Thomas Raufeisen 

Ich wurde in die DDR entführt.
Von meinem Vater. Er war Spion.
Überarbeitete Neuausgabe, 2017 bei Herder, 240 Seiten


Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.
Eine deutsche Tragödie.  
2010 bei Herder, 200 Seiten


Der Tag, an dem uns Vater in die DDR entführte. Wie
ein "Kundschafter des Friedens" seine Familie belog
2009 bei Herder, 160 Seiten (Ankündigung)

dnb Person  *1962 in Hannover

wikipedia Armin Raufeisen  *1928 in Ostpreußen bis 1987

DNB.Buch    Bing.Buch  

detopia:

Pankowbuch   R.htm 

Hoffmann Stasikinder   Stasikinder 2012 dlf

Pierre Boom / Guillaume

Andrej Bahro  

Susanne Schädlich   Ines Geipel    Edina Stiller

 

 

 

Inhalt (2017)

Vorwort zur Neuausgabe  (7)


Ein überstürzter Aufbruch  (11) 

Rückblick I  (14)

Seitenwechsel  (17)    Hintergründe 26     Die ersten Wochen 34

Rückblick II 51    Schule und Ausbildung 55    Neue „Heimat“ 65    Die Lehre 70

Rückblick III 78    Vater beginnt zu zweifeln 84    Wir wollen raus (89)   Es geht los 97

Der legale Weg 103

Konfrontation und Hoffnung 112

Die Lage spitzt sich zu 122

 

Untersuchungshaft I (130)   Das richtige Leben im falschen 149

Untersuchungshaft II (153)   Mithäftlinge 160  Die Prozesse 168

Bautzen II 183

Zwischenzeit 207   Zurück im Leben 223    Was bleibt? 237

 


Sippenhaft

Das Schicksal von Thomas Raufeisen Mit 19 Jahren wurde Thomas Raufeisen zu drei Jahren Haft in Bautzen verurteilt. Dieses Urteil war letztlich ein Akt der Sippenhaft: Denn nur sein Vater hatte eine "spezielle Verbindung" zur Stasi.

Armin Raufeisen arbeitete beim Energieversorger "PreußenElektra" in Hannover. Insgeheim war sein Auftraggeber aber seit 1956 die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in Ost-Berlin. Nach dem Überlaufen des Stasioffiziers Werner Stiller in den Westen im Januar 1979 lud Raufeisen seine Frau und die beiden Söhne in den Wagen, angeblich um den kranken Großvater im Osten auf Usedom zu besuchen. Die Fahrt endete aber auf der Transitstrecke nach Berlin. Armin gab sich den beiden Söhnen Michael und Thomas als DDR-Spion zu erkennen, der auf der Flucht vor den westdeutschen Diensten sei.

Die Familie will wieder in den Westen

Thomas Raufeisen - 4 min "Der Mensch kann viel überstehen"

Die Hauptverwaltung Aufklärung kümmerte sich um den "Kundschafter" Raufeisen, machte ihn und seine Frau zu DDR-Bürgern, nur der 18-jährige Sohn Michael verweigerte sich. Den Stasi-Aufpassern sagte er: "Ich bin Bundesbürger. Das ist eine Entführung, was ihr hier betreibt." So durfte er schließlich in den Westen ausreisen.

Thomas, erst 16, hatte keine Wahl, er musste auf Geheiß des Vaters den DDR-Pass annehmen. Als Armin Raufeisen aber merkte, dass sein Sohn Thomas und mit der Zeit auch seine Frau nicht in der DDR bleiben wollten, versuchte er von der Stasi die Erlaubnis zu erhalten, nach Österreich auszureisen. Vergeblich. Daraufhin schmiedete er Fluchtpläne, die durch das misstrauisch gewordene Ministerium für Staatssicherheit aufflogen und ihm samt Ehefrau und Sohn ein Verfahren wegen Agententätigkeit und versuchter Republikflucht einbrachte.

Der Vater verstarb in der Haft

Armin Raufeisen wurde 1982 zu lebenslänglicher Haft verurteilt und nach Bautzen II geschickt, seine Frau erhielt sieben, Sohn Thomas drei Jahre. Einmal im Monat durften sie sich kurz sehen und sich einen Brief schreiben. Thomas hoffte die ganze Zeit, vom Westen freigekauft zu werden. Vergebens.

Ich frage mich manchmal, warum ich nicht freigekauft wurde, warum da nichts ging. Ich hatte ja nichts Besonderes an mir. Außer den Vater.

Thomas Raufeisen 1984, nach Verbüßung der vollen Haftstrafe und einigen Wochen, die er noch in der DDR verbringen musste, durfte er in den Westen ausreisen.

Vater Armin verstarb in der Haft bei einer Operation, die Mutter stellte deshalb einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung. Die Antwort des Generalstaatsanwalts der DDR vom 20.4.1988: "Davon ausgehend, dass sie rechtskräftig wegen Spionage und anderer schwerer Straftaten verurteilt wurden, erübrigt es sich, auf die diesbezüglichen Fragen nochmals einzugehen."

Weiter hieß es: "Die Beisetzung der Urne ihres Mannes wurde entsprechend ihrer jeweils geäußerten Wünsche realisiert."

10. Januar 2011

mdr.de/zeitreise/stoebern/damals/artikel92170.html 

 

Aus Wikipedia-2020

Armin Raufeisen wuchs in Tilsit auf, von wo die Familie 1944 ins Erzgebirge flüchtete. Dort arbeitete er zunächst als Hauer, später als Geophysiker bei der Wismut im Uranbergbau.

1957 verpflichtete sich Raufeisen als überzeugter Kommunist zur Arbeit für den DDR-Auslandsgeheimdienst. Er wurde zur Wirtschaftsspionage in die Bundesrepublik geschleust und nahm eine Tätigkeit als Geophysiker bei der Preussag in Hannover auf.

Als am 18. Januar 1979 der Oberleutnant des Ministeriums für Staatssicherheit, Werner Stiller, der in der Abteilung Wissenschaftlich-Technische Aufklärung der Staatssicherheit insgesamt 32 Wirtschaftsspione der DDR in westdeutschen Hochtechnologieunternehmen führte, in den Westen überlief, wurde die Gefahr der Enttarnung Raufeisens akut. Ohne seine Familie über die wahren Hintergründe der überhasteten Reise aufzuklären, fuhr Raufeisen mit Frau und Söhnen am 22. Januar 1979 in die DDR, um einer drohenden Verhaftung im Westen zu entgehen.

Die Söhne, beide in Hannover geboren, wollten sich mit der Situation nicht abfinden und nach Hannover zurückkehren. Während der bereits volljährige Michael sich weigerte, den Staatsbürgerschaftsantrag zu unterschreiben und schließlich im Dezember 1979 wieder ausreisen durfte, musste der minderjährige Thomas mit den Eltern in der DDR bleiben.

Die Ausreise des erwachsenen Sohnes änderte auch den Status Armin Raufeisens in der Staatssicherheit: Da er nun einen Verwandten ersten Grades in der Bundesrepublik hatte, wurde seine hauptamtliche Mitarbeit bei der Staatssicherheit beendet. Nachdem ein Ausreiseantrag der Familie von den DDR-Behörden abgelehnt worden war, erkundete Raufeisen denkbare Ausreise- und Fluchtmöglichkeiten.

Dazu nahm er unter anderem Kontakt zu CIA-Mitarbeitern, einem Schleuserunternehmen, westdeutschen Journalisten und der westdeutschen Botschaft in Ungarn auf. Diese Bemühungen blieben der Staatssicherheit nicht verborgen; man war unter anderem informiert durch einen Agenten der Staatssicherheit beim niedersächsischen Staatsschutz in Celle. Am 11. September 1981 wurde die Familie schließlich verhaftet und in die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Berlin-Hohen­schön­hausen gebracht. Der im Westen lebende Sohn Michael erfuhr erst nach einem Jahr durch einen Westberliner Anwalt, was mit seiner Familie geschehen war.

Nach über einjähriger Untersuchungshaft wurde Raufeisen wegen „ungesetzlichen Grenzübertritts“ im besonders schweren Fall, landesverräterischer Agententätigkeit (§ 100 StGB der DDR) wegen illegaler Verbindungsaufnahme mit Vertretern fremder Mächte – gemeint ist die bundesdeutsche Botschaft in Budapest und der Kontakt zum eigenen Sohn – und Spionage (§ 97 StGB der DDR) zu lebenslanger Haft verurteilt.

Seine Frau erhielt sieben Jahre Haft, der Sohn Thomas aufgrund der §§ 213 und 100 drei Jahre Haft. Alle drei wurden zur Haftverbüßung ins Zuchthaus Bautzen II gebracht. Thomas verbüßte seine volle Haftstrafe im Zuchthaus Bautzen II. Im September 1984 wurde er entlassen und durfte zu seinem Bruder nach Hannover ausreisen.

Die Eltern blieben weiterhin inhaftiert. Am 12. Oktober 1987 verstarb Armin Raufeisen unter bis heute ungeklärten Umständen nach einer Gallenoperation im Haftkrankenhaus Kleinmeusdorf. Als offizielle Todesursache wurde Lungenembolie angegeben. Charlotte Raufeisen wurde im September 1988 nach voller Verbüßung ihrer Strafe aus der Haft in Bautzen entlassen, durfte jedoch erst im April 1989 in die Bundesrepublik ausreisen.

 


 

Preußische Allgemeine Zeitung

15. Januar 2005

Verlorene Wurzeln

Das tragische Schicksal eines Ostpreußen aus Tilsit im Kalten Krieg

von Hans Dzieran

Der Kalte Krieg ist lange vorbei, und kaum jemand kann sich heute noch vorstellen, wieviel menschliches Leid er verursacht hat. Der Autor ist dem Schicksal des Ostpreußen Armin Raufeisen nachgegangen, der als Jugendlicher seine Heimat verlassen mußte und große Schwierigkeiten hatte, im Westen Fuß zu fassen. Als er in die Fänge der Geheimdienste geriet, war sein weiteres Leben vorbestimmt.

Durch die Dunkelheit eines Januarabends rollte ein Audi über die Interzonenautobahn in Richtung Berlin. Der Aufbruch am späten Nachmittag in Hannover geschah Hals über Kopf. Armin Raufeisen und seine Frau Charlotte schnappten ein paar wichtige Utensilien, fingen die aus der Schule kommenden Söhne ab, holten den Wagen aus der Garage und ab ging die Post. Man schrieb den 22. Januar 1979.

Alles an der Situation war ungewöhnlich und merkwürdig. Für Raufeisen war es schon wieder eine Flucht. Sollte das nie ein Ende haben? 35 Jahre war es nun her, als er das erste Mal ins Ungewisse mußte. Seitdem war er nicht zur Ruhe gekommen.

Eine unerträgliche Spannung hatte sich der Reisenden bemächtigt. Raufeisen sprach kaum ein Wort, und Michael und Thomas, 18 und 16 Jahre alt, erfuhren auf ihre drängenden Fragen nur, daß es dem auf Usedom wohnenden Großvater nicht gut gehe. Bei einer Raststätte unweit Magdeburg ging der Vater telefonieren. Als er wiederkam, schien er erleichtert. Er hatte sich mit zwei Männern verabredet, die sie vor Berlin erwarteten und deren Pkw sie dann folgten. In einer Villa am Stadtrand von Berlin, in Eichwalde, endete vorerst die seltsame Fahrt.

Während Armin Raufeien ein Stein vom Herzen gefallen zu sein schien, quälte sich seine Frau voller Zweifel, rätselten seine Söhne, was hier eigentlich gespielt wurde. Am nächsten Tag erfuhren sie die erschütternde Wahrheit:

Armin Raufeisen, der seit mehr als 20 Jahren in Hannover lebte, war als „Kundschafter des Friedens“ enttarnt worden. Am 18. Januar 1979 hatte sich ein Mitarbeiter der Hauptverwaltung Aufklärung der DDR, Oberleutnant Stiller, mit einem Koffer voller brisanter Unterlagen in die Bundesrepublik abgesetzt. Er war Führungsoffizier von 32 Wirtschaftsspionen des sogenannten Sektors Wissenschaftlich-technische Aufklärung. Sie waren in solchen bundesdeutschen Firmen und Institutionen tätig, die mit Hightech zu tun hatten, sie hielten die DDR-Wirtschaft über wissenschaftlich-technische Neuerungen und vertrauliche Forschungsergebnisse auf dem laufenden.

Der bundesdeutsche Nachrichtendienst war überrascht. Mit großer Sorgfalt prüfte er das Material, das Stiller auspackte. Bis es zu entsprechenden Verhaftungen kam, war so mancher Agent gewarnt. Nur 17 von ihnen konnten nach Stillers Flucht festgenommen werden. Den anderen gelang der Rückzug in die DDR. Einer von ihn war Armin Raufeisen. Wer war er eigentlich, den alle nur als angesehenen Mitarbeiter der Preussag kannten?

Armin Raufeisen wurde am 13. November 1928 in Endrejen, in der ostpreußischen Elchniederung geboren. Die Jugend verbrachte er in Tilsit. Durch die Kriegsereignisse mußte auch er Ende 1944 seine Heimat verlassen. Die Familie Raufeisen fand sich in Härtensdorf wieder, einem kleinen Dorf im sächsischen Erzgebirge, wo sie auf dem Bauernhof Brenner eine Bleibe fand. Ein Zurück in die ostpreußische Heimat gab es nicht mehr.

Armin litt unter seiner Sehnsucht nach der geliebten Vaterstadt und schmiedete immer wieder abenteuerliche Pläne zur Rückkehr an den Memelstrom. Doch daraus wurde nichts. Man mußte versuchen, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen. Als im benachbarten Wildenfels ein Uranschacht der Wismut geteuft wurde, fand er Arbeit als Hauer im Objekt 29. Er besuchte einen geologischen Lehrgang und wurde als Geophysiker in Ronneburg eingesetzt.

Seine Bemühungen, nach Ostpreußen zu kommen, blieben nicht verborgen. Sie wurden argwöhnisch verfolgt. Zwangsläufig geriet Raufeisen in die Fänge der Geheimdienste. Statt nach Tilsit sollte er nach Hannover gehen und sich an der „unsichtbaren Front“ bewähren.

Der Westen und das Abenteuer reizten Raufeisen. Der Krieg hatte ihm seine heimatlichen Wurzeln genommen, eine neue Heimat hatte er in Sachsen ohnehin nicht gefunden, und für die Funkerei hatte er schon immer etwas übrig. 1957 ging er über die damals noch offene Grenze nach Hannover, seine Frau Charlotte folgte kurz darauf.

Perspektivagenten stellen für Geheimdienste einen ungewissen Wechsel auf die Zukunft dar. In welcher Wirkungsstätte wird er Fuß fassen, wird er wirklich seine nachrichtendienstliche Tätigkeit aufnehmen oder sich der feindlichen Abwehr offenbaren? Raufeisen begann als Geophysiker bei der Preussen Elektra, der späteren Preussag, zu arbeiten. Wer bei dem Energiegiganten etwas werden wollte, mußte tüchtig sein. Und das war er. Bald galt er als versierter Experte und machte Karriere als Geophysiker.

Aber die Mühlen des Kalten Krieges forderten mehr und es gelang ihm nicht, sich daraus zu entziehen. Seine berufliche Position verschaffte ihm Zugang zu vielen interessanten Unterlagen. Der Inhalt von Forschungsberichten, Besprechungsprotokollen, vertraulichen Firmenanschriften nahm seinen Weg nach Ost-Berlin. Hier freute man sich vor allem über Informationen zum Stand der Kernenergienutzung und zu anderen Forschungen von militärischer Bedeutung. Zu Hause stand eine sorgfältig getarnte Anlage zur Übermittlung von Funksprüchen ...

Nun saß Raufeisen nach Stillers Enttarnung mit seiner Familie in der DDR. Das Leben würde sich grundlegend ändern. Es war ein Land, das seinen Söhnen fremd und unheimlich war. Der Schock saß tief. Sie begriffen die Handlungsweise des Vaters nicht und machten ihm Vorwürfe. Warum hatte er ihnen das angetan?

Das neue Leben nahm seinen Lauf. Formalitäten wurden erledigt. Armin Raufeisen, seine Frau und der 16jährige Thomas wurden Bürger der DDR. Michael war volljährig und lehnte eine Einbürgerung ab. Der Audi bekam ein DDR-Nummernschild. In Berlin wurde eine Dreizimmerwohnung in der Leipziger Straße 48 zugewiesen. Möbel, Bücher, Hausrat aus der alten Wohnung in Hannover – alles kam nach Berlin. Auch eine Arbeitsstelle wurde angeboten, im Zentralen Geologischen Institut.

Das Leben war ungewohnt. Ende der 70er Jahre hatte die Agonie in der DDR eingesetzt. Raufeisen war enttäuscht von den herrschenden Zuständen. Da nützte ihm auch die Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens nicht viel. Zu sehr litt er unter dem Schock, den er seiner Familie zugefügt hatte. Denn die Familie drohte zu zerfallen, besonders, nachdem Sohn Michael nach hartnäckigem Drängen seine Ausreise aus der DDR durchgesetzt hatte. Kurz vor Weihnachten 1979 durfte er zurück nach Hannover.

Raufeisen verlor seine Arbeitsstelle. Er hatte ja nun Westverwandtschaft ersten Grades und war für seinen Job nicht mehr tragbar. Seine berufliche Tätigkeit hatte ihn ohnehin nicht befriedigt. Das zurückgebliebene Niveau der geologischen Lagerstättenerkundung war ihm unbegreiflich. Wissenschaftlich-technische Erkenntnisse des Westens, die er der DDR übermittelt hatte, waren offensichtlich im Papierkorb gelandet. Nun wollte er alles rückgängig machen. Er stellte einen Ausreiseantrag für seine Familie. Eine Aburteilung durch ein bundesdeutsches Gericht erschien ihm inzwischen als das kleinere Übel. Lieber wollte er im Westen eine Strafe absitzen, als sein restliches Leben im Osten zuzubringen. Der Antrag wurde abgelehnt.

Wie kommen wir alle hier nur wieder raus – dieser quälende Gedanke beschäftigte ihn von Stund an. Seinem Sohn Michael hatte er aufgetragen, in Hannover Kontakte mit einflußreichen Personen zu knüpfen, mit Politikern, Geheimdienstleuten und Schleusern. Alle Möglichkeiten der legalen und illegalen Ausreise sollten geprüft werden, um die Familie wieder zusammenzuführen.

Erste Hoffnung kam auf, als Michael wissen ließ, es gäbe eine Andeutung von einem BND-Mitarbeiter, man solle bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Budapest vorsprechen. Dort sei man von dem Fall unterrichtet und könne helfen. Die Fahrt in die ungarische Hauptstadt endete mit einer Enttäuschung. Die Herren der Botschaft zeigten die kalte Schulter. Der Versuch war gescheitert.

Es galt, weiter nach Schlupflöchern zu suchen. Die Karre war verfahren. Monat für Monat wurden neue Fluchtpläne geschmiedet. Ruhelos streifte Raufeisen durch Berlin, fand am Alexanderplatz Kontakt zu einem US-Offizier, hatte ein Treffen mit zwei CIA-Agenten im Treptower Park, suchte Verbindung zu dem Schleuserunternehmen Aramco, sprach in einer Gaststätte den Fernsehjournalisten Pleitgen an – nichts blieb unversucht. Doch alle winkten ab. Endlich im Herbst 1981 tat sich eine neue Chance auf. Wieder bot sich Ungarn als Rettungspunkt an. In Budapest sollte ein Treff stattfinden. Doch die Reise fand nicht statt. Im letzten Moment wurde die Fahrt von den Behörden der DDR untersagt.

Hatten sie Lunte gerochen? Die monatelangen Bemühungen um Ausreise, die zahlreichen Kontakte und Telefonate waren nicht unbeobachtet geblieben. Raufeisen wurde nervös. Was er nicht wußte: Im niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz gab es einen Kriminalhauptkommissar, der für die DDR arbeitete und diese über Raufeisens Fluchtpläne auf dem laufenden hielt. Schon seit einiger Zeit liefen die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Kontaktaufnahme mit Vertretern fremder Mächte, landesverräterischer Agententätigkeit und Spionage.

Die Schlinge zog sich zu. Raufeisen stand mit dem Rücken zur Wand und geriet in Panik. Eine letzte Möglichkeit sah er im Durchschwimmen der Lübecker Bucht. Gemeinsam mit seiner Frau erkundete er die Gegebenheiten in Boltenhagen. Nun schlug das MfS zu. Auf der Ostseeautobahn wurden sie gestoppt und verhaftet. Am selben Abend nahm man Thomas in der elterlichen Wohnung in Berlin fest. Es war der 11. September 1981.

Fast ein ganzes Jahr galten sie als verschwunden. Erst im Sommer des Jahres 1982 erfuhr Michael von einem Westberliner Anwalt, daß die Eltern und der Bruder sich in U-Haft in Hohenschönhausen befänden.

Dann, im September 1982 fanden vor dem Strafsenat des Obersten Militärgerichts zwei gesonderte Prozesse statt. Charlotte Raufeisen wurde zu sieben Jahren, Sohn Thomas zu drei Jahren und Armin Raufeisen zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Alle kamen zur Strafverbüßung nach Bautzen II.

Aus dem Verdienten Kundschafter war ein Staatsfeind geworden. Vergeblich hoffte er in seiner Einzelzelle auf Austausch oder Freikauf. Das Gefühl der Ausweglosigkeit und Schuld machte ihn kaputt. Er hatte seine ganze Familie ins Zuchthaus gebracht. Die Galle machte ihm zu schaffen. Als eine akute Verschlechterung seines Zustandes eintrat, verlegte man ihn in das Haftkrankenhaus nach Leipzig-Meusdorf, wo er sich einer komplizierten Gallenoperation unterziehen mußte. Er überstand den viereinhalbstündigen Eingriff, erlag jedoch zwölf Tage später einer Lungenembolie. Am 12. Oktober 1987 – im Alter von 58 Jahren – endete sein Leben. Er war immer auf der Flucht. Seine Heimat hat er nie wiedergesehen.

 

 

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Thomas Raufeisen Ich wurde in die DDR entführt. Von meinem Vater. Er war Spion. (Armin Raufeisen)