Arthur Koestler

Sonnenfinsternis 

Darkness at Noon 
(Dunkelheit am Mittag)

Roman über Stalins
"Säuberungen" und
"Schauprozesse"

1946 im Atlantis-Verlag, Zürich, 237 Seiten

Koestler, Arthur (1940) Sonnenfinsternis. Roman

1940    255 Seiten 

2018 first - nach dem deutschen Original

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Arthur Koestler, geboren 1905 in Budapest, gestorben 1983, Sohn eines Industriellen, Studium der Elektrotechnik und Psychologie in Wien, ab 1926 Journalist, unter anderem in Berlin, Paris und der UdSSR. Als KP-Mitglied bis zu seinem Austritt 1938 aktiv. Siedelte 1940 nach London über und schrieb Romane und seine Memoiren. "Sonnenfinsternis" gehörte zu den meistgelesenen Romanen der Nachkriegszeit.

Koestler veröffentlichte seinen Roman in einer Zeit, in der die meisten seiner ehemaligen Genossen aus KPD und Schutzverband der deutschen Schriftsteller (SDS) die Untaten des Stalinschen Regimes nicht wahrhaben wollten. Die Vertreter der Linken in Europa und Amerika gingen davon aus, dass bei den Moskauer Prozessen das Recht auf Seiten der sowjetischen Ankläger läge. In dieser Richtung äußerte sich Bertolt Brecht in seinen "Schriften zur Politik und Gesellschaft", ebenso auch Robert Havemann. 

Havemann bekam den Roman 1945 von einem amerikanischem Offizier geliehen, nachdem er der Todeszelle der Nazis entronnen war, und konnte darin nur klassenfeindliche Propaganda erkennen. Im Laufe der Zeit wurde jedoch klar, dass Koestler sich bei der Abfassung des Romans an tatsächlichen Geschehnissen orientiert hatte.

Die deutsche Urfassung von Sonnenfinsternis ist heute nicht mehr vorhanden, sodass die heutigen deutschsprachigen Ausgaben des Buches Rückübersetzungen aus dem Englischen darstellen.   


Gletkin hatte die Anklageschrift vorzulesen begonnen. Seine monotone Stimme klang aufreizender als je; Rubaschow lauschte mit abgewandtem Kopf. Er betrachtete sein "Geständnis" als eine Formalität, eine absurde, aber notwendige Komödie, deren gewundenen Sinn nur die Eingeweihten verstehen würden; aber der Text, den Gletkin jetzt vorlas, übertraf an Absurdität seine schlimmsten Erwartungen. 

Glaubte Gletkin wirklich, daß er, Rubaschow, diese kindischen Anschläge geplant hatte? Daß er jahrelang nach nichts anderem gestrebt hatte, als den Bau zu zerstören, dessen Fundament er selbst mit der alten Garde gelegt hatte?  Und die alte Garde selbst, die Männer mit den numerierten Köpfen, die Heroen aus Gletkins Knabenjahren - glaubte Gletkin wirklich, daß sie alle plötzlich Opfer einer Epidemie geworden waren, die sie über Nacht in käufliche und korrupte Subjekte verwandelt hatte, von dem einzigen Wunsch besessen, die Revolution, ihr eigenes Werk, zu zerstören? Und dies mit Methoden, die diese Meister der politischen Taktik einem billigen Detektivroman entnommen zu haben schienen? 


 

Zur Neuausgabe, Europa Verlag, 2000 --  Von Sabine Selzer (2001)

 

Moskau 1936. Die große Tschistka ist bereits im Gange. Der Genosse N. S. Rubaschow kämpft noch mit Alpträumen von seiner Verhaftung durch die Gestapo, als sein Schicksal sich mit ihm eine grausame Wiederholung erlaubt. Er landet in einer Einzelzelle; mit einer Pritsche, einem Waschbecken, einem Kübel und viel Zeit, über sein Leben nachzudenken. Zermürbende Einsamkeit, unterbrochen nur durch nicht weniger zermürbende Verhöre, spärliche Mahlzeiten und Verständigung mit den Zellennachbarn durch Klopfzeichen. Und er weiß, er ist unschuldig - zumindest an den Verbrechen, derer man ihn bezichtigt.

Ende der 30er Jahre waren die absurden Geständnisse in den Moskauer Prozessen für die westliche Welt noch ein Rätsel. Mit welchen Mitteln brachte man angesehene Kommunisten dazu, solch haarsträubende Taten zu gestehen?

Heute verfügen wir über Augenzeugenberichte, historische Dokumente und Studien, über Solschenizyns "Archipel GULAG". 

Koestlers "Sonnenfinsternis" war einer der ersten Texte, die der Psychologie der Verhöre auf den Grund zu gehen suchten. 

Der 1905 in Budapest geborene Arthur Koestler war selbst ab 1931 Mitglied der KP, Spanienkämpfer, trat aber 1938 aufgrund der Säuberungsprozesse Stalins aus der Partei aus. 

"Geächtet von der Partei der Geächteten" schrieb er in den folgenden zwei Jahren in Frankreich an seinem Roman.

Die "Rubaschow-Theorie" der Geständnisse löste eine internationale öffentliche Kontroverse aus. 

Arthur Koestler hatte äußerst eindrucksvoll die bolschewistische Dialektik zu Papier gebracht, die ohne mit der Wimper zu zucken, nicht nur ein X für ein U erklärt sondern gleich für das ganze Alphabet - und dies mit durchaus logisch nachvollziehbaren Argumenten. 

Schlafentzug, grelle Beleuchtung und der in polizeilichen Verhören heute noch beliebte Wechsel von "netten" und "bösen" Untersuchungsrichtern taten das Ihre. 

Physische Folter war im sowjetischen Strafgesetz verboten, und zu Beginn hat man sich noch daran gehalten. Später hat man diese Bestimmung meist mit der Begründung übergangen, Volksfeinde seien keine Menschen und folglich auch nicht als solche zu behandeln. In "Sonnenfinsternis" benehmen sich die Untersuchungs­richter allerdings noch fast gentlemanlike. Und erreichen letztendlich doch, was sie wollen. Rubaschow gesteht. Und erweist damit als treuer Kommunist der Partei seinen letzten Dienst, nicht zuletzt in der Hoffnung auf bessere Zeiten für den Sozialismus.

Doch vor allem bekennt sich Rubaschow letztendlich schuldig vor sich selbst - schuldig im Auftrag der Partei und der "Geschichte" (oder um den eigenen Kopf zu retten), Genossen und Freunde geopfert zu haben. In den Verhören und in Rubaschows Tagebuch stoßen die Argumente sozialistischer Ethik auf jene menschlicher Moral und scheinen sich gegenseitig zu bestätigen bis zum Todesurteil. Rubaschow hat einen Weg gefunden, der Partei Recht zu geben. Opfer und Täter sind gemeinsam gefangen in "dem starren logischen Rahmenwerk, das Angeklagten und Kläger gleicher­maßen umschloss". 

Gesiegt hat die unwiderstehliche bolschewistische Dialektik. #  


 

Ungeliebter Verräter 

Ursula Pia Jauch, 2001 

Schatten über Arthur Koestlers «Sonnenfinsternis» 

Unlängst - und beinahe unbemerkt - ist im Europa-Verlag eine Neuauflage von Arthur Koestlers «Sonnenfinsternis» erschienen. Der Roman, 1940 zunächst in London unter dem eingängigen Titel «Darkness at Noon» gedruckt, hat eine eigenartige, aber keineswegs unauffällige Biographie. 

Dazu gehört auch, dass dieses Paradebeispiel eines politischen Gleichnisses - das einer damals noch weitgehend ahnungslosen Öffentlichkeit die erste stalinistische Säuberungswelle von 1936 bis 1938 in einer Eindringlichkeit vor Augen führte, die Anklänge an Kafkas «Prozess» eröffnete - in England zunächst nur schwer ein Publikum fand. 

Die erste Auflage, ganze tausend Exemplare, ging harzig; der Autor sitzt - durchaus eine kafkaeske Situation - in Frankreich als «Politischer» im Gefängnis.

Der Erfolg des Buches kommt erst nach Kriegsende, und zwar in der französischen Übersetzung. «Le Zéro et l'Infini», so Koestler an einer Stelle des viel später verfassten Nachwortes, habe innerhalb kurzer Zeit eine Auflagenhöhe erreicht, die schließlich über 400.000 ging. Dass damit alle Verkaufsrekorde des französischen Vorkriegsbuchhandels übertroffen worden waren, erklärt Koestler freilich mit politischen, nicht mit literarischen Gründen. Das mag für 1946 zugetroffen haben: In den Wochen zwischen dem Zerfall der deutschen Besatzermacht und der Errichtung einer gesetzesmässigen Regierung wird fast jeder Landstrich Frankreichs zum Schauplatz summarischer Hinrichtungen; Willkür steht auf der Tagesordnung. 

Die Kommunisten, so der Ex-Kommunist Koestler, hätten diese chaotischen Wochen zur systematischen Abrechnung mit ihren Gegnern benutzt, unliebsame Konkurrenten als «Kollaborateure» liquidiert, den Gewerkschaften, den Medien und den Gerichten weitgehend ihren Willen aufgezwungen. 

In dieser drückenden Atmosphäre, das ist leicht nachvollziehbar, erhält ein Roman über die stalinistischen Säuberungen, auch wenn es sich um zurückliegende Ereignisse handelt, Symbolwert.

Moral und Verrat

Das Buch wird zur moralischen Anklage gegen die Politik der Kommunisten im Nachkriegsfrankreich auch deshalb, weil es in der authentischen Parteisprache gehalten ist und folglich nicht als «bourgeoises» Produkt abgetan werden kann.

Was passiert?

Die Kommunisten versuchen, den Verleger einzuschüchtern. Ohne Erfolg. Daraufhin kaufen sie - mit Erfolg, aber ohne politisches Geschick - ganze Lagerbestände vorstädtischer und provinzieller Buchläden auf und vernichten sie. Das nun macht den Roman erst recht zum Erfolg, Restexemplare des Buches werden zu Liebhaberpreisen gehandelt. Die nächste Auflage, sie steht inzwischen bei einer Viertelmillion, versucht man propagandistisch zu vernichten, Buch und Verfasser werden auf Versammlungen und in der Presse angegriffen, was dem Verleger durchaus nicht schadet. Allerdings lässt der französische Übersetzer, eingeschüchtert, seinen Namen - eh schon ein Pseudonym - vom Titelblatt streichen. 

Auch in Deutschland übrigens hatte niemand Geringerer als Ernst Bloch Koestler schon 1942 ins Visier genommen.

«Darkness at Noon», so Bloch, habe die neue «Literaturgattung des Verrats» eröffnet.

Die Diskussion über das Renegatentum ist lanciert. Ein schlechtes Omen für eine freie Debatte über politische Schuld und Verantwortung, über die seelische Chemie von Geständnis und Schauprozess.

Und heute? Welche Erschütterungen gehen noch aus von Koestlers Roman? Offensichtlich wenige, vielleicht gar keine. Der Verlag hat die Neuedition kommentarlos, ohne jeden Zusatz, ohne die geringste aktualisierende Zeile auf den Markt geworfen. Das ist immerhin erstaunlich. Nicht nur dürften heutige Leser nicht unglücklich sein über eine sachliche Rekonstruktion der der «Sonnenfinsternis» zugrunde liegenden menschlichen und politischen Dramen. Noch mehr: Vor knappen drei Jahren hat eine englische Biographie vermeintlich Neues - und wenig Schmeichelhaftes - über den 1983 freiwillig aus dem Leben geschiedenen Autor zutage gebracht.

Koestler, der gewiss kein Chorknabe war und dessen private Vita - wie so viele andere; wer darf da den ersten Stein werfen? - keineswegs frei von Widersprüchen und Bizarrerien war, wird in David Cesaranis dickleibigem Wälzer durchaus nicht nach der Maxime De mortuis nil nisi bene behandelt. Vielmehr schon ist es ein dampfender esprit de concierge, der da vorherrscht. Koestler erscheint als fanatischer, ja krimineller womanizer, ein Vergewaltigungsfall wird aufs Detaillierteste untersucht, Verdächtigungen hier, Zitate aus Briefen dort, viel Licht wird gelenkt auf eine obsessive Mutter-Sohn-Beziehung, Mutmassungen über homosexuelle Neigungen, Gesichertes über Alkoholexzesse, schließlich der Doppelselbstmord, zu dem der Achtundsiebzigjährige seine Frau Cynthia gezwungen habe. 


Spiralen des Absurden

Allerdings, da ist viel Zwiespältiges, im Leben vielleicht mehr als im Werk. Aber mit spitzen Fingern und «moralischen» Vorbehalten muss man sich Koestlers Romanen durchaus nicht nähern. «Sonnenfinsternis» bleibt, auch in der verschämten Neuauflage, ein eindringlicher Markstein der politischen Ästhetik, von ferne an Joseph Roths «Radetzkymarsch» erinnernd. Es ist das groteske Schicksal des Mannes Rubaschow, der im Glauben an das Gute Freunde verraten hat und über Leichen gegangen ist und der dann selbst, in einer absurden Spirale, verhaftet wird, vom Peiniger zum Gepeinigten wird und schließlich ein falsches «Geständnis» ablegt, um so der «Partei», will heißen: einer menschenverachtenden und aufs Letzte abzielenden Geschichtsphilosophie, noch ein letztes Opfer zu bringen. 

Doch sind das zusammenfassende Sätze, die den literarischen Sog dieses Romans schlecht wiedergeben. Denn Koestler hat alles andere als eine blutleere Parabel vom verratenen Verräter geschrieben.

Er sitzt mit Rubaschow in der Zelle und berichtet gleichsam aus der Perspektive eines dritten Ohrs, eines parallel geschalteten Nervengeflechts. Er hört mit ihm das Tropfen des Kondenswassers, zählt die Schritte auf dem Korridor, übersetzt die Klopfbotschaften von geheimnisvollen Mithäftlingen, mutmasst über die Folterungen von Nr. 407. Die inneren Dialoge, die Verhöre zumal, dann der Offizier; man übt sich in Dialektik, tauscht Erinnerungen. War er früher nicht ein Freund? Demzufolge jetzt der Feind? Oder ein als Feind getarnter Freund? Als Freund getarnter Feind? Sollte er antworten, dass alles Gerede gewesen war? Ein impotentes Spiel mit dem Feuer? Es berührt ihn die sonderbare Empfindung, in den «glatten Ablauf einer feierlichen Zeremonie» geraten zu sein. Werte erodieren, Grundsätze zerfallen, die Welt ist ein Hort des Absurden. Wenn alles zerbröselt, ist da nicht das «Geständnis» ein letzter Akt der Disziplin?

Diese paranoide Aura, diese Seelenzerwürfnisse darzustellen, ist Koestler auf bleibend beängstigende Weise gelungen. Sich selbst hat er damit schwierigen Ruhm eingehandelt. 

Man liebe den Verrat, aber nicht die Verräter, soll er dazu notiert haben. 

 

 

 

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