Reinhard Schult

Deutscher Nationalpreis 2000

Bundesverdienstkreuz 2014

 

als Tramp=>

wikipedia  Autor
*1951 in Spandau
bis 2021 (70)

DNB.Autor (2)

Bing.Autor  

Goog.Autor  


detopia

Pankowbuch   

Sterbejahr-K  

S.htm  

 

 

 

bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/.../341016/nachruf-auf-reinhard-schult

 

jugendopposition.de/zeitzeugen/145520/reinhard-schult 

 

dissidenten.eu/laender/deutschland-ddr/biografien/reinhard-schult

 

revolution89.de/gesichter/reinhard-schult/28b1304d88d0f2c0e6f337257e59a98d/ 

 

 

aus wikipedia-2021

 

Reinhard Schult war ein deutscher Bürgerrechtler und Politiker (Neues Forum).

„Als Kind war er in die Fluchtpläne seiner Mutter, einer Krankenschwester in Berlin-Kaulsdorf, eingeweiht. Die Ausreise der Familie, die für den 13. August 1961 geplant war, scheiterte am Stacheldrahtzaun.“

Er beteiligte sich in der Jungen Gemeinde. Da Reinhard Schult wegen „mangelnder gesellschaftlicher Tätigkeit“ keine Zulassung zur Erweiterten Oberschule erhalten hatte, wählte er die Ausbildung zum Baufacharbeiter mit Abitur. Danach studierte er einige Monate evangelische Theologie am Sprachenkonvikt Berlin.

 

Opposition und Widerstand bis zur Revolution 1989 in der DDR

Er verweigerte den Waffendienst in der Nationalen Volksarmee und war von 1976 bis 1978 Bausoldat[4] beim Kommando der Grenztruppen.[5]

Ab 1978 engagierte er sich in verschiedenen oppositionellen Gruppen. In einem Interview ging Reinhard Schult auf seine Beziehungen zur Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in Ost-Berlin ein, in der er im ESG-Friedenskreis aktiv war: „Da haben wir pazifistische Propaganda für die Bausoldaten gemacht, Texte zum Beispiel von Tucholsky, Kästner, Wolfgang Borchert und die Bausoldatenverordnung im kirchlichen Raum verteilt.“[6]

Die Aktivitäten und Mitglieder des ESG-Friedenskreises wurden von der Staatssicherheit beobachtet, wobei die Überwachung Schults unter der Bezeichnung »Objekt 'Pazifist'« erfolgte.

1979/80 verbüßte er aufgrund von "Verbreitung illegaler Literatur" eine achtmonatige Freiheitsstrafe.

 

In einem Bericht vom 1. Juni 1989 wurde Reinhard Schult vom Ministerium für Staatssicherheit zum „harten Kern“ seiner Gegner gezählt:

„Etwa 600 Personen sind den Führungsgremien zuzuordnen, während den sogen. harten Kern eine relativ kleine Zahl fanatischer, von sogen. Sendungsbewußtsein, persönlichem Geltungsdrang und politischer Profilierungssucht getriebener, vielfach unbelehrbarer Feinde des Sozialismus bildet. Dieser Kategorie zuzuordnen sind ca. 60 Personen, u. a. die Pfarrer Rainer Eppelmann, Wolfram Tschiche und Christoph Wonneberger sowie Gerd und Ulrike Poppe, Bärbel Bohley und Werner Fischer; die Personen Wolfgang Rüddenklau, Schult, Thomas Klein und Heiko Lietz.

Sie sind die maßgeblichen Inspiratoren/Organisatoren politischer Untergrundtätigkeit und bestimmen mit ihren Verbindungen im Inland, in das westliche Ausland und zu antisozialistischen Kräften in anderen sozialistischen Staaten die konkreten Inhalte der Feindtätigkeit personeller Zusammenschlüsse und deren überregionalen Aktionsradius.“

 

Reinhard Schult hat sich in der DDR-Widerstandsbewegung der 1980er Jahre unter anderem im Friedenskreis Friedrichsfelde, in der Gruppe Gegenstimmen und der Kirche von Unten engagiert. Dabei gehörte er zu denjenigen, die eine Zusammenarbeit subversiver Gruppen mit der Ausreise-Bewegung entschieden ablehnten, aber dennoch auf eine revolutionäre Umgestaltung der DDR hinarbeiteten.

„Im Herbst 1986 begann der illegale Piratensender Schwarzer Kanal sein Programm auszustrahlen, die Idee dazu stammte von Reinhard Schult. Zusammen mit einer Gruppe von Dissidenten schrieb er systemkritische Texte, die vom Dachboden eines grenznahen Hauses in West-Berlin gesendet wurden. Ein Jahr später organisierte er den Kirchentag von Unten mit und gehörte zu den Initiatoren der Kirche von Unten.“

1989 war er Gründungsmitglied der Bürgerbewegung Neues Forum. Er vertrat diese Bürgerbewegung am Zentralen Runden Tisch. Für den 15. Januar 1990 rief Schult mit dem Neuen Forum zu einer Demonstration vor der Stasi-Zentrale auf, die in eine Besetzung mündete und eine Weiterarbeit der Geheimpolizei auch unter neuem Namen unterband.

Von März bis Oktober 1990 war er Abteilungsleiter im Staatlichen Komitee zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit.

Im September 1990 besetzte er mit anderen Bürgerrechtlern wie Bärbel Bohley, Wolf Biermann und Katja Havemann erneut die ehemalige Stasi-Zentrale; diesmal um zu erreichen, dass die Stasi-Akten nicht gesperrt, sondern künftig der persönlichen und gesellschaftlichen Aufarbeitung und Erforschung der SED-Diktatur dienen sollten.[11] Diese Absicht wurde mit der Bestellung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen erreicht.

 

Nach der Wiedervereinigung gehörte er von 1991 bis 1995 als Abgeordneter der Gruppe Neues Forum/Bürgerbewegung dem Berliner Abgeordnetenhaus an. Im November 1990 war Schult in Berlin-Friedrichshain bei der Räumung der Mainzer Straße an den Vermittlungsversuchen zwischen den Besetzern und dem Senat beteiligt.

Er wirkte im Vorstand des Bürgerkomitees „15. Januar“ e. V.[12] mit, das die Aufarbeitungs-Zeitschrift Horch und Guck herausgab.

In den Jahren der Regierung Schröder engagierte er sich mit dem Neuen Forum in den Protesten gegen die „Agenda 2010“ und die Hartz-Gesetze.

Anlässlich des Kosovokrieges gehörte er 1999 „zu jenen ehemals DDR-Oppositionellen, die in einer öffentlichen Erklärung die Soldaten der Bundeswehr zur Verweigerung des Kriegseinsatzes aufforderten.“

 

Reinhard Schult arbeitete bis zu seiner Verrentung bei der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur in Brandenburg[16] und beriet Opfer der SED-Diktatur in Rehabilitationsfragen.

Ab 1995 lebte er in Fredersdorf in der brandenburgischen Uckermark,[17] einige Jahre später zog er in die Nähe von Bernau.[18]

Er war Mitglied des Bundesvorstandes des Neuen Forums. Schult starb im September 2021, zwei Tage nach seinem 70. Geburtstag, nach langer schwerer Krankheit.

Literatur

Kowalczuk, Tom Sello (Hrsg.): Für ein freies Land mit freien Menschen. Opposition und Widerstand in Biographien und Fotos. Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin 2006,
Kowalczuk (Hrsg.): Freiheit und Öffentlichkeit. Politischer Samisdat in der DDR 1985–1989. Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin 2002,
Rüddenklau: Störenfried. DDR-Opposition 1986–1989. Basis-Druck, Berlin 1992,
Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR. Beck, München 2009,
Thomas Rudolph, Oliver Kloss, Rainer Müller, Christoph Wonneberger (Hrsg. im Auftrag des IFM-Archives Sachsen e. V.): Weg in den Aufstand. Chronik zu Opposition und Widerstand in der DDR vom August 1987 bis zum Dezember 1989. Band 1, Leipzig, Araki, 2014

 

 

Ihr Lieben, 
hier mein Text der Rede, die ich am 29.10.2021 in der Zionskirche zum Abschied für Reinhard Schult gehalten habe. 

Wer sie vorher schon gelesen hatte, wird die mündliche Ergänzungen bemerkt habe.

Es steht Euch frei,  diese öffentlich gehaltenen Worte weiter zu zitieren oder zu veröffentlichen auf geeigneten Ebenen. 

Herzliche Grüße
Ihr/Euer
Eckart Hübener

„Lobet den Herrn, ihr Drachen.“ 
(Psalm 148:7)

 
 
 

Hallo Ulf, freut mich sehr, dass Du Dich gemeldet hast und dass es Dir gut geht.  Nach Deiner angekündigten Winterschlafpause werde ich mir dann also im Februar gern mal wieder Deine Bücherseite zu Gemüthe führen können. Hab als Rentner jetzt ja noch mehr Zeit zum Lesen.  Erst Utopia, jetzt Detopia? Doch nicht etwa Dystopia?  Ich bin gespannt: hast Du DIch verändert, oder bist Du Dir nur noch ähnlicher geworden? (weiß leider nicht mehr, vom wem diese schöne Redensart stammt). Diskutieren können wir dann sicher auch wieder. Als mir kürzlich ein Freund aus Leipzig berichtete, er habe Bahro erst jetzt richtig zu verstehen begonnen, musste ich auch an Dich denken. Zumal mir ein alter Bekannter aus Mecklenburg einen Text schickte, der mich sehr berührt und Erinnerungen geweckt hat - und den ich deshalb gern auch an Dich weiterleite, ganz im Sinne des Verfassers (siehe unten). Dir alles Beste - und bis auf weiteres - Herbert  

Eckart Hübener   qwant  Eckart+Huebener+Rambow

REDE in der Trauerfeier für Reinhard Schult (1951-2021) 

am 29.10. 2021 (12 Uhr)  in der Zionskirche Berlin

 

Der Traum ist Traum zu dieser Zeit, 
doch nicht mehr lange, mach dich bereit 
zum Kampf ums Paradies

 

Liebe Franka, liebe Paula, Liebe Ina,
Liebe Freunde und Gefährtinnen,

Wir sind hier, um ihn, der gegangen ist, gehen zu lassen. 

Der in uns bleiben wird. 
Reinhard Schult, mein Freund.


Ich lernte mit ihm: 
Was braucht es, um von der Diktatur zu einer dem Menschen gemässen Lebensform zu kommen? 
Welche Grundsätze?
Welche Menschen?
Was brauchen Ungeduld und Aufbegehren, Aufklärung und Transformation in der DDR, um stärker zu werden?


Es braucht Räume, Ideen, geopferte Zeit und Kraft. Es braucht Geld und List, Toleranz - die ungeklärten Dinge auszuhalten.


Und es braucht vor allem begabte Wesen, Menschen, die das wollen, die trotz Zwang, gesundheitlicher Bedrohung, trotz Ausgrenzung, trotz Verrats und Haft nicht verhärten wollen.
Und die nicht weg gehen. 


Die auf die Welt kamen, um zu bleiben. Hier zu bleiben.


So einer war der, dessen leibliche Hülle tot ist, Reinhard Schult, mein Freund, dessen Inspiration, Mut, Trotz, Klugheit Strategie, dessen Fähigkeit, mit engagierten Menschen anderer Richtungen Offenheit und Freundschaft zu praktizieren uns allen frisch im Gedächtnis ist.


Räume zu erkennen, sie zu Spielräume zu weiten, Grenzgänger zu sein, über Grenzen gehen das war sein großes Geschick. Grenzverletzer, natürlich.


Die Junge Gemeinde Kaulsdorf hatte solche Räume, da begann es. Nicht in der FDJ. 


Entscheidung auf Entscheidung folgte, nach einer Maurerlehre das Theologiestudium, eine frühe Heirat und die Tochter Franka mit Freude, Vater-Fürsorge und Verantwortung ...

Dann 1976 der Dienst ohne Waffe als Bausoldat, mit Rudolf Kessner und Henning Utpatel. Ihr wart kreativ: Der Heizungskeller wurde zur Druckerwerkstatt, und Vorsicht stand über allem.

1977, vor 44 Jahren, lernte ich Reinhard kennen, wir musizierten auch, dann freche 1848er Lieder, später Georg Danzer Die andere Seite und sangen Biermanns Lieder. 

Und natürlich wurde getippt und vervielfältigt. Damit einher ging die Prüfung aller Kontakte, wuchs Vertrauen aber auch. So festigte sich die belastbare Basis. 

Als er zurück war, im Zivil der DDR-Diktatur, wohnte er zunächst unweit von mir in der Christburger, dann Kanzower Str., wir sahen uns oft täglich - bis die Stasi ihn durch Verrat 1978 ergriff wegen eines Kommunistischen Blättchens: ROTER MORGEN, AUSGABE DDR… 

Die wackerste und damals löwenhafte Unterstützerin war seine Mutter Ingeborg Brückner, die ich ebenso kennen lernte wie seine Tochter, das Schulkind Franka, die ihren Vater liebte und vermisste. 

März 1979 kam er frei.

Gemeinsam gingen wir zur ESG, brachten die Wehrdiensterfahrung ein und den Pazifismus, gründeten mit andern einen Friedenskreis und den Arbeitskreis Kirche und Gesellschaft. Mit Studentenpfarrer Hans Schreiber war das möglich, als der geschasst wurde wurde es schwierig. 

Neue Themen:

Die gesellschaftliche Neukonstruktion oder Wiederaufbau einer - so die Hoffnung - erneuerten Gesellschaft.

Linke Ideen kamen dazu, Geschichte der Arbeiterbewegung, Anarcho- Syndikalismus aus Spanien, das kam.

Für so etwas brauchte es Konkretisierung in die Gegenwart. 

Vieles war weit über den gegebenen und zugestandenen kirchlichen Rahmen hinaus. 

Aber was konnten wir dafür, wenn die Kirche so weit hinter ihren Aufgaben zurückbleiben wollte? 

Kirche baute sich auch als Täterin aus und hat das bis heute wenig realisiert. Wir spürten die Feigheit und Verrat der Verantwortlichen.
Wir wussten noch nicht, dass nahezu alle Juristen in den DDR-Kirchenleitungen IMs waren, Konsistorial-präsidenten, Generalsuperintendenten, Kirchendiplomaten.
Geheimniskrämer, Wichtigtuer. - IM oder nicht, egal - und dutzend Weitere, die eine Strategie der Unterdrückung im Auftrag betrieben. Ihre Namen mögen vergessen werden.

 

Aber ein Name sei hier festgeschrieben in dem Mutprojekt Friedliche Revolution, der von Reinhard Schult.

Konkret zu werden, im Ostblock eine Gegengesellschaft wachsen zu lassen- der Impuls kam vielmehr von auswärts, von Charta 77 und aus Polen. 

Wieder Grenzüberschreitung zum Lernen.

Reinhard und ich waren im Juli-August 1980 nahe Danzig zelten. Leider war unser Polnisch so mangelhaft, dass wir die Relevanz der Streiks unterschätzten. …Wir erlebten nur die Reaktionen der Dorfleute auf das, was im TV am Konsumeingang zu sehen war. Skepsis, Schadenfreude, Wut. Kania kam an die Macht.

Dort vor allem wurde die erfolgreichste zivilgesellschaftliche Formation SOLIDARNOSC erkämpft und geboren, begleitet von Besetzungs-Streiks, Unterstützungs-Gottesdiensten weltweit, mit Flugblättern und Unterdrückung. 


Nur nicht in der DDR. 
Hier war Ruhe und Zeit der Pflege von Feindbildern über Polen als Charakter und als Nachbarn in Europa. Streiks? Da steckte 1953 noch in den Knochen derer, die nicht wussten dass sie ein Rückgrat haben konnten.


Wir fragten: Was würde sein, wenn die NVA über die Oder schreitet? 
Die Gefahr war sehr real, und wir erhielten glaubwürdige Kenntnis von Manövern solcher Zielstellung. Der uns das sagte, ist heute unter uns. Er alarmierte uns…


Am 8. September 1980 gründeten wir eine Polen AG, die natürlich nicht so hiess war, die zunächst mit 8. dann 14 Mitglieder hatte. 
Namen nenne ich nicht, aber die meisten sind heute hier.
Über diese Gruppe ist noch nie publiziert worden.
Wir trafen uns zweiwöchentlich und bis lange nach 1985 waren wir ohne jeden IM, und das, obwohl zwei von uns wegen Solidarnosc - Zeitungen in Gefängnis kamen.


Reinhard organisierte, schärfte Geheimhaltung ein, entwarf Strategien, Vertrauenswürdige von Schwätzer zu scheiden.  
Wegen Konspiration blieben die Fenster der verwaisten Wohnungen zu. Und dunkel.
Aber Reinhard rauchte wie ein Schlot, so daß ich am nächsten Tag kaum denken konnte.
 
Er ermutigte uns, auch über unsere jeweilige Blase zu schauen - bei mir war es die kirchliche. Es war unsere private Uni, wir lasen Anarcho- und SED-Texte, Bahro, Trotzki und Feministische Linguistik.


Wir bereiteten Auftritte mit einem Liederkreis vor, später FF-Liederkränzchen, sangen Ton,Steine Scherben-Lieder, gingen in Vorbereitung der Friedenswerkstatt Erlöser, in Königswalde, Kessin etc.. Auf allen Ebenen knüpften wir vielfältige Kontakte zu Pazifisten der Welt, aber auch zu CHARTA 77, zu Linken im Land, zu Punks, zu Künstlern in DDR und weit darüber hinaus aus Europa und der Welt. Wir knüpften Bänder zu westdeutschen Linken, die auch das Wort Wiedervereinigung erwähnten. 


Ich war mit Klaus Tessmann ab August 1981 ein bisschen weg. Für 13 Monate Gefängnis wegen polnischer Literatur. 
Würde unsere Gruppe diese Belastung überstehen?
Irgendwann, vielleicht am 13. August 1981wurde es schwer. Da mein Großvater 1937 im gleichen Neustrelitzer Gefängnis wie ich war, bedankte ich mich beim Vernehmer für diese Gelegenheit, seine Zelle zu sehen. Das kam schlecht an. Ein Vernehmerfossil der bösen Sorte war plötzlich da, schrie mich an, dass ich die Staatsorgane belüge und nicht sage, wem ich die mitgebrachte Literatur geben wollte. Und dass sich mein Großvater im Grabe umdrehe.
Mir ging der Mut aus. Ich sagte nur: „Von uns hier im Raum kennt nur einer den Großvater: Das sind sie nicht.“
Da öffnete sich eine Kraftglocke, wie im Film Harry Potter: Expecto patronum“. 
Der Geist meines Großvaters war da, und alle Freunde draussen waren da, auch Reinhard. 
Und eine innere Stimme sagte: „Du geh beiseite. Es geht hier nicht um dich! Ich übernehme! 
Meine Kraft ist in den Schwachen stark. Du musst Zeuge sein, es wird einen Wandel geben!“ 
Mit diesem Versprechen konnte ich es weiter aushalten, weil ich begriff, dass hier Größeres dran war: Das Mutprojekt Widerstand war auch spirituelles Projekt Kirche von Unten, dank Reinhard Schult, dank vieler Anderer drinnen und Draussen.


Reinhard kam mit vielen anderen zum Prozess im Gerichtssaal (der nur 7 Plätze hatte) und flog raus.


Januar 1982 im Zuchthaus Brandenburg, im Kellerkarzer sangen mein MITGEFANGENER Peter Finger und ich die frechen Lieder: In dem Kerker sassen zu Frankfurt an dem Main.


Wir sangen: 
Du, lass dich nicht verhärten - in dieser harten Zeit. 
Die allzu hart sind brechen, die allzu spitz sind stechen 
und brechen ab sogleich…


und Oh Freedom! mit diesen neuen Strophen: 
No more STASI, no more Mielke
And before I`ll be a slave I`ll be buried in my grave
And go home to my LORD and be free.


Das tat gut!!


Und Reinhard besuchte mich als mein Cousin im Zuchthaus Brandenburg, wir schauten uns fragend an, ob einer den Anderen gefährdet haben könnte, begriffen, dass dies nicht der Fall war.
Und wir lachten an diesem dunkelsten Ort 
ein dreckiges 
kehliges, 
berührendes, 
befreiendes, 
ein wunderschönes Lachen. 
Er tröstete mich: Du, lass dich nicht verhärten 


Das war einmalig. Bald hatte die Stasi Familienforschung betrieben. Schluss mit Cousin-Besuch.


Nach dem erfolglosen Versuch der Allianz Stasi/Manfred Stolpe, mich freikaufen zu wollen gegen meinen Willen, holte er mich morgens um 8 am Gefängnistor Karl-Marx-Stadt ab, erklärte, ich müsse gleich mit nach Berlin kommen, wo eine Party warte. 
Und Geld war auch gesammelt worden für Miete und anderes. 
Gelebte Solidarität war das. Reinhard war nicht nur Stratege, sondern lebte so etwas vom Neuen, auch wenns manchmal barsch daher kam.


RS hat so viel gegründet: 
Kirche von Unten (KvU):  
Räume mussten besetzt werden, wo Kirche ihre Macht zurückhält oder missbraucht, ihre Aufgaben trotz größten Reichtums an ideeller Basis, Personal und Räumlichkeiten nicht erfüllen will und zur Mittäterin im Unterdrückungssystem wird. 
Ihr von der KvU werdet das erinnern.


In der Gemeinde Friedrichsfelde fand er ein Zuhause und zugleich einen FreundVerräter. Was er 1991 erfuhr…


Anstrengend waren auch die den heftige Auseinander-setzung mit Kirchenebenen


Die zweite Tochter, Paula, wurde hineingeboren in Reinhards sehr anstrengenden Jahre 1987-89 im Untergrund, ständig mit Stasi-Verfolgern in Nebenstrassen; beschäftigt hat er sich sehr mit der Untergrundbibliothek mit 400 Titeln und Konspirativen Wohnungsdurchsuchungen. 
Endlich im September 1989 Gründung des NEUEN FORUMs.
Nicht die SDP, nicht in die GRÜNE PARTEI der DDR, nicht zum DEMOKRATISCHEN AUFBRUCH, nicht DEMOKRATIE JETZT war seins. 


Selbst gründen macht froh! Jacek Kuron empfahl: Zerschlagt keine Parteibüros, sondern gründet neue! 
Keine Anbiederung bei nichts und Niemandem.


Ein Stasi-General bedauert heute nur eines: mit Reinhard Schult nicht geredet und keinen DEAL gemacht haben. 
Aber da hätte Reinhard erstmal wollen müssen…


Erhobenen Hauptes und notfalls auch allein stehend ging er für das NF zum Runden Tisch der DDR-Volkskammer, organisierte Januar 1990 mit andern den Sturm auf das MfS-Hauptquartier und erzwang endlich die Verabschiedung des Stasi-Unterlagengesetzes der DDR durch die Volkskammer und die Durchleuchtung ihrer Abgeordneten.


Später ab 1994 haben sich für einige Jahre die Fäden anders gesponnen, ich war ja in Mecklenburg, 
Reinhard war Abgeordneter, zog nach Fredersdorf bei Prenzlau, hatte zeitweise dort eine Basis als Gastwirt und wurde lebensgefährlich von Neonazis niedergeschlagen.


Wir wissen nicht, wie das Leiden entstand, das zu seinem Tod führte.
Hinweise und Vermutungen sind jetzt noch wohlfeil. Vielleicht gibt es mal Transparenz, wie das MfS die Gesundheit seiner Feinde vorsätzlich ruinierte bis zu deren Tod. Das gehört aber woanders hin.


Ich weiss nur, dass er die letzten 10 Jahre durch Ina freundliche, liebevolle und sehr aufopfernde Pflege erhalten hat!


Ich hatte in ihm einen Freund, der mir und dem ich vertraute, und die wir uns gegenseitig ohne Weiteres ins Gefängnis bringen konnten 
-wie Uwe Johnson es beschrieb.


Ich weiss, dass Reinhard mir Dutzenden, und, ja Hunderten ein Beispiel 
-für Selbst-Klugheit auch in Niederlagen, 
-für wunderbar schnoddrige Abfälligkeit und Sarkasmus gegen jedes die Opfer am Wegesrand ignorierende Institutions-Gedusel und falsche Spielregeln war, 
-für die Bereitschaft, sich mit bereiten ernsthaften Menschen ganz anderen Denkens sich einzulassen, präsent zu sein auch wo s knirscht eben


Für ein lustiges und trauriges, 
identitätsstiftendes und noch unbekanntes, 
dreckiges und wunderschönes
Deutschland, ein
 
FREIES LAND DER FREIEN MENSCHEN


Reinhard, Du bist dabei, neue Räume zu erschliessen und sie werden dir sicher erschlossen werden, auch ohne Kampf, ohne Zaudern und mit großer Liebe, 
Gehaltensein und Licht


Mit Ton Steine Scherben:
Kind Tochter und Sohn Zion, freue dich


Ultreia
Ahoi
Amen.
 

 

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Reinhard Schult