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Hinweise zur Benutzung

 

 

 

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Das diesem Wörterbuch zugrundeliegende Material stammt hauptsächlich aus drei verschiedenen Quellen: Aufzeichnungen des Autors aus der Zeit seines eigenen Wehrdienstes (Eggesin 1981; MSR 28, Rostock, 1981-84), Befragungen ehemaliger Wehrdienstleistender und Zuschriften auf eine öffentliche Umfrage in den Zeitungen und Zeitschriften Anfang der 1990er Jahre. Außerdem wurde die Literatur ausgewertet: sowohl Erzählwerke aus dem Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik als auch kritische belletristische und essayistische Werke, die erst nach der Wende erscheinen konnten.

In das Wörterbuch aufgenommen wurden ohne Auswahl sämtliche als soldatensprachlich zu erkennenden Lexeme, die wenigstens einmal glaubhaft belegt und in der Verwendung nicht zu stark auf einen kleinen Kommunikations­bereich eingeschränkt waren. In Ausnahmefällen wurden auch charakteristische Einmalprägungen (z.B. Biergefreiter, Broilereck) und Lexeme zweifelhafter Herkunft aufgenommen. Wörter und Wendungen, die der allgemeinen Umgangssprache entstammen, wurden erfaßt, wenn sie durch die Häufigkeit der Verwendung oder durch Gebrauchsbesonderheiten deutlich als Bestandteile der Soldatensprache zu erkennen waren. Interferenz­erscheinungen zwischen der Soldatensprache und der Umgangssprache sind vielfach belegt, ohne daß im einzelnen die Entlehnungsrichtung nachzuvollziehen war. Das Wörterbuch beschränkt sich auf die Feststellung der Lexeme und ihre Zuordnung zur Soldatensprache.

Hauptbestandteil des Buches ist das Glossar, in dem die Lexik der DDR-Soldatensprache erfaßt und knapp erklärt wird. Abkürzungen sind am Anfang der den einzelnen Buchstaben gewidmeten Kapitel angeordnet. Komposita, deren erstes Glied ein Kurzwort ist, werden im Anschluß an das Kurzwort nacheinander aufgelistet. Aus dem allgemeinen Teil herausgezogen und gesondert noch einmal zusammengefaßt sind, jeweils in repräsentativer Auswahl, Numeralia und Toponyme (Ortsnamen). Außerdem werden im Anhang Lieder, Sprüche, Witze und Dokumente dargeboten.

In einem besonderen Teil des Wörterbuchs ist eine Auswahl der Lexik der DDR-Militärsprache zusammengestellt, ohne daß die einzelnen Lexeme erläutert wurden. Durch Verweisungen auf die Stichwörter im allgemeinen Teil werden die Beziehungen zwischen der Militärsprache und der Soldatensprache aufgezeigt, soweit sie auf diese Weise zu beschreiben sind. Eine vollständige Darstellung der Beziehungen zwischen der Militärsprache und der Soldatensprache ist allerdings nicht möglich gewesen. Zahlreiche militärsprachliche Lexeme haben keine Entsprechungen in der Soldatensprache im engeren Sinne gefunden. 

Durch die Verweisungen auf den soldatensprachlichen Teil des Wörterbuchs erhält dieser Anhang zusätzlich die Funktion eines Registers. Die einzelnen Stichwörter enthalten Angaben zu den grammatischen Merkmalen, zur Bedeutung, zu Gebrauchs­besonder­heiten und typische Beispiele.


Wo Lexeme in der Verwendung auf sprachliche Stereotype eingeschränkt waren, wurden nur diese Stereotype verzeichnet. Die Etymologie wird nur in besonderen Fällen erklärt. Dabei wurde berücksichtigt, daß Besonderheiten der DDR-Sprache für Benutzer erläutert werden müssen, die nicht mit den Einzelheiten des DDR-Alltags vertraut sind. In Einzelfällen wurden auch Erläuterungen zur Geschichte von Lexemen oder Hinweise auf charakteristische Quellentexte angegeben, insbesondere, wo die Tradition der deutschen Soldatensprache in ihren verschiedenen Epochen sichtbar wird. Fakultative Bestandteile von Lexemen und Varianten sind in runden Klammern angegeben, zusätzliche Erläuterungen in eckigen Klammern.

Das Wörterbuch folgt der von den Sprachträgern verwendeten gebräuchlichen Schreibweise, wie sie den Quellen zu entnehmen war, auch wo diese nicht mit den derzeit gültigen orthographischen Regeln übereinstimmte. Typisch für die DDR-Soldatensprache war beispielsweise die Verwendung des Apostrophs in EK’s, GV’s usw., niemand hätte EKs bzw. GVs geschrieben. Sämtliche in den Zuschriften übermittelten Schreibvarianten wurden dokumentiert, sofern sie nicht als eindeutige Fehler auszumachen waren.

 

  Lieder und Sprüche  

Im Anhang ist eine Auswahl von Liedtexten und Sprüchen zusammengestellt, die von den Wehrdienst­leistenden tradiert wurden bzw. die in ihrem Leben eine besondere Bedeutung hatten. Der Abdruck erfolgt jeweils in der uns mitgeteilten Textfassung, lediglich eindeutige Versehen wurden berichtigt. Bei populären Liedern und Marschliedern sind Textstellen mit Signalfunktion hervorgehoben. Nicht in allen Fällen konnten die Urheber bzw. die Vorbilder ermittelt werden.

Populäre Lieder und Schlager wurden laut gesungen oder gegrölt, mitgesungen und in Radio-Wunschsend­ungen zu besonderen Tagen bestellt. Meist waren es einzelne Wörter oder Textabschnitte, die für die Wehrdienstleistenden Signalfunktion hatten, und die dann auch entsprechend hervorgehoben wurden. Auf ähnliche Weise wurden auch beim Marschgesang Wörter wie Heimat und Freiheit besonders betont. Besonders beliebt waren Schlager, in denen es um eine gewisse Anzahl von Tagen bis zu einem besonderen Ereignis ging. Die Tageszahl wurde dabei oft ausgetauscht. Rundfunksender wie RIAS Berlin hatten sich darauf eingestellt, an den entsprechenden Tagen die passende Musik zum Fest zu liefern — etwa »99 Luftballons« von Nena oder »Sieben Mal Morgenrot, sieben Mal Abendrot« von Andreas Holm.

Sehr zahlreich sind meist die Varianten der tradierten Lieder, Liedfragmente und Sprüche, von denen in der Regel Autoren nicht bekannt sind. Sie enthalten Versatzstücke, die auf unterschiedliche Weise kombiniert und den jeweiligen ortsspezifischen Bedürfnissen angepaßt wurden. Teilweise sind diese Texte nur fragmentarisch erhalten.

Autorenlieder hatten in der Regel eine geringere Verbreitung. Da die Texte oft anonym überliefert sind, waren Autorenlieder mitunter nicht eindeutig von den tradierten Liedern zu unterscheiden.

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Charakteristisch sind Adaptionen bekannter Lieder und Schlager und Kontrafakturen offizieller Lieder. »Grün ist meine Waffenfarbe, die so stolz ich trag. ...« heißt es in einem Lied von Werner Karnstedt und Rolf Zimmermann, das in den Grenztruppen zum Marschgesang befohlen wurde.1 Im Soldatenmund wurde daraus: »Grün, das ist ’ne Affenfarbe, die ich nicht vertrag ...«.

Es kam vor, daß solche Textversionen selbst beim Marschgesang untergeschummelt wurden. Merkte der kommandierende Offizier oder Unteroffizier etwas, wurde nach Dienstschluß Strafexerzieren angesetzt. Dabei kam es oft zu einem verzweifelten Machtkampf, der nicht selten unentschieden endete.

Runde um Runde marschierte die Kompanie um den Ex-Platz, wobei die unterschiedlichsten Einlagen befohlen wurden, zu den gewöhnlichsten gehörten Gas, Ex-Schritt, Laufschritt, Stellung. War ein einzelner Querulant auszumachen, mußte er Sputnik laufen. Aber was macht man, wenn die ganze Truppe rebelliert? Die Soldaten wehrten sich gegen den ihnen aufgezwungenen Gesang und die Texte, die ihr Lebensgefühl beleidigten, durch alle möglichen Arten von Textentstellung, aber auch durch falsche Betonungen oder Überbetonung besonderer Textstellen. So wurden die Worte »Heimat« und »Freiheit« überbetont herausgeschrien. Es kam auch vor, daß der Marsch auf dem rechten statt auf dem linken Fuß betont wurde. Aus einer Einheit wurde berichtet, man habe im ¾-Takt marschiert — der begleitende Unteroffizier merkte zwar, daß etwas nicht stimmte, konnte aber nichts machen.

In einem besonderen Anhang wurde eine Auswahl charakteristischer Sprüche zusammengestellt. Weitere Sprüche sind unter den jeweiligen Stichwörtern verzeichnet. Bei den Sprüchen handelt es sich meist um einfach gereimte Zwei- oder Vierzeiler. Eine besondere Form waren die Wechselrufe nach dem Muster »EK’s wo seid ihr?«, bei denen einer als Vorrufer nacheinander eine feststehende Reihe von Fragen rief und die ganze Meute lautstark darauf antwortete. So ein Wechselruf konnte mehrfach nacheinander wiederholt werden, wobei sich die Lautstärke und das Pathos immer mehr steigerten und schließlich alles in einem nicht mehr zu übertreffenden infernalischen Gebrüll der wichtigsten Worte endete: »Nach Hause!«  

 

Witze

Wie überall in der DDR gab es auch in der Armee eine blühende Witzkultur. Im Anhang ist eine Auswahl von gängigen Witzen wiedergegeben, wie sie in den Kasernen erzählt wurden. Ausgewählt wurden hauptsächlich Beiträge zu den Themenbereichen Militär und Politik. Die Witze stammen aus denselben Quellen wie das lexikalische Material dieses Wörterbuchs. Über die Herkunft einzelner Witze ließen sich also keine Aussagen treffen. Auffällig ist wiederum eine ganze Reihe von Witzen, die hauptsächlich von Vorgesetzten und Offizieren im Verkehr mit den Mannschaften oder untereinander verwendet wurden (Offizierswitze). Der Übergang zu den Sprüchen, zur Kurzprosa und zum Wortwitz ist fließend.

1)  Heimat, dich werden wir hüten. Ein Liederbuch für den Marschgesang, hg. von Oberst Erhard Schröder und Major Günter Rudolph, Berlin: Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1978, S. 76-77. 

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Probleme

 

Neben den bereits geschilderten speziellen Problemen sind einige generelle Schwierigkeiten aufgetreten, die im Rahmen dieses Wörterbuchs nicht oder nicht befriedigend gelöst werden konnten. Sie sollen hier wenigstens kurz benannt werden.

Mit den Mitteln des Wörterbuchs schwer darstellbar ist das schillernde Diapason von Bedeutungsnuancen und Konnotationen zahlreicher Lexeme, die sich je nach Situation auf unterschiedlichste Weise realisieren konnten. Der Inhalt einer Sprachhandlung wird nicht allein durch die Bedeutung der gesprochenen Wörter determiniert, sondern auch durch das Verhältnis, in dem die Kommunikationsteilnehmer zueinander stehen. Auch die komplizierte Struktur der Soldatensprache, die sowohl die hierarchische als auch die Einheitsstruktur der Streitkräfte widerspiegelt, entzieht sich einer differenzierten Beschreibung. 

Eine besondere Schwierigkeit lag in der denotativen Unbestimmtheit zahlreicher Wörter, in der Tendenz der Loslösung der Wortkörper von ihren Inhalten bis zur völligen inhaltlichen Bedeutungslosigkeit. Insbesondere Schimpfwörter traten oft ohne erkennbaren Denotatsbezug auf und realisierten nur noch die beleidigende Funktion. So erklärt es sich auch, daß einzelne Wörter in verschiedenen Einheiten teilweise sogar mit gegensätzlicher Bedeutung verwendet werden konnten. Sackstand bedeutete in einigen Einheiten ›Unruhe, anstrengender Dienst‹, in anderen genau das Gegenteil.

Auch aus einem anderen Grund ist der dokumentarische Wert einzelner Wörter eingeschränkt. Oftmals wurden bestimmte Vorkommnisse weitererzählt, ohne daß die Soldaten selbst an dem Geschehen, von dem sie berichteten, teilgehabt hätten. Gerade die aufsehenerregendsten, exzeptionellen Fälle tendieren ja am meisten zur Legendenbildung. Gar nicht zu entscheiden ist aufgrund der Quellenlage, ob ein Begriff tatsächlich erlebtes oder nur von anderen mitgeteiltes Geschehen bezeichnet. Musikbox und Schildkröte hat es zweifellos gegeben, ich selbst kannte sie aber nur vom Hörensagen.

Ein weiteres Problem waren die nichtsprachlichen Zeichen, die verwendet wurden und die mit der Soldatensprache in einem engen Zusammenhang standen. Gesten und Handzeichen konnten Äußerungen begleiten und bekräftigen, in einigen Fällen konnten sie anstelle von Äußerungen verwendet werden, in einigen Fällen hatten sie keine verbalen Pendants. Unter streng lexiko­logischem Gesichtspunkt sind auch Wörter wie Zahnbürste, Rasierklinge, Koppelschloß, Lottoschein oder Flecken­entferner weder unter inhaltlichem noch unter konnotativem Gesichtspunkt als soldatensprachlich zu beschreiben.

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Daß ein Soldat von seinem Spieß, der sich so gern als Mutter der Kompanie gerierte, beauftragt wurde, das Klobecken mit seiner Zahnbürste zu schrubben, macht die Zahnbürste noch nicht zu einem Objekt der Philologie. Wo sich mit Wörtern solche besonderen Vorstellungen verknüpften, die sich beschreiben ließen, habe ich nicht auf die Aufnahme ins Wörterbuch verzichten wollen.

Da es sich bei der DDR-Soldatensprache hauptsächlich um eine gesprochene Sprache handelte, die nur ausnahmsweise zur Schriftform gelangte, war die Schreibung von Wörtern oft nicht bekannt, selbst bei offiziellen oder halboffiziellen Lexemen waren teilweise Variationen zu beobachten. Auch über die Herleitung und die genaue Bedeutung von Wörtern konnten die Befragten oftmals keine Auskunft geben.

Abgesehen davon, daß Vollständigkeit in der Verzeichnung des lexikalischen Materials einer Sprache kaum möglich ist, sind auch aus systematischen Gründen Fehlstellen nicht zu vermeiden. Da die Untersuchung empirisch geführt wurde, durften Widersprüche nicht nivelliert, Lücken nicht ausgefüllt werden. Zahlreiche Bräuche haben überhaupt keine Spuren in der Sprache hinterlassen. 

Außerdem wurden Begriffe, die es gab, nicht wahrgenommen und folglich auch nicht gemeldet, da sie als selbstverständlich angesehen wurden. Schließlich war die Zahl der Beiträger verhältnismäßig klein. Dennoch kann man davon ausgehen, daß der wesentliche, am meisten verbreitete Wortschatz durch die angewendete Methode erfaßt werden konnte. 

Bei der Bezeichnung konkreter Sachverhalte wurde das begriffliche Dilemma deutlich. Es gab einfach keine passenden Begriffe, etwa für die Gruppe von Gegenständen, die hier Idole genannt worden sind. Kameradenschikane und Kameradenjustiz sind verwendet worden, um häufige Formen der Interaktion zwischen den Soldaten zu beschreiben, die allerdings überhaupt nichts mit Kameradschaft zu tun hatten. Ähnlich verhält es sich mit EK-Belustigung. Was für die einen Scherz und Spiel zu sein schien, war für andere, die darunter zu leiden hatten, die schlimmste Schikane und Quälerei. 

Die lange Entstehungszeit des Wörterbuchs brachte es mit sich, daß der Gegenstand, der hier zur Darstellung gelangt, inzwischen historisch geworden ist, also auch als etwas Vergangenes dargestellt werden muß. Das zog die Notwendigkeit eines Wechsels des grammatischen Tempus nach sich, was in vielen Fällen jedoch nicht konsequent verwirklicht werden konnte. Nicht jedes Präsens kann ohne Sinnverlust durch Präteritum ausgewechselt werden.

Ich habe versucht, auf ein generelles (historisches) Präsens oder auf tempusneutrale Darstellungsformen auszuweichen, was aber in vielen Fällen auch nur eine Notlösung war, manchmal gar nicht funktionierte. Einheitlichkeit auf diesem Gebiet war nicht zu erreichen, denn die Soldatensprache kennt keine Tempora, sie ist eine Sprache der Gegenwart ohne Vergangenheit und Zukunft.

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