zu dem zweiten Gesetz der Regressionstherapie:

 

Der zweite Hauptsatz der Regressionstherapie

 

Wenn du deinen Schmerz nicht auf der Matte hältst und ihn ganz
fühlst, wirst du dich und andere in der Welt damit verletzen.

 

 

Schmerz ist das Labor, in dem wir arbeiten. Er ist da, um gefühlt zu werden. Wir richten uns auf ihn hin aus, um ihn zu untersuchen. Wir schaffen unsere Kongruenzen, um ihn zu fühlen, mit ihm zu verschmelzen und ihn zu externalisieren. Aber das tun wir im Therapieraum und richten ihn nie auf andere.

Schmerz darf in der Therapie niemals plötzlich zum Handlungsmotiv werden, das uns in die Welt hinaus treibt. Wir müssen das Paradox aushalten, dass wir ihn fühlen und uns mit ihm verbinden, während wir gleichzeitig anerkennen, dass wir in einem Gefühl sind und es nicht ausagieren dürfen. Wir befassen uns damit, eine tiefe Verbindung mit unseren inneren Prozess herzustellen, während wir zugleich das, was wir real in der Welt tun, von genau diesen Prozessen abkoppeln. Das ist die Essenz der fünften Reinheitsregel der therapeutischen Arbeit: Zutiefst zu fühlen und nicht auszuagieren. Integriertes Handeln kommt zu seiner Zeit und auf seine Art, und wenn es so weit ist, wird dieses integrierte Handeln progressiv und organisch unsere Art und Weise, in der Welt zu sein, verändern.

Wie der Mönch innerhalb seines Klosters mit seiner Spiritualität ringt, so ringen wir innerhalb unseres privaten Therapieraumes mit unseren Gefühlen.

Wenn wir diesen Ort tiefer, regressiver Erfahrung verlassen, tun wir gut daran, uns eine Haltung der Bobachtung und der respektvollen Höflichkeit anderen gegenüber zu Eigen zu machen - bis genug Zeit in der Therapie vergangen ist, sodass wir reif sind und das integriert haben, was schließlich ein stärker organisches, selbstbestimmtes, mitfühlendes und liebendes Leben sein wird.

 

Kapitel 25

Weltlichkeit gegen Innerlichkeit

 

Die Einstellung, welche die Psyche öffnet, steht in direktem Gegensatz zu unserer normalen weltlichen Orientierung. Man hat uns beigebracht, dass wir nach der Welt greifen und ihr das entreißen können, was wir brauchen. Man hat uns beigebracht, dass wir nach unserem tiefsten Selbst greifen und es in jede Form pressen können, welche den manipulativen Zwecken des falschen und verängstigten Selbst dient. Ein solcher Umgang mit der Psyche ist die Essenz des Kontrollwahns. Er bildet den Grund dafür, dass die menschliche Spezies sich selbst und ihre natürliche Umwelt so gründlich missversteht.

Dies ist die verklemmte Einstellung, welche so tief in uns verwurzelt ist, da unsere Hoffnung immer vor allem darin bestand, Schmerz zu vermeiden und Sicherheit zu erlangen.

Diese verklemmte Einstellung verschließt die Pforten zu unserer Seele eher, als dass sie sie öffnet; und nur sehr wenige Dinge können dies ändern. Dazu gehören:

Erstens: Hatten wir bisher vollen Erfolg mit unserer natürlichen Art zu leben und entdecken dann plötzlich Leere statt Erfüllung, so kann dies uns dazu bringen, auf einer neuen Stufe mit Suchen anzufangen.

Zweitens: Ist unser Leben völlig gescheitert, sodass wir die ganze Welt um uns herum einstürzen sehen, dann könnte das uns dazu führen, schließlich zuzugeben, dass wir niemals wirklich die Kontrolle über irgendetwas hatten; vielleicht hilft das uns ja, unsere Wachstumsarbeit mit einem angemessenen Satz an Schlüsseln neu anzugehen.

Drittens: Eine Nah-Todes-Erfahrung kann unsere Arroganz erschüttern und uns mit tiefer Weisheit erfüllen.

Viertens: Es gibt Menschen, die  in ihrem Leben das große Glück haben, von der Natur mit einem allmählichen Erwachen der Weisheit beschenkt zu werden, ohne viel spezifische Wachstumsarbeit leisten zu müssen.

Fünftens: Einige Menschen haben das große Glück, dass ihnen eine wichtige SATORI-Erfahrung zuteil wird, ohne dass sie sich bewusst überhaupt darauf vorbereitet haben.

Sechstens: Für die meisten von uns ist eine langwierige und mühsame Wachstumsarbeit notwendig, ehe wir echte Weisheit erlangen.

Zu der Einsicht zu erwachen, dass wir nie die Kontrolle über unser Leben hatten, und dass jeder Aspekt unseres Lebens ein Geschenk ist, bedeutet keinen Abstieg in ein Gefühl der Duckmäuserei und der Ohnmacht. Das Wissen, dass unser Leben ein Geschenk ist, und dass wir es nicht selbst aus dem Nichts erschaffen, erlaubt uns die Art von Loslassen, welche uns hilft, mit Anmut voranzuschreiten, selbst in sehr turbulenten und verwirrenden Zeiten in unserem Leben.

Wir brauchen unser Leben nicht mit blutigen Fingernägeln aufzureißen. Wenn es zu einem Kampf kommt, so fühlt er sich auf irgendeiner Ebene natürlich und gut an, da wir uns natürlich und gut fühlen. Wir haben nicht mehr solche Angst vor äußerem Scheitern, und das steigert unserer Effektivität.

Das ist die Art Loslassen, welches mehr und mehr von den aufnahmebereiten und kreativen Prozesse des tieferen Selbst befreit. Der Rest entfaltet sich, während wir auf dem Weg sind. Die inneren Prozesse des Lebens erschaffen sich selbst. Sie tragen uns, ohne dass wir ständig darum kämpfen müssen, sie zum Funktionieren zu bringen.

 

 

 

KAPITEL 26

Therapie ohne Therapeut/-in

 

Ich habe, wie auch fast jeder Klient und Therapeut, mit dem ich je darüber gesprochen habe, Zweifel daran, dass Tiefen-Therapie ohne die Anwesenheit eines Tiefen-Therapeuten oder einer -Therapeutin gemacht werden kann.

Früher in diesem Buch war von der tiefen Bedeutung des Neubeelterns (reparenting) die Rede. Ich habe gesagt, dass Berührung und Halten die Basis bilden, von der in der regressiven Tiefentherapie viel abhängt. Nicht jeder scheint sie zu brauchen, doch viele mit Sicherheit schon. Ich habe betont, dass achtsame Mitteilungen des Therapeuten über seine eigenen Innenräume ein Hilfsgerüst bilden können, das die Neubildung gesunder Gedanken und Überzeugungen, die in Kopf und Körper des Klienten auftauchen, unterstützt. Ich habe auch erwähnt, dass, in Zeiten von Verwirrung, emotionaler Instabilität und negativem Selbstbild, die kontinuierliche Anwesenheit des Therapeuten eine zusätzlicher Stütze darstellt, auf welche der Klient sich verlassen kann, wenn der Boden unter seinen Füßen zu wanken beginnt.

Sicher ist es daher verrückt, ein Handbuch mit Instruktionen zu veröffentlichen, das jeder lesen kann, denn er versucht dann vielleicht, das Ganze auf sich anzuwenden. Das ist eine sehr wichtige und zentrale Frage, und ich will versuchen, sie mit dem folgenden Argument zu beantworten. Ich selbst habe mich ein Leben lang mit der Wut über etwas herumgeschlagen, das ich die Lüge genannt habe, und das Scott Peck dann unter diesem Namen populär gemacht hat. Wie eine Gurke, die in der Lake liegt, diese aufsaugt und gar nicht anders kann, als eine saure Gurke zu werden, genau so saugen wir die Kultur des falschen Selbst auf. So können wir gar nicht anders als falsch werden. Wir können nicht vermeiden, Opfer dieser tiefsten aller Spaltungen zu werden, die sich auftut zwischen unserem tiefsten organischen Selbst und der Persönlichkeit, die wir ausbilden, um innerhalb unserer soziokulturellen Matrix sicher zu sein und das zu bekommen, was wir brauchen. Ein Problem, das sich durch alle Zeitalter der Menschheit zieht.

Weil unsere Erwachsenen-Bedürfnisse so weit von unseren einfachen, grundlegenden und organischen Wahrheiten entfernt sind diese wurden verschoben, unkenntlich gemacht und symbolisiert -, können wir in unserem Erwachsenenleben weder Befriedigung noch Gleichgewicht finden. Erst in den mittleren Jahren, wenn unsere defensive, äußerliche und unaufrichtige Persona uns schließlich im Stich lässt, können wir uns ungefähr vorstellen, dass große Teile unseres Lebensweges zutiefst "falsch" und unbefriedigend waren. Aber selbst dann gibt es keinen wirklichen Kompass für uns, genauso wenig, wie es in unserem Leben je einen wirklichen Kompass gab, der frei von der Lüge gewesen wäre, in der wir aufwuchsen. Die Essiggurke in ihrem Glas sehnt sich danach, sich ihrer Lake zu entledigen.

Alle Menschen, die wir je gekannt haben, besonders unsere Lehrer vom Kindergarten bis zum Doktorvater, haben uns immer wieder eingeredet, dass wir nur zu lernen brauchen, was sie wissen, um schließlich in der Welt erfolgreich sein und unseren Weg ins Glück zu finden. Da sie aber ihr Leben in einem Sud von Symbolisierung und Verdrängung fern von ihrem tiefsten organischen Selbst gelebt haben, ist die Hand, die sie ausstrecken, um uns zu helfen, von ihrer Unwahrheit verseucht. Sie gleitet durch unsere ausgestreckte Bedürftigkeit hindurch, als wäre sie ein Gespenst. Die Hand, die sie ausstrecken, um uns zu helfen, spricht nicht wirklich die Sprache des Schmerzes, weder ihres eigenen noch des unseren.

Aus diesem Grund gibt es für uns zeit unseres Lebens keine Hilfe, und am Ende begraben uns die Wellen unserer Panik und unserer Depression unter sich.

Ich glaube, dieses Buch bietet einen vertrauenswürdigen Kompass und einen Polarstern, den jeder Mensch nutzen kann, wenn er anfangen will, wirklich nach der Wahrheit zu suchen. Dann kann er, mit Hilfe der Techniken, die ich hier dargestellt habe, sich um die Trümmer seiner emotionalen Verletzungen, um den Weg durch sie hindurch und um ein Verständnis des Ganzen bemühen, vorausgesetzt, sein Weg ist seiner immanenten Selbsttäuschung entkleidet.

Nicht, dass ich überzeugt wäre, die Wahrheit für die Welt zu besitzen. Es ist nur so, dass ich bei anderen und auch bei mir selbst eine Reihe von Techniken angewandt habe, die unweigerlich zu einem tiefen Sinn für unsere eigenen, inneren und unverfälschten Strukturen führen. Ich habe diese Strukturen Fehlerfreies Empfinden, Fehlerfreies Wissen und Fehlerfreie Funktion genannt. Sie existieren in jedem von uns, wenn es uns gelingt, unsere mentalen Prozesse von ihrer lebenslangen Verseuchung zu befreien.

Vielleicht werden die in diesem Buch beschriebenen Mechanismen die gleichen Folgen haben wie die Dampfmaschine und der mechanische Webstuhl zu Beginn der industriellen Revolution, die damals ja massiven Aufruhr und Schmerz auslösten.

Gibt es jemanden unter uns, der die Uhr zurückdrehen und sich in die Zeiten vor der Industriellen Revolution zurückversetzen möchte? Gibt es jemanden unter uns, der auf seinem Weg zur Wahrheit der Evolution des Geistes den Rücken kehren würde? Ich glaube, durch das Einsickern dieser Art von Arbeit in das Bewusstsein der Menschheit über Tausende von Jahren werden wir nach und nach tiefer, weiser, ethischer, weniger manipulierend und weniger anfällig für die Manipulation durch andere werden.

Dies ist mein Traum, geboren aus dem Schmerz meiner Kindheit.

Deshalb spüre ich, dass ich dieses Handbuch öffentlich zugänglich machen muss. Allerdings müssen die Vorsichtsmaßnahmen am Anfang des Buches sehr sorgfältig beachtet werden.

Es wird sicher vorkommen, dass Menschen, die an Psyche, Körper und Geist erkrankt sind, und nicht wissen, wohin und an wen sie sich wenden sollen, dieses Handbuch ohne Hilfe benutzen. Euch sage ich, macht langsam, geht sehr sorgsam mit euch um und denkt daran: Wenn ihr Rat und Hilfe bei jemandem sucht, der kein ausgebildeter Tiefentherapeut ist, so werdet ihr früher oder später zum Objekt seiner "Abwehr-Weisheit". Sobald ihr bei ihm eigene unverarbeitete Gefühle auslöst, wird die Hilfe, die er euch gibt, den Mechanismen seines falschen Selbst entspringen. Gemeinsamer Nenner dieser Hilfsangebote wird sein, euch davon abzuhalten, euren Schmerz zu fühlen.

Du selbst musst beurteilen, ob das Chaos, das du in dir freilegst, schneller hoch kommt, als du es verarbeiten kannst. Wenn du nicht mehr schlafen kannst, wenn du aufhörst zu essen, wenn du die Fähigkeit zu funktionieren verlierst und keine gesunde Kontrolle mehr über dich hast, dann ist es absolut wichtig, dass du langsamer machst und dich nach Kräften darum bemühst, liebevolle und inspirierte, gefühlsorientierte Unterstützung zu finden.

Du brauchst dich nicht über die Klippen in die Tiefe zu stürzen, um zu wachsen. Du kannst versuchen, bei dem Gebrauch dieser Anweisungen sanft und liebevoll  mit dir umzugehen. Aber schließlich ist es nur fair, wenn ich dich darauf hinweise, dass es auf deinem Weg Zeiten voll schrecklicher Angst geben kann. Sorge gut für dich und / oder sorge dafür, dass sich jemand anders um dich kümmert; höre immer auf dein tiefstes fühlendes Gespür und deine Intuition für das, was richtig für dich ist.

Vor allem aber denke immer daran: Wenn du absichtlich Menschen verletzst, bist du sehr wahrscheinlich vom Pfad deines Wachstums abgekommen. Dies ist der Schaden, der entsteht, wenn du in die Welt gehst und dort chaotische und destruktive Dinge sagst und tust. Stattdessen solltest du die Gefühle, die unter solchen Dingen liegen und sie auslösen, untersuchen, und zwar in der Zurückgezogenheit deines Therapieraums.

Wenn du beginnst, dich in der Welt eindeutiger zu definieren in Bezug auf das, was du in deinem Leben akzeptieren kannst und was nicht, wird das natürlich andere um dich herum schmerzen, weil sie begreifen, dass sie dich nicht länger benutzen können. Geh vorsichtig mit dieser Situation um. Verlange nicht von anderen Menschen, sich schneller auf Veränderungen einzustellen, als das für dich und für sie sicher ist.

Einfache Verhaltensregeln

1.   Du hast das Recht, jedem zu sagen, was du fühlst, so lange du es höflich sagst.

2.   Du hast das Recht, von jedem zu erbitten, was du brauchst, so lange du es höflich tust.

3.   Du hast das Recht, jede Bitte zurückzuweisen, so lange du es höflich tust.

Natürlich müssen diese Regeln unserem grundlegenden Gespür und unserem Verständnis für das entsprechen, was anständig und in einer gegebenen Situation angemessen und diplomatisch ist.

 

KAPITEL 27

Zusammenfassung der Anweisungen

Man könnte sagen, die meisten menschlichen Bemühungen, ob nun real, fiktiv oder mythisch, laufen auf etwas sehr Einfaches hinaus: eine Suche (quest). Ich habe den Eindruck, diese SUCHE ist Ausdruck der grundlegenden Suche nach dem Selbst und nach Erleuchtung. In diesem Buch geht es hauptsächlich um die Suche nach tiefem persönlichen Verständnis und spiritueller Erfüllung. In Mythen wurde diese Suche allerdings nach außen, in die Welt, verlagert, sodass die Menschheit ihre Energien dafür eingesetzt hat, nach Drachen und nach dem Gral zu suchen, wo diese Dinge in Wirklichkeit doch nur symbolisierte Versionen innerer Kämpfe sind. Im Wesentlichen ist die SUCHE also die nach außen verlagerte Suche nach den Dingen in uns, die uns beunruhigen und uns abgespalten halten von unserem tiefsten Selbst und damit von einer organischen, harmonischen Beziehung zwischen uns und der Welt.

Hier also eine möglichst einfache und klare Zusammenstellung der Anweisungen für diese innere Suche, welche die äußere Suche des Menschen nach Dingen überflüssig macht, die symbolisch für die Angelegenheiten des tieferen Selbst stehen. Diese Anweisungen werden unser Wachstum weg von psycho-biologischer Verwirrung und hin zu psycho-biologischer Klarheit und zu innerem Frieden erleichtern. So können wir uns selbst auf den letzten großen Bewusstseinssprung vorbereiten, welcher Erleuchtung oder SATORI selber ist.

1. Werde dir selbst gegenüber achtsam. Öffne einen Zugangskanal zu deinen Gefühlen und Körperempfindungen. Halte ihn offen, während du dein Leben lebst. Erkenne, wenn du ein körperliches oder emotionales Unwohlsein in dir hoch kommen fühlst.

Nirgendwo sonst auf deiner Reise stößt du auf mehr Hindernisse als hier, ganz am Anfang. Der TRICK DER UNSICHTBARKEIT UND DES NICHT-WISSENS, der TRICK DER FEHLGELEITETEN AUFMERKSAMKEIT und der ZAUBER DER VERGESSLICHKEIT sind kontinuierlich in deinem täglichen Leben aktiv, um dich von deiner Reise nach innen abzuhalten.

Schleppe niemals Schmerzen mit dir herum. Leg dich bei der nächstbesten Gelegenheit damit hin. Immer wieder wirst du feststellen, dass du schon stunden-, tage- oder gar wochenlang Schmerzen mit dir herumgeschleppt hast, ohne dir dessen bewusst zu sein.

2. Finde einen angenehmen Platz, der möglichst ruhig und schallgeschützt ist. Ein Auto zum Beispiel ist ein großartiger Behelfs-Primalraum. Nirgendwo sonst in unserer Welt kannst du einen Platz finden, der es dir erlaubt zu schreien, ohne dass dich wahrscheinlich jemand hört. Aber halte an, fahre nicht durch Rot.

3. Lege dich hin (sitze oder stehe, wenn du keine andere Wahl hast). Lege dich bequem auf den Rücken, mit einem Kissen unter dem Kopf, Arme und Hände an der Seite des Körpers. Wenn du die Hände auf den Bauch legst, blockierst du deine Fähigkeit, Impulse aus diesem Bereich zu empfangen, so ähnlich, wie wenn man einen metallischen Gegenstand vor eine Radarantenne hält. Überkreuze deine Beine nicht, schaffe dir mit dieser verletzbaren und exponierten Körperhaltung ein Gefühl von Offensein.

4. Richte dein Bewusstsein auf deine Gefühle und deinen inneren Körperzustand. Spüre nach, ob es irgendwo in dir ein Unbehagen gibt. Überprüfe deine sechs Haupt-Symptombereiche, spezifische Körperempfindungen, diffuse Körperzustände, usw. Gibt es irgendwo in einem dieser sechs Kanäle etwas, das dich daran hindert, dich vollständig wohl zu fühlen?

5. Denke nicht. Du bist nun ein Empfangssystem für sensorische Reize. Wenn es dir schwer fällt, deinen Kopf abzuschalten, gebrauche die unartikulierten Geräusche. Lies die Kapitel, die dieses Thema behandeln, noch mal. Wenn Ideen und Worte in unserem Kopf rasen, dann ist es hilfreich, die Fertigkeiten zu nutzen, die ohne Worte auskommen.

6. Wenn eine körperliche oder emotionale Störung hoch kommt, so tauche  unter die Wellen deines logischen Alltagslebens hinab. Begegne der Störung wie ein Taucher, der im Meer untertaucht. Versuche, ihre Lage, Intensität und Beschaffenheit auszumachen. Bewege dich auf das Unwohlsein zu, und lass es auf dich zukommen.

7. Verschmelze mit der Störung. Öffne Psyche und Körper. Öffne die Poren deiner Haut, deine Eingeweide, deine Körperöffnungen, Augen, Ohren, Mund, Vagina, Penis, Rektum, alles. Werde eins mit dem Unwohlsein. Lass dich von diesen Empfindungen mindestens dreißig Sekunden lang durchtränken, um es deinem Bewusstsein zu erlauben, von der sprachlichen Ebene zu der wahrnehmenden und fühlenden Ebene der Psyche zu gelangen diese Neuorientierung ruft die holistischen Funktionen des Gehirns wach.

8. Nimm jede Position ein, die das Gefühl und dein Erleben verstärkt. Wenn es hilfreich ist, so lasse deinen Körper sich bewegen.

9. Aktiviere deine Stimmbänder mit nicht kontrollierten und oft nicht logischen Lauten, Worten und Sätzen, welche exakt dem körperlichen und/oder emotionalen Unwohlsein, dem du auf der Spur bist, entspringen und diesem entsprechen. Strebe nach absoluter Kongruenz. Spüre bei jeder Äußerung nach, ob sie genau deinem ursprünglichen Gefühl entspricht, so, wie du mit dem „Dart“-Pfeil genau auf das Zentrum der Scheibe zielst. Dein inneres Körperempfinden sagt dir, wann deine Lautäußerungen oder Worte genau richtig sind. Höre auf das, was hoch kommt. Springe nicht von einer Sache zur nächsten, warte, bis die Spannung ihren Höhepunkt erreicht hat und automatisch zu dem nächsten Thema führt. Von allem, was du auf einer tiefentherapeutischen Reise tun kannst, ist diese Übung mit der Kongruenz von Lauten und Worten die wichtigste.

10. Wenn du eine absolute Kongruenz erreicht hast, so erhalte sie mit Hilfe deiner Wiederholungen aufrecht, während der Schmerz stärker wird (Anreicherung), seinen Höhepunkt erreicht und dann zurückgeht. Am Ende solltest du erschöpft und von deinem anfänglichen Unwohlsein frei sein, und die Spannung sollte Psyche und Körper verlassen haben. Dabei kannst du zu einer holistische Einsicht kommen, oder auch nicht..

Verlasse unter keinen Umständen den Therapieraum, um dir oder einer anderen Person etwas anzutun. Deine Urteilskraft kann eine Zeit lang nicht funktionsfähig sein das kann Stunden, Tage oder sogar Wochen dauern. Handle niemals vorschnell auf Grund der Einsichten, die dir kommen. Warte den richtigen Moment ab. Falls du zunehmend mit dem Gedanken spielst, dich oder andere verletzen zu wollen, dann gehe zur Notaufnahme in eine Klinik und bitte um eine psychiatrische Untersuchung.

11. Gehe während deiner Arbeit nicht aktiv in deinen Intellekt, um nach Erklärungen zu suchen oder sie zu erzwingen. Diese Art der intellektuellen Sperrung blockiert holistische Einsicht und legt dem Geist die Zwangsjacke linearen Funktionierens an. Wenn die Einsicht bereit ist, ob während oder nach einer Therapiesequenz, dann kommt sie.

12. Sanftes Nachdenken über deine Probleme zwischen zwei Sitzungen ist nicht schlecht, solange es auf entspannte Weise geschieht. Doch eine Einsicht kommt so gut wie immer in einem Moment des Loslassens. Wenn du zwischen den Sitzungen über ein Thema nachdenkst und dich dabei zwanghaft darauf konzentrierst, dann bleiben Einsichten sehr wahrscheinlich fern. Deshalb ist es wichtig, dass du dir während deiner täglichen Reise genügend vegetative Zeit lässt, Zeit, in der du dich einfach gehen lässt.

13. Wahrscheinlich musst du während etlicher Jahre mehrmals pro Woche mentale Hygienearbeit machen, wie ich sie oben beschrieben habe. Doch sei dabei nicht zwanghaft, denn es kann Zeiten geben, in denen deine Psyche es nötig hat, ihre therapeutischen Bemühungen Wochen, Monate oder gar Jahre lang ruhen zu lassen, um so einige der tiefen Veränderungen, die vielleicht in dir stattfinden, zu integrieren.

14. Erinnere dich daran, dass Körper und Seele Entspannung brauchen. Mache deine Therapiesequenzen nicht so oft, dass du dich in einen Zustand der Erschöpfung bringst. Finde den Rhythmus und die Intensität, die für dich richtig sind. In deinem Herzen weißt du immer, ob du dabei bist, dich zu heilen oder dir zu schaden.

15. Andererseits sage ich meinen Klienten oft, es gebe keinen Grund,  Schmerz mit sich herum zu schleppen. Wenn Schmerz hoch kommt, dann lege dich hin, so schnell es unter den gegebenen Bedingungen eben geht, und nutze deine Kompetenzen in mentaler Hygiene, die ich beschrieben habe. Es ist auch OK, gelegentlich leichter oder sanfter an dir zu arbeiten, wenn du dich in einer therapeutisch ruhigeren Phase deiner Reise befindest. Du kannst deinen Schmerz sanft wegblasen, indem du mit beinahe jeder unserer Techniken weniger intensiv arbeitest.

 

KAPITEL 28

Erfahrung versus Symbolisierung

 

Es gibt einen Spruch im Zen, der etwa wie folgt lautet:

Ein Wort,
Und Himmel und Erde
Sind gespalten in Zwei.

Dieser Spruch soll uns darauf hinweisen, dass Erfahrung durch die Symbolisierungsprozesse des Gehirns verwässert wird. Das Wort oder das Symbol ist nicht das, was es bezeichnet.

Der Gebrauch von Worten schafft augenblicklich eine Distanz zu unserer Erfahrung und trennt uns von unserem potenziellen Einssein mit dem Fluss des Universums.

Genau aus diesem Grund ist es für uns so wichtig, zu fühlen und zu empfinden. Genau aus diesem Grund ist es für uns von so zentraler Bedeutung, unsere Kongruenzen herzustellen. Unsere Kongruenzen führen uns nach innen und lassen uns eins werden mit unserem eigenen kleinen Teil des universellen Flusses.

Daher bereitet uns das Verrichten dieser inneren Arbeit auf  das Auftauchen der HOLISTISCHE EINSICHT vor. Holistische Einsicht ist Einsicht, die diesem Fluss entspringt.

Wenn wir uns dann dafür entscheiden, die Ebene des psychobiologischen Bewusstseins zu verlassen und die ultimative Erfahrung Plötzlicher Erleuchtung anzustreben, sind wir endlich für das eigentliche Satori bereit.

Wenn du dir den Rat irgendeines Menschen anhörst, und dazu gehören auch und vielleicht besonders Therapeuten, dann frage dich, ob dir ihr Rat hilft, dein Selbst zu erfahren, oder ob sie dich damit nicht eher von deinem Selbst entfernen und und dich von ihm abschneiden.

Oh ja, bevor ich es vergesse...

Da gibt es noch etwas:

Mehr als zwei Drittel meiner Klienten haben mir von einem vertieften Sinn für Spiritualität berichtet.

Das hat mich überrascht - aber warum eigentlich? Habe ich es doch selbst so erlebt.

Wenn man sich lange und diszipliniert auf etwas fokussiert, führt das schließlich immer zu einem sich vertiefenden Gefühl des Staunens.

Staunen liegt ganz nahe bei der Ehrfurcht.

Und Ehrfurcht ist das Tor zur Ewigkeit.

- PV


 

ANHANG

Bilder, Bildersequenzen und Träume

 

Für Menschen, die mit den modernen Techniken der Traumdeutung nicht vertraut sind, biete ich hier eine äußerst kurze Einführung in die Enträtselung der Bedeutung hinter diesen scheinbar bizarren Mitteilungen. Wir wollen die Träume von ihrer Verkleidung befreien.

Die Grundregel im Reich der Vorstellung besagt, dass Bilder immer für etwas stehen, das in uns aktiv ist. Ich habe bereits gesagt, dass das Gehirn den Schmerz ebenso wie das Wissen, wie dieser Schmerz zustande kam, verabscheut. Wir haben gesehen, wie das Gehirn seinen Schmerz nach außen schickt, um uns mittels der sechs Mechanismen, über die wir weiter oben gesprochen haben (spezifische Körperempfindungen, etc.), etwas mitzuteilen.

Wenn das Gehirn den Wunsch hat, innerhalb seiner selbst aktiv zu werden, um seinen Schmerz zu enträtseln und auszudrücken, so benutzt es die Bilder dabei so, dass es das bewusste Wissen seiner eigenen Verletzungen vermeidet. Auf diese Weise bleibt es seinem Kampf treu, sein Material zu verarbeiten, ohne dabei unser Bewusstsein wissen zu lassen, wie verletzt wir sind, oder woher die Verletzung kommt. So geben uns Bilder und Träume Informationen in versetzter und symbolisch verkleideter Form. Freud lehrte uns vor hundert Jahren, dass die normale Zensur der Psyche sich in unseren Traumerfahrungen lockert, sodass sie nicht logisch sein müssen. Wir können von einem Gebäude herabspringen. Wir können unter Wasser auf einem Fahrrad fahren. Wir brauchen die Alltagslogik und die Alltagsnotwendigkeiten nicht länger zu befolgen. So können Bilder und Träume ohne Rücksicht auf die Alltagsrealität fließen und völlig unsinnig erscheinen. Doch in diesem Handbuch haben wir uns bereits mit dem Nonsens der Symptome vertraut gemacht. Wie wir schon gesehen haben, scheinen sie zwar, oberflächlich betrachtet, unlogisch, aber sie gehorchen immer der tiefen, inneren Notwendigkeit, einen psychologischen Prozess abzuschlieβen (eine Gestalt zu bilden). Wenn wir, genau wie den Symptomen, Bildern und Träumen mit einigen wenigen einfachen Werkzeugen nachgehen, werden die darunter liegenden Prozesse immer frei gelegt.

Wir wollen nun Bilder, Bildabläufe und Träume studieren, indem wir ein Beispiel konstruieren und uns dann anschauen, wie es von Grund auf aufgebaut wird. Das wird uns später erlauben, mit dem, was wir an der Oberfläche sehen, anzufangen und uns dann den ganzen Weg  hinunter zu dem durchzuarbeiten, was darum kämpft, sich Gehör zu verschaffen.

Nimm dir ein Thema vor, das dich belastet und verwandle es in eine Metapher.

Nehmen wir zum Beispiel einmal an, deine ältere Schwester kritisiert dich ständig und verletzt dich damit immer wieder. Wir könnten dieses Grundproblem in eine Metapher verwandeln, indem wir Bilder benutzen, die deinen Kampf darstellen. Zum Beispiel könntest du einen Traum haben, in welchem du ein Kind bist, welches im Sand direkt am Meer sitzt. Du errichtest wunderbare Sandburgen, doch leider liegen diese zu nah an den stürmischen Wellen. Jedes Mal, wenn du deine Burg errichtet hast, kommt eine Welle und spült sie weg, und alles, was du aufgebaut hast, war umsonst.

Das Meer ist deine Schwester und zerstört unaufhörlich, unbarmherzig und unerbittlich alles, was du tust. Genauso, wie ihre Kritik deine Bemühungen in der realen Welt zerstört, so zerstört auch das Meer deine Bemühungen in der Traumwelt.

Angenommen, du verstehst nichts von alledem, du hast einen solchen Traum und gehst damit zu deinem Therapeuten. Wie hilft dir nun dein Therapeut dabei, von dem Traum, den du in dir siehst (manifester Trauminhalt) zu dem darunter liegenden Thema, mit dem sich dein Gehirn in verkleideter Form herumschlägt (latenter Trauminhalt), zu gelangen? Es gibt verschiedene gebräuchliche Methoden, welche uns von der Oberfläche des Traums in die Tiefen des Problems führen.

 

DEUTUNG EINER BILD- UND TRAUMSEQUENZ

Erste Methode: Die Methode der Gestalttherapie nach Fritz Perls

Fritz Perls sagte uns, der Traum sei ein Stück auf einer Bühne, und wir sollten zu jedem Bild werden, ob belebt oder unbelebt, und diesem Bild eine Stimme geben. Wir sollen in jedes Symbol eindringen und die Wahrheit dieses Symbols aussprechen. Um den oben erwähnten Traum zu enträtseln, könnte der Klient so zu dem kleinen Mädchen werden und dann den Traum des kleinen Mädchens in der Ich-Form erzählen (im Präsens und mit dem Personalpronomen).

- Ich bin ein kleines Mädchen, und alles, was ich baue, wird zerstört. Wie sehr ich mich auch bemühe, nichts entkommt der Zerstörung durch das Meer.

- Ich bin das Meer. Ich werde alles zerstören, was du baust, ganz egal, wie viel Mühe du dir auch gibst.

- Ich bin die Sandburg. Ich werde zerstört.

Perls ging einen Schritt weiter und schlug vor, Dialoge zwischen den Traumsymbolen zu entwerfen. Zum Beispiel könnte das Meer zu dem kleinen Mädchen sprechen.

- Ich bin das Meer. Ich hasse dich, du kleines Mädchen. Ich bin groß und mächtig und werde dich zerstören.

- Ich bin das kleine Mädchen und hasse dich für das, was du mir antust.

An diesem Punkt würde die Klientin gewöhnlich die Verbindungen herstellen, die für sie von Bedeutung sind. Wenn nicht, so könnte sich der Therapeut erkundigen, ob dieser Traum in metaphorischer Form ihre aktuelle oder vergangene Lebenssituation auch tatsächlich richtig darstellt oder dafür steht. Hätte die Klientin die Verbindung bis dahin noch nicht hergestellt, so würde sie jetzt wahrscheinlich zu der Einsicht kommen, dass das Meer tatsächlich ihre Schwester ist, die versucht hat, alles, was sie in ihrem Leben aufgebaut hat, zu zerstören. So ist der Traum eine Darstellung ihrer Existenz in der Gegenwart oder der Vergangenheit. In diesem Sinn ist der Traum eine existenzielle Aussage und erlaubt es dem Gehirn, eine schmerzvolle oder konflikthafte Lebenssituation auszudrücken, ohne wissen zu müssen oder direkt zu fühlen, was nicht in Ordnung ist. Der Abscheu des Gehirns vor dem Schmerz und den Prozessen, welche ihn verursachen, führt einerseits zur Vermeidung des direkten Verstehens und erlaubt andererseits den Versuch, den Konflikt zu verarbeiten.

 

DEUTUNG EINER BILD- UND TRAUMSEQUENZ

Zweite Methode: Der intuitive Sprung

- Ich träumte, wie meine Sandburgen vom Meer zerstört wurden.

* Erinnert das dich an etwas?

- Ja, meine Schwester versucht ständig, mich mit ihrer Kritik zu zerstören.


DEUTUNG EINER BILD- UND TRAUMSEQUENZ

Dritte Methode: Der gefühlsorientierte Ansatz (Therapie der Stufe Vier)

Bilder und Träume ergeben, falls man sich jeweils auf nur ein Bild fokussiert, so gut wie immer ein Gefühl. Manchmal ist es eine Bildersequenz, welche ein Gefühl mit sich bringt, manchmal ist es ein ganzer Traum, und manchmal sind es auch mehrere Gefühle.

Wenn wir die Bilder und die Bildersequenzen behandeln wie irgendein anderes Symptom, das wir studiert haben, d.h. uns auf sie einlassen und eins mit ihnen werden, so kommen wir sehr schnell zu den Grundmethoden zurück, die wir in diesem Handbuch behandelt haben. Tatsächlich greifen wir auf die Methode des DABEIBLEIBENS zurück, die ja einer unserer Tricks ist, um die Tricks des Gehirns zu neutralisieren. Wir halten uns auch an die Regel, gemäß der wir die realen Gefühle und Empfindungen finden müssen, welche, offen oder versteckt, mit den sechs Haupt-Alarmsystemen des Körpers verbunden sind. Erinnere dich daran, wir tun das, weil wir die Gegenwart der realen Gefühle brauchen, um den Kompass unseres Bewusstseins auszurichten, und wir brauchen die nötige Intensität, um das defensive Netz zu durchdringen.

Wir sollten auch noch etwas anderes beachten: Da Gefühle einfach und mächtig sind, schneiden sie durch unsere intellektuellen und symbolisierenden Abwehrmechanismen hindurch wie ein heißes Messer durch die Butter; dabei suchen sie immer nach dem Grundthema, nach dem Schmerz ausstrahlenden Ereignis, welches zu dem eleganten, komplexen und intellektuellen Überbau geführt hat. Das Gefühl, welches jedem Symptom zu Grunde liegt, zieht unsere Aufmerksamkeit unfehlbar auf sich, und zwar unabhängig davon, wie verworren, vielschichtig oder symbolisch die Symptomschichten auch sein mögen.

Zusätzlich dazu erlauben uns die Gefühle, die Kongruenzen zu schaffen, welche ihrerseits diese Gefühle wiederum intensivieren, mit denen wir zu verschmelzen versuchen. So haben Gefühle eine vierfache Bedeutung auf der therapeutischen Reise. Kein Wunder, dass sich gefühlsorientierte Therapeuten so sehr dem Fühlen der Gefühle widmen.

Wir wollen nun unseren Traum enträtseln, indem wir den gefühlsorientierten Ansatz der Therapie der Stufe Vier benutzen:

- Ich träumte, ich sei ein kleines Mädchen, welches am Meer sitzt und Burgen baut. Jedes Mal, wenn ich eine Sandburg errichtet hatte, spülte das Meer sie weg.

* Was ist dein Gefühl in diesem Traum?

- Ich bin wütend.

* Geh in deine Wut, lass sie hoch kommen, bleibe mindestens eine halbe Minute in deiner Wut und sage dann bloβ die einfachen Worte, Sätze oder Laute, die von dort hoch kommen.
-
(lange Pause) Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich.
* Schrei es hinaus, so laut du nur kannst.

- ICH HASSE DICH, ICH HASSE DICH, ICH HASSE DICH (Pause) Es ist meine Scheißschwester. Sie versucht, alles zu zerstören, was ich tue (und so weiter).

Hier sehen wir es wieder einmal: Wenn wir in einem Gefühl bleiben, schneidet es durch die symbolischen Prozesse des Gehirns hindurch und führt damit schnell zu den unterschiedlichen Ebenen der HOLISTISCHEN EINSICHT. Am Ende kann man Gefühle niemals reinlegen. Das ist der Grund dafür, dass Menschen, die uns manipulieren möchten, es vorziehen, wenn wir nicht fühlen.

Manchmal, wenn alles andere scheitert, kehre einfach von Zeit zu Zeit zum Traum zurück und frage, wie er dein Leben darstellt. Früher oder später erhältst du die Antwort.