Briefe
von Warlam Schalamow an Alexander Solschenizyn
aus dem Buch <Ankerplatz der Hölle>
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Die Veröffentlichung von W. Schalamows Briefen und Notizen erfolgt nach den in seinem Archiv erhaltenen Manuskripten (ZGALI). Die Briefe werden in Auswahl wiedergegeben. Kürzungen werden durch [...] gekennzeichnet.
W. Schalamow und A. Solschenizyn lernten sich im Jahre 1962 in der Redaktion von "Nowyj mir" kennen. Alles brachte sie einander näher: das Lagerschicksal, der tiefe Einblick in die Gründe des Totalitarismus sowie dessen erbitterte Bekämpfung.
Solschenizyn lebte damals in Rjasan und reiste häufig nach Moskau; sie trafen sich, schrieben einander. Der Briefwechsel umfaßt den Zeitraum der Jahre 1962-1966. In diesem Briefwechsel war Schalamow der Offenere: Seine Briefe sind Erinnerungen an Kolyma, ein Symbol des Glaubens, eine tiefdringende Analyse von Solschenizyns Prosa und ein Essay über die Lagerprosa überhaupt. Bisweilen ging das Konzept eines Briefes in die Niederschrift der Eindrücke eines Gesprächs mit Solschenizyn über, so als führe es das Gespräch fort und fände dabei neue Argumente.
Solschenizyn ist in seinen Briefen zurückhaltender und geschäftsmäßig kurz, reagiert aber immer aufmerksam auf die wenigen Erfolge Schalamows (Buch, andere Publikationen) und schätzt dessen Gedichte und Prosa hoch ein:
"... Und ich bin fest davon überzeugt, daß wir den Tag erleben werden, an dem sowohl das <Heft von Kolyma> als auch die <Geschichten aus Kolyma> im Druck erscheinen. Daran glaube ich! Und dann wird man erkennen, wer das ist, Warlam Schalamow!"
Dieser Tag kam. Und nun, da die Literatur über die Lager so umfangreich geworden ist, mag es an der Zeit sein, Warlam Schalamows Urteile über sie zu hören.
Nachdem ich mich mit meiner Bitte an Solschenizyn gewandt hatte, seinen Briefwechsel mit W. Schalamow veröffentlichen zu dürfen, bat Alexander Issajewitsch, ihm Kopien der Briefe zu schicken, und dann sandte er mir am 17.1.1990 die folgende Antwort:
"Sehr geehrte Irina Pawlowna!
Für den Druck von Schalamows Briefen an mich benötigen Sie ebenfalls eine Erlaubnis, und diese gebe ich Ihnen. Denn sie sind von allgemeinem Interesse.
Im Gegensatz dazu stellen meine bei Ihnen befindlichen Briefe an ihn (von denen Sie übrigens nicht alle besitzen) ein derartiges Interesse nicht dar.
Außerdem möchte ich den bereits im Gange befindlichen, lawinenartig anwachsenden Abdruck meiner Briefe, der gewöhnlich ohne Erlaubnis geschieht, nicht noch fördern. Den Abdruck meiner Briefe an W. T. erlaube ich also nicht.
Alles Gute. A. Solschenizyn."
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Lieber Alexander Issajewitsch. [Solschenizyn]
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Ich habe zwei Nächte nicht geschlafen — ich las Ihre Erzählung*, las sie noch einmal, Erinnerungen tauchten auf...
* "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch", erschienen 1962 in der Zeitschrift "Nowyj Mir"
Die Erzählung ist in sich so schlüssig und so vollkommen wie ein Gedicht. Jede Zeile, jede Szene, jede Charakteristik ist so lakonisch, so klug, so fein und so tief, daß ich glaube, "Nowyj mir" hat, seit sie existiert, so etwas Geschlossenes und Starkes noch nicht gedruckt. Und auch nicht etwas so Notwendiges. Denn ohne die ehrliche Lösung all dieser Fragen kann weder die Literatur noch das gesellschaftliche Leben vorwärts schreiten — alles, was im Unausgesprochenen verharrt, was ausweicht und täuscht, brachte und bringt nur Schaden und wird das auch in Zukunft tun.
Erlauben Sie, Ihnen, mir, Tausenden von am Leben Gebliebenen und Hunderttausenden (wenn nicht Millionen) Verstorbener zu gratulieren, denn auch sie leben durch diese wirklich erstaunliche Erzählung.
Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Gedanken zu dieser Erzählung und zu den Lagern mitteile.
Die Erzählung ist sehr gut. Ich habe Reaktionen darauf erlebt — schließlich hat ja ganz Moskau auf sie gewartet. Gerade vorgestern, als ich mit der Nr. 2 von Nowyj Mir auf den Puschkin-Platz ging, fragten mich innerhalb von zwanzig bis dreißig Minuten drei oder vier Leute: „Ist das die Nummer zwei?" — „Ja, die Nummer zwei." — „Ist das die mit der Erzählung über die Lager?" — „Ja, das ist sie!" — „Wo haben Sie sie bekommen, wo kann man sie kaufen?"
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Ich habe einige Briefe erhalten (ich habe Ihnen davon in der Redaktion von „Nowyj mir" erzählt), in denen diese Erzählung außerordentlich gelobt wird. Doch erst, als ich sie jetzt selber las, sah ich, daß das Lob noch viel zu niedrig angesetzt ist. Es ist nämlich so: Es handelt sich hier um etwas, das Menschen, die das Lager nicht kennen — es sind glückliche Menschen, denn das Lager ist eine negative Schule, keine Stunde sollte man sich in ihm aufhalten, keine Minute, es auch nur sehen —, das solche Menschen in seiner ganzen Tiefe, Feinheit, Wahrhaftigkeit gar nicht einschätzen können.
Das sieht man auch an den Rezensionen, an denen von Simonow, von Baklanow, von Jermilow. Doch über die Rezensionen möchte ich lieber nicht schreiben.
Die Erzählung zeugt von großer Klugheit und Begabung. Hier wird das Lager aus dem Blickwinkel eines Lager-Arbeitstiers gesehen, eines jener Häftlinge, die ein Handwerk beherrschen und zu „verdienen" wissen, und nicht aus dem eines Zäsar Markowitsch oder eines Fregattenkapitäns.*
* Zwei Personen aus dem "Denissowitsch".
Das ist kein „angeschwemmter" Intelligenzler, sondern ein Bauer, der durch eine große Prüfung hindurchgegangen ist und nun mit Humor von der Vergangenheit erzählt. Alles in der Erzählung ist glaubwürdig. Es handelt sich um ein "leichtes", nicht ganz wirkliches Lager. Das wirkliche Lager wird in der Erzählung ebenfalls gezeigt und sehr gut: Dieses schreckliche Lager — Schuchows Ishma** — schimmert in der Erzählung durch wie weißer Dampf durch die Ritzen einer Baracke.
** Ishma: linker Nebenfluß der unteren Petschora; gemeint sind die Deportationslager.
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Das ist jenes Lager, in dem die Arbeiter Tag und Nacht Bäume fällen mußten, wo Schuchow durch Skorbut seine Zähne verlor, wo die Kriminellen ihnen das Essen wegnahmen, wo es Läuse gab und Hunger herrschte, wo man wegen jeder Kleinigkeit etwas angehängt bekam.
Man brauchte bloß zu sagen, daß draußen die Streichhölzer teurer geworden seien, schon hatte man was am Hals. Wo man am Ende eine neue Haftstrafe bekam oder als "Gewicht", als "Trockenration" eine sieben Gramm schwere Kugel vor die Stirn. [...]
Hier, in der Katorga, im Sonderlager, ist es viel milder als im richtigen Lager. Hier tun zivile Aufseher Dienst. (Der Aufseher an der Ishma ist ein Gott und nicht so ein hungriges Wesen, in dessen Wachstube ein Schuchow den Boden aufwischt.) An der Ishma... Wo die Kriminellen das Sagen haben, wo die Moral der Kriminellen sowohl das Verhalten der Häftlinge als auch das der Vorgesetzten bestimmt, deren Erziehung vor allem mittels der Romane von Schejnin* und von Pogodins** „Aristokraten" bewerkstelligt wurde.
* Lew Schejnin, 1906-1967. Arbeitete von 1925-1950 als Untersuchungsführer der Staatsanwaltschaft, nahm aktiv an den "Säuberungs"-Prozessen teil. Später Verfasser parteikonformer (Kriminal-)Romane.
** Nikolaj Pogodin, 1900-1962. Einer der bekanntesten sowjetischen Dramatiker. „Dem verlogenen Thema der Umerziehung zum Regimeanhänger durch Zwangsarbeit am Eismeerkanal ist das trotz schwacher Psychologie erfolgreiche Stück 'Aristokraten' gewidmet....." (W. Kasack, Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts.)
Im Lager der Katorga, wo Schuchow sitzt, hat dieser einen Löffel — für ein wirkliches Lager ein überflüssiges Instrument. Und die Suppe, und der Brei, beides von einer Konsistenz, daß man sie über den Rand trinken kann, und am Krankenrevier streicht ein Kater vorbei — auch das für ein wirkliches Lager unwahrscheinlich, denn den Kater hätte man längst verspeist.
Diese Vergangenheit voll Furcht und Schrecken zu zeigen ist Ihnen gelungen, und zwar sehr stark in Schuchows blitzartigen Erinnerungen an die Ishma. Die Schule der Ishma, das ist die Schule, in der auch Schuchow gelernt hat, der zufällig am Leben geblieben ist.
All das ruft einen aus dieser Erzählung mit lauter Stimme an, für mein Ohr jedenfalls.
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Es gibt noch ein sehr großes Verdienst: Schuchows tief erfaßte und fein dargestellte bäuerliche Psychologie. Einer von so viel Feingefühl geprägten künstlerischen Arbeit bin ich schon lange nicht mehr begegnet, muß ich gestehen. In allem offenbart sich der Bauer: in seinem Interesse für die „Pinsler", in seiner Wißbegier, in seinem von der Natur so angelegten zähen Verstand, in seiner Fähigkeit zu überleben, in seiner Beobachtungsgabe, in seiner Vorsicht und Umsicht, in seiner leicht skeptischen Einstellung zu den verschiedenartigen Zäsar Markowitschs und zur vielgestaltigen Macht, die es zu achten gilt.
Die kluge Unabhängigkeit, der weise Gehorsam im Dienst und die Fähigkeit, sich den Umständen anzupassen, sowie das Mißtrauen — all das sind Charakterzüge des Volks, der Leute vom Lande. Schuchow ist stolz darauf, daß er ein Bauer ist, daß er überlebt hat, daß er diese Fähigkeit besitzt und daß er es fertigbringt, dem reichen Brigadier trockene Filzstiefel zu bringen, und daß er zu „verdienen" imstande ist.
Ich will nicht all die künstlerischen Details aufzählen, die davon zeugen. Sie kennen sie ja selbst.
Hervorragend wird jene Verschiebung der Maßstäbe gezeigt, die bei jedem alten Arrestanten, auch bei Schuchow, eintritt. Diese Verschiebung der Maßstäbe betrifft nicht nur das Essen — wenn er ein Rädchen Wurst ißt, bereitet ihm das einen Genuß sondergleichen —, sondern auch tiefere Dinge, und mit Kilgas zu reden ist für ihn interessanter als mit seiner eigenen Frau, und so weiter. Das ist zutiefst wahr. Das ist eines der wichtigsten Lagerprobleme. Deshalb ist für die Rückkehr in die Freiheit ein "Amortisator" von nicht weniger als zwei bis drei Jahren notwendig.
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Sehr fein die Bemerkung über das Paket, das man, obwohl man geschrieben hat, es solle nicht geschickt werden, eben doch erwartet. Überlebe ich, dann überlebe ich; wenn nicht, dann retten mich auch keine Pakete. Auch ich habe geschrieben, und ich habe vor der Liste mit den Paketen so gedacht.
Überhaupt die Details, die Einzelheiten im Tagesablauf, das Verhalten aller Hauptpersonen, das alles ist sehr zutreffend und sehr neu, unerhört neu. Man braucht nur an den nicht ausgewrungenen Lappen zu erinnern, den Schuchow, nachdem er den Boden aufgewaschen hat, hinter den Ofen wirft. Solcher Details gibt es Hunderte in der Erzählung; andere, nicht neue oder ungenaue, gibt es überhaupt keine.
Es ist Ihnen gelungen, eine absolut starke Form zu finden. Das Lagerleben, die Lagersprache, die Lagergedanken sind ja ohne die Mutterflüche, ohne den unflätigsten Wortschatz nicht vorstellbar. In anderen Fällen kann das übertrieben wirken, in der Lagersprache ist das ein charakteristischer Zug für das dortige Leben, ohne den die Aufgabe (und bildlich gesprochen erst recht!) nicht gelöst werden kann. Sie haben sie gelöst. All diese Mist-, Drecks- und so weiter sind am Platz und unumgänglich. Klar, daß "Aas" und ähnliches einen gleichberechtigten Platz einnimmt, ohne das geht es nicht. Diese "Ekel" und so weiter kommen übrigens ebenfalls von den Kriminellen, von der Ishma, vom allgemeinen Lager.
Für eine erstaunlich wahrhaftige Figur in der Erzählung, die dem Autor genauso gelungen ist wie der Hauptheld, halte ich den Sektierer Aljoschka, und zwar aus folgendem Grund:
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In den zwanzig Jahren, die ich in Lagern und in ihrer Umgebung verbracht habe, kam ich zu dem unbezweifelbaren Schluß — Summe langjähriger, zahlreicher Beobachtungen —, daß, wenn es im Lager überhaupt Menschen gab, die ungeachtet aller Schrecken, ungeachtet des Hungers, der Kälte, der Schläge und der über ihre Kräfte gehenden Arbeit ihre menschlichen Züge unwandelbar bewahrten, es die Sektierer und überhaupt die Religiösen waren, einschließlich der orthodoxen Popen.
Natürlich gab es einzelne gute Menschen auch aus anderen Bevölkerungsgruppen; doch das waren Einzelgänger, und sie hielten sich wohl auch nur, solange es nicht zu schwer wurde. Die Sektierer hingegen blieben immer Menschen.
Gute Menschen sind in Ihrem Lager die Esten. Wirkliches Leid haben sie allerdings noch nicht erfahren — sie haben Tabak, und sie haben zu essen. Das ganze Baltikum mußte mehr hungern als die Russen. Die Menschen dort sind alle kräftig und hochgewachsen, und dabei bleibt die Ration immer die gleiche, obwohl man selbst den Pferden eine Ration entsprechend ihrem Gewicht gibt.
Früher als die anderen „krepierten" immer und überall die Letten, die Litauer und die Esten, eben wegen ihres hohen Wuchses, aber auch deshalb, weil das Leben auf dem Lande im Baltikum ein wenig anders ist als bei uns. Die Diskrepanz zum Lagerleben ist größer. Es gab besonders Schlaue, die machten sich darüber lustig und wollten damit ausdrücken, daß es das Baltikum mit dem russischen Menschen nicht aufnehmen könne — eine solche Perfidie gibt es überall.
Sehr gut ist der Brigadier gezeichnet, sehr wahrheitsgetreu. Künstlerisch gesehen ist das ein Porträt ohne Fehl und Tadel, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, Brigadier zu werden (man hat es mir seinerzeit mehrfach angetragen); denn für mein Verständnis gibt es nichts Schlimmeres, gibt es keinen verwerflicheren Dienst, als anderen das Arbeiten zu befehlen; nicht nur hungrigen und kraftlosen Alten und Invaliden, sondern allen.
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Denn bei Schlägen, einem Vierzehnstundentag, einem mehrstündigen Stehen, bei Hunger und fünfzig bis sechzig Grad Frost braucht es sehr wenig, nach meinen Schätzungen gerade mal drei Wochen, um aus einem völlig gesunden, körperlich starken Menschen einen Invaliden, einen "Krepierer" zu machen, drei Wochen unter einer geschickten Hand. Wie kann man da Brigadier sein?
Ich habe Dutzende von Beispielen gesehen, wo ein Kräftiger bei der paarweisen Arbeit mit einem Schwachen einfach schwieg und arbeitete, bereit, alles auszuhalten, komme, was da wolle. Nur nicht den Kameraden beschimpfen. Wegen des Kameraden in den Karzer gehen, sogar eine weitere Haftstrafe bekommen, ja sterben. Nur eines nicht tun: dem Kameraden befehlen zu arbeiten. Deshalb bin ich kein Brigadier geworden. Lieber sterben. In den zehn Jahren allgemeinen Arbeitslagers habe ich keine Schüssel ausgeleckt, wobei ich nicht der Meinung bin, daß das etwas Schändliches sei — nein, man kann das tun.
Und das, was der Fregattenkapitän tut, kann man nicht tun. Deshalb bin ich kein Brigadier geworden und habe zehn Jahre in Kolyma zwischen Bergbau und Krankenhaus verbracht, deshalb habe ich eine zehnjährige Haftstrafe auf mich genommen. In keiner Verwaltung durfte ich je arbeiten, und ich habe dort auch keinen einzigen Tag gearbeitet. Vier Jahre lang haben wir weder Zeitungen noch Bücher bekommen. Nach vielen Jahren fiel mir als erstes Buch Ehrenburgs "Fall von Paris" in die Hände. Ich blätterte und blätterte, und dann riß ich ein Blatt für eine Selbstgedrehte heraus und begann zu rauchen.
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Doch das ist meine persönliche Meinung. Brigadiere, wie Sie einen dargestellt haben, gibt es viele, und er ist sehr gut herausgearbeitet. Wieder in jeder Einzelheit seines Verhaltens. Ausgezeichnet auch seine Beichte. Und sie ist logisch. Einer inneren Stimme gehorchend, sprechen sich solche Leute unerwartet aus. Und auch, daß er jenen wenigen Menschen hilft, die ihm geholfen haben, und daß er sich über den Tod der Feinde freut — alles stimmt.
Weder Schuchow noch der Brigadier wollten jene höhere Lagerweisheit begreifen, die da lautet: Erteile deinem Kameraden niemals einen Befehl, und schon gar nicht den, zu arbeiten. Vielleicht ist er krank, hungrig, weit schwächer als du. Diese Fähigkeit, dem Kameraden zu glauben, ist überhaupt das größte Heldentum des Arrestanten. In dem Streit zwischen dem Kapitän und Fetjukow ist meine Sympathie voll und ganz auf der Seite Fetjukows. Der Kapitän ist ein künftiger Schakal. Doch darüber später.
Zu Anfang Ihrer Erzählung wird gesagt: Hier herrscht das Gesetz der Taiga. Aber auch hier kann man leben. Zugrunde geht, wer die Schüsseln ausleckt, wer aufs Krankenrevier spekuliert und die anderen beim „Gevatter" verpfeift. Im Grunde genommen beruht darauf die ganze Erzählung. Doch das ist eine Brigadiers-Moral. Der erfahrene Brigadier Kusjomin hat Schuchow eine wichtige Redensart des Lagers vorenthalten (die er aber auch gar nicht aussprechen konnte). Daß einen im Lager nicht die kleine, sondern die große Ration umbringt. Arbeitet man im Bergbau vor Ort, bekommt man ein Kilo Brot, die beste Ernährung, man kann sich was kaufen und so weiter. Und man stirbt. Arbeitet man als Gehilfe des Unteroffiziers vom Dienst oder als Schuster und bekommt fünfhundert Gramm, lebt man zwanzig Jahre und hält sich nicht schlechter als früher eine Vera Figner und ein Nikolaj Morosow.
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Jene Redensart dürfte Schuchow an der Ishma bekannt geworden sein, und er dürfte begriffen haben, daß man so arbeiten muß: die schwere Arbeit schlecht und die leichte, die zu schaffen ist, gut. Natürlich, wenn man Treibgut ist, kann von einer „leichten Arbeit" keine Rede sein; trotzdem stimmt das Gesetz und kann einen retten.
In gewisser Weise stützt sich diese für Ihren Helden neue Philosophie auch auf die Arbeit des Krankenreviers. Denn an der Ishma leisteten natürlich nur die Ärzte Hilfe, nur sie retteten Menschen. Und obwohl es auch unter ihnen nicht wenige Verfechter einer Therapie durch Arbeit gab und Ärzte Gedichte bestellten und Bestechungsgelder annahmen — dennoch konnten nur sie allein einen retten und taten es auch.
Kann ich denn damit einverstanden sein, daß mein Wille dazu benützt wird, den Willen eines anderen niederzuhalten, damit er langsam (oder schnell) umgebracht werden kann? Das Schlimmste im Lager ist, anderen eine Arbeit zu befehlen. Der Brigadier ist im Lager eine schreckliche Erscheinung. Man hat mir oft vorgeschlagen, ich solle einer werden. Aber ich entschied mich für den Tod und gegen den Brigadier.
Natürlich, solche Brigadiere lieben Menschen wie Schuchow. Und den Kapitän schlägt der Brigadier erst, als der schwach geworden ist. Überhaupt ist diese Beobachtung der Erzählung, daß man im Lager nur den Geschwächten schlägt, überaus zutreffend und gut geschildert.
Richtig und subtil ist die Arbeitsbegeisterung Schuchows und der anderen Mitglieder der Brigade beim Hochziehen der Mauer dargestellt. Der Brigadier und der Hilfsbrigadier verschaffen sich dabei auf die angenehmste Weise Bewegung. Sie kostet das nichts. Aber auch die anderen kommen bei der Arbeit in Fahrt — und so ist das immer. Das ist zutreffend. Das heißt, die Arbeit hat ihnen noch nicht die letzten Kräfte geraubt.
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Diese Arbeitswut ähnelt ein wenig jenem Übermut, wenn zwei hungrige Kolonnen einander zu überholen versuchen — eine Kindlichkeit der Seele, die auch in dem wüsten Gebrüll an die Adresse des zurückgefallenen Moldauers zum Ausdruck kommt (an dem sich auch Schuchow ohne Hemmungen beteiligt); all das ist sehr genau, sehr stimmig. Möglich, daß eine solche Arbeitsbegeisterung die Menschen sogar rettet. Man denke nur daran, daß es in der Lagerbrigade immer Neulinge und alte Arrestanten gibt, letztere sind keine Gesetzesbewahrer, sondern einfach erfahrener. Die schwere Arbeit tun die Neulinge, Aljoscha, der Kapitän. Sie sterben einer nach dem andern und werden ersetzt, die Brigadiere hingegen bleiben am Leben. Und genau das ist der Hauptgrund, weshalb sich Menschen danach drängen, Brigadier zu werden, und mehrere Haftstrafen auf sich nehmen.
Im richtigen Lager an der Ishma hielt die morgendliche Suppe für eine Stunde Arbeit bei Frost vor; die übrige Zeit arbeitete jeder nur so viel, daß er nicht abkühlte. Und nach dem Mittagessen reichte die Wassersuppe wieder nur für eine Stunde.
Nun zum Kapitän. Hier gibt es ein paar Unstimmigkeiten, zum Glück nur sehr wenige. Erste Szene, Wachstube. „Sie haben kein Recht", und so weiter. Hier liegt eine kleine Zeitverschiebung vor. Der Kapitän ist eine Figur des Jahres 1938. Damals schrie fast jeder so. Fast alle, die so schrien, wurden erschossen. „Bau" war für solche Worte im Jahre '38 nicht vorgesehen. Im Jahre 1951 konnte der Kapitän nicht so schreien, was für ein Greenhorn er auch sein mochte. Vom Jahre 1937 an ziehen an seinen Augen Erschießungen, Repressalien, Arreste vorbei, man greift sich seine Kameraden, und sie verschwinden für immer. Und der Kapitän macht sich nicht einmal die Mühe, darüber nachzudenken. Er fährt auf den Straßen und sieht überall die Wachttürme der Lager.
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Und auch darüber denkt er nicht nach. Und schließlich ist er durch das Untersuchungsverfahren hindurchgegangen, denn in das Lager kam man nach einem Verfahren und nicht vorher. Und trotzdem hat er über nichts nachgedacht. All das konnte er unter zwei Voraussetzungen nicht sehen: Entweder hat der Kapitän vierzehn Jahre auf einer fernen Schiffsreise verbracht, sagen wir, auf einem Unterseeboot, das vierzehn Jahre lang nicht an die Oberfläche kam. Oder er war vierzehn Jahre lang gedankenlos bei den Soldaten, und erst, als sie ihn selber schnappten, wurd's ihm mulmig.
Und auch über die Bendera-Leute*, mit denen er nicht zusammensitzen will, denkt der Kapitän nicht nach. (Und wie sieht's mit den Spionen aus? Mit den Vaterlandsverrätern? Mit den Wlassow-Leuten? Mit Schuchow? Mit dem Brigadier?) Denn diese Bendera-Leute sind so wenig Bendera-Leute, wie er, der Kapitän, ein Spion ist. [...] Er kam einfach nach dem Verteiler dran, nach den Kontrollisten des Untersuchungsrichters. Das ist die einzige Unrichtigkeit in Ihrer Erzählung.
Es geht nicht um den Charakter als solchen (es gibt diese Wahrheitsfanatiker, die ewig streiten, es gab sie, gibt sie und wird sie immer geben). Aber eine so typische Figur konnte es nur im Jahre 1937 geben (oder 1938, für die Lager). Hier kann der Kapitän als ein künftiger Fetjukow gedeutet werden. Die ersten Schläge — und es gibt keinen Kapitän mehr. Ihm stehen zwei Wege offen: entweder das Grab oder das Auslecken von Schüsseln, wie das Fetjukow tut — ein gewesener Kapitän, der schon acht Jahre sitzt.
* Mitglieder einer Vereinigung ukrainischer Nationalisten, benannt nach ihrem Führer Stepan Bendera.
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Kehren wir zur Erzählung zurück. Für den aufmerksamen Leser ist jeder Ihrer Sätze eine Offenbarung. Das ist, in unserer Literatur, das erste Werk, das über Kühnheit und künstlerische Wahrheit sowie über die Wahrheit des Durchlebten und Durchfühlten verfügt — das erste Wort darüber, wovon alle sprechen, was aber noch niemand niedergeschrieben hat. [...] Sehr gut, daß im Lager keine patriotischen Gespräche über den Krieg geführt werden, daß Sie diese Verlogenheit vermieden haben. Hier spricht der Krieg ausschließlich mit der tragischen Stimme verstümmelter Schicksale und verbrecherischer Fehler.
Noch eins. Mir scheint, ohne die Rolle der Kriminellen bleibt das Lager unverständlich. Gerade die Welt der Kriminellen, ihre Regeln, ihre Ethik und Ästhetik säen in den Seelen aller Lagerinsassen, der Gefangenen, der Chefs und der Zuschauer, Verkommenheit und Sittenverfall. Fast das ganze Seelenleben der Katorga-Arbeiter wird letztlich von den Kriminellen bestimmt. Die Lüge, die im Laufe vieler Jahre durch Pogodins „Aristokraten" und die Produkte Lew Schejnins in unsere Literatur hineingebracht wurde, ist unermeßlich groß. Die Romantisierung des Verbrechertums hat großen Schaden verursacht: Sie hat die Kriminellen gerettet, indem sie diese als Vertrauen einflößende Romantiker darstellte — sie, die keine Menschen sind.
In Ihrer Erzählung dringt die Welt der Kriminellen lediglich durch die Ritzen der Handlung hindurch. Und das ist gut und wahr.
Die Zerstörung dieser viele Jahre alten Legende von den romantischen Kriminellen gehört zu den in unserer Belletristik aktuellsten Aufgaben.
In Ihrem Lager gibt es keine Kriminellen!
Ihr Lager ist ohne Läuse!Der Dienst der Wache richtet sich nicht nach einem Plan, der mit Gewehrkolben erzwungen, würde.
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Ein Kater!
Der Knaster wird im Glas abgemessen!
Niemand wird vor den Untersuchungsrichter gezerrt.Nach der Arbeit wird man nicht in einen fünf Kilometer entfernten Wald zum Holzholen geschickt.
Es wird nicht geschlagen.Das Brot lassen sie in der Matratze. In der Matratze! Und die ist sogar gepolstert! Und ein Kissen gibt es auch. Gearbeitet wird im Warmen.
Das Brot lassen sie zu Hause! Sie essen mit einem Löffel!
Wo gibt es ein solches wunderbares Lager?
Hätte man seinerzeit doch nur ein einziges Jährchen in einem solchen Lager verbringen können.
Man erkennt sofort, daß Schuchows Hände, wenn er die Finger in kaltes Wasser taucht, nicht erfroren sind. Nach fünfundzwanzig Jahren kann ich meine Hände nicht in eisiges Wasser tauchen.
In der Bergwerksbrigade der Gold-Saison des Jahres 1938 blieben am Ende der Saison, im Herbst, nur der Brigadier und der Mann vom Barackendienst übrig, alle anderen kamen in dieser Zeit entweder „unter den Hügel" oder ins Krankenhaus oder in andere für Hilfsarbeiten eingesetzte Brigaden. Oder sie wurden erschossen, und zwar nach Listen, die jeden Tag beim Morgenappell bis tief in den Winter des Jahres 1938 vorgelesen wurden — es waren jeweils die Listen jener, die zwei, drei Tage zuvor erschossen worden waren. Und in die Brigade kamen Neue, um ihrerseits zu sterben oder krank zu werden, von der Kugel niedergemäht zu werden oder unter den Schlägen des Brigadiers, des Begleitsoldaten, des Einsatzleiters, des Friseurs und des Barackendienstes zu krepieren. So ging's in allen unseren Bergwerksbrigaden zu.
[...]
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Sehr richtig hat Schuchow beim Untersuchungsverfahren das Verhörprotokoll unterschrieben. Und obwohl ich bei meinen beiden Verfahren nicht ein einziges mich selbst beschuldigendes Protokoll unterschrieben habe und keinerlei Geständnisse machte, hatte das doch das gleiche Ergebnis: Auch so bekam ich meine „Frist". Und zudem hat man mich während des Verfahrens nicht geschlagen. Hätte man mich geschlagen (wie ab der zweiten Hälfte des Jahres 1937 und später) — ich weiß nicht, was ich getan, wie ich reagiert hätte.
Ausgezeichnet ist das Ende. Dieses Wursträdchen, das einen glücklichen Tag beendet. Sehr gut das Gebäck, das der beherrschte Schuchow Aljoschka gibt. „Wir können uns was verdienen. Er hat Glück. Da hast du's...!"
[...]
Hervorragend die Bemerkung, daß Schuchow in der Freiheit völlig unnötigerweise zu viel gegessen hat. Dieser Gedanke kommt jedem Arrestanten. Glänzend ausgedrückt.
[...]
Die Aufregung über die „stibitzten" Sonntage ist sehr zutreffend. (Im Jahre 1938 gab es in Kolyma im Bergwerk keine freien Tage. Meinen ersten Ruhetag bekam ich am 18. Dezember. Das ganze Lager wurde zum Holzholen für einen Tag in den Wald gejagt.) Ebenso zutreffend, daß man sich über jede Art von Ruhepause freut, ohne zu bedenken, daß die Leitung dafür ja wieder etwas abzieht. Das kommt daher, daß der Arrestant sein Leben nicht über den jeweiligen Tag hinaus plant. Gib mir's heute; was morgen kommt, werden wir dann sehn.
Zwischen dem Auslecken von Schüsseln und dem Auswischen eines Schüsselbodens mit einer Brotrinde ist kein großer Unterschied. Dieser macht nur klar, daß es dort, wo Schuchow lebt, noch keinen Hunger gibt, daß man dort noch existieren kann.
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Eine ganz verfluchte Erscheinung des Lagers kommt besonders gut heraus: das Bemühen, sich Gehilfen, „Kriecher", zu halten. Die Aufräumarbeiten tun letzten Endes, und oftmals bis in den Morgen hinein, jene, die sich bereits bei der schweren Arbeit im Bergwerk geschunden haben. Die Bedienung des Menschen steht über dem Menschen. Und das ist nicht nur fürs Lager charakteristisch.
Sehr vermisse ich in Ihrer Erzählung einen Chef (einen großen Chef, einen, wie es ihn in den Grubenverwaltungen gab), der für seinen Handel mit Knaster unter den Häftlingen — fünf Rubel die Zigarette — einen Arrestanten vom Barackendienst als Mittelsmann einsetzte. Ein Päckchen Knaster kostete bei einem solchen Chef zwischen hundert und fünfhundert Rubel.
Die Beschreibung des Frühstücks, der Suppe, des erfahrenen Habichtauges des Arrestanten — all das ist richtig und wichtig. Nur — den Fisch ißt man mit den Gräten, das ist ein Gesetz. Der gefüllte Schöpflöffel, der teurer ist als das ganze vergangene, gegenwärtige und zukünftige Leben — das ist erlitten, erlebt und kraftvoll und genau dargestellt. Die heiße Wassersuppe! Zehn Minuten seines Lebens sitzt der Häftling beim Essen. Das Brot ißt man extra, um den Genuß des Essens zu verlängern. Das ist ein allgemeines hypnotisches Gesetz.
[...]
Im Krankenhaus zu liegen, ja zu sterben, aber in einem sauberen Bett und nicht in der Baracke, unter den Stiefeln der Brigadiere, der Begleitsoldaten und der Einsatzleiter — das ist der Traum eines jeden Häftlings.
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Die ganze Szene im Krankenrevier ist sehr gut getroffen. Freilich hat das Krankenrevier schlimmere Dinge gesehen, zum Beispiel das Schlagen der Nägel der erfrorenen Finger des Häftlings gegen das eiserne Becken, und der Arzt reißt sie mit einer Zange heraus und wirft sie in das Becken, und ähnliches.
Sehr gut der Augenblick vor dem Ausmarsch.
Der kleine Zuckerhügel. Bei uns wurde der Zucker niemals in die Hand ausgegeben, immer nur im Tee.
Überhaupt ist der Schuchow in jeder Szene sehr gut, sehr wahr.
Zäsar Markowitsch — genau dieser Typus ist auch der Held in Nekrassows „Rira Georgijewna". So einer kehrt in die Freiheit zurück und sagt, daß man im Lager doch Fremdsprachen und Wechselrecht lernen könne.
Die morgendliche und die abendliche „Filzung" — hervorragend.
Ihre ganze Erzählung ist die lang ersehnte Wahrheit, ohne die unsere Literatur nicht vorankommen kann. Jeder, der hierüber schweigt und diese Wahrheit verdreht, ist ein Schurke.
Sehr gut beschrieben ist die Vorzone und diese Umzäunung, wo hintereinander die Brigaden stehen. Bei uns gab es das. Und an der Vorderfront des Haupttors stand, auf besonderen Befehl von oben, in allen Lagerabteilungen auf rotem Satin: „Arbeit bedeutet Ehre, Ruhm, Tapferkeit und Heldentum!" Da haben Sie's!
Die traditionelle Warnung des Wachpostens, die jeder Gefangene auswendig lernte, lautete (bei uns): „Ein Schritt nach rechts, ein Schritt nach links ist für mich Flucht, ein Sprung nach oben Agitation!" Wie Sie sehen, werden überall Späße gemacht. [...]
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Denken Sie daran, das Wichtigste ist: Vom ersten bis zum letzten Tag ist das Lager für jeden Menschen eine negative Schule. Niemand, weder ein Chef noch ein Arrestant, sollte es je zu Gesicht bekommen. Ist es aber geschehen, dann muß man auch die Wahrheit sagen, und sei sie noch so furchtbar. Schuchow ist nicht dank des Lagers, sondern trotz desselben ein Mensch geblieben.
Es freut mich, daß Sie meine Gedichte kennen. Geben Sie doch bitte Twardowskij zu verstehen, daß sie schon über ein Jahr in seiner Redaktion liegen; ich kann es nicht bewerkstelligen, daß man sie ihm zeigt. Dort liegen auch Erzählungen, in denen ich versuche, das Lager so zu zeigen, wie ich es gesehen und verstanden habe.
Ich wünsche Ihnen viel Glück, Erfolg und künstlerische Kraft. Auch einfach nur physische Kraft.
Noch meinen Dank für Ihre Erzählung. Schreiben Sie, kommen Sie. Sie können bei mir immer unterkommen.
Ihr W. Schalamow.
Was mich betrifft, so habe ich schon lange beschlossen, die mir verbleibende Lebenszeit eben jener Wahrheit zu widmen. Ich habe tausend Gedichte und hundert Erzählungen geschrieben; mit Müh' und Not habe ich in einem Zeitraum von sechs Jahren einen Band verstümmelter, invalider Gedichte veröffentlicht, jedes von ihnen beschnitten und amputiert.
Meine Worte in unserem Gespräch über den Eisbrecher und den Pendelzug waren nicht zufällig. Der Widerstand gegen die Wahrheit ist groß. Aber die Menschen brauchen weder Eisbrecher noch Pendelzüge. Sie brauchen freies Gewässer, in dem keinerlei Eisbrecher notwenig ist.
W. Sch.
[Nov. 1962]
Lieber Alexander Issajewitsch.
Am 28. August gab ich ein neues Gedichtbuch im „Sowjetskij pisatel" ab. Nicht, daß es sich schon in der Herstellung befände (bis dahin ist es noch weit); aber das Manuskript ist in die Planung (September) aufgenommen worden und hat die Auswahl und die Siebung durch den Cheflektor, dessen Name auf dem Titelblatt erscheinen wird, passiert. Außer im Glawlit* wird es noch von zwei Leuten gelesen werden. Ein Exemplar der Handschrift von „Blätterrauschen" (so heißt das Buch) lege ich für Sie und Natalja Alexejewna beiseite und übergebe es, wenn ich sie sehe. Vieles davon ist Ihnen bekannt, einiges ist neu.
Wie schon der „Feuerstein"**, so ist auch „Blätterrauschen"*** eher ein Werk des Lektors als des Autors, doch bin ich des Widerstands müde.
Auch dieses Buch entspricht nicht meinen Vorstellungen. Ich denke, bis zum 10. September wird das Buch fast alle Etappen durchlaufen haben.
[...] Ich danke für die Einladung auf die Datscha, ich komme unbedingt, unter allen Umständen. Meinen herzlichen Gruß an Natalja Alexejewna. Einen Gruß von Olga Sergejewna an Sie beide.
Ihr W. Schalamow
* Zentrale Zensurbehörde
** Schalamows erster Gedichtband von 1961.
*** Dieser zweite Gedichtband von Warlam Schalamow erschien 1964.
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