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7. Die Mittelmeerländer und Afrika   

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Das Bild, das wir in Asien gesehen haben, ist so ungünstig und die Lage vieler asiatischer Völker so verzweifelt, daß es, wenn wir uns nun zum Mittel­meerbecken und den Ländern rings herum hinbegeben, einen glücklichen Kontrast bilden würde, fänden wir dort ein Gebiet des Überflusses.

Einst war es eine Region des Überflusses. Im alten Griechenland, mit seinen bewaldeten Höhen, seinen reichen Wasserläufen und seinen ertragreichen Böden, erlebte die Kultur einen der Höhepunkte in der Geschichte menschlichen Lebens.

Gewiß, die Völker Griechenlands hatten ihre Sklaven, eine Einrichtung, die für unsere heutigen Begriffe von der Gesellschaft unerträglich erscheint, doch die Sklaven waren gleich ihren Herren gut genährt, gut gekleidet und hatten gute Wohnstätten. Wie das in allen ausgeglichenen menschlichen Gesellschaften geschieht, blühten die Künste, und Religion und Philosophie hoben und verschönten das Leben des Volkes. Herrliche Städte wurden erbaut, und in einer schöpferischen Atmosphäre, die mehrere Jahrhunderte vorherrschte, fanden große Männer ihre Entfaltungs­möglichkeit.

Zwanzig Jahrhunderte sind seitdem verflossen, und starke Wechselfälle zogen über die einst so wundervolle Halbinsel. Die jüngsten Ereignisse legen es nahe, die gegenwärtige Lage des griechischen Volkes abzuschätzen, wie sie sich unter dem Einfluß der gegenwärtigen Gegebenheiten des Bodens darstellt und weiter zu untersuchen, welchen Einfluß möglicherweise diese Beziehung zwischen dem Volk und seinem Land auf den Lauf der Weltgeschehnisse haben kann.

Die Vereinigten Staaten gewährten vor kurzem Griechenland eine Anleihe von mehreren hundert Millionen Dollar mit der offen eingestandenen Absicht, dieses Land in der Front der westlichen Demokratien zu halten und ihm zu ermöglichen, sich vom Einfluß und der Herrschaft der Sowjet-Ideologie frei zu halten, die aus dem Osten anströmt. Obwohl man den Transfer dieser großen Geldsumme ein Darlehen genannt hat, erwartet vermutlich niemand, daß sie in Dollar zurückbezahlt wird; denn Griechenland ist ein verarmtes Land mit nur entfernten Möglichkeiten eines wirtschaftlichen Aufstiegs.

Bei Licht besehen, wurde das Darlehen mit einem sozialen und politischen Ziel gegeben. Die Transaktion setzt voraus, das Volk der Vereinigten Staaten, welches das Geld aufbringt, habe Grund zur Annahme, Griechenland als Nation sei «eine interessante Sache» oder könne es mit finanzieller Unterstützung werden, und könne so genügende Stabilität erreichen, um sich selbst eine wohlgesicherte, demokratische Regierungs­form zu geben.

Ist es nicht Zeit, zu erkennen, daß eine politische Stabilität undenkbar ist, solange die grundlegenden Lebens­bedürfnisse eines Volkes nicht befriedigt werden? Diese Grundbedürfnisse sind nicht zu befriedigen, solange die produktive Bodenbasis unzureichend, mangelhaft oder verödet ist.

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Die moralische Widerstandsfähigkeit eines Volkes wird geschwächt, wenn sein Land nicht genügend fruchtbar ist, um ihm ausreichende Sicherheit zu gewähren, geistige sowohl wie physische, die sich nun einmal nicht trennen lassen. Sonst wird, unter dem Zwang der Not, seine Gesinnung schwanken wie ein Rohr im Wind.

Wir sagen das nicht, um das griechische Volk herabzusetzen oder zu kritisieren; alle Welt weiß, daß es unzählige Notlagen ertragen und aufs tapferste versucht hat, die Freiheit zu bewahren, der seine großen Philosophen in den glorreichen Tagen seiner alten Geschichte als Erste Ausdruck verliehen. Auch darüber wollen wir uns nicht auslassen, ob es vom rein politischen Standpunkt aus strategisch und zeitlich richtig war, solch eine Anleihe zu gewähren. 

Unsere Frage ist folgende: Wurde die Bodensituation in Griechenland genügend in Betracht gezogen, als man das Darlehen gewährte, und wurden Abmachungen für ein gründliches langfristiges Programm getroffen, die Bodengrundlage wiederaufzubauen, aus der die lebendigen Hilfsquellen des Landes wachsen müssen. Ist kein solches Programm eingesetzt worden, so bleibt diese Investierung — vielleicht nur die erste von einer ganzen Reihe ähnlicher — jedenfalls äußerst spekulativ, und es ist schwer abzusehen, wie sie ihren Zweck erreichen soll. 

Diese Zweifel und Bemerkungen lassen erwägen, ob nicht eine Zeit gekommen ist, in der internationale Fragen nur noch vernünftig behandelt werden können, wenn die Regierungen bereit sind, einzusehen, daß die Beschaffenheit und die Nutzung des Bodens wesentliche Elemente bei solchen Weltproblemen sind.

 

Selbst der flüchtigste Blick auf Griechenland zeigt, wie verzweifelt seine Situation ist. Es ist ein Land mit einem Gebiet von wenig mehr als 130.000 Quadratkilometern (etwa die Größe des Staates Arkansas), das eine Bevölkerung von über 7.500.000 Personen zählt. Nicht über 20 Prozent der Bodenfläche eignen sich zum Anbau, das bedeutet, daß auf jeden Einwohner knapp 40 Ar an Kulturland kommen. Man möge sich erinnern, daß ein Minimum von 100 Ar Kulturland für den Unterhalt einer Person berechnet wurde. Ganz Griechenland, selbst der noch anbaufähige Boden, ist stark erodiert. Wahrscheinlich tragen höchstens 2 Prozent des ganzen Landes noch ihre ursprüngliche Humusschicht, und diese findet man ausschließlich in solchen abgelegenen Gebieten, die noch heute bewaldet sind.

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Das Getreide wächst heute auf Unterböden, die nur noch Reste der fruchtbaren Humusschicht enthalten oder auf geradezu unfruchtbaren Unterböden. Dementsprechend beträgt denn auch die mittlere Weizenproduktion in diesem Land insgesamt nur 780 kg pro Hektar, während eine einigermaßen normale Ergiebigkeit 1700 bis 2000 kg pro Hektar sind und auf ausgezeichnetem Fruchtland bis 3400 kg erzielt werden. Der ernährungs­technische Wert von Getreide, das auf Böden wie den in Griechenland übriggebliebenen wächst, ist auch noch zweifelhaft.

Ursprünglich waren mindestens 60 Prozent des ganzen Landes von prachtvollen Wäldern bedeckt. Jetzt zeigen wenig über 5 Prozent noch solch eine Bodenbedeckung. Jahrhunderte des Kahlschlags, der Waldbrände, der Übernutzung durch Schaf- und Ziegenherden haben das Hügelland veröden lassen. Dorngestrüpp und Buschwerk deckt heute den Großteil der einst bewaldeten Landstriche. Praktisch alles zum Schiff- und Hausbau nötige Holz, ja selbst das Brennholz, muß eingeführt werden, und dieser Zustand herrscht schon seit mehreren Jahrhunderten.

Im Vorbeigehen berichtet ein neuerer Beobachter der Zustände in Griechenland, er habe bei all seinen Wanderungen durch die verschiedenen gebirgigen Teile des Landes nur zwei Rebhuhn­pärchen und ein Kaninchen gesehen — das ganze natürliche Wildleben ist ausgerottet. Besonders betroffen war er über das vollkommene Fehlen der Vogelwelt; der einzige Vogel, der überhaupt verbreitet war, ist der Rabe, der in einigen Bergtälern recht zahlreich ist. In antiken Volkszählungen sind die Jäger, als eine der Hauptberufs­gruppen, getrennt aufgeführt; das zeigt, wie reich die Wildbahn einst bestellt war.

In normalen Zeiten sind die Griechen gezwungen, mehr als die Hälfte ihres Brotgetreides, dreiviertel ihres Reiskonsums und kleinere Bruchteile der anderen Grundnahrungsmittel einzuführen. Bezahlt werden sie hauptsächlich mit der Ausfuhr von Tabak, Korinthen, Wein und Oliven, die ohne weiteres — mit Ausnahme der Tabakernte — im Lande verbraucht würden, wenn die Bevölkerung sich das leisten könnte. Diese Tatsache ist bezeichnend für den tiefen Lebensstandard, auf den die allgemeine Bevölkerung herabgedrückt ist.

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Der Ruin von Land schreitet immer weiter. Die Sumpfgebiete wachsen wegen der unglaublichen Schlammassen, die aus den Quellgebieten der Wasserläufe in die Niederungen mitgeführt werden. Die Betten der hauptsächlichsten Flüsse verändern sich dauernd, schwanken im Winter hin und zurück, brechen aus ihrem Lauf, vernichten die Ernte und beschädigen Eisenbahnlinien. Von alters her schon hat man versucht, diesen Katastrophen entgegenzuwirken und die Flüsse zwischen Dämme einzuschließen. Einige solcher alten Kunstbauten finden sich heute ein oder zwei Meilen vom jetzigen Flußlauf entfernt. Schwerste Erosion auf allen abschüssigen Stücken, die für eine Bebauung zu steil sind, ist für praktisch alle Gebirgsgegenden charakteristisch. Um das Unheil voll zu machen, wird durch die ausgedehnte Benutzung des Stallmistes zu Heizzwecken das Land noch der organischen Stoffe beraubt, die so bitter notwendig wären, um seine Fruchtbarkeit zu erhalten.

Inzwischen ist die Bevölkerung ganz wesentlich gewachsen. Selbst wenn man in Betracht zieht, daß sich bei den verschiedenen Friedensschlüssen, die den Kriegen folgten, in die Griechenland verwickelt war, das Territorium im Vergleich zur Vergangenheit vergrößert hat, stellt die gegenwärtige Bevölkerung eine Dichte von 60 Seelen pro Quadratkilometer dar, oder eine fünffach so große Zahl für jeden Quadratkilometer anbaufähigen Landes. Selbst der fruchtbarste Boden könnte den Bedürfnissen solch einer Bevölkerung nicht gerecht werden.

Trotz alledem ist eine konstruktive Einstellung gerechtfertigt. Man kann Heilmittel anwenden, um diese trüben Verhältnisse zu bessern; nicht nur, daß man den Boden vor weiterer Abtragung schützen kann; es ist auch möglich, dem Land langsam wenigstens einigermaßen seine ehemalige Fruchtbarkeit wieder zu verschaffen. Ein umfangreiches Wiederaufbauprogramm läßt sich aber nur mit äußerster Geduld durchführen, da sich erst nach Jahren greifbare Ergebnisse erwarten lassen. Die Kosten solch eines Programms sind sehr erheblich. Es wäre notwendig, die Landbevölkerung zu besseren Methoden der Bodennutzung zu erziehen; riesige Mengen natürlicher und künstlicher Düngmittel wären erforderlich; langfristige Pläne für eine Wiederaufforstung müßten aufgestellt werden; Staubecken und Bewässerungs­anlagen müßten gebaut werden.

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Verschiedene Fragen drängen sich auf. In welchem Umfang hat sich die Regierung der Vereinigten Staaten Einblick in die Boden­verhältnisse Griechenlands verschafft, bevor sie sich entschied, dem Land ein derart großes Kapital zur Verfügung zu stellen? Falls die Zustände richtig erkannt wurden, welche Vorkehrungen zur Inangriffnahme eines langfristigen Programms zu Bodenverbesserungen wurden getroffen? Unbeschadet aller politischen Begründungen, wurde die Anleihe in Unkenntnis der Verhältnisse oder ohne Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen Verwahrlosung des Bodens und politischer Unstabilität eines Volkes gewährt, was soll im nächsten oder übernächsten Jahr werden? Wollen die Vereinigten Staaten für Griechenland oder irgendeine andere Nation der gute Patenonkel sein, so bleibt die Frage, wie es möglich ist, diese Rolle mit Aussicht auf Befriedigung eines der beiden Partner längere Zeit zu spielen, wenn das Patenkind auf seine grundlegenden Lebenshilfsquellen von vorneherein kein Selbstvertrauen haben kann.

Wie wir in einem späteren Kapitel sehen werden, bewegen sich auch die Hilfsquellen Amerikas selber auf einer Spirale langsam abwärts. Daß Amerika diese Gevatterschaft annahm, mag im Drang des Idealismus geschehen sein, doch nur ein Realismus, der sich auf die in einer gegebenen Situation enthaltenen Tatsachen stützt, vermag eine nationale Politik zu verantworten, die eine ausgedehnte Hilfeleistung an andere Völker mit sich bringt. Die Vorstellung, «Amerika kann die Welt ernähren», ist nicht von Dauer. Bei allen «Investierungen zum Schutz der Demokratie» in Griechenland hält die Natur die Trümpfe in der Hand. Bei der Schlußbilanz wird Gewinn oder Verlust dieser Investierung davon abhängen, was mit den Bodenressourcen dieser geplagten Halbinsel geschieht.

Auch die Türkei hat durch die Zerstörung der Wälder und den Raubbau am Ackerboden schwer gelitten. Die Abhänge und breiten Täler der Europäischen Türkei, diesseits des Bosporus im Norden Konstantinopels, sind baumlos. Einst lagen hier ausgedehnte Waldungen und reiche Bauernhöfe. Heute treiben einzelne Hirten hier ihre Schafe, die das Futter suchen, das vom kümmerlichen Land geliefert wird. Für das Unheil, welches das Land erdulden mußte, sind vor allem Invasionen nomadischer Horden verantwortlich, die sich in rascher Folge ablösten.

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Die Provinz Anatolien ist vielleicht das drastischste Beispiel für Erosion, das sich in der ganzen Welt finden läßt. Hier hat der zum Meer gespülte Humus alle Häfen mit Schlamm verstopft, und zwar derart, daß ehemalige Hafenstädte wie etwa Tarsus, heute zehn Meilen landeinwärts liegen. Man hat abgeschätzt, daß sich die Mündung des Flusses Manderes seit Christi Zeiten mit einer Geschwindigkeit von 800 Meter im Jahrhundert seewärts verschiebt. Rings um Istanbul liegen die Hügel zerschunden und unbewachsen, die Straßen der Stadt sind voller Bettler. 

Mißnutzung des Bodens und Armut der Bevölkerung — nirgendwo zeigt sich so deutlich wie im nahen Osten, daß beide Hand in Hand gehen. Vor einigen Jahren stellte sich die jetzige Regierung selber die Aufgabe, bessere Methoden der Landwirtschaft einzuführen, und ein großzügiges Wieder­aufforstungs-Programm in Angriff zu nehmen. Noch ist die Zeit nicht gekommen, die Wirksamkeit dieser Maßnahmen abzuschätzen.

Über Palästina ist in der letzten Zeit soviel gesagt und geschrieben worden, daß es überflüssig erscheint, hier näher auf dieses Land einzugehen. Daß es einst ein dichtbewaldetes, fruchtbarstes Gebiet war, weiß jedermann. Große Flächen des früher besiedelten Gebiets sind heute völlig zugrunde gerichtet. Es wäre von höchstem Interesse, daß die gegenwärtigen politischen und sozialen Schwierigkeiten raschestens gelöst würden, wenn nicht aus anderen Gründen, dann schon allein, damit sich einmal erwiese, in welchem Umfang vereinte Bemühungen um die Wiederherstellung des Bodens in großem Maßstab zu einem wirklichen Erfolg werden können.

Ägypten — «das Geschenk des Nils» — steht an einem Wendepunkt. Der große Strom, dessen schlamm­beladene Fluten dem Lande Boden und Feuchtigkeit schenken, hat seine Quellen in Kenya, Uganda und Äthiopien tief im Innern Afrikas. Seit Jahrtausenden war das ägyptische Volk mit einem Lebensstandard zufrieden, der sich nach der normalen Fruchtbarkeit des Bodens bemaß, den das jährliche Hochwasser des Flusses heranschwemmte. Es besaß die Sicherheit, die ein von der Natur gespendeter Grund-Unterhalt gewährt — auf ihn konnte es beständig seit den ältesten, schriftlich bezeugten Zeiten rechnen.

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Doch kürzlich, im jüngstvergangenen Jahrhundert, traten zwei schwerwiegende Veränderungen ein, beide ungünstig und bedrohlich für das Leben des Landes. Ursache der ersten war die Verschärfung des internationalen Konkurrenzkampfes und die wachsenden Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung.

Der Wunsch nach nationaler Bereicherung, der Wille, möglichst großen Gewinn aus dem Boden zu ziehen, führte dazu, etwas anzunehmen, was man blindlings für eine wirksamere Bebauungstechnik hielt. Die Über­flutungs­bewässerung zur Zeit des jährlichen Hochwassers, das Geheimnis der Fruchtbarkeit Ägyptens seit den Zeiten lange vor der Dynastie der Ramses, wurde durch eine ganzjährige Bewässerung ersetzt. Dieser Ersatz sollte dem Gewinnmotiv dienen, nämlich der Zucht von Stapelpflanzen für den Export, wie Baumwolle und Tabak. Die Bedürfnisse des «Empire»! Die Fabriken in England! Ein Historiker der Zukunft — und ein fähiger — möge einmal von all dem Recht und Unrecht, Verdienst und Fehler auf lange Sicht abschätzen. Im Augenblick ächzt das Land. Die jährliche fünfmonatelange Brache, während der die wesentlichen fruchtbarkeits­erhaltenden Prozesse stattfanden, ist verschwunden. Der Boden Ägyptens wird zusehends schlechter. Selbst die Baumwollernten werden geringer!

Die zweite Bedrohung Ägyptens ist heimtückischer — kaum erkennbar, von Jahr zu Jahr jedoch beständig wachsend. Sie erwächst aus der falschen Nutzung des Bodens und der Zerstörung der Wälder in den Quellgebieten des Nils. Ein Fluß bleibt nur so lange ein Fluß, als die Quellgebiete, die ihn nähren, nicht ungebührlich verletzt sind. Spricht man über die Zukunft Ägyptens, so muß man im Auge behalten, was in Kenia, Uganda und Äthiopien vorgeht.

Große Teile Nordafrikas, die ans Mittelmeer anstoßen, waren einst fruchtbar; heute sind es Wüsten. Wandernde Hirtenstämme ziehen von Oase zu Oase; ihre Herden rupfen das spärliche Gras, das sie auf den zerklüfteten Hängen noch finden und lassen nur den bloßen, unstabilen Boden zurück. Hier liegen unter dem Sand große Städte begraben, uralte Bewässerungs­anlagen von höchster Vollendung finden sich, und wo man versuchte, das Land wiederherzustellen, erwiesen sie sich noch als benutzbar.

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Doch bis auf einige verstreute Olivenbestände, die an Stellen wachsen, die wie durch ein Wunder von der allgemeinen Verwüstung und Erosion verschont blieben, findet sich in diesem «Garten des Imperium Romanum» nichts, das andeutet, daß es jemals ein Garten war. Das genaue Alter der Bäume ist unbekannt, die Bewässerungs­anlagen, die geholfen haben, sie zu erhalten, reichen bis in römische Zeiten zurück. Die Gesundheit und die Frucht, die diese Bäume tragen, beweisen, daß widrige Wetter­verhältnisse mit der Verwüstung rings um sie her nichts oder nur wenig zu tun haben.

 

In der Cyrenaica, westlich von Ägypten, gründete die italienische Regierung in den letzten Jahren einen neuartigen, experimentellen Typus von Kolonie, denn es schien, als habe auch die Wüste noch ihre Möglichkeiten und könne wieder nutzbar gemacht werden, um einen Teil von Italiens Bevölkerungs­überschuß zu tragen. Straßen, Brunnen und schließlich ganze Städte mit öffentlichen Gebäuden wurden aus Staatsmitteln erbaut. Die Häuser wurden bis ins kleinste mit allem Nötigen ausgestattet, die Speisekammern gefüllt, für jedes Haus ein Stück Garten angelegt, lebendes Inventar und Futter beschafft, so daß jede der ausgelesenen Familiengruppen ihr Leben im neuen Land mit aller Aussicht auf Erfolg beginnen konnte.

Das Experiment war im ganzen ein Erfolg, und die Kolonie war imstande, sich selbst zu erhalten und einem Teil des verödeten Landes, der nicht allzu verwüstet war, seine Fruchtbarkeit zurückzugeben. Die dies Experiment geplant hatten, waren einsichtsvoll genug gewesen, die größte Gefahr von den neuen Gemeinden fern zu halten: sie hielten die wandernden Araberstämme mit Erfolg davon ab, in die neuen Städte einzubrechen und sie zu plündern. Sie gruben auch den Arabern Brunnen, bauten auch ihnen Siedlungen und hoben ihre Lebensbedingungen so weit, daß sie nicht genötigt waren, für ihren Unterhalt zum Plündern zu greifen. Doch all diese Arbeit erstreckt sich nur auf ein kleinstes Gebiet in dem gewaltigen, bis zur Unbrauchbarkeit erodierten Land und dient dazu, sich eine Vorstellung von der ungeheuerlichen Arbeit zu machen, die notwendig wäre, um mehr als ein paar Quadratkilometer wieder instand zu stellen.

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Das Araberproblem liefert wohl überhaupt den Schlüssel zu dem, was geschehen mußte, um den längs des Mittelmeers liegenden Saum Afrikas aus der Kornkammer des Imperium Romanum zu einem Landstrich zu machen, in dem tote Städte unter Schutt und Sand begraben liegen, in dem verödete Täler unter felsgekrönten Hügeln hinziehen, von denen das Erdreich abgetragen ist. Nur hin und wieder finden sich noch Spuren einer Vegetation. Ausgedehnte Schratten haben sich allenthalben in dem Gebiet entwickelt, das einst half, eine große Nation zu ernähren. Der brauchbare Boden, der noch übrigblieb, wird dauernd weiter seewärts verfrachtet, wo er sumpfige Bruch- und unsichere Morastlandschaften ins Leben ruft.

Aller Wahrscheinlichkeit nach war es der Einbruch der Araber mit ihren Groß- und Kleinvieh-Herden, der zu dieser Verwüstung führte. Wieder einmal hub der ewige Kampf an zwischen den bodenständigen Bauern und Stadtbewohnern auf der einen, und ihren Feinden, den unsteten Hirtenvölkern auf der anderen Seite. Wie es immer wieder im Lauf der Geschichte geschah, behielten auch hier die Hirten das letzte Wort. Ihre Schafherden fraßen alles Grün vom Lande weg und überließen den nackten Boden der Erosion durch Wind und Regen.

Eine große Stadt der blühenden Landschaft nach der anderen wurde unter Schutt und Sand begraben. Das alte Cuicul, eine sehr reiche Stadt, wurde völlig vom Sande verschüttet; nur eine drei Fuß hohe Säule fand man aufrecht inmitten des Wüstenlandes; heute, nach der Ausgrabung, sieht man, daß sie in ihren guten Tagen zahlreiche herrliche Tempel und christliche Kirchen besaß, dazu zwei Fora und Speicher für große Mengen Korn und Öl.

Auch die Stadt Timgad, die im ersten nachchristlichen Jahrhundert von Trajan gegründet wurde, ereilte ein gleiches Geschick. Von den windzerfressenen Trümmern wurde sie mit ihren berühmten öffentlichen Gebäuden und herrlichen Häusern so völlig verschüttet, daß nur Stücke eines Torbogens und drei ungebrochene Säulen die Stelle bezeichnen, an der die verlorene Stadt einst gestanden, und wo heute nichts zu finden ist, als eine Wüste wogender Dünen.

Zur Zeit der Römer wurde gut für das Land gesorgt. Wie es scheint, brachten die Phönizier ihre Fertigkeit im Terrassenbau und in der Bewässerung mit dorthin, die sie in der harten Arbeit zahlloser früherer Generationen gelernt hatten, und die sie mitnahmen, wohin sie auch gingen.

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In ganz Nordafrika findet man zahlreiche alte Zisternen und Schutzdämme. Viele von ihnen sind noch heute benutzbar. An manchen Orten sind sie die Quellen der Wasserstellen, die nomadische Stämme besuchen. Eine noch wichtigere Aufgabe aber als die Wiederherstellung des halbruinierten Landes wäre es, den nomadischen Horden eine Vorstellung davon zu vermitteln, was ihre zerstörende Raubbauwirtschaft der Erde antut, und wie sie auf die Länge eben so zu ihrem eigenen Untergang führen muß wie zu dem alles Lebens in dem Gebiet, das sie zerstören. Ob man so etwas den räuberischen Zelt­bewohnern je wird klar machen können, ist sehr zweifelhaft. Nur wenige sind gebildet genug, um die Grund­schwierigkeiten der Situation zu erfassen, und noch weniger werden den Willen und die Möglichkeit haben, ihnen entgegenzuwirken.

Auf den ersten Blick sollte man glauben, in Zentral- und Südafrika müsse noch «neues» Land liegen, mit großen, unerforschten Bodenflächen, die einer produktiven Entwicklung fähig wären. In Wahrheit ist das nicht so. Landverschlechterung durch Erosion ist weit verbreitet und große Strecken anbaufähigen Landes sind schon stark geschädigt. Afrika ist vielleicht ein besseres Beispiel als irgendein anderer Erdteil für den üblen Einfluß, den es hat, wenn man europäische Methoden und besonders europäische Methoden der Landnutzung in andere Gegenden verpflanzt, besonders in tropische und subtropische Gebiete. Was in Afrika vorgeht, ist ein Beweis für das Axiom, daß Methoden der Bodenbebauung, die in einem sozialen System, einem Klima oder einer Gegend vernünftig sind, das nicht auch anderwärts sein müssen; tatsächlich können sie sich in anderer Umgebung als äußerst schädlich erweisen. Alles in allem zwingt uns Afrika, einzusehen, zu welch üblen Folgen es führt, wenn man das Land als Quelle möglichst raschen Gelderwerbs betrachtet und nicht als den Ursprung der grundlegenden Unterhalts- und Nahrungsmittel.

Ob man es nun gerne hört oder nicht, dem Gewinnstreben stellt die Natur keinen Freipaß aus. Wenn darum gekämpft wurde, blieb sie seit vielen Jahr­tausenden immer Siegerin. Wie lange wird es noch dauern, bis auch wir das endlich begreifen? Wie konnte es die Menschheit verantworten, den Kampf ohne Unterlaß fortzusetzen, wo er nur auf Kosten des schreiendsten, ständig zunehmenden Unrechts für die Bevölkerung der Welt geführt werden kann.

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Vor dem Auftauchen europäischer Kolonisatoren hatten die Völker Afrikas ihre eigene Art, den Boden zu nutzen. Annäherungs­weise 120.000.000 Menschen lebten auf einem Gebiet, das mindestens den vierfachen Umfang der Vereinigten Staaten besitzt. Auch wenn man die unbewohnbaren Gebiete in Rechnung setzt, war für die eingeborene Bevölkerung ausreichend Raum, und sie hatten nicht die Gewohnheit, mehr aus dem Lande zu ziehen, als es geben konnte; das ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß sie ihren Grundunterhalt erwarben, ohne an Handelsprofite oder Reichtümer zu denken, die sich durch Export der Landesprodukte vielleicht erwerben ließen. Die Arten, wie in den verschiedenen Gebieten Afrikas das Land genutzt wurde, wären wert, eingehender betrachtet zu werden, und wäre es nur darum, um zu erhellen, daß der Mensch von seinem Land unter Bedingungen zu leben vermag, die man praktisch als natürliche Bedingungen bezeichnen kann.

Mit der Ankunft der europäischen Kolonisatoren setzten zwei große Veränderungen ein: Zuerst einmal wurden in vielen Fällen die Eingeborenen aus den fruchtbaren Niederungen vertrieben und so gezwungen, Wälder abzuholzen oder niederzubrennen, um Rodungen für Pflanzungen zu gewinnen. Während sich der Druck der wachsenden Anzahl von Menschen, die vom Lande leben wollen, fühlbar macht, entstammt wohl die ungünstigste neuere Entwicklung von der Einführung neuer Nutzpflanzen wie Baumwolle, Tabak und Kaffee durch die Europäer, die Einführung solcher Pflanzen, die gezogen werden, um als Exportartikel Geld einzubringen. In manchen Gebieten waren die Eingeborenen natürlich gescheit genug, die Methoden der Kolonisatoren abzuschauen und ihrerseits interessiert, auf eigene Rechnung an dem Gewinn teilzuhaben. Neuartige Wünsche nach Dingen, wie sie die Europäer benutzten und die Geld kosteten, seien es nun Kleidungsstücke, Fahrräder oder eine Flasche Schnaps, wurden wach. So gerieten die Eingeborenen mehr und mehr in Versuchung, das Land auszusaugen, um möglichst viel Profit aus ihm zu ziehen.

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Das Steuersystem, das den Eingeborenen von den herrschenden europäischen Mächten aufgezwungen wurde, bewirkte seinerseits, daß das Land ruiniert wurde. Häufig stiegen die den Eingeborenen auferlegten Steuern bis zu einem Zwölftel, ja bis zu einem Sechstel der gesamten Verdienstmöglichkeit eines Mannes. In Nyassaland beispielsweise wurden die Eingeborenen, um die Steuern zahlen zu können, praktisch mit Gewalt zur Tabakkultur gezwungen. Für die beherrschende Regierung bedeutete es natürlich eine Einnahmequelle, nicht nur auf dem Weg der unmittelbaren Besteuerung, sondern auch durch den Wert des ausgeführten Rohmaterials, wenn Gewächse zu Handelszwecken, das heißt ausnahmslos, wenn Exportprodukte gezogen wurden. Man betrachtete die Besteuerung als eins der wirksamsten Mittel, die Eingeborenen aus ihren natürlichen Lebensumständen, in denen sie so zufrieden lebten, herauszudrängen, was man, aus Gott weiß welchen Gründen, für nötig erachtete, damit sie «an den Segnungen der Zivilisation» teilnehmen könnten. Bei Licht besehen, war das Steuersystem nicht viel mehr als ein scheinheiliges Mäntelchen, um Zwangsarbeit und Sklaverei zu verbrämen.

Mit Bitterkeit stellt ein Beobachter fest, daß jedweder europäische Einfluß, der der Regierung so gut wie der der Schule, Kirche, der Händler oder der Schnapsverkäufer die Afrikaner zum Anbau von barverkäuflichen Nutzpflanzen trieb. Je weiter vom Marktplatz entfernt der Eingeborene lebt, mit um so zwingenderer Gewalt treibt das Steuersystem ihn zu einer Änderung seiner landwirtschaftlichen Produktionsart. Eingeborene Besitzer von Viehherden fühlten den Druck nicht ganz so stark und mußten ihre Lebensweise weniger verändern; da andererseits ihr Reichtum offensichtlicher war und sich leichter in Bargeld verwandeln ließ, wurden sie doppelt hart besteuert.

Nun darf man allerdings nicht in den Fehlschluß verfallen, diese Entwicklungsrichtung, Einflüsse und Verhältnisse seien in irgendeinem Sinn allgemein herrschend, denn der großen Mehrzahl nach blieben die Bewohner Afrikas bei ihren alten Sitten und Methoden der Bodenbenutzung. Der Ackerbau ist mit dem Boden und der ganzen physischen Umwelt so eng verwachsen, daß er sich nicht so leicht wie weniger grundlegende Tätigkeiten verdrängen und verändern läßt. 

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Sieht man daher aus größerer Entfernung auf den ganzen Kontinent, so läuft auch heute noch die Produktion von Nahrung für Mensch und Vieh in Afrika zur Hauptsache in den Bahnen ab, die die Bantu und andere eingeborene Rassen entwickelt haben. Wahr aber bleibt, daß der Druck der neuen, destruktiven Einflüsse ständig an Boden gewinnt und daß die ganze Entwicklung auf eine wachsende Zerstörung der natürlichen Lebenshilfsquellen dieses großen Kontinents hin gerichtet ist.

Zur Bekämpfung der Tsetsefliegen, von denen man einundzwanzig verschiedene Arten unterscheidet, wurden weiterhin in Zentralafrika riesige Waldbestände niedergebrannt. Der Stich dieser Fliege hat ernsthafte Folgen, denn er ist verantwortlich für die Verbreitung der Schlafkrankheit beim Menschen und vieler anderer Trypanosomen-Erkrankungen beim Vieh, auch bei Haustieren. Aus Süd-Rhodesien kamen alarmierende Nachrichten: dort wurden in den jüngsten Jahren 300.000 bodenständige Wildtiere kaltblütig ausgerottet, weil sie Träger der Tsetsefliegen-Epidemie seien. Dies Vorgehen der Behörden von Rhodesia, das unglückseligerweise von Nachbarterritorien nachgeahmt wurde, kann sich leicht als ein unsinniges Hinschlachten des herrlichen Wildlebens dieser Gebiete auf Grund falscher Vorstellungen erweisen. 

Findet die Epidemie keine jagdbaren Wildtiere als Träger, so wird sie auf andere Tierformen ausweichen, darunter wohl Rinder und auch Kleintiere, wie etwa Nagetiere. Um auf diesem Gebiet eine sichere Meinung zu rechtfertigen, wurden nicht genügend viel biologische Untersuchungen durchgeführt. Und zum Schluß erweist sich vielleicht der ganze Vorgang nur als ein neues beklagenswertes Beispiel für die Ausrottung des Wildlebens und für das typische Unverständnis des Menschen für den Platz, den freilebende Wesen im Haushalt der Natur einnehmen.

In Südafrika hat die unheilvolle Sitte, den «Veldt» abzubrennen, um im Frühjahr ein schnelleres, wenn auch nicht besseres Wachstum des Rasens anzuregen, die weitverbreitete Übernutzung des Landes zu Weide­zwecken und zu allem noch die fehlerhafte Anlage von Fruchtäckern auf stark abschüssigem Hügelland zu einer akuten Bodenver­schlechterung geführt. Der Viehdung wird noch zu allem zum Kochen verbrannt, anstatt daß man ihn dem Boden als Düngstoff zurückgibt. Die Situation in Südafrika, einem Land, dessen Gebiet ein Sechstel der Vereinigten Staaten erreicht, wird durch die lakonische Feststellung seines Premierministers, Jan Smuth, gekennzeichnet: «Die Erosion ist das schwerwiegendste Problem, dem sich unser Land gegenübergestellt sieht, schwerwiegender als alle politischen Probleme.»

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