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Krug:

Wie schizophren das alles ist. Erst rechnen wir mit dem Mißbrauch, damit die Erklärung öffentlich wird und Publizität erlangt, die wir bei uns nicht erlangen konnten, und dann... Ich glaube, jeder einzelne ist sich hier klar darüber: Wir hätten in Einzelgesprächen, in netter, freundschaftlicher Form mit euch darüber reden können. Jeder schön einzeln. Das wäre alles ganz prima gelaufen. Leise und unauffällig. Nun haben wir uns aber entschlossen, diesen für uns alle sehr schmerzhaften Weg zu gehen. Sehenden Auges, denn wir wußten vorher, daß es mißbraucht werden würde, deshalb haben wir's ja dem Klassenfeind gegeben. Der hat jetzt seine Schuldigkeit getan und wie erwartet mißbraucht, jetzt hat es Publizität, da setzen wir uns schizophrenerweise hin und hecken aus, wie wir den Mißbrauch... äh... verteufeln können. 

Adameck:

Aber Manne, die Frage ist doch die...

Krug:

Ich sag das nur, damit wir uns nicht lächerlich machen.

Wolf:

Ich würde diese Erklärung auch nicht für die Springer-Presse machen, sondern für die Genossen bei uns, die wissen sollen, wo wir stehen, die nicht plötzlich denken sollen: Was ist mit denen los?

Becker:

Werner, ich halte es für ganz wichtig, es geht gar nicht anders, wenn ich nicht lächerlich werden will. Wenn heute in der Zeitung steht: Die Leute distanzieren sich von etwas, das kein Leser kennt... Wir können nicht gegen den Mißbrauch von etwas protestieren, das die Leser nicht kennen. Das heißt, das Ding muß rein, sonst hat das alles keinen Sinn.


Adameck:

Nein. Jurek, paß mal auf. Einige Töne habe ich mir jetzt gemerkt. Ihr müßt ja wirklich wissen, was ihr wollt. Wollt ihr - und das hat hier stattgefunden - gehört werden? Soll ein Gespräch stattfinden? Die Probleme, die wir auch sehen, und das müssen wir euch ganz ehrlich sagen, sehen wir anders. Und da sind auch ein paar Illusionen drin über... du hast ja schon so ein paar Töne angeschlagen...

Becker:

Ich sag haargenau, was ich will. Ich kann dir das in einem halben Satz sagen: Ich will den Biermann wieder zurückhaben.

Adameck:

Aber wenn du das zur Bedingung machst, das ist doch schizophren. Entweder haben wir uns hier unterhalten und haben euch mal gehört und ihr habt auch unsere Meinung gehört, zwar ohne hier eine Einigung erzielt zu haben... 

(Bandwechsel.) 

Heym:

Was die Genossen unterschrieben haben, ist die Bitte an die Regierung, die Sache zu überdenken.

Lamberz:

Und der Protest.

Heym:

Und der Protest, jawohl. Weil eure Maßnahme falsch war, und weil wir als Bürger dieser Republik das Recht haben zu protestieren. Öffentlich zu protestieren.

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Wolf:

Aber das geht jetzt alles wieder auf Sachen zurück, die wir schon hatten.

Heym:

Nein, ich will weiterkommen. Der Vorschlag von Christa ist richtig. Und das hat nichts mit Schizophrenie zu tun, mit Schizophrenie zu tun hat merkwürdigerweise die Nachrichtengebung in unseren Medien. Ich meine, daß es natürlich notwendig ist - schon damit das Volk auch vollkommen orientiert wird und zu unserer eigenen Ehre: Wir haben nicht etwas gegen die Republik unterschrieben, sondern für die Republik -, daß das veröffentlicht wird. In unserem NEUEN DEUTSCHLAND und über unser Fernsehen. Und dazu können wir dann eine Erklärung geben gegen den Mißbrauch, diese Bemühung, die natürlich zu erwarten war, weil wir eben in einem geteilten Land leben.

Lamberz:

Geteiltes Land?

Becker:

Das ist ein Wort, das wird der nie mehr los. Damit muß man sich abfinden.

Lamberz:

Das sind noch mehr Worte. »Von Deutschland nach Deutschland« und so weiter.

Heym: 

Wollen wir hier eine Diskussion machen über die Nationale Frage? Das halte ich im Augenblik für zuviel.

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Wolf:

Nein, aber jetzt mal wirklich. Also, ich halte diesen Vorschlag aufrecht, ich halte ihn für wichtig. Ich glaub schon auch, daß die anderen, die als erste unterzeichnet haben, sich in ähnlicher Weise dazu verhalten würden. Vielleicht. Das muß man erfragen. Man könnte also so etwas machen, und ich bin dafür, daß das jetzt gestoppt wird. Und ich bin dafür, etwas dafür zu tun, mit zu tun. Die Genesis, wie es dazu gekommen ist, das haben wir nun alles besprochen. Und da bleibe ich dabei, was hier auch gesagt wurde, was du gesagt hast. Das muß man jetzt nicht alles wiederholen, und es wird auch jetzt, wenn wir auseinandergehen, Punkte geben, wo wir eben nicht der gleichen Meinung sind. Macht nichts. Wir denken weiter darüber nach. Ihr auch. Aber jetzt geht's darum, das jetzt heute - also heute oder morgen oder so - zu tun und zu erreichen.

Heym:

Ich würde noch einmal und noch einmal unterstreichen, daß Sie die Frage Biermann überdenken. Obwohl es hier schon um Größeres geht. Aber das hängt damit zusammen, ob es Ihnen nicht möglich ist, die Sache auf anständige Art rückgängig zu machen. Sie sagen da was von irgendwelchen Gesetzen, da müßte eine Lex Biermann sein. Unsinn. Stimmt nicht. Ein administrativer Schritt kann ebenso administrativ zurückgenommen werden. Sie können das begründen mit seiner Frau, Familienzusammenführung, was weiß ich, es gibt viele Begründungen. Aber ich gebe es Ihnen noch einmal zu bedenken, denn das wäre natürlich die vornehmste und eleganteste Art, die Sache aus der Welt zu schaffen. Und Sie würden dann die solide hundertprozentige Unterstützung aller Schriftsteller und Künstler in diesem Lande haben.

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Lamberz:

Also ich glaube, a.) daß: - zumindest in diesem Kreise - sich alle darüber einig sind, die jetzige Unterschriftensammlung zu stoppen. Darüber gibt es Übereinstimmung?

Mehrere, viele, wohl alle:

Ja.

Lamberz:

Gut. b.): daß man einen Weg suchen sollte, um die Diskussion, die es gegenwärtig gibt, in der Form weiterzuführen, daß sie für alle Seiten nutzbringend ist. Wobei ich noch einmal sagen möchte: wir haben es - Kollege Heym, dann müssen Sie auch die DDR besser kennenlernen - gar nicht notwendig, irgendeinen Zornesausbruch zu organisieren. Jedes Volk ist reif, jedes Volk ist bewußt, jedes Volk hat seine Meinung. Und niemand kann das so organisieren, daß Manne Krug oder Hilmar Thate oder Frank Beyer auf irgendeiner Veranstaltung geschnitten werden oder daß sie dort keine Fragen gestellt bekommen. Was wir auch hier lenken können, ist, daß jemand die Dummheit macht, ja, die Dummheit, die politische Dummheit macht und persönliche Dummheit macht, irgend jemanden beruflich einzuschränken. Ich habe gestern schon gesagt: den holt der Teufel, wer so was macht. Das ist also eine echte Dummheit.

Heym:

Also keine Repressionen?

Lamberz:

Was heißt »keine Repressionen«? Sie denken in Kategorien, die keine sozialistischen sind. So denken Sie. 

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Heym:

Ich habe die Stalin-Zeit miterlebt, Genosse Lamberz. Sie müssen verzeihen, daß wir noch manchmal daran denken.

Lamberz:

Da muß man umlernen, einen Lernprozeß machen. Was heißt »Repressalien«? Wenn jemand solche Dummheiten macht, die nicht zu verantworten sind mit der Tätigkeit eines Staatsbürgers, dann wird es auch andere Dinge geben. Aber darunter verstehen wir nicht, was weiß ich, eine Resolution machen oder so etwas. Können Sie so etwas ausschließen? Ich kann so etwas nicht ausschließen. Die Dinge ändern sich manchmal. Am 15.10. beantragte Christine Biermann die Scheidung, und - was weiß ich - vor fünf Tagen sagt sie, sie wollen weiter zusammenleben. So ändern sich die Dinge.

Heym:

Das ist verständlich, daß sie sich unter diesem Druck nicht von ihrem Mann trennen möchte.

Lamberz:

Das kann gemacht werden über die Familienzusammenführung ... Ich kenne nicht die persönlichen Verhältnisse, und ich denke, man sollte das nicht komplizieren. Wir mischen uns da auch nicht ein. Aber Repressalien gibt es überhaupt nicht. Es gibt nur Maßnahmen, die dann notwendig sind, wenn sich jemand so bewegt, daß er die Gesetze der DDR verletzt. Dann ist das etwas anderes.

Domröse sagt,

es sei ein Unglück, daß durch die Kampagne in den DDR-Zeitungen so viele Künstler eingeteilt würden in »gute« und »böse«, das könne Auswirkungen bei der Auswahl von Schauspielern haben. Die Zurücknahme seiner Unterschrift durch Ekkehard Schall sei schädlich für die Standhaften, es sei zu hoffen, daß das nicht Schule mache. Sie rechne mit einschüchternden Gesprächen in ihrem Theater und, obwohl sie nicht Parteimitglied sei, auch vor der dortigen Parteileitung.

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Adameck:

Angelica, eine Sache kann man nicht verhindern: daß um euch herum Genossen und Kollegen leben, die euch angreifen werden.

Domröse sagt,

Adameck könne ruhig bleiben, verteidigen wolle sie sich schon selbst.

Heym:

Ich schlage vor: Im Hinblick auf dieses Gespräch, heute ist Montag, kann man am Samstag zusammenkommen, dieselben Kollegen, die die ursprüngliche Erklärung verfaßt haben - vielleicht unter Zuzug von Kollegen Krug, Frank Beyer und einigen anderen, die inzwischen unterschrieben haben -, um dann diese Erklärung, über die wir geredet haben, gegen den Mißbrauch, gemeinsam zu verfassen.

Lamberz:

Ich habe Zweifel, ob es richtig ist, wiederum eine Erklärung von Zwölfen zu machen oder was weiß ich...

Becker:

Das ist richtig.

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Lamberz:

Oder dann wiederum die Unterschriften der anderen. Jeder der anderen siebzig fühlt sich doch bemüßigt, entweder etwas dazu zu sagen oder nichts zu sagen.

Heym:

Ich finde das eher eine prozedurale Frage.

Lamberz:

Das ist keine prozedurale Frage. Im Denken der Menschen erscheint es doch - ob man will oder nicht -, daß es hier eine Gruppe gibt. Mir wäre es, ehrlich gesagt, lieber...

Heym:

Jeder wird verstehen, daß es sich nicht um eine Gruppe handelt.

Lamberz:

Noch nicht. Aber jeder der anderen wird sich bemüßigt fühlen oder nicht bemüßigt fühlen zu unterschreiben. Wir haben wieder den gleichen Prozeß in Bewegung. Ich hielte es für besser, individuelle Erklärungen zu machen des gleichen Inhalts, nicht wörtlich natürlich, wo jeder das ausdrücken kann. Warum nicht?

Adameck:

Warum wollen wir hier mit den Mitteln des Gegners arbeiten? Plattform und so weiter...

Heym:

Der Gegner hat nicht mit »Plattform« gearbeitet.

Adameck:

Natürlich!

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Lamberz:

Wenn wir die Form wegnehmen wollen, daß es Gruppen gibt. Und das ist ja unser Interesse auch, daß es keine Spaltung gibt, und es gibt ja keine Spaltung. Es gibt eine Meinungsverschiedenheit über Biermann.

Heym:

Es gibt eine Meinungsverschiedenheit über die Aktion der Regierung.

Lamberz:

Gut. Es gibt sicherlich viele Meinungsverschiedenheiten über das Wesen des Sozialismus. Ja? Wir zwei haben ganz bestimmt welche, das weiß ich aus der Diskussion, aber das macht nichts. Darüber kann ich ja diskutieren. Aber wenn wir das in dauernden kollektiven Beschlüssen oder Gruppenbeschlüssen machen, finde ich, wird es kompliziert. Auch das kann eine Fortsetzung der Bewegung geben.

Wolf:

Wenn wir zum Beispiel einzelne Erklärungen machen würden - das würde auch dieses Problem nicht ausräumen, daß ja unsere ursprüngliche Erklärung nicht bekannt ist.

Heym:

Sie müssen diese Erklärung abdrucken, Sie kommen nicht drum herum, Genosse Lamberz.

Lamberz:

Das weiß ich nicht. Erstens mal bin ich kein Alleinherrscher. Das ist wirklich bei uns anders, ja? Ich stimme einem zu, völlig zu. Hier sitzen alles so ernstzunehmende Leute, daß natürlich niemand sein Gesicht dabei verlieren kann. Das ist absolut berechtigt, und hier muß man einen Weg finden, der vielleicht von gegenseitigem Vorteil ist. Aber es kann nicht eine Wiederholung eines Protestes sein.

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Krug:

Mit anderen Worten, darüber sind wir nicht hinaus? Der Satz, den wir unterschrieben haben, der das Wort »protestieren« enthält, kann nicht kommen?

Lamberz:

Ich könnte mir vorstellen, daß man durchaus sagt: wir haben eine unterschiedliche, oder ich habe eine unterschiedliche Meinung zu Biermann, ich halte diese Maßnahme nicht für richtig, ich sehe, daß meine Haltung mißbraucht wird, ja? Mein Verhältnis zu diesem Land ist so und so, und ich wende mich gegen den Mißbrauch.

Heym:

Wenn das in dieser Weise gemacht wird, dann schreit die ganze Welt: Die haben sich plattschlagen lassen.

Krug:

Was ich richtig finden würde: Das Originalding, das wir unterschrieben haben, müßte abgedruckt werden, darunter müßten alle Unterschriften stehen. Nicht in Grüppchen sondern meinetwegen alphabetisch hintereinanderweg. Darunter steht: Alle hier Unterzeichneten erklären - und dann kommt das, was zu formulieren wäre. Das ist eine saubere Sache. Und da brauchen wir keine Geschichten zu machen, die dann wirklich nach Umdreherei aussehen.

Lamberz:

Ich persönlich bin für eine schnelle Überwindung jeglichen Gruppengedankens und jeglicher Ausweitung.

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Adameck:

So etwas würde ja bestätigen, daß hier Gruppenbildung vorliegt.

Lamberz:

Genau. Machen wir es so: Wir lassen die Diskussion sich fortsetzen. Sie diskutieren untereinander... Ich kann hier sagen, wir machen nichts. Aber es gibt Diskussionen. Es gibt seit heute vormittag neue Stellungnahmen. Die Leute haben vielleicht gestern Biermann im Fernsehen gesehen, andere haben sich's überlegt. Ich weiß nicht, aber ich glaube, solche Stellungnahmen werden wir auch weiter entgegennehmen, ich bin davon überzeugt. Hier wurde von der Kraft des Faktischen gesprochen. Das ist in Bewegung, und das ist nicht durch eine administrative Festlegung gegenwärtig aufzuhalten. Das ist völlig klar. Und am Montag -ich weiß nichts von diesem Gespräch. Wenn es ein solches Gespräch gibt, um so nützlicher. Und dann könnte man sich erneut verständigen, nach diesem Gespräch.

Domröse sagt,

die Unterschriftenaktion müsse doch umgehend zu beenden sein, sie könne nicht glauben, daß sie sich noch wochenlang fortsetzen würde.

Lamberz:

Von wochenlang spricht ja niemand. Ich spreche von heute und morgen.

Schubert:

Da bin ich ja beruhigt.

Heym:

Zum Teil ist das sehr gut. Sie ruhig die Stellungnahmen, die Sie heute gedruckt haben, fortsetzen. Die Menschen in unserer Republik sind gescheit genug, sich selbst eine Meinung über die Leute, die das tun, zu bilden. Und wenn wir dann so verfahren, wie wir heute besprochen haben, wie Manfred Krug das jetzt sehr gescheit formuliert hat, glaube ich, das würde die Sache entscheidend klären.

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Wolf:

Du findest den am gescheitesten. Ich bin mir nicht so sicher, daß Genosse Lamberz den akzeptieren kann. Ich würde ihn auch gut finden, aber er scheint ihn nicht akzeptieren zu können aus Gründen, die ich mir vorstellen kann.

Lamberz:

Meine Furcht ist die, daß der Gedanke wächst, hier gibt es soundso viele Leute, die eine solche Meinung in dieser Frage haben, die jetzt erneut zusammen­treffen und jetzt eine, eine Meinung haben und - was weiß ich - übermorgen bei einer weiteren Diskussion wieder zusammentreffen; denn auch darüber wird's Debatten geben.

Thate sagt,

Lamberz spräche von einer Gruppe. Wenn der Verdacht einer Gruppe, einer Gruppenbildung zustande käme, dann ist es sozusagen eine Gruppe, die absolut für diesen Staat sei.

Plenzdorf:

Bei »Gruppe« denkt man immer an konterrevolutionäre Gruppe. Das ist der einzige Vorwurf, der hier noch nicht ausgesprochen ist. 

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Lamberz:

Also, ich hatte geglaubt, es gibt gar kein Interesse daran, als Gruppe zu erscheinen.

Wolf:

Das ganz bestimmt nicht. Ganz im Gegenteil.

Heym:

Stellen Sie sich mal vor, es erscheinen jetzt in der Presse hintereinanderweg 72 Erklärungen...

Lamberz:

Doch nicht 72 Erklärungen. Warum denn?

Heym:

Wenn's auch nur 12 Erklärungen sind, die haargenau das gleiche sagen, das ist doch ein lächerlicher Zustand.

Lamberz:

Aber Kollege Heym, Sie sind gegen Uniformiertheit. Wir machen hier den Vorschlag, gerade differenziert zu sein. Das kann jeder so sagen, wie er es sagen will.

Hoffmann:

Ich meine, es geht nicht so sehr um Gruppenbildung oder so was, sondern es geht nämlich darum - das kann man nicht eliminieren, ich wäre jedenfalls nicht dazu bereit -, es gibt verschiedene Meinungen, und zwar zwei verschiedene Meinungen über die Maßnahme der Regierung. Das ist doch Fakt. Oder nicht?

Lamberz:

Die Sache ist die: Soll man das institutionalisieren durch eine nochmalige Erklärung eines gleichen Kreises, der wiederum eine Reaktion nachfolgt? Darüber muß man sich im klaren sein, wenn es sich um den gleichen Kreis handelt. Oder soll man es aufgliedern und es individuell sagen.

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Hoffmann:

Man kann doch sagen: Im Namen von...

Lamberz:

Na gut, laßt uns das überlegen...

Heym:

Ich hatte ursprünglich die Absicht, eine individuelle Erklärung abzugeben. Als dann die Kollegen zusammenkamen und diese sehr schöne Bitte an die Regierung - verbunden mit dem Protest - verfaßt haben, entschloß ich mich, meinen Brief zur Seite zu legen. Wenn ich meinen Brief allein weggeschickt hätte, würde ich mich hier allein diesen Zusatzfragen gegenübersehen. Da das aber zusammen geschehen ist, müssen wir schon auch zusammen diese Zusatzfragen klären. Das geht nicht anders. Und der Verdacht einer »Gruppenbildung«, zugunsten unserer Republik, das ist ja wohl sehr abwegig.

Krug: 

Alle, die hier unterschrieben haben, treten auf einen Haps dafür ein, daß man den Leuten drüben sagt: Wir machen uns nichts daraus, daß die Sache aufgeblasen, mißbräuchlich aufgeblasen wird und wir damit - diese Gruppe hier - zu einer staatsfeindlichen Gruppe stilisiert werden. Es liegt im Interesse dieser Gruppe der Unterzeichner, daß sie den Verdacht, eine staatsfeindliche Gruppe zu sein, auflöst und damit sich selbst auflöst. Das ist der Witz bei der Sache. Und ich finde es nicht gut, wenn wir jetzt den ND-Kram nachmachen, daß jeder für sich da sein Sprüchlein schreibt und rumeiert. Es kann ja wohl nicht jedesmal unsere Erklärung miterscheinen. Ich würde vorschlagen, daß dasselbe Kollektiv von Schriftstellern und Dichtern, die schließlich auch die größte Stärke im Formulieren haben, diesen Zusatz gemeinsam verfaßt, gemeinsam entwirft.

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Wolf:

Ich finde, daß wir dazu verpflichtet sind.

Lamberz:

Gut. Verbleiben wir erst mal so, daß wir uns nach dem Gespräch noch verständigen.

Wolf:

Es wäre gut, wenn ihr wirklich glauben würdet, daß es nicht um Konfrontation oder so was ging. Daß es uns nicht geht um irgend etwas, was sich jetzt hier DDR-feindlich nennt. Daß wir in der Zukunft vielleicht wieder - was in letzter Zeit wirklich nicht so gut war wie schon zwei Jahre vorher - wieder ein bißchen mehr daraufkommen können, über Probleme zu reden.

Schubert:

Und zwar öffentlich. Daraus muß etwas Produktives entstehen.

Krug:

Gibt es denn keine Möglichkeit - Werner, das ist doch wirklich deine Arbeit -, da genauer hinzugucken, wenn jemand so einen Artikel schreibt wie den ersten nach Biermanns Rausschmiß? Kann man sich da nicht 'n klein bißchen mehr Mühe geben mit der Auswahl des Schreibers und der Kontrolle dessen, was dann drinsteht? Muß das eine Gänsehaut auslösen bei Leuten, die Worten gegenüber sensibel sind? Du sprachst vorhin von einfachen Männern. Mir ist klar, daß einfache Leute leichter darüber hinweglesen und vielleicht sagen, aha, dem haben sie mal richtig in den Hintern getreten. Ich habe einige Stellen in diesem Artikel -große Schweinerei, muß ich sagen - bei Biermann vergeblich gesucht.

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Lamberz:

Pardon: »Die Rote Armee hat uns einen Sozialismus serviert, der, halb Mensch, halb Menschenwelt, halb Tierreich war...«

Wolf:

... Halb Menschenbild war...

Lamberz:

... Halb Menschenbild, halb Tierreich war. Aber entschuldige. Was glaubst du, was die Leute sagen, die Tausende Kilometer, bis hierher, gezogen sind... Was das für ein Sozialismus war, der halb Menschenbild, halb Tierreich war... Einen Sozialismus serviert, Moment, einen Sozialismus »serviert«, der halb Menschenbild, halb Tierreich war...

Schlesinger:

Ich hab das ganz anders, ganz anders verstanden...

Lamberz:

Ja, aber lies ihn!

Schlesinger:

Ich hab's ja gelesen, ich versteh's anders...

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Krug:

Wenn schon. Warum denkt keiner darüber nach, daß Biermann diesen Begriff im Grunde für eine positive Aussage benutzt hat? Warum nimmt man diesen halben Satz beim Wickel? Ich hab doch den Einmarsch erlebt 1945, als Kind zwar noch, die Angst ist mir noch heute...

Lamberz:

Woran messen wir denn diese Sachen? Was hat man mit den Amerikanern drüben erlebt? Woran messen wir denn das? Messen wir dies an der gestohlenen Uhr oder an der historischen Entscheidung, die gefallen ist!

Wolf:

Das ist doch keine Frage.

Krug:

Das soll auch keine Frage sein. Er meint eben auch die dunklen, die schlimmen Augenblicke, er meint auch Stalin.

Lamberz:

Aber das will ich dir sagen. Wenn einer in der Partei... Vielleicht sagt dir jemand was anderes, dann sage ich: der soll seine Mitgliedschaft überdenken. Wer behauptet, die Rote Armee hat uns einen Sozialismus »serviert«, der halb Tierreich war - das haben die Sowjet-Soldaten nicht verdient. Da gibt es ein Prinzip, ein eisernes Prinzip! Man kann Witze machen über zum Teufel welche Geschichten, aber doch nicht mit so 'ner Sache.

Heiner Müller:

Ich hab das nie anders aufgefaßt als: Hier ist zum Sozialismus aufgebrochen worden mit einer Bevölkerung, die zum Teil durch den Faschismus...

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Lamberz:

Nee. »... Hat uns einen Sozialismus serviert...« Ich kenne die Stelle: Die haben ihn mitgebracht, diesen Sozialismus haben die mitgebracht, das geht doch wirklich nicht!...

Wolf:

Über diese Sachen würde ich überhaupt nicht streiten. Nicht umsonst steht in diesem unseren Schrieb, daß wir uns eben nicht mit allem, was Biermann sagt und tut, identifizieren. Und so was würde dazugehören...

Becker:

Jetzt fangen wir an, was zu machen, was wir erklärtermaßen nicht tun wollten, über Details von Biermanns Konzert zu reden...

Heym:

Wir sind ja mit der Diskussion fertig. Was jetzt ist, das ist ein Pausengespräch, nicht mehr.

Lamberz:

Ja, aber das war ein wichtiges Pausengespräch. Klauen bei uns die Arbeiter auf dem Bau? Mich hat der Kohlmann angerufen, da hab ich gesagt: »Du, hör mal, wie ist das?« Sagt der: »Bei uns klauen sie auch, aber daß der...« Den kennt ihr, den Kohlmann?

Schlesinger:

Kohlmann?

Adameck:

Ist ein Brigadier.

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Lamberz:

Kohlmann hat ein Drittel aller Häuser gebaut in Berlin. Hat zehn Jahre in einer Hinterhofwohnung gewohnt. Ein Charakter. Ein Charakter. Zehn Jahre im Hinterhof gewohnt, und die Häuser gebaut. All die großen... Leipziger Straße... Das ist Kohlmann mit seinen 27 Leuten. All die Baustellen. Da hab ich gesagt: »Wie ist das?« »Ja, bei uns fehlt schon mal ein Sack Zement. Aber daß einer drüben bei dieser Mistbande das singen muß und rumerzählen muß, nee. Der hätte zu mir aufn Bau kommen können, dem hätte ich gesagt, du hör mal, wieso passiert das. Das regt mich auf.«

Krug:

Der Biermann hätte zu ihm auf den Bau kommen sollen?

Lamberz:

»Und die Jungen in meiner Brigade haben gesagt: dem hauen wir den Arsch voll, wenn der zurückkommt.«

Heym:

Biermann konnte nicht auf den Bau kommen, dort singen.

Lamberz:

Er brauchte nicht zu singen. Er konnte auf den Bau kommen und diskutieren! Er ist doch beim Festival auch auf dem Alexanderplatz gewesen und hat gesungen.

Heym:

Genosse Lamberz, haben Sie das Programm angesehen, das der Biermann gemacht hat in Köln? Die ganze Sendung?

Lamberz:

Ja.

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Heym:

Haben Sie nicht bewundert, wie der diese Zwischenrufe aufgefangen hat? Ich wünschte, daß unsere Genossen mal mit einer Versammlung zu tun hätten, wo solche Zwischenrufe kommen. Ich habe das ja letztens mitmachen müssen. Und daß er so geschickt und klug und so für die DDR und für den Sozialismus argumentiert hat, das müssen Sie doch anerkennen und bewundern. Noch kann er zurückkommen. Noch kann er. Noch mal: Versuchen Sie, versuchen Sie, eine Lösung zu schaffen, die auch für den Biermann bedeutet, daß er zurückkommen kann. Ich sage es Ihnen vom Herzen her.

Lamberz:

Ich habe mehrere Jahre im kapitalistischen Ausland gearbeitet. Ich habe nicht mit 7000 eine Debatte gemacht, aber ich habe mehrere internationale Pressekonferenzen gemacht. In Wien, in Paris, da war ich noch ein ganz junger Spund, und hab mich auseinandergesetzt mit den Leuten. Ich kenne das auch ein bißchen und weiß, wie man reagieren kann und wie man ragieren muß unter den Bedingungen. Das, was ich persönlich nicht verstehe, er hat ja auch überlegt: Er geht dort hin. Was macht er dort? Wie ist seine Konzeption für diesen Abend?

Plenzdorf:

»So oder so - die Erde wird rot!«

Lamberz:

Wo lagen denn die Angriffe an diesem Abend? Lagen die gegen die andern? Oder lagen die gegen uns!

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Krug:

Wo die Angriffe gelegen haben, das kann man unschwer daran erkennen, wo auf dieser 7000-Mann-Veranstaltung, vor allem nach der Pause, der Schwerpunkt bei den Zwischenrufen gelegen hat. Ich glaub, da hätte mir auch das Wasser im Arsch gekocht. Hör dir die Einwürfe an. Da hast du zwei, drei Einwürfe von DKP-Leuten, wobei der eine davon, dieser Luft schnappende junge Mann, entsetzlich schlecht war. Die anderen schienen ganz harte, reaktionäre Leute zu sein, die unentwegt »Polizeistaat« und solche Sachen auf der Pfanne hatten. 

Aber das war das, was er dort verbal zu verteidigen hatte. Das habe ich mir angeguckt, und ich finde, das hat er getan. Er hat mit diesem Abend eine ungeheure linke Veranstaltungsreihe in Westdeutschland gestartet. Wir haben ihm durch den Rausschmiß zu einer zusätzlichen Publizität verholfen, was die Sache geradezu gigantisch macht. Vier Stunden im Fernsehen. Nicht wir haben ihm verholfen, nicht unser Clübchen hier, sondern die Regierung. Er hat die größte linke Veranstaltung gelandet, die es je gegeben hat.

Becker:

Wißt ihr, daß die CDU verhindert hat, daß die Sendung um 20.15 stattfindet?

Krug:

Das ist interessant.

Lamberz:

Vor dem Rausschmiß waren alle Fernsehstationen da und haben das aufgenommen. Die hatten auch ohne die Ausbürgerung geplant, das zu senden.

Plenzdorf:

Wie habt ihr das rausgefunden?

Lamberz:

Wir hatten nämlich nicht nur einen Guillaume.

102


Wolf:

Das glaube ich, Genosse Lamberz.

Lamberz:

Es gab schon Veranstaltungen, wo das Programm klar war. Ich kann auch eine Reise beginnen mit einem Solidaritätskonzert. Oder ich kann eine Reise beginnen, wo ich ein bißchen auch die andere Seite akzeptiere. Oder ich kann eine Reise so beginnen. Die Lieder waren ja schon zum großen Teil bekannt, aber die verbalen Ausfälle sind dort gemacht worden.

Krug:

Die schmerzhaften Lieder waren doch nicht die neuen, sondern die altbekannten.

Wolf:

Genosse Lamberz, mir ist, ich glaube 1970 oder 1971, ich weiß jetzt nicht mehr so genau, in welchem Jahr, von einem Rundfunkredakteur gesagt worden: Also, Sie können hier 'ne Stellungnahme gegen sonstwas abgeben, von mir aus gegen den Vietnamkrieg - wir können das nicht senden. Das hat mich sehr geschmerzt. Ich hab's auch nicht vergessen können. Vor zwei Jahren haben wir diesen Band gemacht beim Deutschen Verlag: »Chile - Gesang und Bericht«. Da hatte Biermann ein Gedicht eingereicht. Diesesselbe, was er ...

Heym:

... Das vom Kameramann... Unidad popular ...

103


Wolf:

... jetzt also in Köln gesungen hat. Das hat er eingereicht. Ich war im Redaktionskollegium und war dafür, es zu drucken. Mit der Begründung, daß ich zwar in vielen Punkten nicht mit Biermann einverstanden bin - das liegt also schriftlich vor. Drei Stunden war der Verlagsleiter vom Mitteldeutschen Verlag bei mir, um mich umzustimmen... Ich finde aber, wenn es sich um den Faschismus handelt, dann geht's um eine antifaschistische Einheitsfront. Und da sie Leute von auswärts dazugenommen haben, die überhaupt nicht Kommunisten sind und auch sonst gar nichts mit uns zu tun haben... - warum nicht den Biermann?

Mit diesem ganz eindeutigen und noch dazu guten Gedicht? Es ging nicht. Er kam nicht rein. Ich bin daraufhin aus dem Redaktionskollegium ausgetreten, und zwar eingedenk dessen, was mir damals passiert ist. Und solche Sachen, weißt du, das vergißt einer auch nicht. Das sind so Sachen, die irgendwie eine Entwicklung mitprägen, ja? Es geht mir wirklich jetzt nicht darum zu sagen, ihr habt schuld, daß er so geworden ist. Es hat jeder immer selber mit schuld, wie er wird, das weiß ich ganz genau. Und es gibt immer Möglichkeiten, sich auch woanders noch zu orientieren, woanders hinzugehen, andere Meinungen zu hören. Und ich werfe dem Biermann vor, daß er das ganz bestimmt nicht in genügendem Maße getan hat. Das alles gehört zu meiner Kritik an ihm. Aber das alles wischt auch das andere nicht aus, wie einer dann so wird. Und wir sind nun mal Autoren. Neulich hat mir einer vorgeworfen: Jetzt kommst du mit Psychologie! Das war auch ein Autor. Da mußte ich sehr lachen, weil: das ist ja unser Arbeitsfeld. Also wenn wir, wenn wir nicht versuchen, auch zu verstehen, was in den Köpfen und in den Nervenfasern der Leute vorgeht, ja wer sollte es dann tun?

Lamberz:

Wenn die Politiker die Psychologie vergessen, dann vergessen sie auch einen wichtigen Teil ihrer Arbeit. Wir sind doch eine Gesellschaft mit...

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Wolf:

... in Widersprüchen. Und genau das wollen wir ja eigentlich ausdrücken. Wir sind eine Gesellschaft in Widersprüchen, und wir wollen uns auf die produktive Seite des Widerspruchs stellen. Und das ist mein Kampf seit vielen, vielen Jahren, und es gibt dabei Rückschläge, und es gibt alles dies und alles jenes. Man kommt wieder drüber hinweg, man hat wieder ein neue Phase und so weiter, ja?

Lamberz:

Sieh mal, das alles kann man debattieren, soll man debattieren. Aber: Ihr, die ihr im Volk wirklich bekannt seid und einen Namen habt, und manche von euch sehr populär sind, müßt natürlich auch wissen, wie man einen solchen Schritt macht wie den der Resolution. Es ist ein Unterschied, ob ich in einer öffentlichen Diskussion das verlange, ob ich mich an jemand wende, ob ich persönlich einen Brief schreibe, oder ob ich eine solche Sache mache mit allen ihren Konsequenzen. Das kann man abschätzen, das kann man überlegen und so weiter...

Heym:

Ich wundere mich, wie ihr darüber redet, wie es bei uns mit der Öffentlichkeit ist. Die Öffentlichkeit ist in Ihrer Hand...

Lamberz:

Nein! Die ist nicht in meiner Hand! Pardon!

Heym:

Ich meine jetzt, in der Hand des Politbüros, wo Sie die Presse unter sich haben...

105


Lamberz:

Erstens mal... erstens mal ist für Sie die Öffentlichkeit alleine die Zeitung? Die Öffentlichkeit ist das ganze gesellschaftliche Leben. Was bei uns in der Jugend, in den Gewerkschaften und überall, auch in der Schule, sicherlich unterschiedlich, debattiert wird, das ist doch auch Öffentlichkeit. Oder nicht? Und wo sind die konstruktiven Vorschläge? Ich kenne niemand in diesem Raum, der dem verantwortlichen Leiter der Agitation oder Karl Sensberg als dem Sekretär der Kommission oder mir einen Vorschlag gemacht hätte, man muß das und das und das machen. 

Jedesmal, wenn sich jemand an mich gewandt hat - ob das Krug war oder Becker oder Beyer in komplizierten Dingen -, haben wir uns getroffen. Stimmt's? »Jakob der Lügner« haben wir diskutiert? Haben wir unterschiedliche Meinungen gehabt? Sind wir zu Lösungen gekommen? War alles möglich! Aber ein Vorschlag für die oder jene Diskussion ist mir nicht bekanntgeworden. Ich weiß nicht, was Sie vor dem IX. Parteitag eingereicht haben, um zu sagen, dieses Problem müßten wir mal zur Parteidiskussion stellen.

Gut, ich muß gleich weg. Ich fahr jetzt schon 160, aber mit dem VOLVO kann man das ja fahren...

Schlesinger:

Moment, eine Sache möchte ich noch... Die Unterschriften, die jetzt noch kommen können. Da kam zu mir einer aus Jena hochgefahren, den ich gar nicht kenne, ein unbekannter Mensch, der mühsam die neue Adresse rausgekriegt hat, der hat gesagt: »Die haben Unterschriften gesammelt bei uns, da ist einer verhaftet worden...«

Heym:

So weit geht das also...

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Schlesinger:

Ein Arbeiter aus Jena, ein Zeiss-Arbeiter. Und ich habe gesagt: »Warum sammelt ihr Unterschriften? Hättet ihr Willenserklärungen gemacht, ohne Unterschriftensammlung. Das müßt ihr wissen.« Er: »Das wußten wir nicht. Wir wollten uns aber solidarisieren. Und wir meinen das auch.« Und ich habe gesagt: »Hört auf damit, macht das nicht über diese Sache, schreibt, wenn ihr 'ne andere Meinung habt, dann schreibt ans ZK oder so.« Das haben wir also gestern schon gemacht. Für unsere Resolution haben wir ja nicht umsonst nur Leute genommen, die unabhängig waren.

Lamberz:

Wie viele Unterschriften kann man noch erwarten?

Schlesinger:

Ich weiß es nicht!

Lamberz:

Ehrlich!

Schlesinger:

Ich schwöre Ihnen! Ehrlich! Sie mißtrauen mir... Ich weiß es nicht!

Adameck:

Mal eine konsequentere Frage: Wie viele Unterschriften werden weitergegeben?

Schlesinger:

Keine Ahnung.

Lamberz:

Es liegen ja schon welche da.

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Adameck:

Aber irgendwo müssen Sie sie doch herhaben.

Lamberz:

Moment. Die von Frank Beyer ist ja noch gar nicht auf der Liste drauf, ist aber schon im Westen. Die hab ich ja heut morgen schon um 7.00 Uhr gehört! Also. Deshalb stelle ich die Frage. Ich sage wirklich das, was ich denke. Ich habe keine Angst, meine Meinung zu sagen, hab keine Angst, meine Meinung zu vertreten, ja? Wir müssen wirklich bald miteinander reden. Und verhaftet wird niemand, dafür geb ich meine absolute Garantie, meine Unterschrift. Niemand. Es wird nur jemand verhaftet, der andere Dummheiten macht...

Schlesinger:

Na ja, aber man kann Gesetze so und so auslegen.

Lamberz:

Ich garantiere, daß niemand für eine Unterschrift verhaftet wird. Wenn jemand irgendwo eine Gruppe organisiert, in ein Parteihaus geht, um dort zu erklären: Ihr seid alles große Schweine - gestern hat die Abteilung Kultur des Zentralkomitees solche Angriffe gekriegt, er war dabei, er hat's erzählt, das hat auch nichts mehr mit euch zu tun -

Wolf:

Allerdings nicht.

Lamberz:

... Dann müssen wir uns dagegen wehren. Pardon: Das ist alles rausgekommen: rote Schweine, Banditen, weg mit euch. Das geht doch nicht! Wenn vorgestern diese Mannschaft von DYNAMO da drüben Eishockey spielt und das ganze Stadion brüllt: Hängt Ziesche, hängt Honecker, Freiheit für Biermann! Was ist denn das? Kennt ihr auch nicht? Lest die Westpresse.

108


Schlesinger:

Die kennen wir nicht.

Lamberz:

Kollege Heym, das sind die Auswirkungen.

Heym:

Das ist die Wirkung der Ausweisung von Biermann. Wir wollen das hier nicht auf die Dreizehn schieben.

Lamberz:

Moment! Moment! Das sind nicht die Auswirkungen der Biermannausweisung. Das sind die Auswirkungen dessen, daß andere Leute euch mißbrauchen. Ich möchte genauso wie ihr, daß ihr nicht mißbraucht werdet, weil ihr es nicht nötig habt, weil ihr andere Leute seid ...

Krug:

Die Politik selber wird mißbraucht. Eine politische Entscheidung ist falsch, und schon wird sie mißbraucht. Sorgt ihr bitte dafür, daß ihr nicht selbst mißbraucht werdet, indem ihr schlechte politische Entscheidungen trefft.

Adameck:

Jetzt ist aber gut.

Lamberz:

Moment mal...

109


Krug:

Freilich ist sie schlecht. Gar nicht zu reden von der Form, in der das Ganze vorgetragen ist. Wenn man einen loswerden will, dann kann man ihn an die Grenze bringen und ihn da rausschmeißen. Aber nicht den Eindruck von Feigheit erwecken - bei mir jedenfalls - dadurch, daß man ihn rausläßt, das empfinde ich als heimtückisch, und dann sagt: so, Junge, jetzt bist du endlich draußen, weg mit dir. Das ist der Eindruck, der entstand in Westdeutschland im Volk und in der DDR bei vielen Leuten. Und diesen Eindruck mußtet ihr voraussehen. Dafür seid ihr Fachleute als Politiker. Es braucht nicht nur Herz, sondern auch politischen Verstand und politisches Vorausschauen.

Lamberz:

Du hast nicht mal unrecht. Denn wenn wir vorher gewollt hätten, hätten wir nach der Aufführung in der Kirche, die nicht angemeldet war und die auch ungesetzlich war, das machen können. Da haben die Genossen in der Regierung gesagt... Ich habe ja nie gesagt, daß wir das nicht wissen, ich habe ja nur gesagt, daß wir es nicht beschlossen haben. Ja? Das ist doch logisch, daß das Politbüro etwas davon weiß, von der Kirche. Da haben wir gesagt: also, so eine Dummheit. Warum macht er solche Dummheiten mit der Kirche! Schluß. Das war alles. Aber ich will noch etwas sagen: Wenn es Leute gibt, die solche Aktionen organisieren, werden wir sie verhaften. Und ich bitte doch, das nicht übelzunehmen.

Beyer:

Wir können da nichts weiter übelnehmen.

Lamberz:

Wir können nicht zulassen, daß unsere Partei von irgendwelchen Leuten angegriffen wird, fälschlich, und daß dann die Partei... Wir sind nicht Polen. Ja?

110


Schubert:

Andererseits haben wir, hab ich geglaubt, daß wir's nicht zulassen können, daß ein politisch wichtiger Entschluß, den Biermann auszuweisen, offenbar leichtfertig getroffen wurde.

Krug:

20 Jahre lang - wenn einer von drüben gesagt hat: Polizeistaat - habe ich gesagt: Gönnt ihr euch erst mal einen, der bei euch so loslegt wie Biermann bei uns, und der bei euch nicht im Knast sitzt. Was sag ich denn jetzt?

Lamberz:

Da hast du recht.

Krug:

Ich möchte es gern wieder sagen können.

Lamberz:

Ich bedanke mich für die Aussprache. Wir sind uns einig, daß das in diesem Hause bleibt? Oder wird das heute abend noch weitergegeben?

Einige:

Nein, nein, schon klar, (usw.) 

Beyer:

Ich habe nur die Frage: Gilt die Vertraulichkeit auch für die reine Tatsache, daß mit dir ein Gespräch stattgefunden hat? Ich frage das, weil ich meinen Drehort verlassen habe heute nachmittag. 

Lamberz:

Ich würde sagen: ja. 

Beyer:

Auch? O.K. Gut. 

Wolf:

Gilt das, Werner, auch dafür, daß man zum Beispiel mit Stephan Hermlin darüber spricht?

Lamberz:

Nein, Stephan Hermlin nicht. Der hat mit unterschrieben. Aber ich bitte: Wem nützt das, wenn Westjournalisten heute abend in Leipzig zu mir kommen und sagen: Herr Lamberz, Sie haben sich heute getroffen... Ihr findet keine Formulierungen aus diesem Gespräch und über dieses Gespräch bei uns, und ich hoffe, daß ich keine Formulierungen darüber bei euch finde. 

Heym und andere:

Das ist selbstverständlich.

Lamberz:

Danke.

 

(Er und seine beiden Begleiter gehen ab.) 

111-112

Ende Mitschnitt

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