Deutscher Bundestag: Drucksache 13/6610 vom 16.12.1996 Eine Garantie für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Texte von Bundestagsdrucksachen kann nicht übernommen werden. Maßgebend ist die Papierform der Drucksachen. Aus technischen Gründen sind Tabel- len nicht formatgerecht und Grafiken gar nicht in den Texten enthal- ten. Teile der Drucksachen (Anlagen), die z. B. im Kopierverfahren hergestellt wurden, fehlen ebenfalls. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS - Drucksache 13/6193 - Der Abschuß eines koreanischen Jumbos 1983 über der Sowjetunion Am 31. August 1983 wurde über Sachalin ein Flugzeug der Koreanischen Fluglinie KAL von sowjetischen SU-15-Kampfflugzeugen abgeschossen. Der zivile koreanische Jumbo stürzte ab. Alle 269 an Bord befindlichen Personen fanden den Tod. Die öffentliche Darstellung des Abschusses der KAL-Maschine hatte auf den Verlauf der in der Bundesrepublik Deutschland -- auch der im Deutschen Bundestag -- geführten Debatte um die Stationierung von US- amerikanischen "Cruise Missile"- und "Pershing 2"-Raketen einen erheblichen Einfluß: Unter Hinweis darauf, die sowjetische Luftabwehr habe wissentlich, willentlich und ohne Not ein ziviles Verkehrsflugzeug abgeschossen, wurde die sog. "Nachrüstung" als unabdingbar dargestellt. Bereits zu dem damaligen Zeitpunkt wurden in diesem Zusammenhang -- insbesondere auch in US-amerikanischen Medien (wie der "Washington Post", "International Herald Tribune" und "The Nation") -- eine Reihe von bis heute im wesentlichen unaufgeklärt gebliebenen Fakten zusammengetragen: 1. Über Jahre hinweg hat die US-amerikanische Administration den Funkverkehr der KAL-Besatzung, japanischer bzw. US-amerikanischer Bodenstationen (King Salmon, Cape Newenham und Shemya Inseln), US-amerikanischer Aufklärungsflugzeuge bzw., des aufgefangenen Funkverkehrs der sowjetischen Kampfflugzeuge mit der KAL bzw. ihren Bodenstationen nicht in vollem Umfang veröffentlicht. 2. Seit ihrem Abflug aus Anchorage/Alaska bis zum Abschußort über Sachalin (also fünf Stunden lang) wurde die KAL-Besatzung weder von der zivilen noch der militärischen Flugüberwachung der USA über die erhebliche Abweichung von ihrem Flugkurs hingewiesen bzw. zur Kurskorrektur aufgefordert. Dies, obwohl davon auszugehen ist, daß sowohl die "National Security Agency" in Fort Meade/Maryland das State Department und das Weiße Haus über das "World Wide Military Command and Control System", das "National Security Agency's Digital Network/Defense Special Security Communications System" sowie das "Critical Intelligence Communications System" von Beginn an fortlaufend und zeitgleich über die Umstände des KAL-007-Fluges informiert gewesen sind. 3. Der KAL-Jumbo änderte allerdings während seines Fluges in zwei Fällen seinen Kurs: zunächst bevor er zum ersten Mal über der Kamschatka-Halbinsel in den sowjetischen Luftraum eindrang und dort die Marinebasis Petropawlowsk überflog, in der ca. 50 % des sowjetischen seegestützten nuklearen Abschreckungspotentials stationiert war. Unweit der sowjetischen Halbinsel Sachalin (20 Minuten vor ihrem Abschuß zu einem Zeitpunkt, als sowjetische Abfangjäger die KAL 007 zum Beidrehen bewegen wollten) vollzog der KAL-Jumbo erneut eine Wendung. Die KAL-Maschine bewegte sich allerdings auch jetzt nicht in Richtung ihrer zivilen Flugroute. Vielmehr drehte das koreanische Flugzeug um 240 Grad ab -- in Richtung der sowjetischen Militärbasen auf Sachalin bzw. Wladiwostock. 4. Für die Abendstunden des 31. August 1983 plante die UdSSR über der im Fernen Osten gelegenen Halbinsel Kamschatka einen Test ihrer neuen Interkontinentalrakete SS-X-25. Aufgrund dieses Raketentests befanden sich die US-Armee sowie die US-amerikanischen Nachrichtendienste in dieser Region in höchster Alarmbereitschaft. Nicht weniger als sieben militärische Aufklärungsflugzeuge des Typs RC-135 flogen am 31. August 1983 im Bereich der fernöstlichen Küsten der Sowjetunion. Eine dieser RC-135-Aufklärungsflugzeuge flog 30 Minuten vor dem ersten Eindringen der KAL 007 in den sowjetischen Luftraum (über Kamschatka) für einen Zeitraum von zehn Minuten parallel und in einem so geringen Abstand zum koreanischen Zivilflugzeug, daß die sowjetische Flugabwehr beide Flugzeuge auf ihren Radarschirmen nicht mehr auseinanderhalten konnte. Nunmehr wurde in der "Zeit" vom 4. Oktober 1996 ein Schreiben des damaligen Direktors des Fernsehprogramms der "US Information Agency", Alvin Snyder, veröffentlicht. Darin heißt es: "Vor dreizehn Jahren wurde ich zu einem geheimen Treffen im State Department gerufen, um eine Fernsehproduktion zu besprechen (. . .) Ich sollte (. . .) ein Video herstellen, das dem UN-Sicherheitsrat vorgeführt werden sollte. Es ging um den Flug 007 der Korean Airline (. . .) Jede Minute dieser Verfolgungsjagd und des Abschusses war von amerikanischen Aufklärungsstationen nahe der sowjetischen Grenze beobachtet worden. Wir machten aus dem Band einen raffinierten Kurzfilm, der am 6. September dem Sicherheitsrat vorgeführt (. . .) wurde. (. . .) Das Video war eindringlich überzeugend -- und eine Fälschung (. . .) Der Film sollte die Glaubwürdigkeit der Sowjets in Frage stellen, um so die Bemühungen des Kreml zu untergraben, die europäischen Nato-Partner von der atomaren Nachrüstung abzubringen. In den letzten Jahren ist jedoch zusätzliches Material verfügbar geworden, aus dem deutlich wird, daß ich damals unvollständige Informationen erhalten habe: ausgewählte Äußerungen der Piloten und gar keine der Fluglotsen. Die vollständigen Abhörprotokolle zeigen, daß die Russen der Überzeugung waren, der Flug 007 sei ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug des Typs RC-135, die routinemäßig in dieser Gegend flogen. Im 1993 veröffentlichten Abschlußbericht der Internationalen Zivilen Luftfahrtbehörde erfuhr ich nun, was mir damals vorenthalten wurde: Amerikanische Beamte kannten die Protokolle. Aus ihnen geht hervor, daß Major Osipowitsch (der die KAL-Maschine abschoß, Anm. U. J.) das Flugzeug nicht identifizieren konnte [und] international übliche Landeaufforderungen [versucht hatte]. Frühere amerikanische Beamte, die an der Vertuschung beteiligt waren und auf Anonymität bestehen, haben mir gesagt, daß uns diese Informationen bewußt vorenthalten wurden." 1. a) Ist der Bundesregierung der Abschlußbericht der Internationalen Zivilluftfahrtbehörde von 1993 bekannt, und wenn ja, seit wann? b) Wo ist dieser Bericht veröffentlicht bzw. den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages zugänglich gemacht worden? c) Was sind die wesentlichen Inhalte dieses Berichtes? d) Geht aus diesem Bericht hervor, daß amerikanische Beamte die vollständigen Abhörprotokolle bereits zu dem Zeitpunkt der Sicherheitsrats-Tagung am 6. September 1983 kannten, ihr Wissen aber dem Sicherheitsrat nicht mitteilten bzw. daß Major Osipowitsch die KAL 007 nicht identifizieren "konnte", wie auch, daß er gegenüber der KAL-Besatzung international übliche Landeaufforderungen versucht hatte? a) Der Abschlußbericht der Internationalen Zivilluftfahrtbehörde (ICAO) ist der Bundesregierung seit Juni 1993 bekannt. b) Die ICAO hat den Bericht mit Schreiben vom 16. Juli 1993 den Mitgliedstaaten übermittelt. Für eine Veröffentlichung bzw. Zuleitung an das Parlament bestand keine Veranlassung. c) Nach dem Start in Anchorage, Alaska, mit Kurs 245 entsprechend der Anweisung der US-Flugsicherung entfernte sich der Flug KE 007 in westlicher Richtung immer weiter vom im Flugplan angegebenen und von der Flugsicherung freigegebenen Luftstraßensystem. KE 007 durchflog die Flugüberwachungszone Alaskas sowie die militärische Pufferzone Alaskas und überflog im sowjetischen Luftraum den Nordosten der Halbinsel Kamchatka mit Richtung auf die Insel Sachalin. Die gleichzeitige Anwesenheit eines US-amerikanischen Aufklärungsflugzeugs vom Typ RC-135 im Nordosten der Halbinsel Kamchatka führte zu der Annahme durch die sowjetische Luftabwehr, daß es sich bei dem koreanischen Flugzeug um eine RC-135 handelte. Von dieser Annahme ging die sowjetische Luftabwehr trotz einiger Zweifel an der Identität des Luftfahrzeuges bis zum Zeitpunkt des Abschusses aus. Es gab keine Anzeichen, daß die Besatzung von KE 007 bewußt vom im Flugplan angegebenen Kurs abgewichen ist bzw. sich zu irgendeinem Zeitpunkt einer Abweichung bewußt war. Die an Bord von KE 007 befindliche Navigationsausrüstung war in offensichtlich lufttüchtigem Zustand und funktionsfähig bis zum Abschuß. d) Die Frage ist bezüglich der drei Anstriche zu verneinen. Allerdings wird im Bericht erwähnt, daß die zuständigen russischen Stellen KE 007 nicht zweifelsfrei identifizieren "konnten". 2. In welcher Form hat die Bundesregierung zu diesem Abschlußbericht der Internationalen Zivilluftfahrtbehörde Stellung genommen? In welchen Punkten führte dieser Abschlußbericht zu einer Änderung diesbezüglicher Stellungnahmen der Bundesregierung aus den Jahren 1983 bzw. 1984? Der Vertreter der Bundesregierung im Rat der ICAO hat der am 14. Juni 1993 einstimmig angenommenen Entschließung des Rates der ICAO zugestimmt, mit der der Abschlußbericht der ICAO entgegengenommen und die Untersuchung für beendet erklärt wurde. In den Jahren 1983 bzw. 1984 sind keine vergleichbaren Stellungnahmen der Bundesregierung abgegeben worden; insoweit hat der Abschlußbericht der ICAO zu keiner Änderung diesbezüglicher Stellungnahmen der Bundesregierung geführt. 3. Hat sich die Bundesregierung darum bemüht, die vollständigen Abhörprotokolle bezüglich des Fluges und Abschlusses der KAL 007 zu erhalten? a) Liegen der Bundesregierung diese Dokumente vollständig vor? b) Wenn ja, seit wann und wo sind diese Protokolle veröffentlicht bzw. den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages zugänglich gemacht worden? c) Läßt sich aus diesen vollständigen Abhörprotokollen feststellen, daß die sowjetische Armee die KAL 007 bis zu dessen Abschuß tatsächlich für ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug des Typs RC-135 hielt? Nein, dies war Aufgabe der die Untersuchung führenden ICAO. a) Soweit die Umschriften der Abhörprotokolle im Abschlußbericht abgedruckt sind, liegen diese der Bundesregierung vor. b) Vergleiche Antwort zu Frage 1 b). c) Vergleiche Antwort zu Frage 1 c). 4. Mit welchen anderen Mitteln hat die Bundesregierung (z. B. über den Bundesnachrichtendienst) versucht, den -- die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland berührenden -- Abschuß der KAL 007 bzw. die hierbei offen gebliebenen Fragen (s. o.) aufzuklären? Zu welchen Ergebnissen führten diese Aufklärungsbemühungen der Bundesregierung, und wann und in welcher Form sind welche Gremien des Deutschen Bundestages hierüber informiert worden? Die Bundesregierung wird dazu ggf. in der Parlamentarischen Kontrollkommission Stellung nehmen. 5. Ist der Bundesregierung das Schreiben des Alvin Snyder bzw. ähnliche Bekenntnisse bekannt, und wenn ja, seit wann? a) Kann die Bundesregierung bestätigen, daß dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 1983 ein -- nunmehr offenkundig -- unzutreffendes Ton-/Videodokument vorgespielt worden ist? b) Seit wann ist der Bundesregierung dieser Umstand bekannt? c) Hat die Bundesregierung bis heute zu diesem Fakt öffentlich Stellung bezogen, und wenn nein, warum nicht? 6. In welcher Form gedenkt die Bundesregierung auf die nunmehr offenkundige Tatsache zu reagieren, daß dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 1983 ein manipuliertes, die Wirklichkeit unzutreffend wiedergebendes, Ton-/Videodokument vorgespielt worden ist? a) Hat die Bundesregierung darauf gedrängt bzw. wird sie darauf drängen, daß den Vereinten Nationen von der US-amerikanischen Regierung nicht nur ein nicht-manipuliertes Ton-/Videodokument, sondern darüber hinaus der gesamte diesbezügliche Funkverkehr im oben beschriebenen Sinne zur Verfügung gestellt wird? b) Wird die Bundesregierung auf eine erneute Untersuchung der gesamten Vorgänge oder auch nur von Teilaspekten des KAL-Abschusses durch die VN hinwirken, und wenn nein, warum nicht? Das Schreiben von Alvin Snyder ist der Bundesregierung nur als Presseveröffentlichung bekannt. Die Behauptungen, die dort erhoben werden, insbesondere der Vorwurf einer bewußten Täuschung der Öffentlichkeit mit Hilfe einer gefälschten Fernsehproduktion, können von der Bundesregierung nicht bestätigt werden. Allein aufgrund spekulativer Verdachtsmomente wird die Bundesregierung nicht auf die Vorlage einer neuen Ton-/Videoproduktion drängen oder auf eine erneute Untersuchung des Vorganges durch die VN hinwirken. Es liegen der Bundesregierung darüber hinaus auch keine Erkenntnisse vor, daß andere Staaten, einschließlich der Beteiligten, aufgrund der zitierten Pressemeldungen eine Wiederaufnahme der Untersuchung in den VN anstreben. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 11. Dezember 1996 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich -- in kleinerer Schrifttype -- den Fragetext. 16.12.1996 nnnn