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Einleitung von Fairfield Osborn 1948

 

 

17-18

Der Gedanke, dies Buch zu schreiben, tauchte gegen Ende des zweiten Weltkrieges auf. In diesen Tagen kam es mir so vor, als sei die Menschheit in zwei große Konflikte verwickelt — nicht nur in den einen, von dem jede Schlagzeile und jede Radio­reportage sprach, der Kopf und Herz jedes Menschen bewegte und an dem die ganze Welt litt. 

Der andere Krieg, jener lautlose Krieg, vielleicht der noch tödlichere Krieg, war derart, daß ihn die Menschheit lange Zeit, blind und einsichtslos, gar nicht beachtet hatte. Dieser andere weltumspannende Krieg, der fortdauert, kann unter dem Menschengeschlecht Not und Elend weiter verbreiten, als es irgendein bewaffneter Konflikt zu tun imstande war. Er birgt größere Möglichkeiten für eine endgültige Katastrophe als selbst der Mißbrauch der Atomkräfte. 

Dieser andere Krieg ist der Kampf des Menschen gegen die Natur.

Bei manchen Gedanken, die auf den folgenden Seiten ausgedrückt sind, mögen Fragen rein philosophischer, spiritueller Art auftauchen; denn man kann unmöglich über den Menschen in seinen Beziehungen zur Natur nachdenken, ohne zu fragen:  «Was ist der Sinn des menschlichen Daseins? Welche Bedeutung hat die Entwicklung der moralischen und geistigen Fähigkeiten des Menschen? Gibt es einen Gott, der alles geschaffen?» Oder einfacher gesagt: «Was ist denn eigentlich und im Grunde das Leben?» Wir wollen es den Philosophen überlassen, solche Fragen zu beantworten, so gut sie vermögen. Die Absicht der folgenden Kapitel ist viel einfacher. Sie wollen nur einige Seiten der Beziehungen darstellen, die zwischen Mensch und Natur im Ganzen und im besonderen mit anderen Lebewesen bestehen.

Das Wort Natur kann sehr verschiedenartige Bedeutung haben. Im allgemeinsten Sinn bezeichnen wir mit ihm die Gesamtheit des Universums. Sprechen wir dagegen von der Natur eines Individuums, so meinen wir sein Wesen oder, genauer gesagt, die eigentümlichen Impulse und Kräfte, die seinen Charakter beherrschen oder bestimmen. Natur bedeutet auch die Gesamtheit aller Bedingungen und Prinzipien, die das Dasein aller Lebewesen, den Menschen eingeschlossen, beeinflussen, ja lenken. Die Absicht dieses Buches erschöpft sich nicht darin, zu beweisen, daß diese Definition eine Wahrheit ausspricht, sondern wir wollen auch zeigen, daß die Tage unserer Kultur gezählt sind, wenn wir fortfahren, die Natur und ihre Prinzipien zu mißachten.

Dies Büchlein besteht aus zwei Teilen. Im ersten wollen wir zeigen, daß der Mensch, unbeschadet aller geistigen Errungen­schaften, die zu unserer komplexen, modernen Kultur führten, einst, heute und für alle Zeiten ein Glied in der großen Ordnung der Natur ist. Im zweiten Teil versuchen wir zu zeigen, was der Mensch in den jüngsten Jahrhunderten dem Antlitz unserer Erde angetan hat, und wie er mit wachsender Geschwindigkeit die Quellen seines eigenen Daseins zu verschütten droht. Das ist jener andere lautlose, weltumspannende «Krieg». Seine Früchte sind bewaffnete Konflikte wie die beiden letzten Weltkriege.

Bleiben wir unbeherrscht auf den heutigen Wegen, so wird sein sicheres Ergebnis eine Ausbreitung des Elends sein, wie es die Menschheit noch niemals erlebte, ja er gefährdet zum Schluß das nackte Dasein des Menschen.

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Fairfield Osborn 

 

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Fairfield Osborn  1948  Einleitung