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Epilog
von Hubertus Knabe 1999
440-441
Die Aufarbeitung der Stasi-Verstrickungen im Westen Deutschlands ist mit diesem Buch nicht beendet. Auch eine gründliche Untersuchung der Aktivitäten des Staatssicherheitsdienstes in der alten Bundesrepublik hinterläßt am Ende mehr Fragen als Antworten. Viele Wirkungsfelder — von den Gewerkschaften über den Terrorismus bis zum Rechtsextremismus — harren weiterhin der Erforschung. Eines steht jedoch schon heute fest: Der Westen Deutschlands war für den Staatssicherheitsdienst kein unbedeutender Nebenschauplatz.
Aus diesem Grund kann die deutsche Nachkriegsgeschichte nicht geschrieben werden, ohne die Stasi-Aktivitäten mit in den Blick zu nehmen.
Die traditionelle Zurückhaltung deutscher Historiker, wenn es um die Erforschung der Geheimdienste geht, führt zwangsläufig zur Ausblendung einer wichtigen Dimension des politischen Geschehens. Eine systematische Aufarbeitung der Jahre deutscher Teilung verlangt, daß auch die westdeutschen Geheimdienste ihre Archive öffnen und daß die vor der Vernichtung geretteten Stasi-Unterlagen der Forschung endlich vollständig zugänglich gemacht werden.
Deutlich geworden ist, daß die Stasi kein rein ostdeutsches Problem ist. Wie die SED kannte auch der Staatssicherheitsdienst keine Grenzen, wenn es um die Stärkung des »ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden« und seiner Verbündeten ging. Bespitzelung und Verrat im Auftrag des MfS hat es auch in Westdeutschland mannigfach gegeben.
Die Kooperation mit dem Geheimdienst der DDR war jedoch nicht die einzige und nicht einmal die bedeutendste Form der Mitverantwortung vieler Westdeutscher für die vierzigjährige SED-Diktatur. In den tragenden intellektuellen Milieus des Westens galt es seit den sechziger Jahren als fortschrittlich, für die Anerkennung der DDR einzutreten. Am Ende suchten sich die Parteien mit ihren guten Beziehungen zur SED-Spitze gegenseitig zu übertreffen und waren zunehmend bereit, das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes aufzugeben.
Auch ideologisch gab es manche Affinität zum real existierenden Sozialismus, denn für viele Westdeutsche stand fest, daß der »Feind« in Deutschland nur rechts stehen könnte. Daß in der DDR — im Gegensatz zu anderen kommunistischen Ländern — nur in der Frühzeit eine Fundamentalopposition gegen das kommunistische Herrschaftssystem existierte, dürfte auch damit zu erklären sein, daß sich der Westen mit der SED-Diktatur zunehmend abfand. Die Aufarbeitung der vielfältigen Formen geistiger und politischer Kollaboration gegenüber dem zweiten totalitären Gesellschaftsentwurf in diesem Jahrhundert ist eine Aufgabe, deren Bewältigung den Deutschen noch bevorsteht.
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Ende