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Aufruf zur Subversion *
Beispiel Nr. 1
Eine junge Lehrerin hat eine etwas verwilderte Klasse der Oberstufe zu übernehmen. Der Hauptauftrag lautete offensichtlich, Ordnung in diese Klasse zu bringen. An einem der ersten Tage diktiert sie den Schülern folgendes:
Wer ein Buch, ein Heft oder sonst etwas vergißt, geht nach Hause, um es zu holen. Die verpaßte Zeit wird selbstverständlich nachgeholt.
Aufgaben werden zu Hause gemacht. Das heißt, wenn jemand die Aufgaben nicht gemacht hat, geht er nach Hause, sofort, um sie zu machen. Die Zeit wird wiederum nachgeholt.
Wer dreimal zu spät kommt, holt die verpaßte Zeit am Mittwochnachmittag drei Stunden lang nach.
Arbeitsblätter ohne Namen wandern in den Papierkorb, da sie niemandem gehören. Diejenigen, die ihre Aufgaben nicht zurückerhalten, schreiben das ganze Arbeitsblatt ab. Arbeitsblätter, die mißhandelt werden, müssen ebenfalls ganz abgeschrieben und -gezeichnet werden.
Schimpfwörter, die nicht zu einer anständigen Erziehung passen, die jedoch vom Lehrer gehört werden, müssen das erste Mal 500mal geschrieben, die weiteren tausendmal geschrieben werden.
Werden Kaugummi, Bonbons usw. geschleckt, geht der Schüler eine Stunde vor die Türe. Die Zeit wird nachgeholt.
Sachen herumspicken und andere Unordentlichkeiten: Solche Schüler werden Gehilfen des Ordnungschefs. Auf dessen Geheiß räumen sie jeden Tag das Schulzimmer auf, bis der Lehrer zufrieden ist.
Gleichzeitig: Alle Vergehen, die die Zeugniseintragungen Fleiß und Pflichterfüllung, Ordnung und Reinlichkeit, Betragen betreffen, werden vom Schüler persönlich mit Datum und Unterschrift in einem Heft festgehalten. Fünf Einträge in einem Semester haben ein Befriedigend zur Folge. Acht Einträge haben ein Unbefriedigend zur Folge.«
* Der Originaltitel lautete: »Der Lehrer zwischen Lüge und Wahrheit, 2. Teil«. Vortrag gehalten anläßlich der Herbstkonferenz des Kantonalen Lehrervereins, Sektion Unterrheintal, in Heerbrugg
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Dies ist nicht 19. Jahrhundert. Dies sind nicht die dreißiger Jahre. Dies ist November 1978, 7. Schuljahr!
Ist es ein extremer Einzelfall? Oder ist für uns denn »Ordnungmachen« immer noch gleichbedeutend mit »Bestrafen«? Ist dies aber nicht letzten Endes Erziehung zum Kriechen, zum Kuschen, zum Parieren, zum sich Einordnen, sich Unterordnen? Wollen wir aber nicht unsere Kinder zu selbständig denkenden, selbständig urteilenden, selbständig handelnden Demokraten erziehen?
Beispiel Nr. 2
Im Herbst 1977 fand in Tiflis die erste Weltkonferenz für Umwelterziehung statt. Trotz aller politischen Differenzen war man sich sehr rasch einig über die Priorität der Umwelterziehung zur Abwendung ökologischer Gefahren, und man fand sich in markanten Empfehlungen zuhanden der Regierungen. Im Mai dieses Jahres legten der Delegationsleiter, Vizedirektor eines Bundesamtes, und der Direktor des WWF Schweiz die wichtigsten dieser Empfehlungen und den Vorschlag eines Aktionsprogrammes für die Schweiz der Erziehungsdirektorenkonferenz vor. Man wies auch auf die Pionierleistungen privater Organisationen hin und machte die Herren unter anderem mit den Umweltmagazinen des WWF bekannt. Das Thema war sehr rasch erledigt.
Der Stadtbasler Erziehungsdirektor sagte wörtlich: »Ich bin froh, daß ich als Politiker solche Hefte nicht zu lesen brauche.« Und der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, ein bekannter Zürcher Regierungsrat, rundete die Diskussion ab: »Es ist fraglich, ob unser System eine Durchdringung der
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