Oekozentrum.org Verden Peter von Rüden Hausarbeit 1997 Über Ludwig Klages, über Mensch und Erde, über Lebensphilosophie heute. |
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Die Freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung,
vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten.
Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.
(Meißner-Formel, zitiert nach Mogge 1985, S.182)
Einleitung
Vom 11.-12. Oktober des Jahres 1913 fand auf dem Meißner bei Kassel das größte übergreifende Treffen der deutschen Jugendbewegung mit ca. 2000 bis 3000 Teilnehmenden statt. Der Freideutsche Jugendtag gilt als erste organisierte Massenveranstaltung der deutschen Jugend seit dem Wartburgfest von 1817.
Die deutsche Jugendbewegung spiegelt wie keine zweite soziale Erscheinung die geistige Verfassung des Bürgertums ihrer Zeit wieder. Eingereiht in eine Vielheit von antimodernistischen, fortschrittskritischen, "neuromantischen" und lebensreformerischen Subkulturen findet in ihr die Abkehr vom Zukunftsoptimismus und der Technikgläubigkeit des 19. Jahrhunderts ihre deutlichste soziale Ausprägung.
Obschon die Jugendbewegung sich selbst zu weiten Teilen als Opposition gegen die Ordnung und Lebensweise des städtischen Bürgertums verstand, stieß sie doch bei vielen Eltern, LehrerInnen und Intellektuellen auf Wohlwollen und Unterstützung. Die Abkehr von den Werten und Sichtweisen des 19. Jahrhunderts war kein "Generationenkonflikt", sondern ein übergreifender Bewußtseinswandel. In den Bewegungen und Subkulturen der Jahrhundertwende, in Kunst und Literatur, in Philosophie und Wissenschaft [Es sei daran erinnert, daß um diese Zeit selbst die newtonsche Mechanik als Gerüst der naturwissenschaftlichen Weltsicht erstmalig fundamental in Frage gestellt wurde. Werner Heisenberg, einer der führenden Köpfe der "neuen" Physik, gehörte selbst der Jugendbewegung an.], überall gerieten "Selbstverständlichkeiten" ins wanken.
So war auch der <Freideutsche Jugendtag> kein reines Treffen einer jugendlichen Subkultur, sondern ein gesamtgesellschaftliches Ereignis. — Auf dem Meißner gaben sich führende Köpfe des geistigen Lebens der Jahrhundertwende ein Stelldichein. Als Redner trat der Neukantianer Paul Natorp auf; die Pressearbeit und den "Kongreß-Reader" besorgte der Verleger Eugen Diederichs.
Eine Grundstimmung der deutschen bürgerlichen Jugendbewegung war das "zurück zur Natur", eine fundamentale Kulturkritik, die oft mit einer Verklärung der Vergangenheit — insbesondere des Mittelalters — und des "einfachen Lebens" einherging. Die moderne Welt und insbesondere die Großstadt wurden als naturferne entfremdete Lebensformen angesehen. Nicht zuletzt ist der Meißner — der "Hohe Meißner" in der Sprache der Jugendbewegung — als Austragungsort des Jugendtages selbst Symbol für die Verabschiedung von der städtischen Lebenskultur geworden. Das Grundgefühl der Jugendbewegung entsprach so weitgehend dem, was die VertreterInnen der Lebensphilosophie in ihren Schriften theoretisch darlegten und untermauerten.
Diese Affinität zeigt sich ganz konkret in der Person des Lebensphilosophen Ludwig Klages. Zwar war Klages selbst nicht auf dem Meißner vertreten, doch konnte Diederichs ihn zu einem Grußwort in seinem Buch bewegen, das unter dem Titel "Mensch und Erde" die populärste Schrift des Philosophen darstellt.
Meine Hausarbeit soll nicht in erster Linie eine Textanalyse sein. Vielmehr möchte ich im folgenden anhand des Grußwortes das Wirken von Klages historisch in einen Kontext stellen und die Frage aufwerfen, in wie weit die Lebensphilosophie fern ab vom akademischen Diskurs noch heute als fundamentales Gerüst alternativer und ökologischer Bewegungen wirksam ist. Die teilweise frappierend "moderne" Wirkung der Themen des Grußwortes läßt diese Frage für mich offensichtlich werden.
Ich möchte mich insbesondere an dem Historiker Ulrich Linse orientieren, der die These einer Kontinuität grundlegender Ideen von den lebensreformerischen Bewegungen der Jahrhundertwende bis zur heutigen Alternativbewegung vertritt. Linse beklagt besonders die Geschichtslosigkeit der heutigen "Alternativen", die sich selbst oft als "neue soziale Bewegung" sehen. Diese Geschichtslosigkeit erscheint vor allem deshalb bedenklich, weil sich weite Teile der Jugendbewegung und des antimodernistischen Bürgertums vom Nationalsozialismus integrieren ließen oder sogar tragende Säulen der nationalsozialistischen Ideologie wurden.
Ich will nicht schwarz-weiß-malerisch die gesamte Jugendbewegung und die Lebensphilosophie zu Wegbereitern Hitlers stempeln — schon gar nicht die heutige Alternativbewegung insgesamt in die Nähe von Nazis rücken. Ich halte aber einen kritischen Rückblick auf die lebensphilosophische Tradition gerade für hilfreich, weil sich in der lebensphilosophisch inspirierten Jugendbewegung die neuromantische Kritik einer rein zweckrationalen Zivilisation eng mit präfaschistischen Vorstellungen von Autorität, Völkischem, Führertum,... verflochten hat.
Eine Alternativbewegung, die wirkliche Alternativen zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung entwickeln will, hat zwei Fallstricke zu überwinden:
Sie wiederholt den Weg des bürgerlichen Antimodernismus, schafft es nicht, die Kritik der rein zweckrationalen Lebensweise von autoritären Mustern zu trennen.
Sie gibt die Grundfragen nach einer fundamental anderen Kultur völlig auf und verliert sich in einer pragmatisch-zweckrationalen Realpolitik, die kapitalistische Grundwerte nicht mehr in Frage stellt.
Ich möchte an Hand des Grußwortes zentrale Themen der Jugendbewegung und des bürgerlichen Antimodernismus in ihrem historischen Kontext darstellen. Dabei interessiert mich vor allem die Frage, welche Sichtweisen die autoritären Momente gefördert haben.
Ein kurzer Ausblick auf die Rezeption lebensphilosophischer Ideen in der Alternativbewegung ergänzt die Arbeit und läßt mich die zentrale Frage aufwerfen: Gibt es ein emanzipatorisches Moment in der Kritik der zweckrationalen Zivilisation?
Diese Arbeit kann die Frage nicht abschließend beantworten — ich versuche mehr, ein Problem deutlich zu machen, denn eine Lösung anzubieten. Alles andere würde ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt als anmaßend empfinden.
Die Deutsche Jugendbewegung
Loskommen will man von der alle Menschen-Natur beleidigenden, ja niedertretenden einseitigen Richtung auf Entfaltung äußerer Techniken, die sich "Kultur" nennen, die aber diesen hohen Namen so lange offenbar nicht verdienen, als über den bloßen Mitteln der allein edle Zweck: der Zweck des Menschseins, aus den Augen gelassen, ja tausendfach vereitelt wird. —— Loskommen möchte man von der Geißnerei einer verschrobenen, tief ungeselligen Geselligkeit, von den hohl gewordenen, des Sachgrundes entbehrenden Formen und Konventionen eines verkünstelten "Lebens", in dem alles echte Leben zu ersticken droht; abwerfen die aufgelegte Schminke, den verstellenden Schein alles unechten Sichgehabens und Verkehrens; wieder zurechtbiegen all die Verkrümmungen, an denen das heutige Leben des Einzelnen wie der Gesamtheit offenbar leidet.
Paul Natorp: Aufgaben und Gefahren unsrer Jugendbewegung.
In: Freideutsche Jugend — zur Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner 1913,
Jena 1913, S. 123f — zitiert nach Mogge 1986, S. 96
Als um 1895 der Gymnasiallehrer Hermann Hoffmann in Berlin-Steglitz den "Wandervogel" als Schülerwandergruppe gründete, war kaum vorherzusehen, daß hier nicht nur eine Initialzündung für die Gründung ähnlicher Gruppen überall in Deutschland gelegt wurde, sondern auch eine gegenkulturelle Bewegung ihren Anfang nahm, die für mehrere Generationen junger Menschen prägend wurde und das geistige Leben in Deutschland nachhaltig beeinflußte.
Wurde in den ersten Wandergruppen noch ganz konventionell in Schuluniform gewandert, so entwickelte sich bald eine ganz eigene Alltagskultur mit Kleidungsstil, Sitten und Gebräuchen, Liedern und Spielen und nicht zuletzt Weltbildern und Philosophien. Neben der bürgerlichen Erwachsenenwelt entstand mit der Jugendbewegung überhaupt erst einmal die Vorstellung von "Jugend" als eigenständiger Lebensepoche mit eigenen Freiräumen, sozialen Zusammenhängen und Lebensformen. Abseits von Familie, Schule, Universität, Arbeit und all den Zusammenhängen der Erwachsenenwelt wurden die Jugendbünde für viele junge Menschen zum sozialen Mittelpunkt ihres Lebens. Hier wurde gemeinsam gewandert, gefeiert, musiziert, diskutiert und gelebt.
Natürlich versuchten von Anfang an Parteien des rechten wie linken Spektrums aber auch politische AußenseiterInnen und EinzelkämpferInnen jedweder Couleur die Jugendbewegung ideologisch zu vereinnahmen und zu politisieren. Doch im eigentlichen Sinne politisch wurden die Bünde fast nie. Gemeinschaftliche Aktivität, zusammenleben, die individuelle Entwicklung — all das war wichtiger in diesem gesellschaftlichen Freiraum als die Auseinandersetzung mit ideologischen Lehrgebäuden und dem politischen Alltagsgeschehen. Die Jugendbewegung verstand sich als Opposition, aber als kulturelle, nicht als politische Opposition zur bürgerlichen Erwachsenenwelt. So ist nicht verwunderlich, daß die Jugendbewegung bei aller Distanz zur etablierten Gesellschaft doch zu wesentlichen Teilen die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen ihrer Zeit mitvollzog und sich sowohl an der Kriegsbegeisterung 1914 beteiligte, als auch 1933 vom Nationalsozialismus integriert wurde.
Heimatschutz
Bei aller konkret-politischen Enthaltsamkeit hängt die Jugendbewegung doch eng mit dem allgemeinen Aufkommen antimodernistischer Ideen und Subkulturen um die Jahrhundertwende zusammen. 1897 prägte der Berliner Musik-Professor Ernst Rudorff die Begriffe "Naturschutz" und "Heimatschutz". 1904 wurde der "Bund Heimatschutz" gegründet. Jetzt, wo im Zeichen der Industrialisierung die letzten Reste ursprünglicher Natur in Deutschland verschwanden, wurden "Heimat", "Natur" und "Landschaft" verstärkt als wertvoll und schützenswert empfunden. Das gemeinsame Wandern in der freien Natur — auch in Abgrenzung zum beginnenden Tourismus — war ein zentraler Bestandteil im sozialen Leben der Jugendbewegung — man ging "auf Fahrt". Natur- und heimatschützerisches Denken stieß so auch in der Jugendbewegung auf eine wohlwollende Aufnahme.
Krise des Bildungsbürgertums
Gerade weite Teile des deutschen Bildungsbürgertums erlebten sich in der Zeit der Industialisierung als eigentliche "VerliererInnen" des "Fortschritts". In einer Zeit, wo Technik, Produktivität und Erfolg Ansehen und gesellschaftlichen Einfluß versprachen, geriet das Bildungsbürgertum als nicht im kapitalistischen Sinne produktive Gruppe mehr und mehr ins Abseits und drohte im öffentlichen Ansehen seine Berechtigung zu verlieren. Während so zwischen Unternehmen und Arbeiterschaft bei allen Kämpfen doch über die Industrialisierung ein prinzipieller Konsens bestand, bekämpfte vor allem das Bildungsbürgertum die einseitige Orientierung an (wirtschaftlichem/wirtschaftlich verwertbarem) Erfolg und politischer Macht. Viele gerieten dabei in ein extrem konservatives Fahrwasser: man sehnte sich zurück in die Zeit, wo Deutschland (jedenfalls aus Sicht der BildungsbürgerInnen) noch ein Land der Dichter und Denker gewesen war. Viele knüpften wieder an die deutsche Romantik an. Auch in der Jugendbewegung war das konservative Element zugegen. Das einfache Leben, das Mittelalter und nicht zuletzt die "Deutsche Kultur" wurden verklärt. Bei der allgemeinen Begeisterung für den 1. Weltkrieg war 1914 ein wesentlicher Faktor, daß der Krieg in Deutschland von vielen zum entscheidenden Kampf zwischen der "höheren innerlichen Kultur im Lande der Dichter und Denker" und der "äußerlichen Zivilisation der modernen Welt" — repräsentiert durch Frankreich und England — stilisiert wurde.
Bei allem Konservativismus der antimodernistischen Opposition in Deutschland fand sich doch auch das gegenteilige Element. Der Wandel im Denken wurde als geistige Erneuerung gesehen. "Jugend" wurde zum Symbolbegriff für die kulturelle Erhebung gegen die Gesellschaft. Eine wichtige Kunst-Zeitschrift trug damals den Titel "Jugend" — nach ihr hat der "Jugendstil" als künstlerische Epoche seinen Namen. Die Jugendbewegung symbolisiert so auch als Begriff schon den Umschwung im Denken der Jahrhundertwende.
Lebensreform
Im Zuge der bildungsbürgerlichen Kulturkritik entstand auch eine Vielzahl von Subkulturen, Gruppen und Bewegungen, die nicht bei einer verbalen Kritik der Modernisierung stehen blieb, sondern versuchte, konkrete Alternativen einer anderen Lebensweise vorzuleben. In diesem Umfeld entstanden die Naturheilkunde, die Freikörperkulturbewegung, die Vegetarierbewegung und viele mehr. An einigen Stellen wurden sogar AussteigerInnensiedlungen gegründet — die bekannteste auf dem Monte Veritá in Ascona. Auch in Deutschland gab es solches Siedlungen, z.B. die Obstbaukolonie Eden bei Oranienburg. Viele Menschen versuchten, in mehr oder weniger umfangreichen Aspekten ihr Leben abseits der etablierten Gesellschaft zu organisieren und erreichten dabei oft eine erstaunliche Radikalität.
Den LebensreformerInnen ging es vor allem um eine naturnähere Lebensweise. Darunter wurde v.a. ein Wiederzusammenfinden von Seelischem und Körperlichem verstanden. Der Mensch sollte nicht länger in einer nicht nur der äußeren, sondern auch seiner eigenen körperlichen Natur entfremdeten vergeistigten Lebensweise verharren. Der lebensreformerische Aspekt drang auch tief in die Jugendbewegung ein. Lebens-reformerische Gedanken spiegelten sich in der gesamten "Kultur" der Jugendbewegung — von der Kleidung über die Ernährung bis zur Wanderschaft in der Natur. Vereinzelt gab es sogar Siedlungsgründungen aus der Jugendbewegung.
Die LebensreformerInnen verstanden sich wie die Jugendbewegung als Gegenkultur, fast nicht als politische Opposition. Während sie ihr eigenes Leben oft sehr radikal außerhalb der Gesellschaft gestalteten, nahmen sie kaum Einfluß auf die politische Entwicklung. Viele lebensreformerische Projekte gerieten zusehens in den Druck kapitalistischer Marktzwänge und verkommerzialisierten sich (Monte Veritá & Eden) oder näherten sich einem deutschtümelnden Wertkonservativismus an (Eden). Auch viele LebensreformerInnen fanden später in der Nazi-Bewegung eine politische Heimat.
Die Widerkehr der Religion
Noch immer ist die Jugendbewegung ein Suchen und Drängen nach endgültiger Form, ein Ringen nach Vollendung der erlösenden Religiosität, die die Form füllen soll Dieser religiöse Zug ist von elementarer Stärke, er kennt alle Abstufungen von der zartesten Innigkeit bis zur wilden Ekstatik. Er ist die Sehnsucht nach Erlösung in einer Religiosität, die Leib und Seele in dem großen Naturgeschehen umfängt, dessen Erkenntnis die Jugend verstehend und ahnend gewann. Es ist eine Religiosität, die vorherrschend vom Leibe ausgehend, die christliche Einkerkerung, die entwürdigende, entheiligende überwindet, die über die Trümmer der zusammengebrochenen Welt des Geistes-Hochkults hinwegstürmt, die tiefinnige Religiosität der Körperlichkeit. [Charly Straeßer: Jugendgelände, Rudolstadt 1926, S. 10 — zitiert nach Mogge 1986, S. 90]
Gemeinhin wird die gesamte neuzeitliche Entwicklung als Säkularisierung der westlichen Gesellschaften aufgefaßt. Da nimmt es nicht wunder, daß in einer Zeit, die den Modernisierungsprozeß als Verfall auffaßte, das Augenmerk wieder auf die Religion viel. Während das institutionalisierte Christentum mit dem Wachsen der Städte überall an Präsenz verlor, bildete sich jenseits der Kirche im Bildungsbürgertum ein besonderes Verständnis von Religion heraus. So trug die "Kulturdiskussion" in Deutschland auch deutlich religiöse Züge. Um die Jahrhundertwende verbreitete sich ein Verständnis von mystischer Religiosität. Unter anderem wurden die Werke des mittelalterlichen Mystikers Meister Eckhardt ins Neuhochdeutsch übertragen und neu aufgelegt.
Dieses Wiedererwachen einer mystischen Religiosität bei gleichzeitigem Verschwinden der institutionalisierten Religion geschah keinesfalls plötzlich, sondern war bereits in der vorhergegangenen Entwicklung angelegt. Die Aufklärungsphilosophen hatten versucht, die Grundlagen der christlichen Religion vernünftig zu beweisen, ohne auf Offenbarung zurückgreifen zu müssen. Einen Höhe- und Abschlußpunkt erreichte dieses Programm mit Immanuel Kant, der mit dem kategorischen Imperativ ein oberstes Moralgebot nicht aus der Autorität einer Kirche, sondern allein aus unserer praktischen Vernunft zu beweisen versuchte. Die Quelle der Moral wurde weg von der Autorität der institutionalisierten Religion in eine uns innewohnende Vernunft verlegt. Die Erkenntnis des moralischen Gebotes wurde zur Selbsterkenntnis. Als Nietzsche später den "Tod Gottes" verkündete, war nicht nur der Gott der christlichen Offenbarung gemeint, sondern ebenso das "moralische Gesetz in uns". Nicht nur die äußere kirchliche Autorität, auch unsere Vernunft kann uns keine moralische Richtschnur sein. Als um die Jahrhundertwende die Religiosität im Bildungsbürgertum neu erwachte, konnte sie die Aufklärung ebenso wie die Moralkritik Nietzsches nicht einfach bei Seite stellen, vielmehr galt es an Kant und Nietzsche anzuknüpfen. Religion sollte "Selbsterkenntnis" bleiben — nicht Hörigkeit gegenüber einer überlieferten Autorität; in Folge von Nietzsche freilich nicht mehr Selbsterkenntnis der Vernunft, sondern Selbsterkenntnis jener unergründlichen Tiefen des Lebens, die von der Vernunft mehr verstellt denn freigegeben werden. Hier vermutete man nicht mehr dumpfe Triebe oder Nietzsches "Willen zur Macht", sondern etwas Göttliches. Das Leben selbst, eine Seelisches wie Körperliches umgreifende "Natur" geriet zur Quelle der Religiosität.
So wandte sich die Aufmerksamkeit vor allem den mystischen Traditionen im Christentum und außereuropäischen Religionen zu, in denen Mystik, Meditation und die Einheit von Körper und Seele gegenwärtiger waren als im christlichen Erbe.
1896 wurde der Verlag Eugen Diederichs gegründet, der rasch zum Sammelpunkt religionsinteressierter Leute wurde. Verlagsprogramm war eine gezielte Bewußtseinsbildung durch die Herausgabe grundlegender Texte aus allen Religionen. Verleger Diederichs wollte die Beschäftigung mit den außereuropäischen Religionen und der Geschichte des Christentums fördern, weil der moderne Mensch im Zwiespalt mit sich selber mit den Begriffen unserer Gegenwartskultur nicht mehr in der Lage sei, zu erfassen, was Leben ausmacht. Die Beschäftigung mit den Religionen sollte Verschüttetes freilegen; Geschichte diente als Selbsterfahrung. Die enge Affinität von Diederichs zur Jugendbewegung zeigt sich in seiner auch organisatorischen Mitarbeit beim freideutschen Jugendtag; er war es, der Klages um ein Grußwort anfragte.
Daß das Wiedererwachen der Religiosität kaum mit einer Stärkung der institutionalisierten christlichen Religion einherging, verdankt sich zu einem guten Teil auch der Auffassung, daß das Christentum für die Situation des modernen Menschen wesentlich verantwortlich sei. Es wurde nicht der Gegensatz von christlichem Mittelalter und säkularer Moderne betont, sondern gerade die Kontinuität — die Entwicklung der Moderne aus dem Geist der christlichen Weltanschauung. Vier grundlegende Thesen können hier ausgemacht werden:
Der Soziologe Max Weber hatte die These aufgestellt, daß in einer protestantischen Moral, die das Seelenheil am weltlichen Erfolg maß, die historische Wurzel des kapitalistischen Erfolgsdenkens zu suchen sei.
Das Christentum impliziert eine "Entgötterung" der Natur. Christliche Gebote von Nächstenliebe gelten immer nur zu Menschen, die Erde ist dem Christentum nichts Heiliges — "Macht Euch die Erde untertan".
Das Christentum war nie eine eigentlich europäische Religion. Europa wurde weitgehend gewaltsam "von außen" christianisiert. Der Bezug zur Heimat, zur umgebenden Natur, zu den Wurzeln der eigenen Kultur wurde unter dem geistlichen Terror einer "imperialistischen" Macht verschüttet. Das spirituelle Bewußtsein des europäischen Menschen ist doppelbödig; unter der Oberfläche eines fremden institutionalisierten Christentums fließt immer eine ursprüngliche Untergrundströmung, die immer wieder da zum Vorschein tritt, wo die "Oberfläche" brüchig wird. [Daß der Antisemitismus aus diesem Denken gespeist wurde, liegt auf der Hand: Es galt zur ursprünglichen Religiosität des nordischen Menschen zurückzufinden und das Joch der jüdisch-christlichen Eroberung abzuschütteln. Tatsächlich verbreiteten sich um jene Zeit — besonders im Umfeld der Jugendbewegung — heidnische und deutschgläubige Gruppen, die das verschüttete religiöse Erbe des Heidentums wiederbeleben wollten — oft mit explicit antichristlichem (und antisemitischem) Hintergrund.]
Die christliche Moral wurde im Anschluß an Nietzsche als "Sklavenmoral" gesehen, die den Menschen unter strenge Gebote zwängt und ihn so seiner eigentlichen Größe beraubt. Der christliche Mensch sieht eine körperlich/seelischen Antriebe nicht als Lebensquell, sondern unterwirft sie der Autorität allgemeinverbindlicher Normen. Nicht die Entfaltung der menschlichen Möglichkeiten, sondern die stumpfe Herrschaft der Masse ist im Christentum angelegt. [Dies speziell dem Christentum anzulasten, ist jedoch nicht Konsens. Der o.g. Bergson betrachtet — wie dort erwähnt — das Wechselspiel beider Prinzipien — des unmittelbaren Erfahrens des schöpferischen Prinzips und des sich Einordnens unter religiös-soziale Normen — als Grundmuster in allen Religionen. Er hält hier das Christentum sogar für besonders weit entwickelt.]
Das Grußwort von Ludwig Klages
Wir täuschten uns nicht, als wir den "Fortschritt" leerer Machtgelüste verdächtig fanden, und wir sehen, daß Methode im Wahnwitz der Zerstörung steckt. Unter den Vorwänden von "Nutzen", "wirtschaftlicher Entwicklung", "Kultur" geht er in Wahrheit auf Vernichtung des Lebens aus. Er trifft es in allen seinen Erscheinungsformen, rodet Wälder, streicht die Tiergeschlechter, löscht die primitiven Völker aus, überklebt und verunstaltet mit dem Firnis des Industrialismus die Landschaft und entwürdigt, was er von Lebewesen noch überläßt gleich dem "Schlachtvieh" zur bloßen Ware, zum vogelfreien Objekt "rationeller" Ausbeutung. In diesem Dienste aber steht die gesamte Technik und in deren Dienste wieder die weitaus größte Domäne der Wissenschaft. [Klages 1913, S.98]
In seinem "Mensch und Erde" betitelten Grußwort an den Freideutschen Jugendtag schlägt Klages einen weiten Bogen. Ausgehend vom Begriff des "Fortschritts", der für ihn das moderne Bewußtsein prägt, schildert er detailliert und nicht ohne Pathos die verheerenden Auswirkungen eben dieses Fortschritts. Der Fortschritt entpuppt sich als Herrschaft des bloßen Erfolgs; der Fortschritt ist reiner Machtzuwachs. Im Anschluß seiner Schilderungen der Auswirkungen des Fortschrittsdenkens besinnt sich Klages auf dessen Wurzeln. Er stimmt ein in den Reigen der KritikerInnen des Christentums — allein die christliche Kultur hat das Fortschrittsdenken entwickelt.
Doch Klages blickt hier noch weiter zurück: auch das Christentum ist nur eine Etappe auf dem Weg. Hier findet ein Prinzip seinen historischen Ausdruck, das doch so alt ist, wie die Menschheitsgeschichte. Als der Mensch aus dem Naturzustand heraustrat, brach mit dem Geist eine akosmische Macht in die Sphäre des Lebens ein. Als unversöhnliche Prinzipien stehen die allumfassenden Verbundenheit der Natur und der menschliche Geist einander gegenüber.
Das Grußwort eröffnet zunächst die ganze Fülle der Zerstörungen, die das Fortschrittsdenken bewirkt, um dann in der Gesamtschau zielstrebig auf eine These zuzulaufen, die dem Titel von Klages´ philosophischem Hauptwerk entspricht: "Der Geist als Widersacher der Seele". Im Grußwort leitet Klages die Kernthese seines Werkes für ein breites Publikum in aller Kürze her. Gleichzeitig streift sein Blick immer wieder Einzelaspekte der Zerstörung, die er in aller Detailliertheit schildert. Im Folgenden möchte ich dem Gang des Textes folgen, einige Details als Beleg der Aktualität des Textes in der Schilderung konkreter Zerstörungen anbringen, vor allem aber die enge Einbindung der Klages'schen Philosophie in den oben geschilderten antimodernistischen Zeitgeist verdeutlichen.
Die ausführliche Schilderung von Zerstörung der Landschaft und Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten verweist in aller Deutlichkeit auf die Gegenwart des Natur- und Heimatschutzgedankens; doch auch die anderen Elemente klingen an: Die Krise des Bildungsbürgertums, die Lebensreform, das Wiedererwachen der Religiosität bei gleichzeitiger Kritik des Christentums. Das Besondere des Grußwortes bleibt, daß Klages alle diese Elemente um seine zentrale These gruppiert und damit den Gedanken vom Geist als Widersacher der Seele zur Essenz des Antimodernismus stilisiert.
Der Fortschritt
Ausgangspunkt des Grußwortes ist die Kritik am Fortschrittsdenken des modernen Menschen. Man glaubt sich allen vorausgegangenen Geschichtsepochen ebenso überlegen, wie den nichteuropäischen Völkern. Doch was ist das Wesen eben jenes Fortschritts?
"Worauf aber der Fortschrittler stolz ist, das sind bloße Erfolge, sind Machtzuwächse der Menschheit, die er gedankenlos mit Wertzuwächsen verwechselt, und wir müssen bezweifeln, ob er ein Glück zu würdigen fähig sei, und nicht vielmehr nur die leere Befriedigung kenne, die das Bewußtsein der Herrschaft gibt. Macht allein ist ja blind gegen alle Werte, blind gegen Wahrheit und Recht und, wo sie diese noch zulassen muß, ganz gewiß blind gegen Schönheit und Leben." [Klages 1913, S. 90]
Klages´ Sicht des Fortschritts als "Machtzuwachs" im Gegensatz zum "Wertzuwachs" läßt sich ohne weiteres in den Kontext der o.g. "Kultur und Zivilisation-Diskussion" stellen. Die Krise des Bildungsbürgertums ist so gleich am Anfang des Grußwortes gegenwärtig. Kapilalistischer Fortschritt als reine Erfolgsorientierung läßt keinen Platz für höheres. So ist für Klages neben den u.g. Zerstörungen einer der wichtigsten Aspekte des "Fortschritts" der "Untergang der Seele", den man fast der Krise des Bildungsbürgertums gleichsetzen möchte:
"Wie gäbe es aber unter solchen Umständen noch große Persönlichkeiten! Wir verkennen gewiß nicht den Wert der Erfindungsgabe an den Meistern der Technik, nicht des Rechentalents an den Fürsten der Industrie; aber auch wenn man dergleichen auf die nämliche Stufe höbe mit lebendiger Schöpferkraft, so bleibt es doch sicher, daß es niemals imstande wäre, das Leben zu bereichern. Die gescheiteste Maschine hat nur Bedeutung im Dienste eines Zweckes, nicht an sich selbst, und die umfangreichste industrielle Organisation der Gegenwart ist in tausend Jahren ein Nichts, indes die Gesänge Homers, die Weisheitsworte Heraklits, die Symphonien Beethovens zum nie veraltenden Schatz des Lebens gehören. Wie traurig aber sieht es jetzt mit unserem Denker- und Dichtertum aus, das man einst mit Recht an uns rühmte." [Klages 1913, S. 99f]
Die großen Kulturleistungen, die Werke der Dichter und Denker entspringen für Klages offenbar nicht allein dem akosmischen Geist, der in Reinform das Prinzip der kapitalistischen Zweckrationalität ist, sie stehen in engem Zusammenhang mit dem Leben, sie schaffen Werte. Während die meisten Menschen befangen vom Fortschrittsglauben der "Sklaverei von Geld und Beruf" [Klages 1913, S. 100] erliegen, eröffnet sich die Allianz von antimodernistischem Bildungsbürgertum und Jugendbewegung:
"Nicht für überzeugte Bekenner dieses Glaubens, die mit ihm sterben werden, wohl aber für ein jüngeres Geschlecht, das noch fragt, wollen wir versuchen, wenigstens an einer Stelle den Schleier zu lüften und die bedrohliche Selbsttäuschung aufzudecken, die er verhüllt." [Klages 1913, S. 89f]
Die Zerstörungen
Vielfältig sind die Zerstörungen, die das Fortschrittsdenken des modernen Menschen anrichtet. In ihnen zeigt sich für Klages die Entferntheit des modernen Menschen vom Leben. Wesentliche Zerstörungen sind für Klages das Artensterben und die Zerstörung der Natur, die rücksichtslose Vernichtung sogenannter primitiver Völker und der Verlust von Tradition, Sitten und Brauchtum.
Naturzerstörung und Artensterben werden von Klages eindringlich beschrieben. Noch heute aktuell erscheinen seine Berichte über Walfang und Elfenbeinhandel:
"Seit im Jahre 1908 in Kopenhagen eine Aktiengesellschaft entstand ´zum Betrieb von Walfischfang in großem Stile und nach einer neuen Methode´, nämlich mit schwimmenden Fabriken, welche die erlegten Tiere sogleich verarbeiten, wurden im Laufe der beiden folgenden Jahre rund fünfhunderttausend dieses größten Säugers der Erde hingeschlachtet, und der Tag ist nahe, wo der Wal der Geschichte und — den Museeen angehört. [...]
Um die sogenannte Kulturmenschheit mit Billardkugeln, Stockknöpfen, feinen Kämmen und Fächern und ähnlichen ungeheuer nützlichen Gegenständen zu versehen, werden nach den neuesten Berechnungen des Pariser Forschers Tournier achthunderttausend Kilogramm Elfenbein jährlich verarbeitet. Das ist gleichbedeutend mit der Niedermetzelung von fünfzigtausend der gewaltigsten Tiere der Welt." [Klages 1913, S. 94]
Deutlich zeigt Klages auf, daß das sogenannte Nützlichkeitsdenken des modernen Menschen allzu oft gar nicht auf wirklichen Nutzen, die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielt, sondern in großem Maße Naturzerstörung und Ressourcenverschwendung der Produktion völlig unnötiger Waren dienen. Als Beispiel führt er die Papierproduktion für Werbezwecke an. Erstaunlich aktuell klingt auch Klages´ Einsicht in ökologische Zusammenhänge:
"Wir wollen auch nicht wiederholen, was bald Gemeingut des Wissens ist, daß in keinem, aber auch in keinem Falle der Mensch die Natur mit Erfolg korrigieren konnte. Wo die Singvögel schwinden, vermehren sich maßlos blutsaugende Insekten und schädliche Raupen, die oft schon in wenigen Tagen Weinberge und Wälder kahl gefressen; wo man die Bussarde abschießt und die Kreuzottern ausrottet, kommt die Mäuseplage und verdirbt durch Zerstörung der Hummelnester den zu seiner Befruchtung auf diese Insektenart angewiesenen Klee; das größere Raubzeug besorgt die Auslese unter dem Jagdwild, welches durch Fortpflanzung kranker Stücke entartet, wo seine natürlichen Feinde fehlen; und so geht es fort bis zu den schlimmeren Rückschlägen der verwundeten Natur exotischer Länder in Gestalt jener furchtbaren Seuchen, die sich an die Ferse des zivilisierenden Europäers hefteten." [Klages 1913, S. 92]
Aber nicht nur die Natur selbst wird zerstört, auch der Maßstab des modernen Menschen für die Natur geht verloren. An manchen Stellen liest sich Klages´ Schrift fast wie aus einer Broschüre eines heutigen Naturschutzvereins. Die Affinität des Lebensphilosophen zur Natur- und Heimatschutzbewegung ist jedenfalls kaum zu übersehen, ebenso wie sich an der Aktualität seiner Ausführungen zur Naturzerstörung nicht zweifeln läßt. Wo Klages direkt Bezug auf den Natur- und Heimatschutz nimmt, wirft er den HeimatschützerInnen dennoch vor, die Tiefe der Probleme zu verkennen:
"Wohlmeinende und warmherzige Menschen haben in den letzten zehn Jahren wieder und wieder die warnende Stimme erhoben und suchen durch Natur- und Heimatschutzbünde dem Übel zu steuern; nicht bekannt aber ist die tiefe Ursache und die ganze Tragweite des Unheils. Bevor wir jedoch darauf eingehen, fahren wir in unserer Anklage fort." [Klages 1913, S. 95]
Den Heimatschützer Ernst Rudorff (s.o.) und dessen wesentlichen Aufsatz "Über das Verhältnis des modernen Lebens zur Natur" zitiert Klages, um auf die Zerstörung ganzer Landschaften durch den beginnenden Massentourismus hinzuweisen — ein Problem, das für den Heimatschutz in Deutschland mit konstituierend war. Tourismus ist auch für Klages ein Sinnbild für Naturferne und Ausnutzung von Natur.
Gerade der Erhalt des Landschaftsbildes ist für Klages von Bedeutung, weil er einen engen Zusammenhang zwischen der Landschaft und der Kultur und Lebensweise der Menschen sieht.
So besteht eine enge Verbindung zwischen Naturzerstörung und Zerstörung der menschlichen Kultur. Dem Gedanken des Heimatschutzes folgend, sieht Klages in der modernen Lebensweise auch eine Selbstzersetzung des Menschlichen:
"Die Totenliste, die hier zu schreiben wäre, um auch nur das Wichtigste namhaft zu machen, überträfe noch weit die der Tiere, daher es genügen mag, aufs Geratewohl ein paar Haupttatsachen herauszugreifen. — Wo sind die Volksfeste und heiligen Bräuche geblieben, dieser Jahrtausende lang unversiegliche Born für Mythos und Dichtung: der Flurumritt zum Gedeihen der Saaten, der Zug der Pfingstbraut, der Fackellauf durch die Kornfelder! — Wo der verwirrende Reichtum der Trachten, in denen jedes Volk sein Wesen, dem Bilde der Landschaft eingepaßt, zum Ausdruck brachte!" [Klages 1913, S. 98]
Mehr noch Leidtragende der Zerstörung sind die sogenannten primitiven Völker, die schonungslos unterworfen und vernichtet wurden:
"Aber mit alledem nicht genug, die Wut der Vertilgung hat auch durch die Menschheit ihre blutige Furche gezogen. Dahingeschwunden sind ganz oder nahezu, weil entweder niedergemacht und ausgehungert, oder zu hoffnungslosem Siechtum verurteilt durch Branntwein, Opium, Syphillis, die Geschenke des "Fortschritts", die Naturvölker. Aus und vorbei ist es mit den Indianern, vorbei mit den Urbewohnern Australiens, vorbei mit allen besten der polynesischen Stämme; die tapfersten Negervölker widerstreben und erliegen der "Zivilisation"; und soeben erlebten wir es, daß Europa gleichmütig zusah, wie sein letztes Urvolk, die Albaner, die "Adlersöhne", die ihren Stamm bis auf die mythischen "Pelasger" zurückführen, von den Serben zu tausenden und abertausenden planmäßig umgebracht wurden." [Klages 1913, S. 97f]
So entpuppt sich das Fortschrittsdenken für Klages als umfassende Zerstörung. An ihrem Ende steht der "Untergang der Seele", der Sieg der Zweckrationalität auch über die Kulturleistungen. Hier heißt es über den Heimatschutz hinauszugehen und den Blick den Wurzeln des Fortschrittsdenkens zuzuwenden.
Die "Natur"
Zunächst wendet Klages seinen Blick dem Bild des modernen Menschen von der Natur zu. Der Darwinismus — und mit ihm der Monismus Ernst Haeckels — ist für ihn ein Naturbild, das nur den Sieg des Erfolgsdenkens — des Kampfes aller gegen alle — in der Gesellschaft wiederspiegelt:
"Gruppen und Grüppchen schließen sich rücksichtslos zusammen um Sonderinteresse, im zähen Erhaltungskampf stoßen hart aufeinander Gewerbe, Stände, Völker, Rassen, Konfessionen, und innerhalb jeden Verbandes wieder voll Eigensucht und Ehrgeiz die Einzelmenschen. Und da der Mensch sich die Welt stets nach dem Bilde des eigenen Zustandes deutet, so glaubt er auch in der Natur ein wüstes Ringen um Macht zu sehen, wähnt sich im Recht, wenn er allein im "Kampf ums Dasein" überblieb, malt sich die Welt nach dem Gleichnis einer großen Maschiene, wo immer die Kolben nur stampfen, die Räder schnurren müssen, damit "Energie" — man sieht nicht, zu welchem Ende — umgesetzt werde, und bringt es mit einem geschwätzigen sogenannten Monismus fertig, das billionenfältige Leben aller Gestirne umzufälschen und herabzuwerten zum bloßen Sockel des menschlichen Ichs." [Klages 1913, S. 100f]
Der moderne Mensch hat den Blick verloren für die Fürsorge für das Leben in der Natur. Für Klages gibt es keinen "Kampf ums Dasein" in der Natur:
"Viele Insekten sterben nach dem Begattungsakt, so wenig legt die Natur auf Erhaltung Gewicht, wenn nur in ähnlichen Formen die Woge des Lebens weiterrollt. Was ein Tier das andere jagen und töten läßt, ist das Bedürfnis des Hungers, nicht Erwerbssinn, Ehrgeiz, Machtgelüste. Hier klafft ein Abgrund, den keine Entwicklungslogik je überbrücken wird. Nie wurden denn Arten durch andere ausgerottet, da jedem Zuviel auf der einen Seite alsbald der Rückschlag folgt, indem durch stärkere Lichtung der Beute dem Feinde die Nahrung ausgeht; sondern ihr Wechsel vollzog sich in riesenhaften Zeiträumen aus planetarischen Gründen und führte eine beständige Vermehrung der Varietäten herbei." [Klages 1913, S. 101]
Der innere Widerspruch in Klages´ Argumentation, daß er hier mit der "Fürsorge für das Leben" ein fundamentales Naturprinzip postuliert, während er nur wenige Zeilen zuvor dem Darwinismus vorhält, daß sich der Mensch "die Welt stets nach dem Bilde des eigenen Zustandes deutet", scheint ihm nicht aufzufallen; auch Klages deutet die Natur nach dem Bilde seiner Philosophie — dabei bedient er sich sogar (man möchte fast sagen im Vorgriff auf spätere Systemtheorien) einer durch und durch rational-wissenschaftlichen Beschreibung von Naturzusammenhängen.
Das Christentum
Wo findet die moderne Technik und die zweckrationale Lebenshaltung nun ihren Ursprung? Klages verweist darauf, daß die Griechen der klassischen Antike wohl nicht aus Mangel an Entwicklung keine praktische Technik im modernen Sinne besaßen. Die Höhe ihrer künstlerischen Leistungen und philosophischen Systeme stünde in Widerspruch zu solchem Unvermögen; sie hatten vielmehr laut Klages gar kein Interesse an ihr. Ähnliches gilt für die alte chinesische Kultur:
"Wenn sie die Wissenschaft nicht besaßen, mit deren Hilfe man Kanonen baut, Gebirge sprengt, künstliche Butter macht, so liegt die Annahme näher, daß sie daran kein Interesse hatten. Hinter den Erkenntnisbemühungen stehen fordernd und lenkend die Interessen der Menschheit, und nur aus der Richtung dieser können wir jene verstehen. — damit die fortschrittliche Forschung der Neuzeit einsetzen konnte, mußte der große Gesinnungswandel der Menschheit vollzogen sein, dessen Praxis man Kapitalismus nennt." [Klages 1913, S. 102]
Was aber war der Ausgangspunkt dieses Gesinnungswandels. Klages sieht hier das Christentum in der Verantwortung und stimmt ein in den Chor der antimodernistischen KritikerInnen:
"Wenn schon "Fortschritt", "Zivilisation", "Kapitalismus" nur verschiedene Seiten einer Richtung des Instinkts bedeuten, so wollen wir uns jetzt erinnern, daß dessen Träger ausschließlich die Völker der Christenheit sind. Nur innerhalb ihrer wurde Erfindung auf Erfindung gehäuft, hat sich die "exakte" d.h. zahlenmäßige Wissenschaft entwickelt, und regte sich rücksichtslos das Expansionsbedürfnis, welches die außerchristlichen Rassen unterwerfen und die gesamte Natur verwirtschaften will." [Klages 1913, S. 103]
Von den o.g. vier Thesen über die Verantwortung des Christentums für die Moderne beruft sich Klages hier explicit auf die zweite — Entgötterung der Natur- und läßt die vierte — christliche Moral versus Lebenstantriebe — in seiner eigenen Nouancierung anklingen. Sie leitet direkt zu Klages´ Zentralthese vom Geist als Widersacher der Seele über. Auch Klages stellt dem Christentum die Verbundenheit außereuropäischer Religionen — explicit des Buddhismus — mit dem Leben und die Naturnähe des europäischen Heidentums gegenüber. Das Christentum trennt den Menschen von der Natur. Der eine Gott des Monotheismus — und mit ihm auch das Monon der MonistInnen — meint das Einheitsprinzip des Geistes, das der Vielfalt des sinnlichen Erlebens entgegensteht. Die Entgötterung der Natur entspricht der Herrschaft des Geistes über die Vielfalt der Sinnenwelt. Entgötterung und der Widerspruch von christlicher Moral und Lebensprinzip fallen für Klages letztlich zusammen:
"Der eine aber, der sich zu bereichern wähnte, wenn er die Blüten in den Staub trat, ist, wie nun deutlich wurde, der Mensch als Träger des Vernunftprinzips, und die Götter, die er vom Baume des Lebens trennte, sind die wandelbaren Bilder der Sinnenwelt, von der er sich losgerissen. Die Weltfeindschaft, die das Mittelalter selbstgeißlerisch im Innern nährte, mußte nach außen treten, sobald sie ihr Ziel erreicht: den Zusammenhang aufzuheben zwischen dem Menschen und der Seele der Erde. In seinen blutigen Streichen gegen sämtliche Mitgeschöpfe vollendet er nur, was er zuvor sich selbst getan: die bilderquellende Vielfalt des Lebens dem Einheitswahn raumzeitlosen Geistes zu opfern." [Klages 1913, S. 104]
Der Geist als Widersacher der Seele
So deutet die Angelegtheit des modernen Denkens im Christentum hin auf auf den eigentlichen Konflikt, der in der christlichen Religion und der Krise der Neuzeit vor Augen tritt — den zwischen Geist und Leben. Dieser Konflikt aber durchzieht die Geschichte der Menschheit von Anbeginn:
"Die Mythen beinahe aller Völker lassen uns blutige Kämpfe schon in prähistorischer Zeit vermuten zwischen den eine neue Ordnung bringenden "Sonnenhelden" und den chthonischen Schicksalsmächten, die in der Folge hinabverbannt werden in eine lichtlose Unterwelt. Hat doch ein Jesuit in wunderlicher, aber lehrreicher Verkehrung des Sachverhalts die Sage von den Taten des griechischen Herakles des antizipierenden Plagiats bezichtigt am Lebensgange des christlichen Erlösers! Dies aber ist überall der eine und selbe Sinn jener Neugestaltung, mit der die Geschichte beginnt: daß über die Seele sich erhebe der Geist, über den Traum die begreifende Wachheit, über das Leben, welches wird und vergeht, ein auf das Sein gerichtetes Wirken. Im Jahrtausende vorher eingeleiteten Werdegang der Geistentfaltung war das Christentum nur der letzte und entscheidende Schub, demzufolge die Entwicklung, aus ihrer bloß erkenntnismäßigen Passivität heraustretend, nun auch den Willen durchdrang und offenbar machte, was vorher nur ahnungsvoll aufgedämmert: daß eine akosmische Macht in die Sphäre des Lebens eingebrochen." [Klages 1913, S. 104f]
Hinter diesen Einbruch des Geistes zurück führt keine theoretische Erkenntnis oder veränderte Praxis — allein ein Wandel der inneren Haltung kann Rettung bringen. Die Einstellung des modernen Menschen wäre früheren Kulturen und "primitiven" Völkern als "Ruchlosigkeit" erschienen. Die Natur war den Menschen heilig, aus einer tieferen Einsicht heraus, die uns fremdgeworden ist:
"Wenn die Griechen einen Strom überbrückten, so baten sie den Flußgott für die Eigenmächtigkeit des Menschen um Verzeihung und spendeten Trankopfer; Baumfrevel wurden im alten Germanien blutig gesühnt. Fremd geworden den planetarischen Strömen sieht der heutige Mensch in alledem nur kindlichen Aberglauben. Er vergißt, daß die deutenden Phantasmen verwehende Blüten waren am Baum eines Innenlebens, welches tieferes Wissen barg, als all seine Wissenschaft: das Wissen von der weltschaffenden Webekraft allverbindender Liebe. Nur wenn sie in der Menschheit wiederwüchse, möchten vielleicht die Wunden vernarben, die ihr muttermörderisch der Geist geschlagen." [Klages 1913, S. 105f]
Den Wandel der geistigen Haltung sieht Klages in der Romantik angelegt, die er also gerade nicht als Erneuerung des mittelalterlichen Christentums versteht. Die Idee jenes Wandels entspricht m.E. auch dem, was dem Wiedererwachen der Religiosität zu Grunde liegt. Die von Diederichs proklamierte Überwindung des Zwiespalts des modernen Menschen mit sich selber im Rückblick auf die Religionen und ihre Geschichte läuft auf jenes gleiche "tiefere Wissen" von der "weltschaffenden Webekraft allverbindender Liebe" hinaus, welches Klages hier anruft. So entspringt die Klages´sche Zurückweisung des Christentums dem Wiedererwachen naturverbundener Religiosität und weist so auch diesem Aspekt des antimodernistischen Denkens seinen Platz im Kontext der These vom Geist als Widersacher der Seele zu.
Bleibt von den Spielarten und Ansichten des Antimodernismus noch die Lebensreform, die als einziger der o.g. Aspekte nicht explicit angesprochen wird. Doch verdeutlichen gerade die letzten Absätze die Affinität zum lebensreformerischen Denken und Handeln. So bilden Körper und Seele in Werden und Vergehen der Natur eine Einheit, in die allein der Geist eindringt, um die Harmonie zu stören. Eben diese Einheit bildet das verbindende Element der lebensreformerischen Ansätze vom Vegetarismus bis zur Sexualreform. Der Mensch soll nicht länger — wie von der christlichen Moral und der modernen Lebensführung — auf sein Geistiges reduziert, sondern als körperlich-seelische Einheit wiederentdeckt werden. Vielleicht ist die Lebensreform — obwohl nirgens explicit erwähnt — sogar der Aspekt, in dem die Klages´sche These am deutlichsten zu Tage tritt. Nicht umsonst richtet Klages sein Grußwort an die Jugendbewegung — jene kulturelle Opposition der Jugend, die alle Aspekte des bürgerlichen Atimodernismus umgreifend doch vor allem in einer besonderen Lebensweise ihre innere Haltung zum Ausdruck bringt.
Die Ambivalenz
Was unsere Urväter in Wodans heilige Eichenhaine bannte, was in den Sagen des Mittelalters, in den Gestalten der Melusine des Dornröschen lebt, was in den Liedern Walters von der Vogelweide anklingt [...]: immer ist es derselbe Grundton, derselbe tiefe Zug der Seele zu den wundervollen und unergründlichen Geheimnissen der Natur, der aus diesen Äußerungen des Volksgemüths spricht.Ist es nicht, als wenn ein böser Traum uns triebe, in der Jagd nach den Phantomen des Glanzes und des Genusses dies Allerheiligste, das uns gleichsam das Leben gegeben, zu zertreten, den Born zu verschütten, aus dem wir immer wieder verjüngenden Trank schöpfen konnten? Wer mag von national-ökonomischen Vorteilen hören, der weiß, daß sie um solchen Preis erkauft sind, daß um ihretwillen die Keime zerstört werden, aus denen frisches geistiges Leben erblühen kann! — Im alten Hellas sorgte der Staat auf dem Gebiet, das damals des idealen Interesse lag, dafür, daß alles Häßliche unterdrückt werde. Wenn es bei der Vielgestaltigkeit unserer modernen Existenz auch freilich unmöglich sein würde, in umfassendem Maß eine derartige Zucht von oben auszuüben, irgend ein öffentlicher Schutz für das in unserem Sinne Schöne müßte geschaffen werden. Ernst Rudorff [Rudorff 1897]
Daß der bürgerliche Antimodernismus, die Jugendbewegung, die Lebensphilosophie Bausteine waren, die wesentliche Aspekte zur nationalsozialistischen Ideologie beitrugen, steht außer Frage. Gleichzeitig jedoch formulierten sie die ersten fundamentalen Kritiken in historisch wirksamem Ausmaß an jener rein zweckrationalen Haltung und einseitigen Technik- und Machtorientierung, die noch heute für unsere Gesellschaft prägend ist. Und waren nicht die nie zuvor dagewesene Technisierung und Industrialisierung des Krieges und nicht zuletzt die durchrationalisierte und "industrielle" Ausbeutung und Vernichtung menschlichen Lebens in den Konzentrationslagern der Nazis die schärftste und unmenschlichste Ausprägung eben der "modernen" Zweckrationalität, die diese Bewegungen bekämpften? Erfuhr Deutschland nicht gerade während der Nazi-Zeit einen ungeheuren Industrialisierungsschub? Wurde nicht auch der Widerstand gegen Hitler aus der Jugendbewegung gespeist? Die Rolle der antimodernistischen Bewegungen und Philosophien bleibt ambivalent. Doch wo liegen die Entwicklungen und Ideologeme, die letztlich dazu führten, daß sich die autoritären und präfaschistischen Denk- und Handlungsweisen so weitreichend durchgesetzt haben?
Ulrich Linse verweist darauf, daß sich fast der gesamte Antimodernismus nicht als eigentlich politisch verstand:
"Keine der erwähnten Bewegungen ist gegen die herrschende Ordnung gerichtet, keine ist dezidiert politisch. Vielmehr verweisen sie alle auf den Weg der individuellen Bewußtseins-Reform, des bündischen Zusammenschlusses oder der genossenschaftlichen Selbsthilfe. So präfaschistisch häufig die anzutreffenden Ideen sich ausnehmen, so verharrt doch die Praxis in einem vorpolitischen, rein geist- und kuturrevolutionären Stadium." [Linse 1986, S. 18]
Trotz der faschistoiden Elemente im Denken kam es kaum zu explicit politischen Forderungen und Gesellschaftsalternativen. Daß es letztlich zur Allianz mit den Nazis kam, verdankt sich eher der eigenen politischen "Enthaltsamkeit". Bereits in der Weimarer Zeit kam es zu einer erstaunlichen Annäherung zwischen ehemaligen AntimodernistInnen und der Industrie. Radikal kulturoppositionelle Positionen wurden durch eine "konstruktive" Beteiligung an der Industrialisierung ersetzt:
"Wirtschaftlicher Zweck und ´organische´ Einbindung konnten — dies die Hoffnung der Heimatschützer der Weimarer Republik — Harmonie und Schönheit schaffen und so Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnen." [Linse 1986, S. 28]
Als die Nazis für die Widerbelebung nationaler Kultur und die Berücksischtigung heimatschützerischer Aspekte einen Rahmen zu bieten schienen, hatten sich fast alle mit der Industrialisierung abgefunden und sahen keinen Widerspruch, sondern vielmehr die Chance zur Verbindung von Tradition und Moderne. So brachten sie ihre Mitarbeit und ihr Denken in den Nationalsozialismus ein, ohne sich von der brutalen Zweckrationalität der "Bewegung" abschrecken zu lassen.
Was aber waren die wesentlichen Ideologeme, die aus dem Erbe des Antimodernismus in die Nazi-Ideologie einfließen konnten? Domenico Losurdo beschreibt in seiner Studie über Heidegger [Losurdo 1995] die wesentlichen Elemente, die bereits die "Kultur und Zivilisation"-Debatte vor dem ersten Weltkrieg bestimmten und vom antimodernistischen Bildungsbürgertum getragen für der Nationalsozialismus mit konstituierend wurden. Er faßt sie im Begriff der "Kriegsideologie" zusammen. Losurdos Frage, in wie weit diese "Kriegsideologie" Heideggers Philosophie prägt, sei hier außenvor. Mich interessiert vielmehr, ob und wie sich die "Kriegsideologie" in Klages´ Grußwort wiederfindet.
"Die Gemeinschaft, der Tod, das Abendland"
So überschreibt Losurdo sein Heidegger-Buch, damit gleich im Titel die zentralen Aspekte der Kriegsideologie benennend, die für ihn die "Kultur-Zivilistion"-Debatte prägten.
"Die Gemeinschaft"
Die "Gemeinschaft" meint eine enge und tiefe Verbindung der Menschen eines Volkes, gerade im Angesicht der Gefahren des Krieges. Die "Gemeinschaft" liegt jenseits von interessengeleiteten und soziologisch erfaßbaren gesellschaftlichen Zusammenschlüssen, sie ist eine geradezu mystische Erfahrung:
"War das Versagen einer ökonomischen und materialen Erklärung der Welt und ihrer Geschichte nicht offenkundig im Angesicht eines Krieges, der sich vielen Publizisten als ein Kampf entgegengesetzter Ideale und Weltanschauungen, ja sogar als ein Religions- und Glaubenskrieg darstellte? Welchen Sinn hatte es, weiterhin von Klassenkampf oder auch nur von materiellen Interessen zu sprechen bei einem Konflikt, der doch jede materielle Dimension zu übersteigen und die Überlegenheit des geistigen über das Ökonomische zu beweisen schien? Welchen Sinn hatte diese Rede angesichts der Erfahrung einer nationalen Gemeinschaft, wunderbar und aufs innigste vereinigt in der Stunde der Gefahr?" [Losurdo1995, S. 1]
Die Erfahrung der "Gemeinschaft" transzendiert das isolierte rationale "Ich" der bürgerlichen Gesellschaft, läßt den einzelnen sich als Teil eines großen Zusammenhangs erfahren.
"Der Tod"
Im Krieg ist der Tod immer gegenwärtig, allzeit vor Augen. Gewißheit, Planbarkeit und Sicherheit sind immerzu in Frage gestellt.
"Das Schlachtfeld wird zum Weiheort, um den wahren Sinn des Lebens zu erfassen, es verhindert die Todesverdrängung des alltäglichen Lebens und verleiht damit der menschlichen Existenz eine einzigartige Tiefe und Intensität." [Losurdo 1995, S. 12]
Die Todesverdrängung der modernen Gesellschaft entspricht deren Suche nach Sicherheit, Ruhe und Berechenbarkeit. Das Gefährliche und die unmittelbare Gegenwart des Todes im Krieg entlarvt diese bürgerliche Sicherheit als Schein.
"Das Abendland"
Das "Abendland" steht für die unhintergehbare Geschichtlichkeit des Menschen. Die allgemeine Vernunft, die Menschheit erscheinen in der Kriegsideologie als Illusionen, die die Eingebundenheit eines jeden Menschen in Geschichte und Kultur leugnen. Mit der allgemeinen Vernunft sind alle Vorstellungen von Objektivität und Wertfreiheit bloße Zeichen von Degeneration:
"In Wahrheit diene die angebliche <allgemeine Gattungsliebe> nur dazu, den Wert kleinerer Gemeinschaften wie Familie, Volk, Vaterland herabzusetzen. Nach Meinung Jüngers, stehen die <allgemeinen Menschenrechte> dem deutschen Geist fern; ironisch äußert er sich über die Vorstellungswelt des ´Bürgers´, der weiterhin der Idee einer ´allgemein verbindlichen Moral´ und dem Traum von einer ´Menschheit´ anhänge, ´deren Spaltung in Staaten, Nationen oder Rassen im Grunde auf nichts anderem als auf einem Denkfehler beruht´, der ´durch Verträge, durch Aufklärung, durch Gesittung oder einfach durch den Fortschritt der Verkehrsmittel korrigiert´ und überwunden werden könne." [Losurdo 1995, S. 62]
Ludwig Klages und die "Kriegsideologie"
Wenn sich, wie ich oben gezeigt habe, die wesentlichen Aspekte des Antimodernismus in Klages´ Grußwort auf die These des Geistes als Widersacher der Seele zentriert wiederfinden lassen und gleichzeitig die o.g. drei Thesen der "Kriegsideologie" wesentliche Verbindungen zwischen Antimodernismus und Nazi-Ideologie darstellen, so bleibt die Frage, in wie weit bei Klages auch die "Kriegsideologie" anklingt. Zunächst erscheint die Klages´sche Hervorhebung des "Lebens" Ewigkeiten entfernt von jener düsteren Glorifizierung des Todes. Klages betont ja gerade die "Fürsorge für das Leben" in der Natur und sieht im "Kampf ums Dasein" zwischen Einzelmenschen, wie zwischen Gruppen einen Aspekt der Degeneration:
"Gruppen und Grüppchen schließen sich rücksichtslos zusammen um Sonderinteresse, im zähen Erhaltungskampf stoßen hart aufeinander Gewerbe, Stände, Völker, Rassen, Konfessionen, und innerhalb jeden Verbandes wieder voll Eigensucht und Ehrgeiz die Einzelmenschen." [Klages 1913, S. 100]
Die "innere Haltung", die nach Klages notwendig ist, ist eher das Wiedererkennen der allumfassenden Verbundenheit des Lebens als der Bruch mit der Sicherheit des bürgerlichen Lebens angesichts des Todes. Ist auch die Grundstimmung eine andere, so ist dennoch die Intention eine ähnliche: Die "Kriegsideologie" verspricht, daß sich angesichts des Todes die Lebensferne der Moderne überwinden läßt; sie sieht die Todesverdrängung als Entfremdung vom Leben. Auch das "Leben" der Lebensphilosophie meint nicht das individuelle Leben — gerade in der Einheit des Lebens verliert sich das einzelne "ich". Der Erhalt des Individuums spielt keine große Rolle:
"Viele Insekten sterben nach dem Begattungsakt, so wenig legt die Natur auf Erhaltung Gewicht, wenn nur in ähnlichen Formen die Woge des Lebens weiterrollt." [Klages 1913, S. 101]
So läßt sich Klages in diesem Punkte zwar nicht in die "Kriegsideologie" einordnen, doch zeigen sich gemeinsame Wurzeln im Denken des Todes als wesentlichem Bestandteil des Lebens und in der Kritik des Glaubens an Erhaltung und Beständigkeit.
Deutlichere Anklänge hingegen finden sich an die Gedanken von "Gemeinschaft" und "Geschichtlichkeit", die ich hier zusammen behandeln möchte. Klages´ Betonung von Eingebundenheit der Menschen in eine von der Landschaft abhängige Kultur beinhaltet m.E. beides — die Eingebundenheit in eine "Gemeinschaft" wie die geschichtliche Eingebundenheit. Klages´ Geist ist ein akosmisches Prinzip dergestalt, daß es gerade diese Vielfalt der Kulturen seinem Einheitsprinzip unterwirft:
"Für die reichen Gehänge, bunten Mieder, gestickten Westen, metallschweren Gürtel, leichten Sandalen oder die togaartigen Überwürfe, faltigen Turbane, fließenden Kimonos beschert die Zivilisation auf der ganzen Erde den Männern das Grau des Sakkoanzuges und den Frauen die — neueste Pariser Mode." [Klages 1913, S. 98]
Der Geist entspricht Einheit — der Einheit einer universellen Vernunft und damit einer übergreifenden Menschheit. Das Christentum (der Monotheismus) repräsentiert das Einheitsprinzip und damit die Entfremdung des Menschen von Leben und Kultur. Wenn Klages den Schwund von Traditionen der Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten quasi gleichstellt, so sieht er auch in ihnen einen Ausdruck des Lebens und in der weltumspannenden Zivilisation und der "Menschheitsidee" demgegenüber die Macht des Geistes. Dennoch kommt Klages nicht zu einer Glorifizierung des Kampfes, im Gegenteil — die ganze Vielfalt des Lebens ist eingebunden in eine umgreifende Liebe. Klages Verteidigung der "Naturvölker" zeigt, wie ihm ein rassistisches und imperialistisches Denken fernliegt. Allenfalls ein Ethnopluralismus ließe sich aus Klages´ Werk ableiten — aber keine Ideologie unterschiedlicher Wertigkeiten.
Die Ambivalenz des Antimodernismus
Wenn wir in den Begriffen der "Kriegsideologie" das Erbe des Antimodernismus im Denken der Nazis erblicken — und diese Entwicklungslinie erscheint mir offensichtlich —, so eröffnet der Vergleich mit Klages´ Schrift ein neues Problem. Die Begriffe der "Kriegsideologie" sind in sich ambivalent. Sie können in einer autoritär, völkischen Weise aufgefaßt werden und legen diese Auffassung nahe, müssen aber nicht so gelesen werden. Wer will, kann alle drei Aspekte der "Kriegsideologie" aus Klages´ Schrift herauslesen und ihn zum Wegbereiter des Nationalsozialismus stempeln, wer will, liest ihn als "Alternativen" und Wegbereiter ökologischer Bewegungen.
"Gemeinschaft" zwischen Verbundenheit und Voksgemeinschaft
Der Begriff der "Gemeinschaft" ist ambivalent. Was ist es, das die Menschen jenseits von Interessen und gesellschaftlichen Beziehungen verbindet? Ist es die "weltschaffende Webkraft allverbindender Liebe", die Klages gegen Ende seiner Schrift postuliert, oder ist es die gemeinsame kulturelle Herkunft aus einer Landschaft heraus — auch dieser Gedanke klingt bei Klages an. Was sind die "Kulturwerte", die das deutsche Dichter- und Denkertum schuf — jenseits des bloß zweckrationalen Geistes? Sind sie ein Ausdruck jener "allverbindender Liebe" oder sind sie das verbindende Band einer spezifisch deutschen Kultur? Was bleibt, wenn die universalistische Vernunft gebannt ist, die Verbundenheit der "kleineren Gemeinschaften" der "Kriegsideologie" oder eine tiefere Ebene umfassender Verbindung? Diese Fragen stellt sich Klages hier nicht. Von ihrer Beantwortung hängt ab, ob Krieg und autoritäres Denken aus dem Gemeinschaftsbegriff erwachsen können.
Ausbruch aus der "bürgerlichen Sicherheit" und Todeskult
Der Gedanke von der Überwindung der Verdrängung des Todes und des bürgerlichen Denkens von Sicherheit und Beständigkeit ist ambivalent. Er kann als Aufforderung verstanden werden, sich angesichts begrenzter Zeit seiner Freiheit bewußt zu werden und Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, anstatt sich von gesellschaftlichen Erwartungen und ökonomischen "Zwängen" leiten zu lassen — sich hier und jetzt seiner selbst bewußt zu sein. Er kann aber auch auffordern sich todesmutig auf den Schlachtfeldern verheizen zu lassen und im sterben für die "Gemeinschaft" den Sinn seines Lebens zu finden.
Das "Abendland" zwischen Vielfalt und Rassismus
Die Betonung der Geschichtlichkeit und kulturellen Eingebundenheit des Menschen ist ambivalent. Sie kann zur Negation einer allgemeinen Moral — universeller Menschenrechte — und zur Bejahung des Krieges zwischen Kulturen führen. Sie kann aber auch helfen, die Herrschaftsideologie, die in der Erklärung einer europäischen Wissenschaft und Rationalität zum Weltmaßstab liegt, zu hinterfragen. In Klages´ Betrachtung der Vernichtung der "Naturvölker" klingt deutlich der zweite Aspekt an.
Wege einer Klärung?
Gerade die Widersprüchlichkeiten und Zweifel die bleiben, wenn wir versuchen, den Maßstab der "Kriegsideologie" — an dem Losurdo Heideggers Philosophie mißt — auf Klages Grußwort anzulegen, offenbaren die Ambivalenz der Begriffe der "Kriegsideologie" und mit ihnen die Ambivalenz des Antimodernismus. Viel des zwiespältigen Gefühls, das wir bei der Betrachtung der antimodernistischen Bewegungen und der Lektüre der lebensphilosophischen Schriften haben, erklärt sich in jener Ambivalenz.
Alternative Bewegungen, die heute eine Kritik des rein zweckrationalen Denkens und der kapilalistischen Zivilisation leisten wollen, werden sich dieser Ambivalenz stellen und eine Klärung versuchen müssen. Diese Klärung kann ich hier nicht leisten; was ich versuchen kann, ist an Hand des Grußwortes Aspekte aufzudecken, die das antimodernistische Denken in jene verhängnisvolle Richtung gelenkt und in der ursprünglichen Ambivalenz jeweils der völkisch-autoritären Auslegung zum Durchbruch verholfen haben. Zwei Aspekte aus dem Grußwort erscheinen mir hierbei wesentlich.
Die "wertschaffende" Kultur
Klages definiert das Ideal des Fortschritts als reines Erfolgsdenken — als "Machtzuwachs" im "Gegensatz zum "Wertzuwachs". Dabei schreibt er dem deutschen Dichter- und Denkertum im Gegensatz zum modernen Erfolgsmenschen eine wertschaffende Funktion zu. Angesichts der Krise des Bildungsbürgertums entspricht dies einer Rechtfertigung der Tätigkeiten der BildungsbürgerInnen als "wertschaffend".
"Worauf aber der Fortschrittler stolz ist, das sind bloße Erfolge, sind Machtzuwächse der Menschheit, die er gedankenlos mit Wertzuwächsen verwechselt, und wir müssen bezweifeln, ob er ein Glück zu würdigen fähig sei, und nicht vielmehr nur die leere Befriedigung kenne, die das Bewußtsein der Herrschaft gibt. Macht allein ist ja blind gegen alle Werte, blind gegen Wahrheit und Recht und, wo sie diese noch zulassen muß, ganz gewiß blind gegen Schönheit und Leben." [Klages 1913, S. 90]
Das Schaffen von Werten ist für Klages damit keine Funktion des Geistes — implicit lehnt er so eine rational begründete universale Moral etwa im Sinne Kants ab. Dies erscheint vor dem Gedanken der Geschichtlichkeit des Menschen auch schlüssig. Die "Kulturwerte", die die Dichter und Denker ausdrücken, stehen in enger Verbindung zum "Leben" — sie sind auch Ausdruck einer kulturellen Gemeinschaft. Klages definiert hier nirgends seinen Begriff von "Kulturwerten", doch stellt sich die Frage, wie sie "Gemeinschaft" stiften. Zwar legt die Verbindung des Lebens zur "weltschaffenden Webekraft allverbindender Liebe" nahe, daß die "Kulturwerte" der unterschiedlichsten Kulturen alle Ausdruck eben jener Liebe sind, doch betont Klages ebenso Traditionen und die Vielfalt der Kulturen und legt so eine Sichtweise der "Kulturwerte" als Grundlage einer auf kultureller Identifikation beruhenden Gemeinschaft nahe. Dieser Widerspruch bleibt bei Klages und in weiten Teilen der antimodernistischen Bewegungen ungeklärt. Die Ablehnung des Fortschrittsgedankens führt zu einer gewissen Rückwärtsgewandtheit und damit zu einer Idealisierung vergangener Gesellschaftsformen, in denen kulturelle Identifikation einen hohen Stellenwert für die Gemeinschaftsbildung innehatte.
Innerhalb der Lebensphilosophie versucht Henri Bergson genau die Klärung jenes Widerspruches. Für Bergson — der die Menschheitsgeschichte durchaus als "Fortschritt" betrachtet — finden sich beide Aspekte von "Werten" in der gesamten Menschheitsgeschichte. Die normativen Werte, die durch sozialen Druck und Identifikation mit einer Gruppe wirkungsmächtig werden, bilden das statische Element in der Geschichte. Sie sind rein soziologisch erfaßbar. Für die Identifikation mit Werten ist der Widerspruch verschiedener "Kulturwerte" konstitutiv. Identifikation mit einer Gruppe und deren Werten ist immer Abgrenzung von anderen Gruppen und deren Werten. Demgegenüber gibt es eine innere Erfahrung der umfassenden Verbundenheit alles Lebens, die sich vor allem in den Lehren von übergreifender Liebe in allen Religionen äußern. Sie bildet das dynamische Element der Geschichte. Auch diese Lehren erstarren freilich zu reinen Werten und führen zu einem Widerstreit der Religionen, die sie als Identifikationspunkte, statt als Ausdruck des "Lebens" fassen.
Ein wesentlicher Einfallspunkt des autoritären Denkens in die Lebensphilosophie wird hier deutlich. Wer diffus von "Werten" spricht, ohne den Gegensatz von Liebe und Identifikation zu formulieren, gerät in die Gefahr, mit der Ablehnung einer universalen Vernunft zugleich die Verbundenheit der Menschen aufzukündigen und zum Kampf von Gruppenidentifikationen hinzuführen. Die "Gemeinshaft" — die doch etwas tieferes, ja mystisches sein sollte, wird so zum rein soziologischen Phänomen. für Bergson liegt zwischen der Identifikation mit der Nation und der allgemeinen Menschenliebe ein unüberwindlicher Abgrund. diesen Abgrund gilt es deutlich vor Augen zu behalten.
Die Ambivalenz der Begriffe der "Kriegsideologie" entspricht m.E. der o.g. Bergson´schen Entgegensetzung von Liebe/umfassender Verbundenheit und Identifikation. Die jeweils von mir geschilderten "Lesarten" lassen sich jeweils als die Lesart vor dem Hintergrund der "weltschaffenden Webekraft allverbindender Liebe (Verbundenheit der Gemeinschaft, Aufgeben des Festhaltens an bürgerlicher "Sicherheit" und Anerkennung der Vielfalt geschichtlich-kultureller Erscheinungsformen der Menschheit) oder vor dem Hintergrund einer Identifikation mit der "deutschen Kultur" fassen (Volksgemeinschaft, Todesbereitschaft für die Verteidigung der Gemeinschaft, Aufkündigung universeller Menschenrechte).
Die Metaphysik von "Natur" und "Leben"
Für Klages ist der Geist, der als akosmische Macht in die Welt eintritt, eine zentrale Denkfigur. Was dieser Geist genau meint, ist freilich nirgendwo definiert. Oft möchte man ihn mit der modernen Zweckrationalität gleichsetzen. An anderer Stelle sagt Klages, der Geist sei so alt, wie das Austreten des Menschen aus dem Naturzustand — damit entspräche der Geist der Sprache insgesamt. Hier ergibt sich eine Differenz zwischen beiden Sichtweisen: Gerade Klages' "Kulturwerte", die großen Werke der Dichtung und Philosophie fallen in jenen Zwischenraum. Sie sind sprachliche Werke des Geistes doch keine Werke der modernen Zweckrationalität. Ebenfalls in diesen Zwischenraum fällt das, was Klages mit "Leben" oder "Natur" bezeichnet.
Was Klages über das Leben und die Entfremdung des modernen Menschen vom Leben sagt, beansprucht, eine nachvollziehbare, verständliche und damit irgendwo rationale Sicht zu sein — es vollzieht sich in logisch schlüssigen Aussagen. Implicit trennt Klages damit den Bereich des sprachlich Faßbaren von dem des Geistes. Er redet über das Gegenteil des Geistes. Klages´ Begriffe von "Leben" und "Natur" sind einerseits Bestandteil eines sprachlich-rationalen Diskurses, andererseits die Opponenten der Rationalität.
Die Trennung von Sprache und Geist bietet das Einfallstor für eine Metaphysik, die den Begriff einer "Natur an sich" voraussetzt, die ihrerseits nicht als Bestandteil der geistig-sprachlichen Welt erkannt wird. Dies wird in dem Widerspruch deutlich, daß Klages im Darwinismus wohl eine Projektion der modernen Gesellschaft in die Natur sieht, gleichzeitig aber "naiv" vom der "Fürsorge für das Leben" als Prinzip der Natur spricht. Es zeigt sich auch darin, wie Klages bei den Beschreibungen der Natur immer wieder geradezu "ökologische" respektive wissenschaftlich-rationale Argumentationen verwendet.
Durch diese Begriffe von "Natur", "Leben" und "Kulturwerten", die einerseits Stützen eines rationalen Diskurses, andererseits als "metaphysische" Begriffe selbst nicht rational hinterfragbar sind, ergibt sich eine gefährliche Situation. Einerseits wird die o.g. Sicht gefördert, die "Kulturwerte" als reale Wahrheiten statt als dichterischen Ausdruck begreift und damit als Quelle für Identifikation nimmt — zum anderen entsteht die Idee einer "Natur an sich", die nicht mehr als gesellschaftlich-sprachlich konstituiert gedacht werden kann. Dies führt ziemlich direkt zu Auffassungen, die "Natürlichkeit" als Grundlage für normative Aussagen nehmen. Klages´ These vom Geist als Widersacher der Seele beinhaltet für mich in dem Begriff der "Seele" eben jene "ursprüngliche" Natur. Die Verwendung eines metaphysischen Natur- oder Lebensbegriffs ist konstitutiv für jede Lebensphilosophie. Ihr muß sich z.B. auch Bergson stellen. Die Übereinstimmung mit einem metaphysischen Naturbegriff wird zur moralischen Instanz. Die Identifikation der AntimodernistInnen mit dem Leben oder der Natürlichkeit in Abgrenzung zum "bürgerlichen Leben" ist hier Einfallstor autoritären Denkens. Das "lebensferne", "unnatürliche" darf und muß bekämpft werden. Die drei Hauptpunkte der "Kriegsideologie" — (Volks-)Gemeinschaft versus moderner Individualismus, Wandel des Lebens versus Todesverdrängung und bürgerliche Sicherheit, Geschichtlichkeit versus Universalität — lassen sich vor dem Hintergrund eines "metaphysischen Naturbegriffs" als Kampf von "Natur/Leben" versus "Un-Natur/Geist" deuten. So entsteht auch hier der Widerspruch von "wir" und "die anderen", der nach Bergson für Identifikation wesentlich ist. Der "metaphysische Naturbegriff" bildet einen Ausgangspunkt dafür, auch die Thesen der "Kriegsideologie" als "Werte" für die Identifikation einer (völkischen) Gruppe zu nehmen und damit einen wesentlichen Ansatzpunkt der "Kultur- und Zivilisation" Debatte, in der diese Gruppenidentifikation politisch wirkmächtig wird. [vergl. auch Rudorffs Forderung nach staatlichem Schutz für das "Schöne" und "Natürliche"]
Daß der "metaphysische Naturbegriff" ein essentieller Bestandteil der Lebensphilosophie ist und in sich immer Ansätze zu einer Moral der "Natürlichkeit" und der Verwendung als Identifikationsprinzip birgt, ist m.E. der Punkt, der uns berechtigt, die Lebensphilosophie per se der Affinität zu autoritären Auffassungen zu bezichtigen.
Dieses Einfallstor autoritären Denkens schließt sich, wenn die Lücke geschlossen wird, in der der metaphysische Naturbegriff seinen Platz findet — die Differenz von Geist und Sprache. Diejenigen, die die Identität von Geist und Sprache postulierten, blieben jedoch AußenseiterInnen auch innerhalb der antimodernistischen Bewegungen. Als herausragende Figur wäre hier der Östereicher Fitz Mauthner zu nennen. In seinen "Beiträgen zu einer Kritik der Sprache" [Mauthner 1901] verneint Mauthner aus einer sensualistisch-empiriokritschen Position in der Tradition Ernst Machs heraus die Möglichkeit eines Zugangs zur "Natur an sich" und einer Welterkenntnis, die über bloß pragmatische Nützlichkeit ninausgeht. Mauthner stellt dem wissenschaftsgläubigen Fortschrittsdenken der Moderne einen epistemologischen Skeptizismus entgegen, der die Quelle des wissenschaftlichen Denkens wie Klages pragmatisch im "reinen Machtzuwachs" sieht, dem aber keinen "metaphysischen Naturbegriff" entgegenstellt, sondern es bei einer "Mystik des Schweigens" belassen will; nicht allzu weit entfernt von der Position seines Landsmanns und gleichfalls "bekennenden Antimodernisten" Ludwig Wittgenstein [Wittgensteins Nähe zum bürgerlichen Antimodernismus wird m.E. oft nicht hinreichend gewürdigt, da er zu sehr unter dem Blickwinkel seiner Bedeutung für die analytische Philosophie gelesen wird. Dazu trägt bei, daß sich Wittgenstein in seinem philosophischen Werk weitgehend antimodernistischer Bemerkungen enthält und diese in eher randständigen Schriften deutlich werden].
Wittgenstein mahnt ebenfalls zur Bescheidenheit. Mit den Mitteln logischer Analyse versucht er, im Tractatus darzustellen, welche logischen Strukturen "hinter" der Sprache stehen und was sich folglich sprachlich-rational sagen läßt. Er umrundet das Ganze der sprachlichen Welt und zeigt deren Begrenztheit. Wittgensteins Tractatus mahnt, diese Begrenztheit des Sprachlich-Geistigen zu erkennen und einzusehen, wie viel für uns Wesentliches außerhalb dessen liegt.
"6.52 Wir fühlen, daß, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.
6.521 Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems. (Ist nicht dies der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, warum diese dann nicht sagen können, worin dieser Sinn bestand?)
6.522 Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische." [TLP 6.52ff]
"6.54 Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie — auf ihnen — über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.)
Er muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.
7 Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen." [TLP 6.54f]
Rückblicke und Ausblicke
Und schließlich konnte ich auch der Verlockung nicht widerstehen, eine immer wieder gehörte These zu widerlegen: daß nämlich die gleichzeitig bürgerliche und linke, ja linksradikale Bewegung, die heutigen radikalen Ökopazifisten und Ökosozialisten, ein Novum seien. Dem läßt sich die historische Kenntnis von der Existenz eines marginalen ökopazifistischen und ökosozialistischen Flügels in der anarchistischen Bewegung des Kaiserreichs und der Weimarer Republik entgegenhalten. [...] Wer freilich von diesem Buch Schilderung von Massenbewegungen und Haupt- und Staatsaktionen erwartet, der wird enttäuscht werden. Sicher gab es auch geschichtsmächtige massenwirksame antimodernistische Strömungen in Deutschland — ohne sie wären etwa die Wahlsiege der Nationalsozialisten nicht denkbar gewesen. Aber die Geschichte der sozialen Bewegungen ist diffiziler: die plötzlich wie ein mächtiger Strom dahinreißenden Bewegungen sind oft über jahrzehnte ein kleines, unbedeutendes Rinnsal; sie können unter der Einwirkung krisenhafter äußerer Einflüsse bedrohlich anschwellen und nach deren Wegfall ebenso rasch wieder abklingen und nur noch unterirdisch weiterwirken — ein Sammelbett für Unzufriedene und Spinner, aber auch ein fast unsichtbarer Kontinuitätsträger alternativer Konzeptionen und Ideologien im Fluß der Zeit. Ulrich Linse [Linse 1986, S. 12]
Die Vielfalt dessen, was sich heute als "alternativ" präsentiert ist kaum übersehbar. Zu versuchen, es auf einen einheitlichen Nenner zu bringen, dürfte kaum gelingen. Zu viele auch historische Einflüsse vermengen sich. Deutlich sind z.B. marxistische, genossenschaftliche und anarchosyndikalistische, aber auch z.B. christliche Einflüsse zu erkennen. Was mich interessiert, ist die Frage der Wirkmächtigkeit der grundlegenden Ideen und Ideologeme des bürgerlichen Antimodernismus und der Lebensphilosophie, wie sie in Klages´ Grußwort vorkommen, bis in heutige Bewegungen. Mir scheint die These angebracht, daß es bei allen grundlegenden Aspekten des Antimodernismus eine Kontinuität in heutige "alternative" Bewegungen gibt:
Heimatschutz
Die Heimatschutzbewegung findet nahezu ungebrochen eine ideelle und teilweise sogar organisatorische Kontinuität in die Arbeit heutiger Naturschutzorganisationen und Heimatverbände. Wenn diese Organisationen auch nicht unbedingt "alternativ" sind, so ist doch eine Auseinandersetzung mit den Themen Artensterben, Landschaftszerstörung und ökologische Zusammenhänge wesentliches Moment in alternativen Bewegungen — dabei werden Probleme oft sehr ähnlich benannt, wie schon bei Klages. Die Forderung nach Erhalt von Kultur und Brauchtum ist für eine umfassende Aneignung in Deutschland zu sehr durch den Nationalsozialismus diskreditiert. Allenfalls Aspekte von Denkmalschutz und eine weit verbreitete Verklärung des "Landlebens" und des "Bauernstandes" zeigen hier Affinitäten. Auch steht der Ablehnung deutschen Brauchtums teilweise eine deutliche Sympathie für Brauchtum, Volksmusik und traditionelle Lebensweise anderer Völker entgegen.
Krise des Bildungsbürgertums
Das Bildungsbürgertum ist auch heute wesentlicher Träger alternativer Bewegungen. Die grundlegenden soziologischen Faktoren einer gesellschaftlichen Geringschätzung gegenüber nicht kapitalistisch verwertbarer Tätigkeit haben sich weitgehend erhalten und zeigen sich noch heute z.B. in politischen Diskursen über die Bedeutung der Universitäten. Das Bildungsbürgertum befindet sich wie ehzudem im Rechtfertigungsdruck und definiert die eigene Position oft in kritischer Distanz zur Gesellschaft. In Folge der Studentenbewegung ist dieses kritische Bildungsbürgertum heute aber eher links orientiert und das konservative Moment tritt demgegenüber in den Hintergrund. Analog zum zunehmenden Arrangement der konservativen AntimodernistInnen der Weimarer Republik mit der Gesellschaft, ist jedoch auch bei den linken alternativen BildungsbürgerInnen der Jetztzeit eine zunehmende Systemloyalität zu beobachten.
Lebensreform
Lebensreformerische Aspekte spielen auch in der heutigen Alternativbewegung eine wesentliche Rolle. Die entscheidenden Themen der "alten" LebensreformerInnen "Naturgemäße Lebensweise", "Ernährung/Vegetarismus", "Sexualreform", "Naturmedizin" und die Vorstellung einer Einheit von Körper und Seele sind "typisch" alternative Themen und Ansichten geblieben. Auch die Idee von Siedlung, Autarkie und Subsistenzwirtschaft hat sich gehalten: Analog zu Eden und dem Monte Veritá besteht eine Vielzahl alternativer — lebensreformerisch orientierter — Gemeinschaften.
Jugendbewegung
Die neue Alternativbewegung ist zu guten Teilen eine Bewegung der jungen Generation, die sich in gesellschaftlichen Jugend-Freiräumen abspielt und sich ebenso wie die "alte" Jugendbewegung oft mehr in Kleidung, Lebensstil und "Kultur" zeigt, als in direkt politischen Haltungen. Auch sie ließ sich nur zu geringem Teil durch politische Organisationen vereinnahmen. Die Kontinuität im Selbstverständnis ist erstaunlich, gerade da es kaum Bezug zu den mitlerweile institutionalisierten Resten der "alten" Jugendbewegung gibt.
Wiederkehr der Religion
Auch in diesem Punkt besteht eine deutliche Kontinuität. Eine Besinnung auf gerade außereuropäische Religionen, die Beschäftigung mit östlichen Weisheiten und Meditation sind ebenso geläufig, wie die Trennung von "Religiosität"/"Spiritualität" und institutionalisierter Religion. Demgegenüber eher ein Randphänomen ist die Wiederaneignung vorchristlicher europäischer Religionen — wohl auf Grund der Diskreditierung durch den Nationalsozialismus. Die Vorbehalte gegenüber der christlichen Religion werden ebenfalls geäußert, wenn auch viele "Alternative" sich dem Christentum zugehörig fühlen. Geblieben ist jedenfalls eine Abkehr von der institutionalisierten christlichen Religion.
Die Ambivalenz der Alternativen
Wenn nun die heutigen Alternativen sich bis auf einen relativ kleinen "braunen Rand" selbst eher als "links" verstehen, so zeigt sich doch eine deutliche Kontinuität vom bürgerlichen Antimodernismus her in allen wesentlichen Punkten. Die erstaunlich "aktuelle" Wirkung von Klages´ Grußwort braucht da nicht länger zu verwundern. Da wo "alternativ" im Sinne der o.g. Punkte verstanden wird, rückt es in deutliche Nähe auch zur Lebensphilosophie. Was aber ist mit Klages´ Hauptthese vom Geist als Widersacher der Seele, was ist mit der "Kriegsideologie"? Ist die Ambivalenz des Antimodernismus auch eine Ambivalenz der Alternativen?
Der Geist als Widersacher der Seele
Wie die Vielzahl der Kontinuitäten bei all den Punkten, die Klages um seine These zu gruppieren weiß, schon vermuten läßt, erweist sich die Ablehnung einer "lebensfernen" Rationalität, des rein Zweckrationalen, des Machtorientierten und des mathematisch Berechenbaren als jedenfalls für große Teile der Alternativbewegung wesentliches Moment. In der Betrachtung von Artenschwund und Landschaftszerstörung geht es nicht nur um biologische Bestandsaufnahme und ökologische Wissenschaft, sondern beinahe mehr um "Naturerlebnis" — umfassende künstlerische und kulturelle Bildung soll der rein zweckrationalen Ausbildung entgegenstehen — die "naturgemäße" Lebensweise soll Körperliches und Emotionales umfassen; deutlich z.B. an der Ablehnung der rein wissenschaftlichen Schulmedizin. Die These vom Geist als Widersacher der Seele hat ihre Aktualität behalten.
Die "Kriegsideologie"
Da erstaunt es nicht, daß sich auch die drei Hauptthesen der "Kriegsideologie" wiederfinden lassen:
Gemeinschaft wird der bloß interessengebundenen Gesellschaft und dem bürgerlichen Individualismus gegenübergestellt.
Die Aufgabe der bürgerlichen Sicherheit, das Augenmerk auf den ständigen Wandel und das Dynamische in der Natur, die Überwindung der Verdrängung des Todes — alle drei Aspekte werden in der Alternativbewegung rezipiert. Das Experimentieren mit neuen Lebensformen, die bewußte Entscheidung für den "Ausstieg", ist wesentliches Element eines "alternativen" Lebensstils. Demgegenüber sind die beiden anderen Aspekte weniger dominierend — vor allem wird wenig der immanente Zusammenhang zwischen ihnen betrachtet.
Geschichtlichkeit des Menschen und die Ablehnung der Idee einer universalen Rationalität äußert sich — wie schon zu Klages Zeit — vor allem in einem Interesse für die Kultur außeräuropäischer Völker und z.T. politischem Engagement gegen die weltumspannende Dominanz der "westlichen" kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Gerade die Lebensweise von sog. Naturvölkern wird oft idealisiert.
Auffällig ist hierbei, daß eine nicht-hierarchiche und eher an der "weltschaffenden Webekraft allverbindender Liebe" orientierte Interpretation der Begriffe der "Kriegsideologie" bei weitem überwiegt. Die an Gruppenidentifikation orientierte Betrachtungsweise scheint demgegenüber höchstens unterschwellig vorhanden. Daß in Klages´ Grußwort ebenfalls diese Sicht dominiert, dennoch die Lebensphilosophie sich als Konstituens der Nazi-Ideologie erweisen konnte, mahnt, hier Vorsicht walten zu lassen. Die oft unbekümmerte Verwendung der ambivaltenten Begriffe der "Kriegsideologie" und des Bildes vom Geist als Widersacher der Seele birgt die Gefahr, daß hier wie ehzudem die Sicht nur allzurasch umschwenken kann.
Erschreckend erscheint an diesem Punkt, daß die von mir als zentral betrachteten Einfallstore autoritären Denkens, die Mißachtung des Unterschiedes von Liebe und Identifikation und die Metaphysik einer "Natur an sich" kaum Beachtung finden. Hier muß eine Alternativbewegung, die sich bewußt als emanzipatorischer Antimodernismus verstehen will, ihr Augenmerk hinwenden. Die bewußte Rezeption der Geschichte des bürgerlichen Antimodernismus kann dabei Orientierung und Hilfe sein.
Doch so aktuell uns Klages zunächst erscheinen mag — in seiner Ignorierung eben dieser Punkte kann er uns eher auf Glatteis der Ambivalenz führen, als einen Weg weisen. Zumindest in dem einen Punkt mag Bergson den Blick schärfen, in dem anderen gibt auch er nur bedenklich metaphysische Antworten. Die bewußte Rezeption des Antimodernismus muß m.E. ihr Augenmerk gerade auf jene Minderheit innerhalb der antimodernistischen Bewegungen richten, die der Versuchung einer Metaphysik der "Natürlichkeit" widerstanden ist. Mauthner und Wittgenstein könnten Ansätze bieten — aber das wäre Thema für eine eigene Arbeit, die ich an anderer Stelle geschrieben habe.
Auf der Suche nach den historischen Wurzeln der Alternativbewegung können wir abseits des Hauptstromes auf den "Sozialistischen Bund" Gustav Landauers stoßen, eine der wenige Gruppen, die schon zu Zeiten des Kaiserreichs und der Weimarer Republik versuchte, neuromantischen Antimodernismus mit antiautoritären und emanzipatorischen Perspektiven zu verbinden.
Wenn auch Landauer nicht frei von konservativen Ideen und nationalistischen Verirrungen war, konnte er doch — im eigentlichen Sinne des Wortes anarchistisch — jede Identifikation mit "heiligen Ideen" und Werten als Quelle von Herrschaft und Autorität von sich weisen. Landauer ist immer Pazifist geblieben, hat hinter der Gewalt der Waffen stets die Gewalt der Worte gesehen. Daß er, mit Mauthner eng befreundet — sein politisches Programm als Umsetzung von dessen Philosophie sah, wird uns da kaum verwundern.
E n d e
Literatur:
Bergson, Henri 1933: Die beiden Quellen der Religion und der Moral, Ungekürzte Ausgabe, 1992
Janik, Allan und Toulmin, Stephen 1984: Wittgensteins Wien, deutsch von Reinhard Merkel, München, Wien
Klages, Ludwig 1913: Mensch und Erde. Aus: Freideutsche Jugend — Zur Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner 1913.
Reprint: W.Mogge, J. Renlecke, Hoher Meißner 1913 / Köln 1988.
Landauer, Gustav 1923: Aufruf zum Sozialismus, Reprint, Wetzlar 1978
Linse, Ulrich 1986: Ökopax und Anarchie — Eine Geschichte der ökologischen Bewegungen in Deutschland, München
Losurdo, Domenico 1995: Die Gemeinschaft, der Tod, das Abendland: Heidegger und die Kriegsideologie. Dt. von Erdmuthe Brielmayer, Stuttgart/Weimar.
Mauthner, Fritz 1901-1902: Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3 Bände, Stuttgart.
Mogge, Winfried 1985: Naturverständnis und Kulturkritik — der Hohe Meißner als Symbol der Jugendbewegung. In: Jahrbuch des Archivs der Deutschen Jugendbewegung, 1985.
Mogge, Winfried 1986: Bilder aus dem Wandervogel-Leben. Die bürgerliche Jugendbewegung in Fotos von Julius Groß 1913-1933, Köln.
Rudorff, Ernst 1897: Über das Verhältnis des modernen Menschen zur Natur, Seminarhandout ohne Quellenangabe.
Rüden, Peter von (unveröff.): Alle Philosophie ist Sprachkritik — Fritz Mauthner und Ludwig Wittgenstein.
Wittgenstein, Ludwig (TLP): Tractatus logico-philosophicus, in WA I.
Wittgenstein, Ludwig 1984ff (WA): Werkausgabe in 8 Bänden, Frankfurt/M.1984ff.
Oekozentrum.org Verden Universität Bremen Peter von Rüden Hausarbeit 1997 Über Ludwig Klages - Mensch und Erde - Über Lebensphilosophie heute