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Geleitwort

von Prof. Heinz Kirchhoff, Direktor der Universitäts-Frauenklinik, Göttingen

 

Nicht nur an den Theologen, den Arzt, den Soziologen und den Staatsmann – an jedes Ehepaar der ganzen großen Welt treten heute die Fragen der Geburten­regelung, der <Familienplanung> und der <bewußten Elternschaft> heran.

Während den Verantwortlichen der westlichen Industrie-Nationen die Überalterung ihrer Völker und der kaum noch ausreichende Nachwuchs Sorgen bereiten, kämpfen die führenden Persönlichkeiten im Mittleren und Fernen Osten, in Mittel- und Süd­amerika und anderen Erdgebieten einen bisher fast erfolglosen Kampf gegen die ex­plos­ions­artige Bevölkerungszunahme mit allen ihren verhängnisvollen Auswirk­ungen.

So, wie das Problem im großen durch die unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung der Länder seine zwei Seiten hat, so auch im kleinen, bei der einzelnen Familie: Hier hat der Arzt die sich sehnlichst Kinder wünschende Frau zu beraten, dort sucht ihn die vor Angst und Sorgen vor weiteren Schwangerschaften sich quälende kinderreiche Mutter auf, die an den Grenzen ihrer seelischen und körperlichen Leistungsfähigkeit angelangt ist.

Diese zweigesichtige Problematik, die zu den gewichtigsten, folgen­schwersten und akutesten unserer Erde gehört, geht uns alle an.

Mit Verwunderung und Erschrecken müssen wir Ärzte, die wir uns seit Jahren täglich mit solchen Fragen beschäftigen, die beträchtliche Unkenntnis über diese Dinge bei Laien und Fachleuten aller Schattierungen feststellen. Es ist daher ein großes Verdienst, daß Herr Dr. Theo Löbsack sich die schwierige Aufgabe stellte, einen großzügigen Überblick über die gesamte Problematik auszuarbeiten und in dem vorliegenden Werk der Öffentlichkeit zu übergeben.

Ein solch besonders gelagertes Thema, das auch zu den Fragen der Sexualität im weitesten und engsten Sinn Stellung zu nehmen hat, in aller Öffentlichkeit abzu­handeln, wäre bis vor kurzem noch undenkbar gewesen. Heute sind wir mit Fug und Recht gezwungen, diese Probleme nicht nur dem Fachwissenschaftler, sondern allen interessierten Kreisen – und wer wäre nicht an dem Problem der Familienplanung interessiert? – zugänglich zu machen.

Besonders der reiferen Jugend sollte Gelegenheit gegeben werden, sich über die Entstehung des Lebens, über die damit zusammenhängenden biologischen Vorgänge und über die Geburtenplanung zu informieren. Es ist sehr zu begrüßen, daß auch die Kirche dem Gedanken der Geburten­regelung nicht mehr so ablehnend gegenübersteht wie ehemals.

Der Verfasser hat es mit großem Geschick verstanden, die schwierige und vielgestaltige Materie – ohne den Rahmen der strengen Seriosität zu verlassen und ohne seiner Feder einen tierischen Ernst aufzuzwingen – in sachlicher, aber aufgelockerter Form meister­haft vorzutragen.

Sein Buch wendet sich an beide Gruppen von Ratsuchenden: an jene, die zu großen Kindersegen verhüten möchten, und an jene, deren größter Wunsch Kinder sind. Man darf, kann und muß ihm eine große Verbreitung und einen vollen Erfolg wünschen.

Prof. Dr. Heinz Kirchhoff

 

   

 

DREI GRÜNDE

Gleichsam ein Vorwort von Theo Löbsack

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Ein Buch, das von einer so intimen Sache wie der praktischen Geburtenkontrolle handelt, ist sicher ein Wagnis. Sexuelle Dinge sind noch immer von Tabus umgeben, und wenn Autor und Verleger nicht in zweifelhaften Ruf kommen wollen, so lassen sie im allgemeinen die Hände von solchen Themen.

Was mich dieses Buch dennoch schreiben ließ und was den Verlag bewog, es mit dem ganzen Gewicht seines Namens zu fördern, waren drei Gründe.

Erstens die furchtbaren Zahlen der gegenwärtigen Bevölkerungsvermehrung. Wenn die Statistiken nicht trügen, wird es in weniger als vierzig Jahren doppelt so viele Menschen wie heute auf unserem Planeten geben - rund sechs Milliarden.

Diese Menschen werden ernährt, gekleidet, untergebracht, erzogen, mit Arbeit versorgt und vor Krankheiten bewahrt sein wollen. Und selbst wenn das Unwahrscheinliche gelingt, werden sie doch nur auf dem Lebensstandard der heutigen Bevölkerung stehen­geblieben sein - einem Standard, der in weiten Erdgebieten erschreckend niedrig ist.

Eine gigantische Aufgabe für einen bescheidenen Lohn, eine Aufgabe, die ungeheure Anstrengungen verlangt, soll sie gelingen.

Die Ursachen dieser Springflut menschlichen Lebens sind bekannt. Nicht, weil die Erdbewohner plötzlich geburtenfreudiger geworden wären, erscheinen Tag für Tag fast 150.000 zusätzliche Esser an den Frühstücks­tischen. Verantwortlich dafür ist vor allem die sinkende Sterblichkeit.

Dank der modernen Medizin und Sozialhygiene sterben heute weniger Säuglinge und werden die Menschen älter als einst. Wie man aber von einer Waage nicht erwarten kann, daß sie im Gleichgewicht bleibt, wenn die eine Schale ständig stärker belastet wird als die andere, so stört die sinkende Sterblichkeit auch das Gleichgewicht zwischen Tod und Leben in der Menschengesellschaft.

Früher, als Seuchen und Hungersnöte noch Millionen dahinrafften, stand die Sterberate der Geburtenziffer wenig nach, und die Bevölkerungskurve stieg nur langsam. Heute schnellt sie steil empor, so daß wir einsehen müssen: Sind es künstliche Maßnahmen gewesen, die das Gleichgewicht gestört haben, so müssen es künstliche Maßnahmen sein, die wieder für einen Ausgleich sorgen; andernfalls riskieren wir, daß große Teile der Erdbevölkerung auf den Lebensstandard der Tiere zurücksinken. Kinder zu haben ist ein Glück. Es kann aber auch eine schwere Last sein, wenn die Kraft der Eltern nicht dazu ausreicht, diesen Kindern ein menschenwürdiges Leben zu bereiten.

Wer die Not kinderreicher Familien in den Entwicklungsländern gesehen hat, weiß, wie wahr diese Einsicht ist.

Die Menschenwürde verbietet es uns, in der Vernichtung des geborenen oder keimenden Lebens die Lösung des Problems zu suchen. Wir können nur alles tun, um es gar nicht erst zur Entstehung zu zahlreicher Menschenleben kommen zu lassen.

Diesem Gebot der Vernunft stehen aber merkwürdige Schwierigkeiten entgegen - sie sind der zweite Grund für dieses Buch. Da leben wir im zwanzigsten Jahrhundert, aber wenn eine Frau es wagt, zu empfängnisverhütenden Mitteln zu greifen, um die Zahl ihrer Kinder zu begrenzen, wenn sie mit ihrem Mann selbst entscheiden will, wie viele Nachkommen sie ernähren und erziehen kann, dann fallen gleich eine Menge Leute über sie her.

Das Groteske dieser Situation mag an folgendem Beispiel deutlich werden.

Die Geschichte des Menschen ist die Geschichte einer wachsenden Beherrschung der Natur und einer immer sicherer werdenden Kontrolle seiner toten und lebenden Umwelt. Hierin haben wir wahrhaftig das Wort der Genesis befolgt: »Seid fruchtbar und mehret euch, erfüllet die Erde und macht sie euch Untertan!« (1. Mose 28).

Erde und Wasser, Feuer und Wind hat der Mensch gebändigt, mit seiner Atomkraft kann er Kontinente verwüsten, und als Raumpilot umkreist er den Erdball.

Seine Elektronengehirne denken für ihn, er schickt Raketen zu anderen Planeten, er beherrscht seine Stimmungen durch Drogen und nimmt dem Tod immer häufiger die Entscheidung darüber ab, wann er ein Menschenleben auslöschen darf.

Aber ausgerechnet in der Sexualsphäre soll ihm diese Kontrolle versagt sein. In einer so wichtigen Lebensfrage wie der, wie viele Nachkommen er in die Welt setzt, da soll er seine medizinischen Fortschritte verleugnen und so tun, als lebe er im tiefsten Mittelalter.

Die Frauen vor allem sind es, die dieses Tabu trifft: Sie, die die Natur dazu bestimmt hat, für ein paar Minuten der Seligkeit die Bürde des Kinderkriegens zu tragen, sie sollen unwissend bleiben gegenüber den Praktiken der Geburtenregelung. Den Männern andererseits, die es noch am ehesten in der Hand haben, etwas zu tun oder nichts zu tun, um ihre Familien zu planen, ihnen ist schwerlich mit dem Hinweis gedient, notfalls enthaltsam zu leben. So weltfremde Empfehlungen können wohl Ehen aufs Spiel setzen, nicht aber Probleme wie das unsrige lösen.

Der dritte Grund für dieses Buch ist ein rein menschlicher.

Wir stehen heute vor einer sexuellen Revolution, die ihre Wurzeln in der alten Weisheit hat, daß niemand ohne normal entwickeltes Geschlechtsleben im Grunde glücklich sein kann. Die sogenannte gleichberechtigte Frau von heute fühlt das wahrscheinlich am schmerzlichsten. Sie hat nicht länger Lust, bloß die letzte Liebesaffäre ihres Mannes gewesen zu sein. Sie wünscht und hat Anspruch auf ein wirklich beglückendes Liebesleben.

Über vielen, wenn nicht den meisten Ehen liegt aber die Angst vor unerwünschten Schwangerschaften wie ein drohender Schatten. Dabei läßt sich kaum noch behaupten, daß die sexuelle Gemeinschaft ausschließlich der Kinderzeugung zu dienen habe. Ebensogut kann diese Gemeinschaft wohl als Ausdruck gegenseitiger Liebe und Sinnenlust gesucht werden.

Aufgabe dieses Buches soll es sein, zu informieren und zu dokumentieren. Man wird in ihm wenig eigene >Meinung< des Verfassers finden, dafür um so mehr Sachverhalte und Tatsachen, die für sich sprechen. Das Buch versucht, den Problemkreis der Geburtenkontrolle zu umreißen. Darüber hinaus unterrichtet es über die wirksamsten Praktiken, die man heute kennt, um einem schönen Ideal näherzukommen: dem Ideal, nur noch Wunschkinder zu haben.

Es wird das nicht in prüden Umschreibungen tun, und seine vielleicht heiklen Stellen werden auch nicht schamhaft ins Lateinische übersetzt sein. Denn es soll von all denen verstanden werden können, die diese Informationen heute verzweifelt suchen.

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Theo Löbsack, Vorwort 1963


 

I.

 Mager ist der Tisch…

»MAGER IST DER TISCH DER ARMEN, ABER FRUCHTBAR DAS BETT DES ELENDS«
Josue de Castro, Präsident des Ernährungs- und Landwirtschaftsrates der Vereinten Nationen

 

Eine unheimliche Rechnung

Haben Sie Spaß an einem kleinen Spiel? Dann nehmen Sie bitte Bleistift und Papier zur Hand. Legen Sie eine Uhr vor sich auf den Tisch und verfolgen Sie den Sekundenzeiger. Sehen Sie, wie er weiterrückt, Schritt um Schritt? Nehmen Sie jetzt Ihren Stift und machen Sie alle drei Sekunden fünf Striche aufs Papier. Tun Sie so, als wollten Sie etwas auszählen, das sich alle drei Sekunden fünfmal wiederholt. Sie müssen sich beeilen, wenn Ihnen der Zeiger nicht davonlaufen soll, nicht wahr? Fünf Striche alle drei Sekunden, das sind hundert Striche in der Minute, hundert Takte - ungefähr der Rhythmus eines modernen Tanzes.

Wissen Sie, was Sie da tun?

Es ist das gegenwärtige Wachstum der Weltbevölkerung, das Sie sichtbar machen. Vorsichtig geschätzt, vermehrt sich nämlich die Menschheit heute um fünf Seelen alle drei Sekunden, oder auch - wenn Sie so wollen - um hundert in der Minute. Wohlgemerkt: diese einhundert, das sind nicht die Neugeburten in aller Welt. Neugeborene gibt es in der gleichen Zeitspanne mehr als doppelt soviel.

Die Zahl Einhundert nennt nichts als die Münder, die unsere alte Erde alle sechzig Sekunden zusätzlich ernähren soll. Die stete Ernte des Todes ist schon einkalkuliert: Einhundert kommt heraus, wenn man die minütlichen Todesfälle in der Welt von den minüt-lichen Neugeburten abzieht.

Dabei ist die Zahl Einhundert gewissermaßen nur eine Momentaufnahme aus der Gegenwart. Vor zehn Jahren war die Zuwachsrate wesentlich geringer, und zehn Jahre später kann sie wesentlich größer sein. Aber bleiben wir einmal beim Heute. Einhundert Menschen in der Minute, das sind sechstausend in der Stunde, rund 144000 jeden Tag. Soviel Einwohner hat eine Stadt wie Bonn. 144000 Menschen, die allmorgendlich als zusätzliche Esser an den Frühstückstischen sitzen, Menschen, die sich ernähren, die arbeiten, wohnen und von Krankheiten verschont bleiben wollen, Erdbewohner, die sich kleiden möchten, die Straßen und Transportmittel brau- 12

chen, um von ihren Wohnungen zu den Arbeitsplätzen zu gelangen. Montag: Bonn; Dienstag: Mainz; Mittwoch: Heidelberg; Donnerstag: Freiburg; Freitag: Saarbrücken... In einem Jahr bedeutet das ein Bevölkerungswachstum von etwa 52 Millionen, das ist die Einwohnerzahl von Italien. Und wer Vergleiche liebt, der kann das Spiel nun mühelos fortsetzen. 1964: Italien, 1965: Frankreich, 1966: Großbritannien…

Es kann nicht verborgen bleiben, welch todernstes Problem hinter unserer amüsanten Zahlenspielerei steckt. Was wir ausgerechnet haben, ist die Bilanz der menschlichen Fruchtbarkeit im Verein mit den modernen Methoden, den Tod zu bekämpfen. Und was die Bilanz so erschreckend macht, ist die Beschleunigung des Anwachsens, ist das unheimliche Schnellerwerden des Tanzrhythmus, der schon in wenigen Jahrzehnten in einen rasenden Trommelwirbel überzugehen droht.

Niemand kennt die genaue Zahl der gegenwärtig lebenden Menschen auf der Erde. Aber alles deutet darauf hin, daß sie bereits im Jahre 1961 die Drei-Milliarden-Grenze überschritten hat, eine Zahl, der die von den Vereinten Nationen zusammengestellten Volkszählungen und Schätzungen zugrunde liegen und die einen Unsicherheitsfaktor von nur wenigen Prozent aufweist.

Wenn die Statistiken nicht trügen, werden wir im Jahre 1980 mit vier, im Jahre 2000 aber mit wenigstens sechs, wenn nicht mit sechseinhalb oder sieben Milliarden Mitbürgern rechnen müssen.

Blicken wir zurück.

Um etwa 5000 vor Christus, als die Menschen von der nur aneignenden zur produzierenden Lebensweise übergingen, dürfte die Erdbevölkerung kaum mehr als schätzungsweise 15 oder 20 Millionen gezählt haben, Sammler und Jäger zumeist, die auf der Pirsch, im Wald und auf den weiten Ebenen ihre Nahrung suchten. Um Christi Geburt mag die Erde wiederum nach einem Schätzwert von rund 250 Millionen Menschen bevölkert gewesen sein. Diese Zahl stieg in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitwende nur langsam an. Fehden und Kriege, Seuchen, Naturkatastrophen und Hungersnöte bremsten die allzu stürmische Menschenvermehrung. Um das Jahr 1650, so rechnen die Statistiker, gab es 500 Millionen, und erst um 1850 soll die Bevölkerungs­ziffer die Milliardengrenze überschritten haben.

Nur siebzig Jahre später aber lebten schon zwei Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Die Geburtenlawine war in Bewegung gekommen. Hatte es einst mehr als eineinhalb Jahrtausende gedauert, bis die Menschheit sich verdoppeln konnte, so waren für die nächste Verdoppelung zwischen 1650 und 1850 nur noch zwei Jahrhunderte nötig. Ab heute dürften keine vierzig Jahre vergehen, bis aus den drei Milliarden Menschen sechs Milliarden geworden sind.

Veranschaulicht man sich die Entwicklung graphisch, so wird sie noch eindrucksvoller.

Zunächst steigt die Bevölkerungskurve viele 13

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Theo Löbsack (1963) Nur noch Wunschkinder? Geburtenkontrolle - Gebot der Vernunft