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8  Vom Jungbrunnen trinken 

  Zum Muskeltraining 

 

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Manchmal denke ich an einen längst verstorbenen Franzosen namens Brown-Sequard, der seinen hervorragenden Ruf als Vertreter der medizinischen Wissen­schaft praktisch über Nacht verspielte, als er voller Stolz berichtete, er habe eine Behandlungsmethode entdeckt, mit der sich bestimmte Auswirkungen des Alterns abwenden ließen, insbesondere diejenigen, die die sexuelle Leistungsfähigkeit beträfen.

Brown-Sequard wurde 1817 auf der Insel Mauritius geboren. Sein Vater war Amerikaner, seine Mutter Französin. Er war ein brillanter Wissenschaftler, der im Lauf seiner Karriere viele bemerkenswerte Beiträge zum Verständnis des Nervensystems und des Stoffwechsels lieferte. In Anerkennung dieser und anderer bedeutender wissenschaftlicher Leistungen wurde er 1878 zum Professor für experimentelle Physiologie am <College de France> ernannt. 

Ihm und Claude Bernard, seinem Vorgänger auf diesem Lehrstuhl, wird die Einführung des Gedankens zugeschrieben, dass Hormone, die Protein­verbindungen, die von Drüsen ohne spezielle Ausführungsgänge in den Blutstrom abgegeben werden, einen großen Teil der Funktionsweise der inneren Organe regulieren. Brown-Sequard war von der Rolle der Hormone bei der Kräftigung des Tierkörpers und dessen funktioneller Stabilisierung so beeindruckt, dass er mit ihnen zu experimentieren begann und sich dabei die Wiederentdeckung der Jugend zum Ziel setzte.

Im Alter von 72 Jahren berichtete er 1889 an die französische Akademie der Wissenschaften, dass er Selbstversuche zur Verjüngung seines Körpers ausgeführt habe. Dafür hatte er Meerschweinchen- und Hundehoden zermahlen und sich eine Lösung der durch diese Methode erhaltenen Flüssigkeit injiziert. Innerhalb von drei Tagen nach dem Beginn dieser Behandlung, so prahlte er, »hatte ich zumindest meine frühere Kraft ganz wiederhergestellt. [...] Meine Verdauung wie auch die Darmtätigkeit haben sich ebenfalls erheblich verbessert. [...] Auch geistige Arbeit fällt mir jetzt leichter als in den letzten Jahren.« Und er fügte hinzu, dass er seine Manneskraft wiedererlangt habe.

Leider half die Injektion derselben Substanz in die Körper anderer Menschen niemandem außer Brown-Sequard selbst. Der Hodenextrakt mag auch ihm nicht sehr viel geholfen haben, denn er starb fünf Jahre später, ohne in der Zwischenzeit auch nur den geringsten objektiven Beweis geliefert zu haben, dass er durch seine Versuche irgendetwas außer dem normalen Alterungsprozess eines über Siebzigjährigen erreicht hatte.

Brown-Sequards Versuch, seine Jugend wiederzuerlangen, wurde zu einem so häufig bemühten Zielobjekt des Spotts, dass dadurch sein wissenschaftliches Erbe in den Schmutz gezogen wurde. Das hielt aber andere nicht davon ab, sich auf ähnliche Unternehmungen einzulassen, bei denen Hoden- oder Eierstock­extrakte verwendet oder die entsprechenden Organe sogar implantiert wurden. Einige der Experimentatoren waren erfahrene Wissenschaftler, aber auf diesem Gebiet tummelten sich auch dubiose Gestalten auf der Suche nach dem schnellen Geld. 

Ein Scharlatan aus Kansas namens C. Brinkley wurde reich, indem er vielen dieser leichtgläubigen Dummköpfe, die niemals aussterben, Keimdrüsen von Ziegenböcken einsetzte, mit denen nicht nur Alterserscheinungen und Impotenz, sondern auch noch hoher Blutdruck bekämpft werden sollten. In den wirtschaftlich schwierigen, zugleich aber auch an Erfolgsgeschichten reichen zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts konnte alles entlarvende Geschrei von Ärzten und Presse den Stern dieses Mannes nicht zum Verblassen bringen.

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Er stieg hoch am Firmament empor, und Brinkley kandidierte schließlich sogar für den Gouverneursposten in seinem Bundesstaat und betrieb dabei Wahlkampf über einen eigenen Radiosender. Es gibt nicht den geringsten Beweis dafür, dass irgendwelche Tierhoden, -eierstöcke oder ähnliches implantiertes oder injiziertes Tiergewebe jemals auch nur einem einzigen Mann oder einer einzigen Frau die Rückkehr zur Jugend oder sexuellen Potenz ermöglicht hätten. Noch führten solche Eingriffe zu irgendeinem der anderen Ziele, deren Erreichen so wünschenswert wäre. Niemandes Alterungsprozess wurde gestoppt, und niemand wurde jünger.

Der Grund, aus dem mir Brown-Sequard manchmal in den Sinn kommt, ist eine denkwürdige Unterhaltung, die ich vor etwa sechs Jahren mit einem ehemaligen Kommilitonen aus meiner Collegezeit führte, den ich jahrzehntelang nicht gesehen hatte. Wir stellten damals die üblichen Vergleiche zwischen unserer früheren jugendlichen Kraft und der Jetztzeit an, die von eingerosteten Gelenken und dem Kampf gegen einen bedrohlich anwachsenden Bauch­umfang geprägt war. 

Da erwähnte mein Gesprächspartner beiläufig, in wenigen Tagen werde er sich ein Penisimplantat einsetzen lassen. Er war seit mehr als einem Jahr verwitwet, hatte die unwiderstehlichen Reize sehr viel jüngerer Frauen entdeckt und dabei festgestellt, dass seine sexuelle Leistungsfähigkeit so unzuverlässig war, dass er entschlossen war, etwas gegen dieses Problem zu tun. 

Zu diesem Zeitpunkt lag unser Collegeabschluss etwa fünfzig Jahre zurück, und ich dachte laut über die Frage nach, wie viele Männer unseres doch recht fortgeschrittenen Alters sich wohl einer solchen Prozedur unterzogen hätten. Mein Studienkollege antwortete, sein Urologe habe ihm versichert, er sei längst nicht der älteste Patient auf der OP-Liste des Krankenhauses. Sein nächster Satz ließ mich dann erstmals an Brown-Sequard denken. »Es ist nicht der Sex an sich«, sagte er. »Es ist das Gefühl, dass ich dem Alter nicht nachgebe.« In diesem Augenblick betrachtete ich meinen einstigen Studienfreund genauer und stellte fest, dass er ein Toupet trug.

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Wenig später in dieser kurzen Unterhaltung sagte er noch, er wisse, dass ich den Mann gekannt hätte, der die Vorrichtung erfunden hatte, von der er sich ein berechenbares und befriedigendes Sexualleben versprach. Natürlich kannte ich diesen Mann, und daran hängt - wenn ich so sagen darf - eine Geschichte, die man als Warnung betrachten kann. Die Geschichte und die Warnung stehen in einem gewissen Zusammenhang zu dem, was mir mein Studienkollege damals gerade erzählte, denn sie dreht sich um die Suche nach dem Beweis dafür, dass uns die Jugend noch nicht ganz verlassen hat. 

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Frank Scott, wie wir den späteren Implantaterfinder damals nannten, gehörte in der medizinischen Fakultät meinem Studienjahr an und war schon damals eine bemerkenswerte Erscheinung. Ich war sofort von dieser Persönlichkeit fasziniert, und der Hauptgrund dafür war ein einzigartiges Charisma, von dem ich bis dahin nur gelesen und das ich, abgesehen von Filmen und einigen Büchern über den Wilden Westen, so noch nie persönlich erlebt hatte. 

Frank war knapp 1,85 Meter groß und, obwohl durchaus breitschultrig, von magerer Gestalt. Er war an Taille und Hüften schmal gebaut, wie der Cowboy aus der Literatur, dem er glich, und hatte kleine, aber durchdringende Augen. Er sah stets so aus, als würde er in eine heiße, tief über den Beifußstauden stehende Sonne schauen und sich dabei zu vergewissern suchen, dass auch nicht ein Tier aus seiner Longhorn-Herde verlorenging. Er kam zwar aus San Antonio, doch die Aura von ganz Südzentraltexas passte zu ihm wie ein breitkrempiger Cowboyhut. Wenn nicht schon sein gesamtes Erscheinungsbild die texanische Herkunft verraten hätte, der Akzent tat es bestimmt: Er pflegte eine meist sanfte und langsame Sprechweise, doch seine Stimme konnte manchmal auch wie ein Peitschenknall klingen, wenn er mit einem schwerfälligen Kommilitonen die Geduld verlor oder wenn ihm ein Arbeitsauftrag unsinnig vorkam. 

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Seine Fähigkeit, den Tonfall innerhalb eines Augenblicks von lakonisch auf scharf umstellen und dies sofort wieder rückgängig machen zu können — nachdem er zwischendurch seine Beute im Stil einer Klapperschlange attackiert hatte —, faszinierte mich von all seinen besonderen Eigenschaften am meisten. Außerdem verfügte er über ein starkes texanisches Selbstbewusstsein, das manche Leute als Selbstgefälligkeit bezeichneten. 

Normalerweise war er das einnehmendste und bestgelaunte Menschenkind, doch in einer anderen Zeit konnte man ihn sich auch als flinken und selbst­sicheren Pistolenschützen vorstellen, der stets schussbereit war und nach einer Auseinandersetzung zügig vom Schauplatz schritt, um die Arbeit zu Ende zu bringen, von der er durch das Ärgernis, dessen er sich gerade eben entledigt hatte, vorübergehend abgelenkt worden war. Frank Scott schien stets zu wissen, was er wollte, und bewies bei der Verfolgung seiner Ziele einen untrüglichen Instinkt. Er war jederzeit in Bewegung, hatte immer zu tun, und für Verzögerungen fehlte ihm die Geduld.

Frank war mit einer Kommilitonin verheiratet, einem hochintelligenten und klassisch schönen Mädchen aus Texas namens Shirley. Ihre Geduld und Sanftmut waren so ausgeprägt wie seine Unnachgiebigkeit und Kompromisslosigkeit. Shirley gab, wie so viele andere junge Frauen in jener Zeit, die eigenen Karriere­ambitionen auf, um ihren Mann zu unterstützen. Während ihrer vier Jahre in New Haven arbeitete sie in mehreren Sekretärinnenjobs an der medizinischen Fakultät. Ich erinnere mich nicht an die finanziellen Verhältnisse des Paares in jener Zeit, kann mir aber kaum vorstellen, dass diese sich sehr stark von den Zuständen unterschieden, in denen wir anderen fast alle lebten, die wir kaum mit unserem Geld auskamen, in Zeiten, in denen es nur wenig finanzielle Unterstützung oder Kredite gab. 

Es war ein hartes Leben, aber die meisten von uns waren trotz dieser Umstände dennoch irgendwie erfolgreich. Die Scotts arbeiteten eng zusammen. Selbst Franks Härte konnte nicht vertuschen, wie sehr er Shirley liebte, ihr Leben wiederum drehte sich ganz und gar um den innig geliebten Ehemann und dessen große Hoffnungen für die Zukunft.

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Jahre später hörte ich dann, dass Frank sich auf Urologie spezialisiert hatte und schließlich ein hochangesehener Professor am <Baylor College> und Leiter der Urologie am <Luke Episcopal Hospital> in Houston geworden war. Er war der erste Absolvent aus unserem Studienjahr, der sich zu einer bekannten medizinischen Autorität entwickelt hatte. Der Grund für seinen frühen Ruhm war eine Erfindung, die er 1973 gemacht hatte. Es war eine Vorrichtung, die ich nur als »hydraulischen Ständer« bezeichnen kann und mit der das Leiden behandelt werden sollte, das heute unter der Bezeichnung erektile Dysfunktion bekannt ist. Frank war durch seine Erfindung nicht nur berühmt, sondern auch reich geworden. Er hatte sich seine triumphale Idee und den daraus hervorgegangenen Entwurf patentieren lassen und dann eine Firma namens <American Medical Systems> gegründet — sie wurde später an den Pfizer-Konzern und schließlich an eine Gruppe von Risikokapitalgebern aus der Wall Street verkauft —, die diese Prothese entwickeln und herstellen sollte.

Doch damit nicht genug: Er hatte dafür gesorgt, dass kein Chirurg den komplexen Eingriff, der mit ihrem Einsetzen verbunden war, vornehmen durfte, ohne vorher den von ihm angebotenen teuren Schulungskurs bestanden zu haben. Das Geld floss in Strömen. Die Impotenz anderer Männer hatte Frank zu einem texanischen Millionär gemacht.

Das Prinzip der hydraulischen Erektion war überaus einfach, doch die Ausarbeitung der technischen Einzelheiten war für einen Mann von Franks unruhiger Natur eine Herausforderung. Die Vorrichtung besteht aus einem kleinen Flüssigkeitsballon aus Plastik, der in der Fettschicht unter der Haut des Unterbauchs untergebracht ist und über einen schmalen Schlauch mit zwei dünnwandigen, aufblasbaren Zylindern verbunden ist, die operativ in den Penis eingesetzt werden.

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Wenn sie nicht gebraucht werden, liegen die Zylinder leer und schlaff im ruhenden Geschlechtsorgan, und nur wer um sie weiß, wird ihr Vorhandensein überhaupt bemerken. Wenn der Geschlechtstrieb sich regt, genügt ein fester Druck auf den Flüssigkeitsballon. Er gibt seinen Inhalt an die Zylinder ab, wo ein System von Ventilen die Schwellung aufrechterhält und Eros bei der Arbeit hilft. Beim Nachspiel nach dem Verkehr wird der Inhalt der Zylinder durch einen weiteren Fingerdruck wieder in den Ballon zurückgeführt, und alles ist wieder wie vorher. Durch Franks wundersame Erfindung waren alle früher verwendeten Hilfsmittel, die in einen chronisch schlaffen Penis eingesetzt worden waren, mit einem Schlag veraltet. Das System ist jederzeit einsatzbereit und kann seinen libidinösen Hilfsdienst von einem Augenblick auf den andern verrichten. Tausende, vielleicht sogar Hunderttausende von Männern haben mittlerweile - so wie mein Collegekumpel mit dem Toupet - von Frank Scotts Einfallsreichtum profitiert und vielleicht auch von seiner Ungeduld. Er hat dafür gesorgt, dass es kein Versagen, ja sogar kein Warten mehr gibt. 

Franks Erfindung der aufblasbaren Prothese war nur einer der zahlreichen Beiträge zu seinem Fachgebiet, durch die er sich einen Namen als einer der heraus­ragenden urologischen Neuerer seiner Generation gemacht hat. Als er 1980 zum 25. Examensjubiläum unseres Universitäts-Jahrgangs erschien, nannte er sich nicht mehr Frank, sondern war zu F. Brantley Scott geworden, und wer mit ihm vertrauten Umgang pflegte, sprach ihn jetzt mit Brantley an. Nicht nur sein Name hatte sich geändert. Brantley wurde von einer wunderschönen Frau begleitet, die etwa zwanzig Jahre jünger war als er und die er als seine Frau vorstellte. Die hingebungsvolle und lange leidende Shirley, die so viele von uns bewundert hatten, gehörte jetzt der Vergangenheit an. Die mit gedämpfter Stimme erörterte Verwandlung von Frank Scott war an jenem von Alumni-Nostalgie bestimmten Wochenende das Thema, das unter seinen ehemaligen Studienkollegen am häufigsten besprochenen wurde. 

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Franks Begeisterung für Technologie beschränkte sich nicht auf die Neuerungen, die er im Labor schuf. Er hatte fliegen gelernt, und ein paar Jahre nach unserem Jahrgangstreffen kaufte er sich einen Bausatz, mit dem er sein eigenes Flugzeug zusammenbaute. Sehr wahrscheinlich sollte ihm das die Reisen zwischen Houston und der vor der texanischen Küste gelegenen Insel, die er sich gekauft hatte, erleichtern. Niemand wird jemals erfahren, was bei jenem ersten Testflug schiefging, aber das von Brantley selbst gesteuerte Flugzeug stürzte ab. Die wunderschöne junge Frau wurde zur (zweifellos gut versorgten) Witwe. 

Ihr Ehemann wurde nach seinem Tod zu einer Ikone der Urologie erhoben, was er mit Sicherheit auch war. Die Abteilung, die er am St.-Luke's-Krankenhaus aufbaute — die Brantley-Scott-Abteilung für Urologie — wird heute vom Brantley-Scott-Lehrstuhl geleitet, und die <Amerikanische Stiftung für Urologie> vergibt jedes Jahr den Brantley-Scott-Preis für Innovation und Kreativität in der Urologie, eine der höchsten Ehrungen des Fachgebiets. Unter dem Namen Brantley Scott mehrten Franks Leben, Werk und berufliches Erbe das Ansehen unseres Fakultätsjahrgangs, aber den vielen unter uns, die ihn so sehr ins Herz geschlossen hatten, wäre seine leibhaftige Gegenwart bei jedem unserer alle fünf Jahre stattfindenden Treffen lieber gewesen.

 

Wer in Geschichten wie der von Frank eine Moral entdeckt, wird mit gutem Grund an die griechische Sage von Dädalus und Ikarus denken. Dädalus hatte Flügel aus Federn und Wachs gebaut, mit deren Hilfe er und sein Sohn Ikarus aus der Gefangenschaft des kretischen Königs Minos entkommen wollten. Im Standardwerk von Charles Gayley, <Classic Myths> von 1897, das ich jahrzehntelang benutzt habe, heißt es: »Ikarus war gewarnt worden, der Sonne nicht zu nahe zu kommen. [...] Aber dann schwang sich der Junge, frohlockend über seinen Flug, hoch hinauf.« Das Wachs schmolz, und er stürzte ins Meer in ein nasses Grab. 

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Franks innovativer Einsatz der Technologie brachte ihn der Sonne zu nahe, pflegten einige Leute zu sagen. Er »frohlockte über seinen Flug«, seine Karriere, die er auf so brillante Art gemacht hatte, und ignorierte dabei die Warnungen anderer, die an seine Verantwortung gegenüber denjenigen appellierten, die auf dem Boden geblieben waren und dafür gesorgt hatten, dass der Erfolgsmensch so große Höhen erreichen konnte. 

Das soll nun nicht heißen, dass Franks Tod der Preis dafür war, dass er Shirley verlassen hatte, aber die Moralisten könnten glauben, dass sie aus gutem Grund so denken dürfen. Wie mein geschmeidiger Studienfreund verspürte Frank das Bedürfnis, sich zu erneuern. 

Vielleicht waren die zweite Heirat und der Bau eines Flugzeugs seine Art, das auszudrücken, so wie seine Erfindung, die aufblasbare Prothese, für meinen Studienfreund der Schlüssel in seinem Bestreben war, »dem Alter nicht nachzugeben«. Wie alles andere auch, was sich mit dem Vergehen der Jahre verbindet, haben diese Dinge ihre Vor- und Nachteile.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, »dem Alter nicht nachzugeben«, und sie reichen vom bemitleidenswert Lächerlichen bis zum heilsam Erhabenen. Brantley Scott, Brown-Sequard und jeder Hausierer, der Verjüngungsmittelchen feilbietet, appellieren an die universale Angst, alt zu werden, und zugleich an die noch größere Furcht, dass jedes Anzeichen für das Altern uns dem Tod ein Stück näher bringt. 

Vor ein paar Jahren kam allgemeine Freude auf, als Molekularbiologen anfingen, die Nachricht in die Welt zu setzen, die Gentechnik könnte sich als das Mittel erweisen, mit dem sich das Unvermeidliche abwenden lasse. Doch das war nur ein Vorspiel zu der Erregung, die aufkam, als es dann hieß, die Telom­erforschung biete die Aussicht, Zellen von degenerativen Veränderungen abzuhalten, die sie senil werden und schließlich absterben lassen.

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Die Forschung hierzu steckt, wie bereits im vorhergehenden Kapitel beschrieben, noch in den allerersten Anfängen, und es gibt bisher nur wenig Gewissheit, dass sie zu etwas führen wird, das auch nur im Entferntesten den Zielen entspricht, die einige Leute mit ihr verbunden haben.

Bei der Nachricht von den neuen Wundern, die offensichtlich schon bald wahr werden sollen, kuschelten sich wohl viele Männer oder Frauen mittleren Alters — und bestimmt auch viele jüngere — in ihrem Bett zusammen und ergingen sich in futuristischen Phantasien. Allmählich lagen allerlei Möglichkeiten in der Luft (so ist es immer noch), unter denen eine Lebenszeit von zwei oder mehr Jahrhunderten noch nicht die extremste war. 

Zu wenige Menschen hielten inne, um über die vorhersehbaren schädlichen Konsequenzen einer solchen Errungenschaft nachzudenken. Sie beträfen nicht nur die menschliche Gesellschaft insgesamt, sondern auch jede Einzelne — einschließlich der durch den Fortschritt seit neuestem am Leben erhaltenen über 200-Jährigen, die den Planeten mit ihren Bedürfnissen, ihren Forderungen und ihrer Weigerung, Platz zu machen, überhäufen würden. Zu wenige stellten die Vorstellung in Frage, dass die Möglichkeit, sehr lange Zeit zu leben, eine gute Sache sei — zumindest für sie selbst.

Von einem rein biologischen Standpunkt aus existieren wir, wie alle anderen Lebewesen, um unsere DNA an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Auf diese Weise überlebt unsere Spezies; auf diese Weise trifft die natürliche Auslese ihre Wahl. Haben wir erst einmal einige Zeit lang die Fähigkeit zur Reproduktion und zur Aufzucht des Nachwuchses verloren, erfüllen wir in dem großen, ununterbrochenen Kreislauf der Natur keine nützliche Aufgabe mehr. Bei wilden und sogar bei den gezähmten Tieren ist der Tod kurz nach dem Ende der fortpflanzungsfähigen Jahre die Regel. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das lange über diesen Zeitpunkt hinaus lebt.

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Seit es menschliches Leben auf unserem Planeten gibt, haben wir den größten Teil dieses Zeitraums nicht einmal lange genug gelebt, um unser reproduktives Potenzial auszuschöpfen. Noch zur Zeit des Römischen Reiches, als es den modernen Homo sapiens bereits seit rund 40.000 Jahren gab, betrug die durchschnittliche Lebenserwartung weniger als dreißig Jahre. Die häufigsten Todesursachen waren ansteckende Krankheiten und unzureichende Ernährung, Wunden und Verletzungen bildeten die Nachhut der Rangliste. Zwei Jahrtausende später, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, war die Lebens­erwartung immer noch nicht sehr viel höher als 45 Jahre, auch wenn die meisten Menschen inzwischen weitaus besser ernährt und auch besser vor Ansteckung geschützt waren. 

Der heutige Durchschnittsamerikaner verdankt es zum größten Teil der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, Dingen wie sauberem Wasser, Schutzimpfungen, einer besseren Versorgung mit Nahrungsmitteln und guten Unterkünften, wenn die aktuelle Lebenserwartung bei Ende siebzig liegt. Die großen Fortschritte der Biomedizin in den letzten Jahrzehnten haben sich ebenfalls bemerkbar gemacht — zumindest in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts —, doch nur Antibiotika und verbesserte Behandlungsmethoden für Herzkrankheiten beeinflussen die allgemeine Sterbestatistik in einem so erheblichen Umfang. Alle anderen Medikamente und chirurgischen Eingriffe betreffen, mit Blick auf die gesamte Weltbevölkerung, nur einen relativ kleinen Personenkreis.

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Altern ist keine Krankheit. 

Es ist die Bedingung, unter der uns das Leben geschenkt worden ist. Das Altern und der schließliche Tod von uns allen sind für das Ökosystem unseres Planeten so wichtig wie der Wechsel der Jahreszeiten. de Grey zieht es vor, diese unbequeme Wahrheit zu ignorieren, und so halten es auch diejenigen, die ihm bei seinen theoretischen Drahtseilakten applaudieren. 

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Wenn W. Haseltine, der brillante Biotechnologie-Unternehmer und Vorstandschef von <Human Genome Sciences>, erklärt: »Ich glaube, unsere Generation ist die erste, die einen gangbaren Weg zur individuellen Unsterblichkeit aufzeigen kann«, sollten wir mit Widerwillen, ja sogar mit Furcht davor zurück­schrecken, nicht nur wegen der Hybris, die sich in einer solchen Erklärung zeigt, sondern auch wegen der Gefahren, die sie für den Begriff der menschlichen Existenz mit sich bringt. 

Die gegenwärtige biomedizinische Kampagne gegen den natürlichen Prozess des Alterns ist nur ein Teil einer sehr viel umfassenderen Vorstellung von der Zukunft der Menschheit, in der es manche Leute für denkbar halten, dass Eltern eines Tages den IQ, das Aussehen und die Statur ihres geplanten Nach­wuchses bestellen können. Ausgeführt wird der Auftrag dann durch die Manipulation der DNA für ihre Zellen. 

G. Stock aus Princeton, einer der Propheten ungezügelter Genmanipulation, ging so weit, seinem 2002 erschienenen Buch den folgenden Titel zu geben: <Redesigning Humans: Our Inevitable* Genetic Future> [Hervorhebung von inevitable vom Autor]. 

Noch furchterregender als die Zuversicht, mit der Stock seine Vision für seine Mitmenschen vorträgt, ist die Überschrift des ersten Kapitels. Dort wird die Vorstellung des Autors umrissen, wie künftig das Labor die Evolution kontrollieren wird. Er nennt dieses Kapitel <Der letzte Mensch> und meint damit diejenigen von uns, deren Körper und Geist noch ausschließlich von der Natur geformt worden sind. 

Stocks Werk wurde von Harold Shapiro gelobt, dem ehemaligen Vorsitzenden der <Nationalen Beraterkommission für Bioethik> von Präsident Clinton — als gelte es zu veranschaulichen, wie wohltönend diese Prognosen in den Ohren der vermeintlichen Türhüter gegen solche Vorstellungen von »Fortschritt« klingen, von denen wir eigentlich und mit einigem Recht ein warnendes Wort erwarten würden.

* (OD, 2013) inevitable  = 
unausweichlich, unvermeidlich, unvermeidbar, zwangsläufig, unabdingbar, unumgänglich, unabwendbar, unausbleiblich, naturnotwendig.

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   Über das Muskeltraining   

 

Das sind nicht die Probleme, mit denen sich die Medizin oder Wissenschaft beschäftigen sollte. Ihre vorrangige Aufgabe ist nicht die Verlängerung der Lebens­zeit, die unserer Spezies von der Natur zugewiesen wurde (die bei etwa 120 Jahren zu liegen scheint), sondern die Verbesserung der Lebens­bedingungen.

Und wenn irgendjemandes Lebensbedingungen verbessert werden müssen, dann die des älteren Mannes oder der älteren Frau, die weit über die Jahre der Kraft und Produktivität hinaus leben, weil die Segnungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge und der Biomedizin dies möglich gemacht haben. Der Anteil der Alten an unserer Gesamtbevölkerung nimmt mit jedem Jahr zu, und viel zu viele von ihnen sind unsicher auf den Beinen. 

Der allmähliche Anstieg der Lebenserwartung, der sich bei früheren Generationen zeigte, ist durch einen kräftigen Schub abgelöst worden: Das 20. Jahr­hundert brachte einen Zuwachs von 33 Jahren (mehr als zwei Jahre davon entfielen auf den Zeitraum von 1990 bis 2005). Im Vergleich zu jedem anderen entsprechenden Zeitabschnitt in der Geschichte ist das eine erstaunliche Zahl. Bis zu diesen Veränderungen in jüngerer Zeit ergab sich aus der Verteilung der Altersgruppen die Form einer Pyramide, mit einer breiten Basis von Kindern und einer mit höherem Alter schmaler werdenden Spitze. Inzwischen gleicht sie eher einem Rechteck, weil mehr alte Menschen die höheren Zeitebenen erreichen. Die Behandlungsmethoden für Krankheiten werden weiter verbessert, und die Maßnahmen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge erreichen einen immer größeren Teil der Bevölkerung. 

Deshalb wird sich dieser Trend weiter verstärken. Einige Zahlen sollen diese graphischen Darstellungsmuster verdeutlichen.

In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts stieg die Zahl der über Hundertjährigen in Amerika von 37.000 auf 50.000, und manche Experten sagen voraus, dass sie Mitte des 21. Jahrhunderts die Million erreichen wird. Königin Elisabeth II. von Großbritannien schickt traditionell jedem ihrer Untertanen, der hundert Jahre alt wird, ein Telegramm. 1952, im ersten Jahr ihrer Amtszeit, lag die Zahl der Jubilare bei 255; heute beträgt sie deutlich über 5000.

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Als unser Sozialhilfesystem 1935 ins Leben gerufen wurde, ging man davon aus, dass es niemals mehr als 25 Millionen Menschen würde unterstützen müssen. Im Jahr 2000 gab es mehr als 38 Millionen Empfänger von Leistungen, und bis auf einige Millionen waren sie alle über 65 Jahre alt. Nach Experten­schätzungen wird der weitere Lebensweg der Babyboomer-Generation diese Zahl bis zum Jahr 2011 auf 70 Millionen ansteigen lassen. Erreicht man heute das vormals ehrwürdige Alter von achtzig Jahren, bedeutet das lediglich, dass ein Statistiker mehr als sieben weitere Lebensjahre voraussagt. Bei den 65-Jährigen geht man heute von fast siebzehn weiteren Jahren für amerikanische Männer und von fast zwanzig Jahren für Frauen aus.

Sosehr wir solche Statistiken begrüßen mögen, sie haben offensichtlich auch ihren Preis. Ob der Alterungsprozess nun genetisch programmiert ist oder das Ergebnis einer allmählichen Abnutzung während einer lebenslangen inneren und äußeren Beanspruchung (oder, was am wahrscheinlichsten ist, eine Mischung aus beidem), er ist eine Reise in eine zunehmende Gebrechlichkeit und Schwäche, und das gilt auch für die robustesten unter den Alten. 

Gelenke, Knochen, Herz, Gehirn und jeder andere Teil unseres Körpers funktionieren nicht mehr richtig, und es kann noch schlimmer kommen. Ein großer Teil der 4,5 Prozent der amerikanischen Bevölkerung, die in Langzeit-Pflegeeinrichtungen leben, und viele von denen, die zu Hause gepflegt werden, sind so sehr körperlich beinträchtigt, dass sie bei den einfachsten Verrichtungen Hilfe brauchen, etwa beim Gang zur Toilette oder beim Ankleiden. Viele dieser Menschen sind dement. Die Zahl der Menschen, die von Geriatern als »die ältesten Alten« bezeichnet werden — die über 85-Jährigen —, wächst mit jedem Jahr, in dem auch die Lebenserwartung zunimmt. Die wirtschaftlichen Kosten sind hoch, aber die Leiden, die durchzustehen sind, nicht nur von den sehr alten Menschen, sondern auch von ihren Familien, sind noch größer. 

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Für viele Menschen sind die Kosten eines längeren Lebens bereits zu hoch. Die Lasten für die Gesellschaft werden untragbar werden, wenn es nicht zu größeren Veränderungen kommt.

Und größere Veränderungen sind bereits im Gang. Nachdem die Zahl der Pflegeheime zunahm und auch die Zahl der gebrechlichen Alten, die zu Hause betreut werden, rasch anstieg, gab es einige Jahrzehnte lang kaum Fortschritte bei der Verbesserung der Lebensumstände, denen sich alte Menschen Tag für Tag ausgesetzt sehen. Etwa vor zwanzig Jahren begann sich die Situation jedoch zu verbessern, denn man hat mehr und mehr die Faktoren untersucht, die die Gebrechen der Alten auslösen. Gleichzeitig widmete die immer noch kleine Schar der Gerontologen — der Wissenschaftler, die sich mit dem Altern beschäftigen — den Möglichkeiten, die Leiden zu lindern, die die zusätzlichen Lebensjahre der von ihnen beobachteten Patienten mit sich brachten, immer mehr Aufmerksamkeit. 

Das gesamte Arbeitsgebiet erlebte im Jahr 1980 eine gründliche inhaltliche Neuorientierung, als James Fries, ein an der Stanford University tätiger Gerontologe, ein Konzept vorlegte, das er als <Verdichtung der Morbidität> (compression of morbidity) bezeichnete. Damit meinte er den Versuch, die Zeitspanne, in der ein alter Mensch körperlich stark beeinträchtigt ist, zu verkürzen. Im Allgemeinen sind die meisten von uns heute dazu verurteilt, eine Endphase des Lebens zu erdulden, in der wir zunehmend gebrechlich werden. Die Verlaufskurve der Schwächung der Gesundheit weist ab einem Alter von etwa fünfzig Jahren deutlich nach unten. Fries' Hypothese lautete, es könnten Maßnahmen ergriffen werden, durch die die langgezogene, allmählich nach unten weisende Kurve durch eine relativ horizontal verlaufende Linie ersetzt wird, die erst kurz vor dem Tod steil abfällt. 

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Wenn dies erreicht würde, so führte er aus, »dann könnte eine lebenslange Behinderung zu einem kürzeren durchschnittlichen Zeitraum verdichtet werden, und die kumulative lebenslange Behinderung könnte verringert werden«

Mit anderen Worten: Statt über einen langen Zeitraum hinweg unter sich verschlimmernder Gebrechlichkeit und Krankheit zu leiden, könnten unsere Körper relativ intakt bleiben, bis sie dann sehr viel kürzer vor dem schließlichen Ableben versagen. 

Diese Konzeption ähnelt sehr stark den Vorstellungen, über die Oliver Holmes in seinem Gedicht <Deacon's Masterpiece> schrieb. Darin schildert er »die wunderbare einspännige Kutsche, / Die [...] zerbricht, aber nicht verschleißt«.

Bist du kein Dummkopf, dann siehst du sofort,
Wie alles zerbricht, an einem Ort, 
Alles zugleich und nichts zuerst,  
Wie Seifenblasen, die platzen, während du fährst.

Natürlich gibt es Menschen, denen es lieber wäre, wenn »alles zugleich« stirbt, andere jedoch würden eine kurze Phase der Verschlechterung vorziehen, solange dies in keiner Weise dem qualvollen Verfall gleicht, den heutzutage so viele Menschen erleiden. Sehr viele Amerikaner erleben bereits genau diese verkürzte letzte Leidensphase. Und es gibt Hinweise darauf, dass eine solche Verdichtung für sehr viel mehr von uns in Reichweite ist.

Zu den ersten Schritten in diesem Veränderungsprozess gehörte die Erkenntnis, dass körperliche Gebrechlichkeit, nicht die Krankheit selbst oder irgendein bestimmter pathologischer Befund, die wichtigste Determinante ist, die darüber entscheidet, ob ein älterer Mensch sich selbst versorgen und weiterhin einen aktiven Beitrag zum Gemeinschaftsleben leisten kann. Je älter die Person, desto wichtiger werden Faktoren wie Muskelkraft und Knochendichte, vor allem Ersteres. Eine Studie nach der anderen bestätigte diese Beobachtung. 

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Am besten hat es ein Gerontologenteam aus den Niederlanden in Worte gefasst, das in einem 1997 in der Zeitschrift <Science> erschienenen Aufsatz schrieb: »Bei den ältesten Alten ist der Verlust der Muskelkraft der limitierende Faktor, der darüber entscheidet, ob ein Mensch sich bis zu seinem Tod selbst versorgen kann.« Die entscheidenden Worte sind hier »bis zum Tod«. Verschiedene Studien haben — vor und nach der Veröffentlichung des niederländischen Berichts — gezeigt, dass körperliche Schwäche bei alten Menschen nicht nur vermeidbar, sondern mit einem geeigneten Trainings­programm auch rückgängig zu machen ist. 

Man stelle sich eine Welt vor, in der jeder sehr alte Mensch für sich selbst sorgen, sich in seiner Umgebung wohlfühlen und die Menschen, die er liebt, unterstützen könnte, anstatt selbst hilfsbedürftig zu werden. Und in der dieser glückliche Zustand anhalten würde, fast bis zum Zeitpunkt des Todes.

Zum Erstaunen so mancher Ärzte, die eine große geriatrische Praxis haben, hat es sich als nicht schwierig erwiesen, die notwendige Muskelkraft aufzubauen, und das gilt auch für sehr alte Menschen. Es wurde überzeugend nachgewiesen, dass die Kraft auch bei sehr alten Menschen innerhalb von sechs bis acht Wochen fast verdoppelt werden kann, und das allein durch ein kontrolliertes, hochintensives Widerstands- und Krafttraining. Der Zusammenhang zwischen körperlichem Training und längerem Leben mag keine Neuigkeit mehr sein, aber erst vor relativ kurzer Zeit ist der Verlust von Muskelkraft als wesentliches Element der Gebrechen erkannt worden, die uns zu schaffen machen, wenn wir älter werden.

Wissenschaftler der <Tufts University> zeigten in einem 1990 im <Journal of the American Medical Association> veröffentlichten bahnbrechenden Bericht, der später dann durch zahlreiche andere Studien mit Männern und Frauen bestätigt wurde, wie sie die Kraft der Beinmuskulatur von zehn gebrechlichen Frauen im Alter von 86 bis neunzig Jahren um durchschnittlich 174 Prozent steigerten. 

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Dies wurde innerhalb von acht Wochen durch ein kontrolliertes, hochintensives Gewichttraining erreicht. Alle alten Frauen in dieser ersten Studie litten an chronischen Krankheiten oder Gebrechen, aber keine von ihnen zog sich bei diesem Training irgendwelche Verletzungen zu. Ihr Gleichgewichtsgefühl verbesserte sich ebenso wie ihre Gehgeschwindigkeit. Zu den überraschenden Erkenntnissen vieler inzwischen vorgenommener Bestätigungsstudien gehört, dass das Widerstandstraining schon nach so kurzer Zeit Ergebnisse zeitigt, und zwar gleichermaßen bei Messungen wie auch in Form einer gesteigerten Aktivität der Probanden.

Ein Beispiel für die zahlreichen Studien, die im Anschluss an den Tufts-Bericht dessen Ergebnisse bestätigten, erschien im Februar 2006 in <Aging and Health>. Gerontologen der University of South Florida teilten eine Gruppe von 64 Freiwilligen mit einem Durchschnittsalter von 84 Jahren in drei Unter­gruppen ein: eine Gruppe absolvierte gar kein körperliches Training, die zweite ging zweimal pro Woche spazieren, die dritte betrieb zweimal wöchentlich Widerstands­training. Alle Teilnehmer waren weitgehend gesund, doch einige mussten bei ihren Trainingseinheiten Gehstöcke oder Laufgestelle benutzen. Die Ergebnisse nach einem Untersuchungszeitraum von sechzehn Wochen überraschten niemanden, der mit der geriatrischen Fachliteratur der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte vertraut war. 

Der Gewinn für beide Gruppen, die sich körperlicher Belastung unterzogen hatten, beschränkte sich nicht auf die Verbesserung der Muskelkraft. Im Vergleich zur inaktiven Gruppe hatten die anderen beiden nicht nur die Muskelkraft der oberen wie der unteren Körperhälfte verbessert, sondern erzielten auch bessere Testergebnisse in den Bereichen Beweglichkeit, Gleichgewicht und Koordination. 

Ein verringerter systolischer Blutdruck im Verlauf des Unter­suchungs­zeitraums war ein weiterer, wenn auch nicht gänzlich unerwarteter Bonus. Als Bestätigung für frühere, in diese Richtung weisende Ergebnisse schilderten die Wissenschaftler ihren Eindruck, dass es eher das körperliche Training an sich, weniger dessen spezielle Ausrichtung, gewesen sei, das zu den beobachteten Ergebnissen geführt habe.

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Doch die Verbesserung der Muskelkraft, vielleicht auch anderer Körperfunktionen, etwa des Blutdrucks, ist nur ein Teil der Antwort — auch dem Gehirn gebührt sehr viel Aufmerksamkeit. Es ist heutzutage kein Geheimnis mehr, dass fortgesetzte geistige Stimulation der Schlüssel zur Vermeidung zahlreicher schlimmer Auswirkungen von Demenz und Apathie ist, die den Verstand so vieler alter Menschen in institutioneller und häuslicher Pflege beeinträchtigen.

Alles Lesen und alle Museumsrundgänge auf dieser Welt - so viel sei zugestanden - werden vermutlich die Zahl der gravierenderen und weniger gravierenden Schlaganfälle nicht verringern, aber solche Aktivitäten unterstützen die Erhaltung der Synapsen und fördern unter Umständen die Bildung neuer Gehirnzellen auf jeder Altersstufe. Sie sorgen dafür, dass wir lebhaft, geistig rege und neugierig bleiben.

Wenn Einflussgrößen wie konsequentes geistiges und körperliches Training alten Menschen einen so großen Nutzen bringen, wie viel besser wäre dann die Situation der Alten, wenn sie mit solchem Training schon sehr viel früher begonnen hätten und nicht erst in der Phase der rapiden Verschlechterung? Die Veränderungen, die bereits am Ende des dritten Lebensjahrzehnts einsetzen, sind zunächst minimal, doch sie beschleunigen sich etwa ab dem dreißigsten Lebensjahr, ab dem die Computertomographie eine Verschlechterung nachweisen kann, etwa in Form einer geringeren Muskeldichte, eines geringeren Muskelquerschnitts im Oberschenkel oder eines zunehmenden Fettanteils in einzelnen Muskeln. 

Ab dem fünfzigsten Lebensjahr nimmt die rückläufige Tendenz dann stark zu.

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Der Verlust von Muskelkraft ist ein limitierender Faktor für die Unabhängigkeit der ältesten Alten, hat aber ganz offensichtlich auch erhebliche Konsequenzen auf das Leben von uns allen, und das zu einem viel früheren Zeitpunkt, als die meisten Menschen denken. Aber Kopf hoch! 

Die Fitnessexperten berichten uns, dass Studien, die zunächst mit den ältesten Alten — Männern und Frauen von 85 oder mehr Jahren — begonnen worden waren, jetzt auf jüngere Probanden ausgeweitet wurden, und die dabei gewonnenen Ergebnisse sind sozusagen das Allerneueste: Zu einer solchen Verschlechterung des körperlichen Zustandes muss es nicht kommen. Die Antwort lautet: Training im anaeroben Bereich — also Belastungen, bei denen der Körper eine Sauerstoffschuld eingeht. Aerobes Training — Jogging, Laufen auf Laufbändern, Fahrradfahren, Training auf dem Fahrradergometer oder andere Aktivitäten in diesem Bereich — mag bei Herz und Lunge Wunder wirken, wenn aber körperliche Schwäche und die damit verbundene Kraftlosigkeit abgewendet werden sollen, ist ein Widerstandstraining mit Gewichten unersetzlich. Das American College of Sports Medicine in Indianapolis war von der nachweisbaren positiven Wirkung so beeindruckt, dass es inzwischen allen Männern und Frauen über fünfzig Jahren Krafttraining empfiehlt.

Krafttraining hat im Vergleich zu einem auf den aeroben Bereich beschränkten Training noch einen weiteren Vorteil: Man verbraucht mehr Kalorien als beim Gehen, Laufen oder Schwimmen. Der Grund dafür ist, dass durch intensives Krafttraining Muskelfasern abgebaut werden, bei deren Wiederaufbau zu noch größerer Kraft durch die natürlichen Reparaturmechanismen des Körpers beträchtliche Energiemengen verbraucht und deshalb auch reichlich Kalorien verbrannt werden. Außerdem werden zum bloßen Erhalt eines Pfundes neuer Muskelmasse selbst bei völligem Ruhezustand täglich dreißig bis vierzig Kalorien benötigt. 

Also steht es uns allen, Jung und Alt, gut an, uns zügig ins nächste Fitnessstudio zu begeben.

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Die Atmosphäre in einem typischen Studio mag einen zunächst nicht an Verbesserungen im mentalen Bereich denken lassen, doch wir sollten keine vorschnellen Urteile fällen. Untersuchungen aus jüngerer Zeit haben gezeigt, dass aerobe Fitness bei älteren Männern und Frauen den Verlust von Gehirngewebe zu reduzieren und die cerebralen Funktionsweisen zu verbessern scheint. Dies erfolgt durch eine erhöhte Ausschüttung des BDNF (brain-derived neurotrophic factor), von dem bereits im zweiten Kapitel die Rede war. 

Der BDNF bewirkt eine Erhöhung der Zahl der Synapsen, er fördert die Entwicklung neuer Kapillaren im Gehirn und schützt Neuronen vor Schäden, die von freien Radikalen ausgelöst werden. Außerdem gibt es Hinweise, dass der BDNF die Entwicklung neuer Neuronen aus adulten Stammzellen fördert. Und das sind noch nicht alle guten Nachrichten. Studien mit Probanden, die aerobes Training durch Krafttraining ergänzt haben, zeigen, dass diese Kombination die kognitiven Funktionsweisen noch in einem größeren Maß verbessert als das aerobe Training allein.

Die Menschen aller Altersgruppen müssen sich solche Erkenntnisse zunutze machen. Vor allem diejenigen unter uns, die jetzt in ein fortgeschrittenes Alter kommen, sollten sie aufgreifen und auf dem Laufenden bleiben — im wörtlichen Sinn. Eine Studie nach der anderen hat gezeigt, dass geistiges und körper­liches Training der Schlüssel zu einem längeren Leben und zu längerer Selbstständigkeit sind. Wer regelmäßig die Tageszeitung liest, kennt die vielen Veröffentlichungen führender Forschungsgruppen, in denen bestätigt wird, dass intensives Training bei Menschen mittleren oder höheren Alters den Verlust von Muskelkraft verhindert oder zumindest erheblich reduziert. Und dieser Verlust ist der Auslöser so vieler Gebrechen, ja sogar Krankheiten.

Die beste Methode, die geistige Leistungsfähigkeit zu erhalten — das wurde bereits gezeigt —, liegt darin, sie zu trainieren.

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Die Leistungsfähigkeit einer Synapse, die einen Impuls von einer Nervenzelle auf die andere überträgt, wird durch häufigen Gebrauch gestärkt. Die Synapse bewahrt so ihre Fähigkeit, sich zu verändern, ja sogar über ihre gesamte Lebensdauer hinweg effektiver und stärker zu werden. Dies mag auch auf die Nervenzellen selbst zutreffen. Ihre Fähigkeit, Impulse zu erzeugen — das, was Neurowissenschaftler als »Elektrogenizität« bezeichnen —, scheint auf Veränderungen beim Input zu reagieren. Der elektrogene Mechanismus kann offensichtlich neu ausgerichtet, Ablaufmuster der elektrischen Aktivität können modifiziert werden, und das hängt jeweils von der Art und Häufigkeit der Reize ab, die in der Zelle ankommen. Lesen Sie also weiter in diesem Buch und lesen Sie noch jede Menge andere. Sie werden dabei Ihre Synapsen stärken und Ihre Elektrogenizität ausbauen.

All diese intellektuellen Debatten sind für uns letztlich auch nicht mehr wert als der Rat, den uns die 2002 verstorbene, kluge Ann Landers so häufig in ihren Lebensratgeber-Kolumnen gab: »Benutz es oder verlier es« (Use it or lose it). Und sie bestätigen mit Sicherheit jedermanns eigene tägliche Beobachtungen. Schlicht ausgedrückt heißt das: Aktive Leute bleiben auch aktiv. Es ist zwar beruhigend, diese Erkenntnis von Landers, Laboratorien und Gelehrten bestätigt zu bekommen, aber wir alle wussten schon lange, dass Produktivität der Schlüssel zu weiterer Produktivität ist.

Die dazugehörigen Einzelheiten waren uns allerdings nicht bekannt. Nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Fitnessexperten machten sich zunächst Schritt für Schritt, inzwischen aber mit zunehmendem Tempo mit den besonderen Anforderungen vertraut, die eine Rolle spielen, wenn wir uns einen guten körper­lichen Zustand erhalten wollen — vielleicht nicht unbedingt in ein höheres Lebensalter hinein, aber zumindest sollte unser Alter auf diese Weise weniger von den Schwächen beeinträchtigt werden, die so häufig die letzten Lebensjahre prägten.

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Selbst wenn das »Benutzen« unsere Lebenszeit nicht verlängern wird, bleibt die intensive Betätigung von Geist und Körper das Geheimnis besseren Alterns oder dessen, was die Gerontologen als »Verdichtung der Morbidität« bezeichnen. Das langfristige Ziel bleibt, den Graphen der eigenen Annäherung an das Lebensende zu verändern: von einem quälend lang sich hinziehenden, allmählichen Abfallen hin zu einer kräftigen und praktisch horizontalen Linie, die von einem mehr oder weniger senkrechten Abfallen abgelöst wird.

Was nun das Enddatum betrifft, so gibt es reichlich (anekdotisches und statistisches) Beweismaterial für die positive Wirkung körperlicher Betätigung auf die Lebenserwartung. Es hat sich über einen längeren Zeitraum hinweg angesammelt. Zum Beispiel wurde 1998 eine Langzeit-Auswertung von 52.000 männlichen Universitätsabsolventen veröffentlicht, die zwischen 1916 und 1950 in Harvard sowie an der University of Pennsylvania ihr Studium aufgenommen hatten. Diese Studie zeigte, dass Alumni im Alter von 35 bis 74 Jahren, die im Lauf der Jahre durch intensive körperliche Belastung mindestens 2000 Kalorien wöchentlich verbrauchten, im Vergleich zu weniger aktiven Männern ein um 25 Prozent geringeres Risiko hatten, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu erkranken und zu sterben. 

Und das war noch nicht alles: Männer, die erst lange nach dem College anfingen, aktiv Sport zu treiben, wiesen bessere Ergebnisse auf als ehemalige Sportler an der Hochschule, die dem Sport im mittleren Lebensalter den Rücken gekehrt hatten. Überzeugte Stubenhocker sollten das sportliche Image beachten, das mit der Überschrift des Artikels wie auch mit der Fachzeitschrift, in der er veröffentlicht wurde, verbunden ist: <A Natural History of Athleticism, Health and Longevity> (»Eine Naturgeschichte der Sportlichkeit, Gesundheit und Langlebigkeit«) erschien im <Journal of Sport Sciences>. 

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Damit die Leser dieser Seiten nicht den Eindruck gewinnen, ich sei einer dieser Typen, die gerne Ratschläge erteilen, die sie dann selbst nicht beherzigen, will ich hier noch meine eigenen Erfahrungen bei der Umsetzung des neuen Wissens schildern. 

Aber zuerst muss ich festhalten, dass es mir keineswegs leichtgefallen ist. Den nicht überzeugten, widerwilligen, unentschiedenen oder unschlüssigen Lesern — die von den Ergebnissen, die in den vorhergehenden Abschnitten geschildert wurden, sehr beeindruckt sein, aber sich immer noch winden oder denken mögen: »Das mag ja für dich alles schön und gut sein, Meister, aber...« — will ich hier nur sagen: Ich war mal einer von Ihnen. 

Aber jetzt bin ich bekehrt, und wie so viele Bekehrte bin ich inzwischen ein Eiferer. Seit dem Sommer 1998* habe ich meinen betagten Körper dreimal wöchentlich ins Fitnessstudio genötigt, um dort unter sportlich fitten Menschen zu schwitzen.

 

Niemand, aber ganz besonders niemand, der so sehr zur Eitelkeit neigt wie ein Chirurg, mag sich gern von seinem erwachsenen Sohn sagen lassen: »He, Paps, magst du dir nicht ein Paar etwas längere Tennisshorts zulegen? Deine Oberschenkel sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.« Das folgte unmittelbar auf eine übers Netz hinweg zugerufene Beobachtung eines langjährigen Tennispartners, dass »unsere Beine so langsam aussehen wie bei mageren Hühnchen«

Da wirkte dann der gutgemeinte Rat des über dreißigjährigen Sohnes mehr als nur ein bisschen demoralisierend. Ich beschloss an Ort und Stelle, dass jetzt die Zeit gekommen sei, dem wiederholten Drängen (um der Wahrheit die Ehre zu geben, handelte es sich eher um schikanösen Druck) meiner Frau nachzugeben, die Woche für Woche schlanker aussah: ein Ergebnis täglichen Aufstehens um fünf Uhr früh, um im örtlichen Fitnessstudio Gewichte zu stemmen und Spinning- und Laufbandtraining zu betreiben.

Nach wenigen Tagen hatte ich mich in einer nur wenige Kilometer von unserem Haus entfernten Einrichtung namens — wie sollte sie sonst heißen? — <The In Shape* Fitness> zu einem Trainingsprogramm verpflichtet. 

* (OD, 2013:)  Nuland ist Jahrgang 1930, also mit 68 Jahren.
to shape:   formen   gestalten   prägen    formulieren    fräsen     modellieren    ausgestalten  

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Ich folgte dem Grundsatz, dass alle Novizen ein Vorbild brauchen, und fand dann auch Dave Butler, einen gutmütigen Atlas von einem Trainer, dem ich sagte, ich wolle genauso aussehen wie er, wenn ich einmal groß sei. Mein neuer Mentor überging großzügig die Tatsache, dass ich 35 Jahre älter bin als er, und nahm mich beim Wort. Mir war zwar klar, dass es für die Entwicklung eines gutmütigen Wesens viel zu spät war, aber ich hegte dennoch die Phantasie eines alternden Mannes, ich könnte Dave im Kraftbereich nacheifern. Mein vorrangiges Ziel war jedoch, die alten Beine zurückzubekommen und meinen Bauch wieder abzuflachen, der allmählich wahrnehmbar wurde.

Dave nahm eine Reihe von Messungen vor, stellte einige Berechnungen an und entwickelte dann ein Programm für Widerstands- und Herz-Kreislauf-Training. Es war kein Programm für die Furchtsamen im Lande. Dave erwies sich, seinem freundlichen Auftreten zum Trotz, als junger Mann von großer Entschlossenheit. Er ließ mich im Studio selbstständig trainieren, gab mir aber die Ermahnung mit auf den Weg, er wolle bis zu unserem nächsten Treffen in sechs Wochen echte Fortschritte sehen.

In solchen Angelegenheiten ist es hilfreich, wenn man eine zwanghaft pflichtbewusste Persönlichkeit hat, und drei Jahrzehnte Praxis im Operationssaal zahlten sich hier aus. Ich absolvierte mein Training mit großer Gewissenhaftigkeit, während der ersten sechs Wochen wie auch in der Zeit danach. Was kümmert es mich, dass nahezu alle anderen Männer dort noch in den Zwanzigern oder Dreißigern sind und doppelt so viel Gewicht stemmen wie ich? Und warum hätte ich mir Gedanken machen sollen, wenn ich mehr als einmal einer 21-jährigen Trainingspartnerin an einer Kraftmaschine nachfolgte und erst einmal 14 bis 18 Kilo Ballast entfernen musste, bevor ich mit meinem Training begann?

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Den ersten Lohn erntete ich, als Dave nach sechs Wochen seine zweite Serie von Berechnungen anstellte, und die Belohnungen setzten sich fort. In den ersten acht Monaten des Schwitzens und der Plackerei wurde ich mehr als vier Kilo Fett los und legte mehr als zweieinhalb Kilo Muskelmasse zu. Mein Taillenumfang war um fünf Zentimeter geschrumpft, dafür hatte der Brustumfang um knapp vier Zentimeter zugenommen. Mein Körperfettanteil war von 21 (auf den Fitnesstabellen geht das noch als »akzeptabel« durch) auf 16 Prozent zurückgegangen (was in der Kategorie »fit/gesund« einem Platz im Mittelfeld entspricht). 

Diese Fortschritte waren erreicht worden, ohne dass ich an meinen Essgewohnheiten auch nur das Geringste geändert hatte. Dave hatte zwar ursprünglich auch einen Ernährungsplan für mich aufgestellt, doch den hatte ich fröhlich ignoriert. Ich war in der Tat »In Shape«. Jetzt konnte ich wieder auf dem Tennisplatz herumrennen wie seit meinem vierzigsten Lebensjahr nicht mehr. Beim nächsten Besuch meines Sohnes trug ich (kurze) Badehosen, um meine neu geformten Brust- und Bauchmuskeln zur Schau zu stellen, die ich mittlerweile als »pecs« (Pektoralis) und »abs« (Rektus abdominis) bezeichnete. Ein unerwarteter Gewinn war außerdem, dass viele der kleinen muskulären Wehwehchen, an die wir älteren Menschen uns so bereitwillig gewöhnen, entweder verschwunden oder gemildert worden waren.

Ich muss aber auch eine Reihe von Enttäuschungen beichten. Es wird behauptet, dass ständiges Training den Cholesterinwert senkt, deshalb verfolgte ich dessen Anteil im Blut einige Zeit lang. Zu Beginn meines Trainings ging er auch leicht zurück, stieg dann aber bald wieder auf den Ausgangswert, wo er bis heute verblieben ist. Und dann war da noch die Testosterongeschichte. Ich hatte gelesen, dass seine Konzentration bei anaerober Belastung zunimmt, und mein Wert schoss nach viermonatigem Training in stratosphärische Höhen und stieg auch danach noch weiter an. Mit einem solchen Testosteronwert hätte ich eigentlich herumhüpfen müssen wie ein Satyr, der hinter Nymphen her ist. 

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Ich stellte allerdings keine Veränderung meiner amourösen Neigungen fest und befragte deshalb einen Freund, einen Spezialisten auf dem Gebiet der Hormone. Freundlich eröffnete er mir die traurige Nachricht: Intensives Training steigert die Ausschüttung eines Proteins, das Testosteron bindet, weshalb auch dessen Wert im Blut zunimmt. Doch ein gebundenes Testosteronmolekül ist wie ein gefesselter Hengst — es kann nicht mit der Herde mitlaufen. Das freie Testosteron ist für die einschlägige Wirkung zuständig, und dieser Wert hatte bei mir um weniger als 10 Prozent zugenommen. Deshalb waren die Nymphen sicher, und ich testete seitdem niemals mehr mein Blut auf männliche Sexualhormone.

An dieser Stelle muss das Offensichtliche ausgesprochen werden. 

Aus der Beschreibung wird deutlich, dass meine Motivation, mit dem Fitnessstudio einen Vertrag zu schließen, wenig mit Gesundheit, dafür aber sehr viel mit Eitelkeit zu tun hatte. Doch das spielt nicht die geringste Rolle. Der Antrieb, mit dem Training zu beginnen, kann unterschiedlich sein, aber entscheidend ist letztlich das Ergebnis. 

Die Eitelkeit hat auch ihren Nutzen, und einer davon ist jener uralte Drang, der Brown-Sequard zu den Meerschweinchenhoden und mich an meine Geräte trieb. Das Ergebnis des jahrelangen Schwitzens und der Plackerei lautete für mich: Mobilität, Koordination, Stärke, Gewichtskontrolle und ein Gefühl des Stolzes, das mir jedes Mal Auftrieb gibt, wenn ich daran denke, was ich durch das Festhalten an meinem Entschluss erreicht habe. Und nach meinem Eindruck hat die vermehrte BDNF-Ausschüttung für meine Synapsen und Neuronen in dieser ganzen Zeit Wunder gewirkt. Dann sind da noch all die Forschungsberichte, die ich in meinen medizinischen Zeitschriften gelesen habe und die mir berichten, es gebe jetzt statistische Beweise für die Feststellung, dass Menschen, die sich körperlich intensiv belasten, weniger häufig unter Depressionen leiden und diese zudem weniger schwer ausgeprägt sind. Und bestimmte Krebsarten treten bei diesem Personenkreis weniger häufig auf.

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Das sind Vergünstigungen, die ich an jenem Sommernachmittag, an dem ich mit dem Training begann, nicht erwartet hatte, die ich aber bereitwillig akzeptiere. Es gibt eine dünne und sehr undeutliche Linie, die die Eitelkeit eines Mannes von seinem Stolz trennt — für Frauen gilt dasselbe, möchte ich annehmen —, und mir ist es ziemlich egal, auf welcher Seite ich gerade stehe, solange es mich im Fitnessstudio hält, was ich inzwischen als grundlegend für mein Wohlbefinden empfinde.

Die Vorteile intensiven körperlichen Trainings sind inzwischen seit Jahrzehnten ebenso bekannt wie andere günstige Einflussfaktoren, zu denen das Aufgeben des Rauchens, eine angemessene Ernährung und bestimmte medizinische Mittel zählen (tägliche Vitaminzufuhr, zusätzliche Einnahme von Kalzium, vielleicht auch eine geringe Dosis Aspirin), und Millionen von Amerikanern verhalten sich entsprechend. Deshalb sollten diese Vorteile mittlerweile auch statistisch nachweisbar sein. Haben sie tatsächlich zu einer Verdichtung der Morbidität geführt? Die Erkenntnisse aus einer Reihe von Erhebungen, bei denen Forscher den Lebensweg älterer Erwachsener von 1982 bis 1999 verfolgten, zeigen, dass dies der Fall ist. 

Einem im Dezember 2002 im <Journal of the American Medical Association> veröffentlichten Artikel ist zu entnehmen, dass körperliche, kognitive und sensorische Einschränkungen bei Personen, die sich intensivem körperlichem Training unterziehen, zurückgehen. Im siebzehn Jahre umfassenden Unter­suchungs­zeitraum dieser Studien ist außerdem der Anteil der über 65-Jährigen, die in Pflegeheimen für gebrechliche alte Menschen leben, von 6,3 auf 4,5 Prozent zurückgegangen. Es gibt sehr viele Veröffentlichungen in Zeitschriften, die von ähnlichen Ergebnissen berichten. Dazu gehört auch ein sehr bekannter Bericht über eine große Gruppe von Absolventen der University of Pennsylvania, die zu Beginn der Studie ein Durchschnittsalter von 68 Jahren aufwiesen. 

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Diejenigen, die sich körperlich betätigten, die Finger von Zigaretten ließen und einen normalen Körperfettanteil aufwiesen, schoben das Eintreten der Gebrechlichkeit im Vergleich zu den Angehörigen einer Kontrollgruppe, die all dies nicht vorzuweisen hatten, um durchschnittlich 7,75 Jahre hinaus. Wie so häufig, wenn sich Veränderungen bei großen Bevölkerungsgruppen zeigen, haben die Statistiker das letzte Wort. Vor kurzem haben sie es am Beispiel der älteren Leute in einem Bericht der US-Bundesregierung formuliert, der unter dem Titel <65+ in the United States: 2005> vom Gesundheits- und Handels­ministerium gemeinsam herausgegeben wurde. Der im Dezember jenes Jahres erschienene Bericht wertet die von der Volkszählungsbehörde gesammelten Informationen aus und gibt einen Überblick zur gegenwärtigen und künftigen älteren Bevölkerung, der, das kann man wohl mit einiger Gewissheit sagen, auf die meisten Industriestaaten übertragbar ist.

Der Kerngehalt des Berichts lässt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen, der bereits auf der ersten Seite steht: »Der ältere Teil der Bevölkerung steht an der Schwelle eines Booms.« Damit ist nicht nur ein zahlenmäßiger Boom, sondern auch eine ebensolche Entwicklung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohlstand, ja sogar Optimismus gemeint. Und nur den alleroberflächlichsten Beobachtern der aktuellen Zustände kann entgehen, dass dieser Boom sich bereits seit einiger Zeit entwickelt hat. Das Wort »Boom« scheint in der Tat umso angemessener, als der unmittelbare Grund für die zahlenmäßige Zunahme dieser Bevölkerungsgruppe das Alterwerden der Babyboomer ist, einer Generation, deren Geschichte mit dem Jahr 1946 einsetzt. Das gesundheitliche und sozioökonomische Profil des heutigen älteren Durchschnittsamerikaners unterscheidet sich deutlich von dem Bild, das sich in früheren Generationen bot, und diese Unterschiede werden in den kommenden Jahrzehnten noch ausgeprägter sein. 

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Der Großteil der Informationen in <65+ in the United States: 2005> ist zwar der Länge des Lebens gewidmet, aber in diesem Bericht finden sich auch durchgehend Anhaltspunkte für die zunehmende Lebensqualität im Land.

Der Bericht sagt für das Jahr 2030 eine Zahl von 72 Millionen Amerikanern über 65 voraus (was einem Bevölkerungsanteil von fast 20 Prozent entsprechen würde), für 2050 sogar von 86,7 Millionen, während es 2003 noch 36 Millionen waren. Selbst ohne die Babyboomer hat die Zahl der ältesten Alten (ab 85 Jahren) rasch zugenommen. Bereits im Jahr 2003 lag sie bei 4,7 Millionen, für 2030 werden fast 10 Millionen, für 2050 dann 21 Millionen vorhergesagt. Weitgehend dasselbe kann auch für die über Hundertjährigen festgehalten werden, deren Zahl, wie zuvor bereits festgestellt, innerhalb eines Jahrzehnts von etwa 37.000 (1990) auf 50.000 (2000) gestiegen ist. 

Gegenwärtig können 64 Prozent der Amerikaner damit rechnen, mindestens 75 Jahre alt zu werden, für 35 Prozent lautet die Prognose gar: mindestens 85. Und damit nicht genug, denn die Zahl der verbleibenden durchschnittlichen Lebensjahre nimmt für alle Alten zu. Der 75 Jahre alte amerikanische Durch­schnitts­mann kann mit mehr als zehn weiteren Jahren auf dieser Erde rechnen, und seiner Zwillingsschwester verbleiben sogar mehr als zwölf Jahre.

Die Zunahme des Anteils der Menschen ab 65 an der Gesamtbevölkerung übertrifft die der Jüngeren bei weitem, gegenwärtig stellt die erstere Gruppe jeden achten Amerikaner. All dies spiegelt natürlich die Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung, die von 1900 bis 2004 von 47,3 Jahren auf 77,9 Jahre gestiegen ist, wobei Frauen im Durchschnitt fünf Jahre länger leben als Männer, etwa achtzig im Vergleich zu 75 Jahren. 

Ein großer Teil dieser Zunahme ist darauf zurückzuführen, dass die Älteren inzwischen länger leben, und das ist ein erheblicher Unterschied zu früheren starken Veränderungen bei den Anteilen der einzelnen Altersgruppen, die zum größten Teil auf eine verringerte Todesrate von Säuglingen und Kleinkindern zurückgingen.

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Diese Zahlen werden durch die Tatsache unterstützt, dass der erste Jahrgang der Babyboomer 2011 65 Jahre alt wird, aber diese Alterskohorte ist von der gesamten statistischen Grundlage weit entfernt. Der 65+-Bericht hält fest: »Die Menschen in den Vereinigten Staaten leben länger und gesünder als jemals zuvor.« Herzkrankheiten, die nach wie vor wichtigste Todesursache, sind weiterhin rückläufig, und das gilt für die Häufigkeit ihres Auftretens wie auch für die Zahl der Todesfälle. Dieser Rückgang ist der wichtigste Grund für die höhere Lebenserwartung der Älteren. Außerdem stellten einschlägige Untersuchungen (wie die auf den vorhergehenden Seiten genannten) einen erheblichen Rückgang der allgemeinen Gebrechlichkeit und der körperlichen Einschränkungen fest. 

»Der Begriff der aktiven Lebenserwartung (active life expectancy, ALE) soll, als Kriterium für die Lebensqualität, die Zahl der Jahre bezeichnen, in denen die Menschen im Durchschnitt mit einem Leben ohne Gebrechen rechnen können. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die gegenwärtige Generation älterer Menschen nicht nur länger, sondern auch gesünder lebt und an weniger Gebrechen leidet als die voran­gegangenen Generationen. Dies wird durch verschiedene Mess- und Analysemethoden, einschließlich der ALE, belegt.«

Diese Veränderungen sind auf Faktoren wie einen höheren sozioökonomischen Status und ein höheres Nettoeinkommen zurückzuführen. (Ein Beispiel: Noch im Jahr 1959 lebten 35 Prozent der älteren Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, 2003 waren es noch 10 Prozent. Außerdem stieg das durchschnittliche inflationsbereinigte Einkommen in Haushalten, denen ein über 65-Jähriger vorstand, von 12.882 Dollar im Jahr 1967 auf 23.787 Dollar im Jahr 2003.) 

Zu nennen sind außerdem noch: 

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Wie bereits gesagt, waren Fortschritte in der öffentlichen Gesundheitsfürsorge in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der mit Abstand wichtigste Faktor für die Zunahme der Lebenserwartung und der allgemeinen Vitalität. Dazu gehörten Schutzimpfungen, sauberes Trinkwasser, menschen­freundlichere Unterkünfte, bessere Kleidung und allgemein verbesserte hygienische Bedingungen. 

In den letzten Jahrzehnten ist der medizinische Fortschritt, der einzelnen Patienten zugutekommt, eine wichtigere Einflussgröße geworden, die eine wirkungs­vollere Behandlung von Krebs, Lungenkrankheiten, Schlaganfällen und chronischen, die Patienten insgesamt schwächenden Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, Osteoporose, Nierenversagen, Alzheimer-Krankheit und anderen Demenz auslösenden Leiden sowie Arthritis verspricht. Der Feldzug gegen chronische Krankheiten ist für die Lebensqualität besonders wichtig, weil etwa 80 Prozent der älteren Menschen an zumindest einer und 50 Prozent an mindestens zwei chronischen Erkrankungen leiden.

Neben einer gesunden Lebensweise und dem verstärkten Achten auf persönliche Fitness haben noch weitere Faktoren zu dieser erfreulichen Statistik beigetragen. Dennoch gibt es kaum Zweifel daran, dass bereits relativ simple Maßnahmen zur Begünstigung dieser beiden Faktoren, etwa die Empfehlung durch Gerontologen und deren klinische Kollegen, die Geriater, bei ihrer Verwirklichung eine bedeutende Rolle spielen. 

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Diese Zahlen bieten Grund zum Optimismus, und sie lassen hoffen, dass in künftigen Jahrzehnten noch weniger alte Menschen in Pflegeheimen betreut werden müssen oder zur Bewältigung ihres Alltags auf die Hilfe anderer angewiesen sind.

In einer Zeit begrenzter Ressourcen — und wann haben wir denn in einer Zeit gelebt, in der die Ressourcen nicht begrenzt waren? — täten wir jedenfalls gut daran, einen größeren Teil unseres intellektuellen Kapitals und unserer Steuergelder auf die Verbesserung der Lebensqualität in den späten Jahren zu verwenden, anstatt solche Mittel in das egozentrische und höchstwahrscheinlich wirklichkeitsfremde Ziel zu investieren, unsere Lebenszeit über die uns von der natürlichen Auslese zugewiesene Zeitspanne von 120 Jahren hinaus zu verlängern. 

Eine stetig größer werdende Gruppe älterer Menschen hat unserer Gesellschaft viel zu geben, wenn wir ihnen nur dazu verhelfen können, so vital zu bleiben, dass sie uns ihre potenziellen Beiträge auch zukommen lassen können. Statt enorme Geldmittel für die aktuelle Version von Brown-Sequards Wunsch­vorstellung auszugeben — Verjüngungskliniken, in denen den Patienten Hormone und Fötuszellen injiziert und die Antioxidanzien handvollweise geschluckt werden —, statt enorme Geldmittel für die Unterstützung ehrgeiziger Wissenschaftler zu verwenden, die das ewige Leben mit Hilfe molekularer Taschenspielertricks versprechen, anstatt also solche Torheiten zu begehen, sollten wir unsere Aufmerksamkeit lieber den Alten in unserer Mitte widmen und ihre und unsere Bedürfnisse erkennen.

Einige dieser Alten zeigen uns bereits den potenziellen Wert solcher Investitionen in ihre Lebensqualität. Die verdichtete Morbidität und die Verschiebung der Zeit der Gebrechlichkeit in Richtung Lebensende, die bereits so vielen dieser Menschen zugute gekommen ist — ebenso wie die verlängerte Lebenszeit —, sind mittlerweile an der Tagesordnung, so dass wir täglich entsprechende Beispiele zu sehen bekommen.

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Wir müssen uns nur umsehen, dann finden wir die statistischen Erhebungen bestätigt, die einem Phänomen, das für jeden Menschen erkennbar ist, der sich damit auseinandersetzt, wissenschaftliche Objektivität verleihen. Der ältere Mann und die ältere Frau, denen wir im Alltag begegnen, sehen jünger aus und verhalten sich auch viel jünger, als es noch ihre Vorläufergeneration getan hat. 

Und wir sehen sehr viel mehr Beispiele für Einzelpersonen, deren Leben in vielerlei Hinsicht für die Gesellschaft ebenso nützlich und für sie selbst noch genauso gewinnbringend ist wie zu dem Zeitpunkt, als sie auf der Höhe ihres Berufslebens standen. Sie zeigen uns beispielhaft, was erreicht werden könnte, wenn das entsprechende Wissen und die dazugehörigen Ressourcen allen Menschen zugänglich gemacht würden. 

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Emanuel Papper, der im Dezember 2002 im Alter von 87 Jahren starb, war mein bester und am meisten bewunderter Freund. Er diente als Sanitätsoffizier in der Luftwaffe und wurde für seinen heldenhaften Einsatz mit dem <Silver Star> ausgezeichnet. Aus dem Zweiten Weltkrieg kehrte er mit inneren Verletzungen an Zwerchfell und Magen zurück, die er erlitten hatte, als sein Bomber abgeschossen worden war, und von denen er sich niemals völlig erholte.

Als er erkannte, dass das Fachgebiet der Anästhesiologie immer noch auf einem relativ primitiven Entwicklungsstand verharrte, beschloss er, sich in diesem Bereich zu engagieren. Er erreichte sein Ziel durch die Anwendung der Prinzipien wissenschaftlicher Grundlagenforschung in der klinischen Versorgung und der Ausbildung von Assistenzärzten. Diesen Ansatz führte er mit nur wenigen anderen Pionieren in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die akademisch-medizinischen Zentren ein. Als Leiter des Instituts für Anästhesiologie der Columbia University in New York, schuf er ein Programm, das Kollegen aus aller Welt anlockte. Sie kamen, um seine Methoden zu erlernen und sie in ihren eigenen Krankenhäusern und medizinischen Fakultäten einzuführen.

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Nach 25 Jahren an der Spitze einer der führenden medizinischen Abteilungen seines Spezialgebiets in Amerika übernahm E. Papper den Posten des Dekans der medizinischen Fakultät an der Universität von Miami. Dieses Amt übte er vierzehn Jahre lang aus und sorgte in dieser Zeit für enorme Verbesserungen der akademischen Standards des Hauses, bevor er im Alter von siebzig Jahren in den Ruhestand ging. Danach unterrichtete er zwar weiterhin Assistenzärzte und Studenten in Anästhesiologie, aber sein neugieriger Geist suchte nach neuen Herausforderungen. Also schrieb er sich an seiner Universität für ein Promotions­studium in englischer Literatur ein und wurde schließlich mit 76 Jahren zum Dr. phil. promoviert. 

Seine Dissertation über die Dichter der Romantik war für den Rest seiner Lebenszeit Wasser auf die Mühlen seiner vielfältigen intellektuellen Interessen. Er beschäftigte sich weiterhin mit den Werken der Schriftsteller des frühen 19. Jahrhunderts und erwarb nach wie vor Erstausgaben ihrer Bücher, die er seiner zunehmend eindrucksvollen Sammlung hinzufügte. Seine geistigen Interessen waren breit gefächert, er beschäftigte sich mit Religionen, mit klassischer Musik, mit Meisterwerken der bildenden Kunst nahezu jeder Stilrichtung, und er bewies stets eine große Neugier für die Unternehmungen der vielen unter­schiedlichen Männer und Frauen, mit denen er zusammentraf. 

E. Papper führte zwar ein im Wesentlichen geistiges Leben, aber seinen Körper vernachlässigte er nie. Er trainierte ebenso regelmäßig wie intensiv und war bis wenige Jahre vor seinem Tod ein eifriger Tennisspieler. Wer ihn in Miami besuchte, wurde meist auch ins Fitnessstudio mitgenommen und später dann eingeladen, ihn auf einem seiner langen, zügigen Spaziergänge zu begleiten, die viele jüngere Männer oder Frauen müde werden ließ, lange bevor der Gastgeber eine sichtbare Anstrengung zeigte.

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Als Emanuel auf das 85. Lebensjahr zuging, wurde er zunehmend kurzatmiger und ermüdete auch schneller als in früheren Zeiten. Eine schwere Bauch­operation zur Behebung eines lebensbedrohlichen Zustands, der von den alten Kriegswunden ausgelöst worden war, verschlimmerte diese Probleme, doch er erholte sich rasch und nahm auch sein übliches Trainingsprogramm wieder auf. In seinen intellektuellen Leistungen hatte er ohnehin nie nachgelassen. 

Als eine medizinische Untersuchung zeigte, dass die Atemprobleme von einer undichten Herzklappe verursacht wurden, beschloss er, sich einer riskanten Operation zu unterziehen, die Heilung versprach, denn die Atembeschwerden beeinträchtigten seine Lebensfreude. Zu der gehörten immer noch ein regel­mäßiges Krafttraining sowie Spaziergänge. Das Tennisspielen hatte er allerdings einige Jahre zuvor wegen einer Schulterverletzung aufgegeben, wenn auch nur widerwillig. 

Die Ereignisse des 11.09.2001 entfachten Emanuels seit langem bestehendes Interesse am Islam aufs Neue. Er begann diese Religion mit der gleichen Intensität zu studieren, die er auf alle anderen bisherigen Ziele verwendet hatte. Sein Engagement ging so weit, dass er für das <Aspen Institute>, dessen Verwaltungsrat er schon seit langem angehörte, eine Konferenz zu diesem Thema organisierte. 

An einem Spätnachmittag Anfang Dezember 2002, einige Wochen vor seiner Herzoperation, suchte er im Internet nach einer Antwort auf irgendein entlegenes Problem aus der Geschichte des Islam. Plötzlich klagte er, dass ihm alles vor den Augen verschwimme, und stürzte bewusstlos zu Boden. Er starb sieben Stunden später im Krankenhaus an einer starken Gehirn­blutung.

Natürlich ist die Geschichte von Emanuel Papper ein extremes Beispiel für das, was möglich ist, wenn der Wille und die nötigen Mittel vorhanden sind. Er hatte den persönlichen Hintergrund, den Elan und die finanziellen Mittel, um sein Leben so zu gestalten, dass seine größten Hoffnungen erfüllt wurden. Doch die wichtigste Lehre, die sich aus seiner Geschichte ziehen lässt, lautet, dass so etwas möglich ist, wenn auch häufig nicht in dem Ausmaß, das Papper vergönnt war. 

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Die breite Öffentlichkeit muss erkennen, dass es relativ einfache Grundsätze sind, die Gebrechlichkeit verhindern und zugleich die Lebens­qualität verbessern, möglicherweise auch die Lebensdauer. Und die Ursachen für Gebrechlichkeit müssen weiterhin intensiv erforscht werden, denn das würde die älter werdenden Menschen — eine Gruppe, der wir alle angehören, sobald wir den Mutterleib verlassen — darin bestärken, selbst Vorsorge zu treffen. Es ist besser, öffentliche Gelder in solche Dinge zu investieren, als es für das prahlerische Streben nach Unsterblichkeit zu verschwenden.

Und wenn einige unserer älteren Mitbürger glauben, ein Toupet oder eine Perücke lasse sie jugendlicher aussehen, steht es uns anderen nicht an, darüber zu spotten. Wir sollten stattdessen bedenken, dass solche Tricks nur aus dem Wunsch, jung zu bleiben, erwachsen. 

Vielleicht sind sie auch der erste Schritt auf dem Weg, lange bestehende selbstzerstörerische Lebensgewohnheiten zu ändern und regelmäßig ins Fitness­studio zu gehen, was dann den wirklichen Fortschritt bringt. Eitelkeit hat die gleiche Wirkung wie die Rosinen, die ein Kind zu Müsli greifen lassen, und der Stolz ist der gute Geschmack, der dafür sorgt, dass es weiterisst

Und was das Penisimplantat betrifft, das sich mein ehemaliger Studienkollege einsetzen lassen will: Bin ich der einzige alte Knacker, der meint, dass das vielleicht gar keine so schlechte Idee ist?

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 Nuland 2007