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Einleitung

 

 Im Zwange der Welt - Weben die Nornen  -  Sie können nichts wenden noch wandeln  -  Richard Wagner, Siegfried

Germanische Schicksalsvorstellungen – Wikipedia

 zeno.org  Einleitung  

 

  Niemand konnte die nationale Umwälzung dieses Jahres mehr herbeisehnen als ich. Ich habe die schmutzige Revolution von 1918 vom ersten Tage an gehaßt, als den Verrat des minderwertigen Teils unseres Volkes an dem starken, unverbrauchten, der 1914 aufgestanden war, weil er eine Zukunft haben konnte und haben wollte.

Alles, was ich seitdem über Politik schrieb, war gegen die Mächte gerichtet, die sich auf dem Berg unseres Elends und Unglücks mit Hilfe unserer Feinde verschanzt hatten, um diese Zukunft unmöglich zu machen. Jede Zeile sollte zu ihrem Sturz beitragen, und ich hoffe, daß das der Fall gewesen ist. Irgend etwas mußte kommen, in irgendeiner Gestalt, um die tiefsten Instinkte unseres Blutes von diesem Druck zu befreien, wenn wir bei den kommenden Entscheidungen des Weltgeschehens mitzureden, mitzuhandeln haben und nicht nur ihr Opfer sein sollten.

Das große Spiel der Weltpolitik ist nicht zu Ende. Die höchsten Einsätze werden erst gemacht. Es geht für jedes der lebenden Völker um Größe oder Vernichtung. Aber die Ereignisse dieses Jahres geben uns die Hoffnung, daß diese Frage für uns noch nicht entschieden ist, daß wir – wie in der Zeit Bismarcks – irgendwann wieder Subjekt und nicht nur Objekt der Geschichte sein werden. Es sind gewaltige Jahrzehnte, in denen wir leben, gewaltig – das heißt furchtbar und glücklos. Größe und Glück sind zweierlei, und die Wahl steht uns nicht offen. Glücklich wird niemand sein, der heute irgendwo in der Welt lebt;

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aber es ist vielen möglich, die Bahn ihrer Jahre nach persönlichem Willen in Größe oder in Kleinheit zu durchschreiten. Indessen, wer nur Behagen will, verdient es nicht, da zu sein.

Der Handelnde sieht oft nicht weit. Er wird getrieben, ohne das wirkliche Ziel zu kennen. Er würde vielleicht Widerstand leisten, wenn er es sähe, denn die Logik des Schicksals hat nie von menschlichen Wünschen Kenntnis genommen. Aber viel häufiger ist es, daß er in die Irre geht, weil er ein falsches Bild der Dinge um sich und in sich entwickelt hat. Es ist die große Aufgabe des Geschichtskenners, die Tatsachen seiner Zeit zu verstehen und von ihnen aus die Zukunft zu ahnen, zu deuten, zu zeichnen, die kommen wird, ob wir sie wollen oder nicht. Ohne schöpferische, vorwegnehmende, warnende, leitende Kritik ist eine Epoche von solcher Bewußtheit wie die heutige nicht möglich.

Ich werde nicht schelten oder schmeicheln. Ich enthalte mich jedes Werturteils über die Dinge, die erst zu entstehen begonnen haben. Wirklich werten läßt sich ein Ereignis erst, wenn es ferne Vergangenheit ist und die endgültigen Erfolge oder Mißerfolge längst Tatsachen geworden sind, also nach Jahrzehnten.

Ein reifes Verständnis Napoleons war nicht vor dem Ende des vorigen Jahrhunderts möglich. Über Bismarck können selbst wir noch keine abschließende Meinung haben. Nur Tatsachen stehen fest, Urteile schwanken und wechseln. Und schließlich: Ein großes Ereignis bedarf des wertenden Urteils der Mitlebenden nicht. Die Geschichte selbst wird es richten, wenn keiner der Handelnden mehr lebt.

Aber das darf heute schon gesagt werden: Der nationale Umsturz von 1933 war etwas Gewaltiges und wird es in den Augen der Zukunft bleiben, durch die elementare, überpersönliche Wucht, mit der er sich vollzog, und durch die seelische Disziplin, mit der er vollzogen wurde. Das war preußisch durch und durch, wie der Aufbruch von 1914, der in einem Augenblick die Seelen verwandelte.

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Die deutschen Träumer erhoben sich, ruhig, mit imponierender Selbstverständlichkeit, und öffneten der Zukunft einen Weg. 

Aber eben deshalb müssen sich die Mithandelnden darüber klar sein: Das war kein Sieg, denn die Gegner fehlten. Vor der Gewalt des Aufstandes verschwand sofort alles, was eben noch tätig oder getan war. Es war ein Versprechen künftiger Siege, die in schweren Kämpfen erstritten werden müssen und für die hier erst der Platz geschaffen wurde. Die Führenden haben die volle Verantwortung dafür auf sich genommen und sie müssen wissen oder lernen, was das bedeutet. 

Es ist eine Aufgabe voll ungeheurer Gefahren, und sie liegt nicht im Inneren Deutschlands, sondern draußen, in der Welt der Kriege und Katastrophen, wo nur die große Politik das Wort führt. Deutschland ist mehr als irgendein Land in das Schicksal aller andern verflochten; es kann weniger als irgendein anderes regiert werden, als ob es etwas für sich wäre.

Und außerdem: Es ist nicht die erste nationale Revolution, die sich hier ereignet hat – Cromwell und Mirabeau sind vorangegangen –, aber es ist die erste, die sich in einem politisch ohnmächtigen Lande in sehr gefährlicher Lage vollzieht: das steigert die Schwierigkeit der Aufgaben ins Ungemessene.

Sie sind sämtlich erst gestellt, kaum begriffen, nicht gelöst. Es ist keine Zeit und kein Anlaß zu Rausch und Triumphgefühl. Wehe denen, welche die Mobilmachung mit dem Sieg verwechseln! Eine Bewegung hat eben erst begonnen, nicht etwa das Ziel erreicht, und die großen Fragen der Zeit haben sich dadurch in nichts geändert. Sie gehen nicht Deutsch land allein an, sondern die ganze Welt, und sie sind nicht Fragen dieser Jahre, sondern eines Jahrhunderts.

Die Gefahr der Begeisterten ist es, die Lage zu einfach zu sehen. Begeisterung verträgt sich nicht mit Zielen, die über Generationen hinaus liegen. Mit solchen beginnen aber erst die wirklichen Entscheidungen der Geschichte.

Diese Machtergreifung hat sich in einem Wirbel von

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Stärke und Schwäche vollzogen. Ich sehe mit Bedenken, daß sie täglich mit so viel Lärm gefeiert wird. Es wäre richtiger, wir sparten das für einen Tag wirklicher und endgültiger Erfolge auf, daß heißt außenpolitischer. Es gibt keine andern. Wenn sie einmal errungen sind, werden die Männer des Augenblicks, die den ersten Schritt taten, vielleicht schon längst tot sein, vielleicht vergessen und geschmäht, bis irgendeine Nachwelt sich ihrer Bedeutung erinnert. Die Geschichte ist nicht sentimental, und wehe dem, der sich selbst sentimental nimmt!

In jeder Entwicklung mit solchem Anfang liegen viele Möglichkeiten, deren sich die Teilnehmer selten ganz bewußt sind. Sie kann in Prinzipien und Theorien erstarren, in politischer, sozialer, wirtschaftlicher Anarchie untergehen, ergebnislos zum Anfang zurückkehren, so wie man im Paris von 1793 deutlich fühlte, que ça changerait. Dem Rausch der ersten Tage, der oft schon kommende Möglichkeiten verdarb, folgt in der Regel eine Ernüchterung und die Unsicherheit über den »nächsten Schritt«. Es gelangen Elemente zur Macht, welche den Genuß der Macht als Ergebnis betrachten und den Zustand verewigen möchten, der nur für Augenblicke tragbar ist. Richtige Gedanken werden von Fanatikern bis zur Selbstaufhebung übersteigert. Was als Anfang Großes versprach, endet in Tragödie oder Komödie. Wir wollen diese Gefahren beizeiten und nüchtern ins Auge fassen, um klüger zu sein als manche Generation der Vergangenheit.

Wenn aber hier das dauerhafte Fundament einer großen Zukunft gelegt werden soll, auf dem kommende Geschlechter bauen können, so ist das nicht ohne Fortwirken alter Traditionen möglich. Was wir von unseren Vätern her im Blute haben, Ideen ohne Worte, ist allein das, was der Zukunft Beständigkeit verspricht. Was ich vor Jahren als »Preußentum« gezeichnet hatte, ist wichtig – es hat sich gerade eben bewährt –, nicht irgendeine Art von »Sozialismus«. Wir brauchen eine Erziehung zu preußischer Haltung,

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wie sie 1870 und 1914 da war und wie sie im Grunde unserer Seelen als beständige Möglichkeit schläft. Nur durch lebendiges Vorbild und sittliche Selbstdisziplin eines befehlenden Standes ist das erreichbar, nicht durch viel Worte oder durch Zwang. Sich selbst beherrschen muß man, um einer Idee dienen zu können, zu innerlichen Opfern aus Überzeugung bereit sein. Wer das mit dem geistigen Druck eines Programms verwechselt, der weiß nicht, wovon hier die Rede ist. Damit komme ich auf das Buch zurück, mit dem ich 1919 den Hinweis auf diese sittliche Notwendigkeit begonnen habe, ohne die sich nichts von Dauer errichten läßt: »Preußentum und Sozialismus«. Alle anderen Weltvölker haben einen Charakter durch ihre Vergangenheit erhalten. Wir hatten keine erziehende Vergangenheit und wir müssen deshalb den Charakter, der als Keim in unserem Blute liegt, erst wecken, entfalten, erziehen.

Diesem Ziel soll auch dieses Werk gewidmet sein, dessen ersten Teil ich hier vorlege. Ich tue, was ich immer getan habe: Ich gebe kein Wunschbild der Zukunft und noch weniger ein Programm zu dessen Verwirklichung, wie es unter Deutschen Mode ist, sondern ein klares Bild der Tatsachen, wie sie sind und sein werden. Ich sehe weiter als andere. Ich sehe nicht nur große Möglichkeiten, sondern auch große Gefahren, ihren Ursprung und vielleicht den Weg, ihnen zu entgehen. Und wenn niemand den Mut hat zu sehen und zu sagen, was er sieht, will ich es tun. Ich habe ein Recht zur Kritik, weil ich immer wieder durch sie das gezeigt habe, was geschehen muß, weil es geschehen wird. Eine entscheidende Reihe von Taten ist begonnen worden. Nichts, was einmal Tatsache ist, läßt sich zurücknehmen. Jetzt müssen wir alle in dieser Richtung fortschreiten, ob wir sie gewollt haben oder nicht. Es wäre kurzsichtig und feige, nein zu sagen. Was der Einzelne nicht tun will, wird die Geschichte mit ihm tun.

Aber das Ja setzt ein Verstehen voraus. Dem soll dies Buch dienen. Es ist eine Warnung vor Gefahren.

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Gefahren gibt es immer. Jeder Handelnde ist in Gefahr. Gefahr ist das Leben selbst. Aber wer das Schicksal von Staaten und Nationen an sein privates Schicksal geknüpft hat, muß den Gefahren sehend begegnen. Und zum Sehen gehört vielleicht der größere Mut.

Dies Buch ist aus einem Vortrag »Deutschland in Gefahr« entstanden, den ich 1930 in Hamburg gehalten habe, ohne auf viel Verständnis gestoßen zu sein. Im November 1932 ging ich an die Ausarbeitung, immer noch der gleichen Lage in Deutschland gegenüber. Am 30. Januar 1933 war es bis zur Seite 106 gedruckt. Ich habe nichts daran geändert, denn ich schreibe nicht für Monate oder das nächste Jahr, sondern für die Zukunft. Was richtig ist, kann durch ein Ereignis nicht aufgehoben werden. Nur den Titel habe ich anders gewählt, um nicht Mißverständnisse zu erzeugen: Nicht die nationale Machtergreifung ist eine Gefahr, sondern die Gefahren waren da, zum Teil seit 1918, zum Teil sehr viel länger, und sie bestehen fort, weil sie nicht durch ein Einzelereignis beseitigt werden können, das erst einer jahrelangen und richtigen Fortentwicklung bedarf, um ihnen gegenüber wirksam zu sein. Deutschland ist in Gefahr. Meine Angst um Deutschland ist nicht kleiner geworden. Der Sieg vom März war zu leicht, um den Siegern über den Umfang der Gefahr, ihren Ursprung und ihre Dauer die Augen zu öffnen.

Niemand kann wissen, zu was für Formen, Lagen und Persönlichkeiten diese Umwälzung führt und was für Gegenwirkungen sie von außen zur Folge hat. Jede Revolution verschlechtert die außenpolitische Lage eines Landes, und allein um dem gewachsen zu sein, sind Staatsmänner vom Range Bismarcks nötig. Wir stehen vielleicht schon dicht vor dem zweiten Weltkrieg mit unbekannter Verteilung der Mächte und nicht vorauszusehenden – militärischen, wirtschaftlichen, revolutionären – Mitteln und Zielen. Wir haben keine Zeit, uns auf innerpolitische Angelegenheiten zu beschränken. Wir müssen für jedes denkbare

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Ereignis »in Form« sein. Deutschland ist keine Insel. Wenn wir nicht unser Verhältnis zur Welt als das wichtigste Problem gerade für uns sehen, geht das Schicksal – und was für ein Schicksal! – erbarmungslos über uns hinweg.

Deutschland ist das entscheidende Land der Welt, nicht nur seiner Lage wegen, an der Grenze von Asien, weltpolitisch heute dem wichtigsten Erdteil, sondern auch weil die Deutschen noch jung genug sind, um die weltgeschichtlichen Probleme in sich zu erleben, zu gestalten, zu entscheiden, während andere Völker zu alt und starr geworden sind, um mehr als eine Abwehr aufzubringen. Aber auch großen Problemen gegenüber enthält der Angriff das größere Versprechen des Sieges.

Das habe ich beschrieben. Wird es die gehoffte Wirkung tun?

 

München, im Juli 1933
Oswald Spengler

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