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Edmund Käbisch
Das Fanal von Falkenstein
Eine
Studie über
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2007 255 + 50 Seiten mit Original-Stasiakten
wikipedia
Rolf_Günther 1937-1978 (41) detopia: Oskar Brüsewitz 1976 |
Am 17. September 1978 verbrannte sich der evangelische Pfarrer Rolf Günther während des Sonntagsgottesdienstes in Falkenstein vor den Augen von etwa 300 Gläubigen. Eine Verzweiflungstat in der Kirche, vor dem Altar, vor den Augen der eigenen Gemeinde, anstelle der Predigt — ein Fanal. Die Selbstverbrennung belastete das damals oft beschworene gute Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR, so dass beide Seiten — wenn auch aus sehr unterschiedlichen Motiven — daran interessiert waren, den Fall Günther nicht an die Öffentlichkeit zu bringen.
Inhalt Vorwort von Ingrid Ullmann (7) Einleitung (10) 10. Fazit (246) Dokumente (256) Literatur (282) Abkürzungen (289) Personenregister (293)
Lesebericht von Pfarrer Lehmann, Chemnitz https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Rolf_Günther_(Pfarrer)&action=edit&redlink=1
Zum
Titelbild Die in diesem Buch abgedruckten Dokumente und Bilder stammen zum Teil aus Privatbesitz und sind durchweg relativ alt. Daher ist es nicht immer möglich gewesen, sie in einer Qualität wiederzugeben, wie dies wünschenswert gewesen wäre. Autor und Verlag bitten hierfür um Verständnis. Die Präsentation dieses Buches fand am 8. Mai 2007 im Landgericht Zwickau statt. Musikalisches Rahmenprogramm mit Kompositionen von Renate Käbisch, gespielt von Mathias Eisenstein. Die vorliegende Studie rekonstruiert diese Episode der sächsischen Kirchengeschichte und ordnet sie in die politische, kirchliche und religiöse Situation der 1978er Jahre ein. Sie beleuchtet zum einen die Gründe für Günthers Verzweiflungstat, die auch mit der besonderen Situation der ev. Kirche in der DDR und den Aktivitäten der charismatischen Bewegung in Falkenstein zusammenhängen. Ein weiterer Aspekt ist das Verhalten des Staates und der Stasi. Letztere nutzte die Verzweiflungstat, um neue Methoden der Kirchenbearbeitung einzuleiten. Sie drang geheimdienstlich in die Kirche ein und wirkte auf sie ein, um sie im Sinne des Staates langfristig zu verändern. Mit dem Fanal begann eine neue Ära der konspirativen Kirchenbeeinflussung — besonders für die sächsische Landeskirche, die das Ziel hatte, die Kirche zu schwächen und in der Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen. Die von der Stasi eingeleiteten Maßnahmen haben eine Langzeitwirkung, die nicht zwingend mit dem Untergang des DDR-Regimes aufgehört hat. Heute scheint die Zeit reif zu sein, die Ereignisse um das Fanal und das schwierige Staat-Kirche-Verhältnis zu rekonstruieren, damit das Fanal von Falkenstein nicht zu dem wird, was die damaligen Machthaber mit ihren konspirativen Aktivitäten beabsichtigten: Das schnelle und folgenlose Vergessen einer Einzeltat. |
1. Das Staat-Kirche-Verhältnis im Jahr 1978 (17)
2. Der Konflikt in Falkenstein (33)
3 Die Selbstverbrennung als Zeichen (60)
4. Reaktionen auf die Selbstverbrennung (98)
5. Beerdigung und Gedenkveranstaltungen (132)
6. Die Rezeption der Selbstverbrennung in den heutigen Medien (147)
7. Die Instrumentalisierung der Selbstverbrennung durch Staat und Stasi (161)
8. Die Unterminierung der Volksmission (212)
9. Neue Methoden der Kirchenbearbeitung (221)
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Rolf Günther entrollte während seiner Selbstverbrennung ein Plakat mit der Aufschrift "wacht endlich auf!". Das Plakat wurde bei dem Brand am 17. September 1978 vernichtet. Ebenso verbrannte der Gonne-Altar, der im Hintergrund zu sehen ist. Die Stasi rekonstruierte dieses Plakat und hing es während der Untersuchung auf, um somit den Tatvorgang und die Hintergründe dieses Fanals aufklären zu können.
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Vorwort
von Frau Prof.Ingrid Ullmann
7-9
Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Zusammenarbeit zwischen DDR-Staat und Evangelischer Kirche im Zusammenhang mit der Selbstverbrennung des Pfarrers Rolf Günther in Falkenstein (Vogtland, sächsische Landeskirche) im Jahr 1978 und entfaltet den Konflikt zwischen Pfarrer Rolf Günther und den volksmissionarisch orientierten Amtsbrüdern in Falkenstein.
Günther hatte sich von Jugend auf für die Kirche engagiert und wurde in der krisenhaften Berufssituation in der Falkensteiner Gemeinde von ihr fallengelassen. So endeten sein Leben und sein Berufsweg als Pfarrer mit dem denkbar schlechtesten Ausgang — mit einem äußerst spektakulären Freitod aus Verzweiflung; in der Kirche, vor der versammelten Gottesdienstgemeinde. Er sollte für Kirche und Öffentlichkeit als Fanal dienen.
Damals wie heute stellt sich die Frage, wie die Evangelische Kirche mit diesem Konflikt umgegangen ist, und wie sie sich heute dazu verhält bzw. welche Schlüsse sie möglicherweise für ihr Konfliktmanagement daraus gezogen hat.
Die Studie zeigt Folgendes auf: Der offizielle Umgang der Kirche mit diesem Schicksal ist Schweigen. Und wer sich mit innerkirchlichem Mobbing befasst oder solche Vorgehensweisen selbst erlebt hat, kennt diese kirchlichen Verhaltensmuster. Schweigen, Verschweigen, auf Fragen nicht antworten; Schweigen auferlegen und in Vergleichen verankern, üble Nachrede dulden, wenn nicht gar zu verbreiten, sind Machtmittel, die von kirchlichen Amtsinhabern zum Teil bewusst eingesetzt oder zumindest in sogenannten „Ungedeihlichkeitsverfahren" zur Wartestandsversetzung von Pfarrerinnen und Pfarrern unwidersprochen toleriert werden.
In der Regel sind diese Methoden allemal bequemer als nachzufragen, Konflikte auszufechten, sich einzuschalten, Partei zu ergreifen, die Kirchenordnungen zu vertreten oder das eigene Tun in Frage zu stellen. Und sie haben wohl den erwünschten Nebeneffekt, den Raum der Kirche quasi als konfliktfrei und heilig und ihre Amtsinhaber als nahezu unfehlbar erscheinen zu lassen. Das makellose Produkt Heilige Kirche wird in Konfliktfällen mit der psychischen und physischen Gesundheit von Menschen erkauft. Doch das ist der Amtskirche gleichgültig - Hauptsache die Betroffenen schweigen.
Wer nun das Schweigen bricht, gerät selbst in Gefahr, stigmatisiert zu werden. Denn diejenigen, die ihre Kirchentage mit dem Bibelwort „Ihr seid das Salz der Erde" schmücken, verkraften kein Salz in ihrer eigenen, heilen Kirchenwelt. Sie zeigen mit dem Finger auf die Mitbrüder und Schwestern, die am Schweigen der Kirche leiden oder gar zerbrechen, und stempeln sie zu Verrätern oder auch gern zu psychisch Kranken. Und sie erkennen nicht, dass der Schaden an der Kirche nicht durch das Aussprechen von Fehlern oder durch das Verlangen nach Aufklärung entsteht, sondern gerade durch das eigene Verschweigen und Verleugnen von Konflikten.
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Und doch können immer mehr Menschen in dieser dünnen Luft nicht mehr atmen. Sie fragen nach den von der Kirche Verstoßenen und den Konflikten, die dahinter stehen. Sie fühlen sich als Gemeindeglieder verletzt, durch die Art und Weise, wie mit den Menschen umgegangen wird. Sie wünschen sich, dass die Kirche die Größe hätte, ihre Verstoßenen zu rehabilitieren. Sie zweifeln an dem eigenständigen Kirchenrecht. Sie fragen nach dem Verhältnis von Staat und Kirche. Sie fragen nach dem Sinn und Unsinn der Kirchensteuer. Sie fragen nach dem Gemeindebegriff der Kirche. Sie fragen nach Wegen, die so genannte „bibeltreue" und „moderne" Christen in respektvoller Gemeinschaft miteinander leben ließen. Sie fragen nach der Bedeutung der Bibel für unsere christliche Gemeinschaft. Sie fragen auch nach der Wahrheit in Bezug auf die „Kirche im Sozialismus".
In minutiöser Kleinarbeit hat Dr. Edmund Käbisch in seiner Untersuchung für uns alle nachgefragt, warum ein Christ aus der gemeindlichen Mitte - denn auch der Pfarrer ist Teil der Gemeinde und auf deren Zuspruch angewiesen - den bitteren Weg in den selbst gewählten Tod gegangen ist. Käbisch hat sich in seiner Untersuchung nicht mit dem Urteil einer vermeintlichen psychischen Krankheit Günthers zufriedengegeben. Und er hat einen Menschen entdeckt, der als Gemeindepfarrer zutiefst einsam war, der sich an der landeskirchlichen Ordnung orientierte und erkennen musste, dass diese im Konfliktfall nicht handlungsleitend eingesetzt wurde. Diese Erfahrung hat Günther nicht verkraftet.
Der Fall "Rolf Günther in Falkenstein" ereignete sich zudem vor dem speziellen politischen Hintergrund der Deutschen Demokratischen Republik. Wie in einem Brennglas fokussiert der Blick auf dieses Schicksal die Problematik von Kirche und Staat im Sozialismus, die schwierige Gratwanderung zwischen Kooperation und Opposition, und wird zugleich zu einem Lehrstück darüber, wie das System Stasi funktionierte. Für diesen ersten Erkenntnisschritt ist das Betätigungsfeld „Evangelische Kirche" zunächst unerheblich.
Wichtig ist, das Tätigkeitsspektrum als solches zu begreifen. Wie ein spektakulärer Auslöser — hier der öffentliche Selbstmord von Rolf Günther — von der Stasi dazu benutzt wurde, Feldforschung zu treiben, in ein spezielles soziales Umfeld tief einzudringen. Und dies nicht nur über Bespitzelung und über Beobachtung, sondern über aktive, gesteuerte Maßnahmen, die das System „Evangelische Kirche" in eine erwünschte Bewegungen brachte, damit es sich in der Beobachtung der Bewegungsabläufe um so leichter begreifen und kontrollieren ließ.
Das für die vermeintlich wissenschaftlich bestätigten Atheisten der Stasi schwierige Feld „Evangelische Kirche" konnte nicht erschlossen werden, ohne auf IM (Inoffizielle Mitarbeiter) zurückzugreifen. Bitter ist die Erkenntnis, dass die Verlockung von Vergünstigungen und materiellen Zuwendungen aus manchen evangelischen Christen und Pfarrerkollegen Spitzel machte. Die Berliner Gruppe "Versöhnung in Wahrheit" hat nach der Wende versucht, dieses heikle Thema offen und mit Versöhnungsangeboten anzugehen — doch ohne Erfolg und enttäuscht über den halbherzigen Kurs der Kirchenleitungen. Ein zweiter Erkenntnisschritt macht demnach deutlich, dass auch eine von der Gründungsakte her ethisch ausgerichtete Institution wie die Kirche nicht die moralische Kraft hat, das Licht der Aufklärung auf ihren eigenen Schattenseiten zu ertragen.
Der dritte Erkenntnisschritt führt zurück zu der Arbeit von Edmund Käbisch. Mit akribischer Genauigkeit hat er verfolgt, wie das außerordentliche Ereignis „Selbstmord in Falkenstein" zu einem Generalangriff der Stasi auf die Kirche führte, als gewollter Anstoß zu ihrer Zersetzung. Der Leser, zumal der „westliche", staunt über das Repertoire subtiler Mittel und ihren strategisch geplanten Einsatz an verschiedenen Orten und auf verschiedenen Ebenen, aber auch über die Zielsicherheit und die vielfältig eingebaute Erfolgskontrolle bei den Stasi-Akteuren. Und er verfolgt mehr oder weniger ungläubig die Aktivitäten und den biographischen Verlauf derjenigen Pfarrer, die sich wissentlich und willentlich benutzen ließen.
Die wirkliche Bedeutung dieser aufwändigen Vorgänge lässt sich nur mit dem Blick auf das Ganze erklären: Die „Evangelische Kirche" in der DDR war die einzige nicht gleichgeschaltete Organisation in der DDR, die trotz mancher Fehlleistungen ihrer Aufgabe treu blieb und Oppositionellen einen relativ geschützten Raum für Aktivitäten bot. Erst in diesem Zusammenhang bekommt der riesige Stasi-Aufwand, der mit Falkenstein in Bewegung gesetzt wurde, seinen Sinn.
Über die innerkirchlichen Probleme und Gefährdungen zu DDR-Zeiten ist im Westen nur wenig bekannt. Mit dieser Studie wird ein unwirtliches und widersprüchliches Stück Terra incognita der „Kirche im Sozialismus" betreten. Doch die vielen an den Rand der Gesellschaft gedrängten Christen haben ein Recht auf die Anerkennung ihrer Rolle im feindlichen Umfeld — und auf unsere Fragen: „Wie ging es Euch damals eigentlich? Und heute — habt Ihr heute Gerechtigkeit und Rehabilitation erfahren?"
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Ingrid Ullmann, Wiesbaden,
D.A.V.I.D. e.V. gegen Mobbing in der Evangelischen Kirche