Irmgard Kneifel |
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(d-2005:) Frau Kneifel ist 1993 verstorben. |
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Ich wußte vom Vorhaben meines Mannes, den sowjetischen Panzer als Symbol militaristischer Unterdrückung, der an der Ecke Frankenberger/Dresdner Straße auf einem Sockel stand, zu sprengen. Ich wußte auch um die Gefahr, die bei so einer Sprengung für das Leben anderer bestand, und billigte das Vorhaben nur, weil Zeitpunkt und Ausführung der Tat eine Gefährdung anderer, zumindest in der theoretischen Planung, grundsätzlich ausschloß.
Als Christ und humanistisch denkender Mensch hätte ich die Sprengung des Panzermonuments nicht gebilligt, wenn ich nicht von der Sicherheit unschuldiger Menschen an diesem späten Abend des 9. März 1980 überzeugt gewesen wäre. Auch ich sah den sowjetischen Panzer — ähnlich wie mein Mann — nicht nur als Symbol der Befreiung vom Faschismus, sondern auch als Symbol kommunistischer Unterdrückung und Aggression in vielen Ländern der Welt.
Am 18. August 1980 wurden mein Mann und ich vom SSD verhaftet. Ich lag damals seit paar Tagen krank im Bett, aber die Stasi-Leute rissen mich ohne Pardon aus dem Bett. Als sie auch unseren 18jährigen Sohn verhafteten, hätte ich bald den Verstand verloren. Unser Sohn wurde einzig und allein inhaftiert, damit niemand erfahren sollte, warum seine Eltern verhaftet worden sind. Monatelang bei den Verhören gequält, steckte man mich schließlich in ein als Krankenauto getarntes MfS-Fahrzeug und brachte mich nach Berlin. Auf dieser Fahrt habe ich mir infolge der Kälte einen dauernden Harnblasen-Schaden zugezogen.
Am 26. März 1981 wurde ich in Karl-Marx-Stadt wegen Nichtanzeigens des Verbrechens meines Mannes nach § 225 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Zuvor wurde mir von der Stasi mehrfach nahegelegt, mich von meinem Mann scheiden zu lassen — dann käme ich ohne Gefängnis davon bzw. würde wesentlich früher entlassen. Ich lehnte ab und mußte fortan die besonderen Schikanen und Mißhandlungen der Strafvollzugs-Beamten und der ihnen unterstellten kriminellen Strafgefangenen ertragen.
Völlig separat wurde ich von der Stasi nach Hoheneck gefähren und dort sofort in eine Zelle mit einer kräftigen Kriminellen, Brunhilde Buchholz, gesperrt. Von dieser Gefangenen wurde ich in den nächsten Wochen und Monaten bis an die Grenze des Suizids tyrannisiert. MfS-Deckung ermöglichten dieser Kriminellen jede Quälerei: Schläge ins Gesicht und auf den Körper, Essen wegnehmen, nachts am Schlaf hindern, Beleidigungen übelster Art, leere gegen volle Kuliminen austauschen, Wäsche von mir nicht mit zur Wäscherei geben und dann die so vom wochenlangen Tragen schmutzige Wäsche den anderen Gefangenen vorzeigen, um mich als "Drecksau" zu beschimpfen, kurzum: das ganze im Grunde unendliche Spektrum der Möglichkeiten, mit der Taktik der kleinen Nadelstiche einen Menschen fertigzumachen, unter diesen spezifischen Umständen. Und da gab es kein Weglaufen, Umdrehen, Ohrenzuhalten oder Zurückschlagen, da half kein Heulen oder Schreien, und da gab es niemanden, den man um Hilfe bitten konnte. Nichts, nur gnadenloses Ausgeliefertsein an die machtausgestatteten kriminellen Strafgefangenen.
Und das war Methode, nicht von der viel zu primitiven Buchholz ausgedacht. Die Verleumdung auf dem Zugangshof in Hoheneck, ich sei irre im Kopf, diente nur dazu, mich von vornherein zu isolieren. All diese für den Uneingeweihten vielleicht bloß als Kleinigkeit abgetanen Quälereien zeigen in ihrer steten Wiederholung und Variation unter den Bedingungen der weitestgehendsten Isolation zerstörerische Wirkung. Von Natur aus sehr empfindsam, war ich den Mißhandlungen gegenüber hilflos und wollte mir das Leben nehmen. Von meinem Mann und unserem Sohn hatte ich keine Nachricht, wußte nur, daß
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sie irgendwo eingesperrt saßen. Der einzige Weg, in die Freiheit zu gelangen, war die Scheidung, aber das kam für mich nicht in Frage. Meine Familie brauchte mich noch, mein Sohn, der gerade erst 18 Jahre alt war, und mein Mann, der ohne mich keine Überlebenschance gehabt hätte.
Es kann nur einer schwer zu überbietenden Naivität und fehlenden Erfahrung zugeschrieben werden, wenn diese ständigen Qualen, die das obligate Zusammenlegen mit bösartigen Kriminellen hervorrufen, nicht als Folter anerkannt werden! Kann man sich überhaupt vorstellen, was geschehen muß, bevor sich ein moralisch fester Mensch, der verheiratet ist und einen 18jährigen Sohn hat, zum Selbstmord entschließt? Eine einzige wirklich politische Gefangene in meiner Zelle hätte mir ausgereicht, um die Mißhandlungen zu ertragen.
Als ich mich wieder etwas gefangen hatte und von meinen Suizidgedanken freikam, begann eine neue Phase des Psychoterrors. Jede Woche Donnerstagvormittag wurde die Buchholz zum Rapport beim MfS-Bevollmächtigten gebracht, gab Bericht über ihre "Arbeit" an mir und empfing neue Anweisungen. Mangels Erfolg — und Erfolg müssen solche Typen haben, wenn sie ihre Privilegien behalten wollen - verleumdete sie mich. Das hatte zur Folge, daß ich erneut vom MfS verhört wurde und mir mit "Haftzuschlag" gedroht wurde. Bei uns zu Hause wären Russen ein- und ausgegangen, hatte die Buchholz angeblich von mir erfahren. Kein Wort stimmte. Und immer wieder: "Lassen Sie sich scheiden, und Sie sind frei!" Auch dieser merkwürdige evangelische Haftgeistliche Giebeler, für viele Haftanstalten in der DDR "zuständig" und mit guten Beziehungen zum SSD und SV, riet mir dazu.
Im August 1982 wurde ich, keinen Tag früher, entlassen. Aber der Psychoterror ging weiter. Die Stasi verleumdete uns im Freundes- und Bekanntenkreis, in der Wohn- und Arbeitsgemeinschaft, bezichtigte uns sexueller Abartigkeit und des Ehebruchs usw. Ich bekam häufig anonyme Anrufe, tagsüber, abends, nachts, wurde als "Schlampe", "Hure", "Terroristenbraut" und "Flittchen" beschimpft. Nach dem Akzent zu urteilen waren auch oft Russen unter den Anrufern. Wiederholt setzte die Stasi Leute auf meine Bekannten und Freunde an, um
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diese einzuschüchtern. Immer wieder wurden Bekannte (Knechtels) von MfS-Autos verfolgt, unser Sohn manchesmal tagelang, bis ins Erzgebirge hoch. Oft waren diese Aktionen des SSD demonstrativ, sollten verängstigen.
Aber diese Aktionen hatten für uns auch ein Gutes: Sie führten zur Selektion wirklicher Freunde, echter Solidarität auf der einen Seite — und der Feiglinge, Leisetreter und Egoisten auf der anderen Seite. Von dieser Wurfschaufel-Zeit profitieren wir heute noch. Und was für Couragierte, die wir vorher wenig oder gar nicht kannten, halfen mir: die Schmidts, als Pfarrfamilie enorm belastet, tags und nachts waren sie für mich da. Pfarrer Hanno Schmidt, der fast in jeder Predigt den "Fall Kneifel" erwähnte, der an einem Heiligabend eine Rose auf den Altar stellte und sagte: "Diese Rose steht für Josef Kneifel hier, der im Arrestkeller des Zuchthauses Bautzen sitzt..." Deswegen mußte er öfters zur Stasi, denn auch in den Gemeinden gab's bezahlte Stasi-Spitzel. Und die Familie Knechtel, selbst Opfer des SSD, die alle Lauen mit ihrem Mut beschämte, und die Kühns (Frau Kühn begleitete mich jedesmal zu den schrecklichen Besuchszeiten nach Bautzen), und die Familie Heiße und Pater Gordian und Pfarrer Amelung...
Nach meiner Entlassung bekam ich selbstverständlich einen Betrieb "zugewiesen". (Die Arbeitsstelle war ein wichtiges Glied der Überwachungskette.) In diesem Betrieb (VEB Germania) war mein Gruppenleiter Weichel MfS-Mitarbeiter. Ich stand also bis 1987 unter direkter MfS-Kontrolle. Trotzdem gelang es mir, neue Kontakte zu knüpfen, Informationen über den Zustand meines Mannes weiterzugeben. Manchmal erhielt ich bis zu 10 Monaten kein Lebenszeichen von meinem Mann und mußte immer damit rechnen, daß er an den ständigen Mißhandlungen gestorben ist. Mein Einsatz für meinen in Bautzen inhaftierten Mann überstieg oft meine letzten Kräfte, und es gab Tage, da konnte ich nicht mehr weiter, hatte wieder Suizidgedanken... Aber dann halfen mir unsere Freunde, die Kirchgemeinde, der Gebetskreis. Meine schriftlichen Interventionen füllten bald Mappen, die mündlichen sind ohne Zahl. Besonders aufwendig war es herauszubekommen, wohin mein Mann nach einer Verlegung gekommen war.
Monate dauerten die Korrespondenz, die Anrufe, die Gänge zu den Staatsanwälten, dem sowjetischen Konsulat... Ich konnte nachts nicht mehr schlafen, nahm Tabletten, war deprimiert und hoffnungslos. Jede Woche schrieb ich nach Bautzen, ohne zu wissen, ob meine Briefe ankommen. Oft hatte ich keinen Mut mehr, und daß ich meinen Mann lebend wiedersehen konnte, glaubte ich nicht. Ich mußte zur Behandlung in psychotherapeutische Kliniken, und als 1986/87 kein Lebenszeichen von meinem Mann kam, wollte ich aufgeben...
Als ich im Juli 1987 vom Bischof Hempel von der beabsichtigten Freilassung meines Mannes erfuhr, konnte ich nur Gott und den vielen guten Menschen danken, deren Hilfe mich in all den schrecklichen Jahren durchgetragen hat.
Schwarzenbruck,
Juli 1990
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Siegfried H.
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Mein Name ist Siegfried Höfer, von Beruf bin ich Landwirt, arbeitete später als Hauer im Bergbau und die letzten Jahre als Betriebsschutz. Ich bin 64 Jahre alt. Am 2. September 1984 schrieb ich mit Kreide an eine Tür in meinem Betrieb: "Hitler, Freund und Helfer — Honecker, Feind und Gegner." Ich bin gegen die Nazis, stehe der SPD nahe und schrieb das aus Verbitterung gegen die Ungerechtigkeit und Cliquenherrschaft in unserem Betrieb und in unserem Land und weil ich die Bonzen ärgern wollte. Ich habe in meinem Betrieb oft erlebt, wie immer die gleichen Genossen ausgezeichnet worden sind, während die anderen, die die Arbeit gemacht haben, leer ausgingen, das hat mich gewurmt.
Am 13.9.1984 wurde ich von der Stasi zu Hause verhaftet. Ich fragte nach dem Grund, da bekam ich zur Antwort: "Halten Sie's Maul und kommen Sie mit!" Darauf sagte ich: "Ich bin zuckerkrank, brauche meine Medizin ." Darauf die drei von der Stasi: "Das geht uns nichts an!" Ich wurde wie ein Schwerverbrecher ins Auto reingestoßen und in die UHA auf den Kaßberg in Chemnitz gebracht. Gleich die erste Nacht wurde ich von 19 Uhr bis früh 6 Uhr verhört. Da ich aus Angst meine Tat leugnete, befahl man mir: "Trinken Sie die Flasche Selters aus und gehen Sie in die Knie!" Ich sagte wieder, daß ich krank bin, aber das half nichts. Ich mußte etwa 15 Minuten in die Kniebeuge gehen, dabei ist mir schlecht geworden. Ich hatte Angst, daß die mich fertigmachen, und gestand meine Tat. Daraufhin durfte ich mich wieder setzen.
Als mich zwei Vernehmer zittern sahen, lachten sie zynisch. Ich kam acht Tage in Einzelhaft. Während dieser Zeit aß ich so gut wie nichts und war vollkommen fertig. Mir liefen ständig die Tränen, weil ich an meine Frau und meine drei Töchter dachte. Obwohl ich dringlich meine Medizin verlangte, bekam ich keine. Eine Stasi-Krankenschwester erwiderte mir: "Sie sind hier nicht im Sanatorium!" Beim Austreten war mein Urin dick wie Sirup, ich war nervlich am Boden. Ich hatte Angst vor einer hohen Strafe, zumal mir gesagt wurde: "Sie werden nicht so schnell die Freiheit wiedersehen!" Ich war 58 Jahre alt und hatte noch nie etwas mit dem Gericht zu tun gehabt. Morgens wurde ich meist zum Verhör geholt.
Einmal sagte der Stasi-Hauptmann: "Ihre Frau wird sich von Ihnen scheiden lassen!" Ich hatte große Angst, meine Familie zu verlieren.Da hätte ich lieber Schluß gemacht. Beim ersten Besuch meiner Frau habe ich sie gleich danach gefragt, da hat sie mich aber beruhigt. Die Stasi wollte mich bloß fertig machen.
Einmal bekamen wir einen Spitzel in die Zelle, der uns aushorchen sollte. Der bekam viele Vergünstigungen, das war verdächtig. Ich habe ihm nichts erzählt. Auf Grund meines schlechten Gesundheitszustandes wurde ich einem Nervenarzt vorgestellt. Der sagte mir, ich sei am Boden, und er wolle einen Antrag stellen, daß ich ins Stasi-Haftkrankenhaus nach Berlin komme. Am 9.11.84 kam ich dann nach Berlin. Vor Berlin mußte ich im Auto eine Stoffbrille aufsetzen, damit ich nichts sehen sollte. Danach bekam ich meine Brille zurück. Nervenarzt und Psychiater sagten mir, nach ihrer Meinung wäre ich nicht haftfähig.
Der Internist war wütend, weil bei mir der Zucker sehr hoch war. Es wäre gefährlich, es könnte zum Koma kommen. "Ich zweifle, ob Sie die Verhandlung überstehen", sagte er mir. Der Internist machte von abends 18 Uhr bis früh 8 Uhr aller zwei Stunden Blutproben bei mir. Darauf bekam ich täglich viermal Insulin gespritzt und hatte Bettruhe. Vom Psychiater bekam ich Beruhigungstabletten, da war ich den ganzen Tag müde. Durch den Zucker hatte sich meine Sehkraft rapid verschlechtert, und so wurde ich noch dem Augenarzt vorgeführt und bekam Augentropfen.
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Dieser Arzt war der einzige, der der Stasi angehörte und hat mich oft angebrüllt, so daß ich Angst vor ihm hatte. Von zu Hause bekam ich wochenlang keine Post, das hat mich zusätzlich fertiggemacht.
Am 19.1.85 kam ich wieder wegen der Verhandlung, die am 21.1.85 stattfand, ins Gefängnis nach Karl-Marx-Stadt zurück. Die Staatsanwältin, die mich anklagte, hieß Frau Heidenreich. Sie war zynisch und fanatisch und forderte: "Die Strafe muß für den Angeklagten hart sein, damit er daraus lernt!" Meine Rechtsanwältin wies auf meinen schlechten Gesundheitszustand hin und wollte eine Strafe mit Bewährung, aber die Heidenreich beantragte neun Monate Gefängnis. Und so blieb es.
Mit dem B 1000 kam ich in das Gefängnis nach Bautzen. Bei der Aufnahme wurde mir gesagt: "Sie kommen gleich ins Gefängniskrankenhaus!" Dort wurde ich einem Nervenarzt aus Dresden vorgestellt. Das hatte der Strafvollzugsarzt beantragt. Der Nervenarzt sagte, er könne es nicht begreifen, daß ich hier sei, aber er glaube kaum, daß man mich entlassen wird. Meine Tochter schrieb ein Gnadengesuch ans Gericht, das wurde aber abgelehnt. Später reichte die Rechtsanwältin ein Gesuch ein, das wurde befürwortet. So durfte ich ganze fünf Wochen eher aus der Haft raus.
Ich habe auf Grund meiner Krankheiten die ganze Zeit nicht arbeiten können und lag größtenteils im Haftkrankenhaus. Nach meiner Entlassung mußte ich wieder in nervenärztliche Behandlung. Ich wurde einer Ärztekommission vorgestellt, bis Februar 1986 krankgeschrieben und ab März invalidisiert. 1986 bekam ich als Folgeerscheinung einen Herzinfarkt.
Ich frage mich, warum ich als schwerkranker Mensch, ohne ein wirkliches Verbrechen begangen zu haben, keine Haftverschonung bekam, während die Honecker, Axen, Mielke und Tisch angeblich alle haftunfähig sind. Und diese Leute haben doch wirklich Verbrechen zu verantworten!
Chemnitz,
30.5.1990
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