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Werner Sombart — über eine Wissenschaft, die aus der Mode kam  

Silvia Bovenschen 

Was habe ich denn an einer Idee, die mich nötigt,
meinen Vorrat von Phänomenen zu verkümmern.
Johann Wolfgang von Goethe

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Was haben der »Zuckerhandel« und der »Süßigkeitskonsum« mit der »Weiberherrschaft« einerseits und dem Kapitalismus andererseits zu tun? Der National­ökonom, wir könnten auch sagen der Wirtschafts­historiker oder der Soziologe oder der Kultur­theoretiker Werner Sombart sieht da einen engen, geradezu fundamentalen Zusammenhang.

<Liebe, Luxus und Kapitalismus> handelt von der Entstehungsphase dessen, was man sich spätestens seit Marx als Kapitalismus zu benennen gewöhnt hat. Sombart ist übrigens nicht unschuldig daran, daß dieser Begriff salon- bzw. hörsaalfähig wurde; Engels hat ihm in einem Brief für die Eröffnung einer wissen­schaft­lichen Diskussion der Marxschen Theorie gedankt. 

Sombarts akademische Herkunft aus der Gruppe sozialreformerisch orientierter Nationalökonomen, die man auf konservativer Seite gern als <Katheder­sozialisten> ironisierte, ließ ihn vornehmlich in seinen frühen Schriften durchaus in die Nähe des theoretischen Marxismus rücken. 

Die Kenner/innen dieser Theorie werden allerdings nicht auf das ihnen geläufige Begriffsspektrum treffen. Das hat mannigfaltige Gründe: mit der kleinen Schrift <Liebe, Luxus und Kapitalismus> eröffnet Sombart einen gleichwertigen Nebenschauplatz — er liebt Nebenschauplätze! — zu seinem Hauptwerk <Der moderne Kapitalismus> (1902), in dessen Argumentations­gang sich der Autor durchaus mit marxistischen Kategorien auseinandersetzt, sie aufnimmt oder unter Angabe von Gründen verwirft.  

Unsere Schrift, obgleich eigenständig, baut in vielem auf den wirtschafts­geschichtlichen und wirtschafts­theoretischen Explikationen des Hauptwerks auf. Zwischen dessen erster und zweiter Auflage entstand eine Reihe von gesonderten Studien, die jeweils vermeintlich abgelegene, in jedem Fall aber vernachlässigte Phänomene und Zusammen­hänge ins Zentrum der wissenschaftlichen Operationen rücken: <Die Juden und das Wirtschaftsleben> (1911), <Der Bourgeois> (1913), <Luxus und Kapitalismus> (ursprünglicher Titel, 1913), <Krieg und Kapitalismus> (1913).

Wies schon die erste Auflage des <Modernen Kapitalismus> erhebliche Differenzen zur Marxschen Analyse der Genese des Kapitalismus auf (so zum Beispiel in der eminenten Bedeutung, die Sombart der Grundrenten­akkumulation zumißt), so vollzog er gerade in der Zeit, in der diese Einzelstudien erschienen, eine Abkehr vom Marxismus; eine Abkehr, die — obgleich ihn Schumpeter noch 1927 als einen »Deszendenten von Marx und der historischen Schule« charakterisiert — spätestens mit der Schrift <Der proletarische Sozialismus> (1924) zur offenen Gegnerschaft geworden war. 

Sombarts Kapitalismusbegriff - auch das scheint gegen alle Tradition zu sein - ist weit gefaßt, er umgreift neben ökonomischen Wirkungs­zusammen­hängen und über diese hinaus auch und vor allem kulturelle Erschein­ungen, <geistige> Prozesse, und seine Entfaltung erlaubt, ja gebietet die höchst anschauliche Abschilderung lebenspraktischer Besonderheiten vergangener Epochen.

Sombart plädierte nachdrücklich für eine primär geisteswissenschaftlich gerichtete Soziologie. So kommt ein Phänomen ins Blickfeld, das man vorein­genommen wohl eher für ein Spezifikum feudaler Lebens­gewohn­heiten halten möchte, dem Sombart aber eine große, um nicht zu sagen basale Rolle bei der Herausbildung des Kapitalismus zubilligt: der Luxus. Ein Phänomen, mit dem — bezogen auf den Bereich der sozialen Realitäten wie auch auf den der wissenschaftlichen Reflektion dieser Realitäten — stets das Nicht-Notwendige assoziiert wird. Weil dem Luxus etwas Müßiges anhaftet, erschien wohl auch die Arbeit an diesem Begriff müßig.

Einem vulgären Verständnis des historischen Materialismus' muß er geradezu als die Bezeichnung für eine Art Überbau-Essenz erscheinen. 

Sombart beschreibt die Geburtsstätten dieses Luxus, seine Struktur, seine Geschichte, seine Gestalt und die Wandlungen dieser Gestalt: wie er eindringt zunächst in das höfische, dann in das städtische Leben, wie er die Physiognomie dieser Städte verändert, schließlich die Interieurs der Häuser, die Ausstattung der Läden und die Bekleidung der Menschen unter sein Diktat zwingt (es muß nicht betont werden, daß dies vornehmlich die Lebensformen der »herrschenden Klassen« betraf), und wie er schließlich aufgrund der Anforderungen, die seine besonderen Eigenschaften stellen, die Formen von Produktion und Handel prägt. 

Aber der Luxus kam nicht von ungefähr und nicht allein: nach Sombart bedurfte er der Formung und der Förderung durch geschmackskompetente Frauen (Zucker und Weiblichkeit), um zu dem zu werden, was wir noch heute mit diesem Begriff verbinden.

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Unter der Regie von Frauen wurde - immer noch nach Sombart - eine Form des persönlichen, egoistischen und qualitativen (im Unterschied zur rein quantitativen Anhäufung von Gütern oder Dienst­leistungen) Luxus überhaupt erst kreiert. Die Frauen schufen den Entwurf des Luxus, sorgten für seine Verfeinerung, bis zur »Überfeinerung«, und für seine Verbreitung. 

Diese neue, durchs Weibliche stimulierte Luxuriösität indes bedarf zu ihrer Erklärung noch weiterer Voraussetzungen, denn erst »dort, wo Reichtum sich entwickelt und wo das Liebesleben naturgemäß und frei (oder frech) sich gestaltet«, wird »auch Luxus herrschen«. Da war, wie Sombart demonstriert, aus »tausend Quellen während des Mittelalters und der darauf folgenden Jahrhunderte ein neuer Reichtum« ausgebrochen und in die Schatullen einer sich neu zusammensetzenden Gesellschaftsschicht — ein Amalgam aus altem Adel und Geldbürgertum — geflossen, und die Vertreter dieser Schicht, ansässig in einem neuen Städtetyp — Residenz- und Konsumstädte —, hatten an den Stadthöfen der Könige und Fürsten oder in ihrem Stadtpalais neue Geselligkeits- und Konsumgewohnheiten ausgebildet, in deren Mittelpunkt wiederum ein neuer Frauentypus stand.

Die Cortigiana (ursprünglich eine solide Hofdame), die Konkubine, die Maitresse, die grande amoureuse, die femme entretenue, das Königsliebchen betreten die historische Szene. Dieser Typus verdankt seinen Aufstieg einer Säkularisierung der Liebesvorstellungen — die Liebe war zwar aus den Klammern theologischer Dogmatisierungen gelöst, aber noch nicht in das Korsett der bürgerlichen Institution Ehe gezwungen. (Die Anfänge dieser Liberalisierung des Geschlechterverhältnisses siedelt Sombart übrigens in der Zeit des ausgehenden Mittelalters - also in der Zeit der schlimmsten Hexenverfolgungen - an.) Auf der Grundlage von luxuriösen, aber nach bürgerlichem Maßstab illegitimen Beziehungen erhob sich eine ganze Ökonomie: die »Maitressen­wirtschaft«, und eine Kultur: die kapitalistische Luxuskultur.

Sombart spinnt ein Beziehungsgeflecht, in dem die historischen Faktoren als Fäden ineinanderverschlungen sind; es entstehen in sich stimmige Muster zu einem großflächigen Geschichts-Tableau. Der Typus-Begriff als Grenzwert zwischen dem Gedanken­konstrukt und seiner Verifikation durch das historische Material ist hierbei von großem heuristischen Wert. (Er scheint dichter auf die Phänomene und stärker auf deskriptive Funktionen bezogen als der Webersche Begriff des Idealtypus'.)

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Auch diejenigen, die den Kausalitäten im Sombartschen Entwicklungs­schauspiel unter ursprungs­theoretischen Gesichtspunkten nicht immer zuzustimmen vermögen — da ließe sich mancher Diskurs über das >Henne-oder-Ei-Primat< ausfechten —, werden sich der Schlüssigkeit einiger Binnenrelationen in diesem großen Beziehungsgeflecht nicht entziehen können; zumal wir in der deutschsprachigen wissen­schaftlichen Literatur nicht eben verwöhnt sind durch Arbeiten, die sich um das bemühen, was man hierzulande etwas hilflos als Profan- oder Alltagskultur bezeichnet. 

Sombart richtet sein Interesse auf Phänomene, denen gewöhnlich keine thematische Dignität zugesprochen wurde (und wird), die allenfalls an der Peripherie der großen Diskurse Duldung fanden. Er bedauert zwar ein wenig, daß die wesentliche Bedeutung, die der Luxus in den Geburtsstunden des Kapitalismus gespielt habe, nicht gesehen worden sei, aber er bedauert es auch nicht zu sehr, denn diese thematische Vernachlässigung hat in seinen Augen den Vorteil, daß die »Tolpatsche« mit der schlecht­verstandenen materialistischen Geschichtsauffassung« davor zurückschreckten, »in so delikate Zusammenhänge, wie es die Erscheinung des Luxus sind«, hineinzupfuschen. 

Um sich dieser Thematik geziemend nähern zu dürfen, bedarf es wohl des Fingerspitzengefühls, der bildungsgesättigten Sachkenntnis, der Sensibilität für Materialqualitäten und der Eingeweihtheit in die Feinheiten luxuriöser Lebensstile (überflüssig zu sagen, daß Sombart sich diese Befähigung zusprach); was wohl auch meinen mag, daß das untersuchende Subjekt ein besonderes, quasi verwandtschaftliches <inneres> Verhältnis zu dem untersuchten Objekt haben solle. 

Es deuten sich hier bereits Momente seiner von der Phänomenologie inspirierten und von vielen zeitgenössischen Fachkollegen als unklar zurückgewiesenen Programmatik einer »verstehenden« noologischen Soziologie an. Der Vorwurf mangelnder methodologischer und begrifflicher Strenge (es ist hier nicht der Ort, über die Berechtigung solcher, das Gesamtwerk betreffenden Vorwürfe zu richten) war seitens der Fachkritik häufig begleitet von dem diskriminierend gemeinten Hinweis, daß es sich bei Sombarts Arbeiten eher um Kunstwerke denn um Wissenschaft handele,2) zumal Sombart selber in seiner Schrift über <Die drei Nationalökonomien> (1930) befand, daß sich alle geisteswissenschaftliche Forschung ihrem inneren Wesen nach auf die künstlerische Gestaltung zubewegen solle.  

Dieses plastisch-anschauliche Element gab indes nicht nur Anlaß zu Versuchen der Diskreditierung oder gar gleich der Ausbürgerung aus der Wissenschaftssphäre. Schumpeter, sicher Sombart wissenschaftlich nicht sehr verwandt, lobte dessen »konstruktiven Elan«, sprach von der »konkreten Art von Gesamtschau« in dessen Werken, davon, daß darin ein »gutes darstellerisches Gerüst« erstellt werde, das es ermögliche, »die Tatsachenmassen der einzelnen historischen Epochen ohne unerträglichen Zwang« unterzubringen, daß »oft weit auseinanderliegende Gesichtspunkte, die die Praxis sonst zu trennen pflegt« in »impressionistischer« Manier zusammengebracht werden.3) 

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Diese Äußerungen bestätigen sich bei der Lektüre der vorliegenden kleinen Schrift. Sombart erweist sich darin auch als Kulissenbauer, als der Architekt opulenter historischer Szenarien mit maßstabs- und detailgerechten Riesenausstattungen. »Zöge man von der Soziologie all das ab«, schrieb Adorno einmal, »was nicht, beispielsweise, der Weberschen Definition zu Beginn von »Wirtschaft und Gesellschaft strikt entspricht, so bliebe nichts von ihr übrig. Ohne alle ökonomischen, geschichtlichen, psychologischen, anthropologischen Momente schlotterte sie um jegliches soziales Phänomen herum.«4 Davon, daß Sombarts Soziologie um die Phänomene herumschlottere, kann wahrhaftig nicht die Rede sein, im Gegenteil, es sitzt viel Fleisch auf den Begriffen, aber er ist gleichwohl nicht der Fabulierer, zu dem ihn seine Gegner machen wollen.

Ist er auch selbst kein Phantast, so befördert er bei denjenigen, die ihn lesen, das, was man als <historische Phantasie> bezeichnen könnte: er lädt zum Fabulieren ein. Folgen wir für einen Moment der Sombartschen Einladung, versetzen wir uns in die Zeit der großen Luxusentfaltungen in der »modernen Großstadt« Paris (Sombart kann uns ebenso das Material für eine szenische Ausstattung in London oder in Amsterdam liefern). 

Da tritt sie auf, die Stadtmaitresse, die ihren Status im Paris des 18. Jahrhunderts mit ca. 10.000 anderen Frauen teilt; ihr Name steht in einem Adreßbuch, das jährlich herausgegeben wird und in dem die berühmtesten Damen ihrer Art auf gelistet sind; in allen Luxusfragen ist sie normbildend, ihr Einfluß reicht sogar in den Bereich der Hygiene, denn auch die »femme honnete« wird erst durch sie »veranlaßt, sich zu waschen«. 

Sie ist »durch Talent und Übung« eine Spezialistin der illegitimen Liebe. Ihre berühmtesten Kolleginnen, die Dubarry und die Pompadour, gelten in allen Luxusfragen als oberste Geschmacksinstanzen. Der Herr, dem sie ihre Gunst schenkt, entstammt dem »neuen Adel«. Seinen Reichtum könnte er der Ausplünderung des Orients oder der reichen Edelmetallager in Afrika, dem Zwangshandel der Sklaverei verdanken, er könnte sich auch durch Finanz- und Liefergeschäfte während der Kriege Ludwigs des XIV. gesund­gestoßen haben, möglicherweise lebt er von einer satten Grundrente, der Auswucherung seiner Pächter etc. etc.... 

So manchen Emporkömmling, »Knallprotzen«, dessen Taschen von brasilianischem Gold überquellen, hat unsere Konkubine unterrichtet, wie man das Geld auf dem Wege des erlesenen Konsums unter die Leute bringt.

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Wenn sie auch nicht wie die »Königsliebchen« Schlösser nach »ihrem Willen« bauen lassen kann, so gibt sie doch ungeheuerliche Summen für die Ausrichtung ihrer pompösen Feste, für Kleider, Pferdegespanne und Karossen, für Inneneinrichtungen, Gegenstände ihres alltäglichen Gebrauchs, in Ballhäusern, Theatern und Restaurants aus. Ihren Tee, ihren Kaffee oder Schokolade beliebt sie mit großen Mengen Zuckers anzureichern, eine Sucht, durch die nicht nur der Handel mit Zucker, sondern auch der mit Tee, Kaffee und Schokolade mächtig angekurbelt wird. 

Hieße sie Deschamps, so würde von ihr gesagt, daß ihretwegen die Bergwerke von Golconda ausgeplündert worden seien. Bevor jedoch diese Dame in unserer Phantasie allzu leibhaftig wird, konfrontiert uns Sombart wieder mit Zahlen, mit Einkommens­aufstellungen, mit überlieferten Inventar- und Garderobenlisten, mit Daten zur Vermögens­verteilung etc. Diese Zahlen holen die Beschreibung immer wieder schnell aus der Operettensphäre auf den Boden der Ökonomie.

Die Veranschaulichung von Lebensstilen, kulturellen Dispositionen, Konsumgewohnheiten, die, eingebettet in so reichhaltiges Zahlen- wie Datenmaterial, unser historisches Vorstellungs­vermögen belebt, wird im Wechsel abgelöst von nüchternen Analysen des Einflusses, den die neuzeitliche Luxusfreude auf die Industrie, die Landwirtschaft, auf den Groß- und Detailhandel ausübte.

Monokausalen Erklärungsangeboten zur Genese des Kapitalismus setzt Sombart gerade im Zusammenhang der Einzelstudien zum <modernen Kapitalismus> den Hinweis auf ein Zusammenwirken verschiedenster Faktoren, gesellschaftlicher Kräfte, geistiger Strömungen, materieller Interessen — auf den Einfluß der Juden, des Krieges und des Luxus — entgegen. Das hindert ihn allerdings nicht daran, seine Studien über das Verhältnis von Liebe, Luxus und Kapitalismus mit dem folgenden, gleichfalls eine Monokausalität suggerierenden Satz enden zu lassen: »So zeugte der Luxus, der selbst, wie wir sahen, ein legitimes Kind der illegitimen Liebe war, den Kapitalismus.«

Ohne in den Chor derer, die Sombart in Kenntnis seines in späteren Jahren zeitweise affinen Verhältnisses zur reaktionären, ja faschistischen Politik generell unter Ideologie­verdacht stellen, einstimmen zu wollen, seien doch einige kritische Einwände zu seinen Präsentationen des Geschlechter­verhältnisses erlaubt. Seien wir nicht philiströs und übergehen wir den irritierenden Umstand, daß er, wenn er von der Frau spricht, die Formulierung »Weibchen« favorisiert, indem wir uns zunächst damit beschwichtigen, daß gelegentlich — seltener — auch vom »Männchen« die Rede ist.

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Aber wenn es auch möglich wäre, Sombart damit vorläufig vor dem Verdacht der Frauenfeindlichkeit zu bewahren, so muß doch festgestellt werden, daß diese Redeweise keineswegs zufällig ist: es ist wahrhaft erstaunlich, wie der Autor, sich eben noch in ausgeklügelten Beschreibungen des Luxusraffinements ergehend, stracks in die Niederungen biologistischer Grundlegungen abrutscht. 

Der Luxus, auf dem Nährboden von materiellem Reichtum und kultureller Liberalität gedeihend, verdankt sich laut Sombart ursächlich einer »rein sinnlichen Freude am Genuß«. Das ist plausibel, wie auch noch die weitergehende Behauptung, daß er »letzten Endes unserem Geschlechtsleben« entspringe; wenn Sombart allerdings die luxuriösen Wohnungen »der vornehmen Gesellschaft des Ancien regime« als das »Nest« bezeichnet, »das sich mit vieler Mühe und vielem Bedacht das Weibchen gebaut hat, um das Männchen an sich zu binden«, dann nimmt sich das aus, als unterlägen die kulturellen Phänomene, die hier zur Diskussion stehen, den gleichen Gesetzen wie das Brutverhalten der Spatzen — da bauen allerdings die Männchen das Nest. (Das ist besonders verwunderlich, wenn man bedenkt, daß Sombart stets nachdrücklich auf der Trennung naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Kategorisierungen insistiert hat.) Auch daß er die Frauen mit einem natürlichen Hang zum Süßen (Zucker und Weiblichkeit) ausstattet, weist in die Richtung einer etwas merkwürdigen Geschlechtsanthropologie.

So erfreut sich manche Leserin über die Geschichtsmächtigkeit, die den Frauen von Sombart konzediert wird, zeigen mag — der erste Eindruck täuscht. Bei genauerem Hinsehen stellt sich Ernüchterung ein. Es zeigt sich, daß den Frauen hier dank der erotischen Attraktion, die sie für die »Männchen« besitzen, allenfalls eine indirekte Macht, eine Art Katalysatoren­funktion bei der Ausarbeitung eines Luxus-Alltags zugestanden wird. Da diese gestaltenden Leistungen der Frauen im Bereich der Alltagskultur allerdings stets unbeachtet blieben oder zumindest geringgeschätzt wurden, liegt schließlich doch ein Verdienst darin, daß auf sie aufmerksam gemacht wird, wenn auch in anderer Weise, als vom Autor intendiert.

Das Unternehmen einer Evokation vergangener Lebensstile in einer Arbeit, zu der wir selber nun schon einen historischen Abstand haben, gibt nicht allein Auskünfte über die darin behandelte Zeit, sondern auch über das Verhältnis, das der Autor zu den Lebensformen seiner eigenen Zeit hat. In Sombart, dem Sohn eines Rittergutsbesitzers und Zuckerindustriellen (wir versagen uns jede biographisch-psychologische Spekulation), tritt uns — sombartisch gesprochen — ein vergangener Typus des bildungsbürgerlichen Gelehrten entgegen, zu dessen Charakterisierung nicht nur Offenheit und Unvorein­genommenheit abgelegenen Themenbereichen, sondern auch die Großzügigkeit und Voreingenommenheit den eigenen Widersprüchen gegenüber gehört.

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Sombarts Sympathien und Antipathien treten uns in beinahe jedem Kapitel schlecht oder gar nicht verhohlen entgegen: etwa in der heiteren Arroganz, mit der er die Allianzen von Adelsprädikat und Bürgergeld während des 17. und 18. Jahrhunderts in Vergleich bringt zu den »Heiratsgeschichten der amerikanischen Schweine­züchtertöchter während der letzten zwanzig Jahre«, oder in der von Abscheu gezeichneten Rede über die »Parvenues«, die »Emporkömmlinge«, die »Knallprotzen«, von denen Sombart sein Idealbild des distinguierten Seigneurs abhebt. 

Da ist nicht nur von Vergangenem die Rede. An manchen Stellen wird das Verhältnis zum Luxus geradezu weltanschaulich dimensioniert: »Positiv aristokratisch (wie man sprechen möchte) ist der Luxus jener Tage durch die Vornehmheit jener Gestalt, die er überall annimmt, selbst bei dem letzten Knallprotzen, weil er eben unter das Joch des guten Geschmacks, der immer nur bei den wenigen ist, gezwungen wird. Er ist distinguiert, jener Luxus, immer rein ästhetisch, rein formal orientiert.« 

Kein Zweifel, Sombart trauert dieser vergangenen Gestalt des Luxus nach. Zuweilen tendiert der auktoriale Stil, mit dem Sombart seine Urteile verkündet, zum Dünkelhaften, oft aber ist er witzig, weil frei von der zwanghaften Anstrengung, die eigenen Vorlieben — zum Beispiel die Liebe zum Untersuchungs­gegenstand <Luxus> — szientifisch zu vernebeln.

Diese Mischung aus Ressentiments, Klugheit, Bildung und Originalität ist nicht ohne Charme. Es entbehrt allerdings auch nicht einer gewissen Komik, wenn man sie bei einem Wissenschaftler antrifft, der sich im Werturteilsstreit entschlossen auf die Seite der Weberschen Forderung nach Wertfreiheit gestellt hat.

Eine umfassende wissenschaftliche Würdigung Sombarts steht — soweit zu sehen ist — noch aus. In ihr sollten die Widersprüche dieses Autors und seine politischen Verfehlungen nicht apologetisch eingeebnet werden, aber es sollte darin auch von thematischer Kühnheit, von Eleganz, von Stil, von jenem <esprit de finesse>, den Pascal dem <esprit de géométrie> gegenüberstellte, die Rede sein.

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Anmerkungen

1 Aus dem Lager der Marxisten wurden Sombarts Arbeiten in den folgenden Jahren sehr abwertend beurteilt, vor allem nach dem Erscheinen seiner Schrift <Die drei Nationalökonomien> (1930). 
Vgl. hierzu: - Karl Korsch, Sombarts >verstehende Nationalökonomie<, in: »Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung«, hrsg. v. C. Grünberg, 15. Jg., Leipzig 1930;
- Friedrich Pollock, Sombarts 'Widerlegung' des Marxismus, in: »Beihefte zum Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung«, hrsg. v. C. Grünberg, Heft 3, Leipzig 1926. 
Ohne auf den wissenschaftlichen Werdegang Sombarts und die weltanschaulich-politischen Entwicklungen, die seine Arbeit auf der Suche nach einem alternativen spezifisch deutschen Sozialismus aufweist, hier eingehen zu können, soll doch  nicht verschwiegen werden, daß dieser Werdegang durchaus prekäre Zuge hatte.  Schon die während des Ersten Weltkrieges erschienene, vom Chauvinismus dieser Zeit geprägte Schmähschrift Händler und Helden (1914) ließ nicht nur Gutes ahnen.
Vgl.  hierzu: - Bernhard vom Brocke, Werner Sombart, in: Deutsche Historiker, V, hrsg. von H.-U. Wehler, Göttingen 1972;
- W. Krause, W. Sombarts Weg vom Kathedersozialismus zum Faschismus, Berlin 1962

2)  Vgl. Alfred Amonn, Wirtschaft, Wirtschaftswissenschaft und 'Die drei Nationalökonomien', in: Schmollers Jahrbuch, 54. Jg. 1. Halbband Leipzig 1930, S. 85 ff., und auch das darin referierte Urteil des Historikers Wilhelm Bauer (Einführung in das Studium der Geschichte)

3)  Joseph Schumpeter, Sombarts Dritter Band, in: Schmollers Jahrbuch, 51. Jg. 1. Halbband, Leipzig 1927, S. 6 f.

4)  Theodor W. Adorno, Einleitung zum 'Positivismusstreit in der deutschen Soziologie', Soziologische Schriften, I, in: Gesammelte Schriften, Bd. 8, Frankfurt am Main 1972, S. 340, Anm. 60

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