HILF MIR --
ICH BIN’S LEID, MICH
SO SCHLECHT ZU FÜHLEN
Neuere,
einfachere und wesentlich tiefere Anleitungen,
um ernsthaften emotionalen Schmerz und Stress zu überwinden
PAUL
VERESHACK, M.D.
TEIL EINS - ERLEBEN
Tiefentherapie einschließlich der Anwendung von Berühren und Halten
TEIL ZWEI - ERWACHEN
Der
gefühlsorientierte Umgang mit ernstem emotionalen Schmerz und Stress
TEIL EINS Alles Wissen oberhalb des
Abgrundes · VORWORT · Einleitung in Teil 1 · KAPITEL 1: Ein wenig Hintergrundwissen · KAPITEL 2: Wie das zentrale Nervensystem geschädigt wird · KAPITEL 3: Therapeutische Intensitätsstufen · KAPITEL 4: Wie holen wir das Unbewusste herauf? · KAPITEL 5: Das aktive Bestreben des Gehirns, das Unvollendete
zu · vollenden · KAPITEL 6: Direktes Therapeutisches Nähren · KAPITEL 7: Die Lust des Therapeuten als Problem in der · Regressionstherapie · KAPITEL 8: Anforderungen an Regressionstherapie der Stufe · Vier · KAPITEL 9: Gefahren, Vorsichtsmaßnahmen und Indikationenen für · die Therapie |
TEIL ZWEI Je schwieriger die Therapie, desto ängstlicher der
Therapeut -
Konsequenz aus dem ersten Gesetz der Regressionstherapie · Einleitung in Teil 2 · KAPITEL 10: Das Grundproblem von Stressbewältigung und · Innerem Wachstum · KAPITEL 11: Wichtige Vorsichtsmaßnahmen, die man unter
keinen · Umständen ignorieren sollte · KAPITEL 12: Wer sollte die Reise unternehmen? · KAPITEL 13: Was macht das Gehirn, wenn es im Schmerz ist · KAPITEL 14: Wie das Gehirn uns auf seine Notlage hinweist · KAPITEL 15: Das Problem mit der Erlebnisintensität · KAPITEL 16: Schwimmen im Meer der Regressionstherapie · KAPITEL 17: Was wir im Meer des
tiefsten Selbst zu tun versuchen · KAPITEL 18: Mögliche Ergebnisse
des Verschmelzens · KAPITEL 19: Wie sich unser Gehirn
wehrt: Widerstand · KAPITEL 20: Die Muster, Kräfte und Tricks, die das
Unbewusste · benutzt, um uns aus dem eigenen Kopf heraus zu halten · KAPITEL 21: Gegenmaßnahmen, um die Abwehrtricks des
Gehirns · aufzulösen · KAPITEL 22: Spezifische Gegen-Muster um die Abwehrtricks
des · Gehirns zu unterlaufen · KAPITEL 23: Die innere Einstellung als therapeutischer · Schlüssel · KAPITEL 24: Reinheit der Absicht und therapeutische Arbeit · KAPITEL 25: Weltlichkeit gegen Innerlichkeit (AS) · KAPITEL 26: Therapie ohne Therapeut/-in (RWR) · KAPITEL 27: Zusammenfassung der Anweisungen (AS) · KAPITEL 28: Erfahrung versus
Symbolisierung (RWR) · · ANHANG: Bilder, Bildersequenzen und Träume (AS) · |
"Dieses Buch
von Dr. Vereshack enthüllt mehr vom Prozess der Primärtherapie als alle
vorangegangenen Bücher auf diesem Gebiet zusammen. Die Geschichte wird zeigen,
dass diese Arbeit
der wichtigste Einzelbeitrag dieses
Jahrhunderts zur Weiterentwicklung
der Primärtheorie und -praxis ist.“ (Donald
Allan)
Vorwort
Im Herbst 1991 musste ich mich vor der Berufsvereinigung der Mediziner und
Chirurgen von Ontario gegen zwei Anklagen wegen sexuellen Fehlverhaltens in
meiner Praxis verteidigen. Ich hatte über das, was in meinem Beruf als
annehmbar angesehen wird, hinaus experimentiert, und ich war mir dessen
durchaus bewusst. Die Öffentlichkeit wurde vom Verfahren ausgeschlossen. (Für
dieses Buch wurde eine Ausnahme
gemacht, da Teil 1 bereits geschrieben war und keine spezifischen Informationen
über die Anhörung preisgab.)
Das juristische Verfahren, das ja
bekanntlich seine Zeit braucht, gab mir über ein Jahr, um in einem Text für den
Disziplinarausschuss meine besonderen und ungewöhnlichen Psychotherapiemethoden
genau darzustellen.
Ich entschloss mich, diese
Darstellung als Buch zu veröffentlichen, obwohl mich viele Menschen dazu
drängten, den Text umzuschreiben. Sie sagten, ich solle mich aus dem Text ganz
herausnehmen und einige sehr kontroverse Beispiele meiner Arbeit abändern, um
den Text auf diese Weise akzeptabler zu machen.
Nach vielem Nachdenken habe ich
beschlossen, den Text so zu lassen, wie ich ihn vor Gericht präsentiert habe,
und zwar deshalb, weil er meiner realen und lebendigen Erfahrung entspricht,
und weil er Wort für Wort mein Bemühen darstellt, mich einfach und klar
verständlich zu machen. Teil eins diese Buches ist im Wesentlichen das, was das
Gericht gehört hat.
* *
*
In Oktober 1991 kam es zu dem
viertägigen Verfahren vor dem Disziplinarausschuss der Vereinigung der
Mediziner und Chirurgen von Ontario, dem zuständigen Gremium dieser
Vereinigung. Zusätzlich zur Präsentation des ersten Teils dieses Buches traten
23 Frauen, fünf Männer und zwei Paare, auf, um das Wesen meiner Arbeit und die
Wahrheiten, die in diesem Buch vorgelegt werden, zu bestätigen.
Trotzdem entzog mir die Vereinigung
meine Arztlizenz auf Lebenszeit. Daraufhin legte ich Berufung bei dem
"Divisional Court" von Ontario ein. (Dies entspricht in etwa dem
deutschen Oberlandesgericht und ist Teil eines zivil-öffentlichen
Gerichtssystems, Anm. d. Ü.).
In Oktober 1992 sahen die drei
Richter dieses Gerichts meine ursprüngliche Präsentation in einem anderen Licht
als die oben erwähnte Vereinigung. Dementsprechend hoben sie die lebenslange
Suspendierung auf und verkürzten sie auf 18 Monate, mit obligatorischer
Wiederzulassung.
Im Januar 1993 versuchte die
Vereinigung noch einmal, mir die Lizenz auf Dauer zu entziehen, doch das
Berufungsgericht von Ontario zeigte sich mit dem Urteil des "Divisional
Court" zufrieden und verbot jede weitere Berufung gegen mich. Der Fall war
damit geschlossen.
Kurz nachdem ich wieder zugelassen
worden war, gab ich meine Arztlizenz zurück. Seitdem arbeite ich in meiner Privatpraxis für Psychotherapie in
Toronto.
Einleitung
zu Teil eins
ERFAHREN
Tiefenpsychotherapie,
einschließlich des Einsatzes von Berühren und Halten
Alles
Wissen oberhalb des Abgrunds
Ist Wissen, das
vermeidet
-
Erstes Gesetz der Regressionstherapie
Dies ist ein Buch über neue
Techniken in der Tiefenpsychotherapie. Es ist einfach zu lesen, und es wird
dein Verständnis der Psyche sehr vertiefen.
Dieses Buch könnte sehr, sehr
gefährlich sein, wenn du es als Selbsthilfe-Handbuch ohne kontinuierliche
therapeutische Supervision gebrauchen würdest. In Teil zwei wird genau dieses
Thema sehr detailliert behandelt.
Die ungewöhnliche Art von
Psychotherapie, die ich praktiziere, machte es für mich notwendig, allgemein
akzeptierte therapeutische Methoden in Frage zu stellen. Ich fand heraus, dass
die Voraussetzungen einer Tiefenpsychotherapie oft völlig verschieden von denen
sind, die generell in der Psychotherapie gelten.
Wie Taucher, die Tausende von Fuß
unter der Meeresoberfläche so exotische Gase wie Helium einatmen müssen, um zu
überleben, so müssen auch Tiefentherapeuten und ihre Klienten sich mit
Praktiken befassen, die an der Oberfläche ihres Lebens exotisch, unnötig,
höchst problematisch und sogar unethisch erscheinen würden.
Kapitel 1
Ein wenig
Hintergrundwissen
Im Jahr 1969 beendete ich ein zwölf
Jahre dauerndes Studium an der Universität von Toronto: 3 Jahre an der
philosophischen Fakultät; 4 Jahre Medizin; ein allgemeines Praktikum von einem
Jahr in verschiedenen Fachabteilungen und 4 Jahre Vollzeitausbildung in
Psychiatrie in 5 psychiatrischen Ausbildungszentren in Toronto. Es waren dies:
das psychiatrische Krankenhaus von Toronto, das Wellesley Krankenhaus, das New
Mount Sinai Krankenhaus, das Clarke Institut für Psychiatrie und die
psychiatrische Abteilung der Universität des Gesundheitswesens von Toronto.
Während eines Seminars für
Fortgeschrittene am Ende meiner Ausbildung, bei dem ich die theoretischen
Grundlagen ständig in Frage stellte, sagte mir der Professor für Psychiatrie an
der Universität von Toronto schließlich: "Hören Sie um Himmels willen
endlich damit auf, das Rad immer wieder neu erfinden zu wollen!" Meine
damalige Antwort war genau die gleiche, die ich auch heute noch geben würde:
"Ich kann nicht anders". Obwohl ich die Psychotherapie damals genauso
liebte wie heute, war ich sehr enttäuscht darüber, wie wenig es ihr
offensichtlich gelang, Klienten tatsächlich zu heilen.
Mein Misstrauen gegenüber der
Psychotherapie hatte unterschiedliche Ursachen:
1. sie erfordert eine Unmenge an
Zeit;
2. die Klienten verändern sich nicht
so tief oder so signifikant, wie man es erwarten würde;
3. viele der Psychiater, die ich
kannte, schienen mir eine starke Reserviertheit, einen Mangel an Spontaneität
und an Wärme auszustrahlen, was bei mir ein tiefes Misstrauen auslöste. Ich
begann zu ahnen, dass Heilung eine Art direktes Nähren (nurture) erfordern
könnte, das die Menschen in meinem Beruf theoretisch einfach untragbar finden
würden, und das sie auf Grund ihrer Charakterstruktur ohnehin nicht würden
anbieten können.
Ich gewann allmählich den Verdacht,
dass die Psychiatrie in einem außerordentlich komplexen theoretischen Turm
wohnt, der hauptsächlich dazu dient, die Sicherheit der Menschen, die sie
praktizieren, zu gewährleisten. Tatsächlich bekam ich nach und nach das Gefühl,
dass die Psychiatrie die raffinierteste Form von persönlicher Abwehr ist,
welche die Welt je gesehen hat. Der Klient ist immer das Objekt, und der
Psychiater ist immer in sicherer Distanz, verschanzt hinter einer enormen Menge
an Theorie.
Ich erinnere mich, wie ich einmal
bei einer Tanzveranstaltung der psychiatrischen Gesellschaft die steifen,
hölzernen Körper meiner Kollegen beobachtete und zu dem Schluss kam, an unserem
ganzen Heilungsansatz müsse etwas falsch sein. Ich hatte diese Steifheit der
Bewegung auch an mir selber beobachtet, und in meinem Herzen wusste ich, dass
sie von unserer neurotischen Abwehrstruktur und der Körperpanzerung herrührt.
Inzwischen begann ich, eher aus dem
zu lernen, was ich sah und intuitiv spürte, eher als aus der Theorie, die man
mir beibrachte. Die Theorie schien mir irrelevant und stand mit dem Fluss des
Gesprächs und dem Schmerz meiner Klienten nur selten in Verbindung.
Ich selber fühlte mich zu diesem
Zeitpunkt, nach zwölf Jahren Studium und zwei unterschiedlichen, eigenen
Psychotherapien, von meinem Schmerz noch nicht so weit geheilt, wie ich es
erwartet hätte; gewiss, man hatte mir geholfen, aber ich war nicht wirklich
geheilt. Schließlich, als Krönung von alledem, löste ich meine Augen vom Boden,
auf dem ich stand, und betrat von der Seite her jene Welt, die man „humanistische Psychologie“ genannt hat, und dort ging alles
leichter und experimenteller zu.
Nach Freuds epischen Beiträgen zu
unserem Verständnis des Unbewussten machten viele Fachleute um die Mitte des
letzten Jahrhunderts auf diesem Gebiet weitere wichtige Schritte nach vorn.
Carl Rogers hatte gezeigt, dass klare,
spiegelnde Aussagen es der Psyche erlauben, auf ihrem eigenen Weg zu heilen, statt auf den Wegen, die von der
psychologischen Theorie diktiert werden. Allmählich ersetzte die Vorstellung
von Heilung als einer Entfaltung der Psyche, die von Konflikten befreit ist,
die Vorstellung von Heilung als einer Einsicht in eine ausgefeilte
psychiatrische Theorie.
Fritz Perls, der berühmte Begründer der
Gestalttherapie, fügte der Vorstellung von der Entfaltung der Psyche noch etwas
Wichtiges hinzu: Die Psyche kämpft immer darum, Unaufgelöstes in ihrem Inneren
abzuschließen oder, kurz gesagt, eine Gestalt zu bilden. Er gab uns einen
völlig neuen Satz von Werkzeugen, um unbewusstes Material herauf zu holen und
es innerhalb des größeren Ensembles psychischer Phänomene zu integrieren. Das
tatsächliche Erleben von bisher abgewehrten Prozessen und verschütteten
Verletzungen wurde so noch wichtiger als zuvor.
Und damit tauchte das ZENTRALE
PARADOX der ganzen Erlebnistherapie auf:
Wenn wir an das absolute Gefühlszentrum, an die schmerzhaftesten und
schlimmsten Erfahrungen, die uns je widerfahren sind, heran kommen, dann
brechen Schranken innerhalb der Psyche zusammen, wir erleben den Schmerz, und
wir werden emotional wieder ganz. Perls hat nicht all unsere Probleme
gelöst, aber er hat uns geholfen, einen gewaltigen Schritt in die richtige
Richtung zu gehen.
Mit seinem Psychodrama fügte Jacob
Moreno noch die Vorstellung hinzu, man könne die Pathologie durch die
Darstellung der Teile unseres Selbst und der Menschen aus unserer Vergangenheit
ausdrücken, und er baute seine Arbeit auf dieser Idee auf.
Alexander Lowen und Ida Rolf, die von Wilhelm Reichs Körperpanzer-Konzept
ausgingen, begannen, einen Zugang zu frühem, traumatischem Material über
körperliche Schmerzen und Fehlfunktionen zu finden. Die Idee der Berührung als
eines therapeutischen Werkzeugs war geboren.
Roberto Assagioli brachte in die psychische Heilung
spirituelle Vorstellungen ein.
Eric Berne analysierte die menschliche
Kommunikation und fand heraus, dass sie fast immer eine Manipulation zum
eigenen Vorteil darstellt.
Schon Fritz Perls hatte
betont, dass die menschliche Persönlichkeit mit ihrem endlosen Reden die Summe
all der Mittel darstellt, die wir je erlangt haben, um unsere Mitmenschen zu
manipulieren. Das wird in Kürze wichtig sein, wenn ich etwas über unsere
Therapie erzähle, welche die gewöhnlichen sprachlichen Abwehrmechanismen des
Menschen zerschlägt, sodass sie ihm nicht mehr zur Verfügung stehen.
Dann brach in die Therapieszene die
meiner Meinung nach wichtigste Figur seit Freud ein. Arthur Janov, der
in Los Angeles arbeitet, ging von einer sehr alten psychiatrischen Vorstellung
aus und brachte sie um die Mitte des 20. Jahrhunderts (um 1969, Anm. d. Ü.)
voll in die Psychiatriediskussion ein. Er entdeckte Folgendes: Wenn man eine
Person dazu bringt, sich in einem verdunkelten und schallisolierten Raum
hinzulegen, sie vom Reden abhält und sie bittet, bei dem zu bleiben, was sie
fühlt, dann bricht ihre Abwehr zusammen, und frühe traumatische Erinnerungen
und Schmerzen schießen an die Oberfläche, wo sie, manchmal recht konvulsiv,
ausgedrückt werden. Zu ihrem Erstaunen fühlen sich die Klienten nach solchen
Erfahrungen innerlich leichter und besser als je zuvor in ihrem Leben. Kurz
gesagt stellt jeder Kindheitsschmerz ein Trauma für das zentrale Nervensystem
dar und kann behandelt werden, als sei er eine traumatische Kriegsneurose,
jedoch ohne die Notwendigkeit, auf Sodium-Penthotal zurück zu greifen, um die
Regression zu erleichtern. Janov entdeckte, dass der Königsweg zum tiefen
Unbewussten nicht nur der Traum ist, wie Freud gesagt hatte; er bestand vor
allem darin, bei einem Gefühl zu bleiben, und sich nicht mit Reden davon
abzulenken.
Später werde ich Ihnen, so weit mir
bekannt, überhaupt erstmalig einen anderen Königsweg zum Unbewussten
vorstellen. Es gibt ein neues und sogar noch mächtigeres Prinzip, das es dem
Therapeuten ermöglicht, die Abwehr zu durchdringen und damit seinen Klienten zu
helfen, unbewusste Kindheitsschmerzen wiederzuerleben. Wenn Sie die Intensität
der Gefühle verstehen, mit denen ich in meiner Praxis arbeite, ebenso wie die
Notwendigkeiten, die sich in meiner Arbeit beim Umgang mit solchen Gefühlen
ergeben, so werden Sie, glaube ich, auch verstehen, dass das, was zu diesen
zwei Anklagen gegen mich geführt hat, nicht ein Mangel an Ethik meinerseits
ist, sondern ein Missverständnis bezüglich dieser Art von Therapie, ein Missverständnis,
das ich jetzt verstehe und bereinigt habe.
Janovs Technik brachte ernste
Schwierigkeiten mit sich, und diese Schwierigkeiten werden Ihnen zu verstehen
helfen, warum wir uns mit Praktiken befassen müssen, die recht ungewöhnlich
erscheinen, wie zum Beispiel die Anwendung des Ganzkörper-Haltens, wenn
bestimmte Stufen der Regression erreicht werden.
Das Problem, mit dem uns Janov
konfrontierte, war zweifacher Art:
1- Wenn die Abwehr anfängt
zusammenzubrechen, dann beginnt auch das Ego, das unsere integrierte Fähigkeit
zu funktionieren enthält, zu bröckeln, und so kann es zu einer erdrutschartigen
Desintegration bei unseren Klienten kommen. Menschen in der Tiefentherapie
können über Monate oder sogar Jahre hinaus psychisch ernsthaft gestört werden,
während sie sich in einer sich immer weiter vertiefenden Spirale von Schmerz
und Dysfunktion verfangen. Deshalb war es absolut notwendig, Methoden zu
finden, um nicht nur diese Desintegration zu kontrollieren, sondern auch, um
das Kind in uns, welches diese mächtigen, regressiven Techniken freilegen, zu
erhalten und zu nähren.
2- Der Therapeut muss seinen
Klienten dabei helfen, durch ein Eingangsfenster in das tiefere Selbst zu
gelangen, so wie es die Astronauten tun, wenn sie zur Erde zurückkehren. Das Niveau
der therapeutischen Intensität darf nicht so tief sein, dass sie das Gehirn vom
normalen Funktionieren abhält, aber es darf auch nicht so oberflächlich
bleiben, dass kein echtes Eindringen in das tiefere Selbst möglich ist. Es gibt
viele Wege, um die Häufigkeit, die Intensität und die Tiefe der Regression zu
kontrollieren.
Kapitel 2
Wie das
zentrale Nervensystem geschädigt wird
Es ist Aufgabe des zentralen
Nervensystems (ZNS), das mächtige und verschüttete Material aus der Kindheit
unter Verschluss zu halten, damit es nicht zu Suizid oder zu Mord kommt.
Das ZNS tut das, indem es ein
langsames Ablassen dieses Überdrucks in sehr verschleierter Form zulässt. So
kann etwa die Wut eines Kindes zum Skalpell eines Chirurgen werden; dadurch
wird sie ein Leben lang sowohl in Schach gehalten als auch in sehr
konstruktiver Weise „abgelassen“. Bei einem anderen Kind kann aus alter Wut die Klinge eines
Messers bei einer Straßenschlägerei werden. Oder sie wird zum Verriss eines
professionellen Kritikers.
Wie auch immer die Verkleidung
aussehen mag - der Druck kommt immer von demselben Ort, dem weiß glühenden
Inferno des Unbewussten, das von den Abwehrmechanismen der Psyche gebildet und
von diesen in alle Schattierungen und Texturen des Verhaltens der Erwachsenen
hineingetragen wird. Wir sind die lebendige Tarnung eines primitiven und
mächtigen Kindheits-Selbst.
Wenn wir eine Tiefentherapie
aufsuchen, bitten wir den Therapeuten, unser äußeres, zivilisiertes Selbst zu
durchdringen und zu beiseitigen, sodass die verwundeten und infizierten Teile
unseres Wesens frei- und trockengelegt werden und somit heilen können.
Therapeuten arbeiten in
unterschiedlicher Tiefe, jede Stufe hat seine eigene Methode und seine eigenen
Notwendigkeiten. Nur wenige von uns Therapeuten wagen es, das weiß glühende
Material des Unbewussten direkt anzugehen. Die meisten arbeiten nahe der
Oberfläche und lassen die Haie in der Tiefe lieber in Ruhe.
Therapie wird von den gleichen
Impulsen geleitet wie alles andere Verhalten auch: dem Bedürfnis,
Unabgeschlossenes abzuschließen und das Notwendige zu erreichen. Was Menschen,
die eine Therapie machen, von Durchschnittsmenschen unterscheidet, ist, dass
sie direkter als diese den frühen Schmerz, die Situationen, die ihn verursacht
haben und die Folgen, die sich dadurch in ihrem Erwachsenenleben ergeben,
aufzudecken und laut auszudrücken suchen. Heilung beginnt dann, wenn der Klient
mit dem unbewussten Material in Verbindung tritt und es über den riesigen Strom
seiner Abwehr ins Bewusstsein herüberholt. Bisher festgefrorene Vorgänge tauen
auf, treten ein in den Hauptstrom der psychischen Phänomene und werden
integriert: So verlieren sie die Macht, das menschliche Denken, Fühlen und
Verhalten aus einem unsichtbaren Versteck in unserem Inneren heraus, das wir
nicht sehen können, zu verzerren. Wir wollen uns nun die Verletzungen aus der
Kindheit anschauen, um zu sehen, was es ist, das wir zu heilen versuchen.
Es gibt nur zwei Arten, wie ein
Erwachsener ein Kind verletzen kann. Erstens kann er dem Kind sich selbst,
seine Anwesenheit, sein Mitgefühl, seine körperliche und verbale Unterstützung
vorenthalten. Vom Standpunkt der Kindes aus wird dies im Berufsjargon
"Objektverlust" genannt. Das elterliche Objekt fehlt. Das Kind
beginnt, langsam und unaufhaltsam, zu verhungern; der Baum seines Lebens, der
nicht genährt wird, verkümmert und verbiegt sich wie eine Pflanze, die keine
Nährstoffe erhält.
Die zweite Art, wie ein Erwachsener
ein Kind verletzen kann, besteht darin, dass er in seine Welt mit verbalem,
körperlichem oder sexuellen Missbrauch eindringt. In unserem Berufsjargon wird
das als "Eindringen ins Objekt" bezeichnet, und wiederum verkümmert
der Baum.
Die meisten Kindheitstraumata
enthalten beide Arten von Verletzung. So erfährt ein Kind, das geschlagen wird,
einen Übergriff, und es erleidet zugleich einen gravierenden Verlust an
Mitgefühl.
Ein Trauma muss nicht plötzlich und
dramatisch ein. Es kann auch in kleinen Dosen über einen längeren Zeitraum
entstehen.
Die Unfähigkeit seitens der Eltern,
ihren Kindern richtig zuzuhören, ohne ihre eigenen Gedanken und Gefühle der
Psyche des Kindes überzustülpen, ist eine der verletzendsten Verhaltensweisen
der Eltern. Sie unterbricht das Wachsen des Selbst durch die dauernde
Verleugnung der inneren Wirklichkeit und der Gefühle des Kindes. Dieser Mangel
an Mitgefühl und die endlose Anwendung von Regeln und Überzeugungen, welche die
dem Kind eigenen inneren Vorgänge überrollen und missachten, kann über die
Jahre die inneren Ausgleichsmechanismen des sich entwickelnden Gehirns
zerstören.
Dieses Fehlen von Mitgefühl kann
schließlich ebenso viel Schmerz und Behinderung erzeugen wie tatsächliche
physische Gewalt.
- Mami, Mami, der Lehrer war heute
gemein zu mir.
- Ach was, er hat's doch nur gut
gemeint.
Wenn das Kind auf diese Weise seine
Gefühle nicht erkunden darf, wenn sie da sind, und dies zigtausend- mal während
der Jahre seines Aufwachsens, dann behindert das die zarten Vorgänge in der
jungen Seele ganz entscheidend.
Das meines Wissens beste Buch zu
diesem Thema ist Elternschule von Thomas Gordon.
Wenn negative Einflüsse auf das Kind
einwirken, wie verkrümmt und verbiegt sich dadurch der Baum des Lebens? Ganz
einfach, das Kind versucht, den Schmerz zu vermeiden, indem es nicht nur den
Schmerz, sondern gleichzeitig auch große Teile seiner psychischen Prozesse
unterdrückt. Gedanken, Bedürfnisse, Gefühle und Verhaltensweisen, die zum
Schmerz führen könnten, oder die es später im Leben an den Schmerz erinnern
könnten, werden ins Unbewusste abgedrängt; so werden viele seiner inneren
Vorgänge "offline" geschaltet (um die Computersprache zu benutzen ),
und das Kind baut sich bewusst und unbewusst ein Selbst auf, das zu Sicherheit
und zur Befriedigung seiner Bedürfnisse führt. Rebellion gegen, oder aber
Vermeidung und Anpassung an seine Welt, gewinnen die Oberhand. Durch diese
Unterdrückung seines realen und organischen Selbst wird das Unbewusste des
Kindes mit Schmerzen und unbefriedigten Bedürfnissen angefüllt; so sorgfältig
wir diese auch zu verstecken suchen, sie machen sich auf vielfältige und
subtile Weise bemerkbar und zerstören unser erwachsenes Leben.
Aus dem geschädigten Kind werden
zwei Erwachsene:
1- Erstens entsteht so das falsche,
äußere Selbst, in dem wir in einem gewissen Ausmaß alle wohnen. Dieses Selbst
wurde aufgebaut, um den inneren Schmerz in Schach zu halten. Es sieht sich
selbst nicht, oder besser gesagt, wir sehen uns selbst nicht als falsch an, und
wir kämpfen, wie eine in die Enge getriebene Ratte, darum, unsere Sicht der
Wirklichkeit aufrecht zu erhalten - ungeachtet der äußeren Realität. Und diese
falsche Sicht der Realität wird uns durch den kulturellen Konsens immer wieder
nahe gelegt.
2- Das zweite Selbst ist das
darunter liegende verletzte Kind, das immer noch in einem Druckkessel aus
Schrecken, Angst, Wut und Traurigkeit lebt. Bei einem verletzten Kind finden
wir gleichzeitig ein zunehmend chaotisches Unbewusstes und eine zunehmende
Schwäche des Selbst, welches das Unbewusste unter Verschluss halten muss. So
wird das Selbst brüchig, verschreckt, leicht reizbar, sturmgepeitscht und
lebensuntüchtig. Dadurch missverstehen wir unsere Welt und überreagieren auf
sie. Diese Kräfte sind ungeheuer mächtig. Man braucht nur an ein Kind zu
denken, das nicht im Arm gehalten und in seinem Bettchen allein gelassen wird.
Zuerst schreit es nach Aufmerksamkeit, dann fällt es in eine Depression, und
schließlich stirbt es an dem, was man Marasmus nennt.
Versetzen Sie sich doch für einen
Augenblick in dieses sterbende Kind hinein, und Sie beginnen, die Kräfte zu
verstehen, mit denen ich mich befasse. Diejenigen unter uns Therapeuten, die
ihre Klienten in der Zeit zurückführen, damit sie diesen Schmerz direkt
erfahren, setzen sich damit der unglaublichsten emotionalen Intensität und den
schwersten therapeutischen Herausforderungen aus. Die Welt in der Tiefe unserer
Seele erscheint zuweilen höchst
eigenartig.
Womit der Therapeut ringt, ist ein
falsches Selbst, das fest um einen Kern von Schmerz geschlossen ist, den es
zugleich fühlen und nicht fühlen will.
Nun müssen wir aber, getreu dem
zentralen Paradox der Tiefentherapie, zusammen mit unserem Klienten in das
Zentrum dieser chaotischen Orte reisen. Die Befreiung, die wir mit dem
Heraufholen dieses Materials an die Oberfläche erreichen, ist die einzige und
endgültige wirkliche Befreiung, die wir erreichen können. Jede tiefe Heilung
geschieht im Umkreis dieses Paradoxons. Um es kurz zu sagen: Fühle es, und
du wirst davon befreit. Es ist schon erstaunlich, wie die überwiegende
Mehrzahl der Therapeuten ebenso wie der Klienten alles tut, um diese Wahrheit
zu vermeiden. Die Psychotherapie ist vor dieser Einsicht geflüchtet und hat an
ihrer Stelle große Theorieburgen errichtet, die, wie erwähnt, dem Zweck dienen,
den Therapeuten vor den Gefühlen zu schützen, die ein Klient, der sich in
tiefer Regression befindet, in ihnen auslöst.
Als Assistenzarzt in der Psychiatrie
erhielt ich eine Ausbildung in den klassischen Denkmethoden und brauchte dann
25 Jahre und mehr als 32000 Stunden Psychotherapie, um mich durch das
ehrwürdige Gebäude der psychodynamischen Theorie durchzuarbeiten und die
einfachen Wahrheiten zu finden, die ich heute mit Ihnen teilen will. Meine
Methoden funktionieren bei den Menschen, die sie anzuwenden wissen. Ich habe
mehr als 1000 Klienten, darunter wenigstens 700 Frauen, behandelt. Ich weiß,
wovon ich spreche.
Kapitel 3
Therapeutische
Intensitätsstufen
Therapeutische Intensität: Stufe
Eins
Die Psychotherapie auf Stufe eins,
umgangssprachlich auch Therapie ‚im Sitzen' genannt, funktioniert
folgendermaßen: Therapeut und Klient sprechen in einem angenehm eingerichteten
Raum in der Sitzposition miteinander. Diese Körperhaltung unterstützt eine
bewusste, defensive Selbstdarstellung beider Selbste. Therapeut und Klient
verhalten sich nach üblichen Standards höflich und rational. Die Wirkung ist so
ähnlich wie bei einer seriösen Unterhaltung im Rahmen der peinlich genau
eingehaltenen Konventionen einer Teegesellschaft. Die Distanz zu tiefem Schmerz
ist maximal, und das gilt für den Therapeuten genauso wie für den Klienten.
Dieser präsentiert eine Geschichte und spricht über die Ereignisse in einer im
Wesentlichen logischen, linearen und diskursiven Art und Weise. Während er über
die Ereignisse aus der Vergangenheit nachdenkt und sich aktiv an diese
erinnert, befindet sich das Gespräch jederzeit unter der Kontrolle des
Bewusstseins. Der Therapeut hört aufmerksam und objektiv zu, und die
Bemerkungen, die er macht, sind klientenzentrierte Spiegelungen. Eventuell
bietet er auch Ratschläge an. Die Klienten erwarten vom Therapeuten
Unterstützung, Klärung und Bestätigung, und dabei hoffen sie mehr oder weniger,
dass ihre Abwehr auf diese Weise nicht allzu sehr in Frage gestellt wird. Sie
wollen, dass ihre Überzeugungen und ihre Werte, kurz, ihre Persönlichkeitsstruktur,
weitestgehend intakt bleiben.
Es kommt nicht zu einer ernsthaften
Bedrohung ihrer bewussten Vorstellung davon, wer sie sind, und wie sie
funktionieren. Was der Klient erwarten kann, ist etwas Erleichterung bei seinen
aktuellen Gefühlen und Verhaltensweisen, die aber meist nur von kurzer Dauer
ist. Das zentrale Nervensystem bleibt im Wesentlichen geschlossen, und es kommt
nicht zu tiefen Veränderungen bei den inneren Vorgängen. Diese Art Therapie ist
das, was die meisten Spezialisten für seelische Gesundheit, vom Psychiater bis
hin zum Sozialarbeiter, anbieten. Sie hat Tradition, ist sicher und bewirkt nur
minimale Veränderungen.
Therapeutische Intensität: Stufe
Zwei
Hier kommt es zu dem, was wir auch Therapie
"im Liegen" nennen. Der Klient liegt in einem behaglichen,
strukturierten Raum und wird, auf Grund dieser Körperhaltung, allmählich von
dem bewussten, alltäglichen und defensiven äußeren Selbst frei. Der Therapeut
sitzt gewöhnlich in einem bequemen Sessel. Die entscheidende Veränderung auf
dieser Stufe ist der Abbau der Alltagslogik – sie wird ersetzt durch den Gebrauch
der freien Assoziation, einer von Freud entwickelten Technik. Indem wir
zulassen, dass die Gedanken einfach auftauchen, statt sie selbst bewusst zu
manipulieren, betreten wir die Welt nicht-logischer Erfahrung, und diese
erlaubt es tieferem Material, leichter und flüssiger ins Bewusstsein hoch zu
kommen. Verbindungen entstehen nun freier, durch Assoziation statt durch Logik.
Hier, auf Stufe Zwei, werden wir zum ersten Mal zum Empfänger von
Informationen, die direkter aus den tieferen Schichten der Psyche stammen.
Die Äußerungen des Klienten richten
sich verstärkt an der Notwendigkeit aus, dass unerledigtes Material aus dem
Inneren zum Ausdruck kommen soll.
Aber immer noch wird mächtiges
Material, wenn es ins Bewusstsein tritt, in einen linear verlaufenden
sprachlichen Ausdruck gebracht, und Gefühle werden immer noch in die Form
logischer Unterhaltung gepresst. Dadurch wird sichergestellt, dass
Psychotherapie auf Stufe Zwei nicht tiefer geht und auf Stufe Drei gerät. Und
ebenso werden damit dem Fühlen von tieferem Schmerz enge Grenzen gesetzt.
Unter Umständen wird mit der Zeit
dennoch ein tieferes Eindingen in die Persönlichkeit erreicht, und es kann
durchaus zu einem realen In-Frage-Stellen unserer grundlegenden Vorstellungen
über unser Selbst kommen, mit entsprechend tieferen Veränderungen.
Auf dieser Stufe vertieft sich die
Verletzbarkeit des Klienten und damit auch die Notwendigkeit, dem Therapeuten
zu vertrauen. Der Therapeut bleibt weiter in der aufrechten Sitzposition und
überwiegend auch in seinem logischen Denken, er ist "professionell
losgelöst vom Schmerz des Klienten", höflich, hilfreich und bis zu einem
gewissen Grad auch intuitiv, bleibt aber gleichwohl distanziert und
verstandesbetont analytisch. Wenn tieferes Material zu direktem Ausdruck
drängt, wird dieser Impuls unterbunden und frustriert. Aus diesem Grund sind
Psychotherapien, wie etwa die Psychoanalyse, bekannt dafür, dass sie sich über
viele Jahre hinziehen, ohne zu einer wirklichen Lösung zu führen.
Therapeutische Intensität: Stufe
Drei
Auf Stufe drei erfolgt ein
Durchbruch, der mit zu den bedeutsamsten in der modernen Psychotherapie zählt.
Erstmals werden Gefühle und Körperempfindungen benutzt, um die freie
Assoziation hin zu tiefem, unbewusstem Schmerz zu lenken. Auch während der
ganzen Therapie werden sie im Vordergrund gehalten, um die Einsichten, die ins
Bewusstsein treten, zu verankern und ihnen mehr Intensität und Bedeutung zu
verleihen.
Die einfache und tiefe Wahrheit der
Tiefentherapie, die weltweit, vor allem in Nordamerika, entdeckt wurde, ist
folgende: Wenn jemand sich in einer
bequemen, neutralen Position auf den Rücken legt, mit den Armen seitlich und den
Beinen unverschränkt, und wir ihn dann bitten, sich nicht auf Gedanken, sondern
auf Gefühle und/oder Körperempfindungen bzw. auf körperliches Unbehagen zu
fokussieren, dann beginnen diese Empfindungen, nach einer kurzen Phase der
Neuorientierung des psychophysischen Systems, wie Magnete zu wirken und genau
jene Erinnerungen anzuziehen, die verdrängt waren.
Mit am meisten beigetragen zu diesem
Bereich, den ich mittelintensive Therapie auf Stufe Drei nennen möchte, hat
Eugene Gendlin von der Universität Chicago. Er hat uns bei einem Problem, mit
dem wir alle in dieser Tiefe zu tun haben, sehr geholfen. Wenn wir, unter der
Führung von Gefühlen und Körperempfindungen, die Tür zum Unbewussten direkt
aufstoßen, dann begegnet uns in den oberen Bereichen des Unbewussten extrem
flüchtiges Material. Gedanken und Bilder huschen hier durch die Untiefen, wie
Ellritzen, die ein Kind am Strand zu fangen versucht. Zu diesen Fischchen nun
eine Gefühlsverbindung aufzubauen, sie aufrecht zu halten und die Einsichten
dann ins Bewusstsein zu heben, ist äußerst schwierig. Sobald wir über eine
dieser kaum wahrgenommenen, schnellen und herumflitzenden Einsichten zu reden
oder nachzudenken beginnen, sind wir schon wieder "im Kopf", und
prompt ist das Gefühl verloren. Und schon sind wir wieder zurück auf Stufe Eins
und wieder im „Reden über“ genau die Ereignisse, die wir doch fühlen wollten,
und damit distanzieren wir uns wieder von ihnen.
Ziel der Arbeit auf Stufe Drei ist
eine fühlende Erfahrung des Selbst. Wenn ich also eine Klientin, die eine
Verengung im Hals wahrgenommen hat, bitte, einfach weiter darüber zu sprechen,
dann verschwindet die Intensität. So wird die Einsicht intellektualisiert und
damit wertlos. Gendlin hat nun die folgende Anregung gegeben: Wenn wir, statt
über das Gefühl zu reden, mit unserer Aufmerksamkeit einfach bei dem Gefühl
bleiben und dabei nur ein einzelnes Wort oder einen kurzen Satz von der
Körperempfindung her hochkommen lassen, dann bleiben wir mit dem unbewussten
Material verbunden. Dieses einfache kortikale, aber nicht intellektuelle
Verbundensein wird sogar noch dadurch verstärkt, dass wir das Wort immer wieder
aussprechen und es dabei in Kongruenz mit dem Gefühl halten. Der Körper spürt,
ob das Wort eine genaue Verbindung herstellt, und an diesem Punkt können wir
dann weitere Informationen in einer einfachen Form anfordern. Falls man dabei
sehr vorsichtig mit dem Klienten umgeht und ihm ein Abdriften in zu viel
Intellektualisierung nicht erlaubt, wird er so etwas wie eine verbundene oder
geerdete Einsicht haben. Tatsächlich erfährt der Körper so, dass sich
innerlich etwas bewegt hat.
Beispielsweise könnte die Klientin
mit dem Engegefühl im Hals, sobald sie in diesem Gefühl zentriert ist, das Wort
"schlucken" aussprechen, und dann würde ich sie bitten, das Wort
mehrmals zu wiederholen. Das Gefühl bzw. die Körperempfindung, die wie ein
Magnet funktionieren, könnten die Verbindung herstellen: "Ich kann von
meinem Chef einfach keinen Schmerz mehr schlucken.“ Betont der Therapeut diese
Intensität des Fühlens und des Verbundenseins mit dem Körpersymptom, ehe er zu
der intellektuellen Verbindung übergeht, dann führt das dazu, dass der Klient
in sich eine Veränderung fühlt. Diese geerdete Einsicht ist mächtig und führt
oft zu einer realen therapeutischen Veränderung.
In unserem Fall ist es vielleicht
so, dass das Engegefühl im Hals verschwindet, oder aber es verändert sich auf
eine andere Weise. Dies wiederum könnte dazu führen, dass die Klientin sich
besser gegenüber dem Chef behaupten kann, indem sie ihm Feedback über das gibt,
was er tut, und das könnte ihn „leichter verdaulich“ machen.
Wieder einmal jedoch verwandeln wir
ein Gefühl oder ein Körperempfinden, wie hier die Enge im Hals, vorschnell in
die Einsicht: " Ich kann von meinem Chef einfach keinen Schmerz mehr
schlucken.“ Die Geschwindigkeit, mit der wir diese Umwandlung herbeigeführt haben,
stellt sicher, dass die Therapie auf der Intensitätsstufe Drei nicht in Stufe
Vier übergeht.
Auf Stufe Vier würde diese Frau
direkt wiedererleben, wie ihr Onkel ihr im Alter von drei Jahren seinen Samen
in den Mund spritzt und sie damit für ein ganzes Leben darauf fixiert, alles
runterzuschlucken, was ihr von aggressiven Männern serviert wird. Mit
Erfahrungen auf Stufe Vier werden wir uns gleich befassen. Viele moderne
Therapien verankern inzwischen Einsichten in Gefühlen und Körperempfindungen.
Zwei Beispiele dafür wären die Bioenergetik nach Alexander Lowen oder die
Bindegewebsmassage nach Ida Rolf.
Therapeutische Intensität: Stufe
Vier
Auf Stufe Vier kommt es zu einem
direkten Wiedererleben von tiefem, verdrängtem Material. Dabei entstehen für
die Psychiatrie völlig neue Herausforderungen, Herausforderungen, vor denen wir
uns seit Anbeginn dieser Heilkunst gedrückt haben, und die doch so
offensichtlich sind, wenn wir die Probleme auf dieser Stufe frei legen. Hier
haben wir es nun direkt mit weiß glühendem unbewusstem Material zu tun. Haben
wir diesen Prozess einmal in Bewegung gesetzt, dann sind die Kräfte derart
stark, dass wir den Herausforderungen, die dadurch entstehen, unbedingt
Rechnung tragen müssen.
Sobald die Brüder Wright einmal in
der Luft waren, machten sie, was die Luft von ihnen verlangte: Bewegungen, wie
sie kein Mensch auf dem Boden machen würde. Sobald der Holzfäller auf die im
Wasser rollenden Stämme aufspringt, tut er, was diese von ihm verlangen, er
vollführt einen seltsamen exotischen Tanz, der in einem Restaurant vollkommen
unangebracht wäre, der aber, wenn ihm sein Leben lieb ist, in diesem Moment
eine absolute Notwendigkeit ist. Auf Stufe Vier haben wir den Hai endlich beim
Schwanz gepackt, und wir reiten mit ihm in die Tiefe. Wir vertiefen und
intensivieren die Gefühle und Empfindungen, bis sie uns, durch furchtbare
Schmerzen hindurch, hinab zu den Seelenlandschaften der frühen Erfahrungen
führen. Dort unterstützen wir als Therapeuten dann das reale Wiedererleben
dieser Erfahrungen.
Mit der Regressionstherapie auf
Stufe vier sind hauptsächlich drei Probleme verbunden:
1- Wie können wir das Abtauchen in jene
Tiefen auslösen?
2- Wie können wir derart mächtige
Erfahrungen innerhalb einer Ego-Struktur im Zaum halten, deren Belastbarkeit
von Person zu Person stark variiert?
3- Wie sollen wir mit einer weit offen
liegenden, gemarterten Kindheit bzw. einem frühkindlichen zentralen Nervensystem
umgehen? Unter welchen Bedingungen kann der Klient an diesem verletzbaren und
chaotischen Ort leben und geheilt werden?
Kapitel 4
Wie holen
wir das Unbewusste herauf ?
Jahrhunderte lang hat man uns
beigebracht, nicht zu fühlen. Es ist eines unserer ältesten Gebote.
Hör auf zu heulen, oder ich gebe dir
was zum Heulen!
Hör auf, dich zu bemitleiden und mach dich an die Arbeit!
Denk nicht nur an dich, denk auch
mal an andere!
Nicht fühlen zu dürfen ist das
Kainsmal der menschlichen Spezies. Wenn wir das Fühlen begraben, begraben wir
zugleich die unermesslichen, subtilen und intuitiven Ressourcen des Gehirns. So
verlieren wir den größten und organisch produktivsten Teil von uns selbst. Der
tiefste Kompass des Geistes funktioniert nicht mehr richtig. Intuition und
Kreativität erleiden Schaden. Die Sensibilität für das Selbst und die Welt wird
gedämpft.
Nichts ist wichtiger, als dass der
Therapeut seinen Klienten die Erlaubnis zurück gibt, wieder zu fühlen. Das
erreichen wir auf unterschiedliche Weise. All diese Methoden fußen auf dem
gleichen Prozess, den ich KONGRUENZPRINZIP nennen will.
Ereignisse in der Gegenwart haben
ihre eigene Realität. Oft aber bringen sie alte Gefühle zum Schwingen bzw.
lösen sie aus (‚triggern sie'). Tatsächlich lösen aktuelle Ereignisse
überraschend oft innere Erfahrungen aus, die mit Erfahrungen aus der
Vergangenheit genau kongruent sind.
Wenn ein Therapeut einen Klienten
dazu bringt, eine Reihe von Kongruenzen zwischen einem gegenwärtigen und einem
vergangenen Ereignis zu erleben, dann kommt die Psyche wieder ins Lot, und das
vergangene Ereignis wird mit großer Intensität wiedererlebt.
Wir ermutigen zum Wiedererleben von
vergangenen Erlebnissen, denn nur so kann sich die Psyche von ihrem
Ausgeliefertsein an ein frühes Trauma befreien. Solange ein Ereignis nicht
wiedererlebt wurde, und zwar so vollständig wie nur möglich, bleibt es in den
Tiefen der Seele verankert und verändert sich nicht. Von diesem versteckten Ort
aus strahlen die frühen Gefühle Verwirrung in unser gegenwärtiges Leben hinein
und bewirken, dass jedes Mal, wenn etwas uns als Erwachsene verletzt, wir eine
doppelte Last tragen müssen: den aktuellen Schmerz, und dazu noch den Schmerz
aus der Vergangenheit.
Diese Doppelbelastung führt zu
Vermeidungsverhalten und Überreaktionen in unserem alltäglichen Leben. Ein
Mensch, der einen Raum voller Menschen nicht betreten kann, aus Angst,
kritisiert zu werden, reagiert auf
frühe Kritik, die in den Tiefen der Vergangenheit verschüttet bleibt.
Dies beeinträchtigt unser Funktionieren in der Gegenwart so lange, bis es
wiedererlebt wird.
So bewegen wir uns als Erwachsene
immer in zwei Landschaften, ohne es je zu wissen. Wir sind nie ganz verfügbar,
um unsere jetzige Existenz zu gestalten oder ihren Anforderungen zu genügen.
Die Vergangenheit vergiftet die Gegenwart.
Daraus folgt, dass die erste und
wichtigste Kongruenz, um die wir uns bei unseren Klienten bemühen, die
KONGRUENZ DES FÜHLENS ist.
Kongruenz
I:
Durch das Hochholen von unbewusstem
Material regressive Psychotherapie auf Stufe Vier bewirken.
Die Kongruenz des Fühlens
Wenn eine Person bei einem
gegenwärtigen Ereignis ein starkes Gefühl empfindet, so gab es nahezu immer das
genau gleiche Gefühl auch in ihrer Vergangenheit und zwar als
Begleiterscheinung eines frühen traumatischen Ereignisses. Bricht
beispielsweise jemand unter der anhaltenden Kritik seines Chefs zusammen, dann
trägt er die doppelte Last des aktuellen Geschehens UND die der massiven Kritik
aus seiner Kindheit. Der aktuelle Stress triggert dabei den unbekannten
Schmerzfundus aus der Vergangenheit und schwingt in Resonanz mit ihm. Das führt
zu einer Überreaktion und und zu einem mehr oder weniger schlimmen
Zusammenbruch seines Funktionierens in der Gegenwart.
Als Therapeuten haben wir die
Aufgabe, die Vergangenheit in den Blick zu rücken. Als Regressionstherapeuten
ist es auf Stufe Vier unsere Aufgabe, den Klienten dahin zu bringen, dass er
eine gefühlte Kongruenz zwischen dem aktuellen und dem vergangenen Ereignis
erlebt, eine Kongruenz, die mächtig genug ist, um Vergangenes zu reaktivieren,
sodass es im Therapieraum wiedererlebt werden kann. So wird der Klient aus
dieser frühen Landschaft befreit.
Deshalb bitten wir die Klienten,
sich in bequemer, neutraler Position in einem halbdunklen, schalldichten Raum
auf eine gepolsterte Matte zu legen, und fordern sie auf, ihr gesamtes Denken
außen vor zu lassen. Dann bitten wir
sie, sich auf die Gefühle einzulassen, die sich auf das aktuelle Ereignis
beziehen. Jedes Mal, wenn sie wieder in ihren Kopf gehen und anfangen, über
sich zu sprechen und ihre Geschichten zu erzählen (Therapie auf Stufe Eins), lenken wir ihre Aufmerksamkeit sanft,
aber bestimmt wieder zurück auf das, was sie fühlen und in ihrem Körper spüren.
Anders als ein Therapeut auf Stufe Drei übersetzen wir aber die Gefühle nicht
unmittelbar in Worte. Wir bitten den Klienten, noch tiefer in das Erleben
einzusteigen und im Gefühl zu bleiben. Wie der Choke eines Autos bei kaltem
Wetter das Gemisch anreichert, so reichern wir die Erfahrung an und zünden den
Regressionsprozess. Wie ein Schlitten an einem steilen Hang gewinnt dieser
zunehmend an Fahrt und Intensität und führt zu einem Wiedererleben des frühen
Kindheitstraumas.
Das Zünden dieser Erfahrung ist
selten so einfach, wie ich es gerade anklingen ließ. Psyche und Körper werden,
auch bei hochmotivierten Menschen, von Schmerz zutiefst abgestoßen. Diese
Abwehr ist eindeutig jenseits der bewussten Kontrolle unserer Klienten. Das ist
auch der Grund dafür, dass sich der Kopf verzweifelt darum bemüht, zum normalen
und alltäglichen intellektuellen Funktionieren zurückzukehren.
Im Fall des kritisierten
Angestellten beispielsweise bitten wir den Klienten, der jetzt in unserem
halbdunklen, schalldichten Raum liegt, einfach in dem Gefühl zu bleiben, das er
spürt, während der Chef ihn kritisiert. Wenn er es zulassen kann, dass das
Gefühl intensiv genug wird, und wenn es ihm gelingt, ausreichend lange in
diesem Gefühl zu bleiben, dann ist er auf einmal wieder sechs Jahre alt, und
sein Vater lacht ihn vor seinen Geschwistern aus, während er sich abmüht, auf
seinem neuen Fahrrad zu fahren. Die damalige Angst kommt dann voll zurück, und
er erlebt sie mit aller Wucht erneut.
Dieses Prinzip, das Erleben von
Gefühlen, die mit einem gegenwärtigen Ereignis verbunden sind, im Therapieraum
mit ausreichender Intensität und lange genug aufrecht zu erhalten, ist
entscheidend für den Trigger-Effekt bei all den Kongruenzen, die wir noch
untersuchen werden.
Kongruenz
II:
Das Wiedererleben von frühen
traumatischen Erfahrungen in der regressiven Psychotherapie auf Stufe Vier in
Gang bringen.
A. Die Kongruenz unartikulierter
Laute
Die Kongruenz unartikulierter Laute
ist nicht unbedingt eine Kongruenz zwischen einem gegenwärtigen Laut und dem
Laut eines Ereignisses aus der Vergangenheit. Vielmehr geht es um die Kongruenz
zwischen dem, was wir in einer Therapiesitzung fühlen und dem, wie es sich
angehört hätte, wenn wir während des Gefühlserlebnisses damals hätten sprechen oder
losschreien dürfen. Das kann, muss aber nicht, sich mit dem decken, wie wir als
Kind geschrieen haben, als wir verletzt wurden. Es kann nämlich sein, dass wir
damals überhaupt nicht schreien durften.
Jedenfalls gibt es in der Gegenwart
einen Laut, der in Qualität und Intensität genau zu dem Gefühl passt, das wir
in der Therapiesitzung empfinden. Nebenbei bemerkt, die Tatsache, dass wir
keinen Laut von uns geben, kann selbst in Resonanz mit einer Kindheitssituation
stehen und schnell zu einem Wiedererleben führen.
Der direkte Ausdruck des Schmerzes,
den wir empfinden, während wir einen unartikulierten Laut ausstoßen, verschafft
uns ziemlich unmittelbar Erleichterung bei körperlichem, insbesondere aber bei
seelischem Schmerz.
In der Regressionstherapie auf Stufe
Vier bitten wir also den Klienten, denjenigen Laut von sich zu geben, der genau
zu dem schmerzhaften Gefühl passt bzw. es exakt spiegelt. Die Intensität und
die Qualität dieses Lautes bringen das Gefühl in Richtung Kongruenz. In dem
Augenblick werden wir außen zu dem, was wir innen fühlen, und so erreichen wir
Kongruenz.
Beispielsweise würden wir den Mann,
der einen Schmerz im Bauch spürt, ermutigen, mit einem tiefen grunzenden Laut
zu experimentieren, während eine Frau, die als Baby allein und unbehütet in
ihrem Bettchen gelassen wurde, vielleicht in einer hohen Tonlage zu wimmern
anfängt. Es ist am Klienten selbst, die genaue Beschaffenheit des Lautes zu
gestalten; geleitet wird er dabei von einer inneren Körperempfindung, die ihn
einen Laut hervorbringen lässt, der exakt passt.
Man denke etwa an die oben erwähnte
Geschichte von der Frau, die dieses Engegefühl in ihrem Hals spürte und nichts
mehr von ihrem Chef schlucken konnte. Hätten wir sie ermutigt, statt dieses
Beengungsgefühl zu verbalisieren, die Laute eines Menschen von sich zu geben,
der am Ersticken ist, dann hätte diese Kongruenz mit dem tatsächlichen
Erstickungsgefühl, als der Onkel ihr den Mund mit Sperma voll spritzte,
höchstwahrscheinlich ein Wiedererleben des Inzests bei ihr ausgelöst.
B: Die Kongruenz artikulierter Laute
In der regressiven Tiefentherapie
mit Sprache zu arbeiten kann äuβerst hilfreich sein, birgt aber ein schwer
wiegendes Problem.
Wie schon erwähnt, neigen wir dazu,
uns in der Tiefentherapie umso mehr vom direkten Erleben zu entfernen, je
gesprächiger wir werden. Der Prozess wird dadurch intellektuell, und wir sind
wieder bei der Psychotherapie auf Stufe Eins. Reden ist (in allen sozialen wie
auch therapeutischen Zusammenhängen) fast immer eine Abwehr gegen das Fühlen.
Trotzdem kann man es auf verschiedene Weise im Rahmen einer Tiefentherapie
nutzen.
Zunächst einmal kann das Gespräch
als Mittel der Sondierung eingesetzt werden. Für Klienten, die sich nicht hinlegen
und gleich in Kontakt mit einem Gefühl oder einem inneren Körperzustand kommen
können, ist Reden ein ausgezeichneter Einstieg. Wenn wir einem Klienten die
Freiheit geben, über alles zu reden, worüber er reden will, so wird das,
worüber er dann spricht, langsam, aber sicher seinen nicht abgeschlossenen
emotionalen Themen immer näher kommen. Wie ein Magnet zieht der Schmerz das,
wovon wir normalerweise reden, unvermeidlich in Richtung der in uns
verschütteten Verletzungen. Wir beginnen dann, endlos über den tieferen Themen
zu kreisen, wenn auch auf hochgradig indirekte und symbolisierte Art und Weise.
So kommt beispielsweise ein Mann,
den seine Mutter nicht gut behandelt hat, auf das Thema der Unzulänglichkeit
von Frauen in der Politik zu sprechen. Lange Zeit lässt er sich dann vielleicht
darüber aus, wie sie einfach nicht stark genug sind, um sich konsequent für
ihre Wähler einzusetzen.
Ein Therapeut, der auf das darunter
liegende Thema hinhört, spürt unter Umständen, dass die wichtigste Frau in
seinem Leben sich nicht angemessen um den Klienten gekümmert hat, als er ein
Kind war. Einfühlsam unterstützt er den Klienten dann darin, die Verbindung
herzustellen und über die Beziehung, die er als Kind zu seiner Mutter hatte, zu
sprechen.
Der Regressions-Psychotherapeut wird
den Klienten fragen, was er fühlt, während er über Politikerinnen spricht und
ihn veranlassen, bei diesem Gefühl zu bleiben, bis es zu einer Kongruenz kommt.
Das kann dann ein Wiedererleben dieser frühen Beziehung auslösen.
Nicht nur dreht sich unser
Alltagsgespräch häufig um unaufgelösten
Schmerz, auch die tatsächlichen Worte und Sätze aus der frühen Kindheit liegen
überall verstreut am Strand des Gesprächs der Erwachsenen. Für Therapeuten, die
sie zu erkennen wissen, stellen diese kleinen, noch intakten Muscheln einen
hervorragenden Zugang zu tiefem, unbewusstem Material dar.
So beschreibt beispielsweise eine
Klientin einen Streit mit einem Taxifahrer, der sie zu einer falschen Adresse
gefahren hat. Im Verlauf ihrer Geschichte sagt sie dann: "Egal, wie
sorgfältig ich ihm seinen Irrtum auch zu erklären versuchte, er konnte mich
einfach nicht hören."
Vielleicht bittet der
Tiefentherapeut, der den Satz „er konnte mich einfach nicht hören" hört, die Klientin,
die im halbdunklen, schalldichten Raum liegt, den Satz immer wieder zu sagen,
bis sie möglicherweise in Tränen ausbricht und erkennt, dass der gröβte
Teil des mit diesem Streit verbundenen Gefühls aus ihrer Kindheit stammt, weil
ihr Vater sie während ihrer ganzen Kindheit nie gehört hat. Der Satz „er konnte mich einfach nicht
hören" schafft eine perfekte Kongruenz zwischen Gegenwart und
Vergangenheit, und die Türen des Unbewussten öffnen sich.
Wenn der Klient Sätze aus seiner
Kindheit wiederholt, die in sein Reden als Erwachsener eingestreut sind, wirkt
das wie ein Diamantbohrer und durchdringt die Abwehr mit Leichtigkeit.
Als Tiefentherapeuten können wir
das, was der Klient sagt, durchaus nutzen, doch dazu müssen wir es erst seiner defensiven Eigenschaften entkleiden.
Wir müssen es überarbeiten, damit es zu einem Instrument des Suchens und
Zugang-Findens und nicht zu einem Mittel des Vermeidens wird.
Eine andere Methode, das Reden des
Klienten tiefentherapeutisch zu nutzen, besteht darin, ihn zu bitten, seinen
Wortschatz auf den Gebrauch kurzer Wörter und einfacher Sätze zu beschränken.
Weil diese Art zu sprechen der Kindersprache ähnlich ist, führt sie auch zu
mehr Kongruenz mit der Kindheit. So dringen diese einfachen Worte und kurzen
Sätze durch die Abwehr des Erwachsenen.
Der Gebrauch bedeutungsgeladener
kurzer Worte und einfacher Sätze, die der Klient in der Therapie mit gefühlten
frühen Erlebnissen verbindet, erlaubt einen Übergang vom Symbol zur
Wirklichkeit und erreicht dann fast die intensive Macht unartikulierter Laute.
Ein Klient erzählt eine lange und
komplizierte Geschichte von einem Mann, der ihn bei einem Geschäftsabschluss
übervorteilt hat. Gebraucht der Therapeut an diesem Punkt einen einfachen Satze
wie etwa „er hat dich sehr verletzt", dann durchbricht das oft das defensive
Reden und bringt den Klienten zum Weinen. Der Satz hat ein Kindheitsthema
berührt.
Kongruenz
III:
Durch das Hochholen von unbewusstem
Material Regressionstherapie auf Stufe
Vier bewirken.
Die Erfahrung der Körperposition
Die dritte Methode, um das Erleben
des ursprünglichen Traumas zu zünden, benutzt das, was Tiefentherapeuten als
Körper-Erinnerung bezeichnen.
Wurde ein Klient als Kind
geschlagen, während er zusammengerollt auf einem Bett lag, dann bitten wir ihn,
genau die gleiche Position auf der Matte einzunehmen. Wenn wir ihn zusätzlich
auffordern, in dieser Position in seine Gefühle zu gehen und ihm dazu noch
vorschlagen, die Laute zu machen, welche seine Verzweiflungsschreie von
damals genau nachmachen, dann addieren wir drei verschiedene Kongruenzen.
Dadurch setzen wir die psychischen Abwehrmechanismen einem hochspezifischen
Druck aus. Schließlich geben sie nach
und erlauben so ein Wiedererleben des frühen Kindheitstraumas.
Kongruenzen sind kumulativ, und wir
versuchen, so viele wie möglich davon zu kombinieren.
Wenn die Körperposition im
Therapieraum mit der Körperposition während des Kindheitstraumas kongruent
wird, dann feuern unzählige Nervenzellen im peripheren und im zentralen
Nervensystems in genau der gleichen Konfiguration wie damals, während des
Vorfalls in der Kindheit. Dieser elektronische Schlüssel passt ins Schloss, und
die Therapie kommt voran.
Bei der Herstellung von Kongruenzen
handelt es sich durchwegs um Methoden, um das Unbewusste zum Vorschein zu
bringen. Daher möchte ich in diese Gruppe von Techniken noch eine vierte
Methode, die Abwehr zu durchdringen, einbeziehen. Obwohl es sich dabei
eigentlich nicht um die gleiche Art von Kongruenz handelt, ist es doch eine
hochspezifische Form der körperliche Intervention, die ein Wiedererleben der
Kindheit auslöst.
Kongruenz
IV:
Durch das Hochholen von unbewusstem
Material Regressionstherapie auf Stufe
Vier bewirken
Die Methode der körperlichen
Intensivierung
Bei dieser Methode, die Abwehr zu
durchdringen, benutzen wir Berührung, um den körperlichen Schmerz von Symptomen
zu intensivieren, die im Körper verschoben wurden. Bei Stufe Drei sprachen wir
über das Hineinspüren in das diffuse, subtile innere Körperempfinden, wie es
Gendlin beschrieben hat. Hier beziehen wir uns auf eine andere Technik, bei der
es um ein unauffälligeres, intensiveres und enger umrissenes Körpersymptom
geht, und die Herangehensweise ist unterschiedlich. Das können wir bei jedem
psychisch bedingten körperlichen Schmerz tun.
Ein Mann liegt nicht weit von mir im
Halbdunkel meines Primalraums. Im Moment spürt er nichts als einen leichten
Schmerz im oberen Teil des Bauchs. Er hat mit der inneren Erkundung aufgehört,
weil nicht ausreichend Intensität vorhanden ist, um damit weiterzukommen. Das
Gefühl in seinem Bauch entsteht durch die Erinnerung an einen noch unbekannten
Konflikt, und es absorbiert und versteckt ihn gleichzeitig.
Ich lege meine Fingerspitzen genau
in die Mitte der schmerzenden Stelle. Wenn die Position der Finger nicht auf
den Millimeter genau stimmt, passiert gar nichts. Die Vergangenheit bleibt dann
verborgen. Ich bitte den Klienten, meine Finger zu führen, und sein inneres
Gespür zeigt ihm den genauen Punkt.
Nun beginne ich, leicht zu drücken,
und so verstärke ich die Intensität des Schmerzes. Ich passe dabei auf, dass
ich nicht zu fest drücke, um nicht ein mögliches Zwölffingerdarmgeschwür zu
verletzen. Ich sage dem Klienten, dass er jetzt unbedingt vermeiden muss, über
irgendetwas nachzudenken; vielmehr soll er einfach hochkommen lassen, was immer
kommen will. Dadurch, dass er "aus
seinen Kopf heraus bleibt“, vermeidet er, wieder zu einer Verknüpfung auf Stufe Zwei
oder Drei zurückzukehren. So wird die Kraft seiner Einsicht nicht verwässert.
Während meine Finger den Schmerz
verstärken, gelingt es plötzlich dem Symptom nicht länger, die Kräfte der
Verdrängung zu halten und zu binden. Das Symptom, könnte man sagen, ist
überwältigt, und der Klient fängt an zu schluchzen. Jetzt ist er in seiner
Vergangenheit und fühlt den Tod seines Vaters, als er neun war, und er spürt
die Trauer, die er damals nicht fühlen durfte, weil er für Mami und seine
kleinen Geschwister stark sein musste. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren
entspannt sich sein Magen, er trauert, und sein Magengeschwür, das zuvor mit
unterschiedlichen Medikamenten behandelt wurde, kann endlich zu heilen
beginnen.
Bei dieser letzten Methode ist die
Kongruenz etwas verdeckt. In dem obigen Beispiel muss die Position der Finger
mit der Lokalisation des Schmerzes genau kongruent sein. Der ausgeübte Druck
muss genau den Schmerz schaffen und verstärken, den der Klient fühlt: Er muss
mit dem Schmerz kongruent sein. Wenn diese Arbeit genau gemacht wird, spürt der
Klient mit ansteigendem Schmerz die Finger des Therapeuten tatsächlich
überhaupt nicht mehr. Das Einzige, was er fühlt, ist, wie sich der damalige
Schmerz bis zu dem Punkt verstärkt, wo er die Erinnerung nicht länger binden
und versteckt halten kann. Die Magenschmerzen waren damals in seiner Kindheit
vielleicht vorhanden, vielleicht auch nicht.
Ich fasse zusammen: Bei dem
Gefühl bleiben, die genau stimmigen Laute und Wörter hervorbringen, den Körper
in die exakte Position des ursprünglichen Traumas bringen, und den genauen
Schmerzpunkt berühren – jede dieser vier therapeutischen
Methoden impliziert eine Reihe von Kongruenzen.
Bei der Anwendung dieser Techniken
wird klar, dass die psychophysische Achse wie ein Kombinationsschloss arbeitet.
Jede Technik, die ein zusätzliches Kongruenzniveau einbringt, ist eine weitere
richtige Ziffer in der Kombination. Schließlich, wenn alle Riegel in der
richtigen Position sind, treten die psychischen Abwehrmechanismen zurück, und
die Kindheit kommt zum Vorschein. Diesen Vorgang nenne ich die KONGRUENZ VON BEWUSSTSEIN UND
UNBEWUSSTEM.
In einem kompetenten und
fürsorglichen therapeutischen Umfeld muss sich dieser Vorgang bis zu seinem
Ziel, dem Wiedererleben, entfalten können. Dieses Wiedererleben, das in der
Therapie bei vielen Klienten immer wieder erfolgen muss, ist notwendig, wenn es
darum geht, tiefe Traumatisierungen zu integrieren.
Es besteht allerdings die Gefahr,
dass Klienten von diesen warmen, sich selbst bestätigenden, frühen
schmerzlichen Erfahrungen abhängig werden. So seltsam es auch klingen mag, mit
dem Wiedererleben von frühem Schmerz ist eine Art Wärme und ein Gefühl von
Realsein verbunden, das manche Klienten dazu führt, dieses Wiedererleben endlos
wiederholen zu wollen. Deshalb ist das Vermeiden dieser Abhängigkeit ist ein weiteres Thema für Tiefentherapeuten.
Wenn, wie Freud sagte, Träume der
Königsweg zum Unbewussten sind, dann sind die Techniken der KONGRUENZ VON
BEWUSSTSEIN UND UNBEWUSSTEM der „Expresslift“ dorthin.
Kapitel 5
Das aktive
Bestreben des Gehirns, das Unvollendete zu vollenden
Nun kommen wir zu einem Wendepunkt
auf unserer Reise. Bisher haben wir über Techniken gesprochen, die der
Therapeut anwendet. Jetzt müssen wir über den Mechanismus reden, der den
Klienten vorwärts treibt.
Um frühes unerledigtes Material aus
der Kindheit aufzuarbeiten, sind zwei Mechanismen erforderlich, die dem
therapeutischen Prozess auf Stufe Vier Kraft und Richtung verleihen. Ich nenne
sie „die Suche nach Kongruenz“ und „Körpernotwendigkeit“. Der erste Begriff drückt aus, was
geschieht, und der zweite beschreibt die Kraft hinter diesem Prozess.
Auf der therapeutischen
Intensitätsstufe Zwei haben wir festgestellt, dass unsere Psyche bei der freien
Assoziation ihr nicht durchgearbeitetes Material abzuschlieβen sucht.
Dieses Bedürfnis lenkt den scheinbar unlogischen Zustand des freien
Assoziierens, und zwar gemäß der tieferen Logik der Gestaltbildung. So kann das
eigentliche Ziel, das bisher Unbewusste zu erinnern und laut auszusprechen,
erreicht werden. Dabei müssen wir jedoch unbedingt bedenken, dass die Intensität
dieser Erfahrung der Intensität von Therapie auf Stufe Zwei entspricht und überhaupt nicht mit dem zu vergleichen
ist, was wir auf Stufe Vier finden. Man könnte sagen, auf Stufe Zwei liegt das
Boot des Klienten in einer sanften Brise, und der Hafen der Erinnerung lässt
sich leicht finden.
Bei einer therapeutischen Intensität
der Stufe Drei erhöht sich der Druck, unbewusstes Material zu erinnern. Doch
hier entschärft der Therapeuten diesen höheren Druck, indem er vorschnell
Gefühle und Körperwahrnehmungen in Worte fasst. So kann es auf Stufe Drei
durchaus zu einer fundierten Erinnerung von hoher Qualität kommen, ein
tatsächliches Wiedererleben ist jedoch weniger wahrscheinlich als auf Stufe
Vier, wo wir über längere Zeit in den Gefühlen bleiben. Hier kommt es zur
Zündung des Wiedererlebens, ohne dass der Therapeut Gefühl und Erinnerung
zusammen bringen muss. Die kleinen Fische im seichten Gewässer brauchen nicht
erst ins zerebrale Netz gelockt zu werden. Im Nu werden sie tatsächlich
sehr groß und springen ohne jeden Druck ins Netz. Und genau an diesem Punkt
begegnen wir unseren zwei neuen Phänomenen, der Suche nach Kongruenz und der
Körpernotwendigkeit.
Der Schub in Richtung Erinnerung,
den wir auf den vorherigen Stufen der Therapie beobachtet haben, wird nun in
einen Schub in Richtung „Tun“ umgewandelt. In diesem Fall bedeutet „Tun“ das Herstellen einer Kongruenz. Der
Körper bemüht sich aktiv darum, die zuvor besprochenen Kongruenzen zu finden,
sodass er frühe, verschüttete Traumata tatsächlich wiedererleben kann und sich
nicht einfach nur daran erinnert.
Genau in dieser SUCHE NACH KONGRUENZ
und in der KÖRPERNOTWENDIGKEIT sehen wir die wirkliche Kraft der
Regressionstherapie. Die Psyche drängt danach, sich zu öffnen und zu fühlen,
die Stimme will unbedingt den exakten stimmigen Laut hervorbringen, und der
Körper ist bestrebt, sich in die gleiche Position wie beim ursprünglichen
Trauma zu legen. Zusätzlich sucht oder drängt die psychophysische Achse aktiv
danach, zu berühren oder berührt zu werden, und zwar so, dass es zu einer
Kongruenz kommt. Wie die Frau an einem gewissen Punkt im Geburtsprozess die Kontrolle verliert, und die Wehen nach
ihrem eigenen Urrhythmus einsetzen, so übernimmt auch die Körper/Psyche-Achse
irgendwann die Regie und drängt in Richtung Kongruenz, damit das Verdrängte
wiedererlebt werden kann. Es ist die Kraft hinter diesem Schub, die ich
KÖRPERNOTWENDIGKEIT genannt habe.
Und nun betritt etwas völlig Neues
die Szene: Es kommt zu einer neuen Art Einsicht, wenn wir frühe schmerzhafte Erfahrungen
auf diese Weise wiedererleben. In diesem Fall ist das Erwachen des Bewusstseins
insgesamt tiefer, und zwar auf Grund des enormen inneren Drucks. Es ist tiefer,
weil es mehrdimensional und nicht linear ist, und weil das Erlebnis uns mehr
wie eine Wellenfront denn als ein einzelnes Ereignis trifft. Es ist, als würden
wir unseren Weg durch einen Garten in absoluter Dunkelheit ertasten, und
plötzlich leuchtet ein Scheinwerfer auf und beleuchtet nicht nur den Garten,
sondern auch das dazu gehörige Haus und die gesamte Umgebung.
Ein Klient versucht, die plötzliche
und komplexe Einsicht, die er während eines Wiedererlebnisses hat, zu
beschreiben. In einem Bahnhof hebt ihn sein Vater von der Schulter und übergibt
ihn seiner Mutter, während sie in den Zug steigt. Wir sind in England im Jahre
1940, zu Beginn des 2. Weltkriegs. Der Kleine ist dreieinhalb Jahre alt, und er
wird seinen Vater nicht wieder sehen, bis er erwachsen ist.
Beim Wiedererleben dieser Szene
spürt er, wie seine Wange die Tweedjacke seines Vaters berührt. Er fühlt die
volle Tragödie, dass er jetzt seinen Vater verliert. Und er sieht, wie er all
diese Jahre Freundschaft mit Männern geschlossen hat, deren Schultern sein
Unbewusstes ohne sein Wissen an diesen schrecklichen Moment der Trennung
erinnern. Blitzartig spürt er, wie dieses Ereignis sein ganzes Leben und seine
Beziehungen jahrzehntelang verbogen hat. Und gleichzeitig erfasst er auf einer
völlig anderen Ebene, wie die Tatsache, dass er nie von seinem Vater im Arm
gehalten wurde, ihn dazu verdammt hat, einen unentwickelten Körper zu haben.
Damit meint er, dass er bei all seinen körperlichen Aktivitäten schüchtern ist,
und dass es ihm an männlicher Kraft fehlt. Es wird ihm klar, dass körperliche
Kraft bei einem Mann eng mit der körperlichen Präsenz seines Vaters
zusammenhängt. Und so werden (durch das Wiedererleben dieser Szene) die Gärten
mit ihrer Trauer sowie das gesamte Umfeld seines Lebens beleuchtet, und das
bezieht sich auch auf die Männer, die er gemocht hat und auf seine Beziehung
zum eigenen Körper.
Diese Einsichten kommen alle auf
einmal hoch, und sie kommen scheinbar aus dem ganzen Körper. Sie bewegen sich
wie eine Wellenfront oder eine Wand von Verständnis, und sie scheinen aus dem
Bauch, der Brust, den Knochen und den Muskeln zu kommen und nach oben ins
Bewusstsein zu drängen. Sie fühlen sich nicht an wie Gedanken, eher schon wie
eine plötzliche Erleuchtung. Sie haben die Qualität der Sonne, die plötzlich
durch die Wolken bricht und die verdunkelte Landschaft um uns herum mit einem
einzigen, Ehrfurcht gebietenden Strahl von Verständnis erleuchtet. Nach solchen
Erfahrungen in der Regressionstherapie ähnelt das linear-intellektuelle Denken
dem Schlürfen einer wässrigen Suppe, während man sich dabei einen
Schwarz-Weiß-Film anschaut. Es befriedigt einfach nicht mehr. Es ist die Kraft
und die Tiefe dieser Wiedererlebnisse, die uns schließlich von der Trauer
befreit, die wir auf keine andere Weise loswerden können.
Menschen, die solche Erfahrungen
machen, fühlen sich danach sowohl total erschöpft als auch völlig erleichtert,
so, als hätte man ihnen zehn Zentner Zement von der Schulter genommen. Große
Brocken von verdrängtem Schmerz samt den sie begleitenden Prozessen branden an
und verursachen tiefe Veränderungen im seelischen Wachstum. Die Klienten
erleben eine ungekannte Leichtigkeit ihres Daseins, sie verlieren die
Ängstlichkeit in ihrem Alltag, sie spüren, wie innere Blockaden einstürzen und
ein neues Selbstgefühl entsteht.
Die Gefühle, welche die Klienten auf
dieser Stufe erleben, haben sie oft nicht einmal zum Zeitpunkt des Geschehens
gespürt. So schwebte z.B. eine Frau in meiner Praxis regelmäßig an die Decke,
wenn sie wiedererlebte, wie ihr Vater
sie schlug. Aufgabe der Therapie auf Stufe Vier ist es, sie von ihrem Höhenflug
herunterzuholen und ihr zu erlauben, die Schläge tatsächlich zu fühlen.
Jetzt sind Sie allmählich in der
Lage, nicht nur die Mechanismen hinter der bizarren Qualität dessen zu
verstehen, was jetzt folgt, sondern auch die Intensität, mit der diese
Erfahrungen zu einem Abschluss drängen.
Wir wollen uns nun eine Reihe von
Beispielen anschauen, um das Prinzip zu belegen, dass die psychophysische Achse
in der Therapie auf Stufe Vier aktiv nach Kongruenz sucht; diese führt dann zum
Einstürzen der Abwehr und erlaubt es dem Klienten, ein frühes Trauma
wiederzuerleben. Sie werden sehen, dass, so unlogisch und nicht-linear das
Ganze, oberflächlich betrachtet, auch erscheinen mag, sich die tiefere Logik
der Gestaltbildung doch immer durchsetzt.
Beispiel 1: Die
Körpernotwendigkeit treibt einen Klienten in Richtung Kongruenz, um ihm so zu
erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben.
Ein Mann mittleren Alters sitzt mit
dem Gesicht zur Wand in meinem Primalraum. Er fühlt sich getrieben, Grimassen
zu schneiden (eine Körpernotwendigkeit). Kein Ton ist zu hören, während er
diese Grimassen schneidet und sein Gesicht zu einer endlosen Serie von
schrecklichen Masken verzerrt. Er weiß nicht, warum er das tut. Wir wissen, dass,
vorausgesetzt, wir vertrauen dieser Körpernotwendigkeit, er schließlich eine
Kongruenz mit einem Trauma tief in seinem Inneren, das wir noch nicht sehen
können, erreichen wird. Sechs Wochen lang tut er sonst nichts. Ich versichere
ihm, dass er, wenn er „aus seinem Kopf heraus“ bleibt und dem, was geschieht,
vertraut, schlieβlich zum Verstehen des Ganzen kommen wird. Woche um Woche
sieht er für alle Welt völlig verrückt aus. Es gibt keine Oberflächenlogik
mehr, und eine tiefere Logik treibt ihn vorwärts. Schließlich wird Kongruenz
erreicht, und der Groschen fällt. Die Einsicht ist ebenso einfach wie tief. Er
hat einfach die Grimassen geschnitten, die er, hätte er es denn gedurft,
damals als Kind gezeigt hätte, als er traumatisiert wurde. Bisher sind noch keine
Gefühle mit der Einsicht verbunden, ebenso wenig wie Laute; doch das wird
kommen, wenn er nur darauf vertraut, dass sein Körper und seine Gefühle ihn
führen werden. Im Augenblick genügt es, dass er mit dem Bauch versteht, dass
er diese Fratzen ist, und nicht der fein gekleidete, weltmännische
Geschäftsmann, der er zu sein glaubte. Der nächste Schritt in der Therapie
besteht darin, die Kongruenz noch zu erweitern; deshalb werden wir ihn bitten,
die Laute zu machen, die genau zu diesen schrecklichen Fratzen passen. Sie
verstehen, wieso ein schalldichter Raum notwendig ist.
Beispiel 2: Die
Körpernotwendigkeit treibt eine Klienten in Richtung Kongruenz, um ihr so zu
erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben.
Eine Frau in ihren Dreißigern liegt
in meinem Primalraum, sie treibt im Strom der Zeit. Unbewusst nimmt sie meine
Hand und beginnt, mit meinen Fingern zu spielen. Der Zweck dieser Berührung ist
weder romantisch noch sexuell - es ist etwas Todernstes, und es zeigt, dass sie
auf der Suche nach seelischem Wachstum ist. Langsam spielt sie mit jedem
einzelnen Finger, und dann, ihr völlig unbewusst, schließt sie meine Hand und
ballt sie zu einer Faust. Sie beginnt zu wimmern. Jetzt ist sie sechs Jahre alt
und erinnert sich daran, wie ihr Vater sie oft mit der Faust geschlagen hat.
Eine unbewusste Notwendigkeit, unterhalb der Ebene der Logik, hat sie dazu
getrieben, eine Kongruenz herzustellen – sie hat die Faust ihres Therapeuten
zur Faust ihres Vaters gemacht. Das Schloss öffnet sich, die Abwehrmechanismen
fallen weg, und sie erlebt das ursprüngliche Ereignis erneut.
Beispiel 3: Die
Körpernotwendigkeit treibt eine Klienten in Richtung Kongruenz, um ihr so zu
erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben
Eine 25-jährige Frau sitzt neben
mir. Sechs Monate lang hat sie in meiner Praxis kein Wort gesagt. Bei einem
Psychiater, bei dem sie vorher in Behandlung war, hatte sie mehr als ein Jahr völlig geschwiegen. Ich
merke, dass sie mit den Fingern kleine Bewegungen in Richtung der Knöpfe meines
Hemds macht. Ich erkenne eine Körpernotwendigkeit und bitte sie, ihre Finger
gewähren zu lassen. Langsam, über mehrere Sitzungen verteilt, öffnet sie die
Knöpfe, und, noch langsamer, über noch viel mehr Sitzungen verteilt, drückt sie
ihre Lippen gegen meine Brustwarze und fängt an zu saugen. Sie saugt an meiner
Brust und liegt, während mein Hemd geöffnet ist, drei Jahre lang neben mir,
wobei ihre Hände meine Arme und meinen Rücken kneten und drücken.
Es scheint, dass ihr Körper in der
frühen Kindheit mit hässlichen, eiternden Wunden bedeckt war, und dass sie als
Säugling lange Zeit nicht im Arm gehalten wurde. Sie wurde mit der Flasche in
ihrem Kinderbettchen gefüttert. Ihr Körper fand in der Therapie genau das, was
er brauchte. Sie trank dabei sowohl mit ihren Lippen wie mit ihren
Fingerspitzen. Ihr ungestilltes Baby-Bedürfnis, berührt und gehalten zu werden
und zu saugen, wurde jetzt gestillt. Später werde ich über diese Klientin noch
mehr zu sagen haben.
Beispiel 4: Die
Körpernotwendigkeit treibt eine Klientin Richtung Kongruenz, um ihr so zu
erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben
Dieses Beispiel bringt uns in eine
therapeutische Situation, bei der wir uns auf ein noch viel gefährlicheres
Terrain begeben, ganz so, als wäre das vorherige Beispiel für den Therapeuten
nicht schon gefährlich genug.
Eine Frau, welche seit mehr als
einem Jahr mit mir im Primalraum arbeitet, ist jetzt tief in ihrer Innenwelt,
auf Stufe Vier. Sie fragt mich, ob ich mich in einer sexuellen Stellung auf sie
legen wolle, wobei wir beide ganz angezogen bleiben würden. Ich spüre, dass es
sich um eine Körpernotwendigkeit handelt, gleichzeitig habe ich Angst, meine
Arztlizenz zu verlieren, und so bin ich in einem heftigen inneren Zwiespalt.
Ich entschließe mich, ihr zu helfen und klettere zwischen ihre Beine, so, als
würden wir gleich Sex miteinander haben. Sie beginnt, ihr Becken gegen mich zu
stoßen und gutturale Laute zu machen. Nach etwa zwanzig Minuten legt sie sich
erschöpft zurück, es ist zu keiner Einsicht gekommen. Es gab in dieser Szene
keine sexuelle Lust, und überhaupt war
diese Erfahrung für uns beide körperlich schmerzhaft. Ich denke daran, wie
lange der Mann, der die Grimassen schnitt, bei seiner ´unlogischen´ Suche nach
Kongruenz bleiben musste, und als sie mich in der nächsten Sitzung darum
bittet, alles zu wiederholen, sage ich noch mal ja, obwohl mir das Ganze
ziemlich Angst macht. Schließlich fällt der Groschen, und sie stellt fest, dass
sie versucht hat, ihre Mutter aus ihrem Körper auszustoßen. Sie hat das Gefühl,
dass sie damit Erfolg hatte.
Diese Klientin hatte eine
Mutterfigur verinnerlicht, die äußerst negativ war, und ihr ganzes Leben lang
hatte sie sich über diese tief negativen Aspekte in ihr Sorgen gemacht. Ihr
Körper, der dieses mütterliche Introjekt abstoßen musste, hatte unbewusst nach
einem weiblichen Weg dafür gesucht, und das war eben durch ihre Vagina. Um die
dafür notwendige Intensität und Kongruenz zu erreichen, hatte sie jemanden
gebraucht, gegen den sie heftig stoßen konnte, und durch die Schaffung dieser
körperlichen Metapher konnte sie Kongruenz erfahren. Genauso, wie sie gegen
ihre Mutter gestoßen hatte, deren boshafte Persönlichkeit ihr allerdings keinen
Erfolg bescherte, stieß sie auch gegen mich, und meine rezeptive und
einfühlsame Art erlaubte ihr, ihren symbolischen Akt zu Ende zu bringen. Ohne
diese Erfahrung wäre ihre Heilung stark behindert worden, womöglich wäre es
auch nie dazu gekommen.
Beispiel 5: Die
Körpernotwendigkeit treibt eine Klienten in Richtung Kongruenz, um ihr so zu
erlauben, ein unbewusstes Ereignis wiederzuerleben
Dieses letzte Beispiel dringt noch
tiefer in den geheiligten Bereich der Sexualität vor.
Sie erinnern sich noch an die Frau,
die an meiner Brust saugte. Nach drei Jahren Saugen entwickelte sie einen Zwang,
meinen Penis zu streicheln. Immer wieder schob ich ihre Hand weg, bis ich
merkte, dass ich da auf eine äußerst mächtige Körpernotwendigkeit der Stufe
Vier zu stoßen schien. Und wieder entschloss ich mich, sie gewähren zu lassen
und ihr zu erlauben, das zu tun, was sie tun musste. Nach der langen
Saugerfahrung musste sie sich tief im Inneren vergewissern, dass ich
tatsächlich ein Mann war. Ihr tiefstes Gefühl für mein Geschlecht hatte sich
verwischt, und dies wirkte sich am
Rande auf ihre eigene sexuelle Identität aus. Indem sie meinen Penis spürte,
und in diesem Fall dadurch, dass sie spürte, wie er auf ihre Berührung durch
meine Kleidung hindurch reagierte, konnte der Mann in mir ihr das Gefühl für
ihre Weiblichkeit zurückgeben und damit in ihrer Psyche unsere jeweilige
geschlechtliche Identität wieder ins Gleichgewicht bringen.
Aber es sollte noch zu etwas
wesentlich Tieferem kommen. Nach ein paar Sitzungen mit sanften Berührungen
ihrerseits hatte sie die bisher größte Einsicht in ihrem Leben. Jetzt erinnerte
sie sich daran, dass ihr Vater sie an jedem einzelnen Tag ihres Lebens zwischen
drei und dreizehn Jahren sexuell belästigt hatte. So mächtig war ihre
Verdrängung dieser Erlebnisse, dass selbst nach vier Jahren Tiefentherapie nur
dieser Moment der Kongruenz sie an die Oberfläche bringen konnte. So mächtig
war ihre Verdrängung dieser Erlebnisse, dass sie während dieser ganzen Jahre
eher bereit war, epileptische Anfälle zu haben, als diesen Erinnerungen zu
erlauben, an die Oberfläche zu kommen. Bei unserer gemeinsamen Arbeit musste
ich sie in solchen Momenten fest an der
Schulter packen, sie sanft schütteln und ihr Sitzung für Sitzung sagen, sie
solle keinen epileptischen Anfall haben, sondern die Erinnerung an die
sexuellen Aktivitäten ihres Vaters in ihrem Bewusstsein halten.
Während der letzten Jahre kamen sehr
viele Erinnerungen bei ihr hoch, und sehr vieles wurde geheilt. Doch sie konnte
nur dann wieder in diese Erinnerungen eintauchen und sie wiedererleben, wenn
sie ihre Hand auf meinen Penis legte und sich so daran erinnerte, wie ihr Vater
ihr beigebracht hatte, ihre Hand auf seinen Penis zu legen. Es war der Zwang,
dies zu tun, den ich als Körpernotwendigkeit bezeichne. Wenn diese
Körpernotwendigkeit ihre Hand zu der Kongruenz zwischen ihren gegenwärtigen und
ihren vergangenen Erlebnissen hin drängte, war die Verdrängung besiegt, das
Schloss rastete ein, und ihre Kindheit tauchte wieder auf. Ich denke, Sie
verstehen, dass diese Ereignisse, auch wenn sie mit Sexualität zu tun haben,
nicht wirklich sexuell sind. Es gibt hier keine Verführung. Hier ist kein Raum
für sexuelle Erregung. Wir haben es hier mit einer todernsten Sache zu tun, wir
müssen einer Körpernotwendigkeit Genüge tun, damit es zu einer Kongruenz und
zum Wiedererleben eines Kindheitstraumas kommen kann. Diese Suche nach der
Krankheitsursache unterscheidet sich nicht von der internen Untersuchung eines
Gynäkologen, der nach der Krankheitsursache im körperlichen Bereich sucht.
Diese Suche ist für mich als Therapeuten sexuell nicht aufreizender als die
Forschungsarbeit von Masters and Johnson, die einen mechanischen Penis
beobachteten, der sich in der weiblichen Vagina hin- und her bewegte, um so die
genauen physiologischen Reaktionen bei der weiblichen Sexualität zu studieren.
Wir müssen noch weiter über die
Anwendung von Berühren und Halten in der regressiven Tiefentherapie sprechen,
und zwar weit über das hinaus, was wir bereits behandelt haben. Tatsächlich
bleibt der tiefste Gebrauch dieser Techniken noch zu diskutieren.
Kapitel 6
Direktes
Therapeutisches Nähren
Wenn wir einen Klienten bitten, auf
den Schwingen des Schmerzes zu einem Kindheitstrauma zurück zu reisen, so ist
das irgendwie so, als würden wir mit einem Baby einen Sonntagsspaziergang
machen, es in seinem Kinderwagen quälen und es schließlich in den Trümmern
einer zerbombten Stadt allein zurück lassen. Es tut weh, in die Kindheit
zurückzukehren, und dort finden wir uns gewöhnlich in einer psychologischen
Wüste wieder. Wenn wir die Trostlosigkeit einer Kindheit betreten, der es
völlig an Liebe, Berührung und Empathie gefehlt hat, und die voll Missbrauch
war, was tun wir dann mit dem Erwachsenen, der nun zu einem Baby geworden ist,
und dessen zentrales Nervensystem weit offen ist, um seinen Schmerz zu fühlen,
weit offen in einer Welt ohne Nähren (nurture)? Die Antwort ist klar.
Wir lassen diesen psychologischen Säugling nicht einfach sterben, indem wir ihn
aussetzen, wie es die alten Römer, einem groteskem Brauch folgend, taten. Sie
wissen ja, dass diese aus sehr unterschiedlichen Gründen Babys sterben ließen,
indem sie diese auf einem Berg aussetzten.
Ich setze meine psychologischen
Kinder nicht aus, und wieder einmal erfordert das einen Vorstoß in eine strikt
verbotene Zone. Ich biete an, was ich "direktes therapeutisches Nähren"
nenne; es ist das der dritte Mechanismus, den ich als neues und legitimes
therapeutisches Phänomen anführe.
Was bedeutet nun direktes
therapeutisches Nähren?
Erstens muss der Therapeut äußerst
präsent sein, um der Intensität der Verletzbarkeit auf Stufe Vier gerecht zu
werden. In meinem Fall bedeutet das viele Dinge. Manchmal liege ich ganz nahe
bei meinen Klienten, ohne sie direkt zu berühren und sehe sie dabei im
Halbdunkel an, sodass sie, wenn sie die Augen öffnen, ein fürsorgliches Gesicht sehen, wie sie es ja
in ihren frühen Jahren nie sahen.
Zweitens bedeutet direktes
therapeutisches Nähren Berührung. Ich berühre meine Klienten auf vielfältige,
nicht-sexuelle Art. So lege ich ihnen etwa meine Hand auf die Hand, den Arm,
den Rücken oder den Nacken, das Gesicht oder den Kopf - wie ein Vater sein Kind
berühren würde, das Schmerzen hat.
Wenn ich Berühren für Zuwendung und
Nähren nutze, lege ich vielleicht auch meine Hand auf den Bauch eines Klienten,
auf oder unter seine Kleidung, wo sein Körper die Wärme aufnehmen kann,
notfalls mache ich das auch von Haut zu Haut. In der Tiefenregressions-Therapie
erkennen wir den Hunger nach Körperkontakt und nach Hautkontakt an.
Der Hunger nach Hautkontakt ist in
der Welt des Säuglings wohl bekannt. Ein Mangel an Hautkontakt kann zu
Depression und zum Tod führen. Dieser Prozess ist bei Säuglingen seit den
Studien von Spitz und Bowlby, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gemacht
wurden, gut bekannt. In Waisenhäusern, wo Babys einfach nur gefüttert und
sauber gehalten wurden, litten diese an Depressionen und starben schließlich,
falls sie nicht berührt wurden.
Kürzlich fand man, dass die
Sterblichkeitsrate bei Frühgeborenen deutlich gesenkt werden kann, wenn man sie
auf ein Schaffell statt auf ein Bettlaken legt. Das Fell, auf dem sie liegen,
rettet ihr Leben. In der Welt eines Säuglings sind Berührtwerden und Leben ein-
und dasselbe.
Nähren mit direkter Berührung ist
die zweite Körpernotwendigkeit - so, wie die Suche nach Kongruenz die erste ist. Wenn
Menschen in ihrer frühen Kindheit nicht ausreichend seelisch genährt wurden,
bleibt bei ihnen ein intensives Bedürfnis nach Berührung und nach
Gehaltenwerden zurück. Dies führt normalerweise während und nach der Pubertät
dazu, dass sie Sexualität benutzen, um
Erleichterung zu finden. Wie oft habe ich Frauen sagen hören: "Wenn er
mich bloß im Arm halten könnte, ohne gleich sexuell zu werden". In der
Therapie halte ich tief verletzte Menschen, ohne dabei sexuell zu werden. Wir
halten unsere Klienten, damit sie regredieren können, und wir halten sie, damit
sie heilen können. Manchmal kann die gleiche Geste beides verbinden.
So kam eine junge Psychotherapeutin
zu mir wegen Depressionen und schwerer Panik in Momenten sehr niedriger
Selbstachtung. Sie hatte schreckliche Angst davor, ihr Mann könnte in ihrer
neuen Ehe nichts Wertvolles an ihr finden, um damit seine Liebe zu ihr zu
begründen. Sie zitterte vor Panik bei jedem negativen Blick und fühlte, dass
sie kurz davor war, zusammenzubrechen.
Während unserer Arbeit entwickelte
diese Klientin heftige Bauchschmerzen. Einem intuitiven Gefühl gehorchend,
legte ich ihr die Hand auf den Bauch. Dieser fing an, sich heftig zu bewegen.
Ich rollte mich in ihre Nähe, um sie körperlich dadurch zu unterstützen, dass
ich sie im Arm hielt. Auf diese Weise wollte ich ihr helfen, eine dramatisch
ansteigende Flutwelle von körperlichem und seelischem Schmerz aufzufangen.
Sie hatte sich ebenfalls zu mir
gewandt, und so kam es, wie so oft und mit gegenseitiger Zustimmung in meiner
Therapie, zu einer Position, in der wir uns gegenseitig in einer festen,
frontalen Umarmung hielten. Die Bewegung ihres Bauchs nahm zu. Deshalb empfand
ich es als notwendig, meine Hand unten auf ihren Rücken zu legen und ihren
Bauch noch fester gegen meinen zu drücken.
Sie fing an zu schreien, ihr Körper
wurde von Krämpfen erschüttert, und die Laute, die sie machte, waren laut und
beängstigend. Allmählich veränderte sich ihre Stimme und wurde zunehmend zu der
eines Säuglings. Solche Sitzungen setzten sich über Monate fort, ohne dass eine
Einsicht auftauchte.
Ich spürte, dass es da zusätzlich zu
einem völlig ablehnenden Vater und einer wütenden und boshaften Mutter noch ein
anderes Trauma geben musste. Ich fragte sie, ob sie als kleines Kind noch eine
andere, ernsthafte Verletzung erlitten habe. Sie erzählte mir, dass sie im
Alter von weniger als elf Monaten für mehrere Wochen mit einer heftigen,
gastro-intestinalen Fehlfunktion ins Krankenhaus musste. Während dieser Zeit
durfte sie ihre Mutter nicht sehen. Die Forschung hat gezeigt, dass ein
irreparabler Schaden entstehen kann, wenn ein Säugling von weniger als elf
Monaten für längere Zeit allein gelassen wird. Während sie sich krampfhaft an
mich drückte, schrie sie immer wieder: "Lass mich nicht allein". Als
ich ihr sagte, ich würde sie nicht allein lassen, musste sie ein Stück
wegrücken und mein Gesicht sorgfältig erforschen, um sich zu vergewissern, ob
sie mir trauen könne oder nicht. Seltsamerweise ließen nach dem Wiedererleben
dieses frühkindlichen Problems ihre Panikattacken im Zusammenhang mit ihrer
niedrigen Selbstachtung allmählich nach. Wenn ein Kleinkind auch nur für wenige
Wochen allein gelassen wird, so kann das jahrzehntelange Nachwirkungen haben
und die Selbstachtung im Intimleben des Erwachsenen zerrütten.
Hier sehen wir, wie das Halten ein
Kindheitstrauma sowohl auslösen als auch heilen kann. Wo eine intensive
körperliche Nähe nötig ist, um ein von Schmerz erschüttertes Ich aufzufangen,
oder eine katastrophale Vernachlässigung in der frühen Kindheit zu heilen, muss
die Berührung wirklich sehr eng sein.
Wie Anna Freud in ihrem Buch über
die psychischen Abwehrmechanismen gezeigt hat, entspricht die Stärke der Abwehr
der Stärke der Verletzung. In meiner Welt bedeutet dies, dass ich bei Menschen,
die tiefe Kindheitsverletzungen erlitten haben, eine ebenso tiefe und intensive
Reparaturarbeit leisten muss. Und sie unterliegt der Kongruenzregel: Sie muss
genau stimmig sein.
Im Falle der obigen Klientin zum
Beispiel, die schrie und zum Alter von neun Monaten regredierte, geschah dies
nur, wenn ich meinen Bauch gegen den ihren presste. Kein noch so intensives
Händehalten oder verbales Drängen hätten den dafür notwendigen Schlüssel
abgegeben.
Während ihrer regressiven Momente
war ich die mütterliche Rettungsleine, das nährende Element, ehe sie ihren
potenziellen Tod als Kleinkind nochmal aufsuchte. Sie klammerte sich an mich
mit der Intensität eines Opfers in einem Konzentrationslager, das zu den Öfen
geschleppt wird. Ich klammerte dagegen mit einer kraftvollen, empathischen,
menschlichen Reaktion. Etwas anderes hätte ich nicht tun können.
Nachdem sie die Kongruenz
hergestellt hatte, und wir ihre akuten Bauchschmerzen genutzt hatten, fanden
wir uns schnell in der tiefen, vorsprachlichen Vergangenheit wieder. Sie
erlebte ihre gastro-intestinale Notsituation wieder und ebenso die
todverheißenden Verlassenheitsgefühle des Kleinkindes.
Auf dem Gebiet der therapeutischen
Berührung ist Haut-zu-Haut-Kontakt ein äußerst wichtiger Aspekt. Er ist tief,
mächtig und notwendig für die Entfaltung der psychophysischen Strukturen des
Kleinkindes.
Ich glaube, dass es während der
Adoleszenz zu einer emotionalen Verschiebung kommt. Diese Verschiebung im
emotionalen Bereich ist analog dem Schließen der Öffnung zwischen der rechten
und der linken Seite des Herzens gleich nach der Geburt, die bewirkt, dass der
Blutkreislauf des Säuglings anfängt, Sauerstoff aus der eigenen Lunge
aufzunehmen, statt, wie bisher, über die Nabelschnur von der Mutter.
In der Adoleszenz verschiebt die
Berührung der Haut viel von ihrer inneren Bedeutung weg vom direkten Nähren hin
zur sexuellen Erregung.
Diese Doppelnatur der Berührung
führt zu einem ernsthaften Problem in der Regressionstherapie. Wenn ein
Erwachsener in den Kindheits- oder Säuglingszustand regrediert, ist direkte
Berührung oft notwendig. Doch der Klient ist stets auch ein Erwachsener. Dieser
Erwachsene kann Sexualität hochkommen lassen, oder aber er wählt die nährende
Seite der nährend-sexuellen Verschiebung. Was hätte sexuell sein können, wird
jetzt zu einem nährenden Ereignis. Kommt es dabei zu einem leichten
Überschwappen (spillover) in sexuelle Erregung, so kann der Erwachsene
im Klienten wie im Therapeuten daran arbeiten, diese zu neutralisieren. In der
Regel setzt sich der nährende Aspekt so deutlich durch, dass der Klient diesen
zunehmend als zentrales und lebensrettendes Ereignis erlebt.
Sicherlich müssen wir bei diesen
nährenden Erfahrungen mit außerordentlicher Sorgfalt vorgehen. Viel Vertrauen
und guter Wille sind hier vonnöten. Doch gibt es in der Medizin nicht auch
häufig Gelegenheiten, bei denen große Sorgfalt geboten ist?
Wenn zwei Menschen sich mit dem
Bauch aneinander legen, so ist das eines der stärksten Beruhigungsmittel gegen
panische Angst, die es für Erwachsene gibt. Die beruhigende Wirkung dieser
Erfahrung wird noch verzehnfacht, wenn die Kleidung im Bauchbereich zurück
geschoben wird. Die Befreiung von tiefer Angst und Verzweiflung, die diese Art
von Berührung mit sich bringt, ist dramatisch und wirkt unmittelbar. Wir alle
haben diese Art von Trost in abgeschwächter Form schon bei der Umarmung als
Erwachsene erfahren.
Diese Technik können wir in der
Regressionstherapie verwenden, um starke Beruhigung und tiefes Nähren zu
bewirken. Dabei sollte der Druck gegen Brust und Becken so schwach wie möglich
sein, und sexuelle Bewegungen des Beckens müssen unterbleiben.
Einer meiner Klienten, der seine
schweren Angstzustände und sein krampfhaftes Weinen mit Hilfe dieser Technik
lindern konnte, nannte diese Momente Bauchumarmungen.
Es ist für unsere Kultur auf ihrem
derzeitigen Entwicklungsstand schon bezeichnend, dass man einem so einfachen,
organischen und effektiven Beruhigungsmittel, das wir in der Tiefentherapie bei
großer Angst einsetzen, zuweilen mit so viel Intoleranz begegnet.
Wenn wir einen Moment innehalten, um
das Ganze zu überdenken, dann erinnern wir uns daran, dass das Schönste, was
eine junge Mutter für sich und ihren Säugling tun kann, darin besteht, ihn sich
auf den Bauch zu legen. So drückt sie ihre Liebe in einer kraftvollen Form aus,
und dieser Haut-zu-Haut-Kontakt ist ein mächtiger Katalysator für das frühe
Wachstums ihres Kindes. Das Nähren von Haut zu Haut bildet das körperliche
Fundament, auf dem die psychologische Gesundheit gründet. Es ist die
grundlegende Basis für eine gesunde Persönlichkeit.
Es kann sein, dass körperliches „Wiederbeeltern“ (reparenting) in der
Tiefen-Regressionstherapie eine absolute Notwendigkeit ist. Es gibt Klienten,
die offensichtlich außerordentlich tiefe, regressive Arbeit leisten zu können,
ohne die Berührung ihres Therapeuten zu benötigen. Andere wiederum können mit
der extremen Intensität dieser schmerzhaften Regressionen ohne sehr viel
Berührung und ohne tiefe körperliche Verbundenheit nicht umgehen.
Immer wieder weisen Therapeuten, die
diese Art des Nährens anbieten, ihre Klienten darauf hin, dass sie unter keinen
Umständen in der Öffentlichkeit darüber reden dürfen. Es ist an der Zeit, mit
dieser Ängstlichkeit und dieser Unehrlichkeit Schluss zu machen. Wenn wir die
Kernenergie sicher machen können, dann können wir das auch beim tiefen Nähren.
Die
Rolle des Geruchssinns bei menschlichen Wachstumsprozessen
Auf dem Gebiet der direkten
Berührung gibt es noch ein weiteres Thema, das mit dem direkten Hautkontakt in
Verbindung steht. Beim Halten von Klientinnen habe ich immer wieder
festgestellt, dass sie dabei ihr Gesicht unten an meinem Hals vergruben, dort,
wo über dem obersten, offenen Knopf meines Hemds ein V-förmiges Stück Haut frei
liegt. Daraufhin begann ich, mein Hemd oben weiter zu öffnen, sodass die
Klientinnen ihr Gesicht direkt auf meine Haut in der Halsgegend legen konnten.
Sie schienen genau diesen Haut-zu-Haut-Kontakt häufig zu suchen, obwohl es
keine leichte Position zum Atmen ist.
Dann wurde mir klar, dass es dabei
gerade um das Atmen geht. Die Klientinnen suchten nach einem Gefühl der
Sicherheit über ihren Geruchssinn, genauso, wie es manche Säugetiere tun.
Jeder, der schon einmal einen Hund oder eine Katze hatte, ist damit vertraut.
Obwohl sie etwas verkümmert sind, sind die Geruchslappen des Gehirns, die uns
das Riechen ermöglichen, doch immer noch relativ groß in unserer Spezies.
Das Bestreben, dem Therapeuten
körperlich immer näher zu kommen, bildet den Grundstein für die Bindung (bonding),
welche die Verinnerlichung eines neuen Elternersatzes erleichtert. Dieser „Wiederbeeltern“-Effekt (reparenting), den
der Klient danach verinnerlicht, bietet ihm eine neue und stabilere
Basis für seine Persönlichkeit. Dies gilt besonders für Menschen, die als
Kinder von ihren richtigen Eltern zu wenig Liebe erfuhren oder anderswie
geschädigt wurden.
Eine solche extreme Nähe zum
Therapeuten ist bei Regressions-Therapie der Stufe Vier für einige Menschen
eine absolute psycho-physiologische Notwendigkeit. Wie ich schon oben gesagt
habe, ist die extreme körperliche Nähe zwischen Therapeut und Klient die zweite
Körpernotwendigkeit in der Tiefentherapie der Stufe Vier. Die erste ist, wie
Sie sich erinnern, die Suche nach Kongruenz – diese haben wir ja bereits
besprochen haben.
Zwei meiner Klientinnen haben mir
berichtet, dass sie sich während Phasen von Schlaflosigkeit oder nach einem
Albtraum meine Gegenwart auf nicht-sexuelle Art in der Fantasie vorstellten, um
ihre Angst zu neutralisieren. Die eine stellt sich vor, wie ich sie im Arm halte,
die andere, wie ich ihr den Nacken streichle. Diese Fantasien bewirken bei
ihnen ein Nachlassen der Angst und eine Rückkehr des Schlafs. Eine andere
Klientin fragte mich, ob ich für sie ein Stück meines Hemds abreißen könnte,
damit sie es sich zwischen ihren Sitzungen ans Gesicht halten und so den Duft
meines Körpers zur Beruhigung einatmen könnte. Damit benutzte sie ein
Elternersatzobjekt, um so ihren Geruchs- wie auch ihren Tastsinn zu
stimulieren. Diese Klienten versuchen offensichtlich, ein Elternersatzobjekt in
sich aufzunehmen, bzw. zu verinnerlichen, das sie stärker beruhigen soll, als
es ihre realen Eltern taten. Dies stützt und festigt den Grund ihres
Persönlichkeitssystems angesichts dieser traumatischen Wiedererlebensszenen.
Das meine ich, wenn ich von der intensiven Präsenz des Therapeuten in der
Regressionspsychotherapie der Stufe Vier spreche. Bitte beachten Sie, dass
diese Art der Präsenz in keiner Weise störend in die inneren Prozesse des
Klienten eingreift, was die Produktion von Einsichten betrifft. Sie ist im
Gegenteil ein Katalysator für genau diese tieferen Einsichten.
Berührung ist für die physiologische
und psychologische Entfaltung des Babys genauso unerlässlich wie Vitamine
während der Schwangerschaft für die Entfaltung seiner intellektuellen
Kompetenz.
Als ich in den späten siebziger
Jahren zum ersten Mal Berühren und Halten als mächtige Unterstützungsfaktoren
entdeckte, machte ich eine Reihe von Fehlern. Zuerst machte ich keine saubere
Trennung zwischen beiden; oft sind sie nämlich völlig separat, dann wieder sind
sie sich ganz ähnlich.
Direkte Berührung als Auslöser für
ein frühes Wiedererleben funktioniert gewöhnlich sehr gut. Sie werden sich an
den Mann mit dem Magengeschwür im ersten Teil dieses Buches erinnern. Fälle wie
dieser sind recht häufig. Direkte Berührung kann eine Regression auslösen, kann
aber auch zur körperlichen Beruhigung und Dämpfung gebraucht werden. Wenn ein
Klient zum Beispiel an tiefe negative Gefühlen herankommt, dann kann ich
dadurch, dass ich ihm eine Hand fest auf die Mitte seines Rückens lege, ihm die
nötige Unterstützung geben, um diese mächtigen Gefühle hochkommen zu lassen.
Auch das Halten kann, wie wir
gesehen haben, das Hochkommen überwältigender Gefühle sowohl unterstützen wie
dämpfen. In den ersten Jahren, als ich diese Techniken erforschte, machte ich
in einzelnen Fällen einen schweren Fehler, indem ich mit Hilfe des Haltens das
Zurückgehen des Klienten in seine Kindheit erleichterte, ehe der Klient ein
Bedürfnis danach spürte. Kurz, ich hörte auf, klientenzentriert zu sein. Das
Ergebnis war, dass ich mehrere Klienten so durcheinander brachte, dass sie sich
eher bedrängt als unterstützt fühlten. Und so lernte ich die alte Lektion der
Therapie, die besagt: Du sollst neben oder hinter dem Klienten gehen, aber du
musst äußerst vorsichtig sein, wenn du vor dem Klienten her gehst und dabei ein
mächtiges, unterstützendes (facilitative) Verfahren anwendest. Ich
lernte, Halten nur dann zu benutzen, wenn ein starkes Bedürfnis des Klienten
organisch danach verlangt. Ehe ein Bedürfnis danach besteht, kann Halten als
nicht kongruent, invasiv und möglicherweise auch als sexuell erlebt werden. Ehe
ein Bedürfnis danach besteht, kann Halten die Therapie zu schnell vertiefen und
eine Reihe unproduktiver Ergebnisse zur Folge haben, und der Klient erlebt dies
zurecht als verletzend.
Berühren und Halten müssen von einem
Selbst gebraucht, gewollt und verlangt werden, das versteht, was ihm zugemutet
wird. Dieses Selbst muss sich dem Erleben zutiefst verschrieben haben, und es
muss stark genug sein, um die mächtigen Gefühle, die dabei hochkommen,
auszuhalten und zu verarbeiten.
Wenn ein Klient wirklich in
Tiefentherapie der Stufe Vier am Arbeiten ist, dann sind Berühren und Halten
ein warmer und sicherer Herd in einem verzweifelten Sturm.
Sexuelle
Berührung
Ich verstehe heute, dass es einfach
zu schwierig ist, mit sexueller Berührung therapeutisch zu arbeiten. Es ist mir
heute klar, dass die meisten Klienten, die danach verlangen, keine Ahnung
haben, wie sehr diese sie durcheinander bringen kann.
Die Sexualität ist in der Welt des
Klienten ein Ozean für sich: tief, tückisch und von Stürmen gepeitscht – und das besonders, wenn ein Klient
in seiner Kindheit sexuell missbraucht wurde.
Die schreckliche und alles
erschwerende Wahrheit über sexuelle Berührung, ist, dass sie nicht nur das
Wiedererleben des Kindheitstraumas auslöst, sondern zugleich auch den
Paarungsprozess im Gehirn zünden kann. Dies kann zu dem ganzen Spektrum von
Reaktionen führen, der die "Liebe" ausgesetzt ist, d.h. zu mächtigen
Liebeserwartungen, zu Verlassenheitsgefühlen, zu Eifersucht, Wut usw. Im
Gegenzug können diese Gefühle das beschädigte Ego (ego container) des
Klienten, und sogar den Therapeuten, überwältigen und mit verheerenden Folgen
in die Therapie überschwappen.
Und als ob das der Probleme noch
nicht genug wären, können die defensiven Kräfte des Gehirns den Therapeuten zur
Quelle des Schmerzes machen und so die Angst machende frühe Primärarbeit
vermeiden. Wie ich anderswo sage, fällt es uns leichter, den Therapeuten zu
zerstören, als uns unseren frühen Missbrauchserfahrungen zu stellen.
Und doch haben Masters und Johnson
und andere Forscher direkte sexuelle Techniken und Ersatzpartner benutzt, und
dabei immer mehr Innovationen in diesen Bereich eingeführt. Meine Behandlung
der Klientin, die den sexuellen Missbrauch aus ihrer Kindheit nur wiedererleben
konnte, indem sie mich berührte, ist für
mich ein Beispiel von ethischer Therapie.
Doch Therapeuten müssen auf der Hut
sein und unterscheiden können, ob eine Bitte nach sexueller Berührung von
krankhaften Impulsen geleitet wird, oder ob sie, im Gegensatz dazu, eine Körpernotwendigkeit der Stufe Vier
darstellt, die nach Kongruenz sucht, um ein therapeutisches Wiedererleben zu
ermöglichen.
Trotz dieser Einschätzung habe ich
nicht das Gefühl, dass ich es je wieder riskieren könnte, therapeutisch mit
sexueller Berührung zu arbeiten. Stattdessen habe ich mich dem Gebrauch von
therapeutischen sexuellen Modellen zugewandt. So konnte zum Beispiel ein
langer, harter Gegenstand unter einem Bettlaken effektiv das Wiedererleben
eines frühen Missbrauchs bei einer meiner Klientinnen auslösen.
Kapitel 7
Die Lust des
Therapeuten als Problem in der Regressionstherapie
Eines der schwer wiegendsten
Probleme in jeder Therapie, die Berühren und Halten einbezieht, ist das Problem
der Lust des Therapeuten. Besonders heikel wird das Problem, wenn wir an einen
sexuellen Kontakt ganz gleich welcher Art zwischen Klient und Therapeut denken.
In der Tat ist dieses Problem so akut, dass wir jedwede Art von sexuellem
Kontakt in der Therapie völlig ausgeschlossen haben.
Wir wollen einige unserer am meisten
geschätzten Annahmen auf diesem Gebiet kurz überdenken.
Jede Psychotherapie ist für den
Therapeuten eine Quelle der Lust; es ist die Lust am Heilen und die Lust, in
einer intimen Beziehung zu sein. Für den Therapeuten ist diese Intimität
sicher. Der Therapeut muss nichts riskieren, er trägt die Verantwortung. Er
weiß mehr als seine Klienten; er steht über ihnen und hat einen
sicheren Abstand. Und doch kann, von diesem günstigen Aussichtspunkt aus, sich
der Therapeut innerhalb seiner professionellen Beziehung zu seinen Klienten
emotional nähren, und zwar deshalb, weil diese das Ganze durch das, was sie
einbringen, zu einer intimen Beziehung
machen, und das unter erheblichem eigenem Risiko.
Ich möchte Ihnen deutlich machen,
dass wir Therapeuten uns alle von dieser Art Intimität emotional nähren können
und es auch tun, ob wir es zugeben oder nicht. Ich vermute, dass wir hier eine
Nähe erfahren, die wir als Kinder nie erlebt haben. Niemand von uns darf es
zulassen, dass sein eigenes Nähren vorrangig wird, und dass er so die
klientenzentrierte Qualität dieser Erfahrung schädigt.
Lust in der Psychotherapie entsteht
auch durch ihren voyeuristischen Aspekt. Aktuelle Untersuchungen zum Beispiel
warnen Klienten wie Therapeuten davor, sich allzu sehr für peinliche Details
aus der Kindheit des Klienten und aus seinen anderen sexuellen Begegnungen zu
interessieren. Das ist besonders deshalb sehr schwierig für beide, da, wie ich
wiederholt gesagt habe, traumatische Erlebnisse äußerst detailliert
wiedererlebt werden müssen, damit es zur Heilung kommt. Allerdings kann man in
den meisten Fällen intuitiv gut unterscheiden, ob es sich um ein explizites
Interesse am detaillierten Wiedererleben von schwierigen Lebenssituationen zum
Zwecke der Unterstützung und der Heilung handelt, oder um ein voyeuristisches
Interesse.
Machen wir uns nichts vor: Einem
Therapeuten macht das Therapieren Spaß, genauso wie dem Piloten das Fliegen
oder dem Taucher das Tauchen; allerdings ist auf dem Gebiet der Psychotherapie
das eigene Nähren bei der beruflichen Erfahrung direkter und ähnelt stärker der
Intimität, in der wir hätten aufwachsen sollen, es aber so selten konnten.
Wenn ein Mensch tiefe, persönliche
Wahrheiten ausspricht, nährt das den Zuhörer immer.
Regressive Psychotherapie der Stufe
Vier erhöht die Intimität und das Nähren, die der Therapeut erhält, weil sie so
viel intensiver ist, und diese Intensität wird noch verstärkt, wenn es zu
direktem Hautkontakt kommt. Bei einer therapeutischen Erfahrung, die tiefes,
emotionales Material enthält und zusätzlich dazu noch mit Berühren und Halten verbunden ist, kann es bei Therapeut
und Klient zu einem tiefen, gegenseitigen, primären Nähren kommen. Natürlich
können wir als Therapeuten uns nicht gehen lassen und aktiv nach dem gleichen
Grad von Nähren suchen wie der Klient. Schließlich hat der Therapeut auch noch
eine objektive Arbeit zu tun. Trotzdem wird auch der Therapeut genährt. Und
tatsächlich: Wenn ich nicht voll präsent bin und den Klienten einfach nur
meinen Körper zur Verfügung stelle, scheinen diese es zu merken und sagen mir
vielleicht so etwas wie: "Du bist heut nicht ganz hier". Ich habe
also entdeckt, dass, wenn ich einen Klienten halte, das Nähren eindeutig in
beide Richtungen fließt. In der Therapie müssen wir das Hauptaugenmerk jedoch
unbedingt auf den Klienten richten.
Während einer langen
Tiefenbehandlung entdeckte ich, dass sich ein Magengeschwür, das mich schon
seit acht Jahre lang plagte, aufgelöst hatte, und das als Nebenprodukt der
Behandlung. So wurde auch der Therapeut geheilt.
Erhalten nicht auch die Eltern etwas
zurück, wenn sie geben? Mehr als eine Frau hat mir von der tiefen sinnlichen
Lust beim Stillen ihres Säuglings berichtet.
Berühren und Halten in den Dienst
des Klienten zu stellen, es wirklich klientenzentriert anzuwenden, setzt einen
Grad persönlichen Wachstums beim Therapeuten voraus, der nur schwer und erst am
Ende einer langen und schwierigen Reise zu erreichen ist. Es stammt nicht aus
Büchern, sondern aus der Erfahrung. Und da Erfahrung ihre eigene Lehrmeisterin
ist, kommt es zu persönlichem Wachstum dadurch, dass wir Fehler machen. Und
genauso, wie ein Forschungsreisender von den Mitgliedern eines Naturvolkes in
eine Falle gelockt und dann gefangen genommen werden kann, können auch die
Schwierigkeiten der Tiefentherapie den Therapeuten in eine Falle locken und
damit eine therapeutische Reise untergraben.
Natürlich fügt sexuelle Berührung
einer bereits nährenden Erfahrung noch zusätzlich Lust hinzu. Gibt es denn
irgendetwas auf der Erde, das beim Therapeuten die Haltung aufrecht erhalten
kann, sich mehr für die Heilung seiner Klienten als für seine persönliche
Befriedigung zu interessieren? Ich glaube, es gibt im Menschen eine Kraft, die
dieser Herausforderung gewachsen ist, eine Motivation, die noch stärker ist als
das tiefe Nähren beim Berühren und die sexuellen Lust in der Therapie. Ich
glaube, einen Sinn in seinem Leben zu haben, ist ein noch mächtigerer Antrieb
als der, Lust zu empfinden.
Männer und Frauen haben seit jeher
viel mehr als nur ihre Lust geopfert, wenn es um „den Sinn ihres Lebens“ ging.
Männer haben sich auf Handgranaten geworfen, um ihre Freunde zu retten. Frauen
haben Folter und Tod riskiert, um zu Zeiten der Unterdrückung in einer
Widerstandsbewegung aktiv zu werden. Ich könnte noch endlos Beispiele anführen.
Mitglieder unserer Spezies haben alle Arten von Stress auf sich genommen, um
ihrem Leben einen Sinn zu geben. Der Kampf gegen die Sinnlosigkeit des eigenen
Lebens ist der entscheidende und tiefe Grund dafür, dass ein Therapeut, der
guten Willens ist, sich von den Bedürfnissen seines Klienten leiten lässt. Wenn
Therapeuten sich gestatten, ihre eigenen Interessen während der Therapie zu
verfolgen, ist es mit dem Sinn vorbei.
Können wir klientenzentriert sein?
Wir müssen es. Die Alternative ist das Nichts und die Verzweiflung, und die
beherrschen dann eine geistige Landschaft, die immer düsterer wird, bis es zu
Depression und/oder Tod kommt. Sinnlosigkeit und Tod sind sehr enge Partner.
Am Ende, wenn alles gesagt und getan
ist, kommt Lust bei einem entwickelten menschlichen Wesen gegen den Sinn nicht
an.
***
Sinnhaftigkeit hat ja Vorrang vor
der Lust. Deshalb habe ich früher behauptet, falls es für den Klienten klar
sei, dass eine Intervention mit sexueller Berührung auf einem gesundheitsorientierten Bedürfnis
seinerseits beruhe, und der Therapeut von einer klientenzentrierten Orientierung,
nicht von seiner Lust, motiviert werde, könnte eine solche Intervention
gelegentlich zu echter Heilung führen, ohne dass die Beziehung dabei zu Schaden
kommen müsse.
Heute glaube ich, dass dieses
Experimentierfeld so gefährlich ist und so leicht zu Missverständnissen führen
kann, dass man es nie betreten sollte. Fünf Jahre intensiver
Gespräche mit Klienten und Kollegen haben meine Meinung geändert.
Bei den seltenen Gelegenheiten in
der Therapie auf Stufe Vier, wo der Klient einer Körpernotwendigkeit folgt, um
(zum Zwecke des Wiedererlebens) eine Kongruenz mit einem vergangenen Ereignis
herzustellen, muss der Therapeut auf
sexuelle Berührung unbedingt verzichten.
Wenn man eine attraktive Frau hält,
kann während der Lernphase dieser Technik so etwas wie ein „sexueller Halo-Effekt“ innerhalb der therapeutischen
Beziehung entstehen. Manchmal ist es unter diesen Umständen für den Therapeuten
unmöglich, sich nicht bewusst zu sein, dass er den Körper einer Frau im Arm
hält. Es ist dabei jedoch nicht so besonders schwierig, Gefühle sexueller
Erregung unter Kontrolle zu halten. Reife Männer können sich auf diesem Gebiet
sehr wohl beherrschen.
Sollte ich beim engen Halten einer
Frau diese sexuellen Gefühle bzw. diesen sexuellen „Halo-Effekt“ spüren, und sollte dies bei mir zu
einer gewissen Erregung führen, dann konnte ich der Frau versichern, es handele
sich dabei lediglich um eine physiologische Reaktion, und sie bräuchte sich
deshalb keine Gedanken zu machen. Diese Erregung muss unser Urteilsvermögen und
unsere Selbstkontrolle nicht beeinträchtigen. Vorausgesetzt, guter Wille und
Vertrauen sind vorhanden, dann hat die Klientin bei solchen Gelegenheiten keine
Schwierigkeiten damit, diese sexuelle Reaktion als ein Artefakt zu betrachten.
Sie braucht keine Tür zu einer Katastrophe zu öffnen. Wir können zur Kenntnis
nehmen, was passiert, und brauchen uns nicht darin zu verstricken. Wenn wir
einfach mit dem weiter machen, was für den therapeutischen Prozess gesund ist,
geht die sexuelle Erregung zurück. In dieser Situation ist sie fehl am Platz.
Wenn wir nicht bereit sind,
gelegentlich ein Risiko einzugehen, wenn wir Nähren und körperliche
Unterstützung anbieten, dann verlieren wir allmählich das Gefühl, therapeutisch
lebendig zu sein. Einige Klienten, denen wir hätten helfen können, bleiben dann
für immer in einer verwüsteten Kindheit stecken, aus der sie nicht gesund
zurückkehren können. Vielleicht gelingt es ihnen ja, ihre Abwehr wieder
aufzubauen, doch am Schluss sind sie rigide, verletzlich und voller Angst. Das
zentrale Paradox der Therapie kann dadurch sicherlich vermieden werden, doch
der Preis, den die Klienten dafür zahlen müssen, ist immer hoch.
Noch
ein letztes Wort über das Nähren
Unter normalen Umständen ist das
Halten eines Menschen zwar eine recht angenehme Erfahrung, doch es nährt und
verändert das innere Kind nicht. Doch im Fall einer Tiefenregression ist das
anders: Dann nährt das Halten das innere Kind tatsächlich, weil das zentrale
Nervensystem weit offen ist. Diese Technik habe ich THERAPEUTISCHES NÄHREN
genannt.
Heute kommen Klienten zu mir, da sie
wissen, dass ich Regressionstherapie mache und unterstützendes Nähren anbiete.
Bei vielen Klienten sind die letzten 15 Minuten jeder Sitzung in der Tat dem
Halten vorbehalten. Im Grunde handelt es sich dabei um warme, tief
bedeutungsvolle Ganzkörperumarmungen, wobei
Therapeut und Klient auf der Seite liegen. Nährendes Halten kann auf
Stufe Vier der Regressionstherapie vorkommen, ohne dass es notwendigerweise
Teil eines mächtigen regressiven Wiedererlebens ist.
Eine meiner Klientinnen, die Tochter
eines Alkoholikers aus einer stark dysfunktionalen Familie, besteht darauf,
dass ich sie am Ende jeder Sitzung zwanzig Minuten lang im Arm halte. Sie sagt,
es sei dieses Halten, das ihrem Alkoholismus, ihrer Bulimie, ihrem zwanghaftes
Erbrechen und ihrer obsessiven Beschäftigung mit dem Selbstmord ein Ende
gesetzt habe. Sie hat auch aufgehört, Selbstmordnotizen mit ihrem Blut zu
schreiben. Ihr Gefühl sagt ihr, dass sie dieses Gehaltenwerden braucht, und
dass es das Nähren ersetzt, das sie damals nicht bekam, und das ihr auch noch
so viele Diskussionen nie werden geben können.
Immer wieder äußern sich Klienten
mir gegenüber positiv über die Auswirkungen des tiefen Nährens. Es wird immer
Teil der regressiven Tiefentherapie bleiben.
Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens
kann ich die endlosen Debatten von Psychiatern darüber, ob der Therapeut dem
Klienten die Hand schütteln soll oder nicht, nicht länger ertragen. Die Art
Psychotherapie, die ich und ein paar andere praktizieren, ist so weit über die
Ambivalenz der psychiatrischen Hauptströmung, was das Halten betrifft, hinaus,
dass die Literatur dazu für uns sinnlos ist.
Kapitel 8
Anforderungen
an Regressionstherapie der Stufe Vier
a:
Klarheit
Das Vermögen, klar zu sehen, ist
beim Menschen extrem beeinträchtigt, und damit ist auch seine Fähigkeit
einzugreifen, beeinträchtigt.
Die menschliche Abwehrhaltung, die
wir alle ständig am Werk sehen, legt den Eindruck nahe, dass Persönlichkeit ein
Konstrukt ist, das auf einem Unterbau
von großer Angst steht. Es sieht so aus, als hätten wir schreckliche Angst vor
unserem Ende. Wir können eine Infragestellung unserer Glaubenssysteme nicht
ertragen, weil sie uns in die Nähe unserer Angst vor dem Nicht-Sein bringt.
Hast du Recht, und ich habe Unrecht,
dann breitet sich womöglich mein Gefühl, Unrecht zu haben, aus, und ich falle
in einen Abgrund von „Im-Unrecht-Sein“, wo ich zerfalle, zu einem Nichts
werde und sterbe. Alles, was von außen auf uns zukommt, kann diese Art von
Schrecken in uns auslösen. Unfähig, die Bodenlosigkeit unseres „Im-Unrecht-Seins“ zu ertragen, verteidigen wir uns,
hören nicht zu, verdrehen die Tatsachen und bleiben um jeden Preis bei unserer
Wahrheit. Es ist dieser Schrecken, der unsere Meinungen erzeugt, und der uns zu
dem Versuch veranlasst, die Meinungen anderer Menschen zu ignorieren. Es ist
dieser Schrecken, der Therapeuten dazu bringen kann, ihren Klienten ihr eigenes
therapeutisches Glaubenssystem aufzuzwingen. Interessanterweise ist es unter
anderem genau dieses Persönlichkeitskonstrukt, das der Zen-Buddhismus mit Hilfe
seiner Koans, der "unlösbaren" Fragen, aufzulösen sucht. Koans sind
eine der Methoden des Zen auf dem Weg zur Absichtslosigkeit (no-mindedness).
Die Wahrnehmung von Therapeuten ist
genauso getrübt wie die von anderen Menschen. Sie besitzen jedoch das weltbeste
Abwehrsystem, die Abwehr des Wissens. Es ist schon bemerkenswert, wie viel
manche Therapeuten wissen, und doch scheinen sie nicht in der Lage zu sein, mit
ihren Klienten direkt tiefentherapeutisch zu arbeiten. Daraus könnte man
schließen, dass das, was sie wissen, ein Konstrukt ist, um ihre eigene
Sicherheit zu schützen. Man könnte daraus schließen, dass sie schreckliche
Angst haben. Die Belastung der Reise eines Klienten durch die Angst des
Therapeuten geschieht fortwährend, ist subtil, unsichtbar und vollständig. Oft
trägt sie den Namen "psychodynamische Theorie".
Viele Therapeuten, die sich selbst
als "rational" ansehen, können die oberste Wahrheit der Therapie
nicht wirklich glauben: Dass die Psyche des Menschen, wenn sie fühlen darf,
sich selbst heilt. Sie können diesen fundamentalen Glaubenssatz nicht
akzeptieren. So seltsam es auch scheinen mag, die Fähigkeit, vor der
regressionstherapeutischen Arbeit des Klienten zurückzutreten und ihr nicht im
Weg zu stehen, fußt auf der Zen-Doktrin der Absichtslosigkeit. Das bedeutet
Folgendes: Auch wenn ein Therapeut noch so sehr an seine Techniken zur Öffnung
der Pforten der Seele glaubt, ist es doch extrem wichtig, dass er dann, wenn
diese Pforten sich öffnen, diesem Prozess nicht die eigenen Überzeugungen
überstülpt. Er muss warten, voll Hoffnung, doch ohne sich einzumischen. Sein
eigener Geist muss von eigenen Konflikten "leer" sein, sodass er mit
dem Klienten intuitiv in Resonanz treten kann. Ist der Therapeut voll von
Wissen, so wird er ziemlich sicher die Verknüpfungen stören, die im Laufe des
Prozesses entstehen. Die Lehre von der Absichtslosigkeit ist ein Konzept des
Zen-Buddhismus, das in die westlichen Psychotherapie durch Fritz Perls’ Begriff der „fruchtbaren Leere“ Eingang gefunden hat. Ich kann an
dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, ich weise nur darauf hin, dass
dieses Konzept in seiner buddhistischen Bedeutung ein fast unerreichbares Ziel
darstellt; im therapeutischen Kontext ist das viel eher möglich.
Die Absichtslosigkeit eines
Therapeuten beruht im Wesentlichen darauf, dass er selbst mindestens zwei bis
vier Jahre als Klient in tiefentherapeutischer Behandlung war (eine weitere
Voraussetzung, um diese Arbeit zu machen). Jeder Therapeut, der nicht auf Stufe
Vier an sich selbst gearbeitet hat, würde eine Gefahr darstellen. Es wäre einem solchen Therapeuten unmöglich, beiseite
zu treten und das Wiedererleben zuzulassen. Das liegt daran, dass das
menschliche Bewusstsein sich auf halbem Weg zwischen der eigenen Vergangenheit
und der äußeren Welt befindet. Nur ein kurzes Beispiel: Wenn ich als Kind von
einem Hund gebissen wurde, ohne mich bewusst daran erinnern zu können, dann
beeinflusst diese Erinnerung, ohne mein Wissen, die Art und Weise, wie mein
Bewusstsein auf einen Klienten, der über Hunde spricht, reagiert. Angenommen,
der Klient möchte zwei oder drei Hunde besitzen, und ich mache, völlig
unbewusst, die Bemerkung: „Meinst du nicht, ein Hund wäre genug?", so mag
es durchaus den Anschein haben, als sei ich Klientenzentriert und fürsorglich
(Ereignis in der Außenwelt), In Wirklichkeit jedoch reagiere ich auf ein mir
unbekanntes Ereignis aus meiner Vergangenheit. Wenn wir uns klar machen, dass
die meisten Ereignisse aus unserer Kindheit unserer bewussten Erinnerung nicht
zugänglich sind, dass diese Erinnerungen aber die Art und Weise beeinflussen,
wie wir fühlen, denken und täglich auf Menschen reagieren, dann wird klar, dass
die Reaktionen des Therapeuten auf seine Klienten enorm getrübt sind. Wenn
Menschen versuchen zuzuhören, nehmen sie meist doch nur die Ängste wahr, die
durch das, was sie gehört haben, in ihnen ausgelöst werden und reagieren bloß
auf diese.
Auch starke Gefühle unterlaufen die
Klarheit von Fühlen und Denken. Wenn ich ohne Liebe aufwuchs, kann mein
Bedürfnis nach Liebe meine Arbeit ungünstig beeinflussen. Vielleicht fokussiere
ich mich zu sehr auf dieses Thema, oder ich scheue davor zurück, meine Klienten
zu konfrontieren, aus Angst, ihre Liebe zu verlieren. Wenn ich in einer Familie
mit viel Wut aufwuchs, so kann meine Wut meine therapeutischen Ziele
durchsetzen. Es gibt endlos viele Formen von Voreingenommenheit, und alle
rühren von einem einzigen Problem her.
Die Psyche besitzt eine enorme Flexibilität.
Sie kann jedes beliebige einzelne Ereignis aus der Vergangenheit, das uns
geprägt hat (es kann sich auch um eine Reihe von Ereignissen handeln), nehmen
und dann sowohl seine Bedeutung als auch die zahllosen Methoden, mit denen wir
diese Prägung abwehren, verschleiern.
Wenn Therapeuten zuhören, dann tun
sie das aus der unsichtbaren inneren Matrix ihrer sicherheitsorientierten
Denkprozesse heraus, und damit verstricken sie den Klienten in das feingewobene
Netz ihrer eigenen Abwehr. Der Therapeut weiß nichts davon, der Klient weiß
nichts davon, und tatsächlich hat dieser oft nicht die geringste Ahnung, wie
der Therapeut seine Reise zum Scheitern gebracht hat.
Jedes Mal, wenn ein Klient mit einem
Therapeuten spricht, mobilisiert er bei diesem Reaktionen, die in einer
Klientenzentrierten Therapie fehl am Platz sind. Was der Klient (als Außenwelt)
in mir als Therapeuten auslöst, ist meine persönliche Abwehrhaltung gegenüber
jedem Thema, das er vorbringt. Dieses Problem stellt sich bei der Regressionstherapie
noch viel dringlicher, denn hier wird die Abwehr des Therapeuten sehr, sehr
schnell aktiviert; Ein Klient auf Stufe Vier bringt extrem mächtiges Material
hoch, und das löst bei ihm und auch, in Resonanz darauf, beim Therapeuten
äußerst heftige Reaktionen aus, und vor denen will der Therapeut sich schützen
und sie beherrschbar halten. Hatten wir etwa selbst, ohne uns daran zu
erinnern, Schwierigkeiten mit unserem Vater, und der Klient rührt an einen
ähnlichen wunden Punkt mit seinem Vater, so husten wir vielleicht im
falschen Moment, räuspern uns oder machen einen so genannten hilfreichen
Vorschlag – und alles nur, um unsere eigenen Erinnerungen verdeckt zu halten. Wenn
wir demnach verborgene, uns unbewusste Gefühle haben, so verhindern diese das
Hochkommen von ähnlichem Material bei unseren Klienten.
Praktisch jede unserer Reaktionen
lässt sich, wenn wir uns dieser Problematik nicht bewusst sind, auf Dinge in
uns selbst zurückführen, an die wir uns nicht erinnern. Und so scheitern unsere
Versuche, klientenzentriert zu bleiben und Angst machendes Material hochkommen
zu lassen, immer wieder. Doch es gibt hier eine Sicherheitsvorkehrung:
Therapeuten, die sich dieses Phänomens nicht bewusst sind, bewirken nie
ausreichend empathische Kongruenz, um einen Klienten bis auf Stufe Vier zu
bringen. Sollte es doch einmal vorkommen, so führt das Unbewusste des
Therapeuten seinen Klienten bald wieder zu einer weniger intensiven Arbeit
zurück.
Kongruenz
V:
Kongruenz zwischen Therapeut und
Klient
Die empathische Kongruenz des
Therapeuten mit den tiefsten Themen des Klienten ist Kongruenz Fünf, und ohne
sie wird das Wiedererleben von frühem schmerzlichem Material immer wieder
blockiert.
Wir begegnen jetzt einem
therapeutischen Paradoxon. Wie kann ein Verängstigter einen Verängstigten
unterstützen? Wie kann ein Mensch mit einem getrübten Bewusstsein einen
anderen, ebenfalls bewusstseinsgetrübten Menschen unterstützen?
Zuallererst einmal muss der
Therapeut seine eigene persönliche Therapie durchlaufen; je tiefer er dabei
kommt, um so klarer wird er. Diese Therapie, mit mindestens einer Sitzung pro
Woche, dauert meist mehrere Jahre.
Der Zen-Meister fragt seine Mönche,
ob irgendeiner von ihnen "ein einziges wahres Wort" sagen kann. Sie
entdecken, mit ganz seltenen Ausnahmen, dass sie dazu nicht in der Lage sind.
Der Zen-Meister stellt den Mönchen eine Aufgabe, die ihnen helfen soll, das
symbolische Substitut, das sie zwischen sich und eine direkte Erfahrung des
Universums gestellt haben, aufzulösen. Die Aufgabe, letzte Klarheit zu
erlangen, die manchmal als „plötzliche Erleuchtung“ oder Satori bezeichnet wird, könnte
auch für Therapeuten ein Ziel sein.
Im Wirklichkeit haben wir als
Therapeuten jedoch eine etwas einfachere Reise vor uns. Unsere Aufgabe ist es
zuzuhören, und zwar mit einer so offenen und ungetrübten Aufmerksamkeit, wie
wir aufbringen können. In der Psychiatrie gibt es den Begriff der "Mutter,
die gut genug ist" (good-enough mother), und das beruhigt uns insofern, als eine Mutter nicht perfekt sein
muss. Das Konzept des "Therapeuten, der gut genug ist" befreit uns
von der analogen Angst, wir müssten in unserer Arbeit perfekt sein.
Allerdings sollten wir schon so
zuzuhören, dass wir dabei dem Zustand derAbsichtslosigkeit des Zen möglichst
nahe kommen, und damit zulassen, dass die Worte unseres Klienten uns zu
wirklich klientientenzentrierten mitschwingenden Reaktionen anregen. Auf
unserem Weg zu einer ungetrübten Therapie ist die beste aller Techniken das
Spiegeln nach Rogers. Es infiziert den Klienten nicht mit Material des
Therapeuten. Es spiegelt einfach.
ANFORDERUNGEN AN REGRESSIONSTHERAPIE
DER STUFE VIER
b:
Spiegelnde Therapie
Man meint oft, spiegelnde Therapie
habe zu wenig Power. In Wirklichkeit ist sie das mächtigste Werkzeug überhaupt
und das am wenigsten getrübte. Das Zurückspiegeln von dem, was ein Klient
gesagt hat, gibt dem Gesagten vor dem Hintergrund des Dunkels und der
Verwirrung des emotionalen Schmerzes klarere Konturen. So macht etwa der
Kommentar "es scheint, du hattest Schwierigkeiten, als du zur Tür
hereinkamst" eine diffuse Angst spezifischer und handhabbarer. Sie
zeichnet mit klaren Strichen nach, was der Klient zuvor nur undeutlich
wahrgenommen hat. Dies bringt die Einsicht zum Abschluss und erlaubt so der nächsten
Verknüpfung, hervorzutreten.
Das Wiederspiegeln von Gefühlen
schärft unseren Sinn dafür, wo in Momenten der Verwirrung unsere Energie
herkommt. Beispielsweise zeigt die Spiegelung "du hast ihn gehasst, als er
dir das antat" sowohl, wo das Gefühl entstand, als auch die Tiefe, in der
ein Ereignis uns berührt hat.
Das Spiegeln von Lebensthemen macht
sichtbar, wie wir uns all die Jahre immer wieder an ähnlichen Punkten
festgehakt haben. Ein Beispiel: "Jedes Mal, wenn eine Frau dich um etwas
bittet, machst du Schluss mit ihr".
Der Therapeut lernt, Material
widerzuspiegeln, das sich so gerade noch innerhalb der Grenzen dessen befindet,
was der Klient, wenn er es hört, noch fühlen kann. Wenn der Therapeut etwas
spiegelt, das tiefer liegt, verfehlt er das Ziel, der Klient verliert das
Gefühl, und die therapeutische Arbeit kommt zum Erliegen.
Diese Fähigkeit, den
Wahrnehmungshorizont des Klienten dadurch zu erweitern, dass man ein klein
wenig mehr spiegelt als das, was er weiß, allerdings nur so viel, dass er es
immer noch fühlen kann, wenn er es hört, ist das Wesen der Kunst
therapeutischer Unterstützung. Kurz, wenn Klienten die Information nicht fühlen
können, ist sie nutzlos.
Beispielsweise ist die Spiegelung „jedes Mal, wenn du einen schwierigen
Chef hattest, hast du deinen Job wütend hingeschmissen" etwas, das der
Klient hören und fühlen kann. Anders der Satz: "Weil dein Vater in deiner
Kindheit ständig wütend auf dich war, gibst du heute jedes Mal, wenn du auf
einen schwierigen Chef triffst, deinen Job auf"; zwar mag dieser Satz
vollkommen richtig sein, doch der Klient kann ihn nicht fühlen, und daher ist
er als therapeutischer Kommentar ungeeignet, Wachstum zu fördern.
ANFORDERUNGEN AN REGRESSIONSTHERAPIE
DER STUFE VIER
c:
Resonantes Zuhören
Es gibt eine Haltung des Zuhörens,
bei der es uns als Therapeuten gelingt, unsere Aufmerksamkeit so tief auf
unsere Klienten zu zentrieren, dass unsere eigenen Probleme zurücktreten, und
ein neues Phänomen auftritt: Resonanz.
Zu Resonanz kommt es beim
Therapeuten in Momenten intensiven, klaren Zuhörens. Diese Intensität führt zu
einer Art meditativem Zustand. In diesem Zustand werden wir so kongruent mit
unseren Klienten, dass ihre Probleme und ihre Aussagen in uns einen ähnlichen
Satz von Verknüpfungen auslösen. Tatsächlich beginnt unser Unbewusstes, in
Resonanz mit ihrem Unbewussten zu treten, und das führt uns zu Spiegelungen,
die fast telepatisch werden und beim Klienten Material in Bewegung bringen, das
tief unterhalb seines Bewusstseins liegt. So hat beispielsweise eine Frau
zwanzig Minuten lang dem Therapeuten erzählt, wie enttäuscht sie in ihrem Leben
sei. Ohne darüber nachzudenken, antwortet der mit einer Metapher: "Seitdem
du das Schloss verlassen hast, ist nichts mehr so wie früher". Ihre Augen
öffnen sich weit, und sie erzählt ihm mit überraschter Stimme, dass sie während
ihrer ganzen Kindheit ein Spiel spielte, das sie "die Prinzessin im
Schloss" nannte.
Dieses meditative Zuhören kommt dem
Phänomen der Absichtslosigkeit im Zen nahe, also der Fähigkeit, die Welt ohne
die Trübung aufzunehmen, wie sie die Filterungs- und Symbolisierungsprozesse
der Psyche bewirken. Es ist dieses Phänomen der Absichtslosigkeit und der
Resonanz beim Zuhören des Therapeuten, welches die fünfte Kongruenz der
Tiefentherapie auf Stufe Vier ausmacht:
Ohne kontinuierliches mitfühlendes
Verstehen gibt es keine Kongruenz, und die Therapie bricht sofort zusammen.
Die Richtigkeit dieser Spiegelungen
wird immer dadurch bestätigt, dass der Klient sie als stimmig erlebt. Liegt der
Therapeut falsch, so spürt der Klient das schnell, und der empathische
Augenblick ist weg. Therapie ist ein fortlaufender, sich selbst korrigierender
Prozess, der sofort stockt, wenn der Therapeut ungenau arbeitet. Für die Arbeit
auf den Stufen Eins bis Vier gilt: Die Fähigkeit, dem Klienten
zurückzuspiegeln, worüber er spricht, und zwar dann und nur dann, wenn er
bereit ist, es zu hören, vertieft den Rapport erheblich und macht es möglich,
dass eine Sache reibungslos zur nächsten führt. Wenn wir dem dann noch eine auf
Gefühle und den Körper gegründete Ausrichtung geben und sicherstellen, dass der
Klient sich nie sehr weit davon entfernt, dann wird jede Therapiestunde tiefer
als die vorherige.
ANFORDERUNGEN AN REGRESSIONSTHERAPIE
DER STUFE VIER
d:
Jenseits Therapeutischer Neutralität
Der Weg zur idealen Tiefentherapie
ist gepflastert mit scheinbaren Paradoxa. Wir stehen nun vor einem Paradox, das
die Psychotherapie mehr als hundert Jahre lang gelähmt hat. Einerseits habe ich
gesagt, es sei von höchster Bedeutung, dass der Therapeut klar ist und den
Prozess des Klienten nicht trübt. Andererseits habe ich in meiner
therapeutischen Praxis ein Ausmaß an Engagement gezeigt, das allen üblichen
Standards nach unvertretbar erscheint. Dieses Paradox löst sich auf, wenn wir
die duale Natur der Psychotherapie verstehen.
1- Therapie als
einsichtsorientiertes Wiedererleben.
Um einer Klientin dabei zu helfen,
unbewusste Verknüpfungen und Erfahrungen an die Oberfläche zu holen, bedarf es
der federleichten Berührung durch absolut klare, spiegelnde Aussagen. Wenn das
Material, sowie es auftaucht, kontinuierlich in Gefühle und Körperzustände
zurückgeerdet wird, dann ist der regressive Erdrutsch, von dem ich oben
gesprochen habe, eine natürliche Folge. Dieser Prozess verläuft so, dass ein
Gedanke nach dem anderen auftaucht, ein Gefühl nach dem anderen und ein
Wiedererleben nach dem anderen. Diese zarten Ketten von Verknüpfungen zwischen
inneren Phänomenen können nur dann allmählich hervortreten, wenn der Prozess der
Klientin nicht durch die Einmischung des Therapeuten gestört wird. Und genau in
diesem Bereich der Psychotherapie ist es für das Vorankommen entscheidend, dass
der Prozess nicht getrübt wird. Wenn die Präsenz eines Therapeuten aufhört,
resonant und kongruent zu sein, scheitert die Therapie. Doch genau dieses
Versagen des Therapeuten ist die wichtigste einzelne Absicherung gegen eine
Katastrophe. So wird verhindert, dass die Therapie wirklich in die Tiefe geht.
2- Therapie als Neubeeltern (Re-Parenting):
Mit Berühren, Halten und Einbringen persönlicher Erfahrungen
Kleine Kinder wachsen in der
strukturierenden Gegenwart ihrer Eltern auf. Stellen Sie sich für einen Moment
ein Kind vor, das von Maschinen, Robotern und Fernsehprogrammen aufgezogen
würde. Stellen Sie sich für einen Moment ein Kind vor, das versuchen würde, mit
irgendeiner Maschine zu kuscheln und eine Beziehung zu ihr zu aufzubauen. Was
für eine entsetzliche Vorstellung! Das Zentralnervensystem wie auch der Körper
des Menschen entfalten sich im Rahmen eines beschützenden Umfelds
kontinuierlicher Berührung und elterlicher Präsenz, mit all der guten und
schlechten Strukturierung, die damit verbunden ist. Strukturierung und gesundes
Wachstum sind Synonyme.
Wenn wir als Therapeuten auf Stufe
Vier der regressiven Tiefentherapie dem Kind
wieder begegnen, dann müssen wir Struktur anbieten. Und das bedeutet oft
Halten und Berühren als Nähren, Halten und Berühren, um schmerzvolles
Wiedererleben aufzufangen, und Halten und Berühren als Unterstützung beim Auftauchen
von Kindheitsproblemen. Diese Struktur bildet die körperliche Basis für neues
Wachstum.
Wie können wir auf dieser
körperlichen Ebene klaren und wirksamen, unterstützenden Kontakt anbieten?
Durch Versuch und Irrtum habe ich entdeckt, dass genauso, wie es eine
klientenzentrierte Gesprächstherapie gibt, es auch so etwas wie
klientenzentrierte körperliche Therapie gibt.
Berühren und Halten sind natürliche
mitfühlende Reaktionen des Menschen. Die Schwierigkeit liegt darin zu wissen,
wann diese Reaktionen Wachstum fördern, und wann sie es blockieren. Wenn ich
einen Klienten in den Arm nehme, kann dies das Wiedererleben fördern, es kann
seine Gefühle aber auch "wegkuscheln" und so die therapeutische
Arbeit abrupt stoppen.
Ein Mann mittleren Alters liegt in meinem
Primalraum und hat die Gegenwart hinter sich gelassen. Er ist jetzt wieder ein
Kind, das gerade nach seinem Schultag nach Hause kommt.
Der Junge entdeckt Blutspuren auf
dem Boden. Wie in einem Albtraum folgt er der Spur von einem Zimmer zum andern.
Schließlich kommt er dahin, wo sein Vater mit aufgeschnittenen Pulsadern auf
einem Sofa liegt, das Blut strömt noch aus seinen Adern und bildet Lachen auf dem Boden.
Das Kind von damals und der Mann in
meinem Raum fangen an zu schreien. Schließlich setzt sich der Mensch in meinem
Zimmer aufrecht hin, um den Kontakt mit seinem Kindheitsselbst abzubrechen. Ich
lege meine Arme um ihn und drücke ihn fest.
Habe ich zu früh, habe ich zu spät
reagiert? Reagiere ich auf mein eigenes Entsetzen oder auf das seine? Blockiere
ich sein Wachstum? Oder unterstütze ich es? Gebe ich einem zerrütteten Ego
Halt? Nähre ich ein verstörtes Kind, das in lebenslangem Alkoholismus Zuflucht
gesucht hat?
Bin ich kliententenzentriert, oder
agiere ich aus? Wie kann ich auf all das eine Antwort finden?
Die Antwort ist, dass therapeutische
Arbeit ein eigenes Leben und eine eigene Struktur besitzt und sich auf eigene
Weise vorwärts bewegt, auf eine Weise, die vom Therapeuten wahrgenommen werden
kann. Diese differenzierende Wahrnehmung ist das Herz klinischer Erfahrung, und
nur Erfahrung kann dem Therapeuten sagen, wann Berührung geboten ist, und wann
nicht. Dieses Wissen zu vermitteln ist wohl das Schwierigste, was es auf der
Welt gibt, doch es gibt ein paar Richtlinien.
Erstens kann das ganze Thema
Berühren und Halten mit dem Klienten zu Beginn der Therapie offen besprochen
werden. Ich kann beispielsweise einfach sagen, dass Menschen es manchmal
brauchen, dass man sie im Arm hält, wenn sie Kindheitsschmerz wiedererleben,
und dass der Klient nach diesem körperlichen Kontakt fragen kann, wenn er ihn
braucht. In Wirklichkeit fällt es den meisten Menschen jedoch sehr schwer, eine
so intime Bitte auszusprechen. Also frage ich in schmerzlichen Momenten den
Klienten zwischendurch immer mal wieder, ob er wünscht, dass ich ihn halte.
Es gibt auch Klienten, die von sich
aus fragen, ob ich sie halten werde, falls sie sich entschließen,
Tiefentherapie zu machen. Manche kommen schon gar nicht in meine Praxis, wenn
sie nicht sicher sind, dass ich ihnen dieses Sicherheitsnetz anbiete.
Viele Klienten wissen ganz einfach
nicht, was sie brauchen werden, aber in schmerzvollen Phasen der
therapeutischen Arbeit greifen sie dann automatisch nach meiner Hand. Viele
Menschen können überhaupt nur dann zulassen, dass Schmerz hochkommt, wenn eine
körperliche Verbindung da ist.
Schlieβlich gibt es keinen
Ersatz für Intuition und den Mut, das anzubieten, von dem man fühlt, dass es
gebraucht wird, selbst wenn man sich dabei irren kann.
Wie bei so vielem in der Therapie
sind es guter Wille, Fürsorge und gegenseitiges Vertrauen, die dem Prozess über
so manchen potenziell gefährlichen Moment hinweghelfen.
Ein Therapeut muss ein hohes Maβ
an Vieldeutigkeit und Verwirrung aushalten können. Sie erinnern sich an den
Mann, der wochenlang nur Grimassen schnitt – ohne zu einer Einsicht zu kommen.
Hätte dieses wochenlange bizarre Verhalten mich aus meiner eigenen
Ängstlichkeit heraus dazu veranlasst, irgendeine beruhigende theoretische
Wahrheit vorzubringen, dann hätte das diese Reise blockiert. Hätte ich,
wiederum auf Grund meiner eigenen Ängstlichkeit, sein Verhalten fälschlich als
Borderline-Psychose diagnostiziert, so hätte ich vielleicht starke
Beruhigungsmittel verschrieben, und das im Grunde nur, um mich selbst zu
beruhigen, dann hätte ich dadurch seinen Prozess völlig aus der Bahn gebracht.
Doch ein anderer Klient in tiefer
Regressionsarbeit begann zu glauben, andere Menschen könnten tatsächlich seine
Gedanken lesen. In diesem Fall gab ich ihm ein antipsychotisches Medikament, um
einen schweren paranoid-schizophrenen Zusammenbruch zu verhindern. Diese
Unterschiede zu erkennen ist ein wichtiger Teil in jeder psychiatrischen
Ausbildung.
Die Erkenntnis, dass das
Grimassenschneiden eine nichtpsychotische Körpernotwendigkeit war, erlaubte es
dem Klienten, uns beide schlussendlich zu seiner Einsicht zu bringen.
* *
*
Der Therapeut muss fähig sein, auf
umsichtige Weise von sich selbst zu reden, wenn er danach gefragt wird. Wir
befinden uns in der gleichen Situation wie die Eltern eines Kindes; sich
mitzuteilen schafft Struktur und das Spalier, an dem das Kind im Klienten hoch
wachsen kann. Und wenn Klienten spüren, dass wir einmal nicht absolut
aufrichtig und genau sind, müssen wir auch bereit sein, ihre wachsende
Sensibilität zu bestätigen. All das natürlich im Rahmen von gesundem
Menschenverstand, Feingefühl und Klientenzentrierung.
Es gibt einen Unterschied zwischen
Informationen, die Abhängigkeit fördern, und solchen, die Wachstum
unterstützen. Es gibt einen Unterschied zwischen Informationen, die auf der
Arroganz des Therapeuten beruhen und solchen, die sich von innen her heilsam
anfühlen. Und auch hier sind Erfahrung,
Hingabe an das Ziel, Wachstum zu fördern, und Sinn für das richtige Maß allesamt
notwendig in diesem Bereich.
- Wie komme ich in meiner Therapie
voran?
* Fragst du mich, wie du dich
fühlst?
- Nein. Ich möchte wissen, ob du
glaubst, dass ich vorankomme.
* Fragst du mich, wie du dich
fühlst?
- Hm ... kann schon sein.
* Ich kann dir nicht sagen, wie du
dich fühlst. Frag dich doch selbst.
- Nun, ich fühle mich besser als
noch vor sechs Monaten.
* Wie kommst du also in deiner
Therapie voran?
- Ich glaube, es geht mir allmählich
besser.
* *
*
- Ich habe mich in letzter Zeit
schrecklich gefühlt. Ist es üblich, dass Leute sich in dieser Art Therapie
immer schlechter fühlen?
* Ja, so ist es.
- Also, ich war wirklich ganz schön
am Boden in letzter Zeit.
* Hast du neben all diesen
schlechten Gefühlen auch den Eindruck, dass du einen Haufen Gerümpel aus dir
rausbringst, das sehr, sehr lange in dir rumgelegen hat?
- Na ja, ich habe schon den
Eindruck, dass ich an Sachen rankomme, die ich vorher nicht gespürt habe. Aber
es tut ganz schön weh. Falls ich zu depressiv werde, kann ich dann Medikamente
bekommen?
* Klar können wir langsamer treten,
falls wir über die Belastbarkeit und das Verarbeitungsvermögen deines Körpers
hinausgehen, und/oder wir können deine Stimmung mit Medikamenten unterstützen.
- Und woher weiß ich, wann ich sie
brauche?
* Es gibt da Anzeichen, wie etwa
Gewichtsverlust, Schlaflosigkeit und Erschöpfungszustände, oder auch sehr
schlechte Stimmung und zu viel Angst. Wir werden das im Auge behalten.
* *
*
- Hast du dich schon jemals so
schlecht gefühlt, dass du einfach sterben wolltest?
*
Ja, das kenne ich.
- Was hast du dann gemacht?
* Ich habe mich hingelegt und mich
ganz auf das Gefühl konzentriert. Ich habe dann immer wieder genau diese Worte
wiederholt: "Ich will einfach sterben". Ich habe das sehr, sehr oft
wiederholt, bis schließlich das Gefühl, sterben zu wollen, abgeebbt ist.
- Und danach hattest du nie mehr
Suizidgedanken?
* Das Thema kommt bei mir immer mal
wieder hoch, wenn ich tief genug gestresst bin. Wenn das der Fall ist, wende
ich diese Technik an, und dann löst sich das Gefühl, sterben zu wollen, jedes
Mal auf.
- Dann war das Leben auch für dich
schon mal ein Kampf?
* Allerdings, das Leben ist nun mal
ein Kampf für alle sensiblen Menschen.
Wann und wie soll man als Therapeut
von sich selbst sprechen? Dafür gibt es keine Regeln; hier entscheidet ein
wissendes und liebendes Herz. Mein eigener Therapeut pflegte zu sagen:
"Lade dein eigenes Zeug nicht auf die Klienten ab, und verbringe nicht
viel Zeit damit, dich zu rechtfertigen."
Wenn ein Mensch, der Heilung sucht,
mir in guter Absicht eine Frage zu meinem Leben stellt, dann spreche ich oft
über persönliche Dinge. Das ist Teil der Struktur des „Neubeelterns“. Es sorgt für eine gefühlsmäßige
Beziehung zum Klienten. Wenn man etwas von sich selbst mitteilt, ist das wie
körperliche Präsenz. Es ist das Spalier. So wird die Hungerkur
psychoanalytischer Neutralität aktiv vermieden, auch wenn Schweigen immer noch
eines unserer wichtigsten Werkzeuge ist. Die Klienten brauchen unsere
Menschlichkeit, und wenn wir diese mit der nötigen Umsicht anbieten, muss sie
keineswegs ihr aufkeimendes Gefühl für das eigene Selbst stören.
So biete ich beispielsweise
regelmäßig Anekdoten aus meinem Leben an, wenn ich das Gefühl habe, dass sie
wirklich passen. In einer liebevollen und wachstumsorientierten Situation
nehmen die Klienten diese Anekdoten als echte Bereicherung der Therapie an.
ANFORDERUNGEN AN REGRESSIONSTHERAPIE
DER STUFE VIER
e:
Therapeutischer Glaube ans Fühlen
Der Therapeut muss an das zentrale
Paradox der gefühlsorientierten Therapie glauben: Wenn wir ins Zentrum der
schmerzlichsten und schwierigsten Gefühle vordringen, wo auch immer diese uns
hinführen mögen, und ihre Schmach und ihren Schrecken wiedererleben, dann
werden wir nach und nach diese Last los und heilen.
Therapie ist selten einfach, und
gewöhnlich braucht es Monate oder sogar Jahre, um diese Erlebnisse an die
Oberfläche zu bringen. Und sogar, wenn uns das gelingt, müssen die
individuellen Wachstumssequenzen oft viele, viele Male wiederholt werden.
Dabei baut der Klient sehr viel Vertrauen auf und gewinnt Schwung,
sodass er ganz natürlich immer mehr von sich mitteilen will. Aufrichtigkeit dem
Therapeuten und dem eigenen Selbst gegenüber wird zu einem leidenschaftlichen
Ziel und wischt so ein Leben voller Falschheit weg.
Es gibt noch viele weitere
Anforderungen an den Therapeuten in der Praxis der Psychotherapie auf Stufe
Vier: Hier ein paar davon:
* Der Therapeut muss ein liebendes
Herz besitzen. Technische Kompetenz allein reicht nicht aus. Für einen
Begleiter durch die Wüstenei einer tief verletzten Kindheit ist das nicht
genug.
* Der Therapeut muss neugierig sein
und viel Energie für die Erkundung des Unbekannten aufbringen - das darf aber
nie zu einer übereifrigen Anwendung der Techniken führen.
* Der Therapeut muss dem Klienten
gegenüber sowohl sanft als auch fest auftreten.
Je länger ich in den Tiefen der
Seele tätig bin, um so mehr erkenne ich, dass die Dinge ständig ins Unbekannte
übergehen, bis hin zu einem letzten Ort, aus dem alle Vorgänge des Universums
hervorgehen. Tatsache ist, dass ich in keinem Augenblick weiß, was als Nächstes
passieren wird, und, in Anlehnung an Alan Watts, einen bekannten Denker des
zwanzigsten Jahrhunderts, würde ich sagen: "Ich bin jederzeit umgeben von
Dunkelheit, und letztlich ist meine Sehfähigkeit sehr begrenzt."
Angesichts dessen beobachte und vertraue ich. Nach 25 Jahren und 32 000 Stunden
Berufserfahrung komme ich mit dem Unbekannten einigermaßen zurecht, ich weiß,
dass es sich auf die eine oder andere Weise auflöst.
Unsere Prinzipien halten stand. Wenn
wir die Psyche von ihren Trümmern befreien und Unterstützung anbieten, dann
kommt es fast immer zur Heilung.
ANFORDERUNGEN AN
REGRESSIONSTHERAPIE DER STUFE VIER
f:
Erforderliche Klienten-Eigenschaften
Die Fähigkeit, sich ganz auf ein
Gefühl einzulassen (lie inside a feeling) und es zuzulassen, ohne es
auszuagieren, ist die wichtigste Voraussetzung für jeden Klienten in der
regressiven Tiefentherapie. Manche Menschen besitzen diese Fähigkeit; manche
können sie erlernen; aber viele können diese Erfahrung einfach nicht ertragen,
und sie können nicht zwischen dem Fühlen und dem Ausagieren eines Gefühls
unterscheiden.
Wenn die Verletzungen der Kindheit
das Ego mit allzu viel chaotischem Material überlastet und ihn dadurch
übermäßig geschwächt haben, führen mächtige Gefühle einen Klienten manchmal zum
Ausagieren, und dies, um so die unerträgliche Spannung einer auseinander
brechenden Persönlichkeit zu vermeiden.
Das alltägliche Leben lehrt uns,
unangenehme Gefühle zu neutralisieren, indem wir etwas dagegen tun. Allerdings
ist das "Tun" im Alltag das Gegenteil vom "Tun" in der
Tiefentherapie.
Im "Tun" des Alltags essen
wir, wenn wir Hunger haben; sind wir wütend, dann verletzen wir; sind wir
bedürftig, dann suchen wir nach Befriedigung.
Im "Tun" der Tiefentherapie
legen wir uns hin und fühlen. Das Gefühl führt zu Einsicht, die Einsicht zu
Klarheit, die Klarheit zu Ausgeglichenheit, und all das führt zum Hervortreten
eines neuen organischen Selbst.
Das organische Selbst bemüht sich
nicht darum, etwas zu tun. Es reagiert spontan und als Ganzes auf äußere und
innere Reize – und zwar auf natürliche und
harmonische Weise, und ohne Anstrengung. Das organische Selbst kämpft
nicht mit allen Mitteln darum, die Kontrolle zu erlangen. Es ist einfach in
Bewegung und verdankt seine Existenz dem Zentrum eines von Konflikten befreiten
Gehirns, das sich von selbst immer wieder ins Gleichgewicht bringt.
Oft fragen Klienten: "Was muss
ich tun?". Die Antwort ist, dass sie nichts zu tun brauchen außer der
inneren Arbeit der Therapie. Das "Tun" des Alltags kommt allmählich
von allein, wenn sie ihre innere Arbeit auf der Matte verrichten.
In der Welt gibt es beispielsweise
Selbstbehauptungs-Trainingskurse, die Techniken der Selbstbehauptung
vermitteln. Man lehrt uns, was man sagen muss, und wie man es sagen muss, wenn
jemand unsere persönlichen Grenzen überschreitet.
In der Tiefentherapie führt das
allmähliche Erwachen des Gefühls für die außergewöhnliche Kostbarkeit des
Selbst automatisch zu einer unverkrampften Selbstbehauptung. Ich sage
"nein", wenn ich merke, dass mein Selbst gefährdet ist, und zwar
nicht deshalb, weil ich gelernt habe, wie man "nein" sagt. Ich sage
"nein", weil ich nicht mehr "ja" sagen will zu etwas, das
mich verletzt.
Kapitel 9
Gefahren, Vorsichtsmaßnahmen
und Indikationen für die Therapie
Gefahren für Therapeuten und
Klienten
Der Weg zum organischen Selbst mit
Hilfe der Psychotherapie auf Stufe Vier ist mit Risiken behaftet.
Wenn Impulse das Ego überwältigen,
richten sie sich oft gegen den Therapeuten. Es ist leichter, symbolisch oder
sogar wirklich zu töten, als die überwältigende Traurigkeit und Wut des frühen
elterlichen Verrats zu fühlen.
Dies ist ein Risiko, das alle
Tiefentherapeuten eingehen. Einer meiner Klienten, der in großer Tiefe
arbeitete, sagte zu mir: „Es gab Zeiten in meiner Therapie, da hatte ich den Wunsch,
dich zu zerstören, weil ich es nicht aushalten konnte, mich dem auszusetzen,
was mein Vater mir angetan hat“.
* *
*
Ein Regressionstherapeut ist eine
Person, die unbedingt „wissen“ will. Unsere Suche muss eher vertikal (nach unten und
innen) als seitwärts gehen, um nicht den endlosen Verführungen zum weltlichen
Wissen zu erliegen. Beim weltlichen Wissen gibt es keinen Endpunkt. Es
durchdringt nichts.
Der Regressionstherapeut kommt zu
der Einsicht, dass alles, was er findet, eine Maske ist, die über einer
weiteren Maske liegt. Jede Schicht ist geschützt und liegt unter einer Lage von
Terror, durch die wir durch müssen, um an die darunter liegende Wahrheit zu
gelangen. Jede Schicht verschiebt die Wahrheit der darunter liegenden Schicht,
sodass die tiefsten menschlichen Wahrheiten weit weg von dem liegen, was an der
Oberfläche zu sein scheint.
In unserer Kultur werden wir mit
Hilfe von Verkleidungen aufgezogen und von ihnen geprägt, bis wir völlig
verloren sind. Wir laufen Schimären und Schattenfiguren nach, und „I just can´t get no satisfaction“ wird unser Lied..
.
Ein Mann, der selbst Therapeut ist,
liegt in meinem Primalraum am Rande seines Terrors. Er hat eine übertriebene
Angst davor entwickelt, einer seiner männlichen Klienten wolle ihn töten. Er
kommt nicht von dem Bild los, er werde
erstochen. Diese Szene verfolgt ihn ständig und kommt ihm ungebeten immer
wieder in den Sinn. Unter dem Eindruck des Terrors wird ihm zu seiner
Bestürzung zunehmend klar, dass er tatsächlich darauf hofft, von seinem Klienten erstochen zu werden. Kurze Zeit fühlt
er sich erleichtert, dann beginnt der Terror von neuem. Er bleibt drin und sieht, dass er in Wirklichkeit von seinem Klienten
nicht erstochen, sondern vergewaltigt werden will. Er wünscht sich, dieser Mann
möge seinen Penis in seinen Darm
einführen. Diese Einsicht verschafft ihm wiederum für kurze Zeit Erleichterung,
er fragt sich, ob er homosexuell ist,
und dann beginnt der Terror von neuem. Er bleibt in dieser Schicht und merkt,
dass das, was er wirklich will, nicht die Einführung eines Penis ist, sondern
die enge körperliche Umarmung eines Vaters, eines Vaters, den er nie hatte.
Endlich ist er von seiner Angst befreit, und er liegt schluchzend in dem
schallgedämpften Halbdunkel. Und nun weiß er es: Alles, was er sich je
gewünscht hat, war, einen Papa gehabt
zu haben. Der Terror ist weg, die Angst, von seinem Klienten ermordet zu
werden, ist weg, genauso wie die Angst vor seiner Homosexualität, und
stattdessen fühlt er die reale Traurigkeit, die er sein ganzes Leben lang
unterdrückt hat.
Wenn ich diesem Mann oder
irgendeinem anderen Menschen auf der Straße begegne, haben die Dinge, die sie
sagen und tun, keine wahrnehmbare Beziehung zu ihrer Wahrheit.
Ich habe mich in einer Elternschaft
und in einer Gesellschaft abgequält, die keine erkennbare Beziehung zu ihrer
Wahrheit hat. In meinem Schmerz habe ich leidenschaftlich nach den Wahrheiten
dieser Gesellschaft gesucht. Je tiefer ich ging, desto mehr war ich allein, und
die Laute meiner Mitmenschen auf ihrer intellektuellen Reise waren wie Regen,
der auf ein fernes Dach fällt. Ich habe gelernt, dass nichts so ist, wie es zu
sein scheint, und jeder Klient, der zu mir kommt, lernt dieselbe, Ehrfurcht
gebietende Lektion. Ich habe gelernt, mich ins Unbekannte hinauszuwagen und
meinen Geist von allem Erlernten frei zu machen, um in ihm Raum für die
Gespenster meiner Klienten zu schaffen. Ich habe gelernt, dass die entscheidende
Richtschnur das ist, was wir fühlen und in unserem Körper spüren. Es sind diese
beiden Prozesse (Gefühle und Körperempfindungen), die unsere Psyche, in ihrer
Verzweiflung, zu einer Lagerstätte der Erfahrungen gemacht haben, die wir nicht
anzuschauen wagen, und die wir mit Angst und intellektuellem Wissen überlagert
haben. Und genau hier, unter dem Terror und dem Wissen, liegen die
verschlossenen Behälter `Reihe an Reihe`. Es ist hier, wo die Worte `bleib
bitte bei diesem Gefühl` zum Schlüssel werden. Werden diese Worte ganz ruhig
ausgesprochen, und zwar an einem Ort, wo die Reaktion des Klienten von einem
Therapeuten respektiert wird, der still wartet und nicht weiß, was passieren
wird, dann kommt die Wahrheit schließlich ans Licht. Nur dann können wir damit
aufhören, symbolische menschliche Wesen zu sein und zu dem organischen Selbst
zurückfinden, das uns vor Zehntausenden von Jahren abhanden gekommen ist.
Vorsichtsmaßnahmen
Ungefähr die Hälfte meiner Klienten
kann lernen, sich tief auf ihre Gefühlen zu fokussieren. Etwa eine von acht
Personen macht kontinuierlich Therapie auf Stufe Vier.
Der Wille, Arbeit in der Tiefe zu
machen, ist ein entscheidender Faktor bei dieser Therapie. Doch dieser Wille
bedeutet noch nicht, dass eine Person auf diese Weise arbeiten kann, oder es
tun sollte. Viele Menschen, die Regressionstherapie machen wollen, stellen
fest, dass ihre Abwehrmechanismen diese Arbeit einfach nicht zulassen. Sie
kommen einfach nicht in diese Tiefen.
Andere, die diese Tiefen erreichen
können, sollten es nicht versuchen. Ihr Schmerz ist vielleicht zu groß, ihre
Egostruktur zu sehr durch Kindheitserfahrungen geschwächt. Diese gefährliche
Kombination kann zu heftigem Abreagieren oder zu anderen Formen von
Zusammenbruch führen.
Ein erfahrener Tiefentherapeut kann
bei diesen Entscheidungen helfen und die Techniken oft an die individuellen
Bedürfnisse anpassen. Gewöhnlich erfordert es aber einige Monate Arbeit mit
einem Klienten, um herauszufinden, was für sie/ihn gut oder nicht gut ist.
Andere Klienten jedoch erwerben die erforderlichen Fähigkeiten und das nötige
Vertrauen erst, nachdem sie ein Jahr oder noch länger weniger intensive Arbeit
gemacht haben.
Persönlich habe ich das Gefühl, dass
jeder, der es will, die Chance haben sollte, Tiefentherapie auszuprobieren;
allerdings muss ich betonen, dass Regressionstherapie auf Stufe Vier für
bestimmte Menschen keine sichere Option ist.
Indikatoren
für die Bereitschaft für eine Tiefentherapie
1- Nachdem dem Klienten die
Techniken erklärt wurden, zeigt er eine dauerhafte Bereitschaft, sich im
Therapieraum hinzulegen und sich auf seine Gefühle und seine inneren
Körperzustände zu zentrieren.
2- Der Klient zeigt, dass er fähig
ist, in dem Gefühl zu bleiben und das nicht-logische Material, welches das
Gefühl hoch bringt, zu verbalisieren.
3- Der Klient erlaubt es seinen
Gefühlen, intensiver zu werden und fährt fort, sie mit Worten und Lauten zu
externalisieren. Externaliserung ist von entscheidender Bedeutung bei dieser Therapie.
4- Der Klient erkennt, dass er diese
Gefühle fühlen und von ihnen lernen muss, und dass sie nicht ausagiert werden
dürfen.
5- Der Klient ´vergisst´ die
Therapiearbeit nicht einfach zwischen den Sitzungen, sondern denkt während
dieser Zeit über das Material nach und verarbeitet es auf eine nicht zwanghafte
Weise. Es dauert normalerweise einige Wochen oder Monate, bis das Vertrauen,
sich auch allein hinzulegen und allein Tiefentherapie zu machen, auftaucht.
6- Es überrascht den Klienten nicht,
wenn er Phasen durchmacht, in denen er sich wirklich schrecklich fühlt, wenn
sich die Therapie vertieft. Er spürt jedoch deutlich, dass diese wirklich
schrecklichen Gefühle genau das sind, Gefühle, und als solche können und werden
sie auf der Matte verarbeitet, und zwar mit Hilfe der Techniken, die wir bereits
beschrieben haben.
Indikatoren
für die Bereitschaft für Berühren und Halten
Wenn ein Klient alle sechs genannten
Kriterien erfüllt, dann hat er so in etwa ein „Bauch-Gefühl“ für die regressive Psychotherapie.
Das gibt ihm ein sich allmählich vertiefendes Körpergefühl dafür, dass es
Zeiten geben kann, wo körperlicher Kontakt notwendig ist, um tiefe Gefühle
auszulösen, zu verankern und den Klienten zu nähren. Zu diesem Zeitpunkt sind
Vertrauen und guter Wille bereits tief verwurzelt. Zusätzlich dazu ist der
Klient gewöhnlich zum Experimentieren bereit, denn er weiß: Wenn der Therapeut
einen Fehler macht, so kann er auch damit arbeiten und so die Therapie
voranbringen.
* *
*
Die Menschheit ist sich seit
Urzeiten selber fremd geblieben.
Diese Entfremdung beruht auf einem
ganz einfachen Gehirnmechanismus.
Wenn wir fühlen, handeln wir.
Dieses „Nach-Außen-Gerichtet-Sein“
entfremdet uns von uns selbst. Es ist der einfachste Weg, um Spannung
abzubauen.
Wenn wir diesen Mechanismus
umkehren, wenn wir uns hinlegen und im Gefühl bleiben, statt es auszuagieren,
und wenn wir diesem Gefühl mit Lauten und Worten Ausdruck verleihen, werden wir
nach unten in unsere Tiefen gezogen.
An diesem Punkt endet die unserer
Spezies innewohnende Unehrlichkeit.
Einleitung in Teil 2
ERWACHEN
Der
gefühlsorientierte Umgang mit ernsthaftem emotionalem Schmerz und Stress
Je komplizierter die Therapie, desto ängstlicher der Therapeut
-
Konsequenz aus dem ersten Gesetz der Regressionstherapie
Zu der Zeit, als ich die High School beendete, war ich so sehr von meinem
organischen Selbst getrennt, dass ich davon ausging, ich würde wohl für den
Rest meines Lebens „daneben“ bleiben.
12 Jahre Studium der
Geisteswissenschaften, der Medizin und der Psychiatrie trugen nicht dazu bei,
diesen Schaden zu beheben.
Dieser Teil des Buches ist den
Menschen gewidmet, die das Buch benutzen wollen, um das Erste und Wichtigste zu
finden, wonach wir suchen können: UNSER SELBST.
Da
ist ein Tiger,
der mit mir spielt.
Seine
Pfoten auf meiner Brust.
Pfotenabdrücke
der Ewigkeit.
Pfotenabdrücke
eines jeden
Gesichts und eines jeden Blattes,
das ich je gekannt habe.
KAPITEL 10
Das
Grundproblem von Stressbewältigung und Innerem Wachstum
Handbücher zur Stressbewältigung
taugen meist nicht viel. Der Grund dafür ist, dass sie einen zentralen und
unausweichlichen seelischen Prozess außer Acht lassen, das, was die
Psychoanalyse als die Wiederkehr des Verdrängten bezeichnet.
Diese Bücher suchen den Schmerz dadurch
zu unterdrücken, dass sie entweder die Psyche mit Entspannungs- und
Meditationstechniken ruhig stellen, oder sie benutzen „die Kraft des positiven Denkens“, um die Bedeutung von Ereignissen
durch Neubewertung zu verändern (reframe). Natürlich kommt der Schmerz
immer wieder zurück, weil er nie wirklich beseitigt wurde.
Bücher, die auf Einsicht hin
arbeiten, haben ein echtes Problem: Selbst bei ideal angepassten Menschen steht
das Gehirn ständig unter Druck. Bücher über Stress gehen mit diesem Problem so
um, dass sie sich von den tiefsten Schichten des Selbst fern halten. Sie halten
sich an das intellektuell Fassbare, und so brechen sie die Wege zu tiefer und
dauerhafter Veränderung ab.
Wie wir in Teil Eins gesehen haben,
füllt sich bei verletzten Menschen, und dazu gehören die meisten von uns, das
Unbewusste mit Schmerz. Wir haben gesehen, dass sich Wut und Angst im tiefsten
Selbst machtvoll aufbauen. Gleichzeitig schwächt die mangelhafte elterliche
Zuwendung, die ja zu diesem Schmerz geführt hat, diejenigen Teile des Selbst,
deren Aufgabe es ist, den Schmerz aufzufangen. Und so haben wir es mit einem
stetig ansteigenden Druck in einem zunehmend geschwächten Gefäß zu tun. Das „ernstliche Problem“, dem sich alle
Stressbewältigungs-Handbücher stellen müssen, ist Folgendes: Wie schaffen wir
es, einen Apparat zu reparieren, der, wie die menschliche Psyche, unter enormem
Druck steht, ohne dabei eine Explosion auszulösen?
Sollen wir einfach aufgeben und uns
mit einem weniger intensiven Niveau von Therapie begnügen? Sollen wir nie,
unter keinen Umständen, ein Handbuch veröffentlichen, das tiefes organisches
Selbst-Management zum Gegenstand hat?
Ich glaube, es wäre nicht richtig,
an diesem Punkt aufzugeben. Tiefe Ozeane, unbekannte Kontinente und Furcht
erregende Abgründe haben die Menschheit in der Vergangenheit noch nie davon
abgehalten, sich nach vorn zu wagen. Der Fortschritt der menschlichen Spezies
bis in die Bereiche der Ultra-Hochtechnologie legt es uns nahe, mit dieser
Entwicklung Schritt zu halten. Unsere seelische Entwicklung muss unbedingt
parallel zum technologischen Fortschritt fortschreiten, und das im Interesse
von uns allen, nicht nur von den wenigen, die das Wissen haben
Dieses Buch ist der These gewidmet,
dass nicht-psychotisches seelisches Leiden durch frühkindlichen Schmerz und den
daraus resultierenden Mangel an Bewusstheit im Erwachsenenalter verursacht
wird.
*
* *
Wir wissen, dass der Geist in der
Lage ist zu beobachten, das Beobachtete zu verarbeiten und zu speichern, und zu
funktionieren, und das alles perfekt.
Wenn ein Neurochirurg das
freigelegte Gehirn eines Klienten mit einem minimalen Stromstoβ berührt,
kann dies zum Wiedererleben eines frühkindliches Ereignisses mit allen Details
führen.
Menschen in Situationen plötzlicher
Lebensgefahr haben berichtet, dass ihr Beobachtungs- und Reaktionsvermögen
dabei so weit über dem Durchschnitt lag, dass es buchstäblich einer anderen
Existenzebene entsprach.
Bei einer regressionstherapeutischen
Erfahrung erleben Klienten Vorkommnisse aus ihrer frühen Kindheit mit völliger
Klarheit wieder. Dabei erleben sie tatsächlich sogar Gefühle, die zum Zeitpunkt
der Traumatisierung derartig schnell verdrängt wurden, dass sie bisher noch nie
bewusst erlebt wurden.
Zweifellos existiert also in den
Tiefen des Gehirns eine Reihe von Vorgängen, die wir ungetrübt, perfekt oder
unbeschädigt nennen können.
Diese Prozesse umfassen:
Fehlerfreies Beobachten, Fehlerfreies Speichern, Fehlerfreies Verarbeiten
(einschließlich des Wiedererlebens) und Fehlerfreies Funktionieren.
Wir verlieren diese unbeschädigten
Prozesse dann, wenn wir Angst haben, ihr Gebrauch könnte unermesslichen Schaden
über uns bringen. Das Prinzip, zuallererst für die persönliche Sicherheit zu
sorgen, setzt die unbeschädigten Vorgänge des Gehirns außer Kraft. Bei
drohender Gefahr schaltet das Kind, und der Erwachsene ebenso, das bewusste
Wissen ab, sobald es auftaucht, und verschiebt es an einen sicheren Ort tief
unten und fern vom Bewusstsein.
Das von Gefahr bedrohte und
traumatisierte Kind begräbt nicht nur augenblicklich sein Wissen, es begräbt
dabei auch lebendige innere Vorgänge, die mit dem Wissen, das es loswerden
will, zusammen hängen. Dadurch gehen uns nicht nur Erinnerungen, sondern auch
Funktionen verloren.
Wenn beispielsweise ein Kind bei
einem Autounfall traumatisiert wurde und dieses Wissen verdrängt, dann kann es
sein, dass es sich später weigert, selbst Auto zu fahren. So verliert es nicht
nur das Wissen um das ursprüngliche Ereignis, sondern auch die Fähigkeit, in
der Gegenwart zu funktionieren.
Das gesamte Funktionieren des
menschlichen Gehirns beruht auf dem Vertrauen, dass das, was wir sehen, denken
und fühlen, wahr ist. Könnten wir uns nicht darauf verlassen, würden wir in
panische Angst versinken. Hättest du
beispielsweise den Eindruck, der Bürgersteig würde gleich unter deinen Füßen
verschwinden, so würdest du dich weigern, auch nur einen Schritt zu machen.
Das Gehirn muss darauf vertrauen
können, dass das, was es weiß, wahr und beständig ist. Gleichzeitig aber
unterdrückt das Gehirn immer mehr und mehr von dem, was es weiß. Dies tut es,
um uns im Augenblick Sicherheit zu geben, sodass wir den inneren Schmerz und
die Bedrohung von außen ausklammern, ganz gleich, wie hoch die Kosten auch
sind. Das unmittelbare Überleben hat immer Vorrang vor der Wahrheit. So lebt
das traumatisierte Kind zwar weiter - aber es ist in seinen Möglichkeiten
zunehmend eingeschränkt.
Um weiterhin funktionieren zu
können, obwohl wir immer weniger von unserer inneren Wahrheit kennen, und dabei
gleichzeitig unseren Glauben an die tragende Basis unter unseren Füßen aufrecht
zu erhalten, füllen wir die Lücken mit falschen Überzeugungen. Wir erinnern,
was wir erinnern müssen, und wir verdrängen, was wir verdrängen müssen. Wir
sehen, was unsere Sicht der Dinge bestärkt, und wir hören auf, das zu sehen, was sie in Frage stellt. Unbewusst bauen wir ein bewusstes
persönliches Selbst auf, das zu einem
Kartenhaus wird. Dieses Kartenhaus kann nur durch immer mehr Bestätigung von
außen aufrecht erhalten werden. Nur dadurch, dass wir uns anpassen und diese
Bestätigung von außen erhalten, verhindern wir, dass unser Kartenhaus
zusammenfällt.
Stell dir vor, du gehst eines Tages
zur Arbeit, und niemand nimmt deine Anwesenheit zur Kenntnis. Stunde um Stunde
blicken die Leute einfach durch dich hindurch und tun so, als wärst du Luft.
Wie lange, glaubst du, könntest du das aushalten, ohne in Angst und Schrecken
zu versinken, wenn du nicht einmal auf diesem ganz elementaren Niveau
Bestätigung erhalten würdest?
Der Erwachsene ersetzt FEHLERFREIE
BEOBACHTUNG durch gestörte Beobachtung, FEHLERFREIES SPEICHERN ( Erinnerung)
durch gestörtes Speichern, FEHLERFREIE KOGNITIVE VERARBEITUNG durch gestörte
kognitive Verarbeitung und FEHLERFREIES FUNKTIONIEREN durch gestörtes
Funktionieren. Diese unsichtbaren Störungen machen uns zunehmend
lebensunfähiger und führen dazu, dass wir wichtige Lebensentscheidungen, etwa
die, wen wir heiraten, oder welchen Beruf wir ergreifen, treffen, ohne
eigentlich zu verstehen, was wir tun. So bekommen wir nicht, was wir
brauchen, sondern im Gegenteil das, was wir nicht brauchen. Dabei erschöpfen
wir unsere Reserven, fühlen uns unzufrieden und finden keinen Sinn im Leben,
und so gehen wir unseren Weg von der Geburt bis zum Tod.
Das Handbuch, das Sie gerade lesen,
wurde geschrieben, um uns aus genau dieser menschlichen Notlage zu befreien.
Wir können unsere Wahrheit finden, wir können auf organische und fruchtbare
Weise leben.
*
* *
In und um die verschütteten
Fehlerfreien Prozesse (Beobachten, Speichern, Verarbeiten und Funktionieren),
die wir besprochen haben, herum liegt eine völlig verschiedene Gruppe von
Gehirnfunktionen, die aber mit ihnen in Verbindung stehen. Diese nenne ich die
Prozesse der Holistischen Einsicht.
Holistische Einsicht ist das
plötzliche, ganzheitliche, nicht-lineares Gewahrwerden des Selbst und der Welt,
das die gestörten Gehirnfunktionen auflöst, die wir diskutiert haben.
Holistische Einsicht stellt selbst eine Fehlerfreie Funktion dar und führt uns
in Quantensprüngen zu immer größerer Klarheit zurück.
In diesem Buch geht es uns darum,
die Techniken zu finden, die den FEHLERFREIEN PROZESS HOLISTISCHER EINSICHT
aktivieren, um so die Teile in uns, die verloren sind, real zu erfahren. Auf
diese Weise wollen wir die subtilen Prozesse der Psyche wieder der Dunkelheit
entreißen. Dabei werden wir das falsche Selbst, das wir aufgebaut haben, um
alles zu vermeiden, was unseren Schmerz auslöst, wieder abbauen. Wir wollen
klar und natürlich in unserem Funktionieren werden, indem wir jede verschüttete
Verletzung, die unser Leben fehlleitet und uns davon abhält, klar, ausgeglichen
und organisch zu leben, auffinden und erfahren.
Mit dem Geschenk der HOLISTISCHEN
EINSICHT werden wir dann wieder Zugang zu den FEHLERFREIEN FUNKTIONEN des
Gehirns gewinnen.
Dann können wir endlich wahrnehmen,
verarbeiten und handeln, ohne all die Verzerrungen, welche uns das Leben zur
Qual gemacht und die Grundlage der Lügen gebildet haben, die wir leben. Und zusätzlich
können wir dann emotionalen Schmerz und Stress noch mit den Werkzeugen
verarbeiten, die wir uns gleich aneignen werden.
Kapitel 11
Wichtige
Vorsichtsmaßnahmen, die man unter keinen Umständen ignorieren sollte
Vorsichtsmaßnahme 1
Gehe zu einem Arzt für
Allgemeinmedizin und lasse deinen Körper vollständig untersuchen, mit
besonderer Beachtung der Herztätigkeit. Es gibt Klienten, bei denen es zu
Angina Pectoris, Blutdruckschwankungen und anderen körperlichen Problemen
während der Tiefentherapie kam. Kürzlich habe ich einem meiner Klienten, der
während der Therapie unter Brustschmerzen litt, vorgeschlagen, sich einer
Bypass-Operation zu unterziehen, ehe er mit der Tiefentherapie weitermachte. Er
tat es, und jetzt, wo er gesundet, wartet er auf den Neubeginn seiner Therapie.
Vorsichtsmaßnahme 2
Finde einen Psychiater, der deine
allgemeine psychische Gesundheit untersucht, mit besonderer Berücksichtigung
der Fähigkeit deiner Psyche, starke Gefühle auszuhalten und zu verarbeiten,
ohne dabei eine Psychose zu entwickeln oder hinausrennen zu müssen und dann
dich selbst oder andere zu verletzen.
Vorsichtsmaßnahme 3
Finde einen Psychotherapeuten, der
dich auf deiner inneren Reise begleitet; jemanden, der warm und fürsorglich und
nicht übertrieben voreingenommen und defensiv ist. Besonders wichtig ist es,
dass er keine Schwierigkeiten hat, wenn du sehr tiefe Gefühle erlebst.
Vorsichtsmaßnahme 4
Falls dein Therapeut nicht
bereit/fähig ist, dich durch Berührung und Halten zu unterstützen, wenn du es
brauchen solltest, so finde einen Masseur und gehe ein paar Mal im Monat zu
ihm, mit dem ausdrücklichen Ziel, dich durch den Hautkontakt mit seinen Händen
zu nähren, und zusätzlich noch eine tiefere Muskelmassage zu bekommen.
Der Masseur, den du wählst, muss
unterscheiden können zwischen Berührung und Massage zum Zweck des Nährens und
Massage zum Zweck der Behandlung und Entspannung von tiefem Gewebe. Bitte
diesen Masseur, kreativ mit dir umzugehen, und werde nicht sexuell. Gehe
niemals über das hinaus, was sich für dich jeweils intuitiv richtig anfühlt.
Vorsichtsmaßnahme 5
Finde eine Selbsthilfegruppe wie die
Zwölf-Schritte-Gruppen der Erwachsenen Kinder von Alkoholikern und aus anderen
dysfunktionalen Familien. Sieh im
Telefonbuch nach.
Das Focusing-Netzwerk von Eugen
Gendlin, das sich immer mehr verbreitet, könnte ebenfalls hilfreich für dich
sein. Siehe dazu den Anhang dieses Buches.
Vergewissere dich, dass es sich um
gefühlsorientierte Gruppen handelt, welche eine sorgfältige und kontinuierliche
Tiefenarbeit nicht durch unbegründete Glaubensvorstellungen und die Kraft des
positiven Denkens ersetzen. Glaube und positives Denken sind beide durchaus
wertvoll. Aber auch sie können, wie übrigens alles, zu Formen der Abwehr
werden.
Vorsichtsmaßnahme 6
Lies das ganze Buch dreimal langsam
und sorgfältig durch. Verdaue jeden einzelnen Abschnitt sehr genau.
Immer wieder stellen mir Menschen
nach der Lektüre des ersten Teils des Buches Fragen, auf die es bereits eine
sorgfältige und klare Antwort im Text gibt. Das heißt für mich, dass ein- oder
zweimaliges Lesen nicht ausreicht. So klar es auch geschrieben sein mag, ist
dieses Buch doch voll gepackt mit Informationen, und jeder einzelne Punkt hängt
mit vielen Themen zusammen.
Eine meiner Klientinnen hat einen
Doktortitel in Psychologie und ist bei mir seit mehreren Jahren in
tiefentherapeutischer Behandlung. Sie sagte mir, sie habe das Buch achtmal
gelesen. Obwohl sie schließlich das Gefühl hatte, es verstanden zu haben,
hatten wir zwischendurch immer noch Meinungsunterschiede, und wenn wir dann auf
den Text zurückkamen, fanden wir, dass sie gelegentlich Textstellen, die sehr
deutlich sind, entweder vergessen oder falsch in Erinnerung hatte.
Ich wiederhole es: Lies dieses Buch
langsam und sorgfältig, mindestens dreimal, sodass du einen allgemeinen
Eindruck von dem hast, worauf du dich einlässt, wenn sich der Wald, den du
betrittst, immer enger um dich schließt.
Ich rate davon ab, mit den Übungen
in diesem Handbuch ohne eine angemessene Psychotherapie herumzuexperimentieren.
Dieses Wachstums-Handbuch kann äußerst gefährlich
sein, falls du es ohne kontinuierliche professionelle
Hilfe benutzt! |
KAPITEL 12
Wer
sollte die Reise unternehmen?
Klienten, die zu mir kommen und
unsicher sind, ob sie eine Psychotherapie machen sollen, habe ich immer gesagt:
"Wenn dein Gehirn funktioniert, dann lass es in Ruhe". Wenn du in
deinem Denken, deinem Fühlen und deinem Verhalten einigermaßen zurecht kommst,
wenn es mit deiner Arbeit, deiner Freizeit und deinem Intimleben gut klappt,
wenn du die meiste Zeit einigermaßen zufrieden bist und dich meistens gut
fühlst, dann versuche um Himmels willen nicht, deine Psyche durcheinander zu
bringen.
Wenn du dich aber allzu oft
schlecht fühlst, wenn es in allzu vielen Bereichen deines Lebens nicht gut
läuft, oder wenn du einer von den Menschen bist, die den Drang verspüren, ihr
tiefstes Selbst zu verstehen, und wenn du bereit bist, auf unbestimmte Zeit
emotionalen Schmerz zu empfinden, um schließlich zu Holistischer Einsicht und
einem besseren Funktionieren zu gelangen, dann: Willkommen an Bord!
KAPITEL 13
Was
macht das Gehirn, wenn es im Schmerz ist
In
der Psyche ist nichts so einfach, wie es scheint. Und
dennoch ist es auch wahr, |
Um zu verstehen, was wir tun müssen,
wenn wir mit den tiefsten Tiefen der Psyche arbeiten, müssen wir zuerst auf
eine einfache Art begreifen, was die Psyche macht, wenn sie leidet. Dazu
brauchen wir keine komplexen, physiologischen Informationen, sondern nur ein
einfaches und klares Gespür für das, was da vor sich geht.
Ausdruck und Heilung von
psychologischem Schmerz hängen von den folgenden Wahrheiten unserer
Gehirnfunktionen ab:
1. Das Gehirn hasst Schmerz.
2. Das Gehirn hasst es, genau zu
wissen, wie es zu seinem Schmerz gekommen ist.
3. Wird das Gehirn entweder mit
Schmerz oder mit dem Wissen, wie es zu diesem Schmerz kam, konfrontiert, dann
versucht es, das vollständig zu vergraben, indem es sowohl den Schmerz als auch
das damit verbundene Wissen verdrängt, und zwar weit weg vom Bewusstsein in der
Tiefe der Psyche. Wenn das Gehirn sich dann im späteren Leben unwohl fühlt,
jedoch nicht genau wissen will, warum, so bemüht es sich, das Problem auf eine
verdeckte und unfruchtbare Weise zu lösen. Dazu ordnet es Vergangenheit und
Gegenwart um und verändert die Bedeutung von allem, was in ihm und außerhalb
von ihm geschieht, um sich sicher zu fühlen und zu versuchen, seine Probleme
irgendwie zu lösen.
Ich wurde von Dr. Aletha Solter darauf aufmerksam gemacht, dass Babys und
Kleinkinder ihre Schmerzen nicht vermeiden, wenn man ihnen erlaubt, ihre
Gefühle zu fühlen. Bitte schaut euch sowohl ihr Buch "Auch kleine Kinder
haben großen Kummer" (erschienen im Kösel-Verlag, 2000- Anm. d. Ü.) als
auch ihre Homepage: Aware Parenting Institute
(http://www.awareparenting.com/) an.
4. Das Gehirn ist schmerzunempfindlich. Es kann nicht direkt fühlen. Wenn man
es während einer Operation frei gelegt hat, kann man hineinschneiden oder es
verbrennen - es fühlt nichts dabei. Wenn deshalb das Gehirn in Schwierigkeiten
ist, bemüht es sich zwar, uns zu warnen, doch es kann das nur indirekt tun.
Auf dem Hintergrund der eben
erwähnten Einschränkungen seiner Funktionen gelangt das Gehirn zu folgenden
Lösungen:
Wie ein Filmprojektor nimmt die
Psyche das, was innen in ihr passiert und projiziert es nach außen, um uns
darauf aufmerksam zu machen, dass etwas nicht stimmt. Da sie in einem
vollkommen stillen Raum lebt, muss die Psyche einen Weg finden, um unsere
Aufmerksamkeit zu wecken. Die Signale, die sie sendet, müssen für unsere Sinne
wahrnehmbar werden, sonst würden wir nichts davon merken.
So könnte ein schiffbrüchiger
Seemann eine Flaschenpost ins Meer werfen, doch wir können seine Not nur dann
wahrnehmen, wenn wir diese Flasche am Strand entdecken. Ein Mann, der sich
nachts auf einer Autobahn verirrt hat, müsste erst einmal ein Telefon finden,
bevor wir seine Not hören können. In jedem Beispiel dieser Art merken wir
die Not erst, wenn sie unsere Sinne
erreicht.
Das Gehirn funktioniert genauso. Es
sendet uns durch unsere Sinne und Gefühle Botschaften, welche unsere
Aufmerksamkeit erregen. Zum Beispiel werden wir uns unserer Angst vielleicht
erst bewusst, wenn unser Herz zu rasen beginnt, oder wenn wir
"Schmetterlinge im Bauch" spüren. Die Flasche ist am Strand unseres
Bewusstseins angekommen, das Telefon hat geklingelt.
Um die Sache noch komplizierter zu
machen, sind die Empfindungen, die uns tief aus unserem Inneren erreichen,
unspezifisch. Wenn wir uns in den Finger stechen, dann können wir den Ort der
Störung lokalisieren, und wir wissen meist sogar genau, was die Störung verursacht
hat, und zwar deshalb, weil die externen Sinne ein hohes
Unterscheidungsvermögen haben. Sie wissen meist ganz genau, was vor sich geht.
Die Sinnesorgane tief in unserem
Körper haben kein hohes Unterscheidungsvermögen. Botschaften aus dem Inneren
unseres Körpers sind oft extrem diffus. So hatten die meisten von uns
irgendwann im Leben schon einmal Bauchschmerzen, doch wir konnten nicht sagen,
wo genau die Schmerzen waren.
Ein Gehirn, das nicht genau wissen
will, warum es Schmerzen hat, und das unfähig ist, direkt in sich hinein zu
fühlen, muss nun seinen Schmerz nach außen verlagern, um ihn dann an unser
Bewusstsein zurückzumelden, wobei es sehr diffuse und unspezifische Botschaften
übermittelt.
Unsere ganze Reise in diesem
Handbuch besteht darin, Techniken zu finden, welche diese verwirrenden
Botschaften transparent machen. Jetzt verstehst du auch, warum wir dabei immer
mit sensorischen Phänomenen beginnen. Unsere Reise nach innen fängt immer mit
dem an, was wir in unserem Körper spüren und fühlen.
KAPITEL 14
Wie
das Gehirn uns auf seine Notlage hinweist
1. Spezifische Körperempfindungen
oder -symptome
2. Diffuse innere Körperzustände
3. Spezifische Gefühle
4. Gedanken, Bilder und Bildfolgen,
wie etwa Träume
5. Auffälliges Verhalten
6. Psychosomatische Erkrankungen
WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE
HINWEIST
1.
Spezifische Körperempfindungen oder -symptome
Diese gehören zu den einfachsten
Methoden des Gehirns, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir in Not sind.
Herzrasen oder Kopfschmerzen sind
Beispiele für einfache spezifische Körperempfindungen. So einfach sie auch sein
mögen, so interessiert es dich doch vielleicht zu wissen, dass die tiefsten
Ursachen dafür zeitlich und räumlich weitab von den körperlichen Empfindungen
liegen können, deren wir uns zuerst bewusst werden. Wir werden also gewarnt,
haben aber vielleicht keine Ahnung, was nicht in Ordnung ist. Diese Erfahrung,
zu spüren, dass wir uns in einer Notlage befinden, aber nicht zu wissen, was
tatsächlich nicht stimmt, ist all den Alarmsystemen, die wir noch kennen
lernen, gemeinsam. Und sogar dann, wenn wir wirklich wissen, was in der
Gegenwart nicht in Ordnung ist, schwingt dabei meist etwas aus der
Vergangenheit mit, das wir nicht kennen.
– Die ganze Woche hatte ich
entsetzliche Magenschmerzen.
* Die ganze Woche?
– Ja, ich glaube, es hat letzten
Sonntagabend angefangen, als ich diesen Streit mit meiner Tochter hatte. Sie
hasst mich.
WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE
HINWEIST
2.
Diffuse innere Körperzustände
Diffuse innere Körperzustände sind
genau das: ein umfassendes inneres Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Etwa der
allgemeine Zustand von Unwohlsein, der uns vielleicht ganz durchdringt, wenn
wir irgendwo sind, wo wir nicht sein wollen. Obwohl diese Empfindungen von
keinem bestimmten Organ ausgehen und zunächst nur schwer greifbar sind, können
sie doch einer der lohnendsten unserer grundlegenden Zugänge zum Unbewussten
sein. Sobald wir gelernt haben, uns auf sie zu fokussieren, entdecken wir, dass
sie außerordentlich reich an Details sind. Wir stellen dann fest, dass sie
gleichzeitig von einer oder mehreren Stellen im Körper ausstrahlen, wobei
verschiedene Bereiche verschiedene Informationen mit unterschiedlicher Textur
und Intensität beitragen.
- Ich fühle mich seit ein paar Tagen
innen irgendwie komisch. Ich weiß nicht genau, was es ist. Ich fühle mich
einfach nicht wohl. Mein Kollege in der Firma wurde letzte Woche gefeuert. Ich
glaube, ich hab mich irgendwie gefragt, ob ich wohl als Nächster dran bin.
WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE
HINWEIST
3.
Spezifische Gefühle
Gefühle sind eigentlich eines der
komplexesten Phänomene überhaupt, und genau sie wollen wir hier zu
verstehen suchen. Gefühle liegen im Inneren all der Phänomene, mit denen wir
uns beschäftigen werden, und sie liegen auch um sie herum. Sie vermischen sich
mit Körperempfindungen und diffusen Körperzuständen. Manchmal sind sie im
Vordergrund, manchmal im Hintergrund. Doch sie werden uns überallhin auf
unserer Reise begleiten und uns führen - und manchmal werden sie erheblich zu
unserer Verwirrung beitragen.
Nichts in der Tiefentherapie besitzt
eine ähnlich große Beweglichkeit wie Gefühle, nichts kann sich so leicht wie
sie verwandeln. In der Welt der Regression verändern Gefühle ständig ihre Form.
Gefühle sind mächtig; sie ziehen im
Rudel, und oft vertragen sie sich nicht miteinander. Sie kommen auch in der
Form von zwei unterschiedlichen, einander entgegengesetzten Paaren daher. Auf
Grund ihrer Schnelligkeit sind sie Handlanger der Abwehrmechanismen des
Gehirns; sie können bösartig sein; und sie sind Meister darin, Verwirrung zu
stiften. Und als wäre das noch nicht genug, können sie unsichtbar sein, und oft
sind es auch.
Trotz dieser eindrucksvollen Liste
chaotischer Leistungen sind die Gefühle, wenn sie erst einmal heimisch geworden
sind, unsere besten Freunde. Wenn wir als Kind tief verletzt wurden, so sind es
vor allem unsere Gefühle, die dysfunktional werden. Es ist eines der großen
Paradoxa der Psyche, dass wir uns genau diesen dysfunktionalen Elementen
zuwenden und uns schließlich auf sie verlassen, damit sie uns zurück nach
Hause, zur Heilung führen.
- Ich bin so verängstigt in letzter
Zeit. Ständig habe ich Angst. Ich glaube, das ist so, seit meine Mutter starb.
Im Reich der Gefühle gibt es
spezifische individuelle Gefühle und auch zwei Arten von Gegensätzen:
DIE PAARUNG VON GEGENSÄTZLICHEN GEFÜHLEN:
A. Einfache gutartige gegensätzliche
Gefühle
Diese erste Gruppe von
gegensätzlichen Gefühlen ist verwirrend, aber relativ gutartig. Wir können
jemanden lieben und ihn gleichzeitig hassen. Wir können etwas wollen und es
zugleich nicht wollen. Derartige einfache Gegensätze stiften so lange
Verwirrung, bis jemand uns erlaubt, sie zusammen leben zu lassen.
– Ich kann ihm nicht böse sein, ich
liebe ihn. Aber manchmal bin ich so wütend auf ihn, dass ich ihn regelrecht
hasse. Mir ist klar, dass das keinen Sinn ergibt, da ich ihn doch liebe.
* Du fühlst also zugleich Liebe und Hass ihm gegenüber?
– Ist das nicht verrückt?
* Es ist das, was du fühlst.
– Sieht ganz so aus.
DIE PAARUNG VON GEGENSÄTZLICHEN GEFÜHLEN:
B. Komplexe, bösartige Gegensätze
Das Gehirn hat Impulse, und es hat
auch Kontrollen. Ein Mensch ohne Kontrollen ist sehr, sehr gefährlich. So
unverzichtbar Kontrollen auch sind, im verletzten Kind werden sie oft viel zu
groß und können dann das Wachstum des Erwachsenen abwürgen.
Zu viel Kontrolle beim Erwachsenen
kann viele Ursachen haben. Hat ein Kind vor seinen Eltern entsetzliche Angst,
so traut es sich nicht, seine Meinung zu sagen. Es hat Angst, dass sie es dann
umbringen oder es zumindest sehr schlecht behandeln werden. Diese Lektion wird
es nie vergessen; es lernt, sich ständig zu kontrollieren. Der Terror des
Kindes kann solche Ausmaße annehmen, dass es sich später als Erwachsener mit
wirklich bösartiger Energie selbst unterdrückt.
Darüber hinaus kommt das tief
verletzte Kind immer zu dem Schluss, es sei selbst wertlos. Weshalb, denkt es,
würden die Menschen mir sonst so wehtun? Und wenn ich wertlos bin, kann
natürlich auch nichts von dem, was aus meinem Inneren kommt, irgendeinen Wert
besitzen - und wieder macht es, ein für alle Mal, ‚dicht'.
Wenn wir uns darum bemühen, die
Psyche solcher Menschen zu befreien, kommt nach und nach eine endlose Reihe
dieser bösartigen Gegensatzpaare hoch. Es gibt sie überall in der Psyche, und
es sind die größten Stolpersteine auf ihrem Weg zur Reifung. Sie sind das
Ergebnis von zu viel Kontrolle und dienen dazu, die Geheimnisse der Seele gut
und fest verschlossen zu halten.
Daneben dienen sie auch noch dazu,
den Ausdruck mörderischer Wut gegen uns selbst oder andere zu verhindern.
Ich will - ich soll nicht wollen
Ich liebe - ich soll nicht lieben
Ich hasse - ich soll nicht hassen
Ich denke - ich soll nicht denken
Ich will sprechen - ich soll nicht
sprechen
Ich bin in Ordnung, so wie ich bin -
ich bin das abscheulichste Miststück auf der ganzen Welt. Ich habe kein Recht
zu denken, zu fühlen oder irgendetwas zu tun.
Die Liste ist endlos, und jeder
Punkt darauf hemmt das Wachstum. Was all dem zu Grunde liegt, ist natürlich, dass
diese Menschen nicht sein dürfen. Sie haben kein Recht zu leben - auf
welcher Stufe auch immer. Jede Vorwärtsbewegung in ihrem Wachstum und in ihrer
Therapie ist von daher vollständig und definitiv blockiert.
– Ich will dir erzählen, wie oft meine
Mutter betrunken nach Hause kam.
* Nur zu, erzähle!
– Ich kann nicht. Ich darf über meine
Mutter nicht schlecht reden. Ich will zwar, aber jedes Mal, wenn ich anfange,
darüber zu sprechen, schaffe ich es einfach nicht.
WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE
HINWEIST
4.
Gedanken, Bilder und Bildfolgen, wie etwa Träume
Die Gedanken, Bilder oder
Bildfolgen, denen wir auf unserer inneren Reise begegnen, können uns ihre
Botschaft ganz direkt vermitteln, sodass diese kaum der Interpretation bedarf.
Sie können aber auch stark symbolisierte und verfremdete Repräsentationen sein
für Inhalte, die wir nicht leicht wahrnehmen können. Nichts ist reicher
ausgeschmückt als ein Traum, und doch können auch Träume uns geradewegs ins
Gefühlszentrum eines Problems führen, wenn wir dabei nur ein paar einfache
Regeln beachten. Wenn du dieses Handbuch ganz gelesen hast, bist du bereit,
auch den Anhang zu lesen, der ganz kurz darstellt, wie du die exotisch
erscheinenden Mitteilungen der Träume enträtseln kannst.
– Immer wieder kommt mir das Bild in
den Sinn, wie mein Baby ermordet wird.
* Ermordet?
– Ja, jemand schleicht in sein Zimmer
und erwürgt es. Entsetzlich. Werde ich jetzt verrückt oder was?
* * *
– Letzte Nacht träumte ich von einem
winzigen Frosch, der von einem riesigen
LKW
überfahren wurde.
WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE
HINWEIST:
5.
Ungewöhnliche Verhaltensweisen
Von Zeit zu Zeit ertappen wir uns
alle dabei, dass wir Dinge tun, die keinen Sinn ergeben. Das kann etwas so Komplexes sein wie der Ausdruck einer
multiplen Persönlichkeitsstörung, vielleicht hängen wir aber auch einfach nur
mit Leuten herum, die wir nie mochten. Jedes Mal, wenn wir Dinge tun, die von
unseren alltäglichen Gewohnheiten abweichen, haben wir es vielleicht mit etwas
zu tun, das zu erkunden sich lohnt. Nun habe ich in diesem Buch nicht die
Absicht, mich tiefer mit diesem Thema zu befassen. Aber ich halte es doch für
erwähnenswert, denn es kann unsere Aufmerksamkeit auf tieferliegende Probleme
richten.
- Ich glaube, ich hatte letzte Woche
eines der verrücktesten Erlebnisse, die frau haben kann
* Und zwar?
- Ich ging im Restaurant aufs Klo.
Und da stand so ein Typ vor einem Pissoir und glotzte mich voller Überraschung an.
* Dann warst du also auf dem
Männerklo?
- Ja. Doch warum, meinst du, mache
ich bloß so einen Fehler?
WIE DAS GEHIRN UNS AUF SEINE NOTLAGE
HINWEIST:
6.
Psychosomatische Erkrankungen
Auch hier ist es nicht meine
Absicht, dieses Thema zu vertiefen; ich will bloß noch einmal betonen, dass
unaufgelöster emotionaler Stress den physischen Körper schädigt. Ob es nun das
Asthma eines unglücklichen Kindes ist (obwohl nicht jedes Asthma seinen
Ursprung im Unglücklichsein hat) oder das Magengeschwür eines Erwachsenen,
dessen Bedürfnisse nie gestillt wurden, ein solcher Zusammenbruch von
Körperfunktionen ist immer eine gute Eingangstür ins Unbewusste.
- Mein
Mann hat mich letzte Woche wieder geschlagen, und ich hab darauf total komisch
reagiert. Ich bekam einfach keine Luft mehr. Mein Hausarzt sagte mir, es sei
ein Asthma-Anfall gewesen. Dabei hatte ich in
meinem ganzen Leben noch nie Asthma.
KAPITEL 15
Das
Problem der Erlebnisintensität
Ich habe es schon öfters gesagt:
Wenn wir uns einen Weg durch unsere Abwehr hindurch zu den tieferen Schichten
unserer Psyche bahnen wollen, braucht unser Bewusstsein die intensivierende
Kraft des Schmerzes.
Du erinnerst dich bestimmt noch an
die sechs Wege, durch die uns das Gehirn auf seine Not aufmerksam macht. Es
sind:
1) spezifische Körperempfindungen
oder -symptome
2) diffuse, innere Körperzustände
3) spezifische Gefühle
4) Gedanken, Bilder und Bildfolgen wie z.B. Träume
5) ungewöhnliche Verhaltensweisen
6) psychosomatische Erkrankungen.
Nur die ersten drei vermitteln uns
eine direkte Erfahrung schmerzhafter Empfindungen, obwohl man auch die
psychosomatischen Erkrankungen dazu zählen könnte. Unabhängig davon, was jetzt
unsere Aufmerksamkeit ausgelöst hat, ist es deshalb unsere Aufgabe, die
spezifischen Körperempfindungen und –gefühle, die diffusen inneren
Körperzustände oder die spezifischen Gefühle zu finden, welche all die anderen
Botschaften des Gehirns begleiten. Es ist die Intensität dieser Gefühle
innerhalb all der Alarmbotschaften, welche uns schließlich nach Hause, in unser
tiefstes Selbst führt. Genau aus diesem Grund werden wir unsere Aufmerksamkeit
und unseren Fokus immer wieder auf diejenigen Aspekte unserer Erfahrungen
richten, die wir wirklich und wahrheitsgetreu fühlen können. Diese Gefühle sind
der Fluss, auf dem wir navigieren müssen, wenn wir den Ursprung unserer Not
finden wollen.
Wir tauchen in unsere Schmerzen
nicht ein, weil das uns Spaß macht. Wir tun es, weil er uns stets ins Herz der
Dinge führt. So hart es auch scheinen mag, so ist dies doch ein sehr positiver
Aspekt der Erfahrung von emotionalem Schmerz.
Schmerz, der mit innerer Arbeit
verbunden ist, fühlt sich konstruktiv an. Das ist ein sehr zentraler Punkt.
Dieses konstruktive Gefühl gibt uns das ständige, positive Feed-back, das uns
während unserer dunkelsten Stunden unterstützt und aufrecht erhält.
Wenn wir zum Beispiel endlich die
brennende und schmerzhafte Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen
fühlen, so wissen wir bei all unserem Schmerz doch gleichzeitig auch, dass wir
uns auf diese Weise heilen. Jedes Mal, wenn wir etwas Schreckliches, das in uns
verschüttet lag, endlich in unser Bewusstsein einlassen, erleben wir gleichzeitig
mit diesen Todesqualen ein tiefes und bleibendes Gefühl der Erleichterung. Wenn
der Schmerz sich mit seiner ursprünglichen Quelle verbindet, kann uns das
entsetzlich quälen, doch zur selben Zeit oder kurz danach fühlen wir, dass
diese Erfahrung genau richtig und notwendig war. Wir wissen, dass wir uns
endlich auf dem Pfad der Genesung befinden, und auch wenn wir es nur sehr
undeutlich wahrnehmen, jetzt bricht die Sonne durch die Wolken und erhellt die
so lange verdüsterte Landschaft unseres Lebens. Der Schmerz wird uns ein
Freund. Er ähnelt dem Geräusch einer verrosteten Türangel, wenn wir eine lange
unbenutzte Tür öffnen und einen Schatz finden, der unsere Existenz hell
erleuchtet.
Wenn ein Mensch Schmerz um des
Schmerzes willen sucht (also Schmerz, der nicht mit seinem Ursprung verknüpft
wird), ist das natürlich nutzlos und masochistisch.
KAPITEL 16
Schwimmen
im Meer der Regressionstherapie
Wenn wir unter die Wellen des
Alltagslebens tauchen und beginnen, uns für die Gefühle und Empfindungen zu öffnen,
die uns ein Not leidendes Gehirn auf Umwegen übermittelt, dann betreten wir
eine sehr ungewöhnliche Welt. Wie ist es dort, und wie können wir uns in dieser
Welt bewegen?
In der Welt der Psyche herrscht eine
Freiheit, die wir im Alltagsleben nie erreichen können. Innen ist es, als
würden wir in einem dreidimensionalen Raum schweben, vergleichbar einem
Taucher, der zwischen dem Grund und der Wasseroberfläche schwebt. Aber anders
als der Taucher können wir uns in jede Richtung bewegen, ohne Arme und Beine zu
benutzen, Wir bewegen uns, indem wir uns einfach ein Ziel vorstellen, und dann
gleiten wir dorthin, als würden wir in einer Fantasiewelt leben. So können wir
uns auf innere Gegenstände zu bewegen oder uns von ihnen entfernen. Wir können
tiefer oder flacher tauchen, oder, wenn wir es wollen, das Wasser ganz
verlassen.
Wir können innere Objekte und
Vorgänge mit unseren Sinnen und unserer Intuition genauso erkunden, als hätten
wir es mit Vorgängen in der Außenwelt zu tun.
Wir erleben das, was uns im Innern
begegnet, genauso lebhaft wie die Dinge, die draußen sind. Und wir können uns
von den gleichen Reaktionen leiten lassen. Doch wir sind unendlich wendiger,
sodass wir uns sehr langsam, aber auch, wenn wir das wollen, schnell wie ein
Blitz bewegen können. Es ist uns sogar möglich, uns während einer
Therapieerfahrung aufrecht hinzusetzen, die Augen zu öffnen und uns dadurch von
unserer inneren Welt zu lösen.
Wir können uns jedoch nicht immer
darauf verlassen, dass die innere Welt, im Gegensatz zur äußeren Welt, fest
gefügt und von uns getrennt bleibt. Hier kann es uns passieren, dass wir
überwältigt werden und die Kontrolle über das, was passiert, verlieren. Wir
tragen in uns das uralte Wissen unserer Spezies, dass irgendetwas in den Tiefen
unserer Seele sich unserer Kontrolle entziehen und uns so einen tödlichen
Schrecken einjagen könnte. Was wir in der inneren Welt beobachten
(beispielsweise ein Traumbild), kann unter Umständen plötzlich auf uns zu
kommen und unsere Fähigkeit, uns von ihm getrennt zu halten, überrennen.
So haben die Menschen vor
Kontrollverlust genau so viel Angst wie vor sonst irgendetwas. Wir fürchten,
von einem Gefühl übermannt zu werden, das so mächtig ist, dass es uns zum
Handeln zwingt, sodass wir uns selbst oder jemand anderen verletzen müssen. Wir
haben Angst, von unseren Gefühlen überwältigt zu werden, durchzudrehen und in
ein gigantisches Irrenhaus verfrachtet zu werden, wo man uns auf eine obskure
Station bringt, uns einschließt, in eine Zwangsjacke steckt und mit Drogen voll
pumpt oder mit Elektroschocks behandelt, sodass wir dahinvegetieren und nie
wieder auftauchen.
Tatsächlich ist nicht
auszuschließen, dass einige Menschen, die versuchen, dieses Buch zu benutzen, schließlich
die Hilfe eines Psychiaters oder einer psychiatrischen Einrichtung benötigen
könnten. Die eben beschriebene Situation gehört jedoch eindeutig einer
archaischen Vergangenheit an.
Ich glaube aber, dass man einen
ernsthaften Zusammenbruch dadurch vermeiden kann, dass man die
Vorsichtsmaßnahmen beachtet, die ich schon aufgeführt habe, bzw. noch
beschreiben werde.
Sind wir erst einmal unter die
Oberfläche des Alltags-Selbst getaucht, so schweben wir in unserer
dreidimensionalen Welt. Wir begegnen den schon zuvor erwähnten Botschaften.
SPEZIFISCHE KÖRPEREMPFINDUNGEN streifen uns, wie die Spitzen von Korallen.
DIFFUSE INNERE KÖRPERZUSTÄNDE huschen wie dunkle Schatten um uns herum. GEFÜHLE
machen sich wie Wasserströme unterschiedlicher Temperatur bemerkbar. BILDER
begleiten uns, wie Kreaturen der Unterwasserwelt, und BILDFOLGEN ziehen an
unseren Augen wie Fischschwärme vorbei.
Der Unterschied zwischen der
Unterwasserwelt des Selbst und derjenigen des Ozeans besteht natürlich darin,
dass alles, was wir in der Unterwasserwelt des Selbst sehen, aus den Tiefen der
eigenen Seele dorthin projiziert wurde. Es ist eine symbolische Welt, und weil
sie tief aus unserem Inneren kommt, hat alles in ihr eine Bedeutung für uns.
Wir spüren die Verwirrung und den Sog der Gezeiten, die von diesen möglichen
Bedeutungen ausgehen, und wir wissen, dass wir an einem Platz sind, der uns
etwas zu sagen hat - wenn wir nur lernen, ein Ohr dafür zu haben.
Mit Hilfe unserer Unterwasser-Sinne
können wir uns öffnen, sodass wir unsere inneren Qualen spüren. Wir fühlen den
Schmerz im Nacken und das diffuse Unwohlsein und den Brechreiz im Bauch. Wir
nehmen das Engegefühl in unserer Brust wahr – die dunklen, schmerzhaften
Landschaften unseres Inneren werden um uns herum sichtbar.
Sind wir zum Beispiel ins Meer
unserer Innenwelt getaucht und fühlen dann dort eine ungewöhnlich starke Angst
vor Kritik, dann ist diese übertriebene Angst etwas, das in der wirklichen Welt
nicht existiert. Wir haben sie aus unserem tieferen Selbst heraus auf das Meer,
das uns umgibt, projiziert, und so können wir uns jetzt auf sie zu bewegen,
oder uns vor ihr zurückziehen.
Kapitel 17
Was
wir im Meer des tieferen Selbst zu tun
versuchen
RÜCKKEHR
ZUM ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE
Das Herz, der Kern, die Seele der gefühlsorientierten
Regressionstherapie ist die Vorstellung, dass wir mit unserem Schmerz
verschmelzen müssen, um ihn zu verdauen und dadurch automatisch seine
bösartigen Formen aufzulösen.
Was wir tun, sobald wir im Meer des
tieferen Selbst angekommen sind, ist, mit jedem einzelnen schmerzhaften
Phänomen, dem wir begegnen, zu verschmelzen und eins zu werden. Wir
konzentrieren uns dabei auf den Schmerz, denn er ist unser Signal, dass da
etwas in uns ist, das noch nicht verarbeitet ist. Freude wird später kommen,
und zwar als ein Nebenprodukt der Arbeit, die wir machen.
VERSCHMELZEN (MIT DEM SCHMERZ EINS
WERDEN)
Stufe
1: Mit dem Prozess des Verschmelzens beginnen
Wenn ich in das tiefere Selbst
eintauche, so kann es sein, dass ich zum Beispiel eine diffuse, innere
Körperempfindung spüre. Der ganze vordere Bereich meiner Brust tut mir
vielleicht ein wenig weh. Zuerst nehme ich es als ein diffuses Ausstrahlen des
Schmerzes wahr. Ich empfinde den Schmerz als etwas von mir Getrenntes, ich bin
hier und beobachte ihn, und der Schmerz ist dort in meiner Brust. Ich scheine
über ihm zu schweben und auf meinen Körper hinunter zu blicken, wie ein
Astronaut in einem Science-Fiction-Film.
Ich öffne mich, um ihn ganz zu
spüren. Ich lasse ihn auf mich zu kommen. Er spült durch mich hindurch und
zeigt mir seine Lage, seine Intensität und seine Beschaffenheit. Ich warte, bis
dies mir keine weiteren Sinnesinformationen mehr bringt.
Diesen Prozess, bei dem ich es dem
Schmerz erlaube, intensiver zu werden und mich mit seiner Beschaffenheit
vertraut zu machen, nenne ich den Prozess der „Anreicherung“ oder der
„Texturerhöhung“.
Bis jetzt war ich passiv und habe
den Schmerz einfach kommen lassen. Nun, da ich von dem reichen, sensorischen
Wissen um seine Existenz durchdrungen bin, werde ich aktiv und bewege mich
sanft in sein Zentrum. Jetzt habe ich das Gefühl, in ihm zu liegen. Ich
versuche, die Grenzen zwischen meinem Bewusstsein und dem Schmerz, der in mir
versteckt lag, aufzulösen. Ich versuche, mit dieser körperlichen Kommunikation
eins zu werden. Ich öffne mich ganz. Es ist, als würde jede Pore meiner Haut
und all meine Körperöffnungen den Schmerz in mein Bewusstsein einlassen. Ich
und der Schmerz werden eins. Der Schmerz dringt in alle Teile von mir ein,
dringt durch bis in mein Knochenmark. So, und nur so, kann ich ihn verdauen.
Seine bisher eingefrorene und bösartige Form beginnt, sich allmählich völlig
aufzulösen. Während seine Struktur auseinander fällt, verliert er gleichzeitig
seine Kraft, mich zu verletzen. Aber ich werde diesen Schmerz tief und
möglicherweise viele Male fühlen müssen, um endgültig frei davon zu werden.
Stufe
2: Den Prozess der Verschmelzung vertiefen
An diesem Punkt sollte der Leser zum
Teil 1 des Buches zurückkehren, wo wir uns mit der Schaffung von Kongruenzen
befassen, um mit unserer schmerzhaften inneren Landschaft völlig zu
verschmelzen.
A: Die Kongruenz des Fühlens
benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen
Wenn ich es dem bewussten Teil von
mir erlaube, die Empfindungen zu fühlen, die ein inneres Ereignis zu mir
ausstrahlt, dann befasse ich mich mit der Schaffung der KONGRUENZ DES FÜHLENS.
Je tiefer ich mich in das Zentrum dieser Gefühle und Empfindungen eintauchen
lasse, desto kongruenter werde ich mit ihnen. Mein Bewusstsein erlebt genau das,
was vorher unbewusst war. Diese Offenheit für Gefühle und Empfindungen, dieses
Verschmelzen des Bewusstseins mit der inneren Erfahrung muss zu unserer
kontinuierlichen therapeutischen Arbeit werden.
Die übrigen Kongruenzen benutzen
wir, um diese Einheit von Bewusstsein und Empfindung weiter zu intensivieren.
Dieses Verschmelzen und Einswerden mit unserem inneren Zustand ist ein Gesetz
der emotionalen Heilung. Dieses Gesetz duldet keine Ausnahmen. Bei den
Klienten, welche nicht mit ihrem Schmerz verschmelzen, um ihn auf diese Weise
in seine Bestandteile zu zerlegen, kommt es zu keiner Besserung. Sie leiden
weiter und laden ihren Schmerz weiterhin in verkleideter Form auf ihre Welt ab.
Immer dann, wenn wir von einem ausgeglichenen, harmonischen Funktionieren abweichen,
laden wir etwas Unbewusstes auf unser alltägliches Leben ab.
B: Die Kongruenz der nicht
artikulierten Laute benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen
Jetzt kommt es zur KONGRUENZ DER
NICHT ARTIKULIERTEN LAUTE, während ich zulasse, dass Laute aus meinen
Körperempfindungen in meinem Hals aufzusteigen und dann aus meinem Mund
herauszuströmen. Ich passe den Laut meinen Empfindungen in Intensität und
Qualität genau an. Meine inneren Körpersinne spüren es, wenn der Laut stimmig
ist, genauso, wie wir es spüren, wenn wir einen Tennisball exakt mit der Mitte
des Tennisschlägers treffen. Wir halten diese Kongruenz, bis die Anreicherung
(die Erfahrung der Lage, der Intensität und der Textur) zusammenbricht.
C: Die Kongruenz der artikulierten
Laute benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen
Vielleicht stellen wir fest, dass
sich unsere nicht artikulierten Laute in Richtung realer einfacher Wörter oder
einfacher Sätze bewegen wollen – vielleicht auch nicht. Es ist wichtig, diese Veränderungen
zuzulassen, ohne bewusst einzugreifen. Vergiss nie, dass du lediglich der
Empfänger von Informationen bist. Wenn du versuchst, etwas zu erzwingen und
Informationen zu manipulieren und dich nicht damit begnügst, die richtigen
Türen zu öffnen, dann brichst du den Zauber, den das tiefste Selbst braucht, um
mit dir zu kommunizieren.
Wenn Worte hoch kommen wollen, dann
lass es geschehen, aber halte sie kurz, halte auch deine Sätze kurz und springe
nicht von einem Satz zum andern. Versuche immer, einen langen Satz möglichst
kurz zu machen, geh dabei aber nur so weit, dass er noch das Gefühl einfängt,
mit dem du zu verschmelzen suchst.
Wenn du dich zum Beispiel daran
erinnerst, wie dein Vater dich geschlagen hat, und wenn du dann hörst, wie du
den Satz sagst: "Ich will nicht mehr, dass du mich schlägst", dann
kannst du diesen Satz progressiv kürzen, zuerst zu: "Schlag mich nicht
mehr", dann zu: "Schlag mich nicht" und schließlich auf das Wort
"Nein!". Wenn du deinen Satz immer weiter verkürzst, entdeckst du,
dass sich die ganze Intensität des Gefühls in diesem Wort: "Nein!"
konzentriert. Nun kannst du dieses einfache Wort: "Nein!" ständig
wiederholen oder hinaus schreien, um so den Schmerz der damaligen Begegnung mit
deinem Vater auf eine höchst kraftvolle und intensive Weise loszuwerden. Ein
einzelnes Wort wie dieses "Nein!" wird zum letzten verbalen Destillat
deines Schmerzes, bevor er zu einem nicht artikulierten Laut wird, wie etwa
einem Schrei der Wut, des Schmerzes oder der Angst.
Es kann sein, dass du zwischen
Worten und Lauten hin und her pendelst. Das ist in Ordnung, doch versuche,
solange bei jedem Gefühlsausdruck zu bleiben, bis seine Energie ihren Höhepunkt
erreicht hat und dich auf natürliche Weise zum nächsten führt. Versuche nicht,
bewusst Verknüpfungen herzustellen, es sei denn, sie kommen von alleine.
Intellektuelle Verknüpfungen blockieren und engen die Prozesse deiner Psyche
ein. Der Intellekt führt dich zurück an die Oberfläche (Therapie auf Stufe
Eins) und errichtet in dir Schranken zwischen deinem bewussten Selbst und
deinem tiefen Potenzial für GANZHEITLICHE ERFAHRUNG. Deine Kongruenzen sind wie
ein Bohrer, der sich nach unten durchbohrt. Warte auf das Nachlassen der
Spannung – dabei kommt es vielleicht zu unterschiedlichen Graden GANZHEITLICHER
BEWUSSTHEIT, vielleicht auch nicht.
D: Die Kongruenz der Körperposition
(ohne Bewegung) benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen
Erlaube deinem Körper, die
Position anzunehmen, die er will, lass ihn sich verkrümmen, so wie er es will.
Vielleicht krümmst du dich zusammen wie ein Fötus, oder du liegst auf dem
Rücken, und deine Beine drücken sich gegen die Wand. Nimm die Position
ein, die dein Körper einnehmen will.
E: Die Kongruenz der Position des
Körpers (in Bewegung) benutzen, um unsere Verschmelzung zu vertiefen
Lass deinen Körper sich
kontinuierlich bewegen, wenn er es will, indem er sich zum Beispiel von einer
Seite zur anderen schaukelt, oder was auch immer er tun will.
Deine inneren Körperempfindungen
sagen dir, ob diese körperlichen Reaktionen dazu beitragen, Intensität und
Tiefe deiner Gefühle zu verstärken, oder ob sie diesen Prozess der
Intensivierung irgendwie stören.
Alles, was du in der Tiefentherapie
tust, kann deinen Fortschritt fördern und vertiefen, oder es kann die
Intensität verringern und dich an die Oberfläche zurückbringen (Therapie auf
Stufe Eins). Nirgendwo wird das deutlicher als bei der Körperbewegung. Wenn wir
zum Beispiel in tiefem Schmerz sind, kann die wiegende Bewegung des Säuglings
unsere Reise zur Auflösung des Schmerzes und zu GANZHEITLICHER EINSICHT
verstärken und vertiefen. Doch sie kann unsere Spannung auch abschwächen und
uns beruhigen. Wir haben ein inneres Körperwissen, das uns sagt, ob wir uns auf
dem Weg der Intensivierung des Prozesses befinden, oder aber auf dem Weg der
Abschwächung dieser Intensität. Versuche, dies bewusst wahrzunehmen und dann
wähle das aus, was für dich in dem Moment das Beste ist - erinnere dich daran,
dass deine Heilung umso tiefer sein wird, je tiefer du gehst.
Wahr ist aber auch, dass eine
kontinuierliche therapeutische Begleitung umso notwendiger wird, je tiefer du
gehst.
KAPITEL 18
Mögliche
Ergebnisse des Verschmelzens
Wenn du vorsichtig, fokussiert und
aufnahmebereit den aufgezeigten Weg gegangen bist und eine Gefühls- Sequenz
vollständig durchlaufen hast, wirst du vermutlich eines oder alle der folgenden
Resultate erzielen.
Erstes Ergebnis des Verschmelzens
Fast immer wirst du ein sehr
deutliches Nachlassen von Symptomen und Spannungen feststellen. Dies ist das
zuverlässigste Ergebnis jeder vollständig durchlaufenen Sequenz in der
Tiefentherapie. Handelt es sich dabei um ein außergewöhnlich schweres Trauma,
dann braucht es vielleicht Wochen oder Monate, bis es vollständig aufgelöst ist. Stelle dich deshalb darauf ein, dass
du eine bestimmte Wachstums-Sequenz unter Umständen sehr oft wiederholen musst
- bis ein bestimmtes Thema aufhört, auf sich aufmerksam zu machen.
Zweites Ergebnis des Verschmelzens
Auch wenn du im Augenblick zu keiner
HOLISTISCHEN EINSICHT kommst, so hast du dein Gespür für deine inneren
Strukturen doch beträchtlich verbessert. Diese nichtspezifische Vertiefung der
Selbst-Wahrnehmung nenne ich STRUKTURELLE SELBST-ERWEITERUNG. Dieses wachsende
Gespür für die Tiefe, die Komplexität und die Textur deines tiefsten Selbst ist
ein wesentlicher Teil deines Wachstums. Es verstärkt unseren Sinn dafür, wie
komplex, feinstrukturiert und kostbar wir im Grunde sind. Dies wirkt sich
direkt und positiv auf unser elementares Selbstwertgefühl aus. Wir erkennen,
dass wir von anderen Menschen getrennt sind, und dass letztlich niemand uns
sagen kann, was wir zu tun oder zu fühlen haben. Wir sind zu tief und zu
komplex, als dass die Meinung irgendeines anderen Menschen für uns wichtiger
sein könnte als die eigene. Es befreit uns von unserer lebenslangen Angst vor
dem, was andere Leute von uns denken könnten, und es gibt uns unser Dasein
wieder fest in die eigene Hand zurück. Es wird uns klar, dass niemand außer uns
selbst je wissen kann, was wir von uns wissen.
Obwohl die STRUKTURELLE
SELBST-ERWEITERUNG sehr unspezifisch ist, ist sie eine der unverzichtbaren
Grundvoraussetzungen, um zu heilen und eine neue Persönlichkeitsstruktur zu
entwickeln.
Drittes Ergebnis des Verschmelzens
Hier geht es natürlich um unsere so
sehr ersehnte Erfahrung der HOLISTISCHEN EINSICHT. Hier haben wir jetzt endlich
das Blitzlicht im Garten zu mitternächtlicher Stunde. Hier ist die plötzliche
Erleuchtung des Selbst und des Anderen. Hier haben wir das letzte
psychobiologische Erleuchtungserlebnis vor der eigentlichen Satori-Erfahrung
des Zen. Hier ist unser großes menschliches Erbe: die Einsicht, die auf der
psychobiologischen Ebene unser Dilemma auflöst.
Noch ein Wort zu Intensivierung,
Anreicherung und zum Halten des einmal Erreichten
Immer dann, wenn wir in der
Unterwasserwelt der Tiefentherapie sind, lassen wir die Dinge von sich aus
geschehen. Wir werden zum Empfänger eines Geschenks, das von innen kommt.
Wir spüren zunehmend deutlicher,
dass etwas Bedeutsames geschieht. Das ist ein Teil der ANREICHERUNG. Wenn wir
uns beispielsweise auf einen inneren Vorgang wie etwa eine spezifische
Körperempfindung zu bewegen, dann wird diese Erfahrung zunehmend intensiver und
reicher. Wenn wir in das Gefühl gelangen und uns von ihm durchdringen lassen,
haben wir wiederum das Gefühl, dass etwas innerhalb dieser Verbindung sich
zunehmend verstärkt. Dieser Anreicherungsvorgang kommt zu einem Höhepunkt, und
dann ebbt er entweder ab, wobei es zu körperlicher Erleichterung, mit oder ohne
Einsicht, kommt, oder aber er wird auf diesem Intensitätsplateau gehalten, und
das kann dann zu einem Wandel von Kontext und Ausdruck führen.
Es ist sehr, sehr wichtig, dass du
dich nicht zwischen verschiedenen Prozessen hin und her bewegst, bevor du das
Anreicherungsplateau erreicht hast. Springe nicht von Gefühl zu Gefühl, von
Satz zu Satz, oder von einem Glied der Kette der Phänomene, deren Spur du
verfolgst, zum nächsten.
Wir sind zu sehr an unsere alltäglichen
Gespräche und ihre fließenden, sehr schnellen Übergänge gewöhnt. Bewege dich
langsam in deiner Wachstumsarbeit, während du dich im Dunkeln von einem Stein
zum nächsten vortastest. Gelegentlich kommt es schon vor, dass die Psyche, um
dir zu helfen, wie ein Blitz nach vorne schießt, aber im großen Ganzen sind
schnelle Übergänge für das Wachstum nicht förderlich. Behandle jede neue
Empfindung oder Kongruenz wie einen kleinen Schluck extrem kostbaren Weins.
Halte sie mit allen Sinnen fest, sodass du ihre Textur Welle um Welle spüren
kannst. Je unangenehmer diese Empfindung ist, um so wahrscheinlicher führt sie
zu Erleichterung, Einsicht und Wachstum.
.
KAPITEL 19
Wie
sich unser Gehirn wehrt: Widerstand
Das Gehirn hasst Schmerz. Das
Einzige, was es noch mehr hasst als Schmerz, ist, genau zu wissen, wo der Schmerz her kommt. Das Gehirn hasst es, mit
den Details konfrontiert zu werden, wie und warum wir ursprünglich verletzt
wurden. Es tut alles, um sich von der direkten Erfahrung dieses Wissens fern zu
halten.
Das Gehirn blockiert dieses Wissen,
um nicht vom Schmerz überwältigt zu werden. Es ist nicht fähig, all die
unzähligen großen und kleinen Verletzungen, die es ein Leben lang erlitten und
gegen die es sich während seines ganzen Lebens gewehrt hat, auf einmal zu
erinnern und wiederzuerleben. Das immer wachsame Unbewusste lässt dich nur dann
ein, wenn es schließlich merkt, dass du den Weg nach innen gewählt hast, und
dass dich nichts mehr davon abbringen wird. Dann, und nur dann, beginnt es, dir
seine Pforten zu öffnen. Es stellt dich dadurch auf die Probe, dass es dir
dabei sehr schlecht geht. Wenn du dich davon nicht abschrecken lässt und trotz
allem auf diesem Weg bleibst, füllt es dein Bewusstsein mit seinen
schrecklichen und bittersüßen Schätzen.
Abwehrmechanismen und Widerstände
sind sowohl für das Kind wie für den Erwachsenen äußerst wichtig. Das gilt
besonders für Kinder, die so verletzlich sind, und bei denen das zentrale
Nervensystem so offen ist (es sei denn, es wurde wiederholt traumatisiert).
Obwohl das zentrale Nervensystem des Erwachsenen viel weniger offen ist, hat
der Erwachsene, vorausgesetzt, Timing und Bereitschaft werden berücksichtigt,
eine sehr beachtliche Fähigkeit, traumatische Informationen zuzulassen und zu
integrieren, und dies gilt für Erlebnisse aus der Gegenwart wie aus der
Vergangenheit.
Die Tiefentherapie setzt voraus,
dass du dich sowohl gegenwärtigen als auch vergangenen traumatischen
Ereignissen stellst. Dabei musst du bereit sein, den Schmerz des Wiedererlebens
zuzulassen. Weiterhin musst du in der Tiefentherapie zulassen, dass der Schmerz
sich noch erheblich steigert, bevor du zu tiefen Einsichten kommst. Du musst
dich dem Paradox stellen, dass du immer tiefer in den Schmerz eintauchen musst,
um schließlich von ihm frei zu werden (das ZENTRALE PARADOX DER THERAPIE). Tust
du das, dann besteht deine Belohnung darin, dass du tiefe Verknüpfungen
herstellst und von deiner lebenslangen Anspannung und deinem schlechten
Funktionieren in der Welt befreit wirst. Auch gewinnst du eine tiefe Einsicht
in dein Selbst und in alle Aspekte deiner Welt – eimschließlich des manipulativen
Verhaltens der Menschen um dich herum.
Das immer wachsame Unbewusste weiß,
dass du dein Unwohlsein los werden willst. Was es nicht weiß, ist, ob du auch
bereit bist, die dafür notwendige, mühsame Reise auf dich zu nehmen. Es weiß
nicht, ob du bereit bist, den Preis dafür zu zahlen.
Alle Menschen, die ich bisher
getroffen habe, wollen von ihrem Schmerz befreit werden. Aber nur jeder Dritte
von den Menschen, die unvorbereitet in meine Praxis kommen, ist bereit, dafür
zu kämpfen, indem er sich mit Mut,
Energie und Entschlossenheit auf seine eigenen Tiefen einlässt. Nur jeder
Dritte ist bereit, sich seinem Schmerz zu stellen, um von ihm zu frei zu
werden. Nur einer von dreien ist bereit, seine Überzeugung aufzugeben, sein
Schmerz existiere nur deshalb, weil andere Menschen ihn ständig verletzen. Nur
jeder Dritte ist bereit, sich auf die
erstaunliche Vorstellung einzulassen, dass er erst einmal seine eigene
innere Reise auf sich nehmen muss, ehe er andere beschuldigen kann. Erst sehr
viel später, nachdem er diese ganze Reise hinter sich gebracht hat, klärt sich
schließlich alles, und er spürt genau, wer wem was antut. Dieses Wissen um sich
selbst und andere, diese enorme Klarheit entsteht als Nebenprodukt der Wendung
nach innen. Menschen, die versuchen, es zu erreichen, ehe sie ihre innere Reise
beendet haben, machen einen schwer wiegenden Fehler. Ganz gleich, ob sie nach
innen oder außen schauen, sie erkennen die wahren Ursachen ihres Schmerzes nicht.
***
Wir wollen jetzt untersuchen, wie es
dem Gehirn auf vielfältige Weise gelingt, die Reise nach innen zu vereiteln.
Ich habe bereits gesagt, dass das Unbewusste dich nicht in seinem Bereich haben
will. Um dich fern zu halten, greift es zu Gewalt und zu allen möglichen
Tricks. Die Kräfte, die es dabei gegen dich einsetzt, sind sehr mächtig und oft
völlig unsichtbar. Es ist, als hätte man dich in einem kleinen Ruderboot
ausgesetzt, und zwar in Küstennähe, dort, wo ein riesiger Strom sich ins Meer
ergießt. Der Strom, der tausend Meilen lang ist, leert den riesigen, dunklen
Kontinent des Unbewussten ins Meer.
In dem Moment, wo du dich
entschließt, auf die Mündung des Flusses zu zu rudern, musst du gegen zwei
Kräfte ankämpfen: gegen die Strömung, die dich wegtreibt, und gegen den
heftigen Küstenwind, der ständig versucht, dich aufs offene Meer
hinauszutreiben. Wie die Strömung des Flusses und wie der Wind sind die
Abwehrmechanismen der Psyche gewöhnlich unsichtbar - doch sie üben eine
kontinuierliche, subtile, und mächtige Kraft gegen dich aus.
Eine der Hauptaufgaben dieses Buches
besteht darin, diese Kräfte des Unbewussten sichtbar zu machen, und ich werde
dir Methoden anbieten, um diese Kräfte zu neutralisieren, damit wir uns
stromaufwärts gegen diese Widerstände bis zur Quelle des Schmerzes hoch
arbeiten können.
Ich werde versuchen, eine sehr
einfache Sprache zu benutzen, damit wir uns nicht in einer weiteren Abwehr -
der Intellektualisierung - verlieren.
KAPITEL 20
Die
Muster, Kräfte und Tricks, die das Unbewusste benutzt,
um uns aus dem eigenen Kopf heraus zu halten
Im Folgenden eine Liste der
Abwehrmechanismen, mit denen wir uns beschäftigen werden :
1. Die Muster
"Unsichtbarkeit" und "Nicht-Wissen"
2. Das Muster "Fehlgeleitete
Aufmerksamkeit"
3. Der Bann der Vergesslichkeit
4. Die Abwehr des Nicht-Wollens
5. Die Abwehr des Nicht-Dürfens und
die Loyalitätsproblematik
6. Die Abwehr alternativer
Verlockungen
(a) Wortreiches
Schwelgen im Intellektuellen
(b) Wortreiches
intellektuelles Fragen-Stellen und das Wissen-Wollen
(c) Das Vergnügen
der Gelüste
(d) Die Lust und die
Sicherheit verletzenden Schwelgens
(e) Die Sicherheit
falscher Überzeugungen
7. Das Muster "Verwirrung"
8. Die Schranke der Dummheit
9. Das Vermeiden negativer
Selbst-Konzepte
10. Das Muster des Gestaltwechsels
und der Symptom-Wanderung
11. Das Muster "Extremer
Schrecken"
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF
HERAUS ZU HALTEN:
1. Die Muster "Unsichtbarkeit"
und "Nicht-Wissen"
Der unbewusste Teil unserer
Psyche lenkt unser Denken, Fühlen und
Verhalten die ganze Zeit, und er will unter keinen Umständen, dass wir um diese
Tatsache wissen. Seine Arbeit ist unsichtbar und erfolgreich. Tatsächlich sehen
wir diesen Teil praktisch nie am Werk. Das Unbewusste ist brutal, und es
schubst uns dahin, wo es uns haben will.
In der realen Welt verlässt eine
Frau eine Party frühzeitig. Bewusst glaubt sie, sie würde nach Hause gehen,
weil sie genug hat von den oberflächlichen Gesprächen um sie herum.
Tatsächlich hat ein Mann, der neben
ihr saß und auf eine autoritäre Weise sprach, ein negatives Gefühl in ihr
ausgelöst, das sich eigentlich auf ihren Vater bezieht. Aber davon weiß sie
nichts. Die unbewusste Verknüpfung und die Kraft, mit der diese sie aus dem
Raum treibt, sind vollkommen unsichtbar. Ohne zu wissen, dass sie
flüchtet oder wovor sie flüchtet – ist sie doch auf der Flucht.
DIE MUSTER
"UNSICHTBARKEIT" UND "NICHT-WISSEN" haben ihr seelisches
Wachstum verhindert, aber andererseits ihre Sicherheit geschützt.
Wir werden im Folgenden sehen, dass
die MUSTER "UNSICHTBARKEIT" UND "NICHT-WISSEN" alle
psychischen Phänomene, die wir untersuchen werden, verbiegen und verzerren, von
den oberflächlichsten bis hin zu den tiefsten.
- Ich weiß nicht, warum ich dauernd
so mürrisch und reizbar bin. Mir geht's doch gar nicht so schlecht. Zwar hatten
wir Bobs Mutter zu Besuch, aber sie gibt sich solche Mühe, dass ich ihr echt
keinen Vorwurf machen kann, wenn sie mich wütend macht.
* Du bist wütend auf sie?
- Nicht wirklich. Aber mir wäre es
lieber, sie würde sich nicht so viel Mühe geben. Sie ist jetzt schon zwei
Monate bei uns. Ich mag sie wirklich. Sie ist okay.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF
HERAUS ZU HALTEN:
2. Das Muster "Fehlgeleitete
Aufmerksamkeit"
Das Unbewusste kann nur dann seinen
Willen durchsetzen, wenn es uns dazu bringen kann, uns mit den falschen Dingen
zu befassen. Die falschen Dinge als Grund für unseren Schmerz und unser
Verhalten anzusehen, ist das Kainsmal der menschlichen Spezies.
Die Frau, die von der Party weggeht,
sagt ihren Freundinnen tags drauf wahrscheinlich, wie viel reifer sie
inzwischen ist. Sie wird damit prahlen, dass sie jetzt über oberflächliches
Partygeschwätz weit erhaben ist. Ihre Aufmerksamkeit wurde von ihrem
Unbewussten in die Irre geleitet; sie hat den Fluss des Wissens verlassen und
untersucht jetzt die Bäume am Ufer.
Ein Mann in meinem Primalraum
erforscht den Widerwillen, den er verspürt, wenn er mit einem homosexuellen
Geschäftspartner zusammen ist. Er erzählt mir ausführlich von AIDS und anderen
Geschlechtskrankheiten. Er ist zu einem Experten auf diesem Gebiet geworden.
Einen Abend in der Woche macht er Gemeindedienst und berät Jugendliche, wie sie
Geschlechtskrankheiten vermeiden können. Was er sich jedoch nicht anschauen
kann, ist sein Kindheitswunsch, den Penis seines großen Bruders anzufassen, der
ihm oft als Beispiel von Männlichkeit präsentiert wurde. Seine Aufmerksamkeit
wurde in der Gegenwart von seinem Unbewussten auf Schwule fehlgeleitet, und das
wird auch noch gesellschaftlich anerkannt - er hilft ja Jugendlichen,
Krankheiten zu vermeiden, die sexuell übertragen werden.
Seine Aufmerksamkeit wurde
fehlgeleitet, und er wird sein Leben lang falsche Ziele verfolgen, es sei denn,
er entdeckt und erlebt die ursprünglichen Verknüpfungen. Sein Interesse und
sein Einsatz für die Sexualerziehung haben ihn vor seinen frühen Erinnerungen
und Wünschen "beschützt".
Das Muster "FEHLGELEITETE
AUFMERKSAMKEIT" tritt immer zusammen mit den Mustern
"UNSICHTBARKEIT" UND "NICHT-WISSEN" auf.
Abwehr kommt in allen möglichen
Kombinationen und Intensitätsstufen daher. Wir können gegenüber bestimmten
Dingen völlig blind sein und inmitten dieser Blindheit die falschen Ziele mit
ungeheurer Energie verfolgen.
- Dieser scheiβ Boss, er kotzt
mich an. Tatsächlich, ich hab noch jeden Chef, den ich bisher hatte, gehasst.
Später werden wir ein paar eigene
Tricks kennen lernen, um solche Abwehrmechanismen sichtbar zu machen. Und
schließlich werden wir sie ganz auflösen. Im Moment jedoch müssen wir jeden für
sich betrachten, sodass sie sich vertraut anfühlen, wenn wir mit ihnen
arbeiten.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF
HERAUS ZU HALTEN
3. Der Bann der Vergesslichkeit
Eine Mutter, die in Therapie ist,
schreit ihr zweijähriges Kind unkontrolliert an, weil es gerade Haferbrei auf
den Küchentisch gekleckert hat. Sie hat vergessen, was sie gelernt hat; ihr
Geschrei verbirgt ein Gefühl. Sie hat vergessen: Wenn sie sich aufs Bett legt
und ihre Wut fühlt, wie sie es bei uns lernt, dann verflüchtigt sich ihre Wut,
und sie fügt ihrem Kind keinen Schaden zu.
Ein Mann lernt gerade, wie er sich
an seine Träume erinnern kann. Bevor er einschläft, soll er sich sagen, dass er
träumen will. Er soll einen Block, einen Bleistift und eine Taschenlampe auf
seinen Nachttisch legen. Jedes Mal, wenn er nachts aufwacht, oder auch morgens,
soll er schnell seine Erinnerungen sichten und jedes Fragment seines Traums, an
das er sich erinnert, aufschreiben.
In der ersten Woche vergisst er,
sich an diese Hinweise zu halten. In der zweiten Woche sagt er sich, dass er
sich an seine Träume erinnern soll, doch er vergisst Block und Bleistift. In
der dritten Woche ist er sich derart sicher, dass er sich an einen sehr lebhaften
Traum erinnern wird, dass er ihn gar nicht erst aufschreibt, und dann vergisst
er ihn später. In der vierten Woche macht er alles so, wie verlangt, lässt aber
dann den Block mit seinen Notizen zu Hause liegen. In der fünften Woche denkt
er daran, den Block mitzubringen, vergisst jedoch, an meiner Haltestelle aus
dem Bus zu steigen. In dieser ganzen Zeit beharrt er aber fest darauf, dass
seine Vergesslichkeit reiner Zufall war.
In Wirklichkeit steht er völlig
unter dem BANN DER VERGESSLICHKEIT, einem Trick des Unbewussten, um den Zugang
zum tieferen Selbst zu verhindern.
- Hast du dich diese Woche überhaupt
schon einmal hingelegt und mit deinen Gefühlen gearbeitet?
- Ach, du weißt doch, wie's so geht.
Du hast so viel zu erledigen, und ehe du es merkst, ist eine Woche vorbei. Aber wütend war ich schon; ich habe mich dauernd mit Jean gestritten.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF
HERAUS ZU HALTEN
4. Die Abwehr des Nicht-Wollens
Eine Frau, die in der vorherigen
Sitzung ihren ersten regressiven Durchbruch erlebt hat, betritt meine Praxis.
Sie sagt, sie habe die ganze Woche über geheult. Sie will nicht noch mehr
Tränen. Sie will nicht mit verheulten Augen zur Arbeit gehen.
* Was möchtest du heute machen?
- Ich weiß nicht. Ich will bloß im
Augenblick nicht noch mehr Schmerz fühlen.
* Möchtest du diesmal früher gehen
und es nächste Woche noch mal probieren?
- Eigentlich nicht. Ich will hier
bleiben. Aber ich will diese Woche einfach keinen Schmerz mehr.
* *
*
Ein Mann liegt weinend im Dunkeln.
Er erinnert sich an den Tod einer Spielgefährtin, als er sechs war.
- Ich will das nicht fühlen.
* Es tut zu arg weh?
- Ja ... Es war meine Schuld.
* Du hast sie getötet?
- Nein, aber irgendwie hatte ich
immer den Eindruck, es sei meine Schuld gewesen.
* Willst du versuchen, in dem Gefühl
zu bleiben, dass du sie umgebracht hast?
- Nein!
* Du willst nicht?
- Nein, da ist was Schlimmes dabei.
* Was möchtest du tun?
- Ich denke, ich probier's doch mal.
* Geh ins Zentrum dieses sehr alten
Gefühls: Du bist sechs, und du hast etwas getan, und dadurch starb deine kleine
Freundin.
- ( der Klient beginnt zu weinen ) Wir haben uns
immer ausgezogen und einander angeschaut und uns berührt. Und deshalb ist sie
gestorben. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie starb, weil wir diese schlimmen
Dinge gemacht haben.
* Das wolltest du wirklich nicht
fühlen, nicht wahr?
- Nein, das nicht.
* *
*
* Bitte geh ganz in dieses Gefühl.
- Das kann ich nicht.
* Ich denke schon, dass du es
kannst. Stell dir vor, du steigst in den Aufzug, um zu deinem Wagen zu kommen.
- Bitte, ich will das nicht machen.
* Wenn du davon frei werden willst,
musst du diese Vergewaltigungsattacke wiedererleben.
- Ich erlebe sie doch ständig; ich
träume dauernd davon.
* Wenn du sie im Wachzustand hier
bei mir in der Therapie wiedererlebst, muss sie nicht länger in deinen Träumen
zu dir kommen.
- Ich will's einfach noch nicht
machen.
* Gibt es sonst etwas, das du heute
tun willst?
- Ja, ich will über meine Mutter
sprechen.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN
5. Die Abwehr des Nicht-Dürfens und
die Loyalitätsproblematik
Hier handelt es sich um die eine Seite der bösartigen
Gegensatzpaare, von denen ich oben gesprochen habe, als es um Gefühle ging, die
paarweise auftreten:
* Es gibt da etwas im Zusammenhang
mit deiner Mutter, worüber du wirklich nicht sprechen willst.
- Stimmt.
* Fällt es dir schwer, über sie zu
sprechen?
- Ja.
* Gibt's da ein Gefühl?
- Ja, ich will einfach nicht über
sie sprechen.
* Lass dich bitte in dieses Gefühl
sinken, dass du es nicht willst.
- Ich glaube, es ist nicht so, dass
ich es nicht will, sondern ich darf es nicht. Ich darf nicht über all die bösen
Dinge sprechen, die sie getan hat.
Nach einem langem Schweigen ringt
sie Hände:
- Sie hatte einen Liebhaber ... Ich
weiß nur, dass ich darüber nicht sprechen sollte.
* Du hast dieses Geheimnis all die
Jahre mit dir herumgetragen?
- Ja.
* Geh mal in dieses Gefühl hinein,
dass du es niemandem sagen darfst. Werde zu dem kleinen Mädchen, das es
niemandem sagen durfte. Und sage jetzt mindestens eine Minute lang nichts.
- Ich...
* Nein, sage nichts; bleib in diesem
Gefühl: Du bist ein kleines Mädchen, das ein schreckliches Geheimnis kennt.
- Papa hätte sie umgebracht. Er
hatte unkontrollierbare Wutanfälle, und er hatte Gewehre im Keller.
* Dann hast du ihr also mit deinem
Schweigen das Leben gerettet.
- Ich glaube schon.
* Wie hat sich das angefühlt?
- Ich hab in ständiger Todesangst
gelebt.
Der ABWEHR DES NICHT-DÜRFENS liegt
die extrem mächtige und subtile LOYALITÄTSPROBLEMATIK zugrunde.
Immer wieder kommt es vor, dass
Klienten ihren Prozess dadurch zum Stoppen bringen, dass sie es als nicht loyal
empfinden, negativ über wichtige Personen in ihrem Leben zu sprechen, Menschen
aus der Vergangenheit und aus der Gegenwart. Ich kann nicht stark genug
betonen, dass Schuldzuweisung nicht das Gleiche ist wie eine tiefe innere
Verknüpfung herzustellen.
Wenn jemand auf der Matte arbeitet
und dabei seinen Vater anschreit, er hasse ihn, dann ist dies das Durchfühlen
einer wichtigen, inneren, prägenden Erfahrung. Es ist also nicht so, dass hier
der Klient seinen Vater für das, was er ihm angetan hat, beschuldigt. Der
Unterschied zwischen Schuldzuweisung und dem Durchfühlen einer Verknüpfung ist
subtil, aber absolut zentral. Mit dem Kopf wissen wir, dass unsere Väter das
Produkt ihrer Erziehung waren und deshalb auch nicht schuldig sind für
das, was sie uns angetan haben. Doch wir müssen dieses intellektuelle Wissen
umgehen und die Erlaubnis haben, den Schmerz, den ihr Verhalten in unsere Welt
gebracht hat, zu fühlen und zu externalisieren. Das Fühlen der Verknüpfungen
aus der Vergangenheit ist entscheidend für unsere Heilung. Beschuldigen ist
etwas völlig anderes.
Sobald wir begreifen, dass der
Ausdruck von Gefühlen ein therapeutisches Externalisieren und keine
Schuldzuweisung ist, werden wir frei, das Gefühl zu fühlen. Die ABWEHR DES
NICHT-DÜRFENS fällt weg, und endlich können wir Negatives über die uns nahe
stehenden Menschen sagen, weil wir erkennen, dass wir ein Gefühl erkunden.
Es ist jedoch wichtig, uns daran zu
erinnern, dass die ABWEHR DES NICHT-DÜRFENS selbst auch ein Gefühl ist, und
sich eventuell erst auflöst, nachdem wir viele Male hineingegangen sind und es
gefühlt haben. Die Tatsache, dass wir intellektuell den Unterschied zwischen
Schuldzuweisung und der Erfahrung eines Gefühls kennen, macht uns nicht
plötzlich frei - das gilt ja für jedes andere rein intellektuelle Wissen auch.
Allerdings gibt uns dieses Wissen einen Punkt, auf den wir unsere
gefühlsbezogenen Techniken fokussieren können.
Tatsache ist: Uns nicht loyal zu
fühlen, ist einer der subtilsten Tricks des Gehirns, um uns daran zu hindern,
in das tiefere Selbst zu gelangen. Es ist ein Muster, das aus der tiefen Angst
vor unserem frühen Schmerz entsteht, und ich werde ausführlicher darauf
zurückkommen, wenn wir das MUSTER „EXTREME ANGST“ untersuchen.
* Was hat dein Vater damals jeden
Abend im Keller gemacht?
- Ich kann’s dir nicht sagen.
* Du kannst es mir nicht sagen?
- Wir durften nie über unsere Eltern
sprechen. Sie sagten uns, das sei nicht loyal.
* Kannst du jetzt darüber sprechen?
- Nein. Ich krieg’s einfach nicht raus.
* Aber da sitzt eine Menge Gefühle
über all das, nicht wahr?
55- Allerdings.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN:
6. Die Abwehr durch andere
Versuchungen
( a ) Wortreiches intellektuelles
Schwelgen
- Mein ganzes Leben lang hab ich die
Leute zum Lachen gebracht. Ich bin ein Urtyp, ein Clown. Verstehst du, ein
Urtyp ist...
* Wie fühlt es sich an, die ganze Zeit
witzig zu sein?
- Nun ja, ich stehe gern im
Mittelpunkt. Auch mein Vater hat schon gern Witze erzählt.
* Hör jetzt damit auf; lege dich hin
und stelle dir die Situation vor. Wo bist du?
- In meinem Verein.
* Schließe die Augen, stelle dir vor,
du bist dort und baue das Bild auf, bis es so real wie nur möglich ist. Jetzt
gehe in das Gefühl, das du hast, während du einen Witz erzählst ... Rede nicht
mit mir darüber, bleibe mindestens eine
halbe Minute lang in diesem Gefühl.
- Da ist so ’ne Art Druck in mir, ich müsse
lustig sein.
* Bleib in diesem „Druck“ und lass ihn sich vertiefen. Lass
ein einzelnes Wort, einen Satz oder einen Laut hoch kommen, und dann lass es
raus. Erzähle mir keine Geschichte und räsoniere nicht.
- Lacht über mich!
* Ist das der Satz, der genau passt?
- Ja.
* Dann wiederhol diesen Satz immer
wieder, und achte sorgfältig darauf, in dem Gefühl zu bleiben.
- Lacht über mich ... Lacht über mich
... Lacht über mich ... Lacht über mich ... Ich bin auf einmal ganz traurig.
- Bleib in dem Gefühl des
Traurig-Seins und wiederhole den Satz immer weiter.
- Lacht über mich ... ( der Klient beginnt zu weinen )
Liebt mich ... (weint jetzt laut ) Ich will nur, dass mich jemand liebt!
* Möchtest du noch über Urtypen
sprechen?
- Nein, ich will nur, dass mich jemand
liebt.
* Genau.
Wenn wir die Menschen
davon abhalten, intellektuell zu werden und sie dazu bringen, im Gefühl zu bleiben,
haben sie eine erheblich größere Chance, sich selbst immer tiefer zu erfahren.
Ohne diesen Fokus und diese Intensität gibt es keine echte Therapie.
- Mein Papa konnte einfach nicht
anders, weißt du.
* Du meinst, er konnte nicht anders,
als dich zu schlagen?
- Ja, genau. ( Pause ) Es ist doch bewiesen:
Wenn die Eltern selbst geschlagen wurden, dann geben sie es an ihre Kinder
weiter und schlagen diese ebenfalls.
* Wie hat es sich für dich angefühlt,
geschlagen zu werden?
- Das ist doch jetzt nicht wichtig.
Ist doch alles schon so lange her, und ich hab inzwischen ’ne Menge Bücher darüber gelesen.
* Wie hat es sich für dich angefühlt?
- Ist doch egal – ich hab damit abgeschlossen. Ich
hab eine Diplomarbeit über ‚Gewalt in der Familie’ geschrieben.
* Wie hat es sich für dich angefühlt?
- Bitte verlang jetzt nicht von mir,
das zu fühlen.
* Wie hat es sich für dich angefühlt?
- Ich hatte ständig so entsetzliche
Angst ... ( weint
dabei )
MUSTER, UM UNS AUS DEM
EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN:
Die Abwehr durch
andere Versuchungen - Fortsetzung
( b ) Wortreiches
Intellektuelles Fragen-Stellen und das Wissen-Müssen
Um gefühlsorientierte Tiefentherapie
zu machen, müssen wir die normale Alltagsroutine umkehren. Damit meine ich,
dass wir darauf vertrauen müssen, dass sich, wenn wir zuerst das Gefühl fühlen,
ohne Fragen zu stellen, die Balance zwischen Bewusstem und Unbewusstem neu
justiert und uns die gesuchte Antwort gibt. In gewisser Weise müssen wir
lernen, von der Klippe ins Gefühl hinein zu springen, doch ohne hinzusehen -
und das heißt, ohne Fragen zu stellen.
Viele Menschen müssen anscheinend
erst wissen, was sie tun, bevor sie es sich gestatten, etwas zu fühlen. Dieses
Fragen-Stellen und das Festhalten am WISSEN-MÜSSEN hält die Balance zwischen
Bewusstem und Unbewusstem auf den Intellekt hin ausgerichtet und fern von der
Reise nach unten und nach innen. Das Wissen-Müssen entsteht auf Grund von
tiefem Schrecken, und es ist das Wesen der bewussten Kontrolle. Das
Wissen-Müssen und das Fragen-Stellen, noch bevor wir uns erlauben zu fühlen,
ist eine der Hauptmethoden des Gehirns, um die Therapie auf Stufe Eins zu
halten.
- Ich hab keine Ahnung, warum ich
jedes Mal, wenn ich in die Wohnung meiner Mutter komme, dieses Gefühl habe.
* Bleibe bitte nur in diesem Gefühl,
ohne zu fragen warum.
- Aber es macht doch keinen Sinn.
Warum ist das immer so?
* Geh bitte nur in das Gefühl, stell
dir die Wohnung deiner Mutter vor und sieh dich, wie du sie gerade betrittst.
Hör auf, nach Gründen zu fragen, ehe du das Gefühl fühlst. Das hält dich im
Kopf gefangen.
- Okay. Ich stehe jetzt in der Tür zur
Wohnung meiner Mutter.
* Was fühlst du?
- Ich fühle, dass ich weglaufen will.
* Erlaube bitte dem Gefühl, sich zu
vertiefen. Denk nicht und stell keine Fragen.
- Bitte, Mammi, hau mich nicht wieder.
Bitte hau mich nicht wieder (sie weint)
* Dann ist deine Frage also
beantwortet.
- Oh ja.
Wenn wir unser wortreiches
intellektuelles Fragen-Stellen und unser Wissen-Wollen aufgeben, erlaubt uns
das Fühlen des Gefühls, unsere Wahrheit erfahren.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN:
Die Abwehr durch andere
Verlockungen - Fortsetzung
(c) Das Vergnügen
der Lüste
- Wenn ich versuche, mich hinzulegen
und an mir zu arbeiten, spüre ich den Drang zu masturbieren. Und danach schlafe
ich ein.
* Hilft das dir auf deiner
therapeutischen Reise?
- Ich denke nicht.
* OK;
wenn du also masturbieren willst, bleibe in dem Gefühl, dass du es tun
willst. Lass Laute und Worte heraus und bleib bei dem, was kommt.
***
- Ich ertappe mich immer wieder dabei,
wie ich zum Eisschrank gehe, um mir was zu holen.
* Lässt du dich diesen Hunger fühlen,
ohne die Eisschranktür aufzumachen?
- Ich vergesse es ständig.
* Das glaube ich dir sofort.
***
- Ich will das nicht fühlen. Ich will
nur, dass du mich hältst.
* Bleibe lieber mal eine Weile in dem
Gefühl, und lass uns das Halten für später aufheben.
***
- Sex mit meiner Frau ist immer so
viel schöner, wenn wir uns gestritten haben.
MUSTER, UM UNS AUS DEM
EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN
Die Abwehr durch
andere Versuchungen - Fortsetzung
(d ) Die Lust und
die Sicherheit verletzender Freuden
Wenn wir uns anderen gegenüber
negativ verhalten, handelt es sich oft um einen (unbewussten) Versuch, uns von
unserem Schmerz zu befreien. Dies trifft besonders dann zu, wenn wir
kritisieren.
Seit Urzeiten ist Kritikfähigkeit
Teil des Lebens. Die Amöbe muss beurteilen, ob das, was sie sich gerade
einverleiben will, Gift oder Nahrung ist. Der Elefant hat das gleiche Problem.
Bei Kritik handelt es sich um diese gleiche grundlegende Beurteilung in Bezug
auf die Lebensnotwendigkeiten, allerdings auf einer höheren Stufe. In diesem Sinn
hilft uns verbale und symbolische Kritik immer noch, das, was auf lange Sicht
giftig ist, von dem zu trennen, was nährt und Wachstum fördert.
Leider überlagern die meisten
Menschen diese grundlegende und notwendige Funktion mit etwas Zusätzlichem. Wir
benutzen Kritik, um gegenüber unserer Angst Abstand und Sicherheit zu gewinnen.
Und letztlich lauert unter dieser Angst die Trauer über all die Verletzungen
aus unserer Kindheit.
- Dieser Mann ist so ein Arsch.
Dauernd macht er Unsinn.
* Du hast nicht viel Achtung für ihn
übrig?
- Das ist es nicht. Ich mag ihn
einfach nicht.
* Kannst du in diesem Gefühl bleiben?
- Nun ja, eigentlich macht er mir
Angst. Er hat ’ne Art wie mein Vater.
Wie viel leichter ist es doch zu
hassen, als den Blick nach innen zu richten und den eigenen Ängsten ins Gesicht
zu sehen.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN
Die Abwehr durch andere Verlockungen
- Fortsetzung
(e) Die Sicherheit
falscher Vorstellungen (siehe dazu Kapitel 10)
- Ich glaube echt, alle Männer sind
Scheißkerle.
* Alle Männer sind Scheißkerle?
- Echt. Ich hasse sie.
* Lass dich ins Zentrum dieses Hasses
sinken und wiederhole den Satz “ich hasse sie“ mindestens fünfmal.
- Ich hasse sie ... Ich hasse sie ...
Ich hasse sie ... Ich hasse sie ... Es ist mein Bruder ( beginnt zu weinen ). Ich hasse
ihn für all die Gelegenheiten, wo er mir wehgetan hat. Dass er mir seine Finger
rein gesteckt hat.
* Alle Männer sind Scheißkerle?
- Mein Bruder war ein Scheißkerl.
* Ja, das war er sicher.
Immer, wenn wir aufhören, unseren
Gefühlen nachzugehen, bildet sich wieder eine Plattform falscher Vorstellungen,
die man "Persönlichkeit" nennt. Mit ihr manipulieren wir unsere Welt
und vermeiden unseren Schmerz.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN
7. Das Muster
"Verwirrung"
Oft treffen in der Landschaft des
Unbewussten eine ganze Reihe verschiedenartiger Gefühle aufeinander, wie
verschiedene Flüsse, die aus unterschiedlichen Richtungen zusammen kommen. Die
sich mischenden Strömungen wirbeln viel Schlamm auf und bringen das Wasser
durcheinander. Wenn wir, nach dem lebenslangen Verleugnen unserer Gefühle, uns
dafür entscheiden, endlich die Landschaft der Gefühle zu betreten, dann fühlen
wir nicht selten viele verschiedene Dinge gleichzeitig, und das wiederum kann
zu einem Gefühl der Verwirrung führen. Diese Verwirrung kann wie jedes andere
Gefühl behandelt werden. Wir steigen ins Wasser, wir bleiben in seinem Zentrum,
und langsam, aber sicher, machen sich, nach einigen [Therapie-]Stunden, die einzelnen
Strömungen und Schichten für uns kenntlich.
- Immer, wenn ich an meine Familie
denke, werde ich völlig verwirt.
* Bleibe ganz in dieser Verwirrung,
lass deine Gedanken hinter dir und fühle den Reichtum und die Komplexität. Lass
das mindestens eine halbe Minute lang auf dich einwirken. Und lass jeden Satz,
der aufsteigen will, hoch kommen und lass ihn raus. Sei nicht logisch und
erzähl mir keine Geschichten.
- Ich liebe dich, Bobby.
* Bobby?
- Mein älterer Bruder, der Einzige im
Haus, dem ich etwas zu bedeuten schien. Wenn alles andere schrecklich war,
wusste ich doch immer, dass er für mich da war.
* Aber dieses Gefühl ist frei von
Verwirrung?
- Genau, das ist frei davon.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN
8. Die Schranke der Dummheit
Das Oberflächenselbst hat sich der
Logik verschrieben. Wenn es das Tiefenselbst betrachtet, dann schaut es auf
unlogische Vorgänge. Das tiefere Selbst funktioniert auf der Grundlage von Assoziationen,
sodass eine Sache zu einer anderen führen kann auf eine Art, die auf den ersten
Blick dumm scheint. Doch wir haben in diesem Buch schon gesehen, dass sich die
nicht-logischen Vorgänge im tieferen Selbst, wenn sie erst einmal entwirrt
sind, am Ende immer als sehr sinnvoll erweisen.
Wenn das logische Oberflächenselbst
auf das nicht-logische Tiefenselbst blickt, dann hat es eine eingebaute
Entschuldigung dafür, sich nicht weiter mit ihm zu befassen. Das
Oberflächenselbst sagt: "Sinnlos, da näher hin zu kucken, es ist zu blöd.“ Immer wieder hören wir in der
Therapie den Kommentar, etwas sei dumm und deswegen nicht der Mühe wert, sich
damit zu befassen.
- Ich will nicht darüber sprechen. Ich
komme mir blöd vor, wenn ich mich über Mutters Geschenk beschwere.
* Du fühlst dich blöd?
- Na ja, es ist doch albern. Sie
schenkt mir eine Pelzjacke und ich fühle mich blöd, weil ich dafür nicht
dankbar bin. Ich bin einfach nicht glücklich damit, und es ist doch so ein
teures Geschenk.
* Erlaube dir, in das Gefühl zu gehen,
das du hast, wenn du an das Geschenk denkst.
- ( Nach einiger Zeit ) Ich hasse es.
* Du hasst es.
- Immer versucht sie, mich zu einer
kleineren Ausgabe ihrer selbst zu machen.
* Dann ist also dein Hass auf die
Jacke gar nicht so blöd.
- Nein, ich glaub nicht.
*
* *
- Letzte Nacht hatte
ich einen Traum, aber er kommt mir sehr blöd vor.
* Worum ging’s in dem Traum?
- Nun, ich war in der Wüste, und da
hing dieser Eiszapfen an einem Baum.
* Konzentriere dich auf die Szene.
Lass dich Gefühle dazu haben und schau, was kommt.
- Der Eiszapfen ist kalt inmitten all
der Hitze.
* Ergibt das irgendeinen Sinn für
dich?
- Nun, mein Mann überschüttet mich mit
Liebe, und trotzdem fühle ich mich aus irgendeinem Grund ihm gegenüber kalt.
* Wenn du den Traum also als
Metapher betrachtest, ist er dann blöd?
* Nein, ich glaube nicht.
Tatsächlich ist das mein größtes Problem.
MUSTER, UM UNS AUS DEM
EIGENEN KOPF HERAUS ZU HALTEN
9. Das Vermeiden
eines negativen Selbstbildes
Nichts kann unsere Reise ins
ZENTRALE PARADOX DER THERAPIE so wirkungsvoll durchkreuzen wie dieses Muster.
Wenn wir dieser Form der Abwehr begegnen, kann unser Abscheu so extrem werden,
dass es das Ende unserer Wendung nach innen bedeutet. Der Gebrauch dieses
Musters scheint jeder Vernunft so völlig zu widersprechen, dass es die
Selbsterkundung der Menschheit von Anbeginn an verhindert hat.
Und doch gilt auch hier das ZENTRALE
PARADOX DER THERAPIE. Um einen bösartigen inneren Prozess aufzulösen, musst du
erfahren und anerkennen, dass er ein Teil von dir ist, ganz gleich, wie
bösartig oder negativ er auch scheinen mag. Das allein kann dich aus der Gewalt
dieser sehr schwierigen Gefühle befreien. Hier, mehr als irgendwo sonst,
unterscheiden wir uns von Therapien ab, welche die Kraft des positiven Denkens
nutzen oder tiefe, negative Grundeinstellungen mit neuen Bewertungen versehen (reframing),
um sie akzeptabel zu machen. Sobald wir diese seichten Selbsthilfetricks
benutzen, sind wir verloren. Das Verdrängte bleibt verdrängt. Es gibt dann
keine wirkliche Hoffnung auf Integration, und wir stecken für immer in den
Strukturen des falschen Selbst fest. Dann bleiben wir abgespalten von unserem
großartigen Erbe, der Fähigkeit, vermittels GANZHEITLICHER EINSICHT zu
integrieren und mit den dunkelsten Teilen unserer inneren Landschaft ins Reine
zu kommen.
Verleugnung ist der Grundstein der
psychischen Abwehrmechanismen, das Fundament, auf dem das Kartenhaus des
falschen oder Pseudo-Erwachsenen-Selbst ruht. Verleugnung steht in der Psyche
an der Kreuzung zwischen Richtig und
Falsch. Sie hält die scheinbar negative oder dunkle Seite von uns in unserem
Unbewussten so tief gefroren, dass die meisten Menschen sterben, ohne je auch
nur einen kleinen Teil ihres tieferen Selbst kennen gelernt zu haben.
Nirgendwo funktioniert die
Verleugnung wirkungsvoller als beim Vermeiden eines NEGATIVEN SELBSTBILDES.
Du wirst dich erinnern, dass ich
weiter oben in diesem Buch gesagt habe, das Kind begrabe seine Trauer und seine
Wut und entwickle an ihrer Stelle den äußeren und zutiefst manipulativen Teil
des Selbst, den wir Persönlichkeit nennen. Das heißt, das Kind lernt, was es
sagen darf und was nicht, was es fühlen darf und was nicht, und sogar, was es
denken darf und was nicht, um als menschliches Wesen akzeptiert zu werden. Das
tiefere Selbst mit seinem Schmerz geht unter und wird vergessen, während das
Oberflächen-Selbst seine immer reicher ausgeschmückte Matrix von
Rationalisierungen entwickelt, um das zu bekommen, was es braucht, und um
innerhalb der größeren Menschheitsfamilie sicher aufgenommen zu werden.
Zum Schluss haben wir eine
Persönlichkeit, die nach und nach sehr komplex wird. Sie erhebt sich hoch in
den Himmel, doch sie steht auf einem Fundament von Unwahrheit, „ich bin dies und nicht jenes“, oder „ich bin jenes und nicht dies“
– alles nicht wahr. Wir
werden sehen, dass die Menschen aus Fleisch und Blut sind. Es gibt keinen
Verbrennungsmotor ohne Feuer und Hitze, egal, wie sanft sich die Räder auch
drehen.
Das führt dazu, dass unser
Selbstwertgefühl nicht auf einem organischen und daher wirklich ethischen Kern
beruht, sondern auf dem, was Scott Peck als „die Lüge“ bezeichnet hat.
Doch wie schaffen wir es, uns gut
und sicher zu fühlen, wo wir doch hoch oben in einem Turm leben, der auf Sand
gebaut ist?
Wir müssen einen immer mächtigeren
Verleugnungsprozess entwickeln und uns dafür dann ständig von unserer Welt
Bestätigung holen. Wir treten der „Gesellschaft der Lüge“ bei.
Immer dann, wenn ich meine
Rationalisierungen vorbringe, lächelst du und bestätigst mich, und ich tue das
Gleiche für dich. Damit geht es uns allen gut, solange wir uns nicht hinlegen
und tief fühlen.
Gefühle sind die Röntgenstrahlen der
Seele, und auch wenn sie anfänglich verwirrend erscheinen mögen – letztlich lügen sie nicht, wenn wir
nur tief genug schürfen.
Das menschliche Gehirn (das „Ganzheitliche Gehirn“) kann in seinen Tiefen nach
und nach so ziemlich jede Wahrheit integrieren. Zuerst allerdings muss es diese
Wahrheit finden. Das Verleugnen tiefer und scheinbar hässlicher Gefühle hindert
das Ganzheitliche Gehirn daran, die volle Kraft seines Integrations- und
Heilungspotenzials einzubringen.
Die Reise ins tiefste Selbst ist
eine Reise in eine Welt, die zunächst wie ein unannehmbares Selbst scheint. Auf
dieser Reise müssen wir uns bemühen, unsere gesellschaftlich geprägten Urteile
über das, was gut und böse ist, hintan zu stellen. So wie Sporttaucher eine
Zeit lang ihre Oberflächenatmung aussetzen, um in die Tiefe zu tauchen.
Leider haben wir die Matrix unserer
sozialen Urteile so gründlich verinnerlicht, dass wir in Panik geraten können,
wenn wir beginnen, uns davon zu lösen. Wir befürchten, nun würde jeder uns
zurückweisen, und am Ende müssten wir ganz allein in einer Agonie negativer
Gefühle sterben.
Wie schaffen wir es, das scheinbar
Hässliche in uns anzuschauen und zu fühlen, mit dem wir am Schluss ja
verschmelzen müssen, und das wir uns letztlich doch wieder anzueignen müssen?
Wie können wir, um unsere innere Erfahrung zu vertiefen, immer wieder Sätze wiederholen,
die scheinbar allem, was wir je gelernt haben, Hohn sprechen? Wie können wir
Dinge laut aussprechen, die scheinbar weitab von jedem vertretbaren Standard
von Selbsthilfe sind?
Die Antwort heißt: Wir müssen darauf
vertrauen, dass das, was wir fühlen, uns zum nächsten Glied in der Kette der
Gefühle führen wird. Wir müssen darauf vertrauen, dass das ZENTRALE PARADOX DER
THERAPIE, wenn auch auf verschlungenen Pfaden, uns am Ende zu einer Wahrheit
führt, die gehört und integriert werden muss.
Wir fangen mit kleinen Dingen an.
Wir beginnen, Erleichterung zu spüren, während wir unsere Wahrheiten erfahren,
und so wird unser Vertrauen in uns selbst und in diese therapeutische Methode
allmählich immer stärker. Der Turm kommt langsam wieder ins Gleichgewicht, und
der Boden an seiner Basis wird zunehmend fester und sicherer.
Die folgenden Beispielen machen den
extremen Abscheu sichtbar, von dem ich oben gesprochen habe. Doch beim
Nachvollziehen der Entfaltung dieser Prozesse lernt man etwas Wichtiges
verstehen: Wenn wir uns das, was sich völlig negativ in uns anfühlt, wieder
aneignen, öffnet sich dadurch die Tür zu den letzten Verstecken in der Tiefe
unserer Seele. Hier also, mehr als irgendwo sonst, wird dir das ZENTRALE
PARADOX DER THERAPIE zunächst wie ein krasses Fehler im therapeutischen Bemühen
vorkommen. Später wird es sich dann aber als die strahlendste und reinste aller
Methoden der Selbst-Erkundung erweisen.
- Ich war neulich so wütend auf meine
Kinder.
* So wütend?
- Ja, echt scheißwütend.
* Lege dich hin, geh in die Wut, und
wenn du voll davon bist, dann lass einen einfachen Satz kommen.
- Ich hasse euch ... Ich kann das
nicht sagen ...
* Was
kannst du nicht sagen?
- Ich kann einfach nicht
weitersprechen ...
* Vertrau deinem Gehirn, es wird mit
dem Gefühl schon zurecht kommen.
- ( Klientin weint ) Ich kann nicht
weiter.
* Lass uns mit dem „Ich kann nicht“ genauso umgehen wie mit jedem
anderen Gefühl. Lass dich auf das Fühlen dieses Widerstands ein, auf dieses „Ich kann nicht“, und wenn du Kontakt dazu hast,
dann sage die Worte „Ich kann nicht“ sehr, sehr achtsam fünf bis zehn
Mal.
- Ich kann nicht ... Ich kann nicht
... Ich kann nicht ... Ich kann nicht ... Ich kann nicht ... Ich kann nicht ...
Ich kann nicht ...
ICH HASSE EUCH,
IHR SCHEISSKINDER
... Mir wird jetzt klar, dass ich meine Kinder manchmal einfach umbringen
will. ( Klientin schaut mich völlig entgeistert an )
* Knie dich auf die Matte, nimm den
Plastikschläger in beide Hände, hole bis über deinen Kopf aus und schlag zu, so
fest du kannst und schrei dabei: „Ich bring euch um!“
( Lange Pause ...
Klientin haut zögerlich auf die Matte und sagt mit halbherziger Stimme: )
- Ich bring euch um.
* Ich will, dass du richtig fest auf
die Matte haust und schreist: „Ich bring euch um“.
- ICH BRING EUCH UM ... ICH BRING EUCH
UM ... ICH BRING EUCH UM ...
( Klientin schlägt jetzt mit aller
Gewalt )
Achte jetzt auf das, was passiert,
wenn die Klientin ihren Widerstand gegen etwas in sich überwindet, das ihr
"normales Selbst" mit tiefstem Abscheu erfüllt. Achte auf das, was
passiert, wenn sie darauf vertraut, dass das, woran sie arbeitet, ein Gefühl
ist, und dass das nicht notwendigerweise die letzte Wahrheit ist, (auch wenn es
sich so anfühlen mag). Wenn sie in diesem Prozess bleibt, so wird sich nicht
nur dieses Gefühl auflösen, sondern es wird sie auch nach und nach zur
nächsten, tieferen Einsicht hin führen.
- Ich bring euch um ... Ich bring
euch um ... Ich bring euch um ... ( haut mit aller Kraft auf die Matte ). Mein Gott, genau
so hat ja meine Mutter mich oft angeschrieen!
* Schrei weiter.
- Ich bring euch um ... Ich bring
euch um ... (
Klientin schlägt nun in rasender Wut ) Ich bring euch um ... Bring
mich nicht um, Mammi ( schluchzend ) ... Bitte, bring mich nicht um,
Mammi.
Erst als die Klientin die volle
Kraft ihrer Wut auf ihre Kinder zulässt, steigert sich ihr Schmerz zu einer
Intensität, die ihre Abwehr gegen die Erinnerung an die Tatsache zerschlägt,
dass ihre Mutter ihr Leben regelmäßig bedrohte.
Wenn diese Sequenz richtig durchlaufen
wird, dann und nur dann wird der Rest des Eisbergs an die Oberfläche gehoben,
sodass das Ganze sichtbar wird. Erst jetzt, wo alles offen gelegt ist, kann das
Ganzheitliche Gehirn mit seiner Arbeit beginnen. Was zunächst wie etwas
unmöglich und abträglich Negatives aussah, entpuppt sich jetzt als etwas, das
psychologisch einfach und leicht zu verzeihen ist. Tatsächlich und zutiefst
gibt es buchstäblich nichts zu verzeihen. Die Klientin war einfach in eine
durchaus logische Kette von Gefühlsumständen geraten, die zu mörderischer Wut
auf ihre eigene Nachkommenschaft führte.
Wenn wir an das Negative
herankommen, dann entdecken wir auf der Gefühlsebene, dass der Schmerz keine
Vergebung von außen braucht. Wenn wir dem GLAUBEN AN DAS NEGATIVE IN UNS tief
genug nachgehen, dann öffnet es sich, genau wie jedes andere Gefühl auch, immer
auf eine Landschaft ganzheitlichen Verstehens, die letztlich zeigt, dass es gar
nichts zu vergeben gibt. Alles, was wir je gedacht und getan haben, erweist
sich als durchaus sinnvoll, und das Ganzheitliche Gehirn integriert sich
letztlich selbst.
Dies ist kein Freibrief, um Unrecht
zu tun. Es ist ein sich vertiefendes organisches Wissen, dass wir unter den
Umständen, in denen wir lebten, gar nicht anders konnten, als genau das zu
tun, was wir getan haben, und genau so zu sein, wie wir waren. Wenn wir
das erkannt und gefühlt haben, sind wir von Schuld rein gewaschen, und wir
können nach vorn schauen, im Rahmen eines tieferen und wirklich ethischen
Lebens.
Durch die Tiefentherapie der Stufe
Vier löst sich unsere Abhängigkeit von Menschen auf, die davon leben, dass sie
Akzeptanz und Vergebung "verkaufen". Wenn man das recht bedenkt, ist die Bedeutung für unsere Zivilisation enorm.
* Wie fühlst du jetzt gegenüber
deinen Kindern?
- Ich liebe sie, und manchmal hab
ich eine solche Wut auf sie, dass ich sie umbringen könnte. Irgendwie ist das
in Ordnung. Es macht mir jetzt keine Angst mehr, das zu sagen.
***
Ein Mann gerät in Wut, während er in
der ambulanten Abteilung eines Krankenhauses sitzt und auf das Resultat einer wichtigen Untersuchung
wartet. Erst schreit er eine Krankenschwester an, und dann steht er auf und
läuft davon.
- Keine Ahnung, was da in mich
gefahren ist.
* Versetze dich zurück in die
Krankenhausumgebung. Lass das Gefühl hoch kommen und bleibe eine halbe Minute
drin.
-Ich weiß nicht, warum ich einen
Tumor haben soll. Ich bin kein schlechter Mensch.
(Hier haben wir es wiederum mit
einem Menschen zu tun, der versucht, ein Gefühl abzuwehren, das seiner
seelischen Gesundheit abträglich scheint.)
Mal sehen, was geschieht, wenn wir
am ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE fest halten:
* Ich möchte, dass du fünf- oder
sechsmal sagst: “Ich bin böse“.
- Ich will das nicht sagen. Ich bin
nicht böse.
* Vertraue darauf, dass dein Gehirn
mit Dingen fertig wird, die total
negativ scheinen.
- Ich bin böse.
* Sag es noch mal.
- Ich bin böse.
* Fünfmal, bitte.
- Das ist doch idiotisch.
* Sag’e bitte fünfmal, und zwar mit
Gefühl.
- Ich bin böse ... Ich bin böse ...
Ich bin böse ... Ich bin böse ... Ich bin böse ... An allem gab Mutter mir die
Schuld.
* Sag es nochmal fünfmal.
- Ich bin böse ... Ich bin böse ...
Ich bin böse ... Sie gab mir die Schuld, als unser Vater uns im Stich ließ.
Mein Gott, ich fühl’s, ich bin böse. Ich fühle, es war
meine Schuld ... Ich hab mich so hilflos gefühlt, als er fort ging. So, als
könnte ich überhaupt nichts dagegen tun,
und als sei alles meine Schuld.
* Dann lass uns jetzt zurück ins
Krankenhaus gehen und uns nochmal diese
ganze Wut ansehen. Du sagtest zu mir: „Ich verstehe nicht, warum ich diesen
Tumor habe. Ich bin nicht böse.“
- Ich weiß nicht, warum ich diesen
Tumor haben soll. Ich bin nicht böse. Mein Gott, ich bin an diesem Tumor
schuld. Ich kann’s nicht glauben. Genau das gleiche
Gefühl wie damals, als mein Vater ging. Es ist meine Schuld, dass ich krank
bin. Was hab ich für einen Haufen Scheiße zu schleppen!
* Genau.
Therapeuten, welche Menschen dazu
ermutigen, die Dinge positiv zu sehen, indem sie die "Kraft des positiven
Denkens" einsetzen, hindern ihre Klienten daran, ins Zentrum ihrer
wichtigsten Probleme zu gehen. Wenn wir nicht am ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE
fest halten und unsere Klienten nicht ermutigen, alles Negative über sich
selbst zu fühlen, das an die Oberfläche kommt, dann helfen wir ihnen lediglich,
ein immer höheres Kartenhaus zu bauen. Wir sagen ihnen, dass sie sich nicht auf
die Fähigkeiten ihres Ganzheitlichen Gehirns verlassen sollen. So bleiben sie
in einer immer komplexeren Verleugnung stecken. Was wir ihnen wirklich sagen,
ist, dass wir als Therapeuten es weder ihnen noch uns selbst zutrauen, die
tiefste und notwendigste Arbeit zu machen. Wenn jemand, der für sie eine
Autorität im Bereich der seelischen Gesundheit ist, die große gesellschaftliche
Lüge weiter spinnt, dann kann das nur zu namenloser und tiefster Verzweiflung
führen. Für einen Menschen, der dem Therapeuten als der letzten Instanz in
Sachen Wahrheit der Seele vertraut, ist das ein schwer wiegender Verrat. Wenn
das in einer Therapie geschieht, kann es letztlich zum Suizid führen, weil der
Klient jetzt weiß, dass sogar der Therapeut sich dem Negativen, das so tief ein
Teil von uns allen ist, nicht stellen kann.
Wenn selbst in der Therapie der Mut
fehlt, die dunkelsten Orte im Leben zu betreten, dann kann man sich tatsächlich nirgendwo mehr hinwenden.
Wenn ich höre, dass Leute, die in
Therapie waren, Selbstmord begangen haben, dann frage ich mich oft, ob sie das
nicht aus genau diesem Grund getan haben. Wenn der Therapeut vor dem, was
völlig unerträglich scheint, zurückschreckt, statt sich dorthin vorzukämpfen,
dann kann es Klienten so vorkommen, als bliebe ihnen nichts anderes übrig, als
sich das Leben zu nehmen. Sie haben die Botschaft erhalten, dass es eine Grenze
für das gibt, was wir verkraften und integrieren können.
Gefühlsorientierte Tiefentherapie,
die auf dem ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE beruht, vermittelt nie eine
endgültig pessimistische Sicht des Lebens. Diese Therapie bleibt immer offen
und von daher zutiefst optimistisch.
Das ZENTRALE PARADOX DER THERAPIE
lässt uns auch an diesem erschreckenden Ort nicht im Stich, es sei denn, unsere
Ego-Struktur (unsere persönliche Stärke) wurde so sehr von Kindheitstraumen
erschüttert, dass unser Gehirn nicht mehr über genug Kraft verfügt, um uns hier
beizustehen.
Lies bitte die Kapitel über
Vorsichtsmaßnahmen noch mal [ Kapitel 9 und 11 ].
Doch trotz allem können wir, wenn
wir uns langsam vorwärts bewegen, immer noch Wunder vollbringen bezüglich
dessen, was wir annehmen können.
Dies ist vielleicht einer der
Momente in der Therapie, wo es sehr hilfreich sein kann, wenn ein Psychiater
beurteilt, was für dich möglich ist und was nicht. Bedenke dabei aber immer,
dass auch ein Psychiater kein Synonym für letzte Weisheit ist. Auch Psychiater
besitzen ihr Glaubenssystem, das ihnen Sicherheit geben soll, wie jeder andere
Mensch auch. Kehre deiner eigenen, tiefsten Intuition nie ganz den Rücken, auch
wenn sie, Gott sei's geklagt, manchmal falsch sein kann. Deshalb auch die Warnhinweise
in diesem Buch.
In den frühen Stadien der Therapie,
und auch noch eine ganze Zeit danach, brauchen wir möglicherweise das Mitgefühl
unseres Therapeuten als eines Weggefährten, der uns versichert, dass wir okay
sind. Wie einer meiner Therapeuten zu mir zu sagen pflegte: "Du bist auch
nur ein Mensch, Paul, und kein Ungeheuer"
Ein paar letzte Beispiele, wie man
mit dem Negativen arbeiten kann, sollen zeigen, dass "das Negative"
eine Pforte zur Wahrheit und kein Tor zur Hölle ist.
- Sie hat mich verlassen. Und das
Verrückte daran ist, ich bin nicht mal wütend.
* Wiederhole dieses „Ich bin nicht wütend“
mehrmals.
- Ich bin nicht wütend ... Ich bin
nicht wütend ... Ich bin nicht wütend ... Ich bin nicht wütend ... Himmel noch
mal! Was für ’ne verdammte Scheiße. Ich hasse sie dafür.
* Lege dich hin, konzentriere dich auf
den Hass und wiederhole den Satz „Ich hasse dich“, so, als würdest du sie direkt
ansprechen.
- Ich hasse dich ... Ich hasse dich
... Ich hasse dich ... Ich hasse dich ... Ich hasse dich ... Ich könnte dich
umbringen ... Ich mag das nicht. Es macht mir Angst.
* Bleibe dabei.
- Ich könnte dich umbringen ... Ich
könnte dich umbringen ...
* Hier ist der Plastikschläger, nimm
ihn in beide Hände, hole bis über den
Kopf aus und hau auf die Matte, während du deinen Satz wiederholst.
- Ich hab Angst, das zu tun.
* Hole deine Wut aus deinem Zentrum
über deine Rückenmuskeln, deine Schultern und deine Arme herauf auf die Matte.
Wenn du mit deiner Wut hier auf der Matte arbeitest und sie auch hier lässt,
dann brauchst du dich draußen nicht mit ihr rumzuschlagen.
(der Klient schlägt und
brüllt bis zur Erschöpfung )
* Wie steht’s jetzt mit deiner Wut?
- Sie fühlt sich viel kleiner an, und
ich merke, dass ich mein ganzes Leben lang wütend war.
* Dann geht es nicht nur darum, dass
deine Freundin dich verlassen hat?
- Nein, das löst nur etwas viel
Tieferes aus.
* Richtig.
- Aber vermissen tu ich sie schon,
weißt du.
* Du hast sie sehr geliebt.
- Ja ... stimmt.
Jedes Mal, wenn du feststellst, dass
du etwas verleugnest, vor allem dann, wenn das Gefühl der Verleugnung besonders
stark scheint, kehre die Verleugnung um. Zieh deinen Taucheranzug an, tauche
unter deine „Ich bin okay“-Haltung und verschmelze mit dem Eingeständnis der
negativsten Aussage, die du machen kannst. Bring sie immer wieder zum Ausdruck,
bis dein Prozess der GANZHEITLICHEN EINSICHT die richtige Balance zwischen
Positivem und Negativem in dir findet. In neunundneunzig von hundert Fällen
wirst du feststellen, dass die Verleugnung ein tief sitzendes negatives
Selbstbild abwehrt und verdeckt. Und diesen wiederum verdeckt die tiefere
Verknüpfung, die du fühlen musst, um dich von dieser negativen Überzeugung zu
befreien.
Der folgende Therapie-Ausschnitt
illustriert das Problem der Verleugnung und die Wiederkehr des Verdrängten:
"Als ich sechs war, ging die
Ehe meiner Eltern in die Brüche, und ich glaubte, es sei meine Schuld. Ich
fühlte mich so schlecht, dass ich sterben wollte. Man sagte mir, ich solle
nicht albern sein; es sei nicht meine Schuld. Schließlich verdrängte ich meine
Überzeugung, ich sei für die Trennung meiner Eltern verantwortlich, zusammen
mit dem Gefühl, sterben zu wollen.“
„Mit den Jahren wurde ich zu einem
Menschen, der sich immer gleich verantwortlich fühlt, sobald irgendetwas schief
läuft. Starke Schuldgefühle und Suizidgedanken quälten mich. Ich bemühte mich,
dagegen anzukämpfen, indem ich mich voll und ganz „guten Taten“ widmete. Trotzdem konnte ich mich
nicht von meinen Todeswünschen frei machen. Ich sagte Kindern in der
Sonntagsschule, sie müssten lernen, sich zu vergeben, wenn sie einen Fehler
gemacht hätten. Alle sagten mir, was für ein wertvoller Mensch ich doch sei.
Doch immer noch wollte ich sterben. Jetzt endlich habe ich beschlossen,
therapeutisch daran zu arbeiten.
* Nach allem, was du gesagt hast,
scheinst du einen ausgeprägten Selbsthass zu haben.
- So hab ich das bisher noch nicht
betrachtet.
* Und doch willst du dich ständig
umbringen.
- Tja, ich denke, das stimmt.
* Leg dich hin und sag fünf- bis
zehnmal den Satz: „Ich hasse mich“
- Das kann ich nicht.
* Warum?
- Es ist gegen meine Überzeugung, mir
selber negative Dinge zu sagen. Ich dachte, ich sei hier, um mich lieben zu
lernen. Ich sehe nicht ein, wie ich lernen kann, mich zu lieben, wenn ich mir
immer wieder den Satz wiederhole, dass ich mich hasse.
* Vertraue darauf, dass dein Gefühl, wenn du ihm nur folgst,
dich von diesem Hass befreien wird. Leg dich hin und lass dich fühlen, wie
es tief innen aussieht, wenn du dich
umbringen willst. Bleib in diesem Gefühl und sag den Satz: „Ich hasse mich“ fünf- bis zehnmal, sei ganz achtsam
dabei.
- Ich hasse mich ... ich hasse mich
...
* Lauter!
- Ich hasse mich ...
* Lauter!
- ( schreit) ICH HASSE MICH ... ES IST ALLES MEINE
SCHULD!
* Woran bist du schuld?
- Mein Papa hat mich verlassen ... Er
ist für immer weg gegangen, und es ist alles meine Schuld.
* Du bist schuld daran, dass deine
Eltern sich getrennt haben?
- Ja.
* Sag den Satz: „Ich bin schuld“ mindestens fünf- bis zehnmal und
bleibe in dem Gefühl.
- Ich bin schuld ... Ich bin schuld
... Verlass mich nicht, Papi ... Geh nicht weg!
(der Klient
schluchzt) Bitte ... Bitte ... Bitte verlass mich nicht, Papi ...( lange
Stille )
* Nun, ist es wirklich deine Schuld?
- Nein. Aber ich denke, ich hab es
immer geglaubt.
* Wie ist es im Augenblick mit deinen
Selbstmordabsichten?
- Ich will mich nicht umbringen.
* Wenn du also wirklich loslässt und
bis auf den Grund deiner schrecklichen und negativen Überzeugung gehst, dass du
dich selbst hasst, und dass du allein an der Trennung deiner Eltern schuld
bist, dann entdeckst du plötzlich, dass du nicht mehr sterben willst.
- Ja, ich glaube, das stimmt.
Jedes Mal, wenn du sterben willst, verlasse das Brückengeländer;
steig in deinen Wagen, lehne dich zurück und beginne deine Gefühlssequenz, bis
du diesen Entspannungsgrad erreicht hast. Du wirst das vielleicht hundertmal
während zwei oder drei Jahren tun müssen, bevor du deine Suizidgefühle ganz
überwunden hast.
Wenn du dem Hässlichen in dir
begegnest, lass dir von niemandem einreden, dass du es unterdrücken musst.
Nähere dich ihm mit dem Wissen, dass du weder dich noch andere zu verletzen brauchst,
wenn du nur deine Gefühlsarbeit auf der Matte machst.
Nebenbei gesagt: Ich glaube, dass
die meisten Erwachsenen-Suizide in Wirklichkeit Kindheits-Suizide sind, die
aufgeschoben und viel, viel später ausagiert werden.
Es gibt viele Momente im Leben, wo
ein wenig bewusstes positives Denken uns durch bedrohliche oder schwierige
Situationen bringen kann. Einfache Sätze wie: "Ich weiß, ich komme da
durch" und ähnliche ermutigende
Worte können ein hilfreiches Rettungsboot sein.
Aber versuche niemals, positives
Denken als Grundpfeiler in deine Persönlichkeitsstruktur einzubauen. Das wird
letztlich nie wirklich funktionieren, und selbst wenn es so scheint, musst du
mit der inneren Verhärtung, die so entsteht, einen wirklich sehr hohen Preis
für die Verdrängung zahlen.
Bei der Arbeit auf der Matte müssen
wir alle Gefühle ohne Ausnahme ausdrücken, und zwar kongruent, indem wir die
gleiche Energie, die innen vorhanden ist, auch außen zeigen. Tun wir das nicht,
oder lassen wir uns durch falsche positive Vorstellungen davon abbringen, dann
morden wir die Prozesse des Selbst.
Wir heilen nie.
Während des Übergangs von einem
repressiven, linearen und urteilenden Bewusstsein zum holistischen,
nicht-urteilendem Bewusstsein brauchen wir normalerweise Unterstützung,
Erlaubnis und ein Gefühl der Sicherheit. Nichts ist furchterregender, als einem
tieferen Selbst zu begegnen, dem der Freistempel der sozialen Billigung fehlt.
Deswegen solltest du unbedingt Vorsichtsmaßnahme drei in Kapitel 11 lesen.
Je tiefer wir in die Psyche
eindringen, und je ganzheitlicher unsere Einsichten sind, umso weniger sind wir
bereit zu urteilen. Wenn wir die enorme, unbewusste Komplexität der Dinge
erfahren, die unser Verhalten bestimmen, ebenso wie die äußeren Kräfte, die ihm
Form geben, neigen wir immer weniger dazu, Menschen und ihr Verhalten in gut
und schlecht einzuteilen. Wir entwickeln eine innere Haltung der Vergebung, uns
selbst und anderen gegenüber – und das ist die einzig echte Basis für ein mitfühlendes
Leben.
In der Welt ist es für das Überleben
unserer Spezies notwendig, darüber zu urteilen, inwiefern menschliches
Verhalten für die Gesellschaft als Ganzes konstruktiv oder destruktiv ist.
Auf gesellschaftlicher Ebene müssen wir
selbstverständlich immer noch die Regeln befolgen, soll nicht Chaos ausbrechen.
In den Tiefen der Psyche jedoch
sehen wir, dass alles durch Kräfte geformt wurde, über die wir keine Kontrolle
haben. Das resultierende Verhalten kommt aus Bereichen, die so tief unterhalb
von allem liegen, was wir sehen können, dass die Vorstellung einer persönlichen
Verantwortung, im Sinne eines Bewusstseins, warum wir bestimmte Dinge tun oder
nicht, zunehmend gegenstandslos wird.
HOLISTISCHE EINSICHT schafft
vollkommene Klarheit, und schon Bruchteile dieser Klarheit lösen Schuldgefühle
in Nichts auf. Wir erkennen dann, dass wir, mit den extrem eingeschränkten
Informationen, die unserem Bewusstsein zugänglich waren, immer unser Bestes
getan haben.
Ein Mann vertraut jemandem bei einem
gewichtigen Geschäftsabschluss. Man warnt ihn, aber ein tiefes Gefühl in ihm
sagt ihm, er müsse eben so handeln. Er verliert sein ganzes Geld.
Nie wird er wissen, dass die Frisur
dieses Mannes bei ihm tiefe Assoziationen ausgelöst hat, die sich auf seinen
Vater beziehen. So macht er sich Vorwürfe wegen seines schlechten
Urteilsvermögens und leidet an Schuldgefühlen. Dadurch, dass ihm in der
regressiven Tiefentherapie frühe Verbindungen zu seinem Vater bewusst werden,
kann er erkennen, dass er erstens keine Kontrolle über die Kräfte hinter seiner
geschäftlichen Entscheidung haben konnte, und zweitens, dass diese Kräfte ihm
völlig unbekannt waren. Seine Schuldgefühle lösen sich auf. Zugleich spürt er
immer weniger das Bedürfnis, die scheinbar merkwürdigen Entscheidungen anderer
Menschen zu kritisieren.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF
HERAUS ZU HALTEN
10. Das Muster des Gestaltwechsels
und der Symptomverschiebung
Eines der verwirrendsten Muster, die
das Unbewusste benutzt, um unsere Reise nach innen zu verhindern, ist das
endlose Hin-und-Her-Wechseln zwischen Phänomenen, zu denen wir eine Verbindung
aufzubauen suchen. Im Unbewussten kann alles seine Form verändern und zu etwas
anderem werden. Gefühle verhüllen sich immer wieder, verstecken sich unter
vielfarbigen Deckmänteln und hinter Gebäuden mit vielen Fassaden. Es ist, als
wäre das Gefühl ein schelmischer Waldgeist, der mal in einen Baum, mal in einen
Fels und dann wieder in einen Fluss fahren kann. Was jetzt für dieses steht,
kann plötzlich für etwas ganz anderes stehen, und, wie ich eben sagte, alles
kann zu allem werden. Lass dich dadurch nicht verunsichern. Ganz gleich, wie
bizarr und wechselhaft die inneren Vorgänge auch werden, wir besitzen magische
Kräfte, die den ihren gleichwertig sind, um sie zu verfolgen und sie aus ihrem
Versteck hervorzuholen.
- Die ganze Woche hatte ich Bauchweh.
* Lege dich hin, lass dich in deinen
Schmerz treiben und von ihm durchtränken wie Pickles von der Lake. Denke nicht,
sprich nicht, saug ihn einfach auf.
- Mein Chef hat mich letzten Montag
vor allen Kollegen angeschrieen.
* Wie fühlte das sich an?
- Ich war höllisch wütend, konnte aber
nichts sagen.
* Und du hattest die ganze Woche
Bauchweh?
- Genau.
* Bleibe in dem körperlichen Schmerz.
- Ich würde ihn jetzt gern anschreien.
* Bleibe in deinem Körperschmerz und
schrei alles hinaus, was aus diesem schmerzenden Bauch herauf kommt.
- Du Scheißkerl ... Du Scheißkerl ...
Du Scheißkerl ... Du Scheißkerl ...
* Wie geht’s deinem Bauch?
- Etwas besser, er tut aber immer noch
weh.
* Dann zentriere dich wieder auf ihn
und lass noch mehr raus.
- Arschloch ... Arschloch ...
Arschloch ... ARSCHLOCH!
* Wie geht’s deinem Bauch jetzt?
- Der Schmerz ist
weg.
Wut und Demütigung wurden zu
Bauchschmerzen. Sie haben ihre äußere Form geändert und sich an einem anderen
Platz versteckt.
*
* *
- Ich hoffe, er krepiert in diesem
Sportwagen. Er macht mir solche Angst mit all den verdammten Risiken, die er
eingeht. ( Pause ) Ich
liebe ihn wirklich, weißt du.
Liebe wird zu Wut. Wut wird zu
Angst. Und Angst verwandelt sich zurück in Liebe. Ganz gleich, wo wir beginnen,
im Unbewussten verändern sich die Vorgänge ständig und dauernd und immer
wieder. Fast nie sind wir am Ende dort, wo wir angefangen haben. Weil wir nie
vorher das Ende einer Sequenz absehen können, werden Menschen wie die, welche
wir schon erwähnt haben, die ständig wissen müssen, warum sie ein bestimmtes
Gefühl haben, nie in der Lage sein, von einer unbewussten Verbindung zur
nächsten zu gelangen. Zuerst kommen die Gefühle, und erst später, vorausgesetzt
wir vertrauen ihnen, locken sie die Gründe für ihr Vorhandensein in unser
Bewusstsein.
Symptomwandel ist eine der gängigen
Formen des Gestaltwechsels inmitten des ständigen Übergangs von einer Sache zur
anderen, während wir einem Prozess im tiefen Wald auf der Spur zu bleiben
suchen.
- Ich spüre einen Schmerz im Magen.
* Bleib in dem Schmerz.
- Irgendwie scheint es, ist er jetzt
in meiner Brust.
* Dann geh hinauf in deine Brust und
bleib in diesem Gefühl.
- Ich weiß, es klingt verrückt, aber
jetzt sitzt er mir im Hals.
* Dann bleibe da bei ihm.
- Es ist mit, als müsste ich würgen.
Ich kann kaum sprechen.
* Bleib in diesem Würgegefühl und lass
dich Würgelaute machen.
- Ich kriege einfach nichts raus.
* Dein Unbewusstes tut alles, um dich
daran zu hindern, deinen Schmerz zu
äußern.
- Ja, genau. Ich glaube, du hast
Recht.
Stell dir vor, du versuchst, in ein
Symptom hinein zu kommen, aber es unterläuft deinen Versuch dadurch, dass es
sich im Körper von einer Stelle zur anderen verlagert; wenn du dich jetzt
geduldig auf jede neue Äußerung des Symptoms fokussierst, dann werden diese
Gestaltwechsel und Symptomverschiebungen, welche die Einsicht binden und
verhindern, schließlich zusammenbrechen. Manchmal, wie in unserem Fall, muss
ein Klient sogar in einen Papierkorb würgen, bevor das Symptom aufgibt und es
dem Schmerz und der Einsicht erlaubt, hervorzutreten.
MUSTER, UM UNS AUS DEM EIGENEN KOPF
HERAUS ZU HALTEN
11. Das Muster "Panische
Angst"
Von allen Schranken zwischen uns und
dem, was wir über uns wissen müssen, ist panische Angst am schwierigsten zu
überwinden. Nur sehr wenige Menschen können sich ihr stellen, wenn sie
intensiver wird. Auch bei den Therapeuten gibt es nur sehr wenige, die sie
aushalten, bei ihren Klienten und bei sich selbst.
Doch die Wahrheit ist verblüffend
einfach: Wenn wir in unserer panischen Angst bleiben und sie fühlen, sie
aufsaugen und zulassen, dass sie uns überflutet, löst sich dieses Monster aus
der Tiefe auf, wie jedes andere Gefühl, mit dem wir es noch zu tun haben
werden.
Panische Angst ist der Vorhang vor
der Hauptvorstellung. Wird dieser mysteriöse und schmerzliche Prozess ganz
gefühlt, dann verschwindet er, und gewöhnlich wird er ersetzt durch ein
Wiedererleben aus der Kindheit und eine wichtige Einsicht. Das sagt sich so
leicht, doch es zu tun fällt den meisten von uns so unendlich schwer.
Gewöhnlich brauchen Menschen Monate
oder Jahre des Vertrauen zu sich selbst und zu ihrem Therapeuten, um diese
flammende Schwelle zu überwinden. Manche schaffen es nach ein paar Sitzungen,
andere bringen es nie fertig, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Die
Bereitschaft dazu ist eine tiefe und ganz persönliche Angelegenheit. Niemand
sollte sich auf panische Angst einlassen, ohne die Vorsichtsmaßnahmen in
Kapitel 11 dieses Buches sehr sorgfältig gelesen zu haben. Das Muster PANISCHE
ANGST kann, wie jede andere Abwehr, eine notwendige Schutzmaßnahme gegen eine
wirkliche Desintegration darstellen. Doch die meisten meiner Klienten lernen,
mit etwas Unterstützung, damit umzugehen. Wenn wir schließlich an die Einsicht
hinter der Angst herankommen, entdecken wir oft, dass der große defensive
Wirbel, den sie ausgelöst, hat, nicht gerechtfertigt erscheint. Wenn wir
wirklich hinter die Angst zu dem darunter liegenden Gefühl und der HOLISTISCHEN
EINSICHT gelangen, erfahren wir eine tiefe Erleichterung in Körper und Seele.
Allgemein gilt: Je größer das
Trauma, um so größer die Angst. Und: Je schwächer die Ego-Struktur (die Stärke
der Persönlichkeit), umso größer die Angst. Aber oft gibt es auch keine
eindeutige Beziehung zwischen diesen Faktoren.
Manchmal kommt eine Person voller
Angst in eine Sitzung, oder die Angst kommt beim Sprechen hoch.
- Irgend etwas am Mann meiner Freundin
macht mir Angst.
* Lege dich hin und tauche ins Zentrum
dieses Gefühls ein.
- Das macht mir noch mehr Angst.
* Bleibe dabei.
- Ich hab Herzklopfen.
* Lass es klopfen.
- Ich schwitze plötzlich am ganzen
Körper.
* Lass dich schwitzen. Lass dein Herz
klopfen und bleibe in dieser Angst ( sehr lange Pause ).
- Er erinnert mich
an meinen Onkel.
* Wie alt bist du?
- Elf Jahre.
* Was passiert?
- Er bringt mir bei, wie man küsst. Er
sagt, es wird Zeit, dass ich das lerne.
* Was macht deine Angst?
- Ist verschwunden.
Wenn wir in der Angst bleiben, dann
öffnet sie sich auf eine Ebene des Verstehens hin, und sie verschwindet.
Nichts kommt in meiner Praxis mit
größerer Regelmäßigkeit vor als die Auflösung der Angst - solange ein Klient
nur immer wieder zu ihr zurückkehrt und in ihr bleibt, bis sie aufbricht und
ihre Einsicht preisgibt.
Chronische Angstzustände waren seit
jeher ein Problem in der Psychotherapie, und im Allgemeinen kam die
Psychotherapie nicht gut damit zurecht. Doch
im Rahmen einer gefühlsorientierten, regressiven Therapie ist chronische
Angst unser Verbündeter. Sie ist ein sehr langer Korridor mit vielen Türen, die
sich auf frühen Kindheitsschmerz öffnen und auf all die Probleme, die mit ihm
im Erwachsenenleben in Verbindung stehen.. Chronische Angst ist eines der
besten Werkzeuge, das wir besitzen; sie ist der Zugang zum Tiefen-Selbst, und
am Ende weicht sie immer vor unseren Methoden zurück und das bringt Befreiung
und Einsicht.
- Letzte Woche hatte ich wirklich eine
Menge Angst.
- Lege dich hin und lass die Angst zu.
( Klientin beginnt,
unkontrolliert zu zittern ) Was passiert jetzt mit mir?
* Du zitterst. Das ist eine Art, wie
der Körper Gefühle ausdrückt.
- Ich mag das nicht.
* Lass das Zittern einfach zu und
schau, ob es Worte gibt, die hoch kommen und heraus wollen.
- ( Die Klientin zittert noch stärker
) Nein ... Nein ... Nein... ( schluchzt jetzt – beginnt dann zu schreien ) NEIN
... NEIN ... NEIN ... Mein Vater nimmt meine kleinen Schwestern mit in den
Keller, um sich an sie ran zu machen. Ich kann sie schreien hören ... Ich kann
nichts dagegen tun ... Oh mein Gott, ich kann sie nicht beschützen ... Er hat
ein Gewehr ... Er sagt, er wird uns alle umbringen, wenn ich irgendjemandem
etwas davon erzähle ...
* Was ist mit der Angst, die du die
ganze Woche mit dir herumgetragen hast?
- Sie ist weg, aber mir ist jetzt schlecht.
* Willst du dich auf dieses Gefühl
einlassen?
- Nein, mir reicht’s für heute.
* Gut.
Die meisten Menschen in meiner
Praxis erleben kein so starkes Trauma, aber ungewöhnlich ist es auch nicht. Und
wiederum sehen wir: Wenn wir nur den Mut aufbringen, in unserer Angst zu
bleiben, löst sie sich auf.
Ehe es zu einer tiefen Einsicht
kommt, sind mittlere bis schwere Angstgefühle so häufig wie Wind vor einem
Sturm. So lernen wir, dass Angstgefühle und sogar panische Angst, wenn wir sie
nur ganz zulassen, uns nicht zerstören. (Wenn dein Therapeut in dem Moment, wo
deine Panik hoch kommt, zu reden anfängt und die Panik so daran hindert, sich
ganz zu zeigen, hast du vermutlich den falschen Therapeuten.) Oft brauchen wir
einige Monate Übung darin, in der Angst zu bleiben, bevor wir damit klar
kommen. Manche allerdings bemühen sich jahrelang darum, sie endlich zulassen zu
können. Sobald wir merken, dass die Angst uns nicht zerstört, sondern im
Gegenteil zum Wiederentdecken von außerordentlich bedeutsamem frühem Material
führt, wird dieses ursprünglich beängstigende psychische Muster (das MUSTER „PANISCHE ANGST“) einfach zu einem weiteren Gefühl,
zu einem weiteren Zugangstor, und wir
brauchen es nicht länger um jeden Preis zu vermeiden.
Ich muss hier noch mal
unterstreichen, dass es verschiedene psychische Zustände gibt, wie etwa
psychotische Borderline-Zustände, bei denen es zu einer psychotischen
Desintegration kommen kann, wenn der Klient in der panischen Angst bleibt. Lies
bitte noch einmal Vorsichtsmaßnahme Zwei (Kapitel 11).
Doch ich muss betonen, dass dies für
die große Mehrzahl der Psychotherapie-Klienten kein Problem darstellt.
Natürlich ist es wichtig, dass dein Therapeut dir als Begleiter mit seiner
Unterstützung zur Verfügung steht, wenn du erstmals diese Abwehrstrukturen
durchbrichst.
Nun wollen wir unser Augenmerk auf
die Zauberkräfte richten, um die Muster und Tricks der Abwehrkräfte des Gehirns
aufzulösen - und damit den tiefen, unbeschädigten Selbstheilungsprozess der
Psyche ans Tageslicht zu bringen.
KAPITEL 21
Gegenmaßnahmen,
um die Abwehrtricks des Gehirns aufzulösen
EINLEITUNG
Schmerz sickert durch. Er sendet uns
Informationen über seine Existenz und seine Position. Schmerz ist wie ein Kind,
das sich im Schrank versteckt hat und dann ruft: "Du kannst mich nicht
finden".
Schmerz sendet uns Informationen
über seine Existenz und seine Position, indem er die Symptome bildet, die wir
uns bereits angeschaut haben.
1. Spezifische Körperempfindungen
2. Diffuse innere Körperzustände
3. Aktuelle spezifische Gefühle
4. Gedanken, Vorstellungen und
Traumsequenzen
5- Ungewöhnliches Verhalten
6- Psychosomatische Erkrankungen.
Diese sechs verschiedenen
Schmerzbotschaften sind Botschaften eines Gehirns, welches in Not ist. Sie alle
enthalten schmerzhafte körperliche und emotionale Empfindungen, oder sind eng
mit ihnen verwandt.
SCHMERZHAFTE
KÖRPERLICHE UND EMOTIONALE EMPFINDUNGEN 1. den Kompass unseres Bewusstseins ausrichtet 2. die Kraft besitzt, die Abwehr zu durchbrechen 3. die Prozesse enthält, die wir
fühlen müssen, um die Fehlerfreien Funktionen auszulösen – die im Zusammenhang mit der
Holistischen Einsicht stehen und sie einbeziehen |
Wenn wir dem Schmerz so folgen, wie
wir es hier beschreiben, dann wird er uns unser Leben zurück geben. Seine
Gegenwart ist für unsere Arbeit absolut notwendig. Aus den oben erwähnten
Gründen müssen wir ihn immer lokalisieren, besonders dann, wenn er sich in den
unauffälligeren Symptomen versteckt.
Wir können das menschliche Gehirn so
trainieren, dass es immer sensibler und zu einer Art Kompass wird, der
innerhalb des magnetischen Feldes unserer Gefühle operiert. So können wir die
Gegenwart von körperlichem wie von emotionalem Unwohlsein spüren, auch wenn
diese Gefühle äußerst schwach oder verworren sind. Wir können lernen, die
Feinheiten ihrer Textur zu erkennen. Wir können ihre Fährten verfolgen (sie
aufspüren) und mit ihnen verschmelzen.
Auf diese Weise können wir durch den
Schleier unserer Psyche hindurch bis zu ihrem tiefsten Kern vordringen, bis in
ihre entfernte Vergangenheit und ihre komplexe Gegenwart. Hier, am Ende unserer
Reise, werden wir zu neuen Verständnis-Dimensionen für uns selbst und für
andere gelangen.
All die defensiven Muster der
Psyche, welche wir uns angeschaut haben, können uns nicht von unserem Ziel
abbringen, genau so wenig, wie Wind und Regen eine Kompassnadel beeinflussen
können.
Es ist immer das gleiche Prinzip:
Wenn wir in dem Gefühl bleiben und unsere Laute, Worte und Körperbewegungen
kongruent wiederholen, finden wir uns im Zentrum der schlimmsten Erfahrungen,
die uns geformt haben, wieder. Sind wir einmal in diesem Zentrum, bleiben wir
offen und lassen die Winde der schmerzhaften Erfahrungen durch uns hindurch
wehen, so zerfallen die schmerzvollen frühen oder gegenwärtigen Erlebnisse und
werden in den Hauptstrom unseres psychischen Lebens integriert. Dadurch
verlieren sie ihre Fähigkeit, uns Schaden zuzufügen.
KAPITEL 22
Spezifische Gegenmuster, um die
Abwehrtricks des Gehirns aufzulösen
DIE
AKTIVIERUNG DER UNBESCHÄDIGTEN FUNKTIONEN DER PSYCHE
1. Das Muster
"Dranbleiben"
2. Der Magische Zeitreise-Teppich
3. Zeitkiesel
4. Holistische Einsicht
GEGENMUSTER, UM DIE ABWEHRTRICKS DES
GEHIRNS ZU UNTERLAUFEN:
1.
Das Muster "Dranbleiben"
Ich erinnere an etwas, das wir im
ersten Teil dieses Buches gesehen haben: Wenn wir so lange in einem Gefühl
bleiben, bis es intensiv genug geworden ist, und genug Zeit vergangen ist,
bewirkt das eine gründliche Neuorientierung der Balance zwischen Bewusstem und
Unbewusstem. Wenn wir uns aktiv von unserem intellektuellen, zerebral
gesteuerten Funktionieren (dem normalen Alltagsdenken) abwenden, uns unserer
Sinneserfahrung überlassen und Gefühlen und Körperempfindungen gegenüber
aufmerksam bleiben, dann richtet sich das Gehirn neu aus, auf tieferes, unterdrücktes
Material hin. Das neue Gespür, auf das wir uns damit einlassen, wirkt wie ein
Magnet und zieht die Vergangenheit kraftvoll und erfahrbar in unser
Bewusstsein. Dieses Phänomen des DRANBLEIBENS ist der zentrale und
entscheidende Mechanismus bei jeder gefühlsorientierten Regressionstherapie. Es
ist unser ständiger Begleiter, der die Erfahrungen der Tiefentherapie
untermauert und hervorruft. Durch das DRANBLEIBEN und nur durch das DRANBLEIBEN
bleiben wir kontinuierlich im ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE, und das erlaubt
uns das reale Wiedererleben der Verletzung, und das ist ja unser einziger Weg
in die Freiheit.
Der Therapeut übt einen
kontinuierlichen, sanften Druck gegen das normale Alltagsgespräch des Klienten aus.
Diese Arbeit ist ständig im Gange und hört so lange nicht auf, bis der Klient
so weit ist, dass er tief, fest und bewusst erkennt, dass das normale
Alltagsgespräch eine Abwehr ist. Diese Abwehr muss entweder benutzt werden,
um die Gefühle aufzuspüren, mit denen wir therapeutisch arbeiten wollen, oder
sie muss ganz zerstört werden. (Lies
bitte noch einmal den Abschnitt in Kapitel 4 über die KONGRUENZ UNARTIKULIERTER
UND ARTIKULIERTER LAUTE.)
– Der Bruder meines Mannes platzt ständig einfach so in unsere
Wohnung. Ich hab meinen Mann gebeten, ihn darauf anzusprechen, aber er tut’s einfach nicht. Ich weiß, sie sind
sehr vertraut miteinander, aber ...
* Du
bist jetzt im Eingangsbereich deines Hauses. Stell dir vor, du siehst, wie der
Bruder deines Mannes gerade zur Tür
hereinkommt. Fixiere diesen Moment in deinem Geist. Halte die Szene fest und
lass dich das fühlen, was du fühlst, wenn es passiert.
– Nun, ich weiß, dass er jedes Recht hat, hier zu sein und ...
* Erzähl
mir keine Geschichten. Rechtfertige das Ganze nicht. Versetze dich in die Diele
und fühle das Gefühl.
– Ich hab überhaupt kein Gefühl ...
* Stell
dir nochmal die Diele vor, stell dir vor, wie der Bruder herein kommt. Geh in
die Szene rein. Schau ihn an und warte, bis ein Gefühl sich zeigt
– Ich vermute, ich bin ärgerlich.
* Vermute
nicht. Vermuten hat einen Fuß in deinem Denken und den anderen in der
Verleugnung deiner Gefühle. Versetze dich wieder in die Diele. Schau den Bruder
an und warte, bis du weißt, was du fühlst.
– Ich bin wütend.
* Lass
die Wut hoch kommen und bleibe drin. Spüre hin, wo sie in deinem Körper sitzt.
Fühle dich in ihre Intensität und Textur hinein.
– Hau ab aus meiner Wohnung!
* Wiederhole
diesen Satz fünf- bis zehnmal.
– Hau ab aus meiner Wohnung ... Hau ab aus meiner Wohnung ...
HAU AB AUS MEINER WOHNUNG ... ( und so weiter ). Es ist mein Bruder, er platzte ständig
in mein Zimmer, um zu gaffen, wenn ich mich anzog.
* Nimm
dir etwas Zeit, um dich daran zu erinnern, wie sich das angefühlt hat, und dann
sage deinem Bruder den ersten einfachen Satz, der dir einfällt.
– ( die Klientin wird sehr wütend ) Verpiss dich aus
meinem Zimmer...
* Sag
diesen Satz immer wieder, bis du damit fertig bist.
Die
Klientin schreit den Satz mehrmals und wird dabei immer lauter. Schließlich legt
sie sich wieder hin, sie ist völlig erschöpft.
* Jetzt
versetze dich zurück in die gegenwärtige Situation mit dem Bruder deines Mannes
in der Diele. Was fühlst du?
– Wenn ich jetzt darüber nachdenke, bin ich gar nicht mehr so
wütend.
* Was
würdest du ihm gerne sagen?
– Bitte, Michael, läute, bevor du bei uns reinkommst, es
könnte ja sein, dass ich nicht ganz angezogen bin.
* Wie
fühlt es sich an, wenn du ihm das
sagst?
– Iss ganz okay für mich
* Die
Wut ist weg?
– Ja.
Dieses Beispiel zeigt deutlich: Wenn
der Therapeut es dem Klienten nicht gestattet zu intellektualisieren, sondern
vielmehr einen steten, sanften Druck in Richtung Fühlen und Spüren der
Erfahrung ausübt, dann folgt Aufmerksamkeit des Klienten dem Kongruenzgefühl
und bewegt sich schnell vom gegenwärtigen zum Kindheitsgefühl; so werden wir
augenblicklich bereit für das Erfahren einer weiteren Etappe unserer
Vergangenheit.
Wir wollen jetzt den
Gehirnmechanismus noch genauer untersuchen, der diese plötzliche Zeitreise
entlang den Kongruenzlinien zwischen einem Gegenwartsgefühl und einem
entsprechenden Vergangenheitsgefühl ermöglicht.
GEGENMUSTER, UM DIE ABWEHRTRICKS DES
GEHIRNS AUFZULÖSEN:
2.
Der magische Zeitreise-Teppich
(Zeitliche Kontext-Verschiebung): Eine Fehlerfreie Funktion des
Gehirns
Nachdem wir unsere Spurensuche,
unser DRANBLEIBEN und unsere Kongruenztechniken angewandt haben, kommt in jeder
Tiefentherapie für uns irgendwann der Moment der großen Belohnung: Plötzlich
und unerwartet werden wir in der Zeit zurückgeworfen, um eine frühe, prägende
Erfahrung zu verstehen und / oder wiederzuerleben. Diese Zeitreise geschieht
blitzschnell. Das Wiedererleben ist oft außerordentlich real, und das
Verstehen, das so entsteht, ist umfassend. Unser Bewusstsein verwandelt sich
tiefgreifend in einem einzigen, intensiven, lebenssteigernden Moment. Immer
folgt diesem Erleben eine tiefe emotionale und körperliche Entspannung.
Diesen plötzlichen Wechsel von Zeit
und Kontext zwischen zwei Ereignissen, die das gleiche Gefühl oder die gleiche
Körperempfindung teilen, können wir als Zeitliche Kontext-Verschiebung oder,
einfacher, als MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICH bezeichnen. Dieser magische Vorgang,
der ganz plötzlich eintritt, funktioniert immer dann am besten, wenn er von
selbst kommt. Das geht dann so: Wir finden ein Gefühl oder ein Unbehagen,
begeben uns hinein, erlauben ihm, sich zu intensivieren, sich anzureichern und
zu einem Höhepunkt zu kommen, und dann finden wir uns unter Umständen tief in
der Vergangenheit wieder, und das, was vorher ein kleines, träges Stückchen
Information war, wird plötzlich in unserem Erleben lebendig.
Immer dann, wenn Klienten in einem
Gefühl feststecken, und dieses Gefühl sie nirgends hinbringt, ist für den
Therapeuten die Versuchung groß, die Kontrolle über den MAGISCHEN
ZEITREISE-TEPPICH erlangen zu wollen. Gelegentlich kann dies in der Therapie
dadurch hilfreich sein, dass es das Ziel des therapeutischen Prozesses
verstärkt. Versucht der Therapeut jedoch aktiv, eine ZEITLICHE
KONTEXT-VERSCHIEBUNG zu arrangieren, dann muss der Klient dafür immer einen
hohen Preis bezahlen. In diesem Fall
wird die ausgegrabene Erinnerung oder Verknüpfung immer verwässert. So wird die
Intensität, und damit das Wachstumspotenzial, aus der Erfahrung
herausgewaschen, und der Verlust, der dabei entsteht, entspricht genau dem
Ausmaß an Anleitung und Verknüpfung, die der Therapeut herstellt.
- Ich hatte heute solch eine Wut auf
meine Mutter, als sie den Kuchen, den ich gebacken hatte, kritisierte.
* Erinnere dich an deine frühe
Beziehung zu deiner Mutter und schau, ob dein heutiges Wutgefühl den Gefühlen
ähnelt, die du früher für sie hattest.
- Ja, ich erinnere mich: Immer dann,
wenn sie mich kritisiert hat, hab ich mich so gefühlt.
In diesem Beispiel hat der Therapeut
aktiv eine nicht aus der Erfahrung des Klienten stammende ZEITLICHE
KONTEXT-VERSCHIEBUNG geschaffen, mit dem Resultat, dass das Potenzial an Kraft
und Entwicklung dieser Erfahrung vertan wurde. Wir versuchen es noch mal:
- Ich hatte heute solch eine Wut auf
meine Mutter, als sie den Kuchen, den ich gebacken hatte, kritisierte.
* Bleib bitte bei diesem Gefühl der
Wut.
- Ich hasse sie.
* Wiederhole diesen Satz bitte ein
paar Mal und bleibe in dem Gefühl.
- Ich hasse sie. ICH HASSE SIE. ...
Genau so hat sie mich während meiner ganzen Kindheit behandelt.
* Bleib in dem Gefühl. Was willst du
ihr aus dieser Kindheitserfahrung heraus sagen?
- Lass mich in Ruhe. (weint dabei) Lass mich doch
einfach in Ruhe.
Hier hält der Therapeut den Druck
aufrecht, widersteht aber der Versuchung, selbst eine Verknüpfung herzustellen.
Immer dann, wenn wir Therapeuten versuchen, eine bewusste Kontrolle über die
Prozesse unserer Klienten zu erlangen, verwässern wir einen Teil der Energie
ihrer Reise. Therapeuten, die viel reden und erklären, nehmen dir immer deine
Reise und deine Entwicklung weg.
Auch Therapeuten, die dich zu sehr
unter Druck setzen ("pushen"), sei es emotional (etwa indem sie dich
veranlassen, Gefühle früher zu fühlen, als du dazu bereit bist –
Anm. d. Ü.) oder körperlich (etwa durch die
Aufforderung, mit dem Schläger zu arbeiten oder regelrecht mit ihnen zu kämpfen
etc. – Anm. d. Ü.),
können dir deine Reise aus der Hand nehmen. Sie können dadurch neue und tiefere
Abwehrformen schaffen. Vielleicht machst du als Klient danach zwar eine Menge
Lärm und physischen Krawall, doch so
kommst du kaum zu einer wirklich tiefen Erfahrung von Einsicht und
Befreiung. Wenn ein Therapeut dich in der Tiefentherapie zu etwas auffordert,
bevor du offen dafür bist, schaltet das tiefe Gehirn automatisch auf Abwehr,
während sich das falsche äußere Selbst brav den Anordnungen des Therapeuten
fügt.
Erzwungene Manöver in der Therapie
können dazu führen, dass du Wasser statt Suppe bekommst.
Gute Therapieerfahrungen haben die
Qualität eines Blitzschlags. Unsere Aufgabe ist es, unsere Klienten in das
Zentrum des emotionalen Sturms zu stellen. Aufgabe der Psyche des Klienten ist
es, selbst den Blitzschlag einer vollen Holistischen Einsicht zu zünden.
- Ich war so traurig, als ich mich
letzte Woche von meiner Freundin verabschiedete, die nach Europa fuhr. Ich
konnte gar nicht glauben, wie tief das mich traf. Man hätte meinen können, sie
läge im Sterben, oder sowas. Dabei geht sie nur für den Sommer fort.
* Deine Trauer kam dir zu groß vor?
- Ich hab sogar geschluchzt, als ich
ihr „ade“ sagte.
* Du bist jetzt am Flughafen, finde
wenn möglich das Gefühl, gehe hinein und bleibe drin. Welcher einfache Satz,
welches Wort, welcher Laut kommt dir dabei hoch und will raus?
- Ich will nicht, dass du gehst.
* Sag diesen Satz bitte, pass dabei
gut auf, dass er deinem Gefühl genau entspricht, und wiederhole ihn mehrmals.
- Ich will nicht, dass du gehst ...
Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst (die Stimme des Klienten wird hoch,
wie die eines kleinen Kindes )
* Bleibe dabei.
- Ich will nicht, dass du gehst ...
Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst ... (der Klient fängt an zu schluchzen) ... Bitte geh nicht
fort, Mama, bitte, geh nicht weg ... (lange Pause) Mama ist krank. Geht
weg ins ‚Samitorium'.
* Ins ‚Samitorium'?
- Mama hat ‚TD'. Ich werde sie ganz lange nicht
sehen.
Um nochmals eine der zentralsten
Anweisungen dieses Buches zu wiederholen: Es ist für die Aktivierung des
MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICHS und das daraus entstehende HOLISTISCHE
WIEDERERLEBEN äußerst wichtig, mit genug Intensität und ausreichend lange in
einem Gefühl zu bleiben. Das ist der Grund dafür, dass eine gefühlsorientierte
Therapie mächtiger ist als alle anderen Therapien.
Hier noch etwas äußerst Wichtiges:
Bei extremer Traumatisierung kommt es vor, dass der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH
den Klienten in einem vergangenen Erlebnis absetzt und ihn dann in die
Gegenwart zurückbringt, ohne dass er sich daran erinnert, je eine solche
Zeitreise gemacht zu haben. Ich selbst habe jahrelang regressionstherapeutisch
gearbeitet, bevor mir das klar wurde.
Es ist eminent wichtig, dass
Therapeuten dafür sorgen, dass die Klienten mit intakter Erinnerung in die
Gegenwart zurückkehren. (Lies bitte dazu nochmals Kapitel 5, Beispiel 5, Körpernotwendigkeit
und Kongruenz).
GEGENMUSTER, UM DIE ABWEHRTRICKS DES
GEHIRNS ZU UNTERLAUFEN:
3.
Zeitkiesel
(oder Umgekehrte Zeitliche
Kontext-Verschiebung)
Der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH
besitzt eine sehr wichtige Umkehrfunktion. Nicht nur transportiert er uns in
der Zeit zurück, er kann auch die Vergangenheit in die Gegenwart holen. Diese
extrem hilfreichen Geschenke aus der Vergangenheit sind aber zugleich eine der
gängigsten Maskierungen der Psyche. Wenn der ZEITREISE-TEPPICH uns ein Geschenk
aus der Vergangenheit bringt, verändert er dessen Kontext und verschleiert so
zugleich sein eigenes Wirken.
Es handelt sich dabei um Sätze und
Gefühle aus der Kindheit, die, wie schon gesagt, verstreut auf dem Strand der
Gespräche Erwachsener liegen. Diese ZEITKIESEL bringen, unter dem Deckmantel
aktueller Vorgänge, viel Energie in den Therapieraum. Wenn wir sie im
Gegenwartskontext lesen und nicht merken, dass sie aus der Vergangenheit
stammen, können sie uns völlig fehlleiten. In dem Moment, wo wir erkennen, dass
es sich dabei um ein vergangenes Gefühl handelt, das an einen aktuellen Prozess
geknüpft ist, haben wir einen wichtigen Schlüssel zum Unbewussten in der Hand.
ZEITKIESEL (Umgekehrte Zeitliche Kontext-Verschiebung) kommen im aktuellen
Therapieprozess in Form von Schlüsselwendungen vor, die einen großen
Gefühlsgehalt und zugleich eine kindliche Einfachheit besitzen.
Eine Frau erzählt beispielsweise von
einem Sommerurlaub aus ihrer Vergangenheit. Bei dem Versuch, dieses Ereignis
aus der Vergangenheit wiederzuerleben, stößt sie auf großen Widerstand. Das
Gespräch darüber hört sich etwa so an:
- Immer, wenn ich an unser
Familien-Ferienhaus denke, krieg ich so ein komisches Gefühl.
* Spürst du im Moment etwas davon?
- Ja, doch.
* Dann lass dieses Gefühl zu und
lass es intensiver werden.
Es kommt zu einer Pause, während die
Klientin dem Gefühl erlaubt, sich zu entwickeln und anzureichern. Sie macht
sich bereit, mit dem Gefühl zu verschmelzen. Dann sagt sie:
- Ich kann es nicht.
Da haben wir unseren ZEITKIESEL.
Spüren wir das nicht, dann denken sowohl Therapeut wie Klientin, dass sie mit
diesem Satz einfach meint, diese therapeutische Übung sei zu schwer für sie.
Falsch. Genau hier findet die
KONTEXT-VERSCHIEBUNG statt. Dieser Satz fühlt sich so an, als sei er ein
Widerstand in der Gegenwart. Hier nun, was passiert, wenn wir ihn einfach als
Gefühl behandeln und ihn nicht in einen gegenwärtigen Kontext zwängen. Wir
haben es dann mit einer ZEITKONTEXT-VERSCHIEBUNG zu tun, die uns zurück in die
Kindheit der Klientin führt. Kehren wir zu dem vorhergehenden Dialog zurück:
* Stell dir euer Ferienhaus bildlich
vor und lass das Gefühl hoch kommen.
(eine Pause, in der die Klientin das
Gefühl sich entwickeln lässt und sich bereit macht, damit zu verschmelzen. )
- Ich kann es nicht.
* Lass dich bitte den Satz "ich
kann es nicht" fühlen, und wiederhole ihn fünf- bis zehnmal.
- Warum soll ich weiter machen? Ich
hab dir doch eben gesagt, dass ich diese Übung nicht machen kann.
* Wiederhole den Satz zehnmal.
- Ich kann es nicht. Ich kann es
nicht. ( Ihr Körper
ändert die Position ) Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. (Ihre Augen
weiten sich) Ich kann es nicht. ( Ihr Atmen wird schneller ) Ich kann
es nicht. Ich kann es nicht. (Ihre Stimme wird zu der eines Kindes ... sie
macht eine Pause und schaut mich an)
* Sieh mich nicht an. Bleibe bei dem
Satz und bei dem, was sonst noch hoch kommt.
- Ich kann es nicht. Ich kann es
nicht. Oh Gott, zwing micht nicht dazu! (sie beginnt, heftig zu weinen).
Der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH hat
sie in ihr Ferienhaus zurück versetzt, als sie acht war, und, wie du erraten
hast, erlebt sie eine Inzest-Szene.
Der Satz "Ich kann es
nicht" war ein ZEITKIESEL, den das Unbewusste in die Gegenwart geschleust
hat, um uns zu alarmieren und uns zugleich in die Irre zu führen.
Und wieder sehen wir hier, wie das
Gehirn auf sein altes Dilemma reagiert: Es will nämlich den Ursprung seines Schmerzes
zugleich kennen und nicht kennen. Wie gewöhnlich bemüht es sich auch hier nach
Kräften, uns einen Hinweis zu geben, während es gleichzeitig genau diesen
Hinweis verschleiert.
Der Widerstand der Klientin dagegen,
dieses unangenehme Ereignis mit ihrem Onkel wiederzuerleben, war kongruent
genug zu ihrem Widerstand gegen die therapeutische Arbeit, sodass der Satz
" ich kann es nicht" sich vom ursprünglichen Erlebnis löste und durch
die Zeit in die Gegenwart schlüpfte. Auf diese Weise wechselte der Satz den
Kontext und tauchte in der Gegenwart als ZEITKIESEL auf. Diese UMGEKEHRTE
ZEITLICHE KONTEXT-VERSCHIEBUNG, bei der eine vergangene Bedeutung in einen
gegenwärtigen Kontext zu passen scheint, ist einer der subtilsten
Abwehrmechanismen der Psyche in ihrem verzweifelten Bestreben, das
Wiedererleben eines Ereignisses aus der Vergangenheit zu verhindern.
Beobachte nun, was in der Therapie
passiert, falls man einen ZEITKIESEL nicht erkennt, wenn er in der Gegenwart
auftaucht.
- Ich kann es nicht.. (Zeitkiesel)
* Entspanne dich einfach ein wenig. (Missverständnis bezüglich des
Kontextes)
- Ich kann's einfach nicht. (Zeitkiesel)
* Fällt es dir schwer, mir zu
vertrauen? (Erneutes
Missverständnis des Therapeuten)
- Ich kann einfach niemandem
vertrauen. (Kontaminierung
der therapeutischen Arbeit, da die Klientin auf den falsch verstandenen Kontext
reagiert)
* Du brauchst dir keine Sorgen zu
machen, hier bist du sicher. ( Der Therapeuten hält am falsch verstandenen Kontext fest)
- Ich weiß, dass ich hier sicher bin.
(Die Klientin lügt
auf Grund des verdeckten inzestuösen Treuebruchs)
* Nun, vielleicht sollten wir heute
mit etwas anderem weiterarbeiten. (Klientin und Therapeut gehen hier total in die Irre und
haben sich vom Hinweis auf eine frühere Bedeutung im ursprünglichen Satz
"ich kann es nicht" völlig entfernt.)
Unbewusste Abwehrmechanismen haben
die Schlacht gewonnen: Der frühe Schmerz bleibt weiter verborgen.
Wichtig ist hier, festzuhalten, dass
der Satz "ich kann es nicht" eine gefühlsbezogene Aussage ist. Wenn
wir einen Widerstand als Gefühl behandeln, beginnen wir zu verstehen, ohne es
allerdings im Voraus zu wissen, dass viele derartige Sätze Ausdrucksformen
früher Gefühle sind, die in Zeit und Kontext verschoben wurden, und die ich
ZEITKIESEL nenne. Vertraue dem Gefühl innerhalb des Widerstands, gehe mit ihm
und lass es nicht verschwinden – dann wirst du sehr oft entdecken, dass dein Unbewusstes dir
einen ZEITKIESEL geschickt hat, der dann die Kontext-Verschiebung des MAGISCHEN
ZEITREISE-TEPPICHS aktivieren und dich in die tiefe Vergangenheit führen kann.
Ein Mann spricht über seinen Chef:
- Er hasst mich (Zeitkiesel)
* Kann es sein, dass du vielleicht
etwas auf ihn projizierst? (der Therapeut schwelgt in seiner intellektuellen Analyse)
- Nein, er hasst mich (Zeitkiesel)
* Hast du dafür irgendwelche
konkreten Anhaltspunkte? (falsch verstandener zeitlicher Kontext; der Therapeut geht in die
Irre).
Es geht hier nicht nur darum, dass
der Therapeut den Satz "er hasst mich" missversteht und nicht merkt,
dass es ein ZEITKIESEL ist; hinzu kommt noch, dass er seinen Klienten ständig
weg von seinen Gefühlen und in eine intellektuelle Sackgasse der Stufe Eins
treibt.
Der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH kann
aktiviert werden, wenn wir das Gefühl finden, das in der Aussage "er hasst
mich" verborgen liegt. Dieses Gefühl, das eine Kongruenz von Vergangenheit
und Gegenwart darstellt, verknüpft so den vergangenen und den jetzigen Satz,
und es kommt zu einer plötzlichen ZEITLICHEN KONTEXT-VERSCHIEBUNG, die ihrerseits
in eine HOLISTISCHE EINSICHT mündet.
Sehen wir uns noch kurz den völlig
anderen Verlauf der Therapie dieses Klienten an, wenn der Therapeut den Satz
"er hasst mich" als ZEITKIESEL erkennt, als einen Satz, der für den
Klienten sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart bedeutsam ist.
- Er hasst mich. (Zeitkiesel)
* Bleibe in dem Gefühl und (Suche nach einem möglichen
Zeitkiesel) lass es anwachsen, während du dabei den Satz wiederholst.
- Er hasst mich. Er hasst mich.
(Magischer Zeitreise-Teppich aktiviert). Er hasst mich ... . Es ist mein
Bruder. (gelungene Kontext-Verschiebung in die tiefe Vergangenheit) Ständig
hat er auf mir rumgehackt.
Jedes Mal, wenn ein einfacher Satz,
wie ihn ein Kind verwenden könnte, in die Erwachsenen-Unterhaltung hinein
rutscht (besonders dann, wenn er von einem Gefühl begleitet wird, das für die
aktuelle Situation zu heftig ist), ist es gut möglich, dass wir es hier mit
einem zeitversetzten Satz zu tun haben. Verschmilz mit ihm, wiederhole ihn und
mache dich bereit, zurück an seinen Ursprung zu reisen.
GEGENMUSTER, UM DIE ABWEHRTRICKS DES
GEHIRNS AUFZULÖSEN
4.
Holistische Einsicht ( eine Fehlerfreie Funktion des Gehirns )
HOLISTISCHE EINSICHT hat Abstufungen
hinsichtlich Qualität und Ausdehnung, die in sechs Stufen eingeteilt werden
können:
Holistische Einsicht: Stufe Eins
Holistische Einsicht der Stufe Eins
beginnt mit dem Erleben von Innerlichkeit, die dann kommt, wenn wir uns
hinlegen und uns auf die innere Arena unseres Lebens fokussieren.
Wir beginnen, den Grund unseres
Daseins zu spüren, den Ort, an dem wir die bisher abgewehrten Teile unseres
tiefsten Selbst untersuchen werden, um dann mit ihnen zu verschmelzen.
Wenn wir die Hand ins Wasser
strecken, spüren wir direkt, was Wasser ist: Genau so gelangen wir nun
allmählich zu einer nicht-verbalen, nicht-intellektuellen Wahrnehmung unserer
inneren Umgebung.
So beginnt ein langer und köstlicher
Prozess der Erleichterung, der darin besteht, ein gequältes Oberflächen-Selbst
für das Studium unserer tieferen Prozesse aufzugeben.
Diese Erleichterung wird noch
dadurch gesteigert, dass wir es unserem bewussten Selbst erlauben, voll die
sechs Wege zu fühlen, auf denen das Gehirn uns seinen Schmerz übermittelt
(spezifische Körperempfindungen usw.).
Und es kommt noch zu einer weiteren
Steigerung unserer Erleichterung, wenn wir unseren kongruenten Ausdruck ganz
mit diesen tieferen Erfahrungen zum Verschmelzen bringen.
Genau hier fängt die Holistische
Einsicht an: Wir fühlen jetzt, wie das tiefere Selbst und das
Oberflächen-Selbst sich erstmals aneinander ausrichten. Jetzt beginnt der
frische Wind der Aufrichtigkeit, den verlagerten und verschleierten,
fruchtlosen Kampf unseres Lebens zu neutralisieren.
Holistische Einsicht auf Stufe eins
ist also die unmittelbare, nicht-lineare und nicht symbolisch vermittelte
Erfahrung von Innerlichkeit. Sie ist eine Neuausrichtung zwischen den
unbewussten und den bewussten Anteilen unseres Seins, durch den Gebrauch der
Techniken von Kongruenz und Externalisierung.
Auf dieser Stufe sind keine
spezifischen Einsichten erforderlich, keine Worte, keine Bilder und kein
Wiedererleben. Allerdings spüren wir tief in uns und immer stärker, dass etwas
in uns sich entspannt und ganz wird.
Weil es bei all diesen Prozessen auf
Stufe eins zu keiner spezifischen Einsicht kommt. und sie doch unsere
unspezifische Wahrnehmung vertiefen, können wir sie auch als STRUKTURELLE
SELBSTERWEITERUNG bezeichnen.
Holistische Einsicht: Stufe Zwei
Holistische Einsicht der Stufe Zwei
ist dadurch gekennzeichnet, dass ein spezifisches Thema und ein Teil der damit
verbundenen Bedeutung in unser Bewusstsein tritt.
Wir haben uns nach innen auf ein
Unbehagen fokussiert. Wir erlauben diesem, unser Bewusstsein auszufüllen. Wir
verschmelzen mit ihm und haben vielleicht schon begonnen, unsere Kongruenzen zu
machen, vielleicht auch noch nicht. Plötzlich entdecken wir etwas Neues über
uns und unsere Welt. Wir werden uns einer Wahrheit, die unser Dasein betrifft,
voll bewusst.
Beispielsweise fühlen wir uns nach
einem Streit mit jemandem sehr unwohl und spüren eine Enge in der Brust. Wir
legen uns hin, fokussieren uns auf diese Enge, verschmelzen mit ihr, und
plötzlich hören wir uns sagen: "Bitte, tu mir nicht weh.“ Wir wiederholen diese Kongruenz
fünf- bis zehnmal, wobei wir aufpassen, dass die Worte dem Gefühl genau
entsprechen. Plötzlich kommen wir zu der Einsicht, dass wir sehr tief verletzt
worden sind, und zwar viel tiefer, als wir geglaubt hatten. Wir spüren, dass
unsere ganze Körper-Psyche-Achse in ihren Grundfesten irgendwie erschüttert
worden ist.
Dies ist eine Erkenntnis, die
deutlich Form und Einsicht hat. Allerdings ist sie auf die Gegenwart und auf
das beschriebene Ereignis begrenzt. Genau dies kennzeichnet die HOLISTISCHE
EINSICHT der Stufe Zwei. Sie ist nicht-linear und kommt plötzlich - in einer
kleinen Wellenfront von Bewusstheit. Und es ist dieses unmittelbare, aus dem
Bauch kommende, nicht-verbale, nicht-lineare Wissen, das diese Erfahrung zu
einer Holistischen Erfahrung macht.
Die Erfahrung ist ganzheitlich, weil
unsere Selbsterkenntnis und unser Gespür für unser Leben sich mit dieser
Erfahrung augenblicklich erweitern. Wir spüren es geistig als Klarheit und
körperlich als Entspannung – beides ist simultan und unmittelbar. Diese tiefe Erfahrung
beschäftigt uns, denn wir spüren, dass wir durch sie plötzlich mehr sind, als
wir bis dahin waren. Die Qualität unseres Wissens strahlt in viele Richtungen
hin aus. Beispielsweise erkennen wir, dass da etwas in uns ist, das wirklich
weh tut, und dass wir wirklich verletzlich sind. Das falsche Gefühl von Stärke
verwandelt sich in das Gefühl, dass wir immer verletzlich sind. Aber
gleichzeitig wissen wir, und zwar auf Grund unserer neu erworbenen Fähigkeit,
dass wir auch wieder heil werden können. Wir brauchen nicht rigide und
immer nur auf unsere Sicherheit bedacht zu sein. Wir können offener leben -
ohne deshalb zerstört zu werden. Dies ist ein Beispiel für die Art von
Bewusstseinserweiterung, wie sie eine typische HOLISTISCHE EINSICHT begleitet.
HOLISTISCHE EINSICHT der Stufe Zwei
ist also eine plötzliche, nicht-lineare Erweiterung unseres gegenwärtigen
Bewusstseins, die auf ein einziges Thema beschränkt ist, und zugleich ist diese
Einsicht eine rein innere Erfahrung der Person, die sie hat. Sie wird geistig
als Einsicht und körperlich als Entspannung erfahren.
Holistische Einsicht: Stufe Drei
Die dritte Stufe der HOLISTISCHER
EINSICHT ist ein plötzliches, nicht-lineares Bewusstsein, das sich lateral in
der Gegenwart ausbreitet und Selbst und Welt einschließt. So kann eine
Gefühlssequenz auf der Matte von einem Streit mit dem Chef ausgehen und uns zu der Erkenntnis führen, dass nicht nur
wir zutiefst verletzt wurden (Holistische Einsicht der Stufe Zwei),
sondern dass auch der Chef ein zutiefst verletzter und deswegen verletzender
Mensch ist. Wir verstehen dann, wie sein Verletztsein die Welt um ihn herum
durchtränkt und bei den Menschen, die mit ihm zu tun haben, Schmerz auslöst.
Uns wird dadurch bewusst, dass viele Menschen in Führungspositionen so sind,
und wir spüren Dinge, die zu einer negativen Autorität gehören, wir verstehen,
wie es dazu kommt, und wie sie uns alle verletzt.
Die dritte Stufe Holistischer
Einsicht erhöht also mit einem Schlag unser Verständnis: So verstehen wir nicht
nur uns selbst besser, sondern unsere Einsicht breitet sich nach außen aus und
erfasst die Welt um uns herum mitsamt ihrer Dynamik. Allerdings beschränkt sich
unsere Bewusstheit auf die Gegenwart.
Holistische Einsicht: Stufe Vier
Auf dieser Stufe weitet sich unsere
Erkenntnis nicht nur lateral (in der Gegenwart), sondern auch zurück in der
Zeit aus. Plötzlich sehen wir wie von einem Blitz erleuchtet Teile unseres
früheren Lebens und erkennen, wie unsere augenblicklichen Schwierigkeiten mit
ihnen zusammenhängen. Uns wird klar, dass alte Schmerzen in uns aktiviert wurden. Und wieder ist es
eine Woge von Verstehen, die plötzlich über uns hereinbricht. Es handelt sich
dabei jedoch nicht um das tatsächliche Wiedererleben eines vergangenen
Ereignisses, wenn wir uns auch im Augenblick der Wahrnehmung in Körper und
Psyche erleichtert fühlen.
Holistische Einsicht: Stufe Fünf
Auf dieser Stufe wird der MAGISCHE
ZEITREISE-TEPPICH (die Zeitliche Kontext-Verschiebung) aktiviert. Wir befinden
uns in einem Kindheitserlebnis, das Bewusstsein für die Gegenwart tritt zurück,
und wir erleben das Geschehen erneut, mit der Vollständigkeit und Intensität
einer realen Halluzination. In unserer Psyche öffnen sich Verknüpfungspfade,
die von dem vergangenen Ereignis zu vielen bedeutsamen Erlebnissen durch unser
ganzes Leben führen. Wie durch eine plötzliche Erleuchtung erkennen wir die
vielfältigen Ursachen unserer Existenz, wie sie durch wichtige Ereignisse im
Laufe unsere Lebens bestimmt wurde.
Wenn die Barrieren innerhalb der
Psyche fallen, ist das eine sonderbare und wundersame Erfahrung, die eine bis
drei Sekunden zu dauern scheint. Die Nachwirkung ist ein sehr tiefes Wissen auf
psychobiologischer Ebene, das den Körper auf Dauer tief entspannt und verändert
zurücklässt, insbesondere in seinen Abwehrstrukturen. Für die Psyche werden
Offenheit und Verletzbarkeit zu einem Bestandteil ihres tiefen organischen
Funktionierens, dem sie voll vertraut. Der Klient lernt, sich selbst und
anderen zu vergeben, weil seine organische Mitte entwirrt ist. Eine nicht
urteilende, zutiefst ethische Haltung ersetzt allmählich ein Leben, das bisher
durch von außen gesetzte Regeln und Zwänge bestimmt war. Das Gehirn beginnt,
auf eigenen Füßen zu stehen, es braucht niemanden und keine Institution, um ihm
Lehrmeister zu sein oder ihm seine „Sünden“ zu vergeben. Ein Gespür für die
tiefe Komplexität und den Wert des Lebens führt automatisch zu Mitgefühl und
ethischem Verhalten.
Holistische Einsicht der Stufe Fünf
ist die letzte Stufe Holistischen Bewusstseins vor der großen Erfahrung der
Plötzlichen Erleuchtung (des Satori), die ja das Ziel des Zen ist. Holistische
Einsicht der Stufe Fünf teilt viele der Charakteristika und Qualitäten des
Satori. Sie kommt plötzlich, ist tief, bringt enormes Verstehen mit sich und
führt zu einer herrlichen Entspannung von Köper und Seele. Dennoch ist dies
noch nicht das eigentliche Satori. Holistische Einsicht der Stufe Fünf ist auf
die psychobiologische Ebene begrenzt und beschränkt sich auf Verknüpfungen und
Vorgänge weltlicher Natur. Mit anderen Worten, sie ist nicht metaphysisch.
Holistische Einsicht: Stufe
Sechs ( Plötzliche Erleuchtung oder 'Satori')
Weil ich glaube, dass die
Mechanismen bei der Psychobiologischen Holistischen Einsicht und diejenigen
beim wirklichen Zen-orientierten Satori auf ähnlichen Prozessen beruhen, will
ich hier einige kurze Bemerkungen zu dieser höchsten Art der Erfahrung machen.
Das Satori, wie ich es studiert und
erlebt habe, ist das plötzliche und tiefe Erwachen einer völlig anderen Art von
Bewusstsein.
Psychobiologisches Erwachen (
Holistische Einsicht ) befasst sich mit dem Aufbrechen der einzelnen bisher
abgegrenzten Bereiche der inneren Erfahrung. Es wird erreicht durch sorgfältige
und genaue Achtsamkeit gegenüber inneren Körperzuständen sowie durch das
Herstellen der schon beschriebenen Kongruenzen. Dabei handelt es sich um
Mechanismen von Psyche und Körper (Erkundung auf psychobiologische Ebene), und
entsprechend führt die Arbeit in diesem Bereich zu Bewusstseinsbildung auf
dieser Stufe.
Satori dagegen ist ein noch viel
tiefer gehender Versuch, die Zerstückelung des Geistes aufzubrechen. Es ist ein
Versuch, die primäre Grundlage des Symbolisierens aufzubrechen, auf welcher der
Blick des Geistes auf alle Dinge beruht. Hier geht es um eine viel
allgemeinere, faktisch um eine unendliche Erkundung, welche die Struktur des
Geistes, die Struktur der Materie und die Beziehung zwischen beiden umfasst.
Und sie schließt auch den Urgrund des Universums mit ein.
Durch einen einzigen blendenden
Blitzstrahl überwindet das Satori alle symbolischen Schranken zwischen
Verstehen und Materie und stellt damit unsere bisherige Wahrnehmung aller Dinge
in Frage.
Genau deswegen ist das Zen-Koan (ein
spirituelles Rätsel) so zutiefst rätselhaft. Die Lösung eines Zen- Koans
(beispielsweise: Was für ein Geräusch macht eine einzelne Hand, die klatscht?)
bringt die konkreten Symbolisierungsfunktionen des Geistes zum Einstürzen, bis
wir und das Universum schließlich eins sind. Ein Zen-Mönch braucht Jahre,
manchmal Jahrzehnte, konzentrierten Meditierens, um die endgültige Auflösung
dieser ureigenen Gehirnfunktionen zu erreichen.
Außerordentlich interessant ist es
festzustellen, dass die Kultivierung von dem, was wir die Reinheit der Absicht
bei der Annäherung an Holistische Einsicht nennen wollen, der Reinheit der
Absicht bei der Annäherung an das Satori sehr ähnlich ist. Beide erfordern den
gleichen paradoxen Prozess von Zielgerichtetheit und Loslassen, sie erfordern
außerordentliche Demut, Geduld, Erwartungslosigkeit und absolute Konzentration.
Auf psychobiologischer Ebene ist
Schmerz die treibende Kraft. Die Methode besteht darin, zwischen genwärtiger
und vergangener Erfahrung mittels kongruenter Gefühle eine Verbindung
herzustellen. Das extrem hohe Kongruenzniveau zwischen einem aktuellen und
einem frühen Gefühl aktiviert den
psychobiologisch unbeschädigten Prozess nicht-linearer Holistischer Einsicht.
Holistische Einsicht ist die plötzliche, überwältigende Bewusstseinserweiterung
im psychobiologischen Erfahrungsfeld.
Die treibende Kraft, die zu der
Satori-Erfahrung führt, ist eine tiefe existenzielle Unzufriedenheit, die
gekoppelt ist mit außerordentlich intensiven Meditationstechniken über lange
Zeit und unter Verwendung von Rätseln, die auf der Ebene der
Symbolisierungsprozesse des Geistes keine Lösung haben.
Das Gemeinsame an beiden Vorgängen
ist eine plötzliche tiefe Bewusstseinserweiterung. Holistische Einsicht ist
aber immer noch eingeschränkt auf ihren psychologischen und biologischen
Erfahrungsbereich. Satori sprengt alle Schranken des Bewusstseins. Es ist wohl
die tiefste und vollständigste Bewusstseinsleistung, die unserem auf
biochemischen Grundlagen beruhenden Bewusstsein möglich ist.
Im nächsten Kapitel werden wir noch
deutlich tiefer auf die Haltung eingehen, die für die Kultivierung von Wachstum
nötig ist.
Kapitel 23
Die
innere Einstellung als therapeutischer Schlüssel
DAS
HINDERLICHE PARADOX DER ABSICHT
Es kommt vor, dass wir alles
anwenden, was wir gelernt haben, ohne dass wir zu einer tiefen Einsicht
gelangen. Ein letzter Schlüssel bleibt noch, und das ist der Schlüssel der
inneren Einstellung.
Es gibt da ein Rätsel, und es liegt
in unserer Einstellung zu unserer therapeutischen Arbeit. Während der ganzen
Menschheitsgeschichte hat dieses Rätsel alle Anstrengungen, Weisheit zu
erlangen, zunichte gemacht. Dieses Paradoxon könnte man das HINDERLICHE PARADOX
DER ABSICHT nennen. Es entsteht, sobald wir versuchen, an unserer Erleuchtung
zu arbeiten, ob auf dem Gebiet der Psychotherapie oder der eigentlichen
spirituellen Erleuchtung. Die Schranke dieses Paradoxes der Absicht besteht
darin, dass wir den folgenden Gegensatz auflösen müssen: Während wir uns mit
allen Kräften darum bemühen, unsere innere Arbeit zu erledigen, müssen wir
genau gleichzeitig loslassen und uns entspannen. Es gibt mehrere Gründe dafür,
dass es zu diesem Paradox kommt.
Unser waches Bewusstsein kann sich
immer nur auf eine Sache auf einmal einstellen. Wir können das Entstehen von
ganzheitlichen Einsichten nicht erzwingen. Wir können nur auf sie hoffen.
Einsichten kommen als Geschenk. Wir machen sie nicht. Alles, was wir tun
können, ist, die Umstände in uns zu schaffen, welche uns öffnen, sodass wir
Empfänger von Weisheit (d.h. von Einsichten, die über egozentrische Bedürfnisse
hinaus gehen) werden. Das eigentliche Geschenk, nämlich die Einsicht, können
wir nicht durch eigenes Tun in unser Bewusstsein holen. Das geht über unsere
Möglichkeiten hinaus. Aus diesem Grund muss die eine Seite des HINDERLICHEN
PARADOXES DER ABSICHT die Qualität von Loslassen und Offensein haben, sonst
öffnen sich die vielen schmalen Pforten der Psyche nicht.
Vielleicht zu unserem Glück lassen
sich die Gaben der echten Weisheit nicht durch Manipulation ins Leben rufen.
Wäre das möglich, so könnten gerissene Drahtzieher tiefe Weisheiten gegen uns
alle benutzen. Tatsächlich gehört es zum Wesen tiefer Weisheit, dass sie
Manipulation aufhebt. Sie löst die manipulative Einstellung auf, sobald sie auftaucht.
Die andere Seite des HINDERLICHEN
PARADOXES DER ABSICHT ist ebenso klar: Wenn wir uns nicht wirklich bemühen,
nach innen auf die Suche zu gehen, bekommen wir Einsichten wohl kaum geschenkt.
Wir müssen deshalb viel Intensität und Hingabe dafür aufbringen. Diese
Intensität muss sowohl bei der Verfolgung der Gefühle als auch bei dem
tatsächlichen Erleben der Gefühle vorhanden sein. Zusätzlich dazu müssen wir
uns mit außerordentlicher Intensität auf unsere Arbeit konzentrieren und jede
Technik, die wir hier erlernen, sehr genau anwenden. Auf dieser Seite des
hinderlichen Paradoxes geht es also bei der ganzen Reise darum, uns intensiv zu
bemühen und uns voll auf die Arbeit zu konzentrieren. Jetzt verstehen wir das
Wesen dieses Paradoxes: Es verlangt von uns, intensives Streben und tiefes
Loslassen miteinander zu verbinden.
Die Lösung für das hinderliche
Paradoxes der Absicht
Die Auflösung dieses hinderlichen
Dilemmas liegt in der Kultivierung einer speziellen inneren Einstellung.
Diese neue Einstellung heißt Demut.
Wahre Demut arbeitet hart und ist voller Hoffnung, doch sie ist frei von
eigennützigen Erwartungen. Echte Demut zeigt ein hohes Ausmaß an Absicht, doch
ohne Gier auf Belohnung, ohne den gierigen Egoismus des Manipulators, der die
Arbeit am geistigen Wachstum mit der Vorstellung beginnt, er könne die Tore der
Psyche direkt und unmittelbar aufbrechen, und zwar nur, um die eigene
persönlichen Macht auszuweiten.
Zur Lösung des Problems – uns intensiv zu bemühen und
gleichzeitig entspannt loszulassen -
müssen wir unserem Gehirn eine Botschaft übermitteln, die es ihm erlaubt, diese
Einstellung zu entwickeln. Wir können dabei behilflich sein, indem wir zwischen
den Perioden intensiver Arbeit über die Schwierigkeit unseres hinderlichen
Paradoxes (Streben und Loslassen) nachdenken. So können wir uns von Zeit zu
Zeit in unserem Alltag mit diesem Problem befassen und uns darauf einstimmen,
als Grundlage unserer intensiven Arbeit eine entspannte Einstellung zu
kultivieren.
Wenn wir dem Unbewussten diese Botschaft
immer wieder vermitteln, wird diese nach unten an das tiefe Selbst
weitergegeben. Mit der Zeit wird sie zu einem unbeschädigten Schlüssel zu den
FEHLERFREIEN PROZESSEN DER HOLISTISCHEN EINSICHT. Dies ist eine der seltenen
Gelegenheiten, wo wir uns direkt darum bemühen können, einen Fehlerfreien
Prozess zu schaffen (die Einstellung der wahren Demut). Es ist fast so, als
würden wir unserem Gehirn einen posthypnotischen Auftrag geben, oder uns immer
wieder sagen, dass wir uns an unsere Träume erinnern wollen. Das Unbewusste
hört uns und gibt uns schließlich das, was wir brauchen.
Hinzu kommt noch Folgendes: Während
wir allmählich mit Entspannung und tieferer Einsichten beschenkt werden, wird
uns immer deutlicher, dass, auch wenn wir selbst an unserem Wachstum arbeiten
können, die Einsichten an sich doch ein Geschenk sind. Dieses Wissen gibt uns
inmitten unseres Strebens die Entspannung, die nötig ist, um unser Wachstum
fördern.
Je mehr wir an alldem arbeiten,
desto klarer sehen wir. Je klarer wir sehen, umso mehr Vertrauen haben wir in
die Prinzipien unserer Therapie. Diese nach oben gerichtete Wissensspirale
führt langsam und allmählich zur Erfahrung des Erwachens, zu einer Art
psycho-biologischem SATORI in Zeitlupe. Zu diesem allmählichen Erwachen kommt es
durch plötzliche kleine Einsichten, die unser wachsendes organisches und
ausgewogenes neues Bewusstsein erweitern und steuern. Diese Wachstumssprünge,
die je nachdem klein oder groß sein können, sind vielleicht mit den
Quantensprüngen der Energie in der subatomaren Physik vergleichbar.
Nun verstehen wir, wie es zur
Auflösung des Rätsels des HINDERLICHEN PARADOXES DER ABSICHT kommt: Sie liegt
in unserer Einstellung gegenüber dem Wachstum. Wir bemühen uns, unsere Übungen
intensiv und äußerst sorgfältig zu machen, während wir gleichzeitig wissen,
dass wir aus eigener Kraft nicht zu Einsichten gelangen können. So harren wir
aus, machen unsere Arbeit und warten mit Geduld und Offenheit. Nun fangen die
vielen kleinen Pforten an, mit unserem neuen Bewusstsein mitzuschwingen.
KAPITEL 24
Reinheit
der Absicht und therapeutische Arbeit
WAS
WIR TUN KÖNNEN, UM UNS FÜR DAS
GESCHENK DER EINSICHT BEREIT ZU MACHEN
Reinheitsregel Eins in der
therapeutischer Arbeit
Die Reinheit der therapeutischer
Arbeit hat damit zu tun, wie wir uns Gefühlen gegenüber öffnen. Wenn uns ein
Gefühl bewegt, müssen wir außerordentlich ruhig und offen werden. Wenn wir
dabei extrem vorsichtig sind, wird diese innere Stille, mit ihrem sanften Fokus
auf dem Nichtfassbaren, es dem Gefühl in uns erlauben, noch mehr aufzublühen
und eine immer deutlichere Feinzeichnung zu zeigen. Es ist diese Anreicherung
der Erfahrung, die uns in Richtung Holistische Einsicht trägt. Ein Beispiel
dafür wäre ein Fotograf, der im Wald auf das Auftauchen eines Tieres lauert. Er
geht sehr sorgfältig in Stellung, sitzt da mit einer Haltung energetischer Ruhe
und merkt allmählich, dass das, was wie ein gescheckter Schatten aussah, sich
nach und nach als die Gegenwart eines Tiers der Wildnis erweist. Er verhält
sich bewusst ruhig und vermeidet alles, was den Prozess, der sich da zeigt,
unterbrechen könnte. Er knipst das Bild (fühlt das Gefühl), und das Tier
verschwindet.
Reinheitsregel Zwei in der
therapeutischen Arbeit
Dieses Reinheitsregel hat mit
der besonderen Sorgfalt zu tun, mit der wir unsere innere Arbeit verrichten.
Dabei kommt es vor allem darauf an, dass wir unsere Kongruenzen zustande
bringen.
Das heißt, wir müssen die Muskeln
unseres Körpers, die wir bewusst steuern können, sehr, sehr vorsichtig ins
Spiel bringen, um außen zu einem genauen Abbild dessen zu werden, was wir innen
sind.
Diese willkürlichen Muskeln umfassen
natürlich unsere Stimmbänder ebenso wie die großen Muskeln des physischen
Körpers.
Es geht um das Äußern von Lauten,
das Einnehmen einer bestimmten Körperhaltung und vielleicht auch um eine
Körperbewegung.
Wir beginnen mit dem Hervorbringen
von Lauten:
Erinnere dich daran, dass inneres
Unwohlsein, sei es nun ein Gefühl, eine Körperempfindung oder ein komplexerer Körperzustand,
seinen Ort, seine Intensität und seine Qualität hat. Im Augenblick geht es uns
jedoch um die Intensität und um die Qualität der inneren Erfahrung. Diese
Reinheitsregel der therapeutischen Arbeit verlangt, dass der Laut, den
wir von uns geben, ganz genau der Intensität und der Qualität von dem
entspricht, was wir fühlen. Ein starker Schmerz erfordert einen starken Laut.
Ein starkes Gefühl verlangt einen starken Laut. Ein diffuser Schmerz erfordert
einen diffusen Laut. Ein undeutliches Gefühl verlangt einen undeutlichen Laut,
und so weiter. Wenn wir uns also für die Ausweitung der inneren Erfahrung
geöffnet und unsere Stimmbänder aktiviert haben, um so den entstehenden
Veränderungen zu folgen (ihnen auf der Spur zu bleiben), gestalten wir unser Außen
so, dass es genau dem entspricht, wie wir innen sind. Die Reinheit unserer
therapeutischen Arbeit führt zu einer genauen Deckung von Innen und Außen. Diese Art der inneren Arbeit bringt
uns in größtmögliche Nähe zur Holistischen Einsicht. Dies ist die akribische
Arbeit, die wir bewusst kontrollieren und auch tun können.
Wenn uns aus diesem inneren
Empfindungszustand heraus Worte erreichen, so aktivieren wir erneut unsere
Stimmbänder, um die Worte zu finden, die den inneren Gefühlen genau
entsprechen. Worte und Sätze müssen genau so einfach sein wie die inneren
Gefühle. Wir dürfen uns von einem bestimmten Wort oder Satz nicht weg bewegen,
bevor wir nicht die Energie, die während der Kongruenz darin emporsteigt,
erschöpft haben. Das schnelle Wechseln von einem Wort zum nächsten oder von
einem Satz zum anderen ist in etwa so, als würde man einen Bohrer nacheinander
an verschiedenen Stellen auf einem Stück Holz anzusetzen, bevor er eine Chance
hatte, ins Holz einzudringen. Ganz gleich, wie oft ich meinen Klienten erkläre,
dass es oft notwendig ist, bei einem bestimmten Wort oder Satz ein paar
Minuten, manchmal bis zu einer halben Stunde, zu bleiben, sie scheinen das nie
zu verstehen. So muss ich das Wort "Schmerz" vielleicht fünfzig- bis
hundertmal in einer meiner eigenen Sitzungen wiederholen, bis die Gefühlsblase
eine maximale Größe erreicht hat.
Stell dir eine Schauspielerin vor,
die in einem Moment außerordentlicher Intensität ein einzelnes Wort mit all der
Tiefe und Kraft ihres Könnens ausspricht. Um der Reinheit deiner
therapeutischen Arbeit willen musst du ein ähnliches Resultat erzielen. Pass
dabei auf, dass du während deiner Arbeit den Kontakt zu dem zu Grunde liegenden
Gefühl nicht verlierst und dich nicht in das verliebst, was du hervorbringst. Andernfalls
koppelst du dich von den inneren Empfindungen ab, die dir Energie und Richtung
geben.
Auch dann, wenn du die willkürliche
Muskulatur aktivierst, um außen noch mehr so zu werden, wie du innen bist, ist
Genauigkeit wichtig. Wenn du spürst, dass innen etwas verdreht ist, dann
verdrehe auch deinen Körper, um dem zu entsprechen. Öffne dich für die neue
Gruppe von Empfindungen, die dein verdrehter Körper dir dann nach und nach
rückmeldet. Die Reinheit der therapeutischen Arbeit verlangt, dass deine äußere
Körperhaltung sich genau stimmig anfühlt. Ich selbst lag in meiner eigenen
Arbeit oft mit zurückgeworfenem Kopf da, mein Oberkörper war nach links
verdreht, der rechte Arm nach hinten ausgestreckt, die Handfläche nach außen,
während mein linker Arm locker am Körper lag. Diese bizarre Körperhaltung
sandte einen brennenden Schmerz entlang der Muskeln, die mein rechtes
Schulterblatt mit der Wirbelsäule verbinden, und ich befand mich Hunderte Male
in dieser Position, wobei ich gurgelnde Laute wie ein Baby von mir gab. Ich
musste mich dieser seltsamen Erfahrung viele, viele Monate lang vollkommen
hingeben, ohne die geringste Idee zu haben, warum ich das tat. (Das hat viel
Ähnlichkeit mit dem Beispiel vom Anfang dieses Buches, wo der Klient Monate
lang Grimassen schneiden musste.) Wie sich schließlich herausstellte, hatte
diese Erfahrung mit meiner Geburt zu tun..
Die gleiche Reinheitsregel der
therapeutischen Arbeit und die gleichen Prinzipien gelten, wenn wir aktiv
Körperbewegungen machen. Das heißt, wenn unsere inneren Gefühle und
Empfindungen durch Bewegung richtiger nach außen gebracht werden als durch
Stillhalten, dann müssen wir uns bewegen.
Denke daran, dass der einzige
ernsthafte Nachteil bei der Körperbewegung als Mittel, Kongruenz herzustellen,
darin besteht, dass Körperbewegung das Gehirn beruhigt. Körperbewegung
überflutet das zentrale Nervensystem mit Impulsen von den Muskeln und den
Gelenken - dabei handelt es sich um warme Empfindungen, mit denen wir uns
selbst beruhigen.
Ein Beispiel hierfür sind die
Schaukelbewegungen, die ein Kind oder ein Erwachsener als Folge einer
Traumatisierung macht, um so außergewöhnlich starken emotionalen Schmerz zu
verarbeiten.
Reinheitsregel Drei in der
therapeutischen Arbeit
Um es noch mal zu wiederholen: Es
ist sehr wichtig zu wissen, ob du deinen emotionalen Schmerz verstärkst oder
beruhigst. Zweifellos gibt es Zeiten, in denen es notwendig ist, dass du dich
beruhigst. Zumindest solltest du dir bewusst sein, auf welchem der beiden Pfade
du dich befindest, um nicht durch die Ergebnisse überrascht zu werden.
Erinnere dich daran: Wenn ein
Therapeut dir Berührung und Halten anbietet, besteht das gleiche Problem. Es
gibt Berührung, die tröstet, und es gibt Halten, das tröstet. Es gibt
Berührung, die den Schmerz verstärkt, und es gibt Halten, das den Schmerz
verstärkt: Beides macht eine Intensivierung dadurch möglich, dass die
körperliche Unterstützung die emotionale Unterstützung in Phasen extremer
Belastung verstärkt. Es ist deine Aufgabe als Klient, deinem Therapeuten Feed-back
darüber zu geben, was Berührung und Halten dir zu jedem Zeitpunkt geben, und
was du in einem bestimmten Moment brauchst.
Reinheitsregel Vier in der
therapeutischen Arbeit
Diese Reinheitsregel der therapeutischen
Arbeit gebietet, dass du deinen Gefühlen und deinen Kongruenzen vertraust, und
zwar, ohne zu wissen, was du gerade tust, und warum du es tust. Dieses
Loslassen des intellektuellen Wissens, im Vertrauen darauf, dass das Gefühl an
erster Stelle steht und das Verstehen an zweiter, ist entscheidend, wenn du in
der Therapie voran kommen willst. Auf diese Weise sagst du "ja" zum
tieferen Gehirn. Ohne dieses "Ja" öffnet das Unbewusste seine Türen
nicht für die Holistische Einsicht.
Reinheitsregel Fünf in der
therapeutischen Arbeit
Eine der Hauptgefahren dieses
Handbuchs kommt hier ins Spiel. Halte deinen Schmerz auf der Matte. Es ist
völlig inakzeptabel, das unerledigte psychologische Material, das in dir liegt,
zu nehmen und es auf die Welt abzuladen und dabei andere zu verletzen. Erstens
ist es äußerst unehrlich, einen anderen Menschen auf diese Weise zu gebrauchen.
Zweitens verwässert es den therapeutischen Prozess, indem es den Schmerz, der
die Therapie antreibt, in das VERGNÜGEN VERLETZENDEN SCHWELGENS ableitet, und
dies bringt uns zu dem zweiten Gesetz der Regressionstherapie:
Der
zweite Hauptsatz der Regressionstherapie
Wenn
du deinen Schmerz nicht auf der Matte hältst und ihn ganz |
Schmerz ist das Labor, in dem wir
arbeiten. Er ist da, um gefühlt zu werden. Wir richten uns auf ihn hin aus, um
ihn zu untersuchen. Wir schaffen unsere Kongruenzen, um ihn zu fühlen, mit ihm
zu verschmelzen und ihn zu externalisieren. Aber das tun wir im Therapieraum
und richten ihn nie auf andere.
Schmerz darf in der Therapie niemals
plötzlich zum Handlungsmotiv werden, das uns in die Welt hinaus treibt. Wir
müssen das Paradox aushalten, dass wir ihn fühlen und uns mit ihm verbinden,
während wir gleichzeitig anerkennen, dass wir in einem Gefühl sind und es nicht
ausagieren dürfen. Wir befassen uns damit, eine tiefe Verbindung mit unseren
inneren Prozess herzustellen, während wir zugleich das, was wir real in der
Welt tun, von genau diesen Prozessen abkoppeln. Das ist die Essenz der fünften
Reinheitsregel der therapeutischen Arbeit: Zutiefst zu fühlen und
nicht auszuagieren. Integriertes Handeln kommt zu seiner Zeit und auf seine
Art, und wenn es so weit ist, wird dieses integrierte Handeln progressiv und
organisch unsere Art und Weise, in der Welt zu sein, verändern.
Wie der Mönch innerhalb seines
Klosters mit seiner Spiritualität ringt, so ringen wir innerhalb unseres
privaten Therapieraumes mit unseren Gefühlen.
Wenn wir diesen Ort tiefer,
regressiver Erfahrung verlassen, tun wir gut daran, uns eine Haltung der
Bobachtung und der respektvollen Höflichkeit anderen gegenüber zu Eigen zu
machen - bis genug Zeit in der Therapie vergangen ist, sodass wir reif sind und
das integriert haben, was schließlich ein stärker organisches,
selbstbestimmtes, mitfühlendes und liebendes Leben sein wird.
Kapitel 25
Weltlichkeit
gegen Innerlichkeit
Die Einstellung, welche die Psyche
öffnet, steht in direktem Gegensatz zu unserer normalen weltlichen
Orientierung. Man hat uns beigebracht, dass wir nach der Welt greifen und ihr
das entreißen können, was wir brauchen. Man hat uns beigebracht, dass wir nach
unserem tiefsten Selbst greifen und es in jede Form pressen können, welche den
manipulativen Zwecken des falschen und verängstigten Selbst dient. Ein solcher
Umgang mit der Psyche ist die Essenz des Kontrollwahns. Er bildet den Grund
dafür, dass die menschliche Spezies sich selbst und ihre natürliche Umwelt so gründlich
missversteht.
Dies ist die verklemmte Einstellung,
welche so tief in uns verwurzelt ist, da unsere Hoffnung immer vor allem darin
bestand, Schmerz zu vermeiden und Sicherheit zu erlangen.
Diese verklemmte Einstellung
verschließt die Pforten zu unserer Seele eher, als dass sie sie öffnet; und nur
sehr wenige Dinge können dies ändern. Dazu gehören:
Erstens: Hatten wir bisher vollen Erfolg
mit unserer natürlichen Art zu leben und entdecken dann plötzlich Leere statt
Erfüllung, so kann dies uns dazu bringen, auf einer neuen Stufe mit Suchen
anzufangen.
Zweitens: Ist unser Leben völlig gescheitert,
sodass wir die ganze Welt um uns herum einstürzen sehen, dann könnte das uns
dazu führen, schließlich zuzugeben, dass wir niemals wirklich die Kontrolle
über irgendetwas hatten; vielleicht hilft das uns ja, unsere Wachstumsarbeit
mit einem angemessenen Satz an Schlüsseln neu anzugehen.
Drittens: Eine Nah-Todes-Erfahrung kann
unsere Arroganz erschüttern und uns mit tiefer Weisheit erfüllen.
Viertens: Es gibt Menschen, die in ihrem Leben das große Glück haben, von
der Natur mit einem allmählichen Erwachen der Weisheit beschenkt zu werden,
ohne viel spezifische Wachstumsarbeit leisten zu müssen.
Fünftens: Einige Menschen haben das große
Glück, dass ihnen eine wichtige SATORI-Erfahrung zuteil wird, ohne dass sie
sich bewusst überhaupt darauf vorbereitet haben.
Sechstens: Für die meisten von uns ist eine
langwierige und mühsame Wachstumsarbeit notwendig, ehe wir echte Weisheit
erlangen.
Zu der Einsicht zu erwachen, dass
wir nie die Kontrolle über unser Leben hatten, und dass jeder Aspekt unseres
Lebens ein Geschenk ist, bedeutet keinen Abstieg in ein Gefühl der Duckmäuserei
und der Ohnmacht. Das Wissen, dass unser Leben ein Geschenk ist, und dass wir
es nicht selbst aus dem Nichts erschaffen, erlaubt uns die Art von Loslassen,
welche uns hilft, mit Anmut voranzuschreiten, selbst in sehr turbulenten und
verwirrenden Zeiten in unserem Leben.
Wir brauchen unser Leben nicht mit
blutigen Fingernägeln aufzureißen. Wenn es zu einem Kampf kommt, so fühlt er
sich auf irgendeiner Ebene natürlich und gut an, da wir uns natürlich
und gut fühlen. Wir haben nicht mehr solche Angst vor äußerem Scheitern, und
das steigert unserer Effektivität.
Das ist die Art Loslassen, welches
mehr und mehr von den aufnahmebereiten und kreativen Prozesse des tieferen
Selbst befreit. Der Rest entfaltet sich, während wir auf dem Weg sind. Die
inneren Prozesse des Lebens erschaffen sich selbst. Sie tragen uns, ohne dass
wir ständig darum kämpfen müssen, sie zum Funktionieren zu bringen.
KAPITEL 26
Therapie
ohne Therapeut/-in
Ich habe, wie auch fast jeder Klient
und Therapeut, mit dem ich je darüber gesprochen habe, Zweifel daran, dass
Tiefen-Therapie ohne die Anwesenheit eines Tiefen-Therapeuten oder einer
-Therapeutin gemacht werden kann.
Früher in diesem Buch war von der
tiefen Bedeutung des „Neubeelterns“ (reparenting) die Rede. Ich habe gesagt, dass
Berührung und Halten die Basis bilden, von der in der regressiven
Tiefentherapie viel abhängt. Nicht jeder scheint sie zu brauchen, doch viele
mit Sicherheit schon. Ich habe betont, dass achtsame Mitteilungen des
Therapeuten über seine eigenen Innenräume ein Hilfsgerüst bilden können, das
die Neubildung gesunder Gedanken und Überzeugungen, die in Kopf und Körper des
Klienten auftauchen, unterstützt. Ich habe auch erwähnt, dass, in Zeiten von
Verwirrung, emotionaler Instabilität und negativem Selbstbild, die
kontinuierliche Anwesenheit des Therapeuten eine zusätzlicher Stütze darstellt,
auf welche der Klient sich verlassen kann, wenn der Boden unter seinen Füßen zu
wanken beginnt.
Sicher ist es daher verrückt, ein
Handbuch mit Instruktionen zu veröffentlichen, das jeder lesen kann, denn er
versucht dann vielleicht, das Ganze auf sich anzuwenden. Das ist eine sehr
wichtige und zentrale Frage, und ich will versuchen, sie mit dem folgenden
Argument zu beantworten. Ich selbst habe mich ein Leben lang mit der Wut über
etwas herumgeschlagen, das ich „die Lüge“ genannt habe, und das Scott Peck dann unter diesem Namen
populär gemacht hat. Wie eine Gurke, die in der Lake liegt, diese aufsaugt und
gar nicht anders kann, als eine saure Gurke zu werden, genau so saugen wir die
Kultur des falschen Selbst auf. So können wir gar nicht anders als falsch werden.
Wir können nicht vermeiden, Opfer dieser tiefsten aller Spaltungen zu werden,
die sich auftut zwischen unserem tiefsten organischen Selbst und der
Persönlichkeit, die wir ausbilden, um innerhalb unserer soziokulturellen Matrix
sicher zu sein und das zu bekommen, was wir brauchen. Ein Problem, das sich
durch alle Zeitalter der Menschheit zieht.
Weil unsere Erwachsenen-Bedürfnisse
so weit von unseren einfachen, grundlegenden und organischen Wahrheiten
entfernt sind – diese wurden verschoben, unkenntlich gemacht und symbolisiert -, können
wir in unserem Erwachsenenleben weder Befriedigung noch Gleichgewicht finden.
Erst in den mittleren Jahren, wenn unsere defensive, äußerliche und
unaufrichtige Persona uns schließlich im Stich lässt, können wir uns ungefähr
vorstellen, dass große Teile unseres Lebensweges zutiefst "falsch"
und unbefriedigend waren. Aber selbst dann gibt es keinen wirklichen Kompass
für uns, genauso wenig, wie es in unserem Leben je einen wirklichen Kompass
gab, der frei von der Lüge gewesen wäre, in der wir aufwuchsen. Die Essiggurke
in ihrem Glas sehnt sich danach, sich ihrer Lake zu entledigen.
Alle Menschen, die wir je gekannt
haben, besonders unsere Lehrer vom Kindergarten bis zum Doktorvater, haben uns
immer wieder eingeredet, dass wir nur zu lernen brauchen, was sie wissen, um
schließlich in der Welt erfolgreich sein und unseren Weg ins Glück zu finden.
Da sie aber ihr Leben in einem Sud von Symbolisierung und Verdrängung fern von
ihrem tiefsten organischen Selbst gelebt haben, ist die Hand, die sie
ausstrecken, um uns zu helfen, von ihrer Unwahrheit verseucht. Sie gleitet
durch unsere ausgestreckte Bedürftigkeit hindurch, als wäre sie ein Gespenst.
Die Hand, die sie ausstrecken, um uns zu helfen, spricht nicht wirklich die
Sprache des Schmerzes, weder ihres eigenen noch des unseren.
Aus diesem Grund gibt es für uns
zeit unseres Lebens keine Hilfe, und am Ende begraben uns die Wellen unserer
Panik und unserer Depression unter sich.
Ich glaube, dieses Buch bietet einen
vertrauenswürdigen Kompass und einen Polarstern, den jeder Mensch nutzen kann,
wenn er anfangen will, wirklich nach der Wahrheit zu suchen. Dann kann er, mit
Hilfe der Techniken, die ich hier dargestellt habe, sich um die Trümmer seiner
emotionalen Verletzungen, um den Weg durch sie hindurch und um ein Verständnis
des Ganzen bemühen, vorausgesetzt, sein Weg ist seiner immanenten
Selbsttäuschung entkleidet.
Nicht, dass ich überzeugt wäre, die
Wahrheit für die Welt zu besitzen. Es ist nur so, dass ich bei anderen und auch
bei mir selbst eine Reihe von Techniken angewandt habe, die unweigerlich zu
einem tiefen Sinn für unsere eigenen, inneren und unverfälschten Strukturen
führen. Ich habe diese Strukturen Fehlerfreies Empfinden, Fehlerfreies Wissen
und Fehlerfreie Funktion genannt. Sie existieren in jedem von uns, wenn es uns
gelingt, unsere mentalen Prozesse von ihrer lebenslangen Verseuchung zu
befreien.
Vielleicht werden die in diesem Buch
beschriebenen Mechanismen die gleichen Folgen haben wie die Dampfmaschine und
der mechanische Webstuhl zu Beginn der industriellen Revolution, die damals ja
massiven Aufruhr und Schmerz auslösten.
Gibt es jemanden unter uns, der die
Uhr zurückdrehen und sich in die Zeiten vor der Industriellen Revolution
zurückversetzen möchte? Gibt es jemanden unter uns, der auf seinem Weg zur
Wahrheit der Evolution des Geistes den Rücken kehren würde? Ich glaube, durch
das Einsickern dieser Art von Arbeit in das Bewusstsein der Menschheit über
Tausende von Jahren werden wir nach und nach tiefer, weiser, ethischer, weniger
manipulierend und weniger anfällig für die Manipulation durch andere werden.
Dies ist mein Traum, geboren aus dem
Schmerz meiner Kindheit.
Deshalb spüre ich, dass ich dieses
Handbuch öffentlich zugänglich machen muss. Allerdings müssen die Vorsichtsmaßnahmen
am Anfang des Buches sehr sorgfältig beachtet werden.
Es wird sicher vorkommen, dass
Menschen, die an Psyche, Körper und Geist erkrankt sind, und nicht wissen,
wohin und an wen sie sich wenden sollen, dieses Handbuch ohne Hilfe benutzen.
Euch sage ich, macht langsam, geht sehr sorgsam mit euch um und denkt daran:
Wenn ihr Rat und Hilfe bei jemandem sucht, der kein ausgebildeter
Tiefentherapeut ist, so werdet ihr früher oder später zum Objekt seiner
"Abwehr-Weisheit". Sobald ihr bei ihm eigene unverarbeitete Gefühle
auslöst, wird die „Hilfe“, die er euch gibt, den Mechanismen seines falschen Selbst
entspringen. Gemeinsamer Nenner dieser Hilfsangebote wird sein, euch davon
abzuhalten, euren Schmerz zu fühlen.
Du selbst musst beurteilen, ob das Chaos,
das du in dir freilegst, schneller hoch kommt, als du es verarbeiten kannst.
Wenn du nicht mehr schlafen kannst, wenn du aufhörst zu essen, wenn du die
Fähigkeit zu funktionieren verlierst und keine gesunde Kontrolle mehr über dich
hast, dann ist es absolut wichtig, dass du langsamer machst und dich nach
Kräften darum bemühst, liebevolle und inspirierte, gefühlsorientierte
Unterstützung zu finden.
Du brauchst dich nicht über die
Klippen in die Tiefe zu stürzen, um zu wachsen. Du kannst versuchen, bei dem
Gebrauch dieser Anweisungen sanft und liebevoll mit dir umzugehen. Aber schließlich ist es nur fair, wenn ich
dich darauf hinweise, dass es auf deinem Weg Zeiten voll schrecklicher Angst
geben kann. Sorge gut für dich und / oder sorge dafür, dass sich jemand anders
um dich kümmert; höre immer auf dein tiefstes fühlendes Gespür und deine
Intuition für das, was richtig für dich ist.
Vor allem aber denke immer daran:
Wenn du absichtlich Menschen verletzst, bist du sehr wahrscheinlich vom Pfad
deines Wachstums abgekommen. Dies ist der Schaden, der entsteht, wenn du in die
Welt gehst und dort chaotische und destruktive Dinge sagst und tust.
Stattdessen solltest du die Gefühle, die unter solchen Dingen liegen und sie
auslösen, untersuchen, und zwar in der Zurückgezogenheit deines Therapieraums.
Wenn du beginnst, dich in der Welt
eindeutiger zu definieren in Bezug auf das, was du in deinem Leben akzeptieren
kannst und was nicht, wird das natürlich andere um dich herum schmerzen, weil
sie begreifen, dass sie dich nicht länger benutzen können. Geh vorsichtig mit
dieser Situation um. Verlange nicht von anderen Menschen, sich
schneller auf Veränderungen einzustellen, als das für dich und für sie sicher
ist.
Einfache Verhaltensregeln
1. Du hast das Recht, jedem zu sagen, was du
fühlst, so lange du es höflich sagst.
2. Du hast das Recht, von jedem zu erbitten, was
du brauchst, so lange du es höflich tust.
3. Du hast das Recht, jede Bitte zurückzuweisen,
so lange du es höflich tust.
Natürlich müssen diese Regeln
unserem grundlegenden Gespür und unserem Verständnis für das entsprechen, was
anständig und in einer gegebenen Situation angemessen und diplomatisch ist.
KAPITEL 27
Zusammenfassung
der Anweisungen
Man könnte sagen, die meisten menschlichen
Bemühungen, ob nun real, fiktiv oder mythisch, laufen auf etwas sehr Einfaches
hinaus: eine Suche (quest). Ich habe den Eindruck, diese SUCHE ist
Ausdruck der grundlegenden Suche nach dem Selbst und nach Erleuchtung. In
diesem Buch geht es hauptsächlich um die Suche nach tiefem persönlichen
Verständnis und spiritueller Erfüllung. In Mythen wurde diese Suche allerdings
nach außen, in die Welt, verlagert, sodass die Menschheit ihre Energien dafür
eingesetzt hat, nach Drachen und nach dem Gral zu suchen, wo diese Dinge in
Wirklichkeit doch nur symbolisierte Versionen innerer Kämpfe sind. Im
Wesentlichen ist die SUCHE also die nach außen verlagerte Suche nach den
Dingen in uns, die uns beunruhigen und uns abgespalten halten von unserem
tiefsten Selbst und damit von einer organischen, harmonischen Beziehung
zwischen uns und der Welt.
Hier also eine möglichst einfache
und klare Zusammenstellung der Anweisungen für diese innere Suche, welche die
äußere Suche des Menschen nach Dingen überflüssig macht, die symbolisch für die
Angelegenheiten des tieferen Selbst stehen. Diese Anweisungen werden unser
Wachstum weg von psycho-biologischer Verwirrung und hin zu psycho-biologischer
Klarheit und zu innerem Frieden erleichtern. So können wir uns selbst auf den letzten
großen Bewusstseinssprung vorbereiten, welcher Erleuchtung oder SATORI selber
ist.
1. Werde dir selbst gegenüber achtsam.
Öffne einen Zugangskanal zu deinen Gefühlen und Körperempfindungen. Halte ihn
offen, während du dein Leben lebst. Erkenne, wenn du ein körperliches oder
emotionales Unwohlsein in dir hoch kommen fühlst.
Nirgendwo sonst auf deiner Reise
stößt du auf mehr Hindernisse als hier, ganz am Anfang. Der TRICK DER
UNSICHTBARKEIT UND DES NICHT-WISSENS, der TRICK DER FEHLGELEITETEN AUFMERKSAMKEIT
und der ZAUBER DER VERGESSLICHKEIT sind kontinuierlich in deinem täglichen
Leben aktiv, um dich von deiner Reise nach innen abzuhalten.
Schleppe niemals Schmerzen mit dir
herum. Leg dich bei der nächstbesten Gelegenheit damit hin. Immer wieder wirst
du feststellen, dass du schon stunden-, tage- oder gar wochenlang Schmerzen mit
dir herumgeschleppt hast, ohne dir dessen bewusst zu sein.
2. Finde einen angenehmen Platz, der
möglichst ruhig und schallgeschützt ist. Ein Auto zum Beispiel ist ein
großartiger Behelfs-Primalraum. Nirgendwo sonst in unserer Welt kannst du einen
Platz finden, der es dir erlaubt zu schreien, ohne dass dich wahrscheinlich
jemand hört. Aber halte an, fahre nicht durch Rot.
3. Lege dich hin (sitze oder stehe,
wenn du keine andere Wahl hast). Lege dich bequem auf den Rücken, mit einem
Kissen unter dem Kopf, Arme und Hände an der Seite des Körpers. Wenn du die
Hände auf den Bauch legst, blockierst du deine Fähigkeit, Impulse aus diesem
Bereich zu empfangen, so ähnlich, wie wenn man einen metallischen Gegenstand
vor eine Radarantenne hält. Überkreuze deine Beine nicht, schaffe dir mit
dieser verletzbaren und exponierten Körperhaltung ein Gefühl von Offensein.
4. Richte dein Bewusstsein auf deine
Gefühle und deinen inneren Körperzustand. Spüre nach, ob es irgendwo in dir ein
Unbehagen gibt. Überprüfe deine sechs Haupt-Symptombereiche, spezifische
Körperempfindungen, diffuse Körperzustände, usw. Gibt es irgendwo in einem
dieser sechs Kanäle etwas, das dich daran hindert, dich vollständig wohl zu
fühlen?
5. Denke nicht. Du bist nun ein
Empfangssystem für sensorische Reize. Wenn es dir schwer fällt, deinen Kopf
abzuschalten, gebrauche die unartikulierten Geräusche. Lies die Kapitel, die
dieses Thema behandeln, noch mal. Wenn Ideen und Worte in unserem Kopf rasen,
dann ist es hilfreich, die Fertigkeiten zu nutzen, die ohne Worte auskommen.
6. Wenn eine körperliche oder
emotionale Störung hoch kommt, so tauche
unter die Wellen deines logischen Alltagslebens hinab. Begegne der
Störung wie ein Taucher, der im Meer untertaucht. Versuche, ihre Lage,
Intensität und Beschaffenheit auszumachen. Bewege dich auf das Unwohlsein zu,
und lass es auf dich zukommen.
7. Verschmelze mit der Störung. Öffne
Psyche und Körper. Öffne die Poren deiner Haut, deine Eingeweide, deine
Körperöffnungen, Augen, Ohren, Mund, Vagina, Penis, Rektum, alles. Werde eins
mit dem Unwohlsein. Lass dich von diesen Empfindungen mindestens dreißig
Sekunden lang durchtränken, um es deinem Bewusstsein zu erlauben, von der
sprachlichen Ebene zu der wahrnehmenden und fühlenden Ebene der Psyche zu
gelangen – diese Neuorientierung ruft die holistischen Funktionen des Gehirns
wach.
8. Nimm jede Position ein, die das
Gefühl und dein Erleben verstärkt. Wenn es hilfreich ist, so lasse deinen Körper
sich bewegen.
9. Aktiviere deine Stimmbänder mit
nicht kontrollierten und oft nicht logischen Lauten, Worten und Sätzen, welche
exakt dem körperlichen und/oder emotionalen Unwohlsein, dem du auf der Spur
bist, entspringen und diesem entsprechen. Strebe nach absoluter Kongruenz.
Spüre bei jeder Äußerung nach, ob sie genau deinem ursprünglichen Gefühl
entspricht, so, wie du mit dem „Dart“-Pfeil genau auf das Zentrum der Scheibe
zielst. Dein inneres Körperempfinden sagt dir, wann deine Lautäußerungen oder Worte
genau richtig sind. Höre auf das, was hoch kommt. Springe nicht von einer Sache
zur nächsten, warte, bis die Spannung ihren Höhepunkt erreicht hat und
automatisch zu dem nächsten Thema führt. Von allem, was du auf einer
tiefentherapeutischen Reise tun kannst, ist diese Übung mit der Kongruenz von
Lauten und Worten die wichtigste.
10. Wenn du eine absolute Kongruenz
erreicht hast, so erhalte sie mit Hilfe deiner Wiederholungen aufrecht, während
der Schmerz stärker wird (Anreicherung), seinen Höhepunkt erreicht und dann
zurückgeht. Am Ende solltest du erschöpft und von deinem anfänglichen
Unwohlsein frei sein, und die Spannung sollte Psyche und Körper verlassen
haben. Dabei kannst du zu einer holistische Einsicht kommen, oder auch nicht..
Verlasse unter keinen Umständen den
Therapieraum, um dir oder einer anderen Person etwas anzutun. Deine
Urteilskraft kann eine Zeit lang nicht funktionsfähig sein – das kann Stunden, Tage oder sogar
Wochen dauern. Handle niemals vorschnell auf Grund der Einsichten, die dir
kommen. Warte den richtigen Moment ab. Falls du zunehmend mit dem Gedanken
spielst, dich oder andere verletzen zu wollen, dann gehe zur Notaufnahme in
eine Klinik und bitte um eine psychiatrische Untersuchung.
11. Gehe während deiner Arbeit nicht
aktiv in deinen Intellekt, um nach Erklärungen zu suchen oder sie zu erzwingen.
Diese Art der intellektuellen Sperrung blockiert holistische Einsicht und legt
dem Geist die Zwangsjacke linearen Funktionierens an. Wenn die Einsicht bereit
ist, ob während oder nach einer Therapiesequenz, dann kommt sie.
12. Sanftes Nachdenken über deine
Probleme zwischen zwei Sitzungen ist nicht schlecht, solange es auf entspannte
Weise geschieht. Doch eine Einsicht kommt so gut wie immer in einem Moment des
Loslassens. Wenn du zwischen den Sitzungen über ein Thema nachdenkst und dich
dabei zwanghaft darauf konzentrierst, dann bleiben Einsichten sehr
wahrscheinlich fern. Deshalb ist es wichtig, dass du dir während deiner
täglichen Reise genügend „vegetative“ Zeit lässt, Zeit, in der du dich einfach gehen lässt.
13. Wahrscheinlich musst du während
etlicher Jahre mehrmals pro Woche mentale Hygienearbeit machen, wie ich sie
oben beschrieben habe. Doch sei dabei nicht zwanghaft, denn es kann Zeiten
geben, in denen deine Psyche es nötig hat, ihre therapeutischen Bemühungen
Wochen, Monate oder gar Jahre lang ruhen zu lassen, um so einige der tiefen
Veränderungen, die vielleicht in dir stattfinden, zu integrieren.
14. Erinnere dich daran, dass Körper
und Seele Entspannung brauchen. Mache deine Therapiesequenzen nicht so oft,
dass du dich in einen Zustand der Erschöpfung bringst. Finde den Rhythmus und
die Intensität, die für dich richtig sind. In deinem Herzen weißt du immer, ob
du dabei bist, dich zu heilen oder dir zu schaden.
15. Andererseits sage ich meinen
Klienten oft, es gebe keinen Grund,
Schmerz mit sich herum zu schleppen. Wenn Schmerz hoch kommt, dann lege
dich hin, so schnell es unter den gegebenen Bedingungen eben geht, und nutze
deine Kompetenzen in mentaler Hygiene, die ich beschrieben habe. Es ist auch
OK, gelegentlich leichter oder sanfter an dir zu arbeiten, wenn du dich in
einer therapeutisch ruhigeren Phase deiner Reise befindest. Du kannst deinen
Schmerz sanft „wegblasen“, indem du mit beinahe jeder unserer Techniken weniger
intensiv arbeitest.
KAPITEL 28
Erfahrung
versus Symbolisierung
Es gibt einen Spruch im Zen, der
etwa wie folgt lautet:
Ein Wort,
Und Himmel und Erde
Sind gespalten in Zwei.
Dieser Spruch soll uns darauf
hinweisen, dass Erfahrung durch die Symbolisierungsprozesse des Gehirns
verwässert wird. Das Wort oder das Symbol ist nicht das, was es bezeichnet.
Der Gebrauch von Worten schafft
augenblicklich eine Distanz zu unserer Erfahrung und trennt uns von unserem
potenziellen Einssein mit dem Fluss des Universums.
Genau aus diesem Grund ist es für
uns so wichtig, zu fühlen und zu empfinden. Genau aus diesem Grund ist es für
uns von so zentraler Bedeutung, unsere Kongruenzen herzustellen. Unsere
Kongruenzen führen uns nach innen und lassen uns eins werden mit unserem
eigenen kleinen Teil des universellen Flusses.
Daher bereitet uns das Verrichten
dieser inneren Arbeit auf das
Auftauchen der HOLISTISCHE EINSICHT vor. Holistische Einsicht ist Einsicht, die
diesem Fluss entspringt.
Wenn wir uns dann dafür entscheiden,
die Ebene des psychobiologischen Bewusstseins zu verlassen und die ultimative
Erfahrung Plötzlicher Erleuchtung anzustreben, sind wir endlich für das
eigentliche Satori bereit.
Wenn du dir den Rat irgendeines
Menschen anhörst, und dazu gehören auch und vielleicht besonders Therapeuten,
dann frage dich, ob dir ihr Rat hilft, dein Selbst zu erfahren, oder ob sie
dich damit nicht eher von deinem Selbst entfernen und und dich von ihm
abschneiden.
Oh ja, bevor ich es vergesse...
Da gibt es noch etwas:
Mehr als zwei Drittel meiner
Klienten haben mir von einem vertieften Sinn für Spiritualität berichtet.
Das hat mich überrascht - aber warum
eigentlich? Habe ich es doch selbst so erlebt.
Wenn man sich lange und
diszipliniert auf etwas fokussiert, führt das schließlich immer zu einem sich
vertiefenden Gefühl des Staunens.
Staunen liegt ganz nahe bei der
Ehrfurcht.
Und Ehrfurcht ist das Tor zur
Ewigkeit.
- PV
ANHANG
Bilder,
Bildersequenzen und Träume
Für Menschen, die mit den modernen
Techniken der Traumdeutung nicht vertraut sind, biete ich hier eine äußerst
kurze Einführung in die Enträtselung der Bedeutung hinter diesen scheinbar
bizarren Mitteilungen. Wir wollen die Träume von ihrer Verkleidung befreien.
Die Grundregel im Reich der
Vorstellung besagt, dass Bilder immer für etwas stehen, das in uns aktiv ist.
Ich habe bereits gesagt, dass das Gehirn den Schmerz ebenso wie das Wissen, wie
dieser Schmerz zustande kam, verabscheut. Wir haben gesehen, wie das Gehirn
seinen Schmerz nach außen schickt, um uns mittels der sechs Mechanismen, über
die wir weiter oben gesprochen haben (spezifische Körperempfindungen, etc.),
etwas mitzuteilen.
Wenn das Gehirn den Wunsch hat,
innerhalb seiner selbst aktiv zu werden, um seinen Schmerz zu enträtseln und
auszudrücken, so benutzt es die Bilder dabei so, dass es das bewusste Wissen
seiner eigenen Verletzungen vermeidet. Auf diese Weise bleibt es seinem Kampf
treu, sein Material zu verarbeiten, ohne dabei unser Bewusstsein wissen zu
lassen, wie verletzt wir sind, oder woher die Verletzung kommt. So geben uns
Bilder und Träume Informationen in versetzter und symbolisch verkleideter Form.
Freud lehrte uns vor hundert Jahren, dass die normale Zensur der Psyche sich in
unseren Traumerfahrungen lockert, sodass sie nicht logisch sein müssen. Wir
können von einem Gebäude herabspringen. Wir können unter Wasser auf einem
Fahrrad fahren. Wir brauchen die Alltagslogik und die Alltagsnotwendigkeiten
nicht länger zu befolgen. So können Bilder und Träume ohne Rücksicht auf die
Alltagsrealität fließen und völlig unsinnig erscheinen. Doch in diesem Handbuch
haben wir uns bereits mit dem Nonsens der Symptome vertraut gemacht. Wie wir
schon gesehen haben, scheinen sie zwar, oberflächlich betrachtet, unlogisch, aber
sie gehorchen immer der tiefen, inneren Notwendigkeit, einen psychologischen
Prozess abzuschlieβen (eine Gestalt zu bilden). Wenn wir, genau wie den
Symptomen, Bildern und Träumen mit einigen wenigen einfachen Werkzeugen
nachgehen, werden die darunter liegenden Prozesse immer frei gelegt.
Wir wollen nun Bilder, Bildabläufe
und Träume studieren, indem wir ein Beispiel konstruieren und uns dann
anschauen, wie es von Grund auf aufgebaut wird. Das wird uns später erlauben,
mit dem, was wir an der Oberfläche sehen, anzufangen und uns dann den ganzen
Weg hinunter zu dem durchzuarbeiten,
was darum kämpft, sich Gehör zu verschaffen.
Nimm dir ein Thema vor, das dich
belastet und verwandle es in eine Metapher.
Nehmen wir zum Beispiel einmal an,
deine ältere Schwester kritisiert dich ständig und verletzt dich damit immer
wieder. Wir könnten dieses Grundproblem in eine Metapher verwandeln, indem wir
Bilder benutzen, die deinen Kampf darstellen. Zum Beispiel könntest du einen
Traum haben, in welchem du ein Kind bist, welches im Sand direkt am Meer sitzt.
Du errichtest wunderbare Sandburgen, doch leider liegen diese zu nah an den
stürmischen Wellen. Jedes Mal, wenn du deine Burg errichtet hast, kommt eine
Welle und spült sie weg, und alles, was du aufgebaut hast, war umsonst.
Das Meer ist deine Schwester und
zerstört unaufhörlich, unbarmherzig und unerbittlich alles, was du tust.
Genauso, wie ihre Kritik deine Bemühungen in der realen Welt zerstört, so
zerstört auch das Meer deine Bemühungen in der Traumwelt.
Angenommen, du verstehst nichts von
alledem, du hast einen solchen Traum und gehst damit zu deinem Therapeuten. Wie
hilft dir nun dein Therapeut dabei, von dem Traum, den du in dir siehst
(manifester Trauminhalt) zu dem darunter liegenden Thema, mit dem sich dein Gehirn
in verkleideter Form herumschlägt (latenter Trauminhalt), zu gelangen? Es gibt
verschiedene gebräuchliche Methoden, welche uns von der Oberfläche des Traums
in die Tiefen des Problems führen.
DEUTUNG EINER BILD- UND TRAUMSEQUENZ
Erste
Methode: Die Methode der Gestalttherapie nach Fritz Perls
Fritz Perls sagte uns, der Traum sei
ein Stück auf einer Bühne, und wir sollten zu jedem Bild werden, ob belebt oder
unbelebt, und diesem Bild eine Stimme geben. Wir sollen in jedes Symbol
eindringen und die Wahrheit dieses Symbols aussprechen. Um den oben erwähnten
Traum zu enträtseln, könnte der Klient so zu dem kleinen Mädchen werden und
dann den Traum des kleinen Mädchens in der Ich-Form erzählen (im Präsens und
mit dem Personalpronomen).
- Ich bin ein kleines Mädchen, und
alles, was ich baue, wird zerstört. Wie sehr ich mich auch bemühe, nichts
entkommt der Zerstörung durch das Meer.
- Ich bin das Meer. Ich werde alles
zerstören, was du baust, ganz egal, wie viel Mühe du dir auch gibst.
- Ich bin die Sandburg. Ich werde
zerstört.
Perls ging einen Schritt weiter und
schlug vor, Dialoge zwischen den Traumsymbolen zu entwerfen. Zum Beispiel
könnte das Meer zu dem kleinen Mädchen sprechen.
- Ich bin das Meer. Ich hasse dich,
du kleines Mädchen. Ich bin groß und mächtig und werde dich zerstören.
- Ich bin das kleine Mädchen und
hasse dich für das, was du mir antust.
An diesem Punkt würde die Klientin
gewöhnlich die Verbindungen herstellen, die für sie von Bedeutung sind. Wenn
nicht, so könnte sich der Therapeut erkundigen, ob dieser Traum in
metaphorischer Form ihre aktuelle oder vergangene Lebenssituation auch
tatsächlich richtig darstellt oder dafür steht. Hätte die Klientin die
Verbindung bis dahin noch nicht hergestellt, so würde sie jetzt wahrscheinlich
zu der Einsicht kommen, dass das Meer tatsächlich ihre Schwester ist, die
versucht hat, alles, was sie in ihrem Leben aufgebaut hat, zu zerstören. So ist
der Traum eine Darstellung ihrer Existenz in der Gegenwart oder der Vergangenheit.
In diesem Sinn ist der Traum eine existenzielle Aussage und erlaubt es dem
Gehirn, eine schmerzvolle oder konflikthafte Lebenssituation auszudrücken, ohne
wissen zu müssen oder direkt zu fühlen, was nicht in Ordnung ist. Der Abscheu
des Gehirns vor dem Schmerz und den Prozessen, welche ihn verursachen, führt
einerseits zur Vermeidung des direkten Verstehens und erlaubt andererseits den
Versuch, den Konflikt zu verarbeiten.
DEUTUNG EINER BILD- UND TRAUMSEQUENZ
Zweite Methode: Der intuitive Sprung
- Ich träumte, wie meine Sandburgen
vom Meer zerstört wurden.
* Erinnert das dich an etwas?
- Ja, meine Schwester versucht
ständig, mich mit ihrer Kritik zu zerstören.
DEUTUNG EINER BILD- UND TRAUMSEQUENZ
Dritte Methode: Der gefühlsorientierte
Ansatz (Therapie der Stufe Vier)
Bilder und Träume ergeben, falls man
sich jeweils auf nur ein Bild fokussiert, so gut wie immer ein Gefühl. Manchmal
ist es eine Bildersequenz, welche ein Gefühl mit sich bringt, manchmal ist es
ein ganzer Traum, und manchmal sind es auch mehrere Gefühle.
Wenn wir die Bilder und die
Bildersequenzen behandeln wie irgendein anderes Symptom, das wir studiert
haben, d.h. uns auf sie einlassen und eins mit ihnen werden, so kommen wir sehr
schnell zu den Grundmethoden zurück, die wir in diesem Handbuch behandelt
haben. Tatsächlich greifen wir auf die Methode des DABEIBLEIBENS zurück, die ja
einer unserer Tricks ist, um die Tricks des Gehirns zu neutralisieren.
Wir halten uns auch an die Regel, gemäß der wir die realen Gefühle und
Empfindungen finden müssen, welche, offen oder versteckt, mit den sechs
Haupt-Alarmsystemen des Körpers verbunden sind. Erinnere dich daran, wir tun
das, weil wir die Gegenwart der realen Gefühle brauchen, um den Kompass unseres
Bewusstseins auszurichten, und wir brauchen die nötige Intensität, um das
defensive Netz zu durchdringen.
Wir sollten auch noch etwas anderes
beachten: Da Gefühle einfach und mächtig sind, schneiden sie durch unsere
intellektuellen und symbolisierenden Abwehrmechanismen hindurch wie ein heißes
Messer durch die Butter; dabei suchen sie immer nach dem Grundthema, nach dem
Schmerz ausstrahlenden Ereignis, welches zu dem eleganten, komplexen und
intellektuellen Überbau geführt hat. Das Gefühl, welches jedem Symptom zu Grunde
liegt, zieht unsere Aufmerksamkeit unfehlbar auf sich, und zwar unabhängig
davon, wie verworren, vielschichtig oder symbolisch die Symptomschichten auch
sein mögen.
Zusätzlich dazu erlauben uns die
Gefühle, die Kongruenzen zu schaffen, welche ihrerseits diese Gefühle wiederum
intensivieren, mit denen wir zu verschmelzen versuchen. So haben Gefühle eine
vierfache Bedeutung auf der therapeutischen Reise. Kein Wunder, dass sich
gefühlsorientierte Therapeuten so sehr dem Fühlen der Gefühle widmen.
Wir wollen nun unseren Traum
enträtseln, indem wir den gefühlsorientierten Ansatz der Therapie der Stufe
Vier benutzen:
- Ich träumte, ich sei ein kleines
Mädchen, welches am Meer sitzt und Burgen baut. Jedes Mal, wenn ich eine
Sandburg errichtet hatte, spülte das Meer sie weg.
* Was ist dein Gefühl in diesem
Traum?
- Ich bin wütend.
* Geh in deine Wut, lass sie hoch
kommen, bleibe mindestens eine halbe Minute in deiner Wut und sage dann bloβ
die einfachen Worte, Sätze oder Laute, die von dort hoch kommen.
- (lange Pause) Ich
hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich.
* Schrei es hinaus, so laut du nur kannst.
- ICH HASSE DICH, ICH HASSE DICH,
ICH HASSE DICH (Pause)
Es ist meine Scheißschwester. Sie versucht, alles zu zerstören, was ich tue (und
so weiter).
Hier sehen wir es wieder einmal:
Wenn wir in einem Gefühl bleiben, schneidet es durch die symbolischen Prozesse
des Gehirns hindurch und führt damit schnell zu den unterschiedlichen Ebenen
der HOLISTISCHEN EINSICHT. Am Ende kann man Gefühle niemals reinlegen. Das ist
der Grund dafür, dass Menschen, die uns manipulieren möchten, es vorziehen,
wenn wir nicht fühlen.
Manchmal, wenn alles andere
scheitert, kehre einfach von Zeit zu Zeit zum Traum zurück und frage, wie er
dein Leben darstellt. Früher oder später erhältst du die Antwort.