Bildungswerk für Kommunalpolitik Sachsen e.V.

Zur Zukunft gehört die Erinnerung

Dompfarrer i.R. Dr. Edmund Käbisch

Erinnerungen an meine Arbeit im Dom

 

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Inhalt


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Ich wurde 1944 in Waldenburg/Schlesien geboren. Mein Vater war Berufsoldat und hat sich nach der Vertreibung aus der Heimat selbständig gemacht. Meine Mutter hat den Beruf einer Verkäuferin erlernt und wurde später mitarbeitende Ehefrau. 1946 mussten meine Eltern, mein älterer Bruder Dieter und ich Schlesien verlassen. Wir kamen in ein Flüchtlingslager bei Hoyerswerda und wurden dann nach Gelenau zwangsumgesiedelt. Später zogen wir nach Kamenz, wo weitere drei Geschwister - Monika, Eberhard und Christine — geboren wurden. Dort besuchte ich die Grund-, Mittel- und Abendoberschule und lernte den Beruf eines Elektromonteurs. 1963 begann ich mit dem Theologiestudium in Leipzig an der Karl-Marx-Universität. Ein Jahr später verweigerte ich den aktiven Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee. Nach dem Studiums-abschluss wurde ich Lehrvikar, besuchte das Predigerseminar und wurde als Pfarrvikar in Quesitz bei Leipzig eingesetzt. Dort wurde ich 1970 zum Pfarrer ordiniert. 1979 promovierte ich zum Thema Jugend und Gebet.

1981 wurde ich zum zweiten Pfarrer am Dom zu Zwickau gewählt. In dieser Citykirche bemühte ich mich um eine situativ-missionarische Verkündigung und lebensbezogene Gemeindearbeit. Dieses verantwortliche Engagement im sozialpolitischen Bereich führte zur Bearbeitung durch die Stasi im OV „Kontrahent". Nach der friedlichen Revolution von 1989 bemühte ich mich um die historische Aufarbeitung des Verhältnisses von Kirche und SED-Staat. Dafür wurde mir von der BStU ein Forschungsantrag genehmigt.

Die Erkenntnisse und Ergebnisse der Forschung habe ich in Vorträgen der Öffentlichkeit vermittelt oder in verschiedenen Veröffentlichungen weitergegeben. Ausgewählte Themen waren: „Selbstverbrennung des Pfarrers Günther in Falkenstein im Jahr 1978", „Stasi-Bearbeitung der Kirche in Zwickau", „Wendezeit in Zwickau", „Zersetzung des Bekenntnisses durch die Stasi", „Kirche im SED-Staat" und „Theologisch-politische Dimension der Friedensgebete während der friedlichen Revolution". In Zwickau setze ich mich dafür ein, dass ein öffentlicher Dialog mit den einstigen Machthabern der DDR geführt wird.

1999 wurde ich im Rahmen von Strukturveränderungen und Einsparungen bei der sächsischen Landeskirche in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Jetzt bin ich Religionslehrer und Patientenfürsprecher in der Psychiatrie. Ich gehöre zu den Gründungsmitgliedern des Vereins D.A.VI.D. - Mobbing in der evangelischen Kirche. Ich bin der Projektleiter von drei Ausstellungen: „Die Bibel in den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts" (www.bibel-ausstellung-zwickau.de), „Sterilisation und Euthanasie während des Nationalsozialismus" (www.euthanasie-ausstellung.de) und „Christliches Handeln in der DDR".

Seit 1967 bin ich verheiratet mit Renate Käbisch, geb. Heber und habe drei Söhne - Markus, David und Sebastian.


 

Erinnerungen an meine Arbeit am Dom

 

In dieser Kirche — dem Dom St. Marien zu Zwickau - wirkte ich von 1981 bis 1999 als Pfarrer. Die kircheninterne Bezeichnung meiner Stelle lautete Archidiakon. Zur Domgemeinde gehörte auch der Stadtteil Pöhlau mit seiner St. Michaelskapelle. Im Jahr 1999 wurde ich mit erst 55 Jahren in den Ruhestand versetzt, den ich auch heute noch als eine Art „Entsorgung" begreife. Warum ich nach den vielen Jahren, die ich in der sächsischen Landeskirche der Kirche Jesu Christi und ihren Gliedern gedient habe, zu diesem Urteil gelange, möchte ich im Folgenden darstellen.

Die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand stellt sich für mich als der Endpunkt einer Entwicklung dar, die in der DDR-Diktatur begann und in der BRD-Demokratie fortgesetzt wurde. Man kann diese Entwicklung als eine Spätfolge der staatlichen Beeinflussungspolitik interpretieren, denn die Zwietracht, die der Staat und die Staatssicherheit in vielen Kirchen säten, endete nicht immer mit dem Untergang der DDR. Diesen Prozess möchte ich am Beispiel der Domgemeinde beschreiben, auch wenn dadurch andere, vor allem erfreuliche Aspekte meiner Zeit am Zwickauer Dom an den Rand gerückt werden. Denn der Dom wurde von der Bevölkerung angenommen, weil im Gebäude und in dem dazugehörigen Gemeindehaus eine Arbeit betrieben wurde, von der etwas ausging und die man als situativ-missionarische Verkündigung bezeichnen kann. Sie war eine alternative Arbeit innerhalb der DDR-Diktatur, um den Menschen Anregungen, Impulse, Mut und Hoffnungen für ihr Alltagsleben zu geben. Besonders am Ende der DDR-Zeit wurde der Dom zu einem Ort, an dem die friedliche Revolution in der westsächsischen Region ausging.

Jeder Rückblick ist geprägt von dem eigenen subjektiven Denken, und auch ich rekonstruiere die Vergangenheit unter bestimmten Prämissen, die es vor der Darstellung zu benennen gilt. Ich habe mich daher entschieden, anhand von vier Schlüsselerlebnissen mein Denken zu charakterisieren und auf diese Weise meine Prämissen offen zu legen. Mit dieser Vorbemerkung will ich betonen, dass es sich um meine persönliche Perspektive auf die Ereignisse handelt und um meine Interpretation der Akten, die natürlich subjektiv und damit angreifbar ist. Ich bin aber überzeugt, dass erst die Summe von Zeitzeugenberichten ein Gesamtbild ergeben kann, und ich bedaure es sehr, dass — bezogen auf die Ereignisse am Zwickauer Dom - noch kein Gesprächsklima entstanden ist, in dem ein solches Gespräch möglich ist.

 

Schlüsselerlebnisse

 

Als Ruheständler schaut man mehr in die Vergangenheit und bedenkt, wieso ist dein Leben so verlaufen. Und ich wage zu behaupten, dass es vier Schlüsselerlebnisse waren, die mein Leben geprägt und bestimmt haben, auch wenn ich es damals nicht so empfunden habe.

1. Ich wurde 1944 in Waldenburg/Schlesien geboren. 1946 wurde meine Familie aus der Heimat vertrieben. Die Eltern konnten nur die Habseeligkeiten mitnehmen, die sie selbst neben meinem Bruder Dieter und mir tragen und transportieren konnten.

(Foto Uwe Mann) Mitten in der Stadt Zwickau steht diese St. Marienkirche, die 1935 von den Deutschen Christen (DC) zum Dom erhoben wurde.

Jesus Christus spricht: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." (Matth. 25,40 b)


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Auch wenn ich mich selbst nicht an diese Zeit erinnern kann, haben sich mir die Ereignisse durch die späteren Erzählungen meiner Eltern so eingeprägt, als ob ich sie schon bewusst erlebt hätte. In einem Viehwaggon wurden wir in die Nähe von Hoyerswerda transportiert, und in einem Internierungslager hinter Stacheldraht mussten wir hausen. Nach mehreren Wochen wurde unsere Familie auf das Dorf Gelenau bei Kamenz gebracht, und wir konnten uns auf dem Bauerngut der Familie Richter einquartieren. Eine schmale Küche und ein Schlafzimmer standen uns zur Verfügung. Beide Zimmer hatten keine Möbel. Geschlafen haben wir auf Stroh. Meine Kindheit verlebte ich somit auf diesem Dorf. Dort musste ich immer wieder das Gleiche erleben: Ich sei ein Flüchtlingskind und durfte nicht mit anderen Kindern spielen. Ich wurde ausgegrenzt. Ich fühlte mich als Fremder und Ausgestoßener. Das tat weh! Aber die Sehnsucht dazuzugehören habe ich gelernt.

2. Später zog meine Familie nach Kamenz, wo ich 1950 eingeschult wurde. In der Zwischenzeit hatte mein Vater eine eigene Schusterwerkstatt aufgebaut, die er im Laufe der Zeit zu einer Mattenfabrik, später sogar zu einer Betonfirma umwandelte. So kam es, dass die „rote" Klassenlehrerin Gudrun Senf mich als Kapitalisten- und Ausbeuter sohn bezeichnete und vor der Klasse bloßgestellt hat. Die DDR sei auf solche Unternehmer nicht angewiesen, sie seien ein Relikt aus einer anderen Gesellschaftsordnung. Als „Kapitalistensohn" durfte ich z.B. nicht an der Schulspeisung teilnehmen. Auch war ich an bestimmten Klassenunternehmungen und -ausfahrten unerwünscht. Diese Ausgrenzung und Diskriminierung gingen unter die Haut. Sie haben mich innerlich verletzt und gekränkt, weil diese Behauptungen nicht stimmten.

 

3. Ich habe während meines Theologiestudiums den Wehrdienst aus Glaubensgründen verweigert. Ich bekannte mich vor der Wehrkreiskommission zu dem Gebot „Du sollst nicht töten" und war bereit, dafür auch Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Zu dieser Zeit bestand noch nicht das Gesetz des Wehrersatzdienstes — der so genannten Bausoldaten. Ich rechnete mit Studienplatzverlust, sogar mit Gefängnis, doch war ich bereit, dieses Risiko einzugehen. Schon damals empfand ich es als ein kleines Wunder: ich durfte weiter studieren, musste nicht ins Gefängnis und habe nie wieder etwas von der Nationalen Volksarmee gehört. Diese Entscheidung hat mich auch später ermutigt, die eigene Feigheit abzulegen, auch wenn man — scheinbar — allein dasteht und nicht verstanden wird. 4. Im Frühjahr 1989 wurde ich plötzlich krank und musste mich einer zweimaligen Hirnoperation wegen eines Hämatoms unterziehen. Ich schwebte mehrere Wochen zwischen Leben und Tod. Ich musste erfahren, dass es einen himmelweiten Unterschied gibt zwischen dem, der im Bett liegt und total auf fremde Hilfe angewiesen ist und dem, der vor dem Bett steht und jederzeit das Krankenzimmer verlassen kann. Eine Folge der Operationen war eine längere Aphasie — eine Sprachstörung. Die Sprache ist das wichtigste Werkzeug eines Pfarrers! Es hat lange gedauert bis feststand, dass ich wieder in meinen Pfarrerberuf einsteigen konnte. Da war bereits die friedliche Revolution abgeschlossen, und die Hoffung bestand, dass jetzt eine gerechtere Gesellschaft anbrechen wird. Als nun Schwerbehinderter habe ich versucht, meine abrupt abgebrochene Arbeit wieder aufzunehmen und unter den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen weiterzuführen.

Bis heute spüre ich keine Berührungsängste vor Menschen, die verstoßen, Not leidend, schwach, benachteiligt, diskriminiert, asozial, behindert, allein, unten, psychisch oder körperlich krank sind. Ich kann mich ohne Schwierigkeiten in sie

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emotional hineinversetzen und ihre Probleme verstehen. Ich sehe keine Barrieren, sondern engagiere mich, ihnen zu helfen. Ich versuche auch immer wieder, diese Menschen zu ermutigen, sich selber für ihre eigene Sache einzusetzen und es nicht auf andere abzuschieben oder darauf zu warten, bis es geregelt werde. So haben für mich Gespräche und Seelsorge einen hohen Stellenwert. Es wäre viel gewonnen, wenn nicht nur an die eigenen Vorteile, an das Vorwärtskommen und den Gewinn gedacht wird, sondern ethische Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit, Verständnis, Liebe... gelebt werden. Das sind Qualitäten, die ihren Ursprung in der Bibel haben.

 

Verkündigung und Symbolpolitik

 

Für mich hat ein Symbol große Bedeutung: Stacheldraht hinter einer brennenden Kerze.

Das Symbol stand oft auf der Kanzel oder auf dem Altar. Ich gebrauchte es häufig als Einstieg für die Verkündigung. Es wurde verwendet in Fürbittengebeten, bei Meditationen oder Besinnungen. Bis heute kann ich immer wieder feststellen, dass sich die Menschen unter dem Symbol Stacheldraht und brennender Kerze etwas vorstellen können. Es führt in eine andere Welt. Stacheldraht steht für die grausame Wirklichkeit wie Krieg, Verfolgung, Gefängnis, Verlassenheit, Einsamkeit, Dunkelheit, Krankheit, Schmerz, Leid, Kummer, Alter, Vergänglichkeit, Tod... In gleicher Weise verbinden sich mit dem Symbol Licht, Hoffnung, Zukunft, Leben, Wärme, Liebe, Freiheit, Geborgenheit... Dieses Symbol Licht hinter Stacheldraht ist wie eine Brücke zu den Ängsten und Sehnsüchten des Menschen. Über dieses Symbol kam ich oft sehr rasch ins Gespräch zu den eigentlichen Lebens- und Glaubensfragen.

Ich habe versucht, solche Menschen, die in ihrem Leben viel Stacheldraht erlebt haben, in die Kirchgemeinde aufzunehmen, mit ihnen zu arbeiten und sie zu dem Licht der christlichen Hoffnung hinzuführen. Diese Arbeit gehörte — so paradox es klingen mag - nicht zu meinen offiziellen Pflichten als Pfarrer, weil diese Menschen häufig nicht Glieder der Domgemeinde waren. Für diese Arbeit wurde ich - so der häufig formulierte Einwand - weder berufen, beauftragt noch legitimiert. Ich habe mir auch diese Menschen nicht ausgesucht, sondern sie „lagen" vor der Tür der Kirche. Sie waren einfach da. So habe ich mir das Recht genommen, für sie da zu sein und eine Art Anwalt bzw. Sprachrohr für sie zu sein. Ich habe nicht gefragt, ob ich es darf. Für mich spielte die Kirchenmitgliedschaft keine Rolle, sondern die Gewissheit, dass Jesus ähnlich gehandelt hätte.

So waren es nach dem DDR-Sprachjargon viele „Problembürger" wie Arbeitslose, Haftentlassene, Penner, Alkoholiker, psychisch Kranke, Wehrdienstverweigerer, Friedenskämpfer, Homosexuelle, Öko-leute, Spinner, Ausreiseleute, Feministinnen, Gerechtigkeitssuchende... Es gelang mir sogar, der verurteilten Strafgefangenen Marita Pach ein Kirchenasyl zu geben, das staatlicherseits auch toleriert wurde oder den Inhaftierten Dietmar Walter durch ein Kassationsverfahren frei zu bekommen. Dagegen musste ich oft hören, dass der Umgang und mein Engagement mit diesen Leuten der Kirche schaden würden, weil dadurch das gute Staat-Kirche-Verhältnis gestört werde. Sie sollten vor der Tür der Kirche bleiben! So entstanden neben den traditionellen Kreisen dann am Dom neue und lebendige Arbeitsbereiche: Glaubenskurs, Ökoar-beit, Gottesdienst neu erlebt, Friedenskreise, Amnestiearbeit, Ausreisegottesdienste, Rüstzeiten, Arbeitseinsätze... Meine Bestrebungen waren, den Dom für alle zu öffnen, aber das hieß nicht, der Dom ist offen für alles.

Die Stufen und Hindernisse, die Kirche zu betreten, sollten niedrig sein. Der Zulauf ging über die Stadtgrenze hinaus. Z.B. für den jährlich stattfindenden Glaubenskurs meldeten sich bis zu 80 Leute, die größtenteils aus anderen Gemeinden kamen, an. Das weckte Neid einiger Nachbarpfarrer, und es folgten kirchenjuristisch harte Auseinandersetzungen. Ich sei nicht berechtigt, mit Menschen außerhalb der Domgemeinde zu arbeiten und sie im Glauben zu unterweisen. Ich sollte dafür entsprechende Genehmigungen einholen, die auch hätten verweigert werden können. Ich gründete auch einen akademischen Gesprächskreis mit Ehepartnern, der in Absprache reihum in den Wohnungen zusammenkam. Den Teilnehmern wie Dr. Arndt Ludwig, Thomas Haller, Dr. Andreas Kottusch, Dr. Richard Böhme, Stefan Siegel, Ralf Liebig, Dr. Bernd Engelmann und Detlef Hoffmann bereitete es keine Mühe, eigene Themen aus ihren Fachgebieten beizusteuern und zur Diskussion zu stellen. Später stieß der Kirchenvorsteher Alfred B., der als einziger bei mir nach so einem Kreis anfragte, dazu.

Für alle Beteiligten war es eine Bereicherung, bestimmte Probleme angstfrei aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und zu erörtern. Derartige interdisziplinäre Gespräche fanden in der DDR-Gesellschaft nicht statt. Die Stasi hat sofort für den Gesprächskreis eine operative Personenkontrolle (OPK) „Forum" angelegt, um die Personen aufzuklären und die „politische Untergrundtätigkeit" zu dokumentieren. Es wurde auch versucht, mehrere IM einzuschleusen. Von den kirchlichen Angestellten im Verkündigungsdienst waren es die beiden Gemeindehelferinnen Dorothea Schröter und nach ihrem Weggang Ute Böhme, die meinen offenen Umgang mit den Menschen nicht nur unterstützten, sondern diesen als eine normale, selbstverständliche und wichtige Arbeit der Kirche ansahen. Ende der 80er Jahre sind dann etliche dieser Kreise in die ökumenische Bewegung des Konziliaren Prozesses mit den drei Themen^ Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung eingeflossen. Erwin Killat war der Motor dieser Bewegung in Zwickau.

Über 35 Kirchgemeinden wurden angesprochen, ob sie ein juristisches Dach für diese Bewegung von unten sein wollten. Die Kirchenvorstände bzw. Gemeinderäte, denn es wurden nicht nur die Gemeinden der Landeskirche, sondern auch die Katholiken und Methodisten gefragt, haben alle abgesagt. Ihnen waren diese Themen zu brisant. Diesen Menschen wurde ein Makel nachgesagt, sie seien Unruhestifter oder Querulanten. Sie waren unruhige Geister, die keiner haben wollte, weil sie etwas verändern und bewegen wollten in der sozialistischen Gesellschaft. Es war der Kirchenamtsrat Andreas Richter, der es ermöglichte und juristisch durchsetzte, dass diese Bewegung als Friedensbibliothek im Neuplanitzer Gemeindehaus auf der Ossietzkystraße einen festen Ort erhielt. So war es die Bewegung des Konziliaren Prozesses, die zur Keimzelle der Zwickauer friedlichen Revolution wurde und die Bevölkerung am 14. Oktober 1989 zum ersten Friedensgebet im Dom einlud. Das Symbol Stacheldraht mit der brennenden Kerze stand dabei auf dem Altarplatz. Diese Ereignisse wurden bereits in der Publikation „Die letzten Jahre der DDR — Mein Alltag als evangelischer Pfarrer in Zwickau" veröffentlicht.

 

Disziplinierungen

 

Meine Arbeit mit Menschen, die am Rande der Gesellschaft standen oder unkonventionelle Ideen besaßen, passte nicht in das sozialistische Weltbild der Staatsorgane. Diese Arbeit wurde von den Staatsorganen als „feindliche Untergrundtätigkeit" angesehen. So wurde ich von der so genannten Staatssicherheit geheimdienstlich bearbeit. Für den auf mich gerichteten Operativen Vorgang (OV) wurde der Name „Kontrahent" gewählt. Damit wurde ich als Staatsfeind behandelt.

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Wie eine Spinne spannte die Stasi mit ihren Methoden ein unsichtbares Netz über meine Arbeit, mein Leben und meine Familie. Kaum ein Bereich blieb aus, den die Stasi nicht durchleuchtete. Ich wurde beobachtet, observiert, meine Post kontrolliert und das Telefon rund um die Uhr abgehört. Es wurden Informationen gesammelt, die gewöhnlich nur über inoffizille Mitarbeiter (IM) gewonnen wurden. Zielgerichtet und mit Auftrag versehen wurden sie von der Stasi eingeschleust, um bei mir das Vertrauen zu erschleichen. Sie kamen mit ihren Problemen zur Seelsorge oder zeigten Interesse an den Umweltproblemen oder an der Friedensarbeit. Etliche wollten „fromm" werden und meldeten sich für den Glaubenskurs an, um sich taufen und konfirmieren zu lassen. Wenn sie Kirchenmitglieder wurden, übernahm die Stasi die Bezahlung der Kirchensteuer. Es ließen sich sogar Ehepaare von mir im Dom trauen, damit über die Traugespräche und durch die Einladung zur Hochzeitsfeier ein familiäres Verhältnis entstehen sollte, um besser an Informationen zu kommen. Für die Trauung wurden sogar die Eheringe von der Stasi besorgt und bezahlt. Und sicherlich kam die Stasi auch für die Unkosten der Hochzeitsfeier auf. Auch wenn ich damals wie viele meiner Kollegen grundsätzlich mit einer staatlichen Überwachung rechnete, hatte ich mit solchen perfiden Methoden nicht gerechnet.

Ich bemühte mich, die Gemeindearbeit den tatsächlichen Verhältnissen anzupassen und von der realen Wirklichkeit auszugehen. Am Dom bestanden noch die Vorstellungen einer Volkskirche, was auch mit der geschätzten Statistik von ca. 5.000 Seelen belegt werden konnte. Keiner hatte sich bisher der Mühe unterworfen, die Gemeinde „zu durchforsten" und die Gemeindekartei von den so genannten „Leichen" zu säubern. Ich unterzog mich der Mühe und habe aus der Kartei die Personen und Familien entfernt, die nicht mehr in der Domgemeinde wohnten, verstorben oder weggezogen waren. Damals konnte man nicht über das Einwohnermeldeamt die genaue Einwohnerzahl erfahren, und es wurden auch nicht die Weg- und Zuzüge gemeldet. Ich bin von Haus zu Haus gegangen und habe die Hausbewohner mit der Kartei verglichen und musste am Ende feststellen, dass in der Kartei der Domgemeinde über 3.000 Namen genannt wurden, die nicht mehr Mitglieder der Domgemeinde waren. Die Kartei wurde auf etwa 1.500 Seelen korrigiert. Ich konnte auch belegen, dass sich die Domgemeinde aus fast 60% Rentnern zusammensetzte.

Meine damaligen Vorstellungen von Gemeindearbeit und von der Zukunft der Kirche habe ich im so genannten Hugo-Hahn-Wettbewerb festgehalten. Die Landeskirche rief in diesem Wettbewerb auf, dass jeder schriftliche Vorstellungen einreichen kann, wie es mit der Kirche in der säkularisierten Gesellschaft weitergehen könnte. Ich beteiligte mich daran und schrieb meine Ideen, Erwartungen und Visionen auf. Ich schilderte, dass sich die DDR-Kirche in einer Phase der Implosionen, deren Ende nicht abzusehen ist, befindet und belegte es mit der konkreten Dom-Statistik. Den Statistikbetrug, bei dem drei Pfarrer angefordert werden konnten und genehmigt wurden, habe ich mit aufgenommen und habe auch die daraus entstehenden Folgen der Pfarrstellenüberbesetzung erörtert. Ich sah in einer situativ-missionarischen Verkündigung eine Möglichkeit, dass es mit der Kirche aufwärts gehen könnte. Als Beleg schilderte ich die konkrete und hoffnungsvolle Arbeit am Dom. Einen Preis erhielt ich nicht, aber dafür hat sich die Stasi sehr für diese Arbeit interessiert. Sie hat sie über IM erhalten, diese analysiert, mit ihr gearbeitet und Superintendenten Günther M. zugespielt, was ich erst nach der Akteneinsichtnahme entdeckte.

 

 

Der Operative Vorgang (OV) „Kontrahent", der nach den Vorschriften der Stasi angelegt wurde. Die Paragrafen des Strafgesetzbuches, wonach die Stasi ihre konspirative Arbeit auszurichten hatte, wurden mit aufgeführt.

Als ein Beispiel sei die Neubesetzung der 3. Pfarrstelle im Jahr 1986 erzählt: Es war mir damals unverständlich, weshalb Rudolf H. auf die 3. Pfarrstelle am Dom gesetzt wurde, die Pfarramtsleitung übernahm und den Vorsitz des Kirchenvorstandes erhielt. Aus der Sicht der Landeskirche sei die Besetzung dringend nötig gewesen, um die Arbeiten am Dom zu entlasten. Meine Einsprüche änderten nichts. Aus den Akten der Staatssicherheit kann ich heute entnehmen, dass die Landeskirche und auch die Staatsorgane sehr daran interessiert waren, dass mit dem neuen Pfarrer eine Art Gegenpol gesetzt werden sollte, damit das „gute Staat-Kirche-Verhältnis" erhalten bleibt und gefördert werde. Die Stasi verfolgte zudem noch eine weitere Absicht: innerkirchliche Spannungen und Konflikte sollten entstehen und geschürt werden. Die Kirche sollte sich auf diese Weise mit sich selbst beschäftigen und — wie es im Stasijargon hieß — selbst „zersetzen".

Der OV „Kontrahent" dokumentiert das Ziel der Staatsorgane, mich vom Dom wegzubringen. Die Akteneinsicht macht es möglich, die durchtriebene Arbeit der Staatsmacht zu beschreiben, auch wenn die Akten natürlich nicht „die Wahrheit" enthalten, sondern die Ereignisse in einer bestimmten Perspektive und mit einer bestimmten Absicht festhalten. Daher ist es wichtig, dass die damals Beteiligten die Akten kritisch lesen, damit die damaligen Ereignisse an Schärfe gewinnen. Die konspirative Arbeit der Stasi war so angelegt, dass der Landeskirche Informationen zugestellt wurden, die sie dazu nötigten, mich dienstrechtlich zu disziplinieren und aus Zwickau zu versetzen. So wurde ich von meinen kirchlichen Vorgesetzten viermal „weggelobt". Oberlandeskirchenrat Dr. Martin Seh. und der Konventsvorsitzende Jobst-Christoph H. würdigten meine hervorragende Arbeit, die aber bei den Zwickauern und in der Domgemeinde nicht ankommen würde. Es sei doch eine vergebliche Mühe, mich hier aufzuopfern. Ich sollte meine Fähigkeiten an anderen Orten umsetzen und dorthin gehen. So wurden mir auch entsprechende Angebote unterbreitet. Ich konnte dieses Wegloben in der damaligen Zeit nicht verstehen.

Drei Disziplinierungen sind mir in guter Erinnerung geblieben und sind auch in den Akten gut dokumentiert. Im Frühjahr 1984 wurde der ehemalige Domküster Michael Paschold zu den Bausoldaten der Nationalen Volksarmee einberufen. Paschold hatte in seiner Wohnung ein Freundeskreis um sich geschart, der sich für ökologische Fragen interessierte. Der Kreis hatte durch die Einberufung kein Zuhause mehr, deshalb lud ich die Jugendlichen ins Domgemeindehaus ein. Sie nahmen das Angebot an. Daraus hat sich ein systematisch arbeitender Ökokreis gebildet. Weitere Jugendliche von der sozialdiakonischen Arbeit der Stadtmission, die von Diakon Frank Kirschneck betreut wurden, stießen hinzu. Der größte Teil nahm auch bei mir am Glaubenskurs teil und ließ sich taufen oder konfirmieren. Sie sahen in der Okogruppe ein Betätigungsfeld, in dem sie gesellschaftliches Engagement und eine christliche Wertorientierung umsetzen und Verantwortung übernehmen konnten. Jörg Banitz, der später nach dem Ausscheiden und Tod von Herrn Paschold Domküster wurde, hat den Ökokreis bis Herbst 1989 selbstständig geleitet.

Die Jugendlichen hatten sich die Aufgabe gestellt, die Bevölkerung auf die schlimmen Umweltprobleme, die totgeschwiegen wurden, aufmerksam zu machen und sie dafür zu sensibilisieren. Es wurden Umweltabende mit Kabarett, Bibel, Verkündigung und Meditation unter dem Thema „Es grünt so grün ... oder nimmt der Dreck die Farbe weg", organisiert. Die Schauspielerin Ute Zied" rich-Büning und das Musikerehepaar

 

(Foto: Lutz Hofmann) Die Ökogruppe. Die jungen Leute wollten in der DDR bleiben und sie verändern. Sie reisten mit ihrem Öko-Programm durch Westsachsen, um die Bevölkerung für Umweltfragen, die öffentlich nicht diskutiert werden durften, zu sensibilisieren. Wegen ihrer Aktivitäten wurden alle bei der Stasi erfasst und von ihr bearbeitet.

Ronny und Conny Hofmann haben mit ihren Fähigkeiten die Jugendlichen ausgebildet, öffentlich aufzutreten. Das Programm wurde u.a. in Zwickau, Schneeberg, Annaberg, Glauchau, Werdau, Mee-rane, Hohenstein-Ernstthal und auf kirchlichen Jugendtagen aufgeführt. Dabei wurde u.a. auch ein Erlenmeyer-Glaskolben mit Muldenwasser herumgereicht, aus dem ein stechender Geruch ausströmte und ein verdorrter Tannenbaum gezeigt, der auf das Waldsterben des Erzgebirges hinwies. Neben den Umweltabenden sind verschiedene Arbeitseinsätze organisiert worden, die über den Rat der Stadt innerhalb des Stadtgebietes stattfanden. Später wurden diese Einsätze fast nur auf dem Kirchengelände oder im Kirchenwald durchgeführt. Es dauerte nicht lange, bis der Superintendent und ich zum Oberbürgermeister Heiner Fischer ins Rathaus bestellt wurden. Es wurde mir vorgeworfen, dass ich mich in staatliche Angelegenheiten einmischte, da die Umwelt ausschließlich Sache des Staates sei; dass ich Angriffe auf den Sozialismus und den Staat provozierte; dass ich eine illegale Organisation bildete; dass ich das Veranstaltungsgesetz verletzte! dass ich die Jugendlichen aufputschte; dass es in der Kirche keine eigenständige Umweltpolitik geben dürfe; dass ich mich ausschließlich um religiöse Dinge zu kümmern habe und nur auf christliche Bürger Einfluss nehmen darf, damit diese einen ordentlichen Standpunkt erlangen.

Eine Folge dieses Gesprächs war, dass der Kirchenvorstand beschloss, ab jetzt die Ökogruppe offiziell zu einem festen Bestandteil der Domgemeinde zu machen. Ihr wurde der Name „Christ und Schöpfung" gegeben. Die wöchentlichen Veranstaltungen wurden in den Kirchenboten aufgenommen, und ich hatte offiziell die Verantwortung zu tragen. Die Basisgruppe wurde bei dieser Entscheidung weder einbezogen noch befragt, aber die Jugendlichen nahmen dankbar an, dass sich der Kirchenvorstand und der Superintendent schützend vor sie stellten. In dieser Situation war der Beschluss richtig. Man empfand eine wohltuende Fürsorge und Obhut. Die Arbeitsgruppe „Gottesdienste neu erlebt" löste innerkirchliche Schwierigkeiten aus, denn es waren keine herkömmlichen Gottesdienste. In den Akten wurde zwar nichts gefunden, dass diese Auseinandersetzungen von der Stasi gesteuert wurden, obwohl es den Anschein einer Stasimethode haben könnte. Jedenfalls musste viel Zeit und Energie aufgebracht werden, um einen Konsens zu finden.

Am Dom gab es zwei Kirchenmusiker: Kantor und Kirchenmusikdirektor Paul-Eberhard K. und Organist Günther M. Beide hatten etwas gegen neue Lieder und Gitarrenmusik. Die Debatte wurde bis zum Landeskirchenamt vorgetragen, um die Gottesdienste zu unterbinden. Weil die Verkündigung die Domäne des Pfarrers ist, habe ich wiederum als eine Art Konr promiss darauf bestanden, dass diese musikalischen Elemente als ein Teil der Predigt anzusehen seien. Dieses Recht habe ich mir als Pfarrer nicht nehmen lassen. Hervorheben möchte ich den Gottesdienst zum Michaelistag 1986. Er wurde vorbereitet und gestaltet unter dem Thema: „Kinder an die Macht." Das ist der Titel eines Liedes von Herbert Grönemeyer und dazu sollte seine Schallplatte abgespielt werden. Für die Kirchenmusiker war die Schallplatte eine Konserve, die nichts im Dom zu suchen hatte. Ich habe dann diesen Titel während der Predigt einspielen lassen. Aber es muss auch zum Organisten gesagt werden, dass er oft seine Bedenken zurückstellte und die Gottesdienste mit seinen unvergesslichen Orgelimprovisationen bereichert hat.

Im Vorfeld des Gottesdienstes hatte ich mich mit der Jugendfürsorgerin Charlotte Liebold und dem Staatsanwalt Hubert Seelinger auseinandergesetzt. Ich erhielt konkrete Informationen von der wirklichen Situation der Problemkinder aus Zwickau. Diese Tatsachen habe ich im Gottesdienst dargelegt und angesprochen. Als besondere Aktion sind im Gottesdienst Pakete und Päckchen gepackt worden, die an elternlose Kinder in Kinderheimen geschickt wurden. Elemente dieses Gottesdienstes sollten auch zum Nationalfeiertag der DDR am 7. Oktober, an dem der Dom für die Bevölkerung geöffnet war, eingebracht werden. Einen Tag vor dem Nationalfeiertag wurden der Superintendent und ich zu einem Gespräch zum Oberbürgermeister geladen. Er stellte fest, dass der Gottesdienst „Kinder an die Macht" ein Angriff auf den sozialistischen Staat war und das sozialistische Gesundheitswesen und die Sozialpolitik der DDR verleumdet wurden. Ich hätte u.a. gesagt, dass in Zwickau jährlich zwischen 600 bis 800 Schwangerschaften legal unterbrochen werden und dass das Mord an wehrlosen Menschen sei; dass das jüngste geschlechtskranke Kind neun Monate alt sei, weil der leibliche Vater, der geschlechtskrank war, sich an ihm vergangen habe. Der Oberbürgermeister sagte, ich würde mich in staatliche Angelegenheiten einmischen und den Staat diffamieren. Ich würde strafbare Handlungen und Verbrechen decken, die einer Anzeigepflicht unterlägen. Ich würde nicht die Wahrheit sagen, weil das in der Stadt nicht geschehen sei. Ich wäre der einzige Zwickauer Pfarrer, der das gute Staat-Kirche-Verhältnis störe. Deshalb werde er als Bürgermeister dem Landeskirchenamt mitteilen, meine Versetzung zu veranlassen. Der Superintendent wies sofort die Anschuldigungen zurück und schrieb später noch einen Brief, in dem er betonte, dass die öffentliche Verkündigung auch auf gesellschaftliche Prozesse einzugehen habe, dass die negativen Beispiele den Staatsorganen bekannt seien und erinnerte daran, dass ich als Pfarrer einer seelsorgerlichen Schweigepflicht unterläge und keine vertraulichen Informationen weitergeben darf. Am Ende des Gespräches war ich erstaunt, als der Oberbürgermeister eine andere Tonart einschlug und wohlwollend mit dem Superintendenten sprach und dann einen Scheck mit den vierteljährlichen Staatsverpflichtungen in Höhe von 16.854,00 M überreichte.

Nach diesem Gespräch wurden die staatlichen Anschuldigungen im Vorbereitungsteam des Gottesdienstes diskutiert und ausgewertet. Wir kamen überein, bestimmte kritische Sachthemen am 7. Oktober wegzulassen und nur ein reduziertes Programm anzubieten. Das war die Folge des Gespräches und sicherlich ein erster Erfolg der Staatsorgane! Von Liebold und Seelinger erfuhr ich später, dass sie von den Staatsorganen wegen diesen Informationen zur Rechenschaft gezogen wurden. Und Seelinger meinte sogar, als er deswegen später aus der Funktion als Staatsanwalt abgelöst wurde, es würde mit dem vertraulichen Umgang mit mir zusammen hängen.

Im Dom kamen seit Februar 1988 zum Abendgottesdienst immer mehr Ausreiseleute (so genannte A-Leute). Es waren Menschen, die einen Antrag auf Übersiedlung nach dem Westen gestellt hatten und lange Zeit auf Bescheid dieses Antrages warten mussten. In der Wartezeit traten oft Härtefälle ein, und die A-Leute waren nicht selten staatlichen Schikanen und Diskriminierungen ausgesetzt. Sie erhielten Berufsverbot, lebten am Existenzminimum oder konnten nicht mehr ins sozialistische Ausland fahren. Sie versuchten auf ihre Situation aufmerksam zu machen, indem sie stumm in der Öffentlichkeit demonstrierten. So standen sie beispielsweise schweigend vor dem Gebäude, in dem sich die Abteilung Inneres befand, die die A-Anträge zu bearbeiten hatte. Oder an ihren Autoantennen befestigten sie kleine weiße oder schwarze Stofffähnchen als Zeichen, ob der Antrag genehmigt oder abgelehnt wurde. Die Bevölkerung kannte die Bedeutung der Symbole wie auch das große „A" auf der Heckscheibe der Autos von A-Leuten. Das „A" bedeutete nicht Anfänger, sondern der Fahrer hatte den Antrag auf Ausreise gestellt. Die Fähnchen und das „A" waren unerlaubte Sichtelement, die mit Ordnungsund Gefängnisstrafen geahndet wurden. Zuerst besuchten die Gottesdienste, die regelmäßig 18 Uhr am Sonntag im Dom stattfanden, die Ehepaare Roland und Petra Sarfert sowie Reinhard und Karin Tschentscher. Zu den nächsten Gottesdiensten brachten sie weitere A-Leute sowie ihre Ehepartnern und z. T. auch ihre Kinder mit. Nur einige sollen genannt werden wie Stephan Will, Werner Borik, Sylvia Heymer, Detlef Büchner, Dr. Bernd Schettler, Gudrun von Kersten, Dr. Ulrich Pflug, Sabine Lajer, Renate Rönnecke, Gisela Voß und Dieter Herrmann. Die A-Gottesdienste sprachen sich schnell herum, und so kamen von Sonntag zu Sonntag immer mehr Antragsteller zusammen, die teilweise mit der Kirche nie etwas zu tun hatten.


Die A-Leute haben in der DDR-Gesellschaft aber auch von der Bevölkerung erleben müssen, dass sie wie Aussätzige behandelt wurden. Jedoch zu den A-Gottesdiensten hatten sie das Gefühl, verstanden zu werden. Es wurde versucht auf ihre besonderen Probleme einzugehen und anstehende Fragen zu beantworten. Bis zu 400 A-Leute kamen zusammen. Diese Größe konnte die Stasi nicht in den „Griff bekommen, weil sie geheimdienstlich nicht mehr beherrschbar war. Es war nicht mehr möglich, dass alle fotografiert, dokumentiert, observiert, identifiziert und entsprechende operative Maßnahmen eingeleitet werden konnten. Die Stasi war überfordert und musste neue Wege und Methoden der konspirativen Bearbeitung einsetzen. Ich setzte mich u.a. dafür ein, dass nicht nur ein regulärer Abendgottesdienst abgehalten wurde, sondern dass auch die Nöte und Sorgen dieser Leute aufgenommen werden und zur Sprache kommen. So wurden neben dem Gottesdienst Informationen, Nachgespräche, Seelsorge und Rechtsberatungen angeboten. Bei Notlagen, wenn z. B. der Familienvater wegen Nichtigkeit eine Gefängnisstrafe absitzen musste, wurden finanzielle Unterstützungen gegeben. Weiterhin wurde eingeladen zum Glaubenskurs, zu Gemeindeveranstaltungen, zu Arbeitseinsätzen im Pfarrwald, zur Domreinigung oder zu den Treffen der Friedensbibliothek des Konziliaren Prozesses. Die Zwickauer A-Leute waren besonnen, weil sie spürten, am Dom wird ehrlich um Demokratie und Menschlichkeit gerungen. Diese Möglichkeit der Freiheit wollten sie nicht durch unbedachte Aktionen kaputt machen. Dieser Gottesdienst wurde auch ökumenisch eingebunden, damit die Verantwortung auf breiteren Schultern lag.

Die Amnestiegruppe hatte am 8.6.1988 zum „Gottesdienst neu erlebt" unter dem Thema: „Entlassen — und wie weiter!?" eingeladen und sehr viele A-Leute waren erschienen. Dabei stand mitten im Dom die brennende Kerze hinter Stacheldraht.

Die Gruppe schilderte konkrete Einzelschicksale und verlas auch eine Liste von Strafgefangenen, die sich aus Kriminellen und A-Leuten zusammensetze. Für sie wurde gebetet. Die Kollekte, die sehr hoch war, war für die Amnestiearbeit bestimmt. Zum Schluss konnte jeder, der wollte, eine Adresse mitnehmen, um mit Inhaftierten Kontakt aufzunehmen. Die Gottesdienste bereiteten den Staatsorganen und der Stasi große Kopfschmerzen, weil sie die Konzentration der staatsfeindlichen Elemente zurückgedrängt werden musste. Und so wurden operative Maßnahmen eingeleitet, in denen zunehmend so genannte „gesellschaftliche Kräfte" eingebunden wurden.

Am 21. Juli 1988 wurden der Superintendent und ich ins Landeskirchenamt nach Dresden zitiert. Oberlandeskichenrat Dr. Martin Sch. und Peter Z. sowie Oberkirchenrat Johannes R. saßen uns gegenüber. Für mich war dieses Treffen kein Gespräch, sondern eine Disziplinierung. Mir wurde vorgeworfen, dass meine Predigten zu den Abendgottesdiensten bei den staatlichen Stellen Anstoß erregt hätten und das gute Staat-Kirche-Verhältnis trübten. Das sei dem Landeskirchenamt im letzten Gespräch mit den Staatsorganen auf dem Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt mitgeteilt worden. Dort seien auch Predigtauszüge von mir vorgelesen worden. Es sei klipp und klar gesagt worden, dass ich durch diese Äußerungen die legitime Ebene der christlichen Verkündigung verlassen habe. Ich habe fragwürdige wie staatskritische Äußerungen getan, die der Staatsanwalt verfolgen könnte. Das Landeskirchenamt könnte sich nicht erklären, weshalb ich mich der Not dieser A-Leute annähme. Ich würde an mangelnder Selbstbestätigung leiden und deshalb mich um diese Menschen kümmern. Unvergesslich ist mir das Bildwort vom Gebietsdezernenten Dr. Seh., dass ich ein Mann sei, der gern den Löwen in den Schwanz zwicke.

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Ich wurde darauf hingewiesen, dass dieses zukünftig zu unterbleiben sei, zumal die staatliche Seite der Kirche angeboten hätte, bestimmte Anträge auf Übersiedlung, bei denen Härtefalle eingetreten seien, einzureichen und sie wohlwollend zu prüfen. Dieses sei ein Entgegenkommen und wohlwollendes Angebot des Staates und eine Chance für das Landeskirchenamt, um mit dem Staat im Gespräch zu bleiben und damit auch Ein-fluss auf den Staat und deren Entwicklung nehmen zu können. Die Anträge könnte sogar Superintendent M. vorlegen. Der entstandene Gesprächsfaden und das aufgebrachte Vertrauen von Seiten des Staates dürfte nicht durch meine Unbedachtsamkeiten durchschnitten werden. Ich wurde von Z. und R. ermahnt, künftig keine politischen Ansprachen zu halten und meine Arbeit und meinen Umgang mit den A-Leuten zurückzunehmen. Ich hatte das Gefühl, hier werde mit Zuckerbrot und Peitsche gearbeitet. In den nächsten Tagen verlangte der Superintendent von mir genaue Personalien und konkrete Einzelheiten von Härtefällen der A-Leute. Ich erstellte eine Liste von Namen, die bereits zum „Gottesdienst neu erlebt" am 8. Juni verlesen wurden. M. durfte sie Rechtsanwalt Dr. Peter Wetzig, der sich als IM „Dr. Peters" bzw. „Sascha" verpflichtet hatte und ein Unterhändler von Rechtsanwalt Professor Dr. Wolfgang Vogel war, vorlegen. Nach einer gewissen Zeit konnten diese Personen oder Familien ausreisen. Es war ein Weg der „stillen Diplomatie" gefunden — aber es war ein finanziell lukrativer „Menschentransfer". Später konnte ich dem Superintendenten weitere Härtefälle übergeben. Er führte die Verhandlungen mit dem IM-Rechtsanwalt stets allein, aber sie wurden von der Stasi aufgezeichnet und danach ausgewertet. Auch in der CSSR fanden Gespräche statt. Zwei Vorsichtsmaßnahmen sollen die eigene Unsicherheit dieser Zeit charakterisieren. Ich hatte das Gefühl, beobachtet


und abgehört zu werden. Vor dem Haus stand sehr häufig im Parkverbot ein PKW Lada. Beim Telefonieren wurden Knackgeräusche oder sogar fremde Stimmen gehört. Mein Schwager Wolfgang Schreiber war Elektroniker im Atomforschungszentrum Roßendorf. Von dort brachte er einen Frequenzselektiv-Messempfänger mit und hat unsere Wohnung nach „Wanzen" gründlich abgesucht. Auch die Arbeitszimmer vom Superintendenten und vom Pfarramtsleiter wurden untersucht, aber es wurde nichts gefunden. Ich rechnete mit Verhaftung, und dass mir ein Verfahren wegen Staatsfeindlichkeit angehangen werden könnte.

Für diesen Fall habe ich eine Art Benachrichtigungskette aufgebaut, damit es bekannt und eine Öffentlichkeit hergestellt werde. Meine Frau sollte nicht nur den Superintendenten unterrichten, sondern auch meine Schwester Christine Schreiber, Pfarrer Günther Kreusel und Diakon Christian Albrecht. Sie hatten von mir eine Adressenliste und Telefonnummern erhalten, damit sie dann umgehend Freunde im Westen informieren sollten. U. a. wollten der Physiker Dr. Thomas Görnitz, mein Schwager Hans-Georg Heber, die beiden Pfarrer Bernd Hofmann und Klaus Vetter alles in ihren Kräften tun, dass die Verhaftung bekannt und meiner Familie geholfen werde. Gott sei gedankt, dieser Eventualfall trat nicht ein!

Während dieser Zeit entwickelten sich auch gute Beziehungen zwischen der Ingenieurhochschule und dem Dom. Die Gebäude lagen in unmittelbarer Nähe. Es war für die damalige Zeit erstaunlich, dass der Dom, das Gemeindehaus und die Pfarrhäuser über die Hochschule an die Fernwärme angeschlossen werden konnten. Auf unterschiedlichsten Ebenen wurden konstruktive Sachgespräche geführt, und die Betreuung der Baumaßnahmen übernahmen dortige Bauingenieure. Auch wurde ein kirchliches Gebäude neben dem Domgemeindehaus an die Hochschule verkauft.

(Foto privat) Meine Frau Renate Käbisch

Sie hat die Höhen und Tiefen meines Berufes mitgetragen. Als unbezahlte Pfarrfrau wurde ihr Dienst von der Landeskirche als selbstverständlich angesehen und ihr wurde zur offiziellen Verabschiedung nicht einmal gebührend gedankt. Wegen meiner Arbeit wurde sie von der Stasi mit dem Operativen Vorgang (OPK) „Verführer" bearbeitet.

So konnte u. a. auch der Wartungsingenieur Alfred B., der zugleich Kirchenvorsteher in der Domgemeinde war, vor den Studenten und dem Lehrkörper über sein Christsein in der DDR und sein christliches Engagement sprechen. Davon wurde sogar in der Zeitung berichtet.

Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte, dass die Phase einer neuartigen Kirchenbearbeitung angelaufen war. Die Stasi hatte eine Methode entwickelt und erarbeitet, bei der die eigenen Kirchenleute gegeneinander vorgehen sollten, um Querulanten auszuschalten. Dabei ging es nicht grobschlächtig zu, sondern feinfühlig, grazil und sanft. Der Weg einer geheimen Menschenführung wurde beschritten, bei dem die neuesten Erkenntnisse der Psychologie (im Stasijargon „operative Psychologie") Anwendung fanden. Gewöhnlich wurde über IM herausgefunden, wo Menschen ihre Schwachstellen hatten. Bis in die Privat- und Intimsphäre wurde vorgedrungen und dokumentiert, um zu wissen, was verborgen und versteckt werden sollte, damit die Öffentlichkeit nichts davon erfährt.

Mit diesem Material wurden viele verletzbar und erpressbar. Damit hat die Stasi gearbeitet und operative Maßnahmenpläne für die konkreten Personen zugeschnitten und ständig aktualisiert. Es wurden IM ausgewählt, die Vertrauen oder Ein-fluss besaßen. Sie wurden von der Stasi geschult, beauftragt und eingesetzt. Ihre Aufgabe bestand darin, dass Entscheidungsträger, die keine IM waren, so geführt werden sollten, dass sie Entscheidungen und Handlungen herbeiführten, als wären sie von ihnen selbst gekommen. Die eigenen Empfindungen und Gedanken der Entscheidungsträger sollten verstärkt oder eingedämmt werden, damit die staatliche Erwartungshaltung zu der eigenen Meinung wird. Der Gedanke, dabei etwas Gutes zu tun, wurde verinnerlicht.


So wurde Einfluss - Gehirnwäsche - ausgeübt. Diese Vorgehensweise ist schwer zu beweisen. Hier wurden menschliche Werte verletzt und christliche Ideale unterlaufen. Es ging nicht um Aufrichtigkeit, Klarheit und Bekenntnis, sondern es handelte sich um Zwischentöne und Halbheiten. Die Handlungsweise spielte sich in einer Grauzone ab, und man kann auch heute kein juristisches Vergehen entdecken oder gar eine Straftat feststellen. Diese diffuse Situation gehört mit zu den Langzeitschäden der Stasi. Wer ein moralisches Empfinden besitzt und eine christliche Sensibilität bewahrt hat, der sieht die Unlauterkeit dieses Geschehens. Das war heimlicher Verrat. Dieses Verhalten vergiftete das Miteinander und zerstört bis heute Vertrauen. Das soll in diesem Abschnitt behandelt werden.

Neue Stasi-Methoden

 

Als die Stasi mit dem OV „Kontrahent" ihre Ziele nicht erreichte, wurde noch eine operative Personenkontrolle (OPK) „Verführer" und ein OV „Kammer" angelegt.

Die OPK betraf meine Frau: Die Stasi versuchte mit geheimdienstlich geplanten Maßnahmen, einen Ehebruch zu organisieren. Dabei sollte kompromittierendes Material dokumentiert werden, um damit „kirchenleitende Kräfte zu zwingen, Maßnahmen gegenüber Pf. Dr. Käbisch einzuleiten bzw. seine Versetzung zu erwirken". Dafür wurde ständig das Telefon abgehört, zudem sollten Wanzen eingesetzt werden. Die zu erstellende Dokumentation hatte die Abteilung VIII vorzunehmen. Weiterhin sollten IM für „operative Kombinationen" eingeschleust werden, damit eine „Offiziellmachung und Beweisbarkeit" des Ehebruches gegenüber der Landeskirche erfolgen konnte. —Aber meine Frau blieb treu und konnte nicht verführt werden! Im November 1989 wurde die Akte abgelegt. Beim Lesen dieser OPK gewinnt man den Eindruck, als sei diese Vorgehensweise ein normales Druckmittel der Staatsorgane, um Einfluss auf unliebsame Pfarrer zu nehmen.

 

Der OV „Kammer" wurde auf den Zwickauer Kirchenvorstand, dem ich angehörte, angelegt. Dieser OV liest sich teilweise wie eine IM-Akte, denn dem Kirchenvorstand sollte nicht eine strafbare Handlung nachgewiesen werden, sondern er sollte staatliche Erwartungshandlung umsetzen. Die anderen beiden Pfarrer

— Superintendent Günter M. und Pfarramtsleiter Rudolf H. — und die einzelnen zehn Glieder des Kirchenvorstandes sollten so von der Stasi geführt werden, dass sie selbständig und freiwillig gegen mich und auch gegen die feindlich-negativen Kräfte des Konziliaren Prozesses vorgehen sollten. Der Grund war, dass am Sonntag im Dom Abendgottesdienste mit A-Leuten durchgeführt wurden und es zu einer Konzentration der Antragsteller gekommen war. Diese Leute sollten zurückgedrängt werden. Im Eröffnungsbericht des OV vom 15. Juli 1988 wurde Folgendes formuliert:

„Aufgrund der Bedeutung des Kirchenvorstandes hinsichtlich seiner Rechtsposition in der Gemeinde und damit auch der Möglichkeit des Kirchenvorstandes, die Aktivitäten von Pfarrer Dr. Käbisch (Verdächtiger des OV „Kontrahent" der KD Zwickau) zur Anheizung der Situation mit den Antragstellern auf Übersiedlung durch Mehrheitsbeschlüsse zu unterbinden, gewinnt die vorgangsmäßige Bearbeitung der Kirchenvorstandsmitglieder Schwerpunktcharakter innerhalb des Zurückdrängungsprozesses dieser Erscheinungen." Drei Ziele sollten angestrebt werden.

1. Der Kirchenvorstand sollte Mehrheitsbeschlüsse fassen, um mein Wirken kalkulierbarer zu machen.

2. Pfarramtsleiter H. sollte in seiner Haltung bestärkt werden, gegen mich vorzugehen.

3. In gleicher Weise sollte der Superin-

tendent zu konkreten Handlungen veranlasst werden, meine Aktivitäten zu unterbinden. Im OV sollten keine Beweise einer Straftat erbracht werden. Dazu fehlten die Angaben der Paragraphen des Strafgesetzbuches, die das Anlegen des OV begründet hätten. Sondern im Eröffnungsbericht wurde hervorgehoben, die Grundlage bildete die Weisung vom Leiter der Bezirksverwaltung KarlMarx-Stadt Generalleutnant Siegfried Gehlert Die Zielstellung wurde eindeutig definiert, dass der Kirchenvorstand so beein-flusst werden sollte, um selber von sich aus den Missbrauch der Sonntagabendgottesdienste durch die Antragsteller zu unterbinden und abzusetzen. — Erstaunlich ist, dass sich die Stasi um die korrekte Ordnung und Durchführung eines Gottesdienstes kümmerte und dass die Kirchenleute dazu gebracht werden sollten, gegen ihre eigenen Leute vorzugehen! Nicht der Staat wollte sich die Finger schmutzig machen. Der Kirchenvorstand sollte veranlasst werden, demokratische Mehrheitsbeschlüsse im Sinne des Staates zustande kommen zu lassen. Über diesen Weg sollte die Kirchenpolitik des Staates durchgesetzt werden. Somit ist dieser OV ein wichtiges Dokument, dass in Zwickau ein neues Modell der Stasibearbeitung ausprobiert wurde. Der Dom wurde zu einer Art Experimentierplatz oder Spielwiese einer neuen Stasimethode. Die Stasi war mit dem Ergebnis sehr zufrieden, denn diese Methode wurde in einer Dienstbesprechung am 31. August 1989 vom Minister Erich Mielke extra hervorgehoben und gerühmt, weil die eingesetzten gesellschaftlichen Kräfte hervorragende Leistungen vollbracht hätten. Diese Methode sollte nun DDR-weit angewandt werden. Die Arbeit am Dom war für die Stasi eine Herausforderung und sie bekämpfte sie mit nie da gewesenen geheimdienstlichen Methoden. Deshalb lohnt es sich, diesen OV ausführlicher darzustellen wird.

Die beiden Kirchenvorsteher Alfred B. und Dr. Heinz F., die die Wortführer im Kirchenvorstand waren, wurden für die Machenschaften der Stasi ausgesucht und als geeignet angesehen. Dazu wurde folgender Weg beschritten. Beide waren Mitarbeiter der Zwickauer Hochschule. Der Rektor Professor Dr. Horst Aurich, der zugleich IM „Winkler" war, wurde von der Stasi beauftragt, mit den beiden Kirchenvorstehern ein Vertrauensverhältnis herzustellen und mit ihnen über Kbr cheninterna zu reden. Dafür wurde der langjährige und fähige IM „Winkler" extra von der Stasi instruiert und verpflichtet. In einem vertrauensvollen Klima sollte in Einzelgesprächen vermittelt werden, dass der Staat nichts in der Kirche verbieten wollte, da der Staat sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirche einmischen und sich strikt an die Abmachungen des 6. März 1978 halten werde. Aber es läge an den Kirchenleuten, einen Missbrauch der Kirche — wie z.B. die Gottesdienste mit den A-Leuten - zu unterbinden. Sie als Kirchenvorsteher wären in der Lage, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um ein Verbot der Abendgottesdienste auszusprechen. Sie tragen die Verantwortung dafür, wie das zukünftige Staat-Kirche-Verhältnis aussehen werde. Bei den beiden Kirchenvorstehern traten durch die vertrauensvollen Gespräche sukzessiv eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung ein. Ihnen wurde das Gefühl vermittelt, dass sie durch die A-Leute missbraucht werden und dadurch der Kirche schaden würden. Es läge an Pfarrer Dr. Käbisch, der die Situation weiter anheizen würde und sich zu sehr um diese Leute kümmerte und dabei die eigenen Leute vernachlässigte. So wurden sie als gewählte Vertreter der Kirchgemeinde an ihre Verantwortung appelliert. Sie sahen sich verpflichtet, umgehend zu handeln.

Sie erreichten, dass im Kirchenvorstand heiße Debatten über meine Arbeit geführt und auch Einschränkungen und Verbote ausgesprochen wurden. Aber eine generelle Absetzung der Sonntagabendgottesdienste konnte verhindert werden, weil sich der Superintendent M. dagegen aussprach.

Damit die Aktivitäten der „provokatorisch-demonstrativen Kräfte" am Dom und der kirchlichen Basisgruppen des Konziliaren Prozesses vorbeugend verhindert werden sollten, wurde im Januar 1989 ein Einsatzstab unter der Leitung des 1. Sekretärs der SED-Kreisleitung Helmut Repmann ins Leben gerufen. Das war eine qualitativ höhere Stufe der Kirchenbearbeitung und -beeinflussung. Neben der Stasi mussten geeignete gesellschaftliche Kräfte zum Einsatz kommen, durch die die Kirchenvorsteher und Pfarramtsleiter so geführt werden, dass sie dann von sich aus gegen die „feindlich-negativen Personen, [...] die absolut nichts mit der Verkündigung des Evangeliums zu tun haben", vorgehen.

Der Pfarramtsleiter wollte im Frühjahr 1989 wegen den Spannungen und Auseinandersetzungen mit mir die Gemeinde verlassen und wurde bereits als Pfarrer in Zöblitz gewählt und abgeordnet. Den Staatsorganen und der Stasi gelang es jedoch, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Es gelang mit geheimdienstlichen Methoden in das Versetzungsverfahren einzugreifen, ohne das offiziell erkennbar wurde, dass hierbei die Stasi ihre Finger im Spiel hatte. Beachtenswert dabei ist die Tatsache, wie gesellschaftliche Kräfte, die nichts mit der Kirche zu tun hatten, sich plötzlich um das Wohl der Kirche sorgten. Sie zeigten ihr Bedauern am Weggang des progressiven Pfarrers, weil sich dadurch die Sache der A-Leute weiter verschlimmern würde und die negativen Kräfte des Konziliaren Prozesses ungehindert ausbreiten könnten. Auch andere Pfarrer wurden eingeschaltet — wie z.B. der CDU-Pfar-rer Theodor P. Besonders dem Zwickauer

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