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Schlesinger:

Da sind zwei Punkte, das eine ist für mich die Ausbürgerungssache Biermann. Der Anlaß ist seine Veranstaltung. Ich muß sagen, ich verstehe euch nicht. Ich brauch' keine Erklärung abzugeben, das hab ich oft genug gemacht. Ich bin freiwillig hiergeblieben in der DDR, bin zwar parteilos, aber ich habe immer, auch im Westen, für die DDR Stellung genommen. Das will ich hier noch mal sagen. 

Ich bin nicht Biermann, ich hätte es anders gesagt, ich hätte andere Begriffe für manche Sachen genommen. Aber wenn ich die Summe unter diese Veranstaltung ziehe, dann muß ich sagen, ich sehe nicht das DDR-Feindliche darin. Ich bin ermutigt worden auf eine ganz bestimmte Weise. Und ich habe gesehen, daß da ein Kommunist ist, eben kein Rechter, mit einer anderen Meinung, als das Politbüro sie gerade hat oder einige davon. Er ist kein Rechter, er ist ein Linker. Viele Sachen haben mich stark berührt, und mit manchem bin ich auch nicht einverstanden. Trotzdem ist das kein Grund, ihn rauszu­schmeißen.

Darf ich noch den zweiten Punkt sagen. 

Weshalb es auch dazu gekommen ist, daß ich mich beteiligt habe. Ich war selten so in Übereinstimmung mit unserem Land wie nach dem VIII. Parteitag, und ich lebe lieber in Übereinstimmung mit der Partei, statt immer Differenzen zu haben. Seit zwei Jahren ungefähr hat sich das, was der VIII. Parteitag mir als Versprechen gegeben hat, zunehmend nicht erfüllt. Ich habe das laut gesagt und vorsichtig gesagt. Und irgendwann haben sie's dann auch mitgekriegt. Seit dieser Zeit beginnt bei mir folgendes: Die Lesungen werden weniger, die Auftritte meiner Frau, Bettina Wegner, ebenfalls. Wir kriegen die Informationen von den Leuten unten an der Basis, die allerdings nicht mit ihren Namen dazu stehen, das verlangen wir auch gar nicht. (Er meint Absagen von Veranstaltern in Kulturhäusern, Lesezirkeln und dergl.) Es gibt eben von staatlicher Seite ein Auftrittsverbot. Kein Podium für Heym, Schlesinger, Wegner, Braun und so weiter...


Heym:

Und für Jurek Becker.

Lamberz:

Wieso Auftrittsverbot? Für Jurek Becker zum Beispiel?

Schlesinger:

Darf ich zu Ende sprechen?

Adameck:

(Zu Becker:) Du hast doch einen Film nach dem anderen!

Becker:

(Zu Adameck:) Wenn du Wert darauf legst, erzähle ich dir eine Geschichte von vorgestern.

Schlesinger:

Darf ich zu Ende reden. Das kulminiert in einer Hausdurchsuchung bei mir, für die irgendein Vorwand gefunden wurde. Mir wurden Bücher und Schallplatten beschlagnahmt, und die haben reagiert auf meinen Protest auf eine infame, bürokratische Weise. 

Gut, das sind jetzt ganz persönliche Dinge. Ich sehe aber, ich habe gemerkt in der ganzen Zeit an meiner Person und an all den anderen Leuten, daß etwas passiert ist, daß bestimmte Probleme unserer Gesellschaft nicht mehr reflektiert wurden. Das geht durch die ganze Gesellschaft. 

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Ich hab mich gefragt, wie kommt das denn? Es gibt einen ungeheuren Widerspruch zwischen unserer Ökonomie, unserer Industrie, die immer differenzierter wird, und dem Überbau, der nach meiner Meinung nicht nachkommt, der alle Probleme, die in unserer Entwicklung aufgetreten sind, nicht mehr reflektiert. Und das kann nur öffentlich passieren. Da müssen auch die Mittel sich ändern. Also Presse zum Beispiel, die kriegt 'ne ganz andere Funktion. Die Rolle des Intellektuellen, die am Anfang richtig eine bestätigende Funktion hatte, ist jetzt eine andere. Das geht in Bereiche wie: Verhältnis Erwachsener-Kind-Schule; Verhältnis Erwachsene-Jugendliche; Staat, Polizei und so weiter, in alles, das geht in sämtliche Bereiche unseres Lebens hinein. 

Und wir haben aufgehört, darüber zu reden. Und dadurch, glaub ich, ist auch sehr viel Unzufriedenheit gekommen, bei mir jedenfalls, und Ratlosigkeit auch. Obgleich ich es bisher immer gesagt habe, überall, ich konnte ja immer reden. Über Kunze (nach dem Westen gegangener Schriftsteller) habe ich mit einem Minister geredet, ich habe gesagt, ich würde das falsch finden, aber ich würde stillschweigen, um das nicht zu einem Fall zu machen. Mein Eindruck war aber, es kam nichts mehr zurück. Es kam einfach nichts mehr zurück. Man hat geredet, man hat's gesagt, aber nun gut, alle haben zufriedene Gesichter gemacht: komm, gehen wir nach unten einen Kaffee trinken. Aus. Die Entwicklung lief weiter, die Entwicklung, die meiner Meinung nach zu schweren Problemen führen kann und vielleicht noch zu schwereren. Wir, wir sind doch engagiert für dieses Land. Wir leben da und wollen darin leben.

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Lamberz:

Ich weiß nicht, wie viele von euch jemals auf meinen Veranstaltungen waren. Also, eine meiner Schlußfolgerungen ist, ich werde euch öfter mal einladen, wir werden in einen Betrieb gehen, mit den Menschen reden. In einer Veranstaltung — was da alles geredet wird. Von der Frage, ob VOLVOGRAD stimmt, bis hin zu... (Volksscherz; Anspielung auf die von hohen Politikern benutzten Volvo-Limousinen.)

Heym:

Ich möchte Sie auch gerne einladen. Kommen Sie mal ohne VOLVO, ganz privat, und wir gehen in eine Kneipe und unterhalten uns mit den Arbeitern dort, wo sie nicht wissen, wer Sie sind.

Lamberz:

Das ist leider durchs Fernsehen ein bißchen schwierig, das ist auch mein...

Wolf:

Na ja, es gibt ja falsche Bärte. (Einige lachen.)

Lamberz:

Können wir machen.

Heym:

Ich glaube, hier in Berlin erkennt man Sie nicht.

Lamberz:

Das ist möglich. Das ist möglich. Das kommt immer auf den Kreis an.

Heym:

Nein, das hängt mit den Einschaltquoten...

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Lamberz:

Gut, redet ihr mal noch ein bißchen, ich will mal zuhören, weil das für mich sehr interessant ist.

Becker:

Ich krieg am Tag 50 Anrufe von Leuten, die mir sagen, wie gut sie das finden (die Resolution), die aber nicht sagen, wie sie heißen. Das ist Scheiße, das bedrückt mich, ich sag' denen, sie sollen mich am Arsch lecken.

Ulrich Plenzdorf:

Ich wollte noch einen Aspekt sagen, weil der bisher ungenügend behandelt scheint. Mich hat auch die Eile etwas erschreckt und hat mich auf den Eindruck gebracht, als würde das fertig auf dem Tisch gelegen haben. Und ich frage mich, warum wartet man denn nicht ab, warum sieht man nicht das komplette Programm, ich meine, Biermann hat ja noch andere Sachen drauf. Ich kenne verschiedene Lieder von ihm, die seine Einstellung deutlicher sagen...

Verschiedene Neuinterpretationen alter Kampflieder. Ich möchte meine Hand dafür ins Feuer legen, daß das alles noch auf seinem Programm gestanden hat. Er hatte ja noch mehrere Veranstaltungen vor sich, und ich nehme stark an, das hätte das Bild verändert.

Zum Thema Vertrauen: Ich finde, daß das Thema Vertrauen weiß Gott eine zweiseitige Angelegenheit ist. Eines Tages habe ich aufgehört, eine Liste zu führen — nur im Kopf, nicht auf dem Papier —, die, wenn ich sie jetzt auf dem Papier hätte vorlesen können, mir eine ganze Reihe von Mißtrauensbeweisen zeigen würde, von verschiedenen leitenden Genossen aus dem Kulturbereich. Soweit ich mich erinnere, habe ich so etwas nicht beantwortet mit irgendwelchen Abreaktionen, auch nicht bei meinen Auftritten im Ausland, auch nicht bei Auftritten in der BRD.

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Und was das Thema »Diskussionen um Wolf Biermann« angeht, da wüßte ich gar nicht: Wo? Bei wem? Welche Nummer? Habe das bisher auch nicht getan. Ich habe auch nicht viele Diskussionen mit Biermann erlebt. Ich habe nur vor etwa anderthalb Jahren beim Schriftstellerverband bei einem Podium mit dem Genossen Hoffmann (Kulturminister), wo verschiedene Genossen, darunter auch ich, die das Thema Biermann vorbrachten, eine derart abfahrende, abwürgende Antwort bekamen, daß ich seitdem den Eindruck davongetragen hatte: Es ist sinnlos, darüber zu diskutieren. Und ich empfinde auch das, was wir gemacht haben, nicht als Diskussionsbeitrag, sondern als eine Tatsache. Und ich glaube, sowohl als Genosse wie als Staatsbürger habe ich das Recht, meine Meinung ebenso öffentlich darzutun, wie es mit diesem Artikel im ND geschehen ist. Wir alle wissen, daß zwei Wege beschritten worden sind, und der eine hat eben zur Öffentlichkeit geführt. So liegen die Dinge.

Lamberz:

Was meinst du denn zu der ganzen Entwicklung jetzt? Du bist doch einer derjenigen, die die meisten Unterschriften sammeln. Weil ich eben gehört habe, man hat sich auf die dreizehn beschränken wollen. Kollege Plenzdorf und Schlesinger haben doch verschiedene besucht und sind dabei, verschiedene zu besuchen. Ich meine: wo soll das hingehen? Soll das weitergehen? Sollen zu den 70 noch 70 kommen? Und dann noch 70? 

Oder wie stellen Sie sich — oder du, bist ja Genosse — wie stellst du dir das vor? Wo, glaubst du denn, liegt der Weg?

Plenzdorf:

Der Irrsinn liegt darin, daß — bei mir jedenfalls — keine Strategie oder ähnliches vorliegt...

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Becker:

Das wirft er dir ja vor...

Lamberz:

Nein, ich frage: Wo soll's hin?

Plenzdorf:

So was liegt nicht vor. Es ist ganz einfach ein Ergebnis von Gesprächen mit Freunden, Anrufe, die gekommen sind, daraus ist das ganz einfach entstanden, weiter nichts.

Lamberz:

Es sind keine Freunde und Anrufe gekommen — ich werde keine Namen nennen —, sondern ihr seid bei denen gewesen. Ihr habt insistiert bei vielen und habt versucht, sie auf eure...

Plenzdorf:

Aber nicht! Entschuldigung, das ist anders. Es hat keine Agitation stattgefunden.

Lamberz:

Nein?

Ulrich Plenzdorf:

Nein, ich habe niemanden agitiert, ich hab nur gesagt, hier ist folgendes, möchtest du bitte oder nicht? Oder so. Ich habe gesagt, wie ist deine Meinung?

Lamberz:

Und diejenigen, die euch abgewiesen haben, euch gebeten haben, aus der Wohnung zu gehen...

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Heym:

Sie fragen, wohin das führt, Genosse Lamberz. Vielleicht führt es dazu, daß Sie sich einmal Gedanken darüber machen, wie die Schriftsteller, Dichter, Künstler in diesem Lande zu verschiedenen Fragen stehen. Das scheinen Sie bisher nicht zu wissen. Wenn ich mir die Liste der Leute ansehe, deren Erklärungen Sie heute — im Gegensatz zu der unsrigen — im NEUEN DEUTSCHLAND veröffentlicht haben und die ja nicht abstreiten, daß sie das gebilligt haben, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß Sie sich einer Täuschung hingeben, wenn Sie glauben, daß das die Meinung der Mehrheit der Intellektuellen in diesem Lande ist.

Lamberz:

Das werden wir sehen.

Sensberg:

Auch, wenn noch mehr kommen?

Heym:

Auch wenn Sie noch so viele...

Lamberz:

Ja, wenn Sie uns hier den Fehdehandschuh hinwerfen...

Heym:

Ich werfe nicht... Das ist ein gefährliches Wort, was Sie eben gesagt haben: den Fehdehandschuh.

Lamberz:

Bevor die Partei Stellungnahmen veröffentlicht hat von verschiedenen Schriftstellern und Künstlern — Thate und Domröse wissen das genau, denn sie waren bei mir —, habe ich ihnen gesagt: bis zu diesem Moment, bis um acht Uhr, sind wir der Meinung, nicht eine Sache zu veröffentlichen. Ja? Aber eins muß man wissen. Daß man nicht weiter herumläuft und Unterschriften sammelt für einen Protest. Und das Gegenteil war der Fall. Deshalb stelle ich die Fragen. Es gab nicht eine Erklärung von dreizehn Künstlern, es gab schon drei Erklärungen bis gestern mittag und drei Sammlungen von Unterschriften. Und es gibt noch mehr Sammlungen. Ich kann euch alle diese Erklärungen zeigen, die bei ADN (DDR-Agentur; Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst) abgegeben werden. Da muß ich mich doch fragen: Wo soll das hinführen?

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Krug:

Wie wär's denn, wenn es dahin führte, daß ihr zur Kenntnis nehmt: Wir denken über die Ausweisung Biermanns anders als ihr. Das wäre das erste. Das zweite ist, daß ihr auch mal eine Konsequenz zieht und euch sagt: Wenn die Leute alle dagegen sind,...

Sensberg:

Nicht alle.

Krug:

Alle, die unterschrieben haben! Mann... Wenn die alle dagegen sind, müssen wir vielleicht mal darauf eingehen.

Thate sagt,

man solle das Wort »protestieren« nicht überbewerten, alles andere sei doch brav sozialistisch formuliert.

Lamberz:

Alle weiteren Unterschriften lauten: Wir erklären uns mit dem Protest der Berliner Künstler vom Soundsovielten solidarisch. Wir erklären uns mit dem Protest solidarisch. Es handelt sich also nicht um Bitten. Und ich frage: Wohin soll das führen?

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Schlesinger:

Aber das ist doch eine eindeutige Sache...

Lambert:

Ich meine, ist das die Plattform einer Diskussion? Was für eine Plattform ist das, Genosse Plenzdorf?

Becker:

Genosse Lamberz, lassen Sie mich ein Wort dazu sagen. Ich mache mir große Sorgen, wohin das führen soll. Ich weiß es nicht. Ich bin völlig ratlos. Und ich möchte das Ding, das gestehe ich Ihnen, vollkommen anhalten.

Wolf:

Ja.

Becker:

Und eine Möglichkeit dieses Anhaltens bedeutet für mich zum Beispiel ein Gespräch. Was soll man denn sonst machen, als sich irgendwann einmal zusammensetzen und darüber sprechen, was man nun tut. Es muß dieser Prozeß der Polarisierung irgendwann aufgehalten werden. Es ist also denkbar: 20.000 Unterschriften auf dieser Seite und 70.000 auf jener Seite, was weiß ich. Das ist drin. Aber das möchte ich nicht, und das will ich nicht, denn es wird auch nach der Klärung, nach der eventuellen Klärung einer solchen Angelegenheit zu Feindschaften führen bei den Beteiligten, was also mit dem unmittelbaren Fall schon gar nichts mehr zu tun hat. Und ich möchte das aus der Welt geschafft und angehalten wissen.

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Thate fragt sich,

wie man sich zum Mißbrauch der westlichen Medien nun verhalten solle. Es könne nicht unser Interesse sein, uns gegen die DDR einspannen zu lassen. Wenn eine Auseinandersetzung, dann besser hier im Lande und auf konstruktive Weise.

Wolf:

Jawohl.

Thate sagt,

alle sollten positiv diskutieren und uns nicht feindselig gegen das eigene Land verhalten.

Lamberz:

Jetzt kommen wir eigentlich zu dem Ausgangspunkt zurück, wo wir angefangen haben und was für uns die Absicht war, mit Angelica Domröse und Hilmar Thate zu besprechen. Ich habe zu ihnen gesagt, es kann unterschiedliche Meinungen über Biermann geben, die gibt es auch, die sind auch nicht ausgeräumt — das zeigt die ganze Diskussion — oder zumindest nicht in ein paar Stunden ausgeräumt. Wenn man die ausräumen will, muß man sicherlich ein bißchen gründlicher diskutieren über das, was wirklich in seinen Liedern steht und was darin ausgedrückt ist, was es für eine Plattform ist und wie man sie auffaßt.

Ich möchte noch folgendes sagen. 

Hier wurde von Vertrauen gesprochen. Ich weiß nicht, wie Sie unsere Politik in den letzten Jahren beurteilen. Ich bin kein Anhänger einer solchen Praktik, sozusagen mit alten, sicherlich schmerzvollen, für den einzelnen nicht einfachen Geschichten — das streite ich gar nicht ab — die Politik von heute oder sogar die von morgen zu machen. Ich beurteile eine Partei nicht nach einem Innenminister, ich beurteile eine Partei nach ihrem politischen Programm, ihrer politischen Hauptlinie, nach ihren Aktionen. 

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Und da bitte ich Sie wirklich, diese Partei zu sehen, die selbst von einer Wende in ihrer Politik seit dem VIII. Parteitag spricht, auf verschiedenen Gebieten, und die Entwicklung zu sehen, die sich seitdem vollzogen hat. Und ich meine, daß das, was das Verhältnis der Partei zu den Künstlern betrifft, ein wirklich vertrauensvolles Verhältnis ist. Aber Vertrauen kann natürlich nicht ausschließen, daß es oft hier und da Mitglieder der Partei gibt, die das nicht verstehen. Daß es Leute gibt, die engherzig denken, daß es auch Dinge gibt, die nicht in Ordnung sind. Also, wer Vorstellungen vom reinen Kommunismus hat... Es wird auch in unserer Gesellschaft immer Leute geben, die Angst haben. Pardon. 

Sie haben vielleicht eine Familie. Die Kinder haben manchmal auch Angst vorm Vater. Und wenn sie größer sind, dann kommen die Töchter nicht mit der Mutter zurecht oder die Söhne nicht mit dem Vater oder umgekehrt. Das gibt's doch alles. Bloß: Ist das ein gesellschaftliches Phänomen, was von der politischen Führung dieses Landes gewollt wird oder was dem Sozialismus immanent ist, oder sind es Mängel, die wir überwinden wollen und an denen wir genauso interessiert sind wie Sie? Und ich bejahe letzteres. Und ich sage, daß diese Führung, diese Führung unter Honecker — und Honecker persönlich, ja, da kann man halten und stehen und denken, wie und was man will und so weiter — sich mit viel Leidenschaft dafür einsetzt, daß wir eine gesellschaftliche Atmosphäre haben, die erfüllt ist von Vertrauen. Das zum einen. Zweitens, Kollege Heym, ich bitte, daß Sie uns nicht sehen als weltfremde Leute, die nicht wissen, wie das Leben ist, die nicht unter Arbeitern sind. Ich treffe mich heute noch mit den Leuten, mit denen ich in die Berufsschule gegangen bin, meine Nachbarn vom Straußberger Platz. Die können Sie fragen. Besuchen Sie sie. Zweite Etage. 

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Die kommen heute noch zu mir nach Wandlitz. Wir sind alles normale Leute. Vielleicht ist mal einer überkandidelt in dieser oder jener Beziehung, aber ich kenne viele — Ehlert, Karrner — ganz einfache normale Leute. Mit einer riesigen Verantwortung, einem schweren Arbeitstag, mit einem Leben, das sie eingesetzt haben in vielen kritischen Situationen, und die immer, immer daran gedacht haben, wie die einfachen Leute besser leben. So ist es. Da hat sich niemand bereichert, das mußte sogar Biermann zugeben. Wo er die Quelle herhat, weiß ich nicht. Es gibt mehr Intellektuelle in der DDR, die doppelt soviel verdienen und besser leben als die Mitglieder der Parteiführung. Das ist die Wahrheit, die ganze Wahrheit. Also. Uns braucht man nicht zu sagen, wie die Leute leben. Wir wissen, wie die Leute leben. Daß man nicht weiß, wie jeder einzelne lebt, ist auch wahr. Aber wir sind unter Leuten. Und wenn man durch einen Betrieb geht, vollziehen sich so viele Gespräche, und es gibt oft so viele Dikussionen und so viele kritische Fragen. Ich mache hier niemandem etwas vor. Ich lade Sie ein — nicht zusammen, aber einzeln — bitte, wir gehen zusammen, wir machen zusammen Foren und werden das erleben. Was ich bei diesen Wahlen erlebt habe an offener Atmosphäre, an Fragen, besonders von der Jugend... Ich habe auch Kinder, die studieren. Meine Tochter ist an der Hochschule für Ökonomie, na, was die mir alles vorlegt und was auch diskutiert wird. Und da kenne ich niemand, der exmatrikuliert wird, weil er gesagt hat..., weil er 'n Witz über VOLVOGRAD erzählt hat oder sonst etwas, ja? Ich will hier nicht in dieser Beziehung polemisieren, sondern: Wir haben eine offene Atmosphäre. Wir haben sie wirklich. Wir haben sie. Ich bitte Sie, in die Betriebe zu gehen und auf das Land zu gehen und mit den Leuten zu reden — das machen wir auch — und hier die Tendenz zu sehen. Und diese Tendenz ist positiv. Und die dritte Sache, ich will das

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noch einmal sagen: Ich halte den Weg, wie die Auseinandersetzung begonnen hat, nicht für richtig, und ich kann mich nicht mit ihm solidarisieren und sympathisieren. Ich halte es für legitim — das ist meine persönliche Auffassung —, für absolut legitim, daß jemand die Frage stellt, auch an die Führung des Staates und an die Führung der Partei: Warum ist das erfolgt? War diese Maßnahme berechtigt? Bitte, sagt mir, warum ihr diese Entscheidung getroffen habt. Ich halte es für nicht legitim, daß man diese Diskussion über die Massenmedien, über die Nachrichtenagenturen führt, schon gar nicht nach beiden Seiten, das heißt, über ausländische Agenturen. Das ist unsere Sache. Wenn man sich nicht verständigt, dann bleibt vielleicht der Weg offen. Aber es ist kein Versuch unternommen worden, kein Versuch, irgend jemand zu engagieren oder zu einer Diskussion dazu zu bitten. Und ich kann garantieren: Jeder wäre zu einer solchen Diskussion gekommen. Die Diskussion von heute, die hätte wirklich am Morgen nach der Veröffentlichung stattfinden können.

Domröse sagt,

vorher wäre besser gewesen.

Lamberz:

Vorher gab's ja keine Veranlassung. Vorher habt ihr ja auch nichts gesagt. Mir geht es aber jetzt um die Gegenwart. Weil: Was sehe ich persönlich mit Sorge? Genauso wie ihr: Es gibt so viele Kräfte, die in der Zwischenzeit mitmischen und ihr eigenes Spiel verfolgen, daß man sich wirklich fragen muß, was soll da rauskommen? In der DDR und außerhalb der DDR? Denn in der DDR gibt's auch Feinde, das wissen wir. Das wissen Sie genauso wie wir, daß es Feinde gibt. Und ich glaube, daß diese Form der Auseinandersetzung kaum im Interesse der Erstunterzeichner oder der Nachunterzeichner dieser Erklärung lag oder liegt. Wer kann gewinnen aus einer solchen Auseinandersetzung?

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Schlesinger:

Die sozialistische Demokratie.

Lamberz:

Nein. In diesem Fall kann nicht die sozialistische Demokratie gewinnen, weil die Formen über die Formen der Demokratie hinausgehen. Wenn die West-Korrespondenten dieses Landes gegenwärtig eine Aufgabe darin sehen, die Leute zu propagieren, die unterzeichnet haben, und sie als Fahne gegen die DDR zu benutzen, dann hat das nichts mehr mit Demokratie zu tun.

Sensberg:

So ist die Situation.

Lamberz:

Niemand drüben benutzt doch eure Erklärung, um die Entscheidung der Regierung zu korrigieren.

Sensberg:

Das interessiert doch niemand.

Heym:

Die Erklärung steht in vollem Wortlaut in der westdeutschen Presse.

Sensberg & Adameck:

Nein, das stimmt nicht.

Heym:

Sogar in der Scheiß-WELT haben sie's abgedruckt.

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Lamberz:

Nein, es steht dort, daß eine Protesterklärung abgegeben worden ist.

Heym:

Nein. Eine volle Seite. In der Mitte dieser Seite stand die Erklärung im Wortlaut, mit den Unterschriften.

Domröse fragt,

wer denn DIE WELT lese.

Lamberz:

Ich lese sie.

Domröse sagt,

aber die übrigen DDR-Bürger kämen an solche Zeitungen nicht ran. Deshalb würde sie gern in einer hiesigen Zeitung den Text lesen, den sie mit ihrer Unterschrift versehen habe.

Lamberz:

Jetzt geht es doch um was anderes, jetzt geht es darum, daß die andere Seite diese Sache ausnutzt.

Domröse sagt,

das hätten wir nicht zu verantworten. Nun, da es zu spät sei, frage man uns, wie es weitergehen solle.

Heym:

Hätten Sie uns vorher gefragt.

Jutta Hoffmann:

Wohin soll die Sache nun gehen?

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Adameck:

Das ist eure Sache. Jutta, nicht so. Nicht solche Illusionen haben...

Hoffmann:

Sie drucken diesen Artikel von Herrn »K.«. Darin ist ganz eindeutig ihre Position dargelegt auf eine Weise, die mich schaudern macht. Und daraufhin versuchen wir etwas auszudrücken, nämlich die Regierung, das Politbüro zu bitten, die Sache zu überdenken. Dem schließen wir uns an. Das drucken sie nicht. Und einen Tag später — rot eingerahmt — Leute, die sich distanzieren. Das drucken sie.

Lamberz:

Nicht einen Tag, zwei Tage später. Jetzt muß man folgendes verstehen. Die Leute, die Biermann gehört haben oder manches gehört haben von ihm, haben gestern auch ihre Meinung sagen wollen dazu. Und das Politbüro war der Meinung, keine solche Diskussion zu machen, sondern wir waren daran interessiert, wirklich in einer Debatte — deshalb haben wir euch eingeladen und andere eingeladen —die Sache zu regeln. Aber alle, die gekommen sind — und es gibt noch mehr, viel mehr, viel mehr, und Leute gleichen Ranges —, die haben verlangt, das zu drucken.

Heym:

Wir haben auch verlangt, daß Sie die Erklärung drucken.

Lamberz:

Wir haben Biermann von 1953 bis 1973, an die 20 Jahre lang, ertragen. Ich weiß nicht, wie lange ihn dann die anderen ertragen werden. Wir haben gezeigt, daß wir Geduld haben. Ich hab selbst schon mit ihm diskutiert. Wir haben die erste Dichterlesung unseres Landes organisiert in der Humboldt-Universität. Schubert, du müßtest das wissen. 1960, mit Biermann zusammen. Ich habe... Um ihn wurde auch gekämpft, und es wurde auch diskutiert. Also, wenn wir einen Weg finden können, ich meine nicht den Weg: Ihr nehmt zurück und alles bleibt, sondern einen differenzierten Weg, einen wirklich klugen und überlegten Weg, so würde das ganz gewiß in meinem persönlichen Interesse liegen.

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Wolf:

In meinem auch.

Lamberz:

Weil ich glaube — Leidenschaften hin und her —, wir werden sonst in eine Diskussion kommen, die für Sie viel komplizierter wird. Weil natürlich viele Leute — ich meine jetzt nicht das Politbüro, das Politbüro ist da ruhiger —, aber doch viele Genossen sehr erregt sind. Sehr erregt. 

Und, um das offen zu sagen, das Politbüro hat bis jetzt gebremst...

Krug:

Hoffentlich sind das nicht dieselben, die so erregt waren bei der Aufführung des Films »Spur der Steine« in den Kinos, Werner, das wäre schade. Das klingt ein bißchen wie eine Drohung. Ich höre das schon wieder heraus. Das klingt so nach Steine schmeißen...

Heym:

Der Heiner Müller will die ganze Zeit nichts reden. Nun laßt ihn mal reden, er meldet sich.

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Heiner Müller:

Ganz simpel. Es hat keinen Zweck, darüber zu reden, was da falsch oder richtig war bei dem Weg, den diese Erklärung gegangen ist. Es geht jetzt nur darum, was man daraus machen kann, wie daraus eine Chance werden kann, um über die Dinge zu reden, über die wir eigentlich alle reden wollen und worüber Gespräche eben immer nur in solchen Runden möglich waren. Ich glaube auch nicht, daß es möglich ist, noch jetzt bei dem internationalen Kontext der DDR, daß man nur die Öffentlichkeit in Betrieben, Institutionen usw. als Öffentlichkeit definiert. 

Es muß auch mal die Presse langsam eine Öffentlichkeit werden für Meinungen. Das ist dann sicher immer eine Streitfrage, wieviel da möglich ist. Gestern gab's ein Gespräch, das einzige, und jedenfalls hatte ich den Eindruck, die wären völlig zufrieden gewesen, wenn ich sagen würde: Ich nehm' alles zurück. Und das ist ganz dumm. Erst mal ist es beschämend, so was von einem zu erwarten, und dann finde ich den propagandistischen Effekt gerade negativ. Das hat überhaupt keinen Sinn. Das kommt bei den Leuten nur so an: Also gut, den haben sie nun in die Mangel genommen und nun...

Ich überlege einfach, was man jetzt daraus machen kann. Und ich sehe auch ein, daß die Situation blöd ist. Natürlich sollte man alle Leute daran hindern, da weiter zu unterschreiben, das ist ganz klar. Aber wie man jetzt daraus etwas machen kann, was überleitet in eine Diskussion, nicht um Biermann...

Lamberz:

Ich bin zum Beispiel für eine Diskussion sehr vieler dieser Probleme, und unser Anliegen war immer, in den Künstlerverbänden diese Diskussion zu entwickeln. Wir haben doch lange aufgehört, vorher uns anzusehen, Werke zu lesen, zu zensieren. Wir leben in einer ganz anderen Welt jetzt. Christa! Oder nicht? Du kennst die alte...

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Wolf:

Du, ich habe das gesagt und beklagt, solange es mich betraf. Heute ist auch wieder eine andere Luft um mich.

Lamberz:

Um so erschütternder — das sage ich ganz offen —, um so erschütternder wurde und wird für mich die ganze Angelegenheit.

Frank Beyer:

Verzeihung, Genosse Lamberz, darf ich auch einen Satz dazu sagen. Das ist mir auch so gegangen. Bis vorgestern habe ich das auch gedacht. Bis ich diesen Artikel im ND gelesen habe. Und mir schaudert, mir schaudert noch heute — ich will nicht wieder zurück, das ist hier alles gesagt worden —, mir schaudert noch heute, ich kriege noch heute Schweißausbrüche, wenn ich daran denke, wie nicht nur ich, sondern ein ganzes Parteiaktiv im DEFA-Studio von dem damals für Kultur verantwortlichen Genossen, der auch heute noch in einer hohen staatlichen Funktion ist, unter Druck gesetzt worden ist. (Er meint den Ärger um seinen Film »Spur der Steine«.) 

Das ist der Punkt, warum ich zum Beispiel als Mitglied der Partei, der nie, auch nicht in den Zeiten meiner größten ideellen und persönlichen Not — mit persönlicher Not meine ich nicht materielle Not etwa, aber es gibt ja auch eine andere Not —, der nie einen Schritt gemacht hat in die Öffentlichkeit, schon gar nicht in diese Öffentlichkeit, und der auch an dieser Stelle zunächst zu seinem Parteisekretär gegangen ist, zu seinem staatlichen Leiter und ihm mitgeteilt hat, was er zu sagen hatte. Aber es sind in diesem Zusammenhang wieder Dinge geschehen, die für mich diese grauenhafte Vorstellung aufgebracht haben von damals, und ich sehe auch schon, was hier heute steht. Was soll morgen geschehen? Hier ist das Wort »Plattform« gefallen. Was soll morgen geschehen? Gibt es nun nach eurer Meinung eine »Plattform« inzwischen? Und ist es nun sozusagen für jeden einzelnen von uns das beste, uns von dieser Plattform — so wie Ekkehard Schall und...

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Krug:

Rauch...

Beyer:

Fritz Cremer — zu entfernen? Zu widerrufen? Oder? Ich meine, hier sind nicht alle Parteimitglieder. Ich bin Parteimitglied und bin ganz sicher, ich bin ganz sicher, daß so etwas gefordert wird von mir. Gleich morgen. Und ich werde es nicht tun können. Ich werde es nicht tun können. Auch wenn ich ab übermorgen keinen DEFA-Film oder für ein Jahr oder für fünf oder für zehn Jahre keinen DEFA-Film machen kann. Ich werde es nicht tun können. 

Ich will das nur sagen, weil ich persönlich der Meinung bin, daß jetzt an dieser Stelle vielleicht als erstes von uns erklärt werden kann, daß keine Unterschriften gesammelt werden, und daß es keine Eskalation in dieser Angelegenheit geben soll. Weil diese Frage vorhin hier gestellt worden ist. Nur um einen ersten Schritt... Ich weiß nicht, also der Dialog, der hier geführt wurde, ist ja sozusagen stellenweise in Konfrontation ausgebrochen...

Müller:

Das hat 'n Dialog manchmal so an sich.

Heym:

Ich möchte eben erwähnen, daß ich dem Genossen Lamberz dankbar bin für seine versöhnlichen Worte, selbst wenn sie gegen Ende hin so waren, daß man die Drohung deutlich spürte.

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Lamberz:

Was für eine Drohung? 

Sensberg:

Darf ich sagen, daß es eine normative Kraft des Faktischen gibt, ja? Es ist ein Prozeß in Bewegung gesetzt. Von Ihnen. Und es ist jetzt ein Prozeß von uns in Bewegung gesetzt. Ich nehme das auf mein Verständnis, daß ein Kampf begonnen hat. Darf ich das für mich ganz alleine sagen: Sie haben einen Standpunkt veröffentlicht, der ich weiß nicht zu was führen sollte. Ich sage noch mal: Wenn man überlegt, Biermann zurück, ja? Biermann zurück bedeutet, daß die Regierung der DDR nicht nur einen Beschluß aufhebt, sondern ein neues Gesetz machen muß. Wenn man sich mit dem Gesetz beschäftigt, wird man sehen, daß es gegen die Ausbürgerung keine rechtlichen Mittel des Einspruchs gibt, sondern es gibt nur eine Wiedereinbürgerung. Oder wir müssen eine Lex Biermann machen, ja? 

Das wäre eine Möglichkeit, aber es wäre keine Möglichkeit, die wir machen werden, glaube ich, unter dem Druck des Gegners. Und der Gegner hat sich der Sache angenommen. Ich glaube nicht, daß dieses Land unter dem Druck des Gegners eine Lex Biermann machen wird. Ich spreche von einer normativen Kraft des Faktischen. Das Faktische ist, daß es eine Bewegung gegeben hat, die heißt Protestbewegung gegen die DDR, ja? Und dieses Wort hat leider in der Sache dringestanden. Ich hab's nicht reingeschrieben. 

Es ist zwar wahr, daß wir einen anderen Standpunkt haben, daß ich es sogar für legitim halte, daß es Menschen gibt, die einen anderen Standpunkt haben als er im NEUEN DEUTSCHLAND ausgedrückt worden ist. Wobei ich für mich mal sagen möchte: Ich taste nicht die Vergangenheit, die intellektuelle und die antifaschistische Vergangenheit von irgend jemand an, und ich bitte, nicht die Sauberkeit und auch die Vergangenheit eines mir gut bekannten Mitarbeiters des NEUEN DEUTSCHLAND anzutasten, der auch einen großen Weg hinter sich hat und in den 25 oder 30 Jahren mindestens genausoviel gekämpft hat, wie andere das für sich in Anspruch nehmen...

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Becker:

Das glaube ich dir gern, bloß er schreibt heute scheußliche Artikel.

Sensberg:

Das ist ja möglich, das mag ja sein, das ist der Standpunkt, ja?

Lamberz:

Über den Artikel kann man streiten. Ein anderer hätte ihn anders geschrieben...

Sensberg:

Es ist was entstanden daraus, gut, ja? Ich sage, es ist etwas entstanden. Niemand hat die Möglichkeiten genutzt, auf andere Weise seinen Standpunkt mitzuteilen als durch eine Protesterklärung, die Öffentlichkeit genommen hat. Und selbst wenn wir heute hier erklären, ja?, diese Unterschriftensammlung ist beendet — ich weiß nicht, wer weiter Unterschriften sammeln wird. Es wird möglicherweise welche geben - schon längst über den Rahmen dieses Kreises heraus -, die weitermachen werden, ja?

Lamberz:

Sibylle Havemann sammelt Unterschriften. Ist Sibylle Havemann eine Künstlerin? Ist Thomas Brasch ein Künstler, der von euch legitimiert worden ist, Unterschriften zu sammeln?

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Schlesinger: ;4

Thomas Brasch ist ein Künstler. -i

Lamberz:

Der von euch legitimiert worden ist, frag' ich.

Schlesinger:

Legitimiert ist keiner.

Wolf:  

Keiner. Keiner. *

Sensberg:

Gestern habe ich viele Anrufe aus Betrieben bekommen, die mir gesagt haben - Parteisekretäre, die ich kenne, zum Beispiel aus Schwedt -, die natürlich gehört haben, Krug ist auf der anderen Seite, ja?

Lamberz:

Das haben die nicht von uns gehört! Aus dem West-Rundfunk. Die haben doch die ganze Sache gebracht!

Sensberg:

Die Diskussion schlägt hohe Wellen, ja?

Domröse fragt,

warum die Politiker uns in der Lage nicht schützen.

Adameck:

Wie denn das? 

Sensberg:

Krug hat ja unterschrieben. 

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Domröse sagt,

es wisse aber niemand, was unterschrieben worden sei.

Wolf:

Darf ich mal 'n Vorschlag machen? Ich verstehe genau dein...

Sensberg:

... Wo ich hin will...

Wolf:

Ja, eben. Also, vielleicht ist es auch abwegig. Das kommt ganz von mir, und ich bin sogar unter anderem mit der Absicht hierhergekommen, so etwas zu sagen...

Lamberz:

Christa, du sagst was Produktives... Entschuldige, das ist etwas unfreundlich, ich muß das sagen: Wenn wir sagen, andere Menschen reagieren genauso, bloß in andere Richtung, wie ihr reagiert, so ist das doch keine Drohung. Ich will hier noch mal erklären: Gestern abend habe ich persönlich - und nicht nur ich persönlich - gesagt: »Nicht eine Zeile kommt.« Ja? ADN hat um 22.00 Uhr begonnen, Stellungnahmen anzunehmen. Das war unsere Meinung, und nichts anderes.

Sensberg:

Aber um fünf sind fünfzig neue gekommen...

Lamberz:

Und als wir die neue Liste kriegten, da hab ich gesagt: Was passiert hier? Ihr kennt sie doch alle, die große Liste der Fünfzig. Warum kommt das jetzt? Warum hört man nicht auf? Und als um 22.00 Uhr neue Namen kamen - zum Teufel noch mal -, da sollte ich mit Kant und allen sprechen. Ich kann doch nicht die anderen Meinungen nicht bringen! Nicht nur sie. Die Partei hat angerufen und gesagt, was ist los mit euch? Was ist los? Warum verhindert ihr, daß auch andere Meinungen gesagt werden? Denn der Westen sagt diese Meinung.

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Sensberg:

Wir wollten die Konfrontation nicht.

Lamberz:

Das geht nicht. Wir sind gewählt worden von Leuten. Wir haben uns nicht hineingeschoben in Funktionen. Wir sind nicht mit dem Fallschirm ins Politbüro gefallen. Wir sind jünger, aber wir haben gearbeitet, auch gearbeitet. Ich bitte zu sehen, daß es ganz normale Menschen gibt bei uns, die auch reagieren wollen und daß wir die Pflicht haben, auch das, was die sagen...

Heym:

Aber Sie sehen, wie Manfred Krug und Frank Beyer reagiert haben, die Erfahrungen haben mit dem organisierten Volkszorn.

Adameck:

Auf einmal ist Beyer so schweigsam, und das nehm ich ihm übel. Er ist ja auch bei mir beschäftigt. Ich nehm ihm eine Sache übel: daß ich ihn mit Hilfe von Genossen Lamberz aufgesucht habe und daß wir ihn wiedergeholt haben und haben ihm Arbeit gegeben. (Er meint, nachdem Frank Beyer auf »Spur der Steine« hin zwei Jahre in die Theaterverbannung nach Dresden mußte.) Das muß er dann auch sagen. Und ich nehm ihm auch übel: Er kommt mit allem zu mir, und er kam nicht in dieser Sache...

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Beyer:

Moment...

Heym:

Genosse Adameck, Sie sind ein Nachbar von mir. Sie haben es in all den Jahren nicht für notwendig befunden, einmal herumzukommen zu mir und zu sagen: Wie ist das, Herr Heym, wie ist das bei uns am Fernsehen, wollen Sie nicht dort sagen, was Sie sagen wollen?

Adameck:

Wir haben doch eine ganz andere produktive Strecke gehabt, da haben wir zwar viel Streit gehabt, aber...

Wolf:

Ich glaube, das ufert aus, ich glaube, wir müssen bei dieser Sache bleiben. Und ich will folgendes sagen. Ich wiederhole, daß von uns - soviel ich es weiß und soviel ich die Möglichkeit hatte, andere zu beeinflussen: ich meine die zwölf, die diese erste Erklärung unterschrieben hatten — jedem abgeraten wurde, sich dieser Erklärung anzuschließen, weil wir eine Eskalation vermeiden wollten. Was wir nicht verhindern konnten und können - konnten sagen wir mal —, ist, daß andere sich auch äußern wollten und zum Teil ebendiese Erklärung dazu verwendet haben. 

Ich will jetzt uns nicht von diesen distanzieren, das ist wieder ein anderer Punkt, ich sage nur, wie es gelaufen ist. Es ging also hier nicht um irgendeine »Plattform«, eine Gruppenbildung oder etwas Derartiges. Ich möchte das in solchen Worten hier mal aussprechen, um das auszuräumen. Das ist das eine. Das zweite ist: Wie die Sache jetzt nun mal gelaufen ist, frage ich - euch und besonders dich -, ob es eine Möglichkeit gibt, daß Unterzeichner dieser Erklärung, die also diesem Text folgen, sich äußern können, bei uns, und nicht das zurücknehmen, was sie dort gesagt haben. Sich aber ganz scharf distanzieren von dem Mißbrauch.

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Thate sagt,

das sei gestern sein und Domröses Vorschlag gewesen.

Wolf:

Im In- und Ausland, also wo auch immer. Diesen Text können wir sicherlich so zusammenkriegen...

Heym:

Aber das steht schon in der Erklärung drin, die Distanzierung von dem Mißbrauch.

Wolf:

Es steht in der Erklärung, daß wir uns von dem Mißbrauch von Biermann, äh, äh distanzieren. Ich halte es in so einem Punkt auch für gut, wenn ich die Möglichkeit bekäme, mich auch davon zu distanzieren. Daß ich ganz klar sage, wo ich stehe. Natürlich hat mich zum Beispiel die Springer-Presse angerufen. Und was ich denen gesagt habe, das habe ich leider auch nicht auf Tonband, und das veröffentlichen sie auch nicht. Aber ich möchte es dann hier sagen können, wie ich von diesen Leuten denke und wie meine Haltung dazu ist. Nun will ich noch was sagen. Zufällig bin ich gestern in einer Runde mit einem Betriebsleiter zusammengekommen, der als erstes gesagt hat: Sag mal - um Gottes willen - stehst du auf dieser Liste? Ich sag, ja. Wie ist es dazu gekommen? Das kann doch nicht sein! Also wir haben angefangen zu diskutieren. Ich hab ihm gesagt, was wir für Probleme haben und was uns dazu gebracht hat. Und da hat er gesagt: na und? Das ist doch bei uns genau dasselbe. Und er hat mir seine Probleme erzählt, die auch hinauslaufen auf eine sehr, sehr ernste innere Auseinandersetzung,

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die er nicht öffentlich macht. Und ich sag: warum nicht? Er sagt: aus Disziplin, aus Zucht und Ordnung, aus Ruhe und Ordnung. Und wir sind auseinander­gegangen und haben gesagt: Das war ein gutes Gespräch. Und weißt du warum? Nicht weil wir über den Beschluß über Biermann etwa einer Meinung waren, sondern weil er mit jemandem über seine Probleme gesprochen hatte; und ich glaube, daß das eine Funktion der Literatur ist.

Ich betrachte als meine Hauptarbeit das Schreiben und nicht das Verfassen von Resolutionen oder Briefen.

Lamberz:

Was du gesagt hast bei der letzten Diskussion - und ich habe nur das gelesen - das war doch so offen und so interessant.

Wolf:

Ja. Und ich habe immer und überall vertreten, daß ich offen reden kann. Ich hab's im Westen überall gesagt. Die DKP-Leute haben mir gesagt: Mensch, bist du aber offen! Ich sag: ja, genau wie in der DDR. So offen sind wir nämlich. Und ich hab jetzt die Angst gehabt, daß das wieder in die andere Richtung geht. Wenn das nicht der Fall ist - beabsichtigt unterstelle ich sowieso nicht -, aber wenn auch diese Vorgänge jetzt nicht dazu führen - ich verstehe euch sehr genau, das ist zum Teil auch mein Denken, was da mitspielt -, dann wäre das natürlich eine ganz große Sache. Und ihr hättet uns alle wieder zu euren Verbündeten. Wir alle zusammen wären an diesem selben Zug, und das wollen wir auch. Und die Frage ist nun eben: Ist es in eurem Interesse, daß so etwas geschähe, daß eine Erklärung formuliert würde, die weiß ich wer alles unterzeichnet oder die im Namen von Unterzeichnern jemand abgeben würde, zum Beispiel im Fernsehen bei uns, ruhig und scharf, ohne dabei sich selber ins Gesicht spucken zu müssen. Das können wir nicht tun, wir können nicht sagen: Das, was wir vor zwei Tagen geschrieben haben, denken wir heute nicht mehr.

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Thate sagt,

das sei diskreditierend für uns.

Wolf:

Ich meine, wer es will, soll es sagen. Das ist klar. Wenn Cremer und Schall wollen, sollen sie's sagen. Ich hab nichts gegen solche Zurücknahmen empfunden, weil ich Verständnis dafür habe. Es gibt auch Angst, das ist ein ernster Faktor. Aber wenn es möglich ist, das zu machen...

Lamberz:

Der Fritz Cremer macht das doch nicht, weil er Angst hat.

Wolf:

Ist auch egal. Ich unterstelle ihm nichts. Wirklich nichts. Ich halte ihn für einen sehr anständigen Mann.

Lamberz:

Der sagt, was er denkt. Und der sagt das genauso im Politbüro. Den hab ich schon in Situationen erlebt...

Wolf:

Du, die Menschen sind komplizierter. Aber gut, darum geht's nicht. So, das ist jetzt mein Vorschlag. Ich weiß nicht, ob das für euch akzeptabel ist.

Heym:

Die Voraussetzung dafür ist zunächst mal, daß unsere Erklärung überhaupt in einem DDR-Organ, im NEUEN DEUTSCHLAND endlich, abgedruckt wird, damit die Leser und die Bevölkerung der DDR genau wissen, was wir gesagt haben. Dann können wir dazu sagen: Wenn diese Erklärung vom Westen mißbraucht wird als Propaganda gegen die DDR, so distanzieren wir uns von solchen Propagandaversuchen.

Wolf:

Das meinte ich natürlich, daß diese Erklärung sozusagen verlesen wird von den Betreffenden.

Heym:

Und gedruckt im NEUEN DEUTSCHLAND.

Wolf:

Wir haben uns veranlaßt gesehen, das auch an westliche Agenturen zu geben, wir erleben jetzt den Mißbrauch - also, ich improvisiere, nicht? - dieser Erklärung und unserer Namen. Und wir erklären hiermit aufs allerschärfste — ohne was zurückzunehmen, das brauchen wir gar nicht zu sagen oder was —, daß das und das und das unser Standpunkt ist. Zum Beispiel zu unserem Staat, zum Beispiel zu dieser Presse da drüben und all diese Sachen.

Heym:

Aber auch zu unserem Nichtübereinstimmen mit Ihrer Entscheidung.

Wolf:

Das steht ja in der Erklärung, das brauchen wir nicht noch mal zu sagen.

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