Terence McKenna

Plan, Planet, Pflanze

 

1989 (Herbst) bei Whole Earth Review

1989    26 Seiten 

wikipedia Autor  *1946 in USA
bis 2000 (53, Gehirntumor)

DNB Autor 

Goog Autor   Bing Autor

detopiaÖkobuch   Utopiebuch

K.htm   Psychobuch   Sterbejahr

Bob.Black (Arbeit)   R.Sheldrake (Universum)

C.Castaneda (Don Juan)   A.Huxley (Pforten)

Nach einem Hinweis von Daniel Kulla an detopia

Terence McKenna schildert an praktischen Beispielen,
 wie das Bewußtsein von veriditas dem Planeten,
seinen Pflanzen und Menschen wieder
zu einer intelligenten Blüte verhelfen kann.

Diese Edition des GRÜNEN ZWEIGES ist eine Reaktion auf den Mauerfall 1989.

Übersetzung aus dem Amerikanischen und leicht überarbeitet von Mickey Remann 

DER GRÜNE ZWEIG

Verlegt von Werner Pieper's Medienexperimente 

D-69488 Löhrbach 

ISBN  3-925817-35-2  

 

Plan,  Planet, Pflanze

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Die gegenwärtige globale Krise geht tiefer als alle vorangegangenen Krisen in der Geschichte. Nicht minder drastisch werden die Lösungen ausfallen. Wir schlagen vor, die Pflanze zum Organisationsmodell für das Leben des 21. Jahrhunderts zu wählen, entsprechend denn Computer, der zum dominierenden geistig-sozialen Modell des späten 20. Jahrhunderts geworden zu sein scheint oder der Dampfmaschine, dem Leitbild des 19. Jahrhunderts.

Der Vorschlag erfordert einen zeitlichen Rückgriff auf Modelle, die vor etwa 15.000 bis 20.000 Jahren erfolgreich waren und die uns ermöglichen, Pflanzen wieder als Nahrung, Schutz und Kleidung, sowie als Quelle von Erziehung und Religion zu betrachten.

Der erste Schritt in dieser Richtung wäre, etwas zu bereinigen, wogegen wir uns so lange gesträubt haben: Laßt uns die Natur für rechtens erklären. Alle Pflanzen sollen legal sein und alle Tiere ebenso. Die Vorstellung illegaler Pflanzen und Tiere ist ebenso widerlich wie albern.

Die Wiederherstellung direkter Kommunikation mit dem planetaren Anderen, dem Geist in und hinter der Natur, ist auf die Verwendung halluzinogener Pflanzen angewiesen.

Diese Kommunikation mag unsere letzte und beste Hoffnung sein, um die steilen Wände jener kulturellen Starre aufzulösen, mit der wir geradewegs auf den Ruin zusteuern. Wir brauchen eine neue Optik, um unseren Weg in der Welt zu erkennen.

Als das nach der Säkularität strebende Europa seine mittelalterliche Weltsicht änderte, suchte es Rettung in klassisch römischen Ansätzen zur Wiederbelebung des Rechts­systems, von Philosophie, Ästhetik, Stadtplanung und Landwirtschaft. Auf der Suche nach Auswegen aus dem heutigen Dilemma sind wir gezwungen, Modelle aus noch weiter zurückliegenden Zeiten in Betracht zu ziehen.

Der Einfluß halluzinogener Pflanzen auf die Entwicklung des Menschen wurde bisher nur oberflächlich untersucht. Eine gründliche Erforschung dieses Einflusses verspräche jedoch nicht nur ein besseres Verständnis der Evolution des Primaten, sondern auch der für Homo sapiens typischen Kulturformen. Daß der Verzehr von immunstärkenden oder appetithemmenden Pflanzen adaptive Vorteile mit sich bringt, ist leicht zu begreifen.

Schwieriger zu verstehen ist die Art und Weise, in der pflanzliche Halluzinogene unseren entfernten Vorfahren vergleichbare, wenn auch ganz andersartige adaptive Vorteile haben zukommen lassen. Zwar katalysieren die chemischen Verbindungen der Halluzinogene keine Stärkung des Immunsystems — gleichwohl dies eine Nebenwirkung sein könnte —, doch sie katalysieren eine Stärkung des Bewußtseins, jenes sonderbaren Talents des selbst-reflektiven Denkens, das seinen sichtbarsten Ausdruck im Menschen gefunden hat. Zweifellos verschafft die Fähigkeit, bewußt zu sein, genauso wie die Fähigkeit, Krankheiten abzuwehren, einer Gattung, die in ihren Genuß kommt, immense adaptive Vorteile.

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In der menschlichen Evolution scheint ein verschwiegener Faktor zu wirken, der weder mit dem »fehlenden Glied in der Kette« noch mit einem von hoch oben gewährten telos beschrieben ist. Wir schlagen vor, daß jene versteckte Kraft, die aus zweibeinigen Affen das menschliche Bewußtsein hervorgelockt hat, in von pflanzlichen Halluzinogenen angeregten Rück­kopplungs­schlaufen zu finden ist. Diesem Zusammenhang ist man noch nicht gründlich nachgegangen, obwohl eine eher konservative Form dieser Vorstellung in R. Gordon Wassons Soma: Divine Mushroom of Immortality (1971) vertreten wird.

Wasson geht noch nicht auf die erwachende Menschlichkeit bei den Primaten ein, benennt aber halluzinogene Pilze als Kausal­faktoren für die Entstehung von Religion und spirituellem Bewußtsein. Wasson glaubt, daß die umherschweifenden Allesfresser, die die Menschen waren, früher oder später in ihrer Umgebung auf halluzinogene Pilze oder andere psychoaktive Pflanzen stoßen mußten.

Da die Ernährungsstrategie der frühen Menschen darin bestand, alles zu essen und Ungenießbares wieder zu erbrechen, konnten mit dieser Methode die eßbaren Pflanzen identifiziert und in die Diät einbezogen werden. Schon wegen ihrer ungewöhnlichen Form und Farbe mußten Pilze diesen Sammlern besonders ins Auge stechen. Zumal der Bewußtseinszustand, den die Pilze oder andere Halluzinogene induzierten, ein guter Grund gewesen sein mochte, zu diesen Gewächsen zurückzukehren. Man wollte ihre verblüffende Andersartigkeit stets aufs neue erfahren, und auf Dauer entwickelte sich das, was C. H. Waddington eine Creode nannte, eine aufgrund wiederholter Aktivitäten tiefer werdende Furche des Verhaltens. Anders gesagt: es entstand eine Gewohnheit.

Gewöhnung an diese Erfahrung war durch ihren ekstatischen Charakter gewährleistet, wobei »ekstatisch« ein Begriff ist, den wir außer in einem operationellen Sinn nicht zu definieren brauchen: ekstatische Erlebnisse sind diejenigen, die man immer wieder haben möchte.

Wenn Halluzinogene nun als Exopherome wirken, das heißt, als chemische Botenstoffe zwischen den Arten, dann wäre die synamisch-symbiotische Beziehung zwischen Primaten und halluzinogenen Pflanzen gleichbedeutend mit einem Informations­transfer von einer Spezies zur anderen. Was die Primaten bei diesem Transfer gewannen, war erhöhte Sehschärfe sowie Zugang zum transzendenten Anderen. 

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Warum Menschen Drogen nehmen

Der Gebrauch von Drogen in menschlichen Gesellschaften ist so alt wie die Menschheit selbst. Warum erlaubt uns die Natur, symbiotische Beziehungen mit Pflanzen und Chemikalien aus der natürlichen, inzwischen auch der technologischen Umwelt einzugehen?

Unsere allesfresserischen Diätgewohnheiten haben uns zur Zielscheibe von Myriaden genverändernden Einflüssen gemacht. Zusammengenommen haben sie die menschliche Evolution in seltsamer und einzigartiger Weise mitgeprägt. Die Herausbildung von Kulturformen des Selbstbewußtseins spiegelt innere Geisteszustände wieder, die durch unsere Beziehungen zu psychoaktiven und physiologisch aktiven Pflanzen, zu Nahrungsmitteln, Drogen und Gewürzen tiefgreifend beeinflußt wurden.

Eine Diskussion der bislang unberücksichtigten Beziehungen zwischen Drogen und kultureller Selbstäußerung öffnet neue Wege des Nachdenkens über die menschliche Geschichte. So besehen läßt sich Geschichte verstehen als eine Folge von Übereinkünften zwischen Menschen und Pflanzen, die mal eingehalten und mal gebrochen wurden. Das archaische Paradigma für eine intakte Beziehung bietet der Schamanismus des Paläolithikum, die eleusinischen Mysterien stellen ein Beispiel aus dem klassischen Altertum dar, während der gegenwärtige Konsum von Kaffee, Alkohol, Zucker und Tabak die Tatsache illustriert, daß neue Forschungen und Technologien immer auch mit neuen Drogengewohnheiten einhergehen.

Im Zeitalter der Entdeckungen wurden nicht nur Gewürze und Nutzpflanzen nach Europa importiert. Eine bestimmte europäische Obsession, nämlich die Sucht nach weißem Zucker, war so gewaltig, daß sogar die Sklaverei - seit dem Fall von Rom nurmehr eine Kuriosität im Westen -, wie in einem Rachefeldzug zurückkehrte, damit genügend Arbeitskräfte auf die tödlichen Zuckerplantagen geschickt werden konnten. Als der englische Überseehandel mit Tee zusammenbrach, sicherten sich die Briten mit militärischer Macht das Privileg, in China Opium zu verkaufen.

Von dieser Politik läßt sich eine Brücke schlagen zu zeitgenössischen Entwicklungen, wie sie sich in der Flut von raffinierten Narkotika wie Heroin, Kokain und Crack äußern. Der Handel mit modernen synthetischen Drogen hat räuberische Finanzimperien geschaffen, die oft mehr Macht besitzen als die Staaten, die ihre Entstehung anfangs sanktionierten. Dem liegt eine Botschaft zugrunde: Laßt uns Geschichte im Rahmen sich entwickelnder und gegenseitig transformierender Beziehungen zu Pflanzen betrachten, von der Gerste zum Cannabis. Dies zu verstehen ist heute dringlicher denn je, da uns die moderne Pharmakologie und unsere Lebensweise immer mächtigere Mittel in die Hände legt, um zu befriedigen und zu erkunden, was man unsere Gewohnheits-Gottheit nennen könnte.

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Der Vorteil für die Pilze lag in der Erweiterung ihrer ökologischen Nische: sie konnten im Dung jener ehemals wilden Huftiere gedeihen, die von den seßhaft gewordenen Primaten domestiziert wurden.

Solche Prozesse verlaufen langsamer in Abwesenheit pflanzlicher Halluzinogene. Ihre Gegenwart jedoch konfrontiert eine Kultur mit stets neuartigen Informationen, Sinneseindrücken und Verhaltensformen, die den Anstoß geben, sich am eigenen Schopf zu immer höheren Stadien der Selbstreflektion emporzuziehen.

Im Sinne eines kulturellen Katalysators mögen Halluzinogene für all das verantwortlich gewesen sein, was uns von anderen Primaten unterscheidet, mit Ausnahme vielleicht des Verlusts der Körperbehaarung.

Mentalfunktionen jedoch, die wir mit dem spezifisch Menschlichen verbinden — Erinnerung, projektive Vorstellungskraft, Sprache, Namensgebung, magische Rede, Tanz, sowie ein Gefühl von religio —, lassen sich alle aus der Interaktion mit Halluzinogenen ableiten. Weil unsere moderne Gesellschaft pharmakologisch erzeugte Ekstasen zum Tabu erklärt hat, wird sie diese Theorie für schwer akzeptabel halten. Sexualität ist aus demselben Grund tabuisiert. Denn beide Bereiche, Psychedelik und Sexualität, verbinden uns bewußt oder unbewußt mit dem Mysterium unserer Herkunft, sie lassen uns ahnen, wie es geschah, daß wir so wurden, wie wir sind.

Viele moderne Malaisen, darunter auch chemische Suchtabhängigkeit oder unterdrückte Psychosen und Neurosen, ließen sich in einer Begegnung mit der authentischen Dimension des Risikos auflösen, wie sie der Gebrauch psychedelischer Pflanzen vermittelt. Die hier geäußerte Befürwortung des Gebrauchs psychedelischer Pflanzen ist dabei zugleich eine Anti-Drogen-Position. Drogenabhängigkeit ist das Ergebnis von gewohnheitsmäßigem, unüberprüftem und obsessivem Verhalten, somit eine Folge jener Tendenzen unseres psychischen Make-ups, die im Lichte der Psychedelika zum Aufweichen gebracht werden.

Pflanzliche Halluzinogene lösen Gewohnheiten auf und ermöglichen, die eigenen Motivationen von einer weniger egozentrischen und besser geerdeten Warte aus zu betrachten. Töricht, wer behauptet, der psychedelische Weg sei frei von Risiko. Kurzsichtig, wer glaubt, das Risiko lohne sich nicht. Was wir brauchen, ist die erfahrbare Bestätigung eines übergreifenden Leitbildes, einer Metapher, die der Gesellschaft und dem Individuum als Grundlage eines neuen Selbstmodells dienen kann.

Schon immer bildeten die Beziehungen zwischen Pflanzen und Menschen die Basis unserer individuellen und kollektiven Existenz in der Welt.

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Sprechende Pilze

Die mexikanischen Mazatek-Indianer behaupten, daß der Psilocybin-Pilz spreche. Fragst du einen Schamanen, woher er seine Sprachbilder beziehe, wird er antworten: »Nicht ich habe es gesagt, sondern der Pilz.«

Nur Menschen besitzen Sprache, die Vorstellung sprechender Pilze entspringt einer naiven Anthropomorphisierung der Natur. Aber wenn ein Mensch der Sprache die Pilze ißt, wird ihm ein inspirierter Umgang mit Sprache zuteil. Pilze-essende Schamanen haben den Auftrag, zu sprechen. Sie sind Verkünder und Sänger der Wahrheit, sie sind die Poeten der mündlichen Überlieferung. Sie sind Ärzte des Wortes, Volksmund, sie sind da, um zu sagen, was falsch ist und wie es behoben werden kann, sie sind Seher und Orakel, die von der Stimme Besessenen. »Nicht ich bin es, der spricht,« sagte Heraklit, »sondern der Logos.«

Sprache ist eine ekstatische Aktivität der Signifikation. Die Leichtigkeit, Flüssigkeit und Ausdruckskraft der Sprache, derer man im Pilzrausch fähig wird, ist enorm. Sie läßt einen staunen über die hervorströmenden Worte, wenn erst der Wunsch, etwas zu artikulieren, mit dem Gegenstand der Erfahrung in Berührung kommt. Manchmal scheint es, als werde einem vorgesprochen, was es zu sagen gilt, denn es springen die Worte förmlich in den Geist, eins nach dem anderen, aus sich selbst heraus und ohne, daß man danach suchen müßte. Dieses Phänomen ist dem automatischen Schreiben der Surrealisten ähnlich, nur daß im Pilzrausch der Bewußtseinsfluß nicht beliebig oder unverbunden ist, sondern zur Kohärenz neigt und sogar zu einer rationalen Emanation von Bedeutung findet. Der Pilz erschließt Felder voller Botschaften, er beschert Kommunikationen mit der Welt, mit anderen und mit sich selbst. Die dadurch freigesetzte Spontaneität ist nicht nur wahrnehmend, sondern linguistisch, es ist eine Spontaneität der Rede, ein heißer, luzider Diskurs des aktiven Logos. Für den Schamanen ist es, als spreche Existenz durch ihn hindurch. Worte sind Materialisierungen des Bewußtseins. Sprache ist ein privilegiertes Vehikel, um Beziehungen zur Wirklichkeit zu schaffen.

Aus: Henry Munn, The Mushroom of Language. In: Hallucinogen&s and Shamanism. Hrsg. Michael Hamer. Oxford Press, 1973, S. 88-89.

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Was wir als archaisches Revival bezeichnen möchten, meint den Prozeß des Wiedererwachens traditioneller Haltungen zur Natur, insbesondere unserer Beziehungen zu Pflanzen. Das archaische Revival beschließt den Prozeß der allmählichen Auflösung von Verhaltensmustern, die auf männlicher Dominanz und hierarchischer Tierorganisation beruhen. Dieser Prozeß geht nicht über Nacht oder mit einem plötzlichen Umschwung im kollektiven Bewußtsein vonstatten. Vielmehr wird er aus der Einsicht heraus wachsen, daß das archaische Revival von der Idee und dem Ideal einer übergreifenden Vegetationsgöttin geleitet ist, letztendlich von der Erde selbst, die derzeit als Gaia wieder Furore macht. Obwohl dieses Konzept von Anthropologen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gut dokumentiert ist, hat Gaia erst vor kurzem wieder an Respektabilität gewonnen, vornehmlich durch Riane Eisler, Marija Gimbutanes, James Lovelock und andere.

 

Je näher eine Kultur der Gnosis in Gestalt des <Geistes der Vegetation> kommt, desto enger wird ihre Verbindung zum Archetyp der Göttin; je bereitwilliger sich eine Kultur ans Gaia-Kollektiv organischen Lebens anlehnt, desto eher wird ihre soziale Organisation vom partnerschaftlichen Stil geprägt sein. Der Mainstream des westlichen Denkens konnte sich noch bis gegen Ende der griechischen Antike vom gnostischen Geist der Vegetation inspirieren lassen. Danach jedoch wurden die damaligen Mysterienkulte von enthusiastischen christlichen Barbaren endgültig unterdrückt.

 

Unsere Schlußfolgerung lautet, daß der Inhalt der nächsten Evolutionsstufe das archaische Revival, die Wiedergeburt der Göttin und ein Ende der profanen Geschichte sein wird; Komplexe also, die unsere revidierte Beteiligung am Geist der Vegetation und seine weitere Ausbildung zum Thema haben. Derselbe Geist, der uns einst in die sich selbst reflektierende Sprache lockte, lädt uns nun in die unbegrenzten Landschaften der Imagination ein. Ohne den Dialog mit psychedelischen Exopheromonen, die unsere Symbiose mit dem Pflanzenreich regulieren, stehen wir den planetaren Zielen und Vorhaben verständnislos gegenüber. Verständnis für planetare Ziele zu erlangen dürfte jedoch der entscheidende Beitrag sein, den wir für den Evolutionsprozeß leisten können. Zurückzukehren an den Busen der planetaren Partnerschaft hieße, die Perspektive unseres geschichtlich erzeugten Egos einzutauschen gegen eine eher mütterlich und intuitiv orientierte Sicht der Dinge.

Wir sind überzeugt, daß die spürbare Gegenwart des Andersartigen, die wir bei unserer Navigation durch die Geschichte als weibliche Begleitung verstehen, auf die Kommunion mit dem Geist der Pflanzen zurückgeführt werden kann. In diesem rituellen Rahmen konnten menschliche Instinkte ins Licht von Selbstbewußtsein, Selbstreflektion und Selbstartikulation treten, ins Licht der Großen Göttin.

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Was bedeutet es nun, pflanzliches Leben als Metapher für die Neuorientierung der menschlichen Angelegenheiten heranzuziehen? Zwei entscheidende Veränderungen würden aus der Übernahme dieser Prämisse folgen:

Erstens, eine Feminisierung der Kultur in einem bislang nicht bekannten Maße. Die Bedeutung des »grünen« Bewußtseins liegt in der Erkenntnis, daß die Trennung zwischen dem Maskulinen und dem Femininen vorrangig keine Trennung zwischen Männern und Frauen ist, sondern eine Trennung zwischen uns, den bewußten Tieren, den allesfressenden, landrodenden Kriegern als extremstem Ausdruck des Yang auf der einen Seite und dem globalen Umhang der Vegetation auf der anderen Seite, dem uralten, metastabilen botanischen Element des Yin, aus dem der größte Teil der Biomasse der lebenden Erde besteht.

Zweitens, eine nach innen gerichtete Wertsuche. »Innerlichkeit ist ein Charakterzug der pflanzlichen, im Gegensatz zur animalischen Version von Existenz. Die Fauna ist mobil, ihre Mitglieder migrieren und schwärmen aus, die Flora dagegen hält im Großen und Ganzen ihren jeweiligen Platz. Die pflanzliche Dimension ist gekennzeichnet vom stabilen, unbewegten und ausharrenden Zustand, und wenn es eine Mobilität des Bewußtseins und der Aufmerksamkeit bei Pflanzen gibt, dann sind es Bewegungen in der Domäne der vegetalen Imagination. Das archaische Revival, die Rückverbindung zur Vegetationsgöttin mithilfe psychedelischer Pflanzen, behauptet, daß ein Leben des Geistes ein Leben des Zugangs zu den visionären Reichen ist, in denen unsere magischen Lehrerinnen, die Pflanzen, residieren. Schamanen haben schon immer um diese Wahrheit gewußt und sie praktiziert. Hildegard von Bingen, die Seherin des 12. Jahrhunderts, nannte das Bewußtsein der grünen Seite des Geistes veriditas, Grünheit.

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Illustration - Pflanze im Gefängnis

 

   Gift und Elixier für Pflanzen    

Schwermetalle sind für Pflanzen oft Gift und Lebenselixier zugleich. Welche Wirkung überwiegt, hängt von der Konzentration des jeweiligen Elements ab. Manche Enzyme benötigen zum Beispiel Kobalt, Kupfer, Nickel, Selen oder Zink, um ihre Arbeit verrichten zu können. In höherer Konzentration hingegen werden die reaktionsfreudigen Ionen der Schwermetalle zu Enzymgiften. Um so erstaunlicher ist es, daß manche Gewächse große Mengen der toxischen Substanzen anreichern, ohne Schaden zu nehmen. Solche Pflanzen findet man etwa auf erzhaltigen Abraumhalden von Bergwerken oder auf natürlichen Serpentin-Böden. Auf dem lebensfeindlichen Untergrund gedeihen im allgemeinen nur verhältnismäßig wenige Arten, besonders angepaßte Ökotypen, die sich schon äußerlich von ihren bequemer lebenden Verwandten unterscheiden. Sie nehmen oft geradezu unglaubliche Mengen der toxischen Elemente auf. So hat man in den Blättern des Hellerkrautes schon Zinkgehalte von 1,6 Prozent - bezogen auf das Trockengewicht - gefunden. Normalerweise enthalten Pflanzen weniger als ein Hundertstel dessen. Münchener Wissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität ist es gelungen, einen entscheidenden Mechanismus der Metalltoleranz von Pflanzen zu entschlüsseln. Sie fanden spezielle Peptide, die für die Entgiftung verantwortlich sind. Die Moleküle bestehen aus 5 bis 23 kettenförmig aneinandergereihten Aminosäuren. Wenn es gilt, Schwermetalle unschädlich zu machen, lagern sich mehrere Peptide aneinander und fangen die Metall-Ionen ein. Die Metalle können einen großen Teil des Komplexes ausmachen. Man fand Phytochelatine, die 16 Gewichtsprozent Cadmium enthielten. Phytochelatine haben in der Zelle eine hohe Lebenserwartung, so daß die eingeschlossenen Schwermetalle auf lange Zeit unschädlich gemacht sind.

Inzwischen hat man rund 200 Pflanzenarten auf Phytochelatine untersucht. Man wurde ohne Ausnahme fündig, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Algen, Moose, Schachtelhalme und Bärlappe oder um Nadelhölzer und Blütenpflanzen handelte. Alles deutet daraufhin, daß dieser Schutzmechanismus im ganzen Pflanzenreich verbreitet ist. Vielleicht ließen sich Pflanzen, die Schwermetalle besonders gierig aufsaugen, sogar zur Entgiftung verseuchter Böden verwenden.

F.A.Z., 7.2.1990

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Wir leben auf kulturellem Treibsand. Wenn ein neues Paradigma Auswege und Hoffnung offerieren will, muß es vor den sich auftürmenden planetaren Problemen zu einer realitätstüchtigen Tagesordnung finden. Hier seien einige Bereiche genannt, in denen ein wachsendes Bewußtsein von verditas uns helfen kann, Armageddon abzuwehren:

 

Die Entgiftung der natürlichen Umwelt. Sie wird über das Zusammenspiel von Atmosphäre, biologischer Matrix und den Ozeanen auf natürliche Weise bewirkt. Solange die moderne Industrietechnologie noch kein wahrhaft globales Phänomen war, konnte dieser planetweite Prozeß sogar noch mit dem städtischen Industriemüll fertig werden. Es gibt Naturvorgänge, die uns bei der Entgiftung der Umwelt helfen können. Ein Beispiel wäre das Anpflanzen des Stechapfelstrauches datura der schon in religiösen Riten der südkalifornischen Indianer und bei den europäischen Hexen eine Rolle spielte , sowie anderer Pflanzen, die Schwermetalle aus der Erde ziehen und im Zellgewebe anlegen. Indem wir die unterschiedlichen Wege berücksichtigen, mit denen die biologische Matrix Vergiftungen der Erde vermeidet, und indem wir anerkennen, daß die Funktionen der Natur stets darauf gerichtet sind, Leben zu bewahren, können wir uns sogar auf den schweren Weg der aktiven politischen Konsensbildung zur Erhaltung eben dieses Lebens begeben.

 

Gegenseitige Verbundenheit und Symbiose.

Wie die Pflanzen, so sollten auch wir diese Qualitäten vervollkommnen. Bei der Regelung kommunaler Angelegenheiten zum Beispiel käme uns eine Orientierung an den fraktalen und feingliedrig verzweigten Modellen der pflanzlichen Natur sehr zu gute. Auch böte sich an, unser aus dem 19. Jahrhundert ererbtes Evolutionsmodell durch ein baumartiges Netzwerk symbiotischer Beziehungen zu ersetzen. Gemäß dem überkommenen Modell mußte mit Klauen und Zähnen um die nackte Existenz gekämpft werden, bis der Sieger die ganze Beute an sich riß. Dieses Modell, das auf naiven Beobachtungen von Tierverhalten beruht, wurde mit fliegenden Fahnen gleich auf die Pflanzenwelt und andere Bereiche übertragen. Obendrein wurde es zur Erklärung jener evolutionären Interaktionen herangezogen, denen Vielfalt und Vermehrung der botanischen Arten zu verdanken sind.

Genauer beobachtende Forscher wie C. H. Waddington und Erich Jantsch trafen nicht den von den Darwinisten lauthals verkündeten »Krieg in der Natur« an. Sie erkannten einen anderen Sachverhalt: was einen Organismus innerhalb eines Bioms erfolgreich funktionieren läßt, ist nicht das aggressive Konkurrenz­verhalten, sondern die Maximierung der Kooperation mit anderen Lebewesen.

Grundverschiedene Pflanzen agieren miteinander im verwobenen Geflecht ihrer Wurzeln, wo sie sowohl mit ihren gemeinsamen Nahrungsquellen, als auch untereinander verbunden sind. Der vielfach durchflochtene Boden eines tropischen Regenwaldes stellt ein Environment von größter biochemischer Verschieden­artigkeit dar, dessen Topologie dem Gewebe des Gehirns ähnelt. Innerhalb des Netzwerks miteinander verbundener Wurzeln werden ständig komplexe chemische Signale gesendet und empfangen. Wechselseitige Angleichung und eine auf symbiotische Beziehungen zielgerichtete Evolution regulieren das ganze System.

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Illustration - Pilz - Lophophora  williamsii

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Daß solche Verhältnisse allgegenwärtig sind, spricht für ein evolutionäres Primat der kooperativen Lebensstrategien. Die winzigen mycor-rhizal-Pilze zum Beispiel leben in Symbiose mit einer Pflanze, auf deren Wurzeln sie für Filterung und Ausgleich des mineralhaltigen Wassers sorgen. Erst nachdem die Pilze das Wasser aufbereitet und in seiner chemischen Zusammensetzung optimiert haben, gelangt es in die Wurzeln des gastgebenden Pflanzenorganismus.

 

Wir brauchen eine in ganzheitlichen Systemen denkende Feinabstimmung. Auch auf nicht-biologische Bereiche wird sich ein Verständnis der biologischen Harmonien und Resonanzen positiv auswirken. Das Verständnis solcher Phänomene kann beispielsweise zum angemessenen Management großer Systeme wie dem internationalen Bankwesen beitragen, oder bei der globalen Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln helfen.

Die Gaia-Biologen Lovelock, Margulis und andere haben überzeugend dargelegt, wie sich der gesamte Planet mit Hilfe von Plankton und Mikroben ein selbstorganisiertes, meta-stabiles Regime geschaffen hat, das unser biologisches Leben seit über 2 Milliarden Jahren begünstigt. Über Zeit und Raum hinweg wahrt eine auf Pflanzenleben gegründete Gaia ihr Gleichgewicht und trotzte dabei sogar den wiederholten Bombardements durch Asteroidenmaterial, das ausreichen würde, um das planetare Gleichgewicht empfindlich zu stören.

Einen solch tao-artigen Sinn für die multi-dimensionale, homeostatische Balance des Planeten können wir nur bewundern - um ihn nachzuahmen. Aber wie? Wir schlagen vor, Pflanzen zu betrachten, sie wirklich anzuschauen, näher, intensiver und mit offenerem Geist, als wir es je getan haben.

 

Recycling.

Wie die Pflanzen, so müssen auch wir recyclen, denn im kosmischen Maßstab sind wir nicht mobiler als sie. Die erfolgreicheren Wirtschaftsformen haben wir aber im Lauf der Geschichte stets den Raubtieren abgeguckt. Tiere können in andere Reviere wechseln, wenn sie die Ressourcen in ihrer unmittelbaren Nähe erschöpft haben. Da sie sich zu neuen Nahrungsquellen begeben können, verfügen sie über potentiell unbegrenzte Ressourcen.

Pflanzen sind ortsgebunden. Sie können nicht so leicht zu nährstoffreicheren Quellen übersiedeln, oder ein Gebiet, das sie ausgelaugt haben, verlassen. Pflanzen sind gezwungen, sehr gut zu recyclen. Eine unerläßliche Bedingung für unser planetares Überleben ist eine pflanzenorientierte Ethik, die die Methoden der botanischen Welt im Gebrauch und bei der Wieder­verwendung ihrer Ressourcen reflektiert. 

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Materie und Energie im Regenwald

Wachstumsbegrenzende Faktoren der gemäßigten Zonen, wie niedrige Temperaturen, Wassermangel und eine kurze Wachstumsperiode, sind in den feuchten Tropen von untergeordneter Bedeutung. Dabei ist der vorhandene Stock an mineralischen Nährstoffen relativ klein. Ausnahmen bilden höchstens angeschwemmtes Land sowie Böden, die gelegentlich durch Vulkanasche bereichert werden. Unter diesen Bedingungen kann der Regenwald gedeihen, weil aller vorhandener Stickstoff, Kalzium, Phosphor, Potas-sium und andere von den Pflanzen gehaltene Mineralien breit gefächert und verteilt werden. Die in Laub und totem Holz, in Exkrementen und verwesenden Tierkörpern enthaltenen Nährstoffe werden dank der Arbeit kompostierungsfordernder Organismen schnell wieder freigesetzt. Ist die abgestorbene Materie erst in ihre Bestandteile zerlegt, bleiben die Mineralien nicht im Boden, sondern werden beinahe sofort wieder von den Wurzeln der Bäume und anderer Pflanzen aufgenommen. Auf diese Weise vollzieht sich das Recycling der Nährstoffe sehr schnell, obwohl ihr Gesamtvorrat nicht groß ist. Dieses System ist hocheffizient und weist nur sehr geringe Verluste auf.

Scientific American, Dezember 1973, S. 63

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Im Gegensatz dazu rechnen alle kapitalistischen Modelle mit der unbegrenzten Verfügbarkeit von Ressourcen und Arbeitskräften. Mittlerweile dürfen wir aber weder von der einen noch von der anderen Voraussetzung ausgehen. Wir behaupten nicht, endgültige Methoden zur Lösung dieses Problems zu kennen, schlagen aber vor, sich der Pflanzenwelt zuzuwenden, um auf die richtigen Fragen zu stoßen.

 

Der Einsatz photovoltaischer Energie. Dieser Einsatz liegt nahe, wenn wir die beneidenswerte Eleganz betrachten, die Pflanzen beim Umgang mit Energie an den Tag legen. Mit der Photosynthese verfügen Pflanzen über ebenso luxuriöse wie praktische Lösungen ihrer Energieprobleme. Verglichen mit den durch Wasser- oder Tiereskraft bewegten Rädern — Urbild der Energieproduktion in der menschlichen Welt —, gleicht es einem quantenmechanischen Wunder, wie ein Photon des Sonnenlichts auf eine molekulare Vorrichtung trifft, über die ein Elektron zur Teilnahme am Lebensprozeß der Pflanzenzelle freigesetzt wird.

Tatsächlich ist dieses Stück extravaganter Science Fiction das Prinzip, nach dem die Photosynthese funktioniert — nur ein Beispiel für die von den Pflanzen seit Jahrmillionen kultivierte Ingenieurskunst.

Hocheffektive photovoltaische Technologien könnten heute den täglichen Elektrizitätsbedarf der meisten Menschen befriedigen. Schwerindustrien im bisherigen Umfang ließen sich mit Sonnenenergie allerdings kaum betreiben. Vielleicht will uns die Natur auf diese Weise nahebringen, unsere energiepolitischen Gepflogenheiten zu revidieren, so versessen wir auch auf den rauschenden Strom an Gütern sein mögen, der sich aus unseren Manufakturen ergießt.

 

Eine globale, an der Atmosphäre orientierte Energieökonomie.

Die Photosynthese, jener dem pflanzlichen Leben eigene Prozeß der Energieerzeugung, könnte auch als Modell für eine auf Sonnenenergie und Wasserstoff gestützte Weltwirtschaft dienen. Mit Sonnenenergie ließe sich Wasserstoff aus Meerwasser gewinnen. Solare Elektrizität kann den wesentlichen Teil unseres Bedarfs decken, und nur energieintensive Industrieprozesse wie das Schmelzen von Aluminium und Stahl stellen zu hohe Ansprüche an die photovoltaische Elektrizität.

Es gibt jedoch eine Lösung: Pflanzen bauen Kohlendioxyd aus der Atmosphäre ab und produzieren nebenbei Energie und Sauerstoff. Über einen ähnlichen, wenn auch unterschiedlichen Vorgang könnte mit solarer Elektrizität aus Wasser Wasserstoff gewonnen werden. Der Wasserstoff könnte gesammelt und bis zur späteren Verteilung konzentriert werden. Die Pflanzen haben unter Beweis gestellt, zu welch eleganten Lösungen sie beim Haushalten mit der zur Verfügung stehenden Materie fähig sind. Eine menschliche Wasserstoff-Ökonomie würde sich auf vergleichbare Art und Weise der unerschöpflichen und wieder­ver­wert­baren Ressourcen bedienen.

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Illustration - Statue von Frau

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Im Grunde ist dies ein einfacher Vorschlag. Wirtschaftsplaner haben seit langem erkannt, daß Wasserstoff der ideale Grund- und Betriebsstoff für eine globale Ökonomie ist. Wasserstoff ist sauber — wenn er verbrannt wird, verbindet er sich wieder mit Wasser, aus dem er chemisch bezogen wurde. Wasserstoff ist reichlich vorhanden — das Wasser besteht zu einem Drittel aus Wasserstoff.

Hinzu kommt, daß sämtliche existierende Technologien — Verbrennungsmotoren genauso wie Kohle-, Öl- oder atomgetriebene Generatoren —, auf Wasserstoffbetrieb umgestellt werden können. Was wir vorschlagen, erfordert also kein über-den-Haufen-Werfen der herkömmlichen Systeme zur Energie­erzeugung und -verteilung.

Wasserstoff aus Meerwasser könnte in der Nähe abgelegener Inseln produziert werden. Er könnte dann mit derselben Technologie, die heute zum Transport von flüssigem Erdgas verwendet wird, zum nächsten Umschlagplatz befördert werden. Man mag einwenden, daß Wasserstoff hochexplosiv sei, und daß es für einen sicheren Umgang an entsprechenden technischen Erfahrungen mangelt. Dem läßt sich der ausgezeichnete Sicherheits­standard der Erdgasindustrie entgegenhalten. Wasserstoffunfälle wären in der Tat verheerend, aber es würde sich um gewöhnliche Explosionen handeln, ortsgebunden, nicht-toxisch und ohne die Freisetzung von Radioaktivität.

Wie auch das Pflanzenleben, würde sich die Wasserstoff­wirtschaft selbst tragen und keine Verschmutzung verursachen. Verbrannter Wasserstoff verbindet sich mit Sauerstoff und wird wieder zu Wasser. Um zu demonstrieren, daß das Konzept der Wasserstoffökonomie tragbar ist, wäre eine internationale Anstrengung von außergewöhnlichem Umfang nötig. Immerhin wäre es ein Anfang. Eingestandenermaßen würden viele potentielle Probleme auftauchen, aber kein Plan zur Energieerzeugung für die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts wird frei von Schwierigkeiten sein.

 

Nanotechnologie. Die beginnende Ära der Molekularmechanik ist ein Sproß der radikalsten unter den grünen Visionen. Schließlich verspricht sie, daß von Menschen veränderte quasi-biologische Zellen und Organellen zur Herstellung von Produkten eingesetzt werden können. Nanotechnologie nimmt die Vorstellung ernst, daß auf mikro-physischer Ebene angesiedelte Techniken auch materielle Vorgänge im Maßstab der menschlichen Welt beeinflussen können. In der Nanotech-Welt können Wohnstätten und Maschinen wie biologische Einheiten »wachsen«, und die auf diese Weise hergestellten und manipulierten Objekte wären ihrer Natur nach dem Fleische näher als dem Stein. Die künftigen Korallenriffe der menschlich-materiellen Symbiosen, wie sie die Propheten der Nanotechnologie preisen, würden eine Unterscheidung zwischen belebt und unbelebt, organisch und künstlich hinfällig machen.

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Vegetalismo in Südamerika - von Dr. Louis Eduardo Luna

Tabak und Ayahuasca gehören zu jener Gruppe Pflanzen, die von örtlichen Heilern doctores genannt werden. Die Schamanen glauben, daß diese Pflanzen, unter bestimmten Bedingungen verzehrt, ihnen etwas beibringen können. Während der Zeit der Initiation -sie kann Monate bis Jahre dauern - werden diese Pflanzen regelmäßig eingenommen, wobei eine strikte Diät und sexuelle Zurückhaltung gewahrt wird. Die Informanten, mit denen ich zusammenarbeitete, behaupteten, daß der >Geist< oder die >Mutter< der Pflanzen sich den Eingeweihten präsentiere, sei es in Visionen, oder im Traum, sei es, um ihnen zu zeigen, wie man Krankheiten diagnostiziert und heilt oder böse Geister beherrscht, die in der Erde, der Luft oder im Wasser hausen, sei es, um die Initianten zu lehren, durch Zeit und Raum zu reisen oder sei es, um sie andere schamanische Künste meistern zu lassen.

Diese Kräfte erwirbt man hauptsächlich durch das Memorieren von icaros genannten magischen Melodien oder Gesängen. Die Anzahl und Qualität dieser von einem Schamanen beherrschten icaros ist der verläßlichste Maßstab zur Bestimmung seines Wissens und seiner Macht. Alle meine Informanten behaupteten, Dutzende auswendig zu können.

Jede Pflanze besitzt ihr eigenes icaro. Das Repertoire angehender Schamanen erweitert sich ständig. Gelegenheit dazu ergibt sich, wenn der Ayahuasca-Grundmischung aus Banisteriopsis caapi und Psychotria viridis zusätzliche Pflanzen beigemischt oder wenn neue Pflanzen-Lehrer mit anderen Eigenarten verzehrt werden. Während der Initiation scheint das Einstudieren von schamanischen Gesängen und Melodien sowie das Memorieren von Mythen ein weitverbreitetes Phänomen zu sein. Ich habe noch keine bibliographische Übersicht erstellt, vermute aber, daß das Lernen von magischen Gesängen und Melodien in vielen Kulturen mit der Einnahme von psychotropen Pflanzen einhergeht.

Bezeugt ist es bei den Huichol, die den Peyotekaktus (Lophophora williamsii) und andere psychotrope Pflanzen zu sich nehmen, bei den Mazateken, die Pilze der Gattung Psilocybe und bei Mestizios, die den San-Pedro-Kaktus (Trichocerus pachanoi) essen, ebenso bei den Yano-mamo in Süd-Venezuela und in Nord-Brasilien, die ein Epena genanntes Schnupfpulver aus Virola theidora benutzen.

Die Vorstellung, daß bestimmte Pflanzen magische Melodien lehren können, ist eng verbunden mit dem Ayahuasca-Konsum bei der indianischen und Mestizen-Bevölkerung von Caqueta in Kolumbien, sowie in den peruanischen Provinzen Loreto, Ucayali und Madre de Dios. Im brasilianischen Bundesstaat Acre gibt es Gemeinden, die eine Zubereitung der Ayahuasca-Bestandteile Bani-steriopsis caapi und Psychotria viridis unter dem Namen Santo Daime einnehmen. All diese Gruppen verfügen über sogenannte himnarios, Liedersammlungen, die einigen privilegierten Mitgliedern vom Santo Daime eingegeben wurden. Manchen Gemeinden sind bis zu dreitausend himnarios bekannt.

Sowohl die auf Heilung, als auch die auf Zauberei spezialisierten Schamanen bestätigen, daß ihre Kräfte in den icaros verkörpert sind. Einer meiner Informanten, Don Alejandro, drückte es so aus: »Ein Mensch ist wie ein Baum. Unter den richtigen Umständen wachsen dem Baum viele Äste. Diese Äste sind die icaros.« Schamanen sind oftmals Wissenschaftler, Künstler, Jäger und Bauern in einer Person, sowie Ärzte für Leib und Seele. Wir stehen ebenso enormen wie faszinierenden Forschungsaufgaben gegenüber. Sie sollten mit aller Dringlichkeit in Angriff genommen werden, bevor die Zeit unsere weisen alten Leute wegnimmt.

Aus:
Vegetalismo
von Dr. Louis Eduardo Luna. Zu beziehen vom Autor (für $ 20). Bezugsadresse: L. E. Luna, c/o Swedish School of Economy, Ardadiankatu 22, 00100 Helsinki 10, Finnland.
Dr. Lunas Tonaufnahmen magischer Inkarnationen, gesungen während Ayahuasca-Sessions von Amazonas-Schamanen in Peru und Kolumbien, können bezogen werden über: Lux Natura, 2140 Shattuck Av. # 2196-W, Berkeley, CA. 94704.

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Bewahrung der biologischen Vielfalt

Uns ist nur eine Quelle für die Evolution biologischer Verbindungen und die damit einhergehende chemische Vielfalt bekannt: Das Leben auf diesem Planeten. Diese Aussage muß so lange gelten, bis wir einen anderen Planeten entdeckt haben, der mit Leben so überquillt wie der unsere.

Trotzdem zerstören wir die lebende Vielfalt unserer Welt mit empörender Schnelligkeit. Dem muß Einhalt geboten werden. Zum einen durch den Erhalt bedrohter Ökosysteme, zum anderen durch die Bewahrung von Informationen über diese Ökosysteme. Solche Informationen wurden über Jahrtausende hinweg von den Menschen gesammelt, die mit und in den natürlichen Systemen lebten. Die Bedeutung des Volkswissens in bezug auf Botanik und Heilkunde kann gar nicht hoch genug geschätzt werden, schließlich stammen alle bedeutenden Arzneimittel, die für die menschliche Gesundheit wichtig waren und die die Geschichte veränderten, von lebenden Pflanzen und Pilzen.

Chinin ermöglichte die Eroberung der Tropen, Penicillina und Pille haben auf ähnlich grundlegende Weise die Sozialstruktur des 20. Jahrhunderts verändert — alle drei Pharmazeutika wurden aus Pflanzen gewonnen. Meine Partnerin Kat und ich arbeiten auf diesem Gebiet in einem botanischen Garten in Hawaii, den wir leiten. Er ist dem Schutz von Pflanzen gewidmet, die im Amazonas-Schamanismus Verwendung finden, einem jener traditionellen Wissenssysteme, die vom Verfall bedroht sind.

Was die hier ausgeführten Vorschläge und Maßnahmen befürworten, könnte man als Gaia-Holismus bezeichnen. Gemeint ist damit ein Gespür für die Einheit und Balance der Natur, sowie die Bereitschaft, unsere menschliche Position an das sich dynamisch fortentwickelnde Gleichgewicht anzupassen. Es ist eine an Pflanzen orientierte Sicht. Sie fordert die Rückkehr zu einer Perspektive, die unser >Selbst< und >Ego< in den größeren Kontext von planetarem Leben und planetarer Evolution einbettet — die Essenz des archaischen Revival. McLuhan hatte recht, als er die planetare menschliche Kultur, das globale Dorf, in Stammesbegriffen beschrieb. Der nächste große Schritt zum planetaren Holismus wäre die teilweise Verschmelzung der technologisch transformierten menschlichen Welt mit jener archaischen Matrix der Pflanzenintelligenz, die sich uns als Überseele des Planeten offenbart.

Ich zögere, dieses erwachende Bewußtsein religiös zu nennen, obwohl es auch das sicherlich ist. Dazu gehört die intensive Auslotung der von pflanzlichen Halluzinogenen eröffneten Dimensionen, sowie eine Untersuchung der strukturellen Verwandtschaft mit den Neurotransmittern im menschlichen Gehirn, die eine besondere Berücksichtigung verdient.

Durch sorgfältiges Erforschen pflanzlicher Halluzinogene werden wir die archaischsten und sensibelsten Ebenen im Drama des sich herausbildenden Bewußtseins ergründen können. Charakteristisch für die Frühformen von Gesellschaft und Religion war die Symbiose zwischen Pflanzen und Menschen. Ihr verdanken wir die erste Teilhabe am numinosen Mysterium. Das Geheimnisvolle dieser Erfahrung ist heute um nichts geringer geworden, ungeachtet der verbreiteten Annahme, wir hätten die schlichte Ehrfurcht unserer Vorfahren inzwischen durch die Kraft unserer scharfen philosophischen und analytischen Werkzeuge ersetzen können.

Als planetare Kultur stehen wir vor einer einfachen Wahl: werde grün oder sterbe, go green or die.

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Ende

Terence McKenna (1989) Plan, Planet, Pflanze

 

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Terence McKenna  (1989) Plan, Planet, Pflanze  (Essay)