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Mein Resümee  

 

 

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Die unglückliche Vereinigung wird aus mehreren Quellen gespeist: Wir tragen eine bittere Vergangenheit in uns, die unsere Seelen belastet und unsere Freiheit einschränkt. Die gewonnene äußere Freiheit an Menschenrechten besagt noch nichts darüber, wie wir sie zu nutzen und auszufüllen verstehen. Es gibt auch die Gefahr, nach außen zu expandieren und sich dabei erst recht zu verlieren — ein Leben mit »unbegrenzten« Möglichkeiten eignet sich auch zur Flucht vor dem inneren Gefängnis. Noch häufiger aber werden neue Zwänge gesucht, denen man sich ausliefern und unterwerfen kann, um gar nicht erst die Fesseln zu spüren, die dem spontanen Leben angelegt wurden (wer sich nicht bewegt, spürt die Ketten nicht!).

Mit der »Wende« sind Hoffnungen entfacht worden, die nicht allein durch die Befreiung von einem Unrechtssystem befriedigt werden können, sondern es sind dabei auch die ungestillten Bedürfnisse des inneren Mangels aktualisiert worden. Es bleibt eine tragische Illusion, diesen inneren Mangel durch äußere Fülle besänftigen zu wollen. Man kann sich daran höchstens berauschen und vollfressen, wird aber in der Regel mit einem »Kater« oder mit Erbrechen bestraft. Die anwachsenden Erkrankungen an Bulimie (Freß-Kotz-Sucht) und die vielfältigsten Süchte sind beredte Symptome dieser Entwicklung. 

Der Verlust der DDR hat die mühsam gebastelten Arrangements zur Beruhigung der inneren Not allesamt entwertet. Alle müssen sich neu orientieren. Darin liegen Chancen und Gefahren zugleich. Unsere Zukunft wird davon geprägt sein, ob wir uns jetzt nur neu arrangieren oder den schmerzlicheren und langwierigeren Weg grundsätzlicher Erneuerung annehmen wollen.

Es scheint so, als wenn sich Ost und West einig wären,. den meisten Menschen eine neue pressende Form zu verpassen, an der sie leiden und über die sie fluchen können, doch damit auch vor tieferer Erkenntnis geschützt bleiben. Das Korsett, das uns im Moment geboten wird, macht zwar eine schöne Figur, doch es drückt und schmerzt und reibt, so daß viele Menschen stöhnen, und einigen wird sogar die Luft abgepreßt. Wir passen nicht in dieses Korsett, es ist nicht auf uns zugeschnitten, wir müssen es erweitern und verbessern, weil wir sonst ersticken, andererseits können wir aber auch nicht ohne weiteres ohne diesen schützenden Halt leben.

Seit der »Wende« sind in ganz Deutschland innere Bedürfnisse wieder aufgeglüht, die aber nicht mehr befriedigt werden können — es sind ungestillte Bedürfnisse unserer vergangenen Lebensgeschichte, die heute durch nichts mehr zu entschädigen sind, aber wir können sie aufspüren, uns bewußt machen, ihre Folgen verstehen und mit den entsprechenden Gefühlen verbinden, was erleichtern und klären würde. Dies ist ein Weg, die unglückliche Vereinigung Deutschlands in befriedigendere Bahnen zu lenken. Das bloße Ausagieren unserer inneren Not in äußeren Wohlstand macht uns nicht wirklich zufrieden und schafft neue und gefährliche, aber vermeidbare Probleme.

Solange der Osten nur verwestlicht werden will und soll, werden diese Probleme zunehmen. Demgegenüber will ich eine Humanisierung einklagen, die die Möglichkeiten verbessert, unser Leben wieder an wesentlichen Grundbedürfnissen zu orientieren. Nicht der Leistungsanspruch und wachsender Wohlstand sollten die Maximen unseres Lebens sein, sondern die Verbesserung unserer menschlichen Beziehungen. Der deutsche Vereinigungsprozeß macht deutlich, wie dringend eine Verbesserung der Strukturen unseres Zusammenlebens geworden ist, laßt uns diese Chance nutzen.

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Viel mehr als wir ahnten, sind wir uns Fremde in der Einheit. Wenn wir auf bloße Unterwerfung und Anpassung verzichten, uns nicht gegenseitig die Schuld zuweisen und unsere Verunsicherung nicht durch Vorurteile besänftigen, dann können wir aus unseren Unterschieden etwas für unsere Ganzheit gewinnen und gemeinsam um natürlichere Lebensformen ringen.

Könnten wir die deutsche Vereinigung als etwas begreifen, das uns mehr geschehen ist, als daß wir sie gezielt gewollt hätten, wir gewännen dadurch vielleicht mehr Verständnis für die umfassenden Probleme dieser Welt, die auch in Deutschland symptomatisch aufscheinen. Die globale Entwicklung nötigt uns eine Einheit auf. auf die wir nicht vorbereitet waren und die nicht das Ergebnis reiflicher Überlegungen und sorgfältiger Entscheidungsschritte ist. Mit der Spaltung Deutschlands haben wir uns weit auseinandergelebt, wir sprechen nicht mehr die gleiche Sprache. Wir waren jahrzehntelang verfeindete »Geschwister«. Eine Einheit der Menschen ist im Augenblick völlig unrealistisch. Es besteht keine Gleichwertigkeit und keine Chancengleichheit, die Erfahrungen und Orientierungen sind sehr unterschiedlich. Dagegen sind Verschiedenheit und Fremdheit in der Einheit real.

Dies alles zuzugeben, fällt uns schwer. Das Vereinigungsgeschehen wird sehr von psychosozialen Mechanismen geprägt, die der politischen Kontrolle längst entglitten sind. Die Politik hat größte Mühe, überhaupt noch hinterherzukommen. Es ist so, als wenn die Politik dem massenhaft angewachsenen irrationalen Ausagieren nachträglich die Legitimation erteilt. Dabei sind Produzieren und Konsumieren zum Maß aller Dinge geworden. Wir sind einer Sucht verfallen und gefährden damit unser Leben.

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Wir stellen in einem Riesenausmaß wieder etwas her, was die meisten von uns schon längst in sich tragen: die durch Unter­werfung und Manipulation erfahrene Bedrohung des eigenen Lebens.

Es besteht jetzt eine große Chance, das so »erfolgreiche« Wirtschaften des Westens auch als einen Ausdruck des zwanghaften Wettkampfes in einem gefährlichen Ost-West-Spannungsfeld zu begreifen, der zu Ende ist und beide Seiten als Verlierer zurückläßt. In beiden Systemen war und ist die Anpassung an die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse das wesentliche Ziel der Erziehung: Im Osten war man erfolgreich, wenn man seine Individualität vernachlässigte und den eher passiven Untertanen erlernte, der gefügig mittrottete und den Mächtigen möglichst keine Schwierigkeiten machte – im Westen ist man erfolgreich, wenn man seine Individualität pflegt und herauskehrt, wenn man »gut drauf« ist, sich aufmotzt, sich als erfolgreich darstellen und gut verkaufen kann. Es wird der eher aktive Untertan erlernt, dem, eine eigene Meinung, demokratische Mitbestimmung und die Freiheit der Wahl aus einer Vielzahl von Möglichkeiten zugestanden wird, doch geregelt und manipuliert wird über den Markt und das liebe Geld.

So stehen sich die mehr Eingeschüchterten und mehr Aufgeblasenen unversöhnlich gegenüber und verstärken sich wechselseitig in ihren Fassaden: je gehemmter die einen, desto draufgängerischer die anderen — je arroganter die einen, desto selbstunsicherer die anderen. Wir brauchen keine Mauer mehr, sie lebt schon längst als innere Mauer, als eine psychologische Barriere in und zwischen den meisten Menschen fort. Diese Mauer trennt uns von unseren wirklichen Wünschen, Bedürfnissen und Gefühlen, und sie trennt die Menschen, die Entgegengesetztes lernen mußten, um ihr Innerstes zu vergessen. Das schließlich erlernte äußere Verhalten in der jeweils systemimmanenten Form soll vom Grundleiden, das beide vergleichbar erlitten haben und das sie eigentlich verbindet, ablenken.

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Wie das innere Mangelsyndrom abgewehrt und kompensiert wird, wird vor allem in der Kindheit gelernt und damit entschieden, welche charakterlichen Eigenschaften ausgeprägt und welche anderen Möglichkeiten der Persönlichkeits­entwicklung unterdrückt werden. Dies zu verändern ist sehr schwer und gelingt auf keinen Fall von heute auf morgen und auch nicht ohne größeren Aufwand und ohne emotionale Betroffenheit.

Dagegen ist das Wendehals-Syndrom keine Charakterveränderung, sondern bei unveränderten Charakter­eigenschaften werden nur neue Strukturen gesucht, in denen das gleiche, charakterlich festgelegte Verhalten fortgeführt werden kann – es wird also nur das äußere Ambiente verändert.

Die realpolitische Situation der deutschen Vereinigung verlangt jetzt von den Ostdeutschen, daß sie die Charakter­eigenschaften der Westdeutschen erlernen. Dies braucht mindestens eine Generation. Man müßte der nächsten Generation die westliche Form der Entfremdung beibringen und hätte dann in etwa zwanzig Jahren die psychosozialen Voraussetzungen, damit die Menschen wie im Westen leben können und wollen. Zwar möchten die meisten schon heute so leben wie im Westen, doch ihnen war bisher nicht hinreichend erfahrbar, welche Nötigung im Denken, Fühlen und Handeln damit verbunden ist.

Aber die Ernüchterung schreitet jetzt rasant voran. Es steht zur Entscheidung, was die Menschen jetzt daraus machen. Entweder sie nehmen die Enttäuschung an, erkennen sich als eine verlorene Generation, schränken sich selbst und ihre Ersatz­bedürfnisse ein und bemühen sich um den Aufbau für die nächste Generation.

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Der vorhandene Gefühlsstau müßte dabei aber unbedingt weiter unter Kontrolle gebracht werden. Oder aber die Enttäuschung ist so herb und die Bedrohung der eigenen Existenz so groß, daß sich Zorn und Schmerz entladen, und da dies aber nicht in einem geschützten Setting geschieht, wird es vor allem durch Gewalt ausagiert werden. Neue Feindbilder müssen dann her und der Wunsch nach einem »starken Mann« wird anwachsen. Die Bedrohung ist schon vorgezeichnet.

An unseren Grenzen stehen bereits Zehntausende, die Asyl wollen. Es sind dies die Vorboten einer Flut, die unaufhörlich auf uns zurollt und die wir selbst mit verursacht haben. 

Mit unserem zerstörerischen Ersatzleben haben wir die Ungleichheit verschärft und die Armut verstärkt. Im Westen ist vor allem ein Schein des besseren Lebens produziert worden, der natürlich eine suggestive Faszination ausübt auf alle Menschen in realer Existenznot, aber auch schon bei seelischem Mangel. Wir Ostdeutschen haben das Letztere eben erst bestätigt. Soeben haben wir um Asyl gebeten, haben unser bisheriges Leben aufgegeben und leben im Moment im wesentlichen von den westdeutschen Steuergeldern (etwa 2/3 unseres Sozialproduktes sind gepumpt!). 

Es ist noch offen, wohin uns das führen wird, selbst der Rücktritt des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Karl Otto Pöhl, hat wenig Nachdenklichkeit bewirkt. Und schon stehen die nächsten Asylbewerber an unseren Grenzen, und wir werden daran ersticken, wenn wir unser Leben so wie bisher fortsetzen wollen. Wir können uns einmauern und den »Schießbefehl« umdrehen, das wird unser moralisches und später auch physisches Ende einläuten. Oder wir denken ernsthaft um.

Wir Ostdeutschen könnten dabei eine wichtige Rolle spielen, denn wenn wir ganz ehrlich sind, verstehen wir die Asylbewerber, sie sind wie wir. Und wir müssen im Moment mit Bitterkeit begreifen, wie gnadenlos die menschlichen Bedürfnisse den wirtschaftlichen Zwängen untergeordnet werden.

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Die Erkenntnisleistung, die uns abverlangt wird, ist beträchtlich. Es ist wahr, daß wir aus einer ungesunden Infantilisierung, Abhängigkeit und falschen »Fürsorge« der harten Lebensrealität entfremdet wurden. Aber die westliche Lebensart ist dagegen bemüht, vor dieser Wirklichkeit in eine Scheinwelt der Sicherheit (eine Welt der »Versicherungen«) zu fliehen, die aus diesem Grunde auch einen Überfluß produziert, der unsere Zukunft belastet und das Gleichgewicht auf dieser Welt zerstört.

Es hat sich längst gezeigt, daß der Reichtum des Westens die Armut auf dieser Welt nicht dämpft, sondern vermehrt. Die ganze Entwicklungshilfe ist nur ein Feigenblatt für die Ausbeutung und vor allem für die Fehlorientierung der Menschen, für die Illusion einer Erlösung aus Not und Elend. Würde es in Südamerika, Afrika und Asien tatsächlich nur einem Menschen helfen, wenn wir hier anders lebten? Dies erscheint vielen sicher als absurd. Doch schauen wir auf Deutschland. Die bedrohlichen, selbsterzeugten Probleme der ehemaligen DDR werden durch die Vereinigungspolitik nicht nur verdeutlicht — wie manche behaupten —, sondern durch die Wirtschafts- und Währungsunion entscheidend verschärft. Wir sind auf den Weltmarkt geworfen und nicht wettbewerbs­fähig. Und wenn wir dies noch schaffen sollten, sind die nächsten Opfer dran. Oder kann mir jemand eine Markt­wirtschaft plausibel machen, die allen wachsenden Wohlstand ermöglicht? Nein, wir brauchen ein radikales Umdenken, das ein menschlicheres Zusammenleben zum Ziel hat, die psychosozialen Grundbedürfnisse besser erkennen läßt und befriedigen lehrt und damit die Wachstums- und Wohlstandsspirale aufzugeben ermöglicht.

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Das äußere Wachstum ist schon längst begrenzt, das innere Wachstum ist grenzenlos. Größere innere Zufriedenheit wird zwar keinen hungrigen Magen stillen, aber die Bereitschaft und Fähigkeit zur gerechteren Verteilung kann wachsen. Die innere Unzufriedenheit ist dagegen eine Quelle für die Sucht nach Luxus und für eine irrationale Rüstung, die die innere Bedrohung nach außen ablenken will.

Der Prozeß der deutschen Vereinigung hat für mich deutlich gemacht, daß Politik und Wirtschaft nicht mehr den menschlichen Bedürfnissen folgen, sondern daß entfremdete Menschen mit Ersatzbedürfnissen das gesellschaftliche Leben bestimmen, das kann zu unserem Verhängnis werden.

An der Diagnose unseres Dilemmas habe ich wenig Zweifel, und ich wäre ein Tor, wollte ich die Lehren aus zwei aufeinander­folgenden, höchst abnormen totalitären Gesellschaftssystemen, die die Geschichte der Deutschen belasten, nicht begreifen. Doch welche »Therapie« ist denkbar und realistisch machbar? Ich sehe kein glaubhaftes Konzept dafür. Aber ich bin überzeugt, daß die sozialpsychologische Dimension unseres Lebens einen entscheidenden Schlüssel dafür liefert, und ich halte es für geboten, diese Dimension in Politik und Wirtschaft zu integrieren.

Die Spaltung Deutschlands hatte nicht nur die Nation geteilt, sondern auch den Menschen Gelegenheit verschafft, wichtige, aber schwer zu akzeptierende Anteile ihres seelischen und sozialen Lebens abzuspalten. Daraus wuchsen die wechselseitigen Feindbilder und Vorurteile. So wurden das Böse und das in der jeweiligen Gesellschaft nicht Lebbare projektiv über die Grenzen phantasiert. Mit der Grenzöffnung stehen wir wieder ungehindert unseren Abspaltungen gegenüber. Wir sind in Ost und West konfrontiert mit den seelischen Inhalten, die uns Angst machen und Schmerz bereiten.

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Es sind die verpönten, tabuisierten, verachteten Eigenschaften: Vor allem unsere Schuld, unser Versagen, unsere Grenzen — so auch Ohnmacht und Schwäche auf der einen Seite und Durchsetzungsfähigkeit und Individuelle Stärke auf der anderen Seite. So bietet die Vereinigung eine großartige Chance für Heil-Werden und Ganz-Sein, wenn wir zur Integration fähig wären oder uns darum bemühen würden. Doch dies geschieht kaum, statt dessen sind wir beherrscht von einem schon entschiedenen Konkurrenz­kampf.

Gemäß dem dualistischen Entweder-Oder-Verständnis der abendländischen Kultur müssen die Menschen in der ehemaligen DDR alles vergessen und aufgeben, was ihr bisheriges Leben bestimmt hat. Und die Menschen in der ehemaligen Bundesrepublik werden bestärkt in der angeblichen Richtigkeit ihrer Lebensweise. Ein Sowohl-als-auch der unterschiedlichen Erfahrungen und Sozialisationen wird auf beiden Seiten nicht gewollt. Wir bekommen alles oder nichts. (»Ihr habt es ja so gewollt, nun müßt Ihr auch alle Konsequenzen tragen!« — ist der fast schadenfrohe Ausdruck der gestauten Aggressivität eines entfremdeten Wohlstands­lebens.)

So beherrscht das abgrenzende, sich-ausschließende Konkurrenzprinzip die deutsche Einheit. Die neue Macht kommt uns in missionarischer und gewinn­orientierter Konkurrenz entgegen. Die mögliche Kooperation wird vermieden. Dafür werden vor allem Sachzwänge angegeben. Zur Kooperation würde eigene Offenheit und Wertschätzung des Anderen und Fremden gehören, aber damit müßte man sich selbst begegnen. Dann stünde nicht nur das Duckmäusertum am Pranger, sondern auch die Freiheits­vorstellung der westlichen Kultur stünde zur Disposition.

Die gefeierten Menschenrechte, die immer mehr zum isolierten und einsamen Individuum geführt haben, das sich auch noch im verzehrenden Wettkampf erschöpft, würden ihres Glanzes beraubt. Und wir wissen doch längst, daß der egoistische Erwerbstrieb, der die Marktwirtschaft in Gang hält, nicht ausreicht, um ein sinnerfülltes Leben zu führen.

Auch wenn dieses Leben äußerlich wohlhabend und mit allen unbegrenzten Möglichkeiten geführt werden kann, liegt die wirklich befreiende Zufriedenheit nur im inneren Reichtum und der Beziehungsfähigkeit. Dazu aber gehört unweigerlich die Integration abgespaltener Persönlichkeits­anteile, denn solange wir wichtige Bereiche unseres Lebens von uns fern halten, müssen wir wirkliche Beziehungen scheuen, weil in ihnen unweigerlich die Geheimnisse und Verletzungen der Seele offenbart würden. Solange wir Integration und Kooperation vermeiden, wird die deutsche Einheit eine unglückliche bleiben, die Unterwerfung, Abspaltungen, Abgrenzung oder Verschmelzung, Feindseligkeit und Gewalt erzeugt.

Was wir dringend brauchen, ist der Mut, unsere mangelnde Ganzheit zu erleiden, unsere Abhängigkeit von natürlichen Prozessen und sozialer Bezogenheit zu akzeptieren, um gemeinsam die lebens­zerstörenden Komponenten unseres Lebens zu vermindern. Wenn wir begreifen, daß es nicht um Sieg und Niederlage eines Gesellschafts­systems geht, das der Zusammen­bruch des sozial­istischen Imperiums letztlich das Symptom eines gnadenlosen Konkurrierens ist, dann können wir beginnen, Entscheidungen herbei­zuführen, um die Politik und Wirtschaft zu lebens­fördernden Formen umzugestalten.

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