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Hubertus Knabe
Die
Täter
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2007 383 Seiten detopia: |
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Inhalt 2008 List Vorwort 7
1: Die schöne Welt der Diktatur
(11)
2: Täter ohne Strafe
(79)
3: Opfer ohne Lobby
(201)
4: Die Stasi lebt
(253) Anmerkungen 340 Bibliographie 370 Abkürzungen 377 Personenregister 379 |
"Sie haben den Kampf gewonnen"
31.03.2007 Von Matthias Schlegel tagesspiegel.de
Der Historiker Hubertus Knabe stellt sein Buch über das Schönreden der SED-Diktatur vor – und zieht eine bittere Bilanz
Für die einen ist er der unerschrockene Anwalt der Gepeinigten der zweiten deutschen Diktatur. Für die anderen ist er das Feindbild Nummer eins, der Veranstalter eines „Gruselkabinetts“ der Geschichtsbetrachtung. Zur Vorstellung seines Buches „Die Täter sind unter uns – Über das Schönreden der SED-Diktatur“ in der Thüringischen Landesvertretung sind offenbar ausnahmslos die Vertreter der erstgenannten Gruppe gekommen.
Die Täter von damals, die erklärten Gegner von Hubertus Knabe, dem streitbaren Autor, Historiker und Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasigefängnis in Berlin-Hohenschönhausen, hatten es vorgezogen, fernzubleiben oder sich zumindest in erfahrener Weise verdeckt zu verhalten. Dies zumindest steht im Gegensatz zu ihrer jüngsten Strategie, die Deutungshoheit über das Wesen der DDR und über den Charakter der Stasi als „Schild und Schwert der Partei“ wieder an sich zu reißen. Genau jenes Verhalten habe ihn bewogen, dieses Buch zu schreiben, sagt Knabe mit Hinweis auf die gespenstische Veranstaltung vor einem Jahr in Lichtenberg, als die Stasigranden im Beisein des PDS-Kultursenators Flierl – damals Knabes Vorgesetzter – über die Rechtschaffenheit ihrer früheren Tätigkeit palaverten.
Knabes Buch ist eine Abrechnung mit den einstigen Tätern und ihren geschichtsrevisionistischen Selbsterklärungsversuchen. Es ist eine Analyse über das Fortleben eines Apparates, in dem sich tschekistische Taktik mit juristischem Sachverstand, Kommunismusgläubigkeit mit störrischer <Es war nicht alles schlecht>-Ahnungslosigkeit paaren.
Einblicke in das Innenleben der "Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung“, der Leute wie Egon Krenz oder Mielke-Stellvertreter Wolfgang Schwanitz angehören, oder der "Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR“, die 24.000 Mitglieder hat, zeigen, dass diese Gruppen nicht nur Wärmestuben für Ehemalige sind.
Vielmehr agieren sie als Kampfgemeinschaften gegen vermeintliche gesellschaftliche Ächtung und Agitationszentren in Sachen nachträglicher Reinwaschung. Die Opfer werden verhöhnt, die Haftanstalten als Orte mit Pool und Bibliothek geschildert, die Schüsse an der Mauer als Notwehrakte gerechtfertigt. Und: Sie erzwangen 15.000 Verfahren gegen Rentenbescheide und 15 Verfassungsbeschwerden gegen Rentenkappungen. "Sie haben den Kampf gewonnen“, resümiert Knabe bitter. Heute noch seien 700 Ex-Stasileute als Anwälte tätig.
Knabe geht noch weiter: Es artikuliert das Unbehagen gegenüber einem Rechtsstaat, der bei der juristischen Aufarbeitung des DDR-Unrechts versagt habe. Einen Grund dafür sieht Knabe im Einigungsvertrag: Er habe versäumt, Grundlagen für die Bestrafung der Täter zu formulieren. Die Festlegung, dass SED-Unrecht nach DDR-Recht bestraft werden müsse, hält Knabe für eine "Absurdität“.
Das Resümee ist ernüchternd: Trotz 42.000 politisch motivierter Straftaten allein nach dem Mauerbau seien nur 19 Täter ins Gefängnis gewandert. Sie alle sind mittlerweile wieder frei. Zwar sei ursprünglich gegen 100.000 Personen ermittelt worden. Doch nur in einem Prozent der Fälle sei es zur Anklage gekommen. Da werde zweierlei Recht angewendet, sagt Knabe: Die politischen Häftlinge wurden rehabilitiert, die für das Unrecht Verantwortlichen aber nicht bestraft.
Und: Die Benachteiligungen bei den Opfern wirkten fort, während die Täter nicht zur Verantwortung gezogen würden. Mit Blick auf ihre soziale Lage und ihre mageren Renten würden heute viele der ehemaligen Oppositionellen sagen: Der Widerstand hat sich nicht gelohnt. Da steht hinten einer im Publikum auf und sagt: „Ich war auch in Haft und muss meine Rente zusammenhalten. Wichtiger aber ist mir, dass ich meinen Kindern und Enkeln entgegentreten kann, ohne rot zu werden.“ ##
Stasi-Täter leben mitten unter uns
DDR-Aufarbeitung:
Historiker Hubertus Knabe kritisiert die Persilschein-Praxis
Von Ines Geipel morgenpost.de
Knapp 20 Jahre nach dem Umbruch im Herbst 1989 fragt der Historiker Hubertus Knabe nach der politischen Realität im vereinten Land, macht Bestandsaufnahme. Sie entsteht durch seine langjährige Erfahrungen als Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem ehemaligen Zentralgefängnis der Staatssicherheit, einem Container von Extrem-Erfahrungen, einer Welt aus Tatsachen. Wovon Knabe in seinem Buch zu berichten hat, organisiert sich durch diese Härtesubstanz. Kein Lavieren, keine parteipolitischen Rankünen, keine Polemik. Dem Historiker ist es ernst. Er setzt auf Fakten und spricht für die Opfer, für die, die in Extrem-Containern der DDR einsaßen. Das macht das Buch so politisch, so unerträglich, so schmerzhaft, so kostbar.
Es beginnt mit einer Trauerfeier auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde. November 2006 wird dort Markus Wolf, zweiter Mann hinter Stasi-Chef Mielke, zu Grabe getragen. Die Trauerreden verabschieden ihn als "großartigen Menschen", "großen Sohn Deutschlands", als "Mann reinen Herzens". Dass der nach 1989 insbesondere als Kochbuchschreiber reüssierende Wolf die Agentur des Staatsterrors anführte und eine der zentralen Figuren des DDR-Unrechtsregimes war, war auf jener Trauerfeier nicht zu erfahren. Das dürfte kaum verwundern. Und doch steht die gewählte Exposition symbolisch für das Schweigematerial der Täter, in das sich Hubertus Knabe nun Seite für Seite hineinzuschreiben beginnt.
Wie ein Krimi liest sich etwa der milliardenschwere Super-Klau an der ostdeutschen Bevölkerung, die die SED-Folgepartei PDS in der Wendezeit durch Konspiration, Finten und Tricks hingelegt hat. Wegen des gigantischen Betrugs folgerte die zur Überprüfung eingesetzte Unabhängige Kommission nach 16 Jahren Arbeit 2006, dass "die SED/PDS eine Strategie der Vermögensverschleierung verfolgt" habe. Um Strategie und Symbolpolitik geht es im Grunde notorisch, versucht man, die paranoiden Metamorphosen vieler Täter nach 1989 lesbar zu machen. Das kontinuierliche Verschwinden von Tatsachen, aber auch Täterbiografien, und der Versuch, Opfer- und Täter-Geschichten an jeweils affektiv besetzten Orten oder im Licht medialer Ereignisse zu drehen, wie es in jüngster Zeit oft zu beobachten war, erzählt insbesondere von der enormen Adaptionsfähigkeit totalitärer Macht wie über die moralische Leere derer, die sie ausgeübt haben.
Stoisch hält das Buch dem aktuellen Polit-Raubrittertum der PDS den Spiegel vor, liefert Zahlen, Zusammenhänge, nennt Ross und Reiter, zerrt das Schuldvolumen der Verfolger aus dem selbstgestrickten Nebel hervor.
Knabe hat genug vom dreisten Verwirrspiel der letzten Jahre, kennt die psychischen Transmissions-Energien der Geschichtsfälscher. Tag für Tag ist er ihnen ausgesetzt. Er bringt die PDS-Kampagnen gegen den Vereinigungsprozess zur Sprache, widmet Gregor Gysi einen ganzen Abschnitt, nimmt die "fein ziselierten Sprachcodes" der Partei alten Typs als tumben Etikettenschwindel unter die Lupe.
Umfangreich und konkret legt Knabe die fehlgeschlagene juristische Aufarbeitung der DDR dar. Trotz zahlreicher Todesurteile, trotz Hunderter Grenztote, trotz mehr als 300.000 politischen Häftlingen, trotz Gewalt und Willkür sind nach 40 Jahren Diktatur nur 19 Personen zu Haftstrafen verurteilt worden. Anders als die Gestapo wurde die verfassungswidrige Stasi nie zur "verbrecherischen Organisation" erklärt. Eine solche Persilschein-Politik war dazu angetan, die Täter zwangsläufig auf den Plan zu rufen.
Knabe ist Sachwalter der Opfer, nennt ihre Namen, erzählt deren Schicksale. Michael Gartenschläger, Matthias Domaschk, Chris Gueffroy. Sie waren blutjung, als sie an der Grenze oder im DDR-Gefängnis eiskalt gelyncht wurden. Und die anderen, deren Leben nicht mehr benannt werden? Das Buch lässt keinen Zweifel an den unerträglichen Schieflagen der DDR-Aufarbeitung. Es berichtet vom unsäglichen Kampf der Opfer um eine schäbige Pension von 250 Euro, während ihre Widersacher das 20fache einstreichen.
Es spart nicht mit Kritik an der Arbeit der Birthler-Behörde mitsamt einer um Geld und Reputation geifernden Aufarbeitungsmaschinerie. Es weist nach, wie stark die traumatisierende PDS-Politik die politische Kultur des Landes bereits kontaminiert hat und das Stasi-Syndrom nie Vergangenheit war, sondern heute eine "realistische Außerkraftsetzung der Realität" ist.
Aus der Berliner Morgenpost vom 30. März 2007
Ein notwendiges Buch 2007 Tim Tillermann
Viele scheinen es bereits vergessen zu haben: Die DDR war ein Unterdrückungsstaat, die SED-Herrschaft der DDR ein Unrechtsregime. Dies wieder in Erinnerung zu rufen inmitten von Ostalgie und Stolz auf "DDR-Identität" und den Opfern der SED-Willkür die verdiente Beachtung zu schenken, ist das Verdienst dieses wichtigen Werkes von Hubertus Knabe, dem Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Die Darstellung ist in sich schlüssig, inhaltlich überzeugend und durch vielerlei Beispiele und Quellen solide belegt.
Natürlich hat sie auch etwas von einer Anklageschrift und ist entsprechend einseitig geraten. Selbst wenn man also aus gutem Grund den Standpunkt des Autors teilt, so wendet ich doch der Instinkt des Wissenschaftlers gegen die Höchstwertung, sprich volle 5 Sterne für dieses Buch. Die Gliederung in vier große Kapitel reflektiert auch schon die Hauptanliegen des Autors:
1) Die schöne Welt der Diktatur: Verharmlosung und Verklärung des DDR-Regimes aus ideologischen Interessen oder Unwissenheit bzw. schlechtem Gedächtnis.
2) Täter ohne Strafe: Milde Strafen bzw. weitgehende Straffreiheit für SED-Funktionäre, Richter, Gefängniswärter, West-Spione, Mauerschützen und Stasi-Mitarbeiter.
3) Opfer ohne Lobby: Die Verfolgten des DDR-Regimes als vergessene Helden, die um Haftentschädigung und Rehabilitierung in beschämender Weise kämpfen müssen.
4) Die Stasi lebt: Alte Kader und Stasi-Obristen verbringen ihren Lebensabend nicht etwa zurückgezogen in Reue und Beschämung, sondern werden immer selbstbewusster, suchen sogar die Öffentlichkeit und verhöhnen heute noch ihre Opfer wie auch die Gedenkstätten und propagieren ihr Geschichtsbild durch ständige Wiederholung der Unwahrheit.Am Ende steht immer wieder die alte Streitfrage: Warum werden, so fragt auch Knabe, "die beiden Spielarten totalitärer Herrschaft in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen"? Nun, einen gewichtigen Grund dafür sollte der Autor verstehen können: Im Gegensatz zum Nationalsozialismus gehörten bei den DDR-Kommunisten Massenmord und verbrecherischer Rassismus nicht zum Instrumentarium der Regierungspolitik. Den zweiten Grund sollte man zusammen mit Knabe allerdings nicht hinnehmen: Die Idee des Marxismus-Leninismus sei doch eigentlich gut und unschuldig und nur die Ausführung schlecht gewesen. Der Sozialismus also immer noch als verheißungsvolle Utopie, so wie es sich ja auch die PDS heute noch vorstellt.
Jedoch: Man erkennt die Bäume an ihren Früchten, und ein gesunder Baum bringt keine kranken Früchte hervor! Die Welt des real existierenden Sozialismus ist politisch, wirtschaftlich und moralisch bankrott gegangen. Bereits die Idee des Sozialismus basiert auf Unfreiheit und Gleichmacherei; wie kann da ihre Umsetzung mit Freiheit und Gerechtigkeit vereinbar sein?
Fakten, Namen, Zahlen 5.4.2007 Rezensent: guenterkirstein, Berlin
Endlich ein historisch kompetentes Werk über die Stasi-Diktatur der sogenannten DDR. Bisher war die geschichtliche Aufarbeitung des SED-Regimes leider etwas dürftig. Hubertus Knabe entzaubert die 40 Jahre des Sozialistischen Unrechtregimes mit wissenschaftlich-historischer Korrektheit. Es zeigt, daß der Autor über umfangreiche Detailkenntnisse verfügt. Dieses Werk gehört in jede Schulbücherei, denn gerade bei jungen Menschen trifft man auf erschreckende Unkenntnis über diese geschichtliche Epoche. Es macht deutlich, daß durch den Austausch eines Buchstaben das Wesen einer politischen Partei nicht geändert wird. Dem Buch wünsche ich von Herzen eine weite Verbreitung. Günter Kirstein
Ein Meilenstein der Aufklärung, 2.4. 2007 Rezensent: Alfred Pollock
Hubertus Knabe ist dem Leser in der Vergangenheit vor allem als Historiker, der seine überaus gründlichen Recherchen hauptsächlich in den Unterlagen der Gauck-Behörde betrieb, bekannt geworden. Mit seinem neuem Buch offenbart der Autor, warum 18 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur diese in der breiten Bevölkerungsschicht noch immer nicht als solche wahrgenommen und, nicht zuletzt wegen der aktiv betriebenen Verschleierung durch die neuen Organisationsstrukturen der Verantwortlichen, verharmlost wird.
Grundsätzliche Mängel im Einigungsvertrag, die Unfähigkeit der deutschen Justiz zu angemessener, konsequenter Bestrafung der Täter werden als Ursachen der verschwommenen Wahrnehmung der DDR ebenso messerscharf aufgezeichnet, wie die zunehmenden Versuche der Mitverantwortlichen, die Deutungshoheit über die Vergangenheit des Unrechtsstaates übernehmen zu wollen. Sie bedienen sich heute hemmungslos der Vorzüge genau der Demokratie, die Sie einst so gnadenlos bekämpften.
So ist es heute Normalität, wenn es zahlreiche ehemalige Mitarbeiter des MfS gibt, die nicht nur auf Landesebene, sondern auch im Deutschen Bundestag und als Europa-Abgeordnete Ihre Macht manifestieren.
Insbesondere Im Hinblick der inzwischen herangewachsenen Generation, die die DDR nur noch vom Hörensagen kennt, deren Geschichtskenntnisse nach neuesten Forschungen aus äußerst mangelhaften Schulbüchern stammt, ist dieses Buch ein Meilenstein der Aufklärung über die Wahrnehmung der 2. Deutschen Diktatur.
Aufklärung über die letzte Diktatur auf deutschem Boden, 27. März 2007 Rezensentin/Rezensent: Bellov (Berlin)
Angesichts der Folterverbrechen, die in Internierungsslagern wie Berlin Hohenschönhausen begangen oder veranlasst wurden, wird einem übel, wenn diese Täter sich heute wieder trauen, ihre Mäuler aufzureißen. Ermuntert, weil kaum jemand von ihnen wegen der Generalamnes(t)ie im Zuge der deutschen Wiedervereinigung zur Rechenschaft gezogen wurde.
Da tut es gut, wenn sich Aufklärer wie der Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen Hubertus Knabe regelmäßig zu Wort melden und über die Ergebnisse ihrer mühseligen Forschungsarbeit über die Täter berichten. Dieses Werk klärt auf über die Karrieren der DDR-Täter im wiedervereinigten Deutschland und gehört -im Namen der Opfer- auf die Agenda der Bundesrepublik. Wie notwendig dies ist zeigt z.B. ein Blick auf die Propagandawebsite www.mfs-insider.de
Die Terroropfer schweigen, die Täter fordern. Noch. Wie man hört, organsieren sich jedoch seit einiger Zeit Widerstand und Aufklärung gegenüber den Tätern von damals. "Damals" ist noch nicht einmal 20 Jahre her...
www.tagesspiegel.de 2007
POSITIONEN
Im Land der Richter und Henker
Wie die SED-Diktatur in Deutschland salonfähig gemacht wird
Von Hubertus Knabe
Momentaufnahmen aus Berlin: Weil junge Polizeischüler im Unterricht sagten, sie wollten nicht dauernd an den Holocaust erinnert werden, kündigte Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD) deren mögliche Entlassung an. Als im Abgeordnetenhaus über die öffentliche DDR-Verherrlichung durch ehemaliger Stasi-Offiziere diskutiert wurde, erklärte Körting: „Die brauchen eher den Altenpfleger als den Verfassungsschützer.“
Wer die beiden Diktaturen in Deutschland verharmlost, wird hierzulande vielfach unterschiedlich beurteilt. Während im einen Fall selbst nichtige Anlässe zu oft überzogenen Reaktionen führen, wird im anderen in der Regel großzügig darüber hinweggesehen. Was bei der NS-Diktatur aus gutem Grunde verboten ist, ist beim SED-Regime erlaubt: Jeder darf in Deutschland mit den Abzeichen des DDR-Staates auf der Straße spazieren, den Massenmord im Gulag rechtfertigen oder vor Gedenkstätten die Opfer verhöhnen.
Dabei liegt die kommunistische Diktatur noch gar nicht so lange zurück. Die 30 000 hauptamtlichen Mitarbeiter, die der Staatssicherheitsdienst allein in Berlin hatte, haben sich mit dem Ende der DDR keineswegs in Luft aufgelöst. Die Täter sind unter uns und erfreuen sich ihres Lebensabends. Nach 40 Jahren Diktatur mussten ganze 19 Verantwortliche ins Gefängnis – sie alle sind längst wieder frei.
Wer gehofft hatte, die Funktionäre des SED-Regimes durch gnädige Behandlung zum Umdenken zu bewegen, hat sich getäuscht. Das Gegenteil ist eingetreten: Dass kaum einer bestraft wurde, deklarieren sie heute als Unschuldsbeweis. Obwohl sie durch Luxusrenten bis jetzt von ihrer Unterdrückertätigkeit profitieren, wettern sie gegen das „Rentenstrafrecht“. In der Öffentlichkeit predigen sie ungeniert einen hartgesottenen Geschichtsrevisionismus.
Dass die Täter kein Unrechtsbewusstsein haben, hängt auch damit zusammen, dass sie in der Politik einen wichtigen Fürsprecher haben: die dreimal umbenannte SED. Linkspartei-Chef Lothar Bisky wehrt sich dagegen, die DDR als „Unrechtsstaat“ zu bezeichnen. Der Ehrenvorsitzende Hans Modrow gibt der Bundesrepublik eine „Mitschuld an der innerdeutschen Grenze“. Und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau trauert beim Tod des Mielke-Stellvertreters Markus Wolf um „einen streitbaren Kämpfer, der aufrecht durch sein Leben ging“. Dass für die Linkspartei im Bundestag und in den Landesparlamenten so viele Ex-Stasi-Mitarbeiter sitzen, ist ein Tabubruch mit System.
Für die Opfer ist all dies sehr schmerzhaft anzusehen. Ausgerechnet die, die mehr als alle anderen für die Freiheit und das Ende der Teilung riskiert haben, sehen sich von der Bundesrepublik allein gelassen. Kein Gesetzgeber, kein Staatsanwalt, kein Innensenator schützt sie vor den Verhöhnungen der Täter. Im Gegenteil: Wer sich in der DDR auflehnte und deshalb nicht studieren durfte, bekommt die Folgen noch heute zu spüren. Seine Rente ist weit niedriger als die der dafür Verantwortlichen.
Führende Politiker haben am Wochenende Europa gelobt. Sie könnten von Europa viel lernen: In Kroatien erhält ein ehemaliger politischer Häftling mehr als doppelt so viel Rente wie einer, der nicht verfolgt wurde. In Polen, Ungarn und Tschechien ist das Tragen kommunistischer Symbole untersagt. In Lettland und Litauen ist die kommunistische Partei, in Tschechien der Jugendverband verboten. Nur in Deutschland werden die beiden Spielarten totalitärer Herrschaft bis heute mit zweierlei Maß gemessen.
Der Autor ist Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Am heutigen Donnerstag um 19 Uhr stellt er sein neues Buch „Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur“ (Propyläen Verlag) vor – in der Thüringischen Landesvertretung, Mohrenstraße 64. Der Eintritt ist frei, um Voranmeldung per Fax (20345 - 279) wird gebeten.
1. April 2007 Von Ines Geipel Buch der Woche
Wie die PDS den Ostdeutschen Milliarden klaute
Hubertus Knabe, streitbarer Leiter der Stasi-Gedenkstätte, analysiert in "Die Täter sind unter uns" sachlich den Betrug der PDS. Er weist den Genossen finanzielles Raubrittertum nach. Und prangert den unwürdigen Umgang mit den Opfern an.
Foto: Deutsches Historisches Museum Die Ausstellung "Parteidiktatur und Alltag in der DDR" des Deutschen Historischen Museums in Berlin zeigt das Leben in und mit der Diktatur. Das Schild "Sperrgebiet" 1961/1989 ist aus Pressspan. Die Textur der Realität ist etwas ungemein Verletzliches. Man kann an ihr herumbasteln, ihre Fäden kappen, sie solange verformen, bis ihr irgendwann der Widerstand abhanden kommt. Geschieht das, wird im Prinzip alles möglich. An die Stelle des ursprünglichen Gewebes rückt etwas, das einem bald genauso vertraut vorkommt wie die Ausgangstextur.
Was aber sind dann Realität, Erfahrungen, Tatsachen, Ereignisse? Was ist Wahrheit, was Lüge?
Mit Fragen dieser Art reiste Hannah Arendt 1950, fünf Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus, das erste Mal wieder nach Deutschland. Sechs Monate lang fuhr sie durch kaputte Städte, sah ein Land unter Schock, in dem die Menschen zugleich wie unter „blindem Zwang“ standen, mit dem „gierigen Verlangen, den ganzen Tag pausenlos an etwas zu hantieren“. Was die Philosophin aus dieser Aktionswut unmittelbar heraussah, war eine „tief verwurzelte, hartnäckige und gelegentlich brutale Weigerung, sich dem tatsächlich Geschehenen zu stellen“.
Knabes Deutschland-Inventur im Herbst 1989
Hannah Arendts Deutschland-Report scheint die Folie für das neue Buch des Historikers Hubertus Knabe. Knapp zwanzig Jahre nach dem Umbruch im Herbst 1989 macht er Bestandsaufnahme, fragt nach der politischen Realität im vereinten Land. Die entsteht nicht mittels eines flüchtigen Reise-Blicks, sondern durch seine langjährige Erfahrungen als Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, des ehemaligen Zentralgefängnisses der Staatssicherheit, eines Containers von Extrem-Erfahrungen, einer Welt aus Tatsachen. Foto: pa/dpa Erich Honecker als AusstellungsobjektWovon Knabe in seinem Buch zu berichten hat, organisiert sich durch diese Härtesubstanz. Kein Lavieren also, kein Pseudogequatsche, keine parteipolitischen Rankünen, keine Polemik. Dem Historiker ist es ernst. Er setzt auf Fakten und spricht für die Opfer, für die, die in den Extrem-Containern der DDR eingesessen haben. Das macht das Buch so politisch, so unerträglich, so schmerzhaft, so kostbar.
Es beginnt mit einer Trauerfeier auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde. Im November 2006 wird dort Markus Wolf, zweiter Mann hinter Stasi-Chef Mielke, auch zuständig für die Arbeit im „Operationsgebiet“ – der Bundesrepublik – zu Grabe getragen. Die Trauerreden verabschieden ihn als „großartigen Menschen“, „großen Sohn Deutschlands“, als „Mann reinen Herzens“. Dass der nach 1989 insbesondere als Kochbuchschreiber reüssierende Tschekist die Agentur des Staatsterrors anführte und eine der zentralen Figuren des DDR-Unrechtsregimes war, wird auf jener Novemberfeier nicht zu erfahren gewesen sein. Das dürfte kaum verwundern. Und doch steht die gewählte Exposition symbolisch für das Schweigematerial der Täter, in das sich Hubertus Knabe nun Seite für Seite hineinzuschreiben beginnt.
Lob für Vertreter des DDR-Unrechtsregimes
Wie ein Krimi liest sich etwa der milliardenschwere Super-Klau an der ostdeutschen Bevölkerung, die die SED-Folgepartei PDS in der Wendezeit durch Konspiration, Finten und Tricks hingelegt hat. Wegen des gigantischen Betrugs folgerte die zur Überprüfung eingesetzte Unabhängige Kommission nach 16 Jahren Arbeit 2006, dass „die SED/PDS eine Strategie der Vermögensverschleierung verfolgt“ habe. Um Strategie und Symbolpolitik geht es im Grunde notorisch, versucht man, die paranoiden Metamorphosen vieler Täter nach 1989 lesbar zu machen. Das kontinuierliche Verschwinden von Tatsachen aber auch Täterbiografien aus dem öffentlichen Raum und der Versuch, Opfer- und Täter-Geschichten an jeweils affektiv besetzten Orten oder im Licht medialer Ereignisse zu drehen, wie es in jüngster Zeit des Öfteren zu beobachten war, erzählt insbesondere von der enormen Adaptionsfähigkeit totalitärer Macht – sagt aber auch etwas über die moralische Leere, derer, die sie ausgeübt haben.
Vom kontinuierlichen Verschwinden von Tatsachen
Stoisch hält das Buch dem aktuellen Polit-Raubrittertum der PDS den Spiegel vor, liefert Zahlen, Zusammenhänge, nennt Ross und Reiter, zerrt das Schuldvolumen der Verfolger aus dem selbsterzeugten Nebel hervor. Knabe hat genug vom dreisten Verwirrspiel der letzten Jahre, kennt die psychischen Transmissionsenergien der Geschichtsfälscher. Tag für Tag ist er ihnen ausgesetzt. Wenn er die PDS-Kampagnen gegen den Vereinigungsprozess zur Sprache bringt, wenn er der Person Gregor Gysi einen ganzen Abschnitt widmet und seine Stasi-belastete Akte trotz all seiner Drohgebärden erneut auf den Tisch legt, wenn er die „fein ziselierten Sprachcodes“ der Partei alten Typs als tumben Etikettenschwindel unter die Lupe nimmt, ist es, als läse man Arendts Nachkriegs-Report in aktueller Ausgabe: „Die Lügen totalitärer Propaganda unterscheiden sich von den gewöhnlichen Lügen, auf welche nichttotalitäre Regimes in Notzeiten zurückgreifen, vor allem dadurch, dass sie ständig den Wert von Tatsachen überhaupt leugnen: Alle Fakten können verändert und alle Lügen wahrgemacht werden.“
Nur 19 Personen erhielten Haftstrafen
Umfangreich und überaus konkret legt das Buch die fehlgeschlagene juristische Aufarbeitung der DDR dar. Trotz zahlreicher Todesurteile, trotz Hunderter Grenztote, trotz mehr als 300.000 politischen Häftlingen, trotz Gewalt und Willkür sind nach 40 Jahren Diktatur lediglich 19 Personen zu Haftstrafen verurteilt worden. Anders als die Gestapo wurde die verfassungswidrige Staatssicherheit nie zur „verbrecherischen Organisation“ erklärt.
Eine solche Persilschein-Politik war dazu angetan, die Täter zwangsläufig auf den Plan zu rufen. Mithilfe des Milliardenklaus der PDS sind sie mittlerweile gründlich reorganisiert, haben sich für „ihre Lebensleistungen“ deftige Luxusrenten erstritten, sind gut vernetzt und in dubiosen Verbänden organisiert. Ihr heutiges „Operationsgebiet“ ist unbegrenzt. Sie sitzen in Parlamenten, haben in Behörden hohe Posten inne, starten in ostdeutschen Provinzen Kampagnen gegen DDR-kritische Journalisten, greifen Verfolgte auf Veranstaltungen an, starten üble Leserbrief-Aktionen, halten mit ihren wüsten Texten Wikipedia auf Trab, sitzen in Dubai und Shanghai, um neue Netze zu knüpfen, drucken unsägliche Broschüren, um ohnehin nicht sattelfeste Schüler noch einmal zu verwirren.
Auferstanden in der PDS Kurzum, sie machen das, was sie immer gemacht haben: Leben besetzen, Not produzieren, zerstören. Doch damit nicht genug. Jan Assmann hat in seinem Werk „Das kulturelle Gedächtnis“ plausibel dargelegt, dass Erinnerung stets ein von Eliten betriebenes soziales Training ist, die Einigung in einen Kanon. Unter diesem Aspekt sieht es so aus, als sei die kulturelle Erinnerungsarbeit in bezug auf die beiden deutschen Staaten dasjenige, was am wenigsten entschieden ist. Was war sie denn nun, diese dröge, miese DDR? Eine Diktatur? Ein sozialistisches Projekt? Ein totalitäres System? Es geht um Deutungshoheiten. Die Täter-Eliten des Ostens beanspruchen Aufnahme in die Geschichte. Sie wollen Deutschland Ehre einfahren und drängeln: Ein Platz an der historischen Sonne würde die Ideen- und Lebensbilanz aufpolieren.
Kein Platz an der historischen Sonne
Knabe kann sich mit Begehrlichkeiten dieser Art nicht aufhalten. Er ist Sachwalter der Opfer, nennt ihre Namen, erzählt deren Schicksale. Michael Gartenschläger, Matthias Domaschk, Chris Gueffroy. Sie waren blutjung, als sie an der Grenze oder im DDR-Gefängnis eiskalt gelyncht wurden. Und die anderen, deren Leben nicht mehr benannt werden? Das Buch lässt keinen Zweifel an den unerträglichen Schieflagen der DDR-Aufarbeitung. Es berichtet vom Kampf der Opfer um eine schäbige Pension von 250 Euro, während ihre Widersacher längst das Zwanzigfache einstreichen. Es spart nicht mit Kritik an der Arbeit der Birthler-Behörde mitsamt einer um Geld und Reputation geifernden Aufarbeitungsmaschinerie. Es weist nach, wie stark die traumatisierende PDS-Politik die politische Kultur des Landes bereits kontaminiert hat und das Stasi-Syndrom nie Vergangenheit war, sondern heute auf eine „realistische Außerkraftsetzung der Realität“ ist.
Das alles berichtet Knabe in ruhigem Ton. Er kennt das Feld, weiß um dessen Spezifik. Und doch lässt seine Bestandsaufnahme keinen anderen Schluss zu, als dass es gar keine Aufarbeitung gibt. Schlagworte SED DDR Stasi PDS Hubertus Knabe Ines Geipel Hier wäre Hannah Arendt noch einmal am Platze, für die bei politischen Neuanfängen der Begriff der Erfahrungsfähigkeit zentral war. Diese würde die Fähigkeit zu trauern brauchen, die Fähigkeit, sich zu erinnern, die Fähigkeit, soviel politischen Anstand aufzubringen, um den Opfern der DDR das zu geben, was ihnen längst gebührt: öffentliche Anerkennung und Einfühlung.
Stattdessen sind die Täter und ihre Mitstreiter emsig dabei, den nächsten Coup zu landen: Am 16. Juni werden sich PDS und WASG in Dortmund zum Parteitag einfinden, etliche markige Reden auf das Ungemach der Welt halten, viel von Bildung, Patriarchat, Gleichheit faseln, die linken Potenziale im Land endgültig begraben, um schließlich zum Händedruck überzugehen. Auf Symbole dieser Art ist man geeicht, hat ein gut trainiertes Gespür fürs politisch Emotionale.
Deshalb muss dieser Vereinigungsparteitag auch einen Tag vor dem 17. Juni stattfinden. Es ist der Tag, als vor 54 Jahren das Projekt DDR-Sozialismus unter Schock geriet. Der Anfang vom Ende, den man gern annullieren würde. Hubertus Knabe: Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur. Propyläen, Berlin. 283 S., 22 Euro. Ines Geipel, Jahrgang 1960, war in der DDR Leistungssportlerin und ist heute Schriftstellerin und Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. Bekannt wurde sie mit dem Buch "Für heute reicht's. Amok in Erfurt".
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