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Vorwort von Wladimir Solowjew 

zur zweiten Auflage vom 27.02.1900

Textquelle: "Drei Gespräche" 

 

 

Diese Erzählung rief in der Gesellschaft wie in der Presse nicht wenig Mißverständnisse und Fehldeutungen hervor, deren Haupt­ursache ganz einfach die unzureichende Kenntnis der im Wort Gottes und in der kirchlichen Tradition enthaltenen Hinweise auf den Antichrist ist. 

Die innere Bedeutung des Antichrist als des religiösen Usurpator, der durch <Raub> und nicht durch eine geistige Tat die Würde des Sohnes Gottes erwirbt — seine Verbindung mit dem Lügenpropheten und Thaumaturgen, der die Menschen durch tatsächliche und durch lügenhafte Zeichen verführt — die dunkle und im besonderen Sinne sündige Herkunft des Antichristen selbst — der durch Mitwirkung der Macht des Bösen sich die äußere Stellung des Weltmonarchen erwirbt — der allgemeine Ablauf und das Ende seiner Tätigkeit — schließlich einige für ihn und für den Pseudopropheten charakteristische Einzelheiten wie zum Beispiel, daß dieser <Feuer vom Himmel fallen läßt>, die Tötung der beiden Zeugen Christi und die Ausstellung ihrer Leiber auf den Straßen Jerusalems und so weiter — all das findet sich im Worte Gottes und in der ältesten Überlieferung. 

Für die Verbindung der Ereignisse und auch für die Anschaulichkeit der Erzählung wurden Einzelheiten verwendet, die entweder auf historischen Erwägungen begründet oder der Einbildungskraft entsprungen sind. Zügen dieser Art — etwa den zum Teil spiritistischen, halb ins Gebiet der Taschenspielerkunst gehörenden Stückchen des Weltreich-Magiers mit unterirdischen Stimmen, Feuerwerk und so weiter — messe ich natürlich keine ernsthafte Bedeutung bei und konnte von meinen <Kritikern> wohl eine gleiche Betrachtung dieser Dinge erwarten. 

Was das zweite, sehr wesentliche Moment meiner Erzählung betrifft — die Charakteristik der drei personifizierten Bekenntnisse auf dem ökumenischen Konzil —, so konnte sie nur von denjenigen bemerkt werden, die der Geschichte und dem Leben der Kirche nicht fremd gegenüberstehen.

Der in der Offenbarung gegebene Charakter des Pseudopropheten und seine dort in aller Klarheit angezeigte Bestimmung — die Menschen zugunsten des Antichrist zu verblenden — machen es notwendig, ihm allerlei Stückchen der Zauberei und der Taschenspielerkunst zuzuschreiben. Zuverlässig ist bekannt, "daß sein Hauptwerk ein Feuerwerk sein wird""Und tut große Zeichen, daß er auch machet Feuer vom Himmel fallen vor den Menschen" (Apokalypse des Johannis; 13,13). 

Die mechanisch-magische Technik dieser Vorgänge können wir nicht im voraus erkennen, sondern nur davon überzeugt sein, daß sie in 200 bis 500 Jahren die heutige weit übertroffen haben wird; was aber bei einem solchen Fortschritt einem solchen "Wundertäter" möglich sein wird — darüber möchte ich kein Urteil abgeben.

Einige konkrete Züge und Einzelheiten meiner Erzählung wurden den wesentlichen und unbedingt glaubwürdigen Angaben nur zum Zweck der Veranschaulichung beigefügt, um selbige nicht als bloße Schemata dastehen zu lassen. 

In allem, was ich über den Panmongolismus und den asiatischen Überfall auf Europa sage, muß man gleichfalls das Wesentliche von den Teilen unterscheiden. Doch auch das zentrale Faktum besitzt hier natürlich nicht die absolute Glaubwürdigkeit, wie sie der künftigen Erscheinung und dem Schicksal des Antichrist und seines Pseudopropheten zukommt. In der Darstellung der mongolisch-europäischen Beziehungen ist nichts direkt der Heiligen Schrift entnommen, wenn sich hier auch für vieles ausreichende Anhaltspunkte finden lassen. Im allgemeinen ist diese Geschichte eine Kette von Möglichkeiten mit gewisser Wahrscheinlichkeit, die auf gegebenen Tatsachen beruhen. Ich persönlich glaube, daß diese Wahrscheinlichkeit der Sicherheit recht nahe kommt. Das scheint nicht bloß mir so, sondern auch anderen gewichtigeren Persönlichkeiten. 

Ich mußte den Vorstellungen vom künftigen Mongolensturm verschiedene Einzelheiten hinzufügen, um der Erzählung einen Zusammenhang zu geben. Für diese kann ich mich nicht persönlich verbürgen. Vor deren Mißbrauch habe ich mich gehütet. 

Es war mir wesentlich, das bevor­stehende furchtbare Aufeinander­treffen zweier Welten so real wie möglich darzustellen und eben dadurch die dringende Notwendigkeit des Friedens und der aufrichtigen Freundschaft zwischen den europäischen Nationen deutlich vor das Bewußtsein zu rücken.

Wenn ich auch das Ende aller Kriege vor dem Eintreten der endzeitlichen Geschehnisse nicht für möglich halte, so sehe ich doch in der engsten Annäherung und der friedlichen Zusammen­arbeit aller christlichen Staaten und Völker einen nicht bloß möglichen, sondern notwendigen und sittlich verpflichtenden Weg zur Rettung der christlichen Welt vor niederen, elementarischen Gewalten, die sie zu verschlingen drohen. ...

Die historischen Kräfte, von der die Masse der Menschen beherrscht wird, müssen noch aufeinandertreffen und sich vermischen, bevor diesem sich selbst zerfleischenden Tier ein neues Haupt erwächst — die weltvereinigende Kraft des Antichrist, der <laute und große Worte sprechen> (Ap.; 13,5) und zur Zeit seines endgültigen Erscheinens die glänzende Hülle des Guten und der Wahrheit über das Geheimnis der äußersten Gesetzlosigkeit werfen wird, um — wie die Schrift sagt —, wo es möglich wäre, auch die Auserwählten zu verführen zum großen Abfall (Mk; 13,23). 

Im voraus auf diese trügerische Maske hinzuweisen, unter der sich der Abgrund des Bösen verbirgt, war meine höchste Absicht, als ich dieses Buch verfaßte.

Ich empfinde, daß mein Werk auch in dieser verbesserten Form verschiedene Mängel hat, aber ich spüre auch, daß die Gestalt des bleichen Todes nicht mehr fern ist, die mir in stiller Weise rät, den Druck dieses Buches nicht auf unbestimmte und unsichere Zeit zu verschieben.1) 

Wird mir noch Zeit für neue Arbeiten geschenkt, so auch für die Vervollkommnung von früheren. Wo nicht, so habe ich doch in hinreichend klaren, wenn auch kurzen Zügen auf den bevorstehenden Ausgang des Kampfes zwischen Gut und Böse hingewiesen, und ich lasse die kleine Arbeit hinausgehen mit dem dankbaren Gefühl einer erfüllten Pflicht.

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1)  (d-2009:)  Wladimir Solowjew starb am 31. Juli 1900, 47jährig. -  Er warnte hier nicht aus vordergründig ökologischen Motiven, aber immerhin erkannte er schon damals, daß sich was anbahnt(e), was größer war, als die bisherigen Staatenkriege. - In Worten Alexander Herzens (gestorben 1870) sinngemäß: "Ich befürchte für das nächste Jahrhundert einen Dschingis Khan mit einem Telegrafen."

 

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