Christian Kohlross

Dr. habil.

Kollektiv neurotisch

Warum die westlichen
Gesellschaften therapiebedürftig sind

 

2017 im Dietz-Verlag, Bonn

Christian Kohlross (Dr. habil.) Kollektiv neurotisch (2017) Warum die westlichen Gesellschaften  therapiebedürftig sind

2017    140 Seiten 

DNB Autor   *1963

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Verlag zum Buch

Christian Kohlross, psychotherapeutischer Coach und Kulturwissenschaftler, bejaht das und unterzieht sie einer psychologischen Analyse. Längst haben Persönlichkeits­störungen auch von großen Gruppen und Kulturkreisen Besitz ergriffen.

Die alarmierende Diagnose dieses Buchs: Narzissmus, Depression, Zwang und Hysterie sind Symptome einer akuten Kollektivneurose, die Europa und die westliche Welt fest im Griff hat.

Am Schluss des Buchs skizziert Christian Kohlross mögliche Wege, diesen destruktiven Seelenlagen politisch und sozial zu begegnen. Die tiefere Ursache dieses kollektiven Krankheitsbildes sieht Kohlross in unserer totalen Visionslosigkeit.

Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, das Ende der Utopien auf dem Scheiterhaufen des Neokapitalismus – sie haben das Gemeinschaftsgefühl zerstört, soziale und politische Bindungen aufgelöst und den Individuen die Hoffnung auf die Zukunft genommen.

Politik beeinflusst solche Zustände, steht dem Problem aber rat- und konzeptionslos gegenüber. In einer demokratischen Gesellschaft muss sich das ändern! Sonst verspielen wir unsere Zukunft.

Inhalt

  • Gesellschaft und Neurose - Vorwort  (7)

  • Die depressive Gesellschaft  (12)

  • Die hysterische Gesellschaft  (35)

  • Die zwanghafte Gesellschaft  (64)

  • Die narzisstische Gesellschaft  (89)

  • Psychotherapie der Gesellschaft  (116)

Inhalt 2017.pdf


Christian Kohlross ist Kulturwissenschaftler an der Universität Mannheim, als Dozent in der Psychotherapeuten-Fortbildung, sowie in eigener Psychotherapiepraxis tätig in Berlin.

 

DLF 2017

Lesebericht von Christian Rabhansl

dlf  christian-kohlross-kollektiv-neurotisch-warum-wir

Hysterisch, visionslos und wegen überhöhter Ansprüche ständig enttäuscht: Dem Therapeuten Christian Kohlross zufolge befindet sich der Westen in einem Zustand kollektiver Neurose. Da hilft nur: Die Gesellschaft auf die Couch!

Nicht nur Individuen, auch Gesellschaften können neurotisch werden – davon ist der Kulturwissenschaftler und Heilpraktiker für Psychotherapie, Christian Kohlross, überzeugt. In seinem neuen Buch attestiert er den westlichen Gesellschaften gleich eine ganze Reihe von neurotischen Störungen. Zum Beispiel eine depressive:

„Depressiv ist unsere Gesellschaft und die derzeitige Krisensituation der westlichen Gesellschaft deshalb, weil wir in großem Ausmaße eigentlich nicht mehr über die Zukunft nachdenken, und vor allem über eine andere Zukunft, eine andere als die gegenwärtige Zukunft uns nicht mehr vorstellen“,

sagte Kohlross im Deutschlandfunk Kultur.

Gibt es wirklich keine Alternative zum Kapitalismus?

Er kritisierte: „Es gibt nach 1989 keine wirklichen Projekte mehr, wie Gesellschaften, erst recht globalisierte Gesellschaften, anders funktionieren könnten denn, sagen wir, hochkapitalistisch zum Beispiel.“

Darauf reagiere die Gesellschaft depressiv: mit Hilflosigkeit, bisweilen mit Antriebslosigkeit und immer mit der Vorstellung, dass es anders als so nicht sein könne.

Darüber hinaus sieht Kohlross die Gesellschaft auch als narzisstisch gestört an. Dahinter stecke eine übergroße Anspruchshaltung – „vermutlich die Anspruchtshaltung, dass das Leben zu gelingen habe und dass die Gesellschaft dafür verantwortlich ist“. Außerdem habe Narzissmus immer sehr stark mit Konkurrenz zu tun, betonte er. „Also mit Abwertung und Aggressionen gegenüber dem anderen, ja, und tatsächlich sind wir eine latent sehr, sehr aggressive Gesellschaft, weil wir eine Konkurrenz­gesellschaft sind.“

Medien lancieren „übernervöse Erregungszustände“

Allgegenwärtig sei individuell wie kollektiv die Krisenwahrnehmung, so Kohlross weiter. Diese trägt ihm zufolge auch hysterische Züge, weil die Menschen „ganz labile Affekte“ hätten und „sehr an der Oberfläche leben, so wie wir es in der Spaßgesellschaft schon lange tun“. Die Urteilskraft dafür, was wirklich bedrohlich sei und was nicht, sei der Gesellschaft abhanden gekommen. Das hat Kohlross zufolge auch mit den Medien zu tun, die permanent übernervöse Erregungszustände lancierten. „Und nach einiger Zeit ist das abreagiert und dann kommt das nächste Thema.“


 

Politisches Feuilleton vom 27.01.2016    Von Christian Kohlross

Politik ohne Zukunftsvisionen

Fehlende Utopien machen uns depressiv

dlf  politik-ohne-zukunftsvisionen-fehlende-utopien-machen-uns depressiv 

Wer ohne Zukunft lebt, der lebt im Zustand fortwährender Depression, meint Christian Kohlross.

Seit 1989 seien politische Utopien durch Zynismus ersetzt worden, meint der Berliner Psychologe Christian Kohlross.

Und darum würden immer mehr Menschen auf ihre Hoffnungslosigkeit entweder mit Gewalt oder Depression reagieren.

 

Was eigentlich macht aus dem Leben menschliches Leben? Was, wenn nicht dies, dass Menschen sich binden – an andere Menschen, an sich selbst, an andere Lebewesen, an ihre Umwelt? Wer ohne solche emotionalen Bindungen lebt, mag existieren – leben tut er nicht.

Das gilt ebenso für die Zeit: Wer ohne Bindung an die Vergangenheit lebt, wer nicht erzählen kann, wie er der geworden ist, der er ist, ist sich selbst zum Gespenst geworden. Und auch, wer ohne Bindung an die Gegenwart lebt, lebt nicht, er vegetiert vor sich hin, im Zustand des Traums, der Neurose oder des Wahnsinns.

Wer ohne Zukunft lebt, lebt in Depression

Wer indes ohne Zukunft lebt, der stößt sogar in jedem Augenblick an die Grenze seines Untergangs. Denn sein Handeln kennt weder wirkliche Ziele und letzte Zwecke, noch sonst einen Sinn. Denn die lägen ja in der Zukunft. Mit einem Wort: Wer ohne Zukunft lebt, der lebt im Zustand fortwährender Depression.

Nach dem Ende des Kalten Krieges, nach 1989 hat sich der sogenannte Westen entschlossen, darauf die Probe aufs Exempel zu machen. In einem Akt historisch beispielloser Ignoranz versuchte er fortan, ohne Bindung an die Zukunft auszukommen: nicht mehr zu leben also, sondern nur noch zu überleben.

So hatte, wer das Wort Utopie nach 1989 auch nur in den Mund nahm, sich sogleich um Kopf und Kragen geredet. Utopischen Sinn, gar utopisches Glück sollte es fortan allein in der Beschränkung geben: als Lebensglück des Einzelnen, als Gesundheitsbewusstsein, Selbstverwirklichung oder, auf den Hund gekommen: als Wellness.

Alles, was sich das immer mehr der Depression verfallende kollektive Bewusstsein fortan noch vorstellen konnte, war eine nahende Klimakatastrophe, ein müdes, auf ökonomischen Nutzen zurechtgestutztes Europa, Big Data oder eine trans-, wenn nicht gar posthumane Zukunft, eben: Science Fiction.

Nach 1989 gab es nur noch Zynismus

Utopie, heißt das, gab es nach 1989 nur noch als Zynismus, den die Tagespolitik für sie übrig hatte. Dass wir es aber seither versäumt haben, über eine für unsere Weltgesellschaft Sinn stiftende Zukunft, über wirklich andere Formen des Zusammenlebens nachzudenken und das kollektive Handeln von Gesellschaften darauf auszurichten, hat – das war nie so deutlich wie im gerade vergangenen Krisenjahr – Konsequenzen: Vor allem die, dass immer mehr Menschen auf diese Utopielosigkeit entweder mit Gewalt oder eben mit Depression reagieren.

Die neue und immer selbstverständlicher werdende Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung in den neuen Kriegen, die immer alltäglicher und immer unausrottbarer scheinende Gewalt des Terrorismus, aber auch die Gewalt der Weltverteilungskämpfe um Macht, Güter und Lebenschancen, die aus immer mehr Menschen Flüchtlinge macht, all diese Formen der Gewalt sind auch ein Ausdruck unserer fortgesetzten Leugnung des Prinzips Hoffnung.

Eingetauscht haben wir es gegen das Mantra von der Alternativlosigkeit des Status quo oder gegen den Sermon vom Ende der Geschichte, der großen Erzählungen oder sonst einem Ende.

Eingetauscht haben wir das utopische Bewusstsein von einst gegen die bekannten Symptome einer agitierten Depression: gegen eine allgemeine ängstliche Unruhe, ein gesteigertes mediales Mitteilungsbedürfnis, eine notorische Unzufrieden- und eben Hoffnungslosigkeit.

Ob das so bleiben muss? Natürlich nicht! Oder mit den Worten Bertolt Brechts:

Ginge da ein Wind

Könnte ich ein Segel stellen.

Wäre da kein Segel

Machte ich eines aus Stecken und Plane.

Denn Wind, und so scheint mir: Gegenwind haben wir längst genug.

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Christian Kohlross (Dr. habil.) Kollektiv neurotisch (2017) Warum die westlichen Gesellschaften therapiebedürftig sind