bolo'bolo Anmerkungen
(1) Die Traumhaftigkeit des Universums («meines» Universums - wer kennt ein anderes?) ist hier nicht als philosophischer Witz gemeint, sondern als Schlussfolgerung der neuesten Quantenphysik. Es «gibt» keine Aussenwelt, nach der wir uns zu richten hätten. Realität ist nur eine Redensart. Michael Talbot schreibt (MystEcism and the New Physics, Routledge&Kegan Paul, 1981, S. 135): «lm Paradigma der neuen Physik haben wir uns die Welt geträumt. Wir träumen sie uns als ewig, rätselhaft, sichtbar, allgegenwärtig in Raum und stabil in der Zeit, aber wir haben kurze und zugleich unendliche Lücken der Irrationalität in ihrer Architektur zugelassen und ahnen daher, dass sie trügerisch sein könnte.»
Nach Heisenberg, Schrödinger usw. kann niemand mehr die Wirklichkeit im wissenschaftlichen Sinn für sich beanspruchen. «Realität» ist heute genauso als reine Zauberformel entlarvt wie die «Heilige Dreifaltigkeit». Die Realisten sind die letzten Gläubigen einer veralteten Religion, charmant, aber halt naiv. Und ihre Liturgie ist die Realpolitik.
Mit der Erschaffung des neutralen Wesens ibu sind wir auf relativ elegante Art und Weise alle Probleme los, die mit dem Verhältnis von Frauen zu Männern zusammenhängen. Natürlich nur scheinbar. Im Rahmen von bolo'bolo sollen diese wichtigen Fragen provisorisch ausgeklammert werden. bolo'bolo befasst sich überhaupt nicht mit den konkreten Inhalten und Formen einer neuen Lebensweise, sondern hauptsächlich mit den Grenzen, innerhalb derer ein Neubeginn möglich ist. Wie in der Einleitung angetönt wurde, ist es jedoch unvorstellbar, dass der industriell/patriarchalische Wahn ohne eine radikale Umwälzung im Verhältnis Frau/Mann zerstört werden kann. Das bolo ist in dieser Hinsicht an und für sich ein «weibliches» Prinzip, nämlich die Rückkehr zum Haushalt, zu überschaubaren, menschlichen Gemeinschaft. Im bolo bestehen die günstigsten Bedingungen für die Abschaffung der patriarchalischen Herrschaft und für ein neues, lockeres Verhältnis der Geschlechter.
Die Macht der Männer beruht materiell vor allem darauf, dass sie sich ausserhalb des Haushaltes Machtstrukturen aufbauen konnten, die sich der Kontrolle durch die ganze Gesellschaft und namentlich durch die Frauen entziehen: die lagd, das Vieh, bewaffnete Männerbünde (Polizei, Armee, Sport), Maschinen, Staatsbürokratien usw. Fällt all das weg, wird auch der Mann zu einem Haushälter, und er ist daher für alle Hausarbeiten, von der Kinderbetreuung bis zum Latrinenputzen genauso zuständig. Allerdings ist das bolo mehr als ein Kleinfamilienhaushalt. Es ist selbst schon ein Universum von Künsten, Wissenschaften, Ritualen, an welchen sich Frauen und Männer gleichberechtigt beteiligen können. Das bolo ist also für die ibus ein Raum der Freiheit, wo verschiedene Formen des Zusammenlebens Frau/Mann erprobt werden können. Wie das geschehen soll, ist offen. bolo'bolo bietet nur Bauplätze, aber keine Gebäude...
(2) Ein bolo ist keine zufällige Nachbarschaft, kein «kleines Netz» und kein traditioneller Stamm. Allerdings entspricht die Zahl der bolo'ibus (ca. 500) der Mindestzahl der Mitglieder eines Stammes. Etwa 500 Individuen machen den kleinst möglichen genetischen Pool der Spezies Homo sapiens aus. Es scheint, dass diese soziale Einheit über Millionen von Jahren hinweg (also schon vor der Entstehung des Homo sapiens) typisch war für alle Jäger- und Sammlergesellschaften. (Das behaupten z.B. Richard E. Leakey and Roger Lewin, People of the Lake. Mankind and ist Beginings. Avon, 1979. S. 111 ff.)
Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass die ibus sich in Verbänden dieser Grössenordnung wohl fühlen könnten. Sie hat jedoch unabhängig davon noch andere Vorteile (Landwirtschaft, Energie, Medizin usw.)
Die Zahl 500 schimmert heute noch in vielen Bereichen als Grundeinheit durch: sie entspricht der Bewohnerzahl eines Strassengeviertes in älteren Quartieren, einem Bataillon (Einheit) der Infanterie, dem Fassungsvermögen eines grösseren Saales. Als Personengruppe erlaubt das bolo Selbständigkeit, Vielfalt, Zusammenhalt der Generationen, eine gewisse Arbeitsteilung (ohne Anonymisierung). Die Generationenmischung eines Tsüri-bolo könnte ungefähr (gemäss den Zahlen der Volkszählung von 1980) so aussehen:
Alter weiblich männlich
Junge: 211
1- 9 28 30
10-19 37 41
20-29 36 39Mittlere: 197
30-40 36 42
40-50 30 33
50-60 28 28Alte: 92
60-70 25 20
70-80 20 14
80- 8 5Jede Altersgruppe ist gross genug um interaktionsfähige Gruppen zu bilden (und Endogamie ist möglich).
Während Binswanger/Geissberger/Ginsburg (Wege aus der Wohlstandsfalle, fischer alternativ, 1979, S. 233) Gruppen von über 100 Personen für «unübersichtlich» halten, sagen die Hopi, dass «ein Mensch kein Mensch sein kann, wenn er in einer Gemeinde lebt, die mehr als 3.000 Menschen umfasst» . (Was hier mit «Gemeinde» genau gemeint ist, ist allerdings unklar.)
In A Blueprint for Survival (The Ecologist, Volume 2, No.1, Januar 1972, zitiert nach: David Dickson, Alternative Technology, Fontana, 1974, S. 140) werden «neighborhoods» von 500 Personen als Grundeinheit erwähnt («Quartiere» mit 5000 Regionen mit 500.000 Personen, dann Nationen).
In Thomas Morus' «Utopia» werden 30 Grosshaushalte zu einer etwa gleich grossen Einheit zusammengefasst. Callenbach kennt nur Gemeinschaften (20-30 Leute) und dann «Minicities» von 10.000 Personen. Typisch für die meisten Alternativtheoretiker - ob sie nun auch auf eine Zahl um 500 herum kommen oder nicht — ist jedoch, dass solche Grundverbände immer «administrativen» Charakter haben und bloss bestimmten allgemeinen sozialen oder ökologischen Zwecken dienen. Es sind — wenn auch immer sympathisch ausgeschmückt — technokratische Vorschläge.
Im bolo leben hingegen nicht irgendwelche Leute zusammen, nur weil dies praktisch oder umweltschonend ist, sondern weil sie eine bestimmte Lebensweise, eine Tradition, das nima (siehe unten), gemeinsam haben. Keine noch so demokratisch aufgebaute Gesellschaft kann wirklich die Wünsche ihrer Mitglieder ausdrücken. Dies ist auch die Schwäche der meisten Selbstverwaltungsvorschläge (Quartierräte, Basisdemokratie usw.), die in einem «leeren», rein politischen Raum funktionieren sollten. Auch perfekte formale Demokratie kann das Wozu?-Loch nicht stopfen.
Da ein bolo relativ «gross» ist, muss es innerhalb noch weitere Strukturen und Regelungen geben, die sich mit solchen Problemen wie Kindermachen, Erziehung (Nichterziehung), Polygamie, Exogamie, Verwandtschaftsbeziehungen usw. befassen. Doch dies wird von bolo zu bolo verschieden sein.
Die bolos sind aus verschiedenen Gründen nicht einfach Stämme — deren Zeit ist unwiderruflich vorbei. Der Slogan «Nur Stämme werden überleben» tönt zwar schön und romantisch, doch die Geschichte zeigt, dass die Stämme eben nicht überlebt haben und weiter am Verschwinden sind. Was wir heute noch als Stämme kennen, sind zudem oft patriarchalisch verkrüppelte, bornierte und schwache Gebilde, die nicht mehr als Modell dienen können. Die Stämme (und das waren auch wir vor einigen tausend Jahren) waren «schlecht», weil sie die Entstehung der Arbeitsgesellschaften nicht verhindern konnten - sie haben uns das heutige Schlamassel eingebrockt. Wir selbst waren auch einmal «gute Wilde», genauso wie die Indianer, und haben trotzdem dieses Monstrum geboren. Es gibt keinen Grund zur Annahme, die heute noch bestehenden Stammesgesellschaften hätten es besser gemacht. Heute können nur wir dafür sorgen, dass der selbe Fehler nicht noch einmal begangen wird. Daher müssen wir zu unserer Erfahrung mit der industriellen Arbeitsgesellschaft stehen, sie benützen und nicht einfach irgendwelche Indianerstämme verherrlichen. Das wirkliche «Stammeszeitalter» beginnt erst jetzt.
«Haushalte» einer gewissen Grösse, wie es die bolos sind, sind auch notwendig, weil sonst die Geldwirtschaft zurückkehrt. Wenn das Geld als Mittel sozialökonomischer Kontrolle wegfällt, taucht diese Kontrolle als direkte, persönliche, in der Form der bolos verwandelt wieder auf. Diese «Kontrolle» hat zwar nicht den gleichen, wirtschaftlichen Zweck und bezieht sich nicht einseitig auf die Arbeitszuteilung, sie ist aber doch der «Preis» für die Aufhebung der Isolation/Anonymität, die auch gewisse Vorteile hat. Es ist für das einzelne ibu fast unmöglich zu «verschwinden », «sich zu verstecken » - ausser es lebt in einem bolo, dessen Lebensweise gerade darauf ausgerichtet ist. Gesellschaft, das bedeutet immer auch Polizei, gegenseitige Überwachung, Bespitzelung, Unfreiheit, Zwang, Einschüchterung, Anpassertum und Kriecherei. Die Mitglieder des bolo werden sich für einander interessieren, eifersüchtig herumspionieren, schauen, wo das Licht noch brennt, wer wann mit wem schmust, ob einer stark oder schwach riecht und nach was. Bald werden an allen Schranktüren Zettel mit Verboten, Hinweisen und Gebrauchsanweisungen hängen und der ganze WG-, Naturfreundehaus-, Ferienkolonie- und Lagermief wird sich ausbreiten . Die bolos müssen aufpassen, dass sie das richtige Gleichgewicht zwischen Gemeinschaftsleben und geschützter Privatsphäre finden. «Lösbar» ist der Widerspruch (der nicht immer einer zu sein braucht) jedenfalls nicht - sicher nicht abstrakt.
(3) Die Vorstellung vom neutralen Charakter des Geldes trifft man bei vielen Arbeits-Utopisten an. Alternativtheoretiker beklagen oft nur die Inflation und schwärmen von der Wiederherstellung des Geldes als soliden Masses der Arbeit. Typischerweise «übersieht» der amerikanische Utopist Callenbach in seinem Buch «Ecotopia» (Bantam New Age Books - auch als deutsche Übersetzung erhältlich), dass da immer noch munter Dollars zirkulieren und was für gesellschaftliche Folgen das haben muss. Es ist widersinnig zugleich ein System persönlichen, naturverbundenen, direkten Austauschs zu fordern (und das ist das einzig wirklich «ökologische» System) und ein Mittel anonymer Zirkulation (das ist das Geld) zuzulassen. Diese Anonymität oder Nichtzuständigkeit aller erzeugt eben gerade die natur- und menschenvernichtenden Mechanismen. Da Callenbach diese grundlegende Anonymität nur moralisch angreift, braucht er dann auch einen (zwar sympathisch-demokratischen) Zentralstaat, der mit Preiskontrollen und Vorschriften die Auswüchse zurecht zu biegen versucht. Warum sollen die gleichen, die «ökonomisch» etwas zulassen es «politisch» verhindern wollen? Da kann man nur noch ans «Gute im Menschen» glauben und die Bösen ins Arbeitslager stecken.
(4) Das sila ist also nichts Neues, sondern nur eine etwas verbindlichere Version der Gastfreundschaft, die auch heute in einigen traditionellen Gesellschaften noch üblich ist und von der es bei uns noch Spuren gibt. Das Gastrecht ist bei uns in Krise geraten, weil der Kleinhaushalt zu schwach ist, es unter allen Umständen und für längere Zeit gewährleisten zu können. Das Gastrecht ist nicht eine uneigennützige Einrichtung, sondern eine Form allgemeinen Austauschs - wie sila. Wird es überstrapaziert, zeigt sich das in abnehmender Freundlichkeit und wird es in grösserem Rahmen die Neigung vieler ibus zu Reisen so weit dämpfen, bis wieder ein erträglicher Pegel (vielleicht 10%) erreicht ist. sila reguliert sich selbst.
(5) Das kana entspricht einer Sammler- und Jägerhorde, die gemäss Leakay (siehe Anm. 5) der Alltagsverband der ganzen Menschheit (schon vor dem Homo sapiens) während Millionen von Jahren gewesen ist. Wenn man bedenkt, dass wir (und das sind wirklich alle, vom Buschmann bis zum Metropolenpunkie) Millionen Jahre in Gruppen von ca. 25 Leuten die Gegend durchstreift haben. aber erst seit wenigen tausend Jahren als Familien, Dorfgemeinschaften und Städter sesshaft Landwirtschaft und Handwerk betreiben, dann können wir wohl annehmen, dass das kana etwas ist, das uns irgendwie «eigen» ist. (Jedenfalls ist es sicher «natürlicher» als etwa die Kleinfamilie - eine ganz neue Einrichtung.) Wie das bolo ist auch das kana eine Grössenordnung, die wir über alle Kulturgrenzen hinweg gemeinsam haben.
Das patriarchalisierte kana hat sich bei uns noch als Schulklasse, Infanteriezug, Freundeskreis, Verein, Club oder Parteizelle verpuppt und so seinen paläolithischen Charme in die Arbeitsgesellschaft eingebracht. Mit bolo und kana gehen wir also ganz weit (50000 Jahre) zurück um für einen Sprung nach ganz weit vorn auszuholen . Das «zurück» gilt allerdings nur für die Grösse, nicht aber den ursprünglichen Zweck dieser Gebilde. Ob kana eine Kommune, eine Gang, eine Grossfamilie oder sonst etwas ist hängt vom Lebensstil des jeweiligen bolo ab (siehe unten).
(6) bolo'bolo ist kein ökologisches Überlebenssystem, sondern nur ein Mittel zur Ermöglichung aller möglichen Lebensweisen, Philosophien, Trips oder Traditionen. Es ist selbst keine Lebensweise, sondern nur ein möglichst elastischer Rahmen von Grenzen (biologische, wirtschaftlicher usw.). Es sollen möglichst viele Lebensweisen (wieder) möglich werden und nebeneinander existieren können. Darum kann auch der Kern des bolo 'bolo, das nima, durch das bolo 'bolo gerade nicht definiert werden . Ein nima kann höchstens gelebt werden. Und darum ist es das wichtigste, wichtiger noch als alle Überlebensmaßnahmen.
Eine gute Illustration dieses Sachverhalts ist das Schicksal der kolonialisierten Länder. Ihre Verelendung begann nicht mit der materiellen Ausbeutung, sondern mit der planmässigen Zerstörung ihrer nimas durch die christlichen Missionare. Auch heute könnten viele dieser Völker materiell besser leben, aber sie wissen nicht mehr, wozu eigentlich. Auf Samoa (West) z.B. gibt es weder Hunger noch Krankheit und es wird wenig gearbeitet. (Rein wirtschaftlich gehört dieses Land zu den 36 ärmsten Ländern der Welt!) Trotzdem hat Samoa die höchste Selbstmordrate der Welt - und nicht etwa das verwöhnte Tsüri. (Es sind vor allem Junge, die sich umbringen.) Die christlichen Missionare haben dort ganze Arbeit geleistet und die alten Tänze, Feste, Religionen usw. ausgerottet. Diese totale Demoralisierung richtet grössere Verheerungen an als nur materielle Not. Entgegen gewissen vulgär-marxistisch-sozialistischen Auffassungen kommt eben die «Moral» doch vor dem «Fressen», ja sogar die Gastronomie noch vor der blossen Ernährung. Keiner braucht daher verwirrt zu sein, wenn Leute, die dem Verhungern nahe sind, lieber für ihre Religion, ihre Sprache, ihre «Würde» oder andere «Einbildungen» auf die Barrikaden steigen (und den bewaffneten Kampf aufnehmen), statt für den garantierten Minimallohn zu kämpfen. (Siehe: Iran, Baskenland, Indianer, Irland, Indien usw.)
Woher soll das nima kommen? Es ist sicher falsch, es nur in alten ethnischen Traditionen zu suchen. Die Kenntnis solcher Traditionen kann zwar sehr anregend sein, doch kann eine «Tradition» auch spontan neu begründet werden. Warum nicht neue Mythen, neue Sprachen, neue Gesellschaftsformen, Wohnformen, Trachten usw. erfinden? In kommerzialisierter Form geschieht dies ohnehin in der Form von Moden, Kulten und Sekten. Die Ausbreitung verschiedenster, oft sehr «künstlicher» Sekten zeigt, dass immer mehr Leute das Bedürfnis nach einem von einem nima bestimmten Leben haben. Der im Sektenwesen versteckte Wunsch ist die Übereinstimmung von Ideenwelt und alltäglicher Lebensweise - ein neuer «Totalitarismus». bolo'bolo ist also eine Art «pluralistischer Totalitarismus», das verallgemeinerte Sektenwesen. (Betont offene, «nichtsektiererische» bolos sind in diesem Rahmen auch wieder etwas «Besonderes».) Wir brauchen also z.B. in Tsüri nicht zu den alten Alemannen zurückzugehen, um unser wirkliches nima zu finden. Es wird aber wieder möglich sein, typisch alemannische bolos zu bilden, mit der dazu passenden Sprache, Nahrung, Tracht, mit den alten Märchen, Drogen, Festen (kann man bei Golowin nachschauen).
Da das nima den Kern des bolo bildet, kann es darüber keine Kontrolle und keine Gesetze geben (abgesehen vom sila). Aus dem gleichen Grund sind auch allgemeine Vorschriften über die Arbeitsorganisation in den bolos undenkbar. Eine Norm-Arbeitszeit (heute scheinen 20 Stunden pro Woche für Utopien üblich zu sein) war schon immer das «Prunkstück» utopischer Planer.
Bei Thomas Morus (Utopia, geschrieben um 1516) gibt es den 6-Stundentag, bei Callenbach die obligate 20-Stundenwoche . Da es aber im bolo'bolo keine Staat gibt, kann es auch keine staatlich garantierte Arbeitswoche geben. Das nima bestimmt, was in einem bestimmten bolo als «Arbeit» ( = negativ) und was als «Vergnügen» ( = positiv) empfunden wird und ob eine solche Unterscheidung überhaupt einen Sinn hat. Koch kann in einem bolo eine wichtige rituelle Tätigkeit und daher eine Leidenschaft sein, die alle ibus anzieht. In einem andern bolo, wo Musik eine zentrale Rolle spielt, ist die Zubereitung der Mahlzeiten dagegen eine lästige Störung und muss mit Pflichtstundenplänen zugteilt werden. Niemand kann also wissen, ob im bolo' bolo der Zwei-Stunden-Tag, die 20-Stunden- oder die 70-Stunden-Woche herrschen wird. Es gibt keine verbindliche Lebensweise, die zu einem bestimmten Arbeitszeit/Freizeit-Budget zwingt.
(7) Warum nicht schon bestehende Weltsprachen wie Englisch oder Spanisch als asa'pili benützen? Dies geht darum nicht, weil gerade diese Sprachen Träger des Massenkulturimperialismus sind und daher die lokalen nimas und pilis zersetzen. Auch Esperanto und ähnlich westlich-europäische Kunstsprachen sind an die vorherrschende Kultur gebunden. Die einzig unparteiische Lösung ist eine völlig zufällige, willkürliche, mit keiner lebenden Sprache verwandte Kunstsprache, eben asa'pili. (Es ist also vergebene Liebesmüh, nach den Ursprüngen von asa'pili-Wörtern zu suchen: sie sind rein zufällig entstanden.) (inkl. Pause) asa'pili besteht aus 18 Lauten, die in vielen Sprachen in verschiedenen Varianten vorkommen:
Vokale: a,e,i,o,u
Konsonanten: p,t,k,d,g,m,n,l,s,y,fl kann auch als r ausgesprochen werden: stimmlose und stimmhafte, offene und geschlossene, behauchte und unbehauchte Laute werden nicht unterschieden, die Betonung ist frei.
Die asa'pili-Wörter werden immer mit den Zeichen (siehe unten) geschrieben, es ist also kein Alphabet erforderlich. Die lateinische Schrift dient in diesem Text nur als Behelfsmittel. Es können dafür auch andere Schriften (kyrillisch, griechisch, arabisch usw.) verwendet werden.
Die Verdoppelung eines Wortes bezeichnet eine Mehrzahl: bolo'bolo = viele bolos. Mit dem Apostroph (') können Zusammensetzungen gebildet werden, wobei das erste Wort das zweite bestimmt (wie im Deutschen): asa'pili (Welt-Sprache).
(8) Wieviel Boden zu diesem Zweck z.B. unter mitteleuropäischen Bedingungen nötig ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem vom Anteil der tierischen Proteine. In seinem Buch «alternatives energetiques» (editions dangles, 1982, S.63) meint Yona Friedman, dass gemäss den Daten der F.A.O. 100 m2 pro Person genügten. Doch John Seymour benötigt in seinem Buch (Landwirtschaft alternativ Ravensburger, 1976) zur Selbstversorgung einer «grossen Familie» ( = ca. 10 Personen?) 160 Aren, also 16x mehr. Die letztere Zahl scheint realistischer. So braucht z.B. Taiwan bei intensiver Bebauung (und gutem Klima) 6 Aren Ackerland pro Einwohner. Wenn wir mit 16 Aren und 6 Millionen Einwohnern rechnen, so würde in der Schweiz 960000 ha Kulturland benötigt, was weniger ist als die tatsächlich zur Verfügung stehenden 1 079 599 ha und wobei die Nutzung zusätzlich frei werdenden Bodens in besiedelten Gebieten noch nicht einbezogen ist. Seymours Kleinbetrieb ist zudem von der Grösse her ungünstig. Landgüter von ca. 80 ha (es können pro bolo auch mehrere mittelgrosse sein) würden eine zugleich vielfältige und ertragreiche Anbauweise erlauben. (Auch für biologischen Landbau und den Einsatz von Biogasanlagen ist eine gewisse Mindestgrösse erforderlich.)
(9) Die Stadtökologin Merete Mattern ist der Meinung, dass ein 15 km breiter Landwirtschaftsgürtel auch eine so grosse Stadt wie München ernähren könnte. Sie sieht zwei Waldringe (für ein günstiges Mikroklima) und eine intensive Kompostwirtschaft vor (wie Friedman möchte sie mit 100 m2 pro Person auskommen). Das kodu-Konzept liesse sich demnach auch in sehr dicht bevölkerten Gebieten noch durchführen - ja es bestünde noch Raum für gewisse Reserven und Misserfolge. - Die Einrichtung der kodus bedeutet auch nicht, dass die bisherigen Bauern enteignet oder gar vertrieben werden müssen: kodus können in immer engerer Zusammenarbeit auch aus bestehenden Betrieben «herauswachsen». Der bisherige Nur-Bauer erwirbt sich mit diesem neuen System auch das «Recht» auf eine Stadtwohnung...
(10) Die heutige permanente Welt-Hungerkatastrophe ist gerade dadurch verursacht, dass die Verteilung der direkten Kontrolle durch die Bevölkerung entglitten ist. Hunger ist kein Problem der lokalen Nahrungsmittelproduktion, sondern wird verursacht durch das herrschende Weltwirtschaftssystem. Mit Ausnahme von Zaire und Liberia könnten schon heute alle Länder der Welt genug Nahrung für ihre Einwohner produzieren. Es stehen heute jedem Erdbewohner 3000 Kalorien pro Tag allein an Getreide zur Verfügung (dazu kommen noch einmal soviel an Fisch, Kartoffeln, Hülsenfrüchten, Gemüse, Fleisch, Milch usw.). (Anne-Marie Holenstein, Zerstörung durch Überfluss, Z-Verlag, 1982, S. 66 ff. und K. Mellanby, Kann die Menschheit ernährt werden?, NZZ Nr.51, 2. März 1983: «Die Dritte Welt ... ist gar nicht in der Lage, solche Überschüsse zu bezahlen.») Das Problem ist also weder die Überbevölkerung (das ist zwar auch ein Problem) noch die Unterproduktion, sondern einzig und allein die Verfügungsgewalt der Konsumenten/Produzenten über die landwirtschaftlichen Ressourcen und die Verteilung. Monokultur, Grossproduktion und übertriebene Produktion von tierischem Eiweiss (Tierfabriken) bringen zwar kurzfristig Produktivitätsvorteile, sind aber von ihrer Herrschaftsstruktur her zugleich die Verursacher des Hungers und langfristiger Bodenerosion. Eine lokale Selbstversorgung (gemässigt durch selbstbestimmten Austausch) ist fast überall möglich und dank der schonenderen Bewirtschaftung auch sicherer. Dabei sollen selbstverständlich wissenschaftliche Kenntnisse (biologischer Landbau usw.) angewandt werden und nicht einfach zu alten Anbaumethoden zurückgekehrt werden.
Wie steht es nun aber mit der Selbstversorgung z.B. in einem dicht besiedelten Gebiet wie der Schweiz (die es im bolo'bolo in der heutigen Form nicht mehr unbedingt geben wird)? Sie scheint unmöglich zu sein, da der heutige Selbstversorgungsgrad nur bei etwa 50% liegt, wenn man offene und versteckte Energieimporte berücksichtigt (enthalten in Futtermitteln, Chemie, Erdöl) bei nur noch 8,3% (siehe Holenweger, S. 54ff.) . Durch Umstellung der Diät (2000 Kalorien aus pflanzlicher Nahrung, 800aus tierischer) und daher Ausdehnung des Ackerbaus kämen wir auf einen Eigenernährungsgrad von 82,3%. (All das unter heutigen Bedingungen, also ohne Intensivkulturen in den Städten.) Eine Selbstversorgung zu 100% ist jedoch durchaus realisierbar. (Dies nur zur Beruhigung jener, die Angst haben, bolo'bolo bedeute das Verhungern.) Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Kriegsvorsorge wurde an der Universität Freiburg 1978-1980 ein Computermodell der schweizerischen Landwirtschaft entwickelt. (Ernährungssicherung: Modell-Landwirtschaft im Computer, Gustav Egli, NZZ Nr.16, Juni 1982, S. 65). Gemäss diesem Modell kann die Eigenversorgung mit durchschnittlich 2370 Kalorien bei 32 g tierischem und 43 g pflanzlichem Eiweiss nach vier Jahren Umstellungszeit erreicht werden. In der Umstellungszeit könnte, bei völligem Ausfall von Importen, die Kalorienmenge vorübergehend auf 1900 abfallen, was noch nicht kritisch ist. Die Ackerfläche würde von 260000 ha auf 365000 ha erweitert. Die Eigenproduktion könnte in den ersten zwei Jahren auch so durch die bestehenden Vorräte ergänzt werden, dass die Kalorienmenge nie unter 2370 sinkt (heute beträgt sie übrigens 3 281) (Ernährungsplanung, Kriegsernährungsamt, Nachdruck 1980).
Es ist bezeichnend, dass die Resultate dieser Computermodelle nicht öffentlich zugänglich sind: «Die definitiven Resultate sind vertraulicher Natur und dürfen hier nicht veröffentlicht werden.» Diese Geheimniskrämerei ist darum nötig, weil man die heutigen Manipulationen der Landwirtschaftspolitik nicht entlarven möchte. Man möchte aber auch nicht, dass die Leute erfahren, dass die Schweiz (wie alle Länder) sich (mit bestimmten Veränderungen) selbst versorgen kann und dass keiner verhungern muss, wenn die Export-/Importwirtschaft zusammenbricht. Die gängige Erpressung mit dem Sachzwang der «internationalen Abhängigkeit der Schweiz» wäre dann leicht zu durchschauen. Mit diesen 500.000 Exportarbeitsplätzen und der internationalen Konkurrenz werden heute fast alle Sparmassnahmen, von Lohnkürzungen bis Verzichte auf Arbeitszeitverkürzung, gerechtfertigt. Doch auch die Schweiz kann sich vom Weltmarkt abkoppeln und diesem Sachzwang entgehen, wenn die Lebensweise entsprechend geändert wird...
(11) Die Ernährungsplanung des Kriegsversorgungsamtes (Anm. 11) sieht vor allem eine massive Ausdehnung des Kartoffelanbaus vor (Steigerung um 242%). Daneben muss auch der Rapsanbau (51%, wegen des Öls) und der Rübenanbau (Zucker, Futter) stark erweitert werden. Der Kartoffelverbrauch pro Kopf würde von 4,04 kg auf 21,73 kg ansteigen. Ohne Kartoffeln kann die Eigenversorgung überhaupt nicht sichergestellt werden. Ob Soja in der Schweiz erfolgreich angebaut werden kann, ist noch nicht ganz klar. Soja erbringt 33% mehr Eiweiss pro Fläche als jede andere Feldfrucht und könnte das Eigenversorgungsproblem entscheidend erleichtern. Mit Soja erhält man eine ganze Palette vielfältig verwendbarer Nahrungsmittel: Tofu, Sojamilch, Sojamilchquark, Tofu-Pulver, Okara Sojasauce, Yuba, Sojamehl usw. In Kombination mit Weizen oder Mais lässt sich die Eiweissausnutzung um 1342°70 steigern. Soja und Mais, die heute vor allem als Tierfutter verwendet werden, können als Grundernährungsproblem ohne weiteres lösen. Die ideale bolo'bolo-Küche ist also eine Kombination der chinesischen, mexikanischen (Tortillas) und schweizerischen (Rösti) Küche. An Rezepten fehlt es wahrlich nicht...
(12) Siehe auch: Huguette Couffignal. Die Küche der Armen, März-Verlag.
(13) Peter Reuss, Kochen mit Wildpflanzen, Heyne 480.
(14) Eigentlich sind kodu und sibi nur zwei verschiedene Typen der Energieversorgung (pali): kodu sorgt für die hochwertige Energie, die menschliche, sibi für die weniger wertigen Zusatzenergien. Die Frage der Realisierbarkeit von bolo'bolo reduziert sich also auf pali. - Theorien, Konzeptionen und Technologien der alternativen Energieerzeugung gibt es inzwischen haufenweise. Die meisten ökologischen Energie-Theoretiker weisen auch darauf hin, dass die Energieversorgung kein rein technisches Problem ist, sondern die ganze Lebensweise betrifft. Aus «realpolitischen» Gründen werden diese Zusammenhänge aber oft verschwiegen oder verkürzt. Dies ist etwa der Fall bei der Studie Jenseits der Sachzwänge (Umweltorganisationen, 1978). In dieser Studie wird von mehr oder weniger unveränderten Energiebedürfnissen ausgegangen und es werden lediglich technische und organisatorische Massnahmen vorgeschlagen, wie diese mit weniger Erdöl und ohne Atomenergie befriedigt werden können. Im Prinzip bedeutet das: mehr Kohle und bessere Isolation.
Wie noch 1975 rechnen sie mit einem Endverbrauch von 700 Petajoule (was immer das bedeuten mag) für die Schweiz. Automobilverkehr, Individualhaushalt, Grosstechnologie usw. bleiben unangetastet. Wenn man bedenkt, dass 1975 25% der Energie für Verkehr aufgewendet wurde und dass die meiste Energie für Doppel- und Dreifachbeheizung (Folge der Trennung von Arbeit und Wohnen usw.) verpufft wird, dann sollte es unter veränderten Bedingungen gut möglich sein, mit einem Drittel des heutigen Endverbrauchs auszukommen. (Auf ähnliche Grössenordnung kommt auch Yona Friedman - Anm. 8 - mit seiner «civilisation paysanne modernisee».) Ein dermassen reduzierter Energiebedarf kann (im Falle der Schweiz) mit Hydroenergie, Sonnen- und Erdwärme, Sonnezellen, Wind, Biomasse, Holz und etwas Kohle und Erdöl gedeckt werden. Obwohl die Kohle an sich in grossen Mengen und noch auf Jahrhunderte hinaus verfügbar ist, gibt es schwerwiegende Gründe gegen ihren massiven Einsatz: das CO2-Problem, die Gefahren beim Bergbau (mehr Tote als in AKWs), die Landschaftsvernichtung beim Tagbau, der Transportaufwand.
Es wird also kein neues Kohlenzeitalter und auch kein eigentliches Sonnenzeitalter geben, sondern ein Geflecht kleiner, durchdachter Kreisläufe, die von sich aus den ganzen, systembedingten, zerstörerischen Energiestrom verringern. Auch die Erzeugung von Sonnenenergie in grossem Massstab erfordert industrielle Investitionen (Metalle, Röhrensysteme, Kollektoren, Speicher, elektrische und elektronische Anlagen), die nur mit grossem Energieaufwand hergestellt werden können und dauernde Kontrollarbeiten nach sich ziehen. Ähnliches gilt für alle «alternativen» Grossanlagen. «Dezentralisierung» braucht nicht unbedingt Unabhängigkeit von Grosserzeugern zu bedeuten - wie schon die Einführung des «dezentralen» Verkehrsmittels «Auto» gezeigt hat, das die zentrale Eisenbahn abgelöst hat. Aus der industriellen Energiearbeit könnte so bestenfalls Energie- Heimarbeit werden. (Analog zur neuen Computer-Heimarbeit.) Auch ein alternativer Energiestrom zwingt zu dauernder Wachsamkeit und Disziplin, verursacht also Kontrollarbeit, Selektion der Kontrolleure und Hierarchie. Es gibt also keinen Umweg um eine absolute Reduktion und Auffaserung des Energiestroms herum. Energie muss durch neue Lebensweisen überflüssig gemacht werden.
Pervers wäre es, in dieser Verringerung des Energiestroms eine Form des «Verzichts» zu sehen. (So etwa Jeremy Rifkin in seinem Buch Entropie.) Einsatz von Energie ist immer auch Arbeit. Hoher Energieeinsatz hat die Arbeit nicht erleichtert, sondern die Anstrengungen nur rationalisiert und in den psycho-sensorischen Bereich verschoben . Nur der geringste Teil der Energie dient wirklich dem Ersatz von Muskelanstrengung. (Diese ist nicht an sich unangenehm, sondern nur in ihrer Einseitigkeit - das zeigt die Zunahme der sportlichen Tätigkeit.) Mit Ausnahme des Transports kommen nur wenige Genüsse direkt aus einem hohen nicht-menschlichen Energieaufwand. Daher werden die Transportmittel, soweit es sie noch gibt, auch auf den lustbetonten Personentransport ausgerichtet sein (siehe: fasi). Viele Ökologen haben offensichtlich Mühe, sich eine Zivilisation nicht-energetischer Genüsse vorzustellen und sehen in der Energiereduktion eine Form der Askese, der Busse für die heutigen Ausschweifungen. Ja, wir sollen geradezu für unseren «Hedonismus» bestraft werden. Haben sie vergessen, dass die «wichtigsten» Genüsse wenig Zusatz-Energie brauchen: Gastronomie (siehe: yalu), Liebe, Drogen, Tanz, Trance, Meditation, Musik, Spiele, Massage, Baden? Vielleicht sind sie insgeheim von der Massenkonsumkultur doch so stark fasziniert, dass sie ein Zeitalter des Verzichts predigen müssen, um ihre inneren Dämonen zu bändigen. So machen sie die Energiefrage zu einem moralischen Problem. (Moral ist alles, was man nicht gerne tut.)
Der industrielle Energiestrom zerstört aber heute gerade die schönsten Genüsse, vor allem indem er uns die Zeit dafür nimmt - Zeit wird zum grössten Luxusartikel. Energie verschlingt Zeit, die für die Erzeugung und Bändigung gebraucht wird. Weniger (äussere) Energie heisst mehr Zeit für raffinierte Genüsse, mehr Liebe am Nachmittag, mehr Lebenskunst. Zum Leidwesen der Verzichtapostel wird die Bestrafung für unsere heutigen Sünden ausbleiben und wir werden mit rabenschwarzen (ökologischen) Seelen ins Niederenergieparadies eintreten.
Da der Gesamtverbrauch für mechanische Energie relativ gering ist, wird es auch bei drastischer Energiereduktion immer genug Energie zur Erledigung schwerer Arbeiten, für die Landwirtschaft, für einige Maschinen, geben Heute verbraucht z.B. die ganze Landwirtschaft nur 1,5% der Endenergie (3%, wenn man Maschinen, Dünger und Chemie hinzurechnet; gemäss: Ein eydgenössischer Bauernkalender, Panda II/82). Es besteht kein Grund, dass ein Zeitalter der Plackerei anbrechen wird.
(15) Die Schweizer verbrauchen 40% des mit grossem Aufwand erzeugten Trinkwassers allein für WC-Spülung. (Brandenberger u.a., Das Märchen von der sauberen Schweiz, Lenos, 1982, S. 81) Mit der Verwendung von Scheisse und Urin für die Biogas-Erzeugung (was im bolo-Massstab durchaus sinnvoll sein kann) kann also nicht nur Energie gewonnen, sondern auch Wasser gespart und erst noch nicht verschmutzt werden. Eine grosse Einsparung erbrächte nur schon die zweifache Verwendung etwa von Badewasser zu Spülzwecken.
(16) Eine ideale bolo-Medizin wäre z.B. die Akupunktur, da sie wenig Material, dafür aber viel Kenntnisse/Erfahrung braucht. - Die Medizin ist wohl der am meisten tabuisierte Lebensbereich, die letzte Wissenschaft, deren Legitimation noch einigermassen intakt ist. So erscheint es als ein Zynismus, wenn man sagt, dass das Leben kein absoluter Wert, sondern ein relativer, philosophisch-traditionell bestimmter ist. Wenn in der Tat alle ibus möglichst lange leben wollten, dann müsste das bedeuten, dass eine riesige Überlebensindustrie (künstliche Organe, Intensivstationen in jeder Wohnung usw.) entstehen müsste, die mit all ihrer notwendigen Infrastruktur und Disziplin/Selektion usw. alle Energien der Gesellschaft auffressen würde. Doch diese theoretische Gefahr besteht nicht, weil das höchstens ein nima unter vielen wäre und sich seine Absurdität so auch in schöner Reinheit zeigen würde. Andererseits soll die Spitzenmedizin durchaus existieren können, aber nicht als staatlicher Lebenszwangsapparat, sondern als freiwillige Möglichkeit.
(17) Die Umstellung etwa von US-Monsterstädten wie Los Angeles vom Auto auf Velo, bolo und Selbstversorgung scheint fast unmöglich zu sein. Es ist darum problemloser als die Verwandlung vieler europäischer Grossstädte, weil die Besiedelung relativ wenig dicht ist: viele Einfamilienhäuser, viele Hintergärten, viele Strassen. Es gibt für Los Angeles schon Alternativpläne, die eine quartierweise «Verdichtung» vorsehen, wodurch grössere Flächen für den Anbau frei werden als bei uns und kodu zu einem grossen Teil verwirklicht werden kann. - Viel behutsamer gilt es z.B. in asiatischen Grossstädten vorzugehen, weil diese extrem dicht bevölkert sind. Dort liegt das Problem in der «Modernisierung» der Dörfer, damit ein Rückfluss stattfinden kann. Übersieht man das, ergibt sich leicht eine Katastrophe a la Kampuchea... (Yona Friedman meint allerdings, dass die Dritte Welt-Slums geradezu ideale Beispiele einer ökologischen Wiederverwertungswirtschaft abgeben.)
(18) So etwas wie Nationen, Völker oder gar Staaten sind nicht vorgesehen und haben auch keinen Zweck . Es gibt nur das weltweite sumi-Patchwork und eine Menge wechselseitiger Abmachungen zwischen ihnen, dazu das asa'dala als Treffpunkt. Die Lösung der «nationalen Frage» kann nur in der Auflösung der Nationalstaaten durch die sumis bestehen. Weder ein «Internationalismus» der Staaten noch ein Föderalismus innerhalb von Staaten ist dazu fähig. Staaten erzeugen durch ihre Isolations- und Entladungsschübe nur katastrophale Krampfbewegungen. Sie sind ihrem Wesen nach hierarchische Kriegsapparate, weil sie ihre Funktion dauernd gegeneinander rechtfertigen müssen.
Die Sozialisten versprachen sich die Überwindung des Nationalismus von der weltweiten Vereinheitlichung «rückständiger» Minderheitskulturen in einer modernen Industriegesellschaft. Angesichts dieser Perspektiven haben die Arbeiterklassen immer wieder reaktionäre Nationalismen bevorzugt. Sie gaben ihnen noch mehr Spielraum als es ein kapitalistischer Weltstaat tun würde. Die Linke ist so immer wieder gescheitert und hat der Rechten die ethnischen Traditionen als Agitationsfeld überlassen. Als nationalistische Blut- und Boden-Romantik konnte sie der Faschismus erfolgreich einsetzen.
Die Antwort darauf ist ein extremer sumi-Nationalismus, der ethnische Traditionen transformiert in sein nima aufnehmen kann und sie nicht an einen abstrakten Internationalismus verkaufen muss. Die «nationale Frage» ist kein Problem, wenn sie nicht zur «Staatsfrage» wird.
Verschiedene ethnische Kulturen konnten, wenn sie sich die Staaten vom Hals halten konnten, immer friedlich oder wenigstens nicht übermässig kriegerisch zusammen leben. Jüdische und arabische Gemeinschaften vertrugen sich in Palästina, im Marais, in Brooklyn solange gut, als sie nicht auf die Idee verfielen, sich als Staaten zu organisieren oder sich mit solchen zu identifizieren. Dass die Juden auf die «Staatsidee» gekommen sind, ist natürlich nur eine Auswirkung des Nationalismus in Deutschland, Russland usw., der seine jüdischen «bolos» (Ghettos) zu vertreiben begann. Die Palästinenser kommen zwangsläufig auf die Idee eines palästinensischen Staates, weil der neue jüdische Nationalismus ihre «bolos» zerstörte. Ein Staat führt zum andern, ein Krieg für einen Staat zum folgenden Krieg. Die Sackgasse besteht heute darin, dass weder ein jüdischer noch ein palästinensischer Staat das Problem lösen kann, dass aber andere «Instrumente» realpolitisch nicht greifbar scheinen. Warum nicht ein oder mehrere gemischte Regionen mit jüdischen, arabischen und noch ein paar anderen bolos: der Nahe Osten ist ja eine wunderbare Gegend, wo es nicht an kultureller Vielfalt fehlt. (Er war geschichtlich sogar eine richtige nima-Quelle.) Dank Geldwirtschaft, Weltwirtschaft und Staatsorganisation wird dort ein Reichtum zur Plage. Das gilt nicht nur für den Nahen Osten.
(19) feno ist ein Tauschsystem ohne Geld. Das verhindert jedoch keineswegs, dass es wirtschaftlichen Charakter haben könnte. In dem Masse, wie die feno-Partner bei den Tauschproportionen darauf achten wollen oder müssen, wieviel Arbeitszeit in den Tauschobjekten enthalten ist, wird feno rein wirtschaftlich und könnte genausogut und praktischer mit Geld erledigt werden. Daher gibt es z.B. in den USA unter der Einwirkung der Rezession schon computergesteuerte Naturalhandelsbüros, die Geschäfte in Milliarden-Dollar-Höhe abgewickelt haben (15-20 Milliarden Dollars in einem Jahr - ohne dass ein Dollar verschoben wurde). Neben Steuerhinterziehung haben diese «barter systems» eine ganze Reihe von Vorteilen, bleiben aber völlig im wirtschaftlichen Rahmen. (siehe: Die Zeit, 15. April 1983) Eine andere Form von Naturaltausch wird in einer Kleinregion um Santa Rosa nördlich von San Francisco unter einigen hundert Leuten praktiziert: sie leisten sich gegenseitig Dienste, lassen sich die Arbeitszeit quittieren und können so bis zu 100 Stunden «Schulden» machen. Ein Büro vermittelt die Dienste und organisiert das ganze. Solche Coop-System sind auch aus der Zeit der Depression der 30er Jahre bekannt. Obwohl kein Geld zirkuliert, ist der Tausch doch völlig wirtschaftlich, denn eigentlich macht es keinen Unterschied, ob nun auf einem Zettel «1 Stunde» oder «1 Dollar» steht und dass die Graphik beim einen etwas nüchterner ist.
- Naturalaustausch erschwert vielleicht die Anonymisierung und verhindert einige Auswüchse der Geldwirtschaft - bedeutet aber im Kern keineswegs ihre Abschaffung. feno ist nur im Zusammenhang mit kultureller Eigenart und dank der Selbstversorgung nicht notwendigerweise ein wirtschaftliches Element. Die fenos werden ja meistens zustande kommen, weil zwei bolos etwas «gemeinsam» haben. Es kommt auch heute vor, dass z.B. Juden in jüdischen Läden kaufen, obwohl es dort teurer ist (abgesehen davon müssen sie in jüdischen Metzgereien einkaufen, weil sonst das Fleisch nicht koscher ist), einfach weil beide den gleichen Lebensstil haben. Dazu kommt, dass die Produkte selbst in Qualität und Art schon kulturell bestimmt sind d.h. gar nicht auf einen anonymen Markt kommen können. Es ergibt sich so eine unwirtschaftliche «Vetterliwirtschaft», bei der der Vergleich der aufgewendeten Arbeitszeit zweitrangig wird. Dieser kann aber nur dann zweitrangig sein, weil etwas anderes, die kulturelle Eigenart erstrangig ist und natürlich auch weil die eigene Landwirtschaft schon eine innere Versorgung sichert. Diese beiden Bedingungen bestehen heute nicht, darum gibt es keine «richtigen» fenos. Die Arbeitszeitmessung wird übrigens auch dadurch erschwert, dass die Lohnarbeit als vorherrschende Produktionsweise wegfällt und so die eigentlichen Messlaboratorien für gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand fehlen. (Woher will man wissen, wieviel Zeit für eine Verrichtung «wirklich» nötig ist, wenn man es nicht irgendwo unter reinen Bedingungen messen kann?) Der Wert kann wohl nie ganz verschwinden, aber er kann unsicher, ungenau und unwichtig werden. (Die Geschichte hat nicht umsonst stattgefunden.)
(20) Auch für sadi gilt vieles, das schon im Zusammenhang mit feno vermerkt wurde, nur sind hier die Verhältnisse noch klarer, weil auch formell Geld ins Spiel kommt. Es geht hier nur darum, vor all den illusionären Geldsystemen zu warnen, die meinen, mit einer andern Geldform könnten die wirtschaftlichen Dämonen gebannt werden. Arbeitsgeld ist ganz gewöhnliches Geld. Ob der Boden nun eine Ware ist oder nicht ändert nichts daran, dass Produkte an der aufgewendeten Arbeitszeit gemessen werden, sobald ein wirtschaftlicher Austausch einsetzt. Zinsverbot, Preiskontrollen, Schwundgeld usw. setzen einen zentralisierten Staat voraus, der kontrolliert, bestraft und koordiniert, also gesellschaftliche Anonymität usw . Nur die Einschränkung des Funktionsbereichs des Austauschs und des Geldes selbst können die Wirtschaft verhindern. (Wirtschaft ist immer Arbeitsgesellschaft)
(21) Seit dem Auftauchen des ibu sind wir zum Glück auch den «Menschen» los und die Frage, ob dieser nun gut ( = friedfertig) oder böse ( = gewalttätig) von «Natur» (die ist auch nicht vorgesehen) aus ist. Die Definitionen des Menschen - vor allem die humanistischen - hatten nämlich bisher immer höchst katastrophale Folgen. Irgendjemand passte immer nicht in diese so gut gemeinten Definitionen und musste dann zwecks Umerziehung, Besserung usw. in Lagern gesammelt werden. Die Humanisierung des guten Rests (zum Glück meist die Mehrheit) geschah dann durch Einsatz von Psychiatrie, Kremierung der Anormalen usw. Schon bei Thomas Morus gab es den «Menschen», den 6-Stundentag, aber auch die Todesstrafe für Ehebruch (einem ibu wäre das nie passiert). Das ibu kann also, vielleicht nicht von «Natur» aus, aber einfach, weil es ihm halt einfällt, gewalttätig sein. Es kann Lust an persönlicher, schmerzlicher, direkter Berührung anderer empfinden.
Gemein ist es, wenn diese Gewaltlust als Keim des Krieges verschrieen wird. Dieser entsteht viel eher aus massenhafter Gewaltunterdrückung. Er hat als bürokratische, gesichtslose nukleare Desinfektion (Neutronenbombe) mit Gewalt und Hass rein gar nichts mehr zu tun . Gefühle würden die Techniker und Beamten des modernen Krieges bei ihrer Arbeit nur behindern. Krieg ergibt sich nicht aus einer Gewaltlogik, sondern aus der Staats- und Wirtschaftslogik . Seiner Form nach ist er eher mit der Medizin zu vergleichen (hier wie dort Operationen, «theatres», Eingriffe, Hierarchie usw.).
Wenn aber unter Krieg eine kollektive, direkte Gewaltaktion verstanden wird, dann macht ihn yaka erst wieder möglich. Möglich, weil er unnötig ist und daher nicht katastrophal werden kann. Vielleicht aus ähnlichen Beweggründen kommt Callenbach in seinem Ecotopia auf neolithisch stilisierte Kriegsrituale (S. 91), die allerdings völlig ausserhalb der «normalen» Gesellschaft als eine Art staatlich überwachte Experimente stattfinden. «Wirkliche» Kriege, wie sie mit yaka möglich sind, verträgt Ecotopia offenbar nicht. Auch die Frauen, die von «Natur» aus viel weniger gewalttätig sind als Männer, machen bei den Kriegsspielen nie mit.
Je suis certaine que ma taille
Est enviée de quantité,
L'on y voit une majesté
Qui n'est point parmi la canaille. (...)
Si je suivais ma fantaisie,
Je m'en irais dans les combats,
Avec un fort grand coutelas
Faire une étrange boucherie (...)
(Mémoires de Madame de la Guette (1613-1676)
(22) Wird ein solcher Kriegskodex wirklich eingehalten? Schwemmt nicht die «Gewalt» alle Hemmungen und Regeln hinweg? Dass dies nicht der Fall zu sein braucht, zeigen die Schlachtordnungen der alten Griechen und auch im Mittelalter. Einbrüche in diese Kriegsgesetze wurden durch mangelnde Kommunikation unter den Völkern verursacht. Diese Gefahr besteht heute kaum mehr. Historische «Pannen» wie Dschingis Khan, Cäsar, Cortez usw. sind nicht mehr möglich. Auf jeden Fall ist es besser, es gibt Regeln als keine. Die Überwachung ihrer Einhaltung kann allerdings eine Art «Milizpolizei» des yaka'dala notwendig machen, die dann einschreitet, wenn eine Partei den Kodex verletzt. Was aber, wenn z.B. ein Bezirk eine solche, zuerst rein «defensive» Miliz für ein yaka gegen ein anderes vudo einsetzt? Das sumi'yaka'dala müsste dann seinerseits eine noch grössere Freiwilligentruppe aufbieten, um die Streithähne zur Einhaltung der Regeln zu veranlassen usw. Komplikationen sind also möglich: alles kann, braucht aber nicht einfach zu sein.
Es kann auch sein, dass irgendwo in einem verlassenen Fabrikkeller ein passionierter Atombombenbastler am Werk ist und bei der Selbstverwirklichung seiner sakrosankten Identität eine Region in die Luft sprengt. Er hätte allerdings Mühe, ohne die Hilfe und den Verdacht anderer ibus zum nötigen Material zu kommen - hier würde die spontane soziale Kontrolle das Schlimmste verhindern. Auf jeden Fall ist auch ein verrückter Bastler viel weniger gefährlich als heute die vernünftigen Wissenschaftler und Politiker...