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Erstes Buch
Der Welt als Vorstellung
Erste Betrachtung
Die Vorstellung unterworfen dem Satze vom Grunde:
Das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft
Sors de l'enfance, ami, réveille-toi!
Jean-Jacques Rousseau§. 1.
"Die Welt ist meine Vorstellung:" – dies ist eine Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt; wiewohl der Mensch allein sie in das reflektierte abstrakte Bewußtsein bringen kann: und tut er dies wirklich; so ist die philosophische Besonnenheit bei ihm eingetreten. Es wird ihm dann deutlich und gewiß, daß er keine Sonne kennt und keine Erde; sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde fühlt; daß die Welt, welche ihn umgibt, nur als Vorstellung da ist, d.h. durchweg nur in Beziehung auf ein Anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist. –
Wenn irgend eine Wahrheit a priori ausgesprochen werden kann, so ist es diese: denn sie ist die Aussage derjenigen Form aller möglichen und erdenklichen Erfahrung, welche allgemeiner, als alle andern, als Zeit, Raum und Kausalität ist: denn alle diese setzen jene eben schon voraus, und wenn jede dieser Formen, welche alle wir als so viele besondere Gestaltungen des Satzes vom Grunde erkannt haben, nur für eine besondere Klasse von Vorstellungen gilt; so ist dagegen das Zerfallen in Objekt und Subjekt die gemeinsame Form aller jener Klassen, ist diejenige Form, unter welcher allein irgend eine Vorstellung, welcher Art sie auch sei, abstrakt oder intuitiv, rein oder empirisch, nur überhaupt möglich und denkbar ist.
Keine Wahrheit ist also gewisser, von allen andern unabhängiger und eines Beweises weniger bedürftig, als diese, daß Alles, was für die Erkenntniß da ist, also diese ganze Welt, nur Objekt in Beziehung auf das Subjekt ist, Anschauung des Anschauenden, mit Einem Wort, Vorstellung. Natürlich gilt Dieses, wie von der Gegenwart, so auch von jeder Vergangenheit und jeder Zukunft, vom Fernsten, wie vom Nahen: denn es gilt von Zeit und Raum selbst, in welchen allein sich dieses alles unterscheidet.
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Alles, was irgend zur Welt gehört und gehören kann, ist unausweichbar mit diesem Bedingtseyn durch das Subjekt behaftet, und ist nur für das Subjekt da. Die Welt ist Vorstellung.
Neu ist diese Wahrheit keineswegs. Sie lag schon in den skeptischen Betrachtungen, von welchen Kartesius ausging. Berkeley aber war der erste, welcher sie entschieden aussprach: er hat sich dadurch ein unsterbliches Verdienst um die Philosophie erworben, wenn gleich das Uebrige seiner Lehren nicht bestehen kann. Kants erster Fehler war die Vernachlässigung dieses Satzes, wie im Anhange ausgeführt ist. –
Wie früh hingegen diese Grundwahrheit von den Weisen Indiens erkannt worden ist, indem sie als der Fundamentalsatz der dem VYASA zugeschriebenen Vedantaphilosophie auftritt, bezeugt W. JONES, in der letzten seiner Abhandlungen: on the philosophy of the Asiatics; Asiatic researches, Vol. IV, p. 164: the fundamental tenet of the Vedanta school consisted not in denying the existence of matter, that is of solidity, impenetrability, and extended figure (to deny which would be lunacy), but in conecting the popular notion of it, and in contending that it hos no essence independent of mental perception; that existence and perceptibility are convertible terms*.
Diese Worte drücken das Zusammenbestehn der empirischen Realität mit der transscendentalen Idealität hinlänglich aus.
Also nur von der angegebenen Seite, nur sofern sie Vorstellung ist, betrachten wir die Welt in diesem ersten Buche. Daß jedoch diese Betrachtung, ihrer Wahrheit unbeschadet, eine einseitige, folglich durch irgend eine willkürliche Abstraktion hervorgerufen ist, kündigt Jedem das innere Widerstreben an, mit welchem er die Welt als seine bloße Vorstellung annimmt; welcher Annahme er sich andererseits doch nimmermehr entziehen kann.
* Das Grunddogma der Vedantaschule bestand nicht im Ableugnen des Daseyns der Materie, d.h. der Solidität, Undurchdringlichkeit und Ausdehnung (welche zu leugnen Wahnsinn wäre), sondern in der Berichtigung des gewöhnlichen Begriffs derselben, durch die Behauptung, daß sie kein von der erkennenden Auffassung unabhängiges Daseyn habe; indem Daseyn und Wahrnehmbarkeit Wechselbegriffe seien.
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Die Einseitigkeit dieser Betrachtung aber wird das folgende Buch ergänzen, durch eine Wahrheit, welche nicht so unmittelbar gewiß ist, wie die, von der wir hier ausgehen; sondern zu welcher nur tiefere Forschung, schwierigere Abstraktion, Trennung des Verschiedenen und Vereinigung des Identischen führen kann, — durch eine Wahrheit, welche sehr ernst und Jedem, wo nicht furchtbar, doch bedenklich seyn muß, nämlich diese, daß eben auch er sagen kann und sagen muß: "Die Welt ist mein Wille." –
Bis dahin aber, also in diesem ersten Buch, ist es nötig, unverwandt diejenige Seite der Welt zu betrachten, von welcher wir ausgehen, die Seite der Erkennbarkeit, und demnach, ohne Widerstreben, alle irgend vorhandenen Objekte, ja sogar den eigenen Leib (wie wir bald näher erörtern werden) nur als Vorstellung zu betrachten, bloße Vorstellung zu nennen. Das, wovon hierbei abstrahiert wird, ist, wie später hoffentlich Jedem gewiß sein wird, immer nur der WILLE, als welcher allein die andere Seite der Welt ausmacht: denn diese ist, wie einerseits durch und durch VORSTELLUNG, so andererseits durch und durch WILLE. Eine Realität aber, die keines von diesen Beiden wäre, sondern ein Objekt an sich (zu welcher auch Kants Ding an sich ihm leider unter den Händen ausgeartet ist), ist ein erträumtes Unding und dessen Annahme ein Irrlicht in der Philosophie.
§. 2.
Dasjenige, was Alles erkennt und von Keinem erkannt wird, ist das SUBJEKT. Es ist sonach der Träger der Welt, die durchgängige, stets vorausgesetzte Bedingung alles Erscheinenden, alles Objekts: denn nur für das Subjekt ist, was nur immer da ist. Als dieses Subjekt findet Jeder sich selbst, jedoch nur sofern er erkennt, nicht sofern er Objekt der Erkenntniß ist. Objekt ist aber schon sein Leib, welchen selbst wir daher, von diesem Standpunkt aus, Vorstellung nennen. Denn der Leib ist Objekt unter Objekten und den Gesetzen der Objekte unterworfen, obwohl er unmittelbares Objekt ist*. Er liegt, wie alle Objekte der Anschauung, in den Formen
* Über den Satz vom Grunde, 2. Aufl., §. 22.