1. Im »sozialistischen« Norwegen
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Fast anderthalb Jahre, von Juni 1935 bis September 1936, verbrachte ich mit meiner Frau im norwegischen Dorfe Veksal, 60 Kilometer von Oslo entfernt, in der Familie des Redakteurs der Arbeiterzeitung, K. Knudsen. Der Wohnort war uns von der norwegischen Regierung von Anfang an zugewiesen worden. Unser Leben verlief äußerst gleichmäßig und friedlich, man hätte sagen können — kleinbürgerlich. Man gewöhnte sich bald an uns. Die Beziehungen mit der uns umgebenden Bevölkerung waren fast wortlos, aber absolut freundschaftlich.
Einmal in der Woche besuchten wir gemeinsam mit der Familie Knudsen das nächste Kino, wo man die vorjährigen Hollywooder Sensationen zeigte. Manchmal - hauptsächlich im Sommer - besuchten uns ausländische Freunde, in der Mehrzahl Vertreter des linken Flügels der Arbeiterbewegung.
Das Leben der Welt belauschten wir durchs Radio: Dieses zauberhafte und unerträgliche Instrument hatten wir erst vor etwa drei Jahren zu benutzen begonnen.
Am meisten verblüfften uns die administrativen Unterhaltungen der Sowjetbürokratie, die wir anhörten. Diese Menschen fühlen sich im Äther wie zu Hause. Sie befehlen, drohen, schimpfen, ohne elementare Vorsicht walten zu lassen in bezug auf Staatsgeheimnisse. Die feindlichen Stäbe holen sich zweifellos die wertvollsten Informationen aus der Offenheit der großen und kleinen »Führer« der Sowjetunion. Und das alles geschieht in einem Lande, wo ein der Opposition verdächtiger Mensch stets riskiert, der Spionage beschuldigt zu werden!
Der zentrale Moment des Tages in Veksal war die Ankunft der Post. Gegen ein Uhr mittags begannen wir, ungeduldig auf unseren invaliden Briefträger zu warten, der uns die Post im Winter mit einem Schlitten, im Sommer mit dem Rade brachte: ein schweres Zeitungspaket und Briefe mit Marken aus allen Teilen der Erde. Unsere außerordentlich umfangreiche Korrespondenz bereitete viel schlaflose Nächte nicht nur dem Polizeimeister von Hönefoss, einem kleinen Nachbarstädtchen mit einer Bevölkerung von viertausend Menschen, sondern auch der sozialistischen Regierung in Oslo selbst, was wir allerdings erst später erfahren sollten.
Wie sind wir nach Norwegen geraten? Darüber muß man einige Worte sagen.
Die norwegische Arbeiterpartei hatte früher zur Komintern gehört, später mit ihr gebrochen — nicht allein durch die Schuld der Komintern —, war aber in die II. Internationale, als für sie angeblich zu opportunistisch, nicht hineingegangen. Als die Partei an die Macht gekommen war (im Jahre 1935), lastete auf ihr noch ihr gestriger Tag. Ich beeilte mich, Oslo um ein Visum anzusuchen, in der Hoffnung, in diesem ruhigen Lande mich unbehindert meinen literarischen Arbeiten hingeben zu können. Nach einigen Schwankungen und Reibungen in der Parteispitze war die Regierung bereit, mich ins Land zu lassen. Die Bedingung der »Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten« usw. unterschrieb ich ohne Bedenken, da ich gar keine Absicht hatte, mich mit der norwegischen Politik zu beschäftigen. Bei der ersten Berührung mit der Parteispitze verspürte ich den Atem eines dumpfen Konservativismus, der so schonungslos in den Stücken Ibsens enthüllt ist. Das Zentralorgan der Partei, »Arbeiderbladet«, beruft sich zwar nicht auf die Bibel und Luther, sondern auf Marx und Lenin, bleibt aber durchdrungen von jener philiströsen Beschränktheit, für die Marx und Lenin einen unüberwindlichen Widerwillen empfanden ...
Ihre Hauptambition sah die »sozialistische« Regierung darin, sich so wenig wie möglich von ihren reaktionären Vorgängerinnen zu unterscheiden. Die ganze alte Bürokratie saß auf ihren Plätzen. Zum Guten oder zum Bösen? Ich bekam bald Gelegenheit, mich durch eigene bittere Erfahrung davon zu überzeugen, daß manch bürgerlicher Beamter einen viel weiteren Horizont und ein stärkeres Gefühl der eigenen Würde besitzt als die Herren »sozialistischen« Minister. Rechnet man nicht den halboffiziellen Besuch, den mir bald nach meiner Ankunft der Parteiführer Martin Tranmel (in den Vereinigten Staaten hatte dieser Mensch zur IWW gehört — Jugendsünden!) und der Justizminister Trygve Lie gemacht haben, stand ich mit den Regierungsspitzen in keinerlei persönlicher Beziehung. Ich mied auch mit den Tiefen der Partei jede Berührung, um nicht den Verdacht der Einmischung in die Politik des Landes zu erwecken. Ich lebte mit meiner Frau, wie schon gesagt, sehr isoliert und hatte keinen besonderen Grund, mich darüber zu beklagen. Mit der Familie Knudsen hatten sich bei uns sehr freundschaftliche Beziehungen herausgebildet, aus denen die Politik nach beiderseitigem stillschweigendem Übereinkommen ausgeschlossen war.
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In den Pausen zwischen den Krankheitsanfällen arbeitete ich an meinem Buch <Die verratene Revolution>, wo ich die Gründe für den Sieg der Sowjetbürokratie über die Partei, die Sowjets und das Volk aufzudecken versuchte und die Perspektiven der weiteren Entwicklung der USSR aufzeigen wollte.
Am 5. August (1936) sandte ich die ersten Exemplare des fertigen Manuskriptes an den amerikanischen und an den französischen Übersetzer ab. Am gleichen Tage reisten wir mit dem Ehepaar Knudsen nach dem Süden Norwegens, um zwei Wochen am Meere zu verbringen. Aber schon am nächsten Morgen erfuhren wir unterwegs, daß in der vergangenen Nacht von norwegischen Faschisten ein Überfall auf unsere Wohnung verübt worden war, mit der Absicht, meine Archive zu rauben. Die Aufgabe bot an sich keine Schwierigkeiten: Das Haus war von keinem bewacht, und die Schränke waren nicht abgeschlossen. Die Norweger sind derart an den ruhigen Rhythmus ihrer Demokratie gewöhnt, daß man nicht einmal von Freunden die Wahrung der elementarsten Vorsichtsmaßregeln erreichen konnte.
Die Faschisten drangen um Mitternacht ein, zeigten falsche Polizeiabzeichen und versuchten sofort, eine »Haussuchung« vorzunehmen. Die Tochter unseres Wirtes, die zu Hause geblieben war, witterte gleich etwas Schlimmes, verlor die Geistesgegenwart nicht, stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor die Tür meines Zimmers und erklärte, sie werde niemand hineinlassen. Fünf Faschisten, in ihrem Handwerk wohl noch unerfahren, wurden stutzig vor dem Mut des jungen Mädchens. Inzwischen schlug der jüngere Bruder Alarm. Es tauchten in Nachtgewändern Nachbarn auf. Die Helden verloren den Kopf und stürzten davon, nachdem sie vom nächststehenden Tisch einige zufällige Dokumente an sich gerissen hatten. Die Polizei vermochte am nächsten Tag mühelos die Einbrecher festzustellen. Es konnte scheinen, daß das Leben wieder in seine ruhigen Ufer zurückkehren würde. Auf unserer wiederaufgenommenen Reise nach dem Süden mußten wir jedoch bald feststellen, daß uns ein Auto mit vier Faschisten unter Führung des Propagandachefs, Ingenieur N., auf den Fersen folgte. Erst am Ende unserer Reise gelang es uns, die Verfolger loszuwerden: Wir ließen ihren Wagen einfach nicht auf die Fähre, die uns auf die andere Seite des Fjords übersetzte. Verhältnismäßig ruhig verbrachten wir zehn Tage auf der kleinen Insel, in dem einzigen Fischerhäuschen zwischen den Felsen.
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Unterdessen nahten die Wahlen für den Storthing. Jedes der Lager suchte Sensationsnummern für sein nicht sehr originelles Programm. Die Blätter der Regierungsparteien (in Norwegen mit seiner Bevölkerung von insgesamt drei Millionen besitzt die Arbeiterpartei 35 Tageszeitungen und etwa ein Dutzend Wochenblätter) eröffneten eine Kampagne gegen die Faschisten, und zwar in sehr gemäßigten Tönen. Die rechte Presse antwortete mit einer wütenden Hetze gegen mich und die Regierung, die mir ein Visum gegeben hatte. Meine politischen Artikel, die ungehindert in den verschiedensten Ländern der Welt erschienen waren, wurden jetzt sorgfältigst von der norwegischen reaktionären Presse gesammelt, in aller Eile übersetzt und unter den sensationellsten Überschriften nachgedruckt.
Ganz unerwartet geriet ich in den Brennpunkt der norwegischen Politik. Bei den Arbeitermassen hatte der faschistische Überfall eine außerordentliche Empörung hervorgerufen. »Wir sind gezwungen, Oel auf die Wogen zu gießen«, klagten mit tiefsinnigen Mienen die sozialdemokratischen Führer. »Warum eigentlich?« »Weil die Massen sonst die Faschisten in Stücke reißen werden.« Die Erfahrungen einer Reihe von europäischen Ländern haben diese Herren nichts gelehrt: Sie ziehen es vor, zu warten, bis die Faschisten sie in Stücke reißen werden. Ich enthielt mich jeder Polemik sogar in Privatgesprächen: Jedes unvorsichtig geäußerte Wort konnte in die Presse kommen. Es blieb nichts anderes übrig, als mit den Achseln zu zucken und abzuwarten. Noch einige Tage kletterten wir friedlich in den Felsen herum oder fischten.
Unterdessen verdichteten sich im Osten viel bedrohlichere Wolken. Dort ging man daran, der Welt zu verkünden, ich arbeite Hand in Hand mit den Nationalsozialisten an dem Sturze der Sowjets. Der Überfall auf mein Archiv und die wüste Hetze der faschistischen Presse gegen mich kamen Moskau sehr ungelegen. Aber solcher Lappalien wegen konnte man doch nicht haltmachen! Im Gegenteil, es ist möglich, daß man unter dem Einfluß der norwegischen Ereignisse in Moskau beschlossen hatte, die Inszenierung des Prozesses zu beschleunigen. Man braucht nicht zu betonen, daß die Sowjetgesandtschaft in Oslo keine Zeit verlor. Am 13. August kam der Chef der Kriminalpolizei, Swen, mit dem Flugzeug auf unsere kleine Insel, um mich in Sachen des Faschistenüberfalls als Zeugen zu vernehmen. Die so eilige Vernehmung geschah auf direkten Befehl des Justizministers: das versprach nichts Gutes.
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Swen zeigte einen mir von den Faschisten geraubten und von der norwegischen Presse bereits veröffentlichten Brief (ganz harmlosen Inhalts) an einen Freund in Paris und bat mich, Erklärungen über meine Tätigkeit in Norwegen zu geben. Der Polizeibeamte motivierte seine Fragen damit, daß die Faschisten zur Rechtfertigung ihres nächtlichen Überfalls sich auf den verbrecherischen Charakter meiner Tätigkeit berufen. Ein faschistischer Advokat habe sogar den Reichsstaatsanwalt aufgefordert, mich »wegen Handlungen, die Norwegen in einen Krieg hineinziehen« könnten, anzuklagen. Das Verhalten von Swen selbst war vollkommen korrekt: er spürte den unangebrachten Charakter der Fragen, die ihm von oben diktiert worden waren. Auf Grund meiner ausführlichen Aussagen erklärte er Pressevertretern, daß er in meinen Handlungen nichts Ungesetzliches oder den Interessen Norwegens Feindliches finden könne. Man hätte wiederum glauben sollen, »der Fall ist erledigt«. In Wirklichkeit entwickelte er sich erst. Der Justizminister, vor kurzem noch Mitglied der Kommunistischen Internationale, teilte keinesfalls die liberale Schwäche des Chefs der Kriminalpolizei. Noch weniger zeigte sich zur Milde geneigt der Premierminister Nygaardsvold. Er brannte darauf, seine feste Hand zu zeigen — natürlich nicht gegen die Faschisten, die meine Wohnung überfallen hatten. Die Faschisten blieben frei, sie standen unter dem Schutz der demokratischen Konstitution.
Am 14. August verbreitete die TASS in der ganzen Welt die Nachricht von der Entdeckung einer terroristischen Verschwörung der Trotzkisten und Sinowjewisten. Als erster vernahm diese Mitteilung am Radio unser Hauswirt, Konrad Knudsen. Auf der Insel jedoch gab es keine Elektrizität, die Antennen waren sehr primitiv, und wie zum Trotz arbeitete der Apparat an diesem Abend miserabel. »Trotzkistisch-sinowjewistische Gruppen« ... »konterrevolutionäre Tätigkeit« ... das war alles, was Knudsen verstehen konnte. »Was bedeutet das?« fragte er mich. »Irgendeine größere Schweinerei seitens Moskaus«, antwortete ich. Aber welcher Art? Am frühen Morgen traf aus der benachbarten Stadt Christiansand ein befreundeter norwegischer Journalist ein mit dem Text der TASS-Meldung. Obwohl auf vieles, sogar auf alles gefaßt, wollte ich doch meinen Augen nicht trauen: die Nachricht schien mir unwahrscheinlich in ihrer Verbindung von Lumperei, Frechheit und Dummheit.
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»Gut, Terrorismus, das kann man verstehen ... aber Gestapo?« wiederholte ich staunend, »wurde es so gesagt: Gestapo?« »Ja, es wurde so gesagt« ... Also nach dem kürzlichen Überfall der Faschisten beschuldigen mich die Stalinisten der Verbindung mit den Faschisten? Ja, so scheint es doch ... Nein, es gibt für alles Grenzen: eine solche Beschuldigung konnte nur ein besoffener, analphabetesker Agent-Provokateur verfassen! ... Ich diktierte dem Journalisten sofort meine erste Erklärung über den bevorstehenden Prozeß. Man mußte sich auf Kampf vorbereiten, denn es nahte ein grandioser Schlag: um nebensächliche Zwecke würde sich der Kreml nicht mit solch scheußlichen Fälschungen kompromittieren.
Der Prozeß überraschte nicht nur die Meinung der Weltöffentlichkeit, sondern auch die Komintern. Die norwegische kommunistische Partei hatte trotz ihrer Feindseligkeit gegen mich für den 14. August eine öffentliche Protestversammlung einberufen, die den Überfall der Faschisten zum Thema hatte ... einige Stunden bevor die TASS mich selbst zu den Faschisten zählte. Später hatte das französische Organ Stalins, die »Humanite«, ein Telegramm aus Oslo veröffentlicht, wonach die Faschisten mir in der Nacht eine freundschaftliche »Visite« gemacht hätten und die norwegische Regierung in diesem nächtlichen Rendezvous eine Einmischung meinerseits in die innere Politik des Landes erblicke. Diese Herren haben sich die Scham abgewöhnt und sind jedenfalls zu allem bereit, um ihr Gehalt zu rechtfertigen.
Schon in meiner ersten Erklärung an die Presse forderte ich eine öffentliche Untersuchung der Moskauer Beschuldigungen. Als Ergänzung zu meinen Aussagen sandte ich Swen einen Brief, der für den Druck bestimmt war. »Als mir die Regierung dieses Landes das Visum gab«, schrieb ich, »wußte sie, daß ich ein Revolutionär und einer der Initiatoren der neuen Internationale bin. Mich streng von jeder Einmischung in das innere Leben Norwegens zurückhaltend, glaubte und glaube ich nicht, daß die norwegische Regierung berufen ist, meine literarische Tätigkeit in anderen Ländern zu kontrollieren, um so weniger als meine Bücher und Artikel in keinem Land Gegenstand gerichtlicher Verfolgung waren. Meine Korrespondenz berührt die gleichen Ideen wie meine literarischen Arbeiten. Sie gefallen sicher den Faschisten und Stalinisten nicht, aber dagegen kann ich nichts tun.
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In den letzten Tagen hat sich jedoch eine neue Tatsache ereignet, die alles das weit hinter sich läßt, was die reaktionäre Presse je über mich schrieb. Das Moskauer Radio beschuldigt mich unerhörter Verbrechen. Wenn nur ein Teilchen dieser Beschuldigungen wahr wäre, ich verdiente tatsächlich nicht die Gastfreundschaft des norwegischen oder irgendeines anderen Volkes. Aber was die Moskauer Beschuldigungen betrifft, so bin ich bereit, vor jeder unparteiischen Untersuchungskommission, vor jedem öffentlichen Gericht sofort Rechenschaft abzulegen. Ich nehme es auf mich, zu beweisen, daß die Ankläger selbst die Verbrecher sind.«
Dieser Brief wurde in den meisten norwegischen Zeitungen abgedruckt. Man muß betonen, daß die Presse der Regierungspartei in bezug auf den Moskauer Prozeß von Anfang an eine Position des offenen Mißtrauens einnahm. Martin Tranmel und seine Kollegen hatten nicht umsonst in gar nicht ferner Vergangenheit der Komintern angehört. Sie wußten, was die GPU ist, und sie kannten deren Methoden! Außerdem war die Stimmung der Arbeitermassen, aufgewühlt durch den Überfall der Faschisten, völlig auf meiner Seite. Die rechte Presse hatte den Kopf ganz verloren: bis zum gestrigen Tage behauptete sie, ich handle im geheimen Bunde mit Stalin an der Vorbereitung von Aufständen in Spanien, in Frankreich, Belgien und, natürlich, in Norwegen. Sie verzichtete auf diese Beschuldigung auch heute nicht. Gleichzeitig jedoch nahm sie die Moskauer Bürokratie gegen meine terroristischen Attentate in Schutz.
Zu Beginn des Moskauer Prozesses waren wir von unserer Insel nach Veksal zurückgekehrt. Aus den norwegischen Zeitungen entzifferte ich mit einem Wörterbuch in der Hand die Prozeßberichte der TASS. Ich hatte das Gefühl, als sei ich in eine Anstalt für Tobsüchtige geraten. Unsere Wohnung und unser Telephon wurden von Journalisten belagert. Das norwegische Telegraphenbüro brachte noch gewissenhaft meine Widerlegungen, die die Runde durch die Welt machten. Gerade in diesem Augenblick kamen mir junge Freunde zu Hilfe, die schon früher als meine Sekretäre bei mir tätig gewesen waren: Erwin Wolff aus der Tschechoslowakei und Jean van Heijenoort aus Frankreich. Sie waren uns ganz unentbehrlich in jenen unruhigen und heißen Tagen, als wir in Erwartung zweier Lösungen lebten, von denen sich die eine in Moskau, die andere in Oslo vorbereiteten.
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Ohne die Ermordung der Angeklagten würde keiner die Anklage ernst genommen haben. Ich erwartete mit Sicherheit die Erschießung als das unvermeidliche Finale. Und dennoch, als ich durch das Pariser Radio vernahm (die Stimme des Ansagers zitterte, als er diesen Bericht gab), daß Stalin alle Angeklagten erschossen hatte, darunter vier alte Mitglieder des bolschewistischen Zentralkomitees, konnte ich der Nachricht kaum Glauben schenken. Nicht die Grausamkeit des Strafgerichts an sich hatte mich erschüttert: die Epoche der Kriege und der Revolutionen ist eine grausame Epoche, und sie ist unser zeitliches Vaterland. Es erschütterten die kalte Bösartigkeit der Fälschung, das sittliche Gangstertum der regierenden Clique, der Versuch, die öffentliche Meinung der ganzen Menschheit, die heutigen und die künftigen Geschlechter zu betrügen.
»Der Kain Dschugaschwili hat seinen Höhepunkt erreicht!« sagte ich zu meiner Frau, als die erste Erstarrung vorbei war. Die Weltpresse aller Richtungen begegnete dem Moskauer Prozeß mit offenem Mißtrauen, Sogar die gewerbsmäßigen »Freunde« schwiegen verlegen. Nicht ohne Mühe brachte man von Moskau aus das verzweigte Netz der untergebenen, halbuntergebenen und »befreundeten« Organisationen in Bewegung. Die internationale Verleumdungsmaschine geriet nur allmählich in Schwung: an Schmiermaterial fehlte es nicht. Der wichtigste Transmissions-Mechanismus war selbstverständlich der Komintern-Apparat. Die norwegische kommunistische Zeitung, die gestern noch gezwungen gewesen war, mich gegen die Faschisten in Schutz zu nehmen, änderte sofort ihren Ton. Jetzt verlangte sie von der Regierung, daß man mich aus dem Lande weise, vor allem, mir den Mund zustopfe. Die Funktion der heutigen Komintern-Presse ist bekannt: wenn sie von nebensächlichen Aufträgen der Sowjetbürokratie frei ist, führt sie die schmutzigsten Aufgaben der GPU durch. Der Telegraph zwischen Moskau und Oslo arbeitete ununterbrochen. Die nächste Aufgabe bestand darin, mir die Aufdeckung der Fälschung unmöglich zu machen. Die Bemühungen waren nicht vergeblich. In den norwegischen Regierungssphären vollzog sich ein Umschwung, den weite Kreise der Partei zuerst nicht bemerkten und später nicht begriffen. Über die intimen Triebfedern dieses Umschwunges werden wir nicht so bald etwas erfahren ...
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Am 26. August, nachdem unser Hof von acht Polizeibeamten in Zivil besetzt worden war, erschien in unserer Wohnung der Chef der norwegischen Polizei, Askvig, und ein Beamter des »Zentralen Paßbüros«, in dessen Händen sich die Überwachung der Ausländer befindet. Die hohen Besucher verlangten von mir, mich schriftlich mit neuen Aufenthaltsbestimmungen für Norwegen einverstanden zu erklären: ich sollte mich verpflichten, von nun an über aktuelle politische Themen nicht zu schreiben, keine Interviews zu geben und damit einverstanden zu sein, daß meine gesamte Korrespondenz, sowohl die eingehende wie die abgehende, von der Polizei kontrolliert werde. Mit keinem Wort den Moskauer Prozeß erwähnend, führte das Dokument als Beweis meiner verbrecherischen Tätigkeit nur meinen Artikel über französische Angelegenheiten an, der in der amerikanischen Wochenschrift »Nation« abgedruckt war, und meinen offenen Brief an den Chef der Kriminalpolizei, Swen. Es war vollkommen klar, daß die norwegische Regierung den ersten besten Vorwand benutzte, um die wirklichen Gründe ihrer Wendung zu verbergen. Erst später begriff ich, wozu der Regierung meine Unterschrift notwendig war: die norwegische Konstitution sieht keinerlei Beschränkungen vor für gerichtlich unbelastete Personen; dem findigen Justizminister blieb nichts anderes übrig, als die Lücke im Gesetz mit Hilfe meines »freiwilligen« Gesuchs, mir Hand- und Fußfesseln anzulegen, auszufüllen. Ich lehnte entschieden ab. Im Namen des Ministers wurde mir sofort mitgeteilt, daß von nun an weder Journalisten noch überhaupt Fremde zu mir zugelassen werden würden; ein neuer Aufenthaltsort für mich und meine Frau werde mir von der Regierung bald angewiesen werden. Ich versuchte, dem Minister einige einfache Wahrheiten schriftlich klarzumachen: Der Beamte, der die Fremdenpässe zu kontrollieren hat, sei nicht kompetent, meine literarische Tätigkeit zu kontrollieren, außerdem: meine Freiheit im Verkehr mit der Presse einzuschränken in einem Augenblick, wo ich die Zielscheibe böswilliger Beschuldigungen bin, bedeute, sich auf die Seite der Ankläger zu stellen. Das alles war richtig. Die Sowjetgesandtschaft jedoch fand stärkere Argumente.
Am nächsten Morgen brachten mich Polizeibeamte nach Oslo zur Vernehmung, noch immer als »Zeugen« in Sachen des faschistischen Überfalls. Der Untersuchungsrichter bewies jedoch wenig Interesse für den Überfall. Dafür aber verhörte er mich zwei Stunden lang über meine politische Tätigkeit, meine Verbindungen, meine Besucher.
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Längere Debatten entwickelten sich um die Frage, ob ich in meinen Artikeln die Regierungen anderer Staaten kritisiere. Ich leugnete es selbstverständlich nicht. Der Richter fand, eine solche Kritik widerspreche der von mir übernommenen Verpflichtung, gegen andere Staaten feindliche Handlungen zu unterlassen. Ich antwortete, daß Regierung und Staat nur in totalitären Ländern identifiziert werden. Das demokratische Regime betrachte Kritik an einer Regierung nicht als Angriff auf den Staat. Was bliebe sonst vom Parlamentarismus übrig? Der einzige vernünftige Sinn der von mir unterschriebenen Bedingung war, daß ich mich verpflichtete, Norwegen nicht zur Operationsbasis für irgendeine illegale, verschwörerische Tätigkeit zu machen. Doch konnte es mir nicht in den Sinn gekommen sein, daß ich, in Norwegen lebend, nicht in anderen Ländern Artikel publizieren dürfe, die den Gesetzen der betreffenden Länder nicht widersprechen. Der Richter war jedoch anderer Meinung; jedenfalls hatte er andere Direktiven, wenn auch nicht ganz artikulierte, so doch, wie es sich herausstellte, ausreichende für meine Internierung.
Aus dem Gerichtsgebäude führte man mich zum Justizminister, der, umgeben von hohen Beamten seines Ministeriums, mich empfing. Es wurde mir wiederum zugemutet, mit kleinen Abänderungen das gleiche Gesuch um offene Polizeiaufsicht zu unterschreiben, das ich am Vortage abgelehnt hatte. »Wenn Sie mich verhaften wollen, wozu brauchen Sie meine Erlaubnis?« »Aber zwischen Haft und voller Freiheit gibt es noch einen Zwischenzustand«, antwortete vielsagend der Minister. »Zwischenzustand — das bedeutet eine Zweideutigkeit oder eine Falle: ich ziehe eine Verhaftung vor!« Der Minister kam meinem Wunsche entgegen und gab unverzüglich die nötigen Anordnungen. Die Polizisten stießen Erwin Wolff, der mich zum Verhör begleitet und die Absicht hatte, mit mir nach Hause zurückzukehren, brutal beiseite. Vier Konstabier, diesmal uniformierte, brachten mich nach Veksal. Im Hofe konnte ich sehen, wie andere Polizisten van Eijenoort an den Schultern zum Tore hindrängten. Besorgt kam meine Frau herausgelaufen. Man hielt mich im geschlossenen Automobil fest, um im Hause unsere Isolierung von der Familie Knudsen vorzubereiten. Die Polizisten besetzten das Eßzimmer und schalteten das Telephon aus. Von nun an wurden wir wie Gefangene behandelt. Die Hausfrau brachte uns Essen unter Aufsicht von zwei Polizisten.
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Die Tür zu unserm Zimmer blieb stets halb geöffnet. Am 2. September transportierte man uns in das Haus Sundby im Dorfe Storsand, 36 Kilometer von Oslo entfernt, am Ufer eines Fjords, wo wir drei Monate und 20 Tage unter Aufsicht von dreizehn Polizeibeamten blieben. Unsere Korrespondenz ging über das Zentrale Paßbüro, das keinen Grund sah, besondere Eile zu entwickeln. Niemand durfte uns besuchen. Um dieses Regime, das in der norwegischen Konstitution keine Stütze fand, zu rechtfertigen, war die Regierung gezwungen, eine Ausnahmeverordnung anzunehmen. Was meine Frau betrifft, so wurde sie interniert, sogar ohne den Versuch irgendeiner Erklärung.
Die norwegischen Faschisten konnten, sollte es scheinen, einen Sieg feiern. In Wirklichkeit war der Sieg nicht von ihnen errungen. Das Geheimnis unserer Internierung ist im wesentlichen einfach. Die Moskauer Regierung hatte mit dem Boykott der norwegischen Handelsflotte gedroht und sogleich die Macht dieser Drohung spüren lassen. Die Schiffsbesitzer stürzten zur Regierung: macht, was ihr wollt, aber gebt uns sofort die Sowjetbestellungen wieder! Die norwegische Handelsflotte, der Stärke nach die vierte in der Welt, nimmt entscheidenden Platz im Leben des Landes ein, und die Schiffsbesitzer bestimmen seine Politik, unabhängig von der jeweiligen Regierung. Stalin benutzte das Außenhandelsmonopol, um mich an der Entlarvung der Fälschung zu hindern. Das norwegische Großkapital kam ihm zu Hilfe. Zu ihrer Rechtfertigung sagten die sozialistischen Minister: »Wir können ja nicht die Lebensinteressen unserer Bevölkerung Trotzkis wegen opfern!« Das ist der wahre Grund unserer Internierung.
Am 17. August, das heißt, nachdem die Faschisten bereits den Kübel ihrer Enthüllungen und Moskau den Kübel seiner Beschuldigungen ausgeschüttet hatten, schrieb Martin Tranmel im »Arbeiderbladet«: »Während seines Aufenthalts in unserem Lande hat Trotzki die Bedingungen genau erfüllt, die ihm bei der Einreise nach Norwegen gestellt wurden.« Indes war Tranmel in seiner Eigenschaft als Redakteur besser als sonst einer über meine literarische Tätigkeit unterrichtet, auch über jene Artikel, die wenige Tage später die Grundlage für den Bericht des Paßbüros bildeten. Sobald aber der Bericht von der Regierung gutgeheißen war (die diesen Bericht selbst bestellt hatte ... auf vorherige Bestellung Moskaus), begriff Tranmel sofort, daß an allem Trotzki schuld war. In der Tat, warum hat er auf seine Ansichten oder mindestens auf deren offene Äußerung nicht verzichtet? Dann hätte er ruhig die Segnungen der norwegischen Demokratie genießen können.
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Hier ist vielleicht eine kleine historische Reminiszenz am Platze. Am 16. Dezember 1928 in Alma-Ata in Zentralasien stellte ein aus Moskau entsandter Sonderbevollmächtigter der GPU das Ansinnen an mich, auf die politische Tätigkeit zu verzichten, und drohte mir widrigenfalls mit Repressalien. »Die an mich gestellte Forderung, auf die politische Tätigkeit zu verzichten«, schrieb ich damals in meiner Antwort an das ZK der Partei, »bedeutet die Forderung, auf den Kampf für die Interessen des internationalen Proletariats zu verzichten, einen Kampf, den ich ununterbrochen zweiunddreißig Jahre führte, das heißt während meines ganzen bewußten Lebens ... Die größte historische Bedeutung der Opposition, trotz ihrer äußerlichen Schwäche in diesem Augenblick, besteht darin, daß sie die Hand am Pulse des historischen Prozesses hält, klar die Dynamik der Klassenkräfte erkennt, den morgigen Tag voraussieht und ihn bewußt vorbereitet. Auf die politische Tätigkeit zu verzichten heißt, auf die Vorbereitung des morgigen Tages zu verzichten... In der »Erklärung«, die wir Oppositionelle (das mir heute vorgelegte Ultimatum gleichsam vorausahnend) dem VI. Kongress der Komintern überreichten, schrieben wir wörtlich: »Von einem Revolutionär den Verzicht auf politische Tätigkeit fordern kann nur ein durch und durch demoralisiertes Beamtentum. Eine solche Verpflichtung geben könnten nur verächtliche Renegaten. Ich kann an diesen Worten nichts ändern.« Als Antwort auf diese meine Erklärung beschloß das Politbüro, mich in die Türkei auszuweisen. Somit habe ich für die Weigerung, auf meine politische Tätigkeit zu verzichten, mit Verbannung gezahlt. Jetzt verlangt die norwegische Regierung von mir, daß ich das Recht, in Verbannung zu sein, mit dem Verzicht auf meine politische Tätigkeit bezahle.
Nein, meine Herren Demokraten, damit konnte ich mich nicht einverstanden erklären!
In dem eben zitierten Brief an das Zentralkomitee hatte ich die Überzeugung ausgesprochen, die GPU habe die Absicht, mich ins Gefängnis zu setzen. Ich hatte mich geirrt: das Politbüro begnügte sich mit meiner Ausweisung. Was jedoch Stalin im Jahre 1928 zu tun nicht gewagt, haben die norwegischen
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»Sozialisten« im Jahre 1936 fertiggebracht. Für die Weigerung, auf meine legale politische Tätigkeit, die den Sinn meines Lebens bildet, zu verzichten, setzten sie mich ins Gefängnis. Der Offiziosus der Regierung rechtfertigte sich damit, daß die Zeiten, in denen die Emigranten-Klassiker: Marx, Engels, Lenin, schreiben durften, was sie wollten, auch gegen die Regierung jener Länder, die ihnen Asyl gaben, längst der fernen Vergangenheit angehören. »Wir leben jetzt unter ganz anderen Verhältnissen, und Norwegen muß dem Rechnung tragen.« Zweifellos, die Epoche des monopolistischen Kapitals hat die Demokratie und deren Garantien erbarmungslos durchgeknetet. Der melancholische Satz Martin Tranmels jedoch beantwortet nicht die Frage, auf welche Weise die Sozialdemokraten diese zerrupfte Demokratie für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft auszunutzen gedenken. Man muß hinzufügen, daß in keinem anderen demokratischen Lande eine solche Verhöhnung der elementaren Rechtsnormen möglich wäre wie im »sozialistischen« Norwegen! ... Am 28. August wurden wir verhaftet, und am 31. August erschien die sogenannte »königliche Verordnung«, die der Regierung das Recht gibt, »lästige« Ausländer zu internieren. Sogar wenn man diese Verordnung als gesetzlich betrachtet (und die Juristen bestreiten, daß sie es ist), hatte in Norwegen drei Tage lang das Regime einer kleinen Staatsumwälzung geherrscht. Aber das war alles noch Blüte, die Frucht sollte folgen!
Die ersten Tage der Haft wurden von uns fast wie Tage der seligen Ruhe empfunden, nach der unerhörten Spannung der »Moskauer« Woche. Es war schön, allein zu bleiben, ohne Neuigkeiten, ohne Telegramme und Briefe und Telephonanrufe, ohne fremde Gesichter. Sobald jedoch die ersten Zeitungen angekommen waren, verwandelte sich die Internierung in eine Folter ... Unglaublich, welchen Platz die Lüge in unserem öffentlichen Leben einnimmt! Sogar die einfachsten Tatsachen werden in entstellter Form wiedergegeben. Doch handelt es sich hier nicht um gewöhnliche, alltägliche Entstellungen, die sich aus den Widersprüchen des sozialen Lebens, kleinen Antagonismen oder der Unvollkommenheit der Psyche ergeben. Viel schrecklicher ist jene Lüge, in deren Dienst sich riesige Staatsapparate stellen, die sich alle und alles unterordnen. Eine solche Arbeit haben wir schon während des letzten Krieges beobachten können.
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Aber damals gab es noch nicht totalitäre Regimes. Die Lüge enthielt noch Elemente von Verlegenheit und Dilettantismus. Anders jetzt, in der Epoche der durchgehenden, absoluten, totalitären Lüge, die Presse und Radio monopolistisch ausnutzt für die Massenvergiftung des gesellschaftlichen Gewissens. In den ersten Wochen der Haft saßen wir allerdings ohne Radio. Die Aufsicht über uns lag in den Händen des Chefs der »Zentrale des Paßbüros«, Konstad, den die liberale Presse aus Höflichkeit als einen halben Faschisten charakterisierte. Launische Willkür vermischte sich bei ihm mit herausfordernder Grobheit. Besorgt um die Geschlossenheit des Polizeistils, entschied Konstad, Radio sei unvereinbar mit dem Regime der Internierung. Bei der Regierung obsiegte jedoch diesmal die liberale Strömung, und wir erhielten den Radioapparat. Beethoven versöhnte mit vielem, aber auf Beethoven gerieten wir selten. Am häufigsten stießen wir auf Goebbels, Hitler oder auf einen Redner "der Moskauer Radiostation. Die kleine Wohnung mit den niedrigen Decken füllte sich mit dichten Lügenschwaden. Die Moskauer Redner logen in verschiedenen Sprachen zu verschiedenen Tag- und Nachtstunden immer dasselbe: sie erklärten, wie und weshalb ich die Ermordung Kirows organisiert hatte, an dessen Existenz ich bei seinen Lebzeiten nicht viel mehr gedacht habe als an die Existenz irgendeines chinesischen Generals. Der talentlose und unwissende Redner wiederholte ein sinnloses Sammelsurium von Phrasen, die nur eine klebrige Lüge zusammenhielt. »Durch ein Bündnis mit der Gestapo beabsichtigt Trotzki die Niederschlagung der Demokratie in Frankreich, den Sieg des Generals Franco in Spanien, den Zusammenbruch des Sozialismus in der USSR und vor allem die Vernichtung unseres geliebten, großen, genialen...« Die Stimme des Redners klingt fad und gleichzeitig schamlos. Es ist vollkommen klar, daß diesem standardisierten Verleumder sowohl Spanien, wie Frankreich, wie der Sozialismus ganz gleichgültig sind. Er denkt an das Butterbrot. Es war nicht möglich, sich mehr als zwei bis drei Minuten dieser Folter zu unterwerfen. Mehreremal am Tage kam einem die gleiche respektlose Frage in den Sinn: Ist die Menschheit so dumm? Ebensooft fast tauschte ich mit meiner Frau den Satz: »Und doch konnte man nicht glauben, daß sie so niederträchtig sind.«
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Stalin läuft keinesfalls der Wahrscheinlichkeit nach. In dieser Hinsicht hat er sich die Psychotechnik des Faschismus völlig angeeignet: die Kritik durch Massivität und Einheitlichkeit der Lüge zu erdrosseln. Widersprechen? Widerlegen? An Einwänden war kein Mangel. Unter den Papieren, die ich bei mir hatte, in meinem Gedächtnis, im Gedächtnis meiner Frau waren unschätzbare Beweise zur Entlarvung der Moskauer Fälschung. Tag und Nacht kamen Tatsachen in Erinnerung — Hunderte, Tausende von Tatsachen, von denen jede irgendeine Beschuldigung oder ein »freiwilliges Geständnis« erledigte. Schon in Veksat vor der Internierung, hatte ich in drei Tagen eine Broschüre über den Moskauer Prozeß in russischer Sprache diktiert. Jetzt war ich ohne technische Hilfe, ich mußte mit der Hand schreiben. Aber nicht das war die Hauptschwierigkeit. Während ich meine Erwiderungen, sorgfältig Zitate, Tatsachen und Daten nachprüfend, in ein Heft schrieb und mich Hunderte Mal fragte, ob es nicht beschämend und erniedrigend sei, auf solche unvorstellbare Schamlosigkeiten zu antworten — spien die Rotationsmaschinen der ganzen Welt immer neue Ströme apokalyptischer Lügen aus, und die Moskauer Radiosprecher vergifteten den Äther. Wie wird sich das Schicksal meines Manuskriptes gestalten? Wird man es durchlassen oder nicht? Am schwersten bedrückte die völlige Unbestimmtheit der Lage. Der Ministerpräsident gemeinsam mit dem Justizminister neigten offensichtlich zum vollkommenen Gefängnisregime. Die übrigen Minister fürchteten eine Opposition von unten. Auf keine meiner Anfragen betreffs meiner Rechte erhielt ich Antwort. Hätte ich doch mindestens sicher gewußt, daß mir jegliche literarische Arbeit verboten ist auch die zur Selbstverteidigung, ich würde vorübergehend die Waffen strecken und Hegel lesen (er stand auf meinem Bücherbrett). Aber nein, die Regierung verbot nichts direkt Sie konfiszierte nur meine Manuskripte, die ich an den Advokaten, an meinen Sohn, an meine Freunde adressiert hatte. Nach einigen Tagen angespannter Arbeit an einem aktuellen Dokument warte ich mit Ungeduld auf die Antwort des Adressaten. Es vergeht eine Woche, manchmal zwei. Ein Oberkonstabler bringt um die Mittagsstunde ein Papier mit der Unterschrift Konstads und der Mitteilung, diese und diese Briefe und Dokumente werden zur Weiterbeförderung nicht zugelassen. Keine Erklärungen, nur eine Unterschrift Oslo, den x. September
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1936. In Konstads Händen lag übrigens nur die Kontrolle über unsere Seelen (Radio, Briefwechsel, Zeitungen). Die unmittelbare Macht über unsere Körper war zwei höheren Polizeibeamten übertragen: Askvig und Jonas Lie. Der norwegische Schriftsteller Helge Krohg, dem man absolut glauben kann, nennt alle drei Faschisten. Allerdings benahmen sich Askvig und Lie anständiger als Konstad. Das politische Bild jedoch ändert es nicht. Faschisten überfallen meine Wohnung. Stalin beschuldigt mich der Verbindung mit den Faschisten. Um mich daran zu hindern, die Lüge zu entlarven, erreicht er von seinen demokratischen Verbündeten meine Internierung. Das Wesen der Internierung besteht darin, daß man mich und meine Frau drei faschistischen Beamten ausliefert. Eine bessere Aufstellung der Figuren kann keine Schachphantasie ausdenken!
Ich konnte dennoch nicht die abscheulichen Beschuldigungen passiv ertragen. Was blieb mir übrig? Zu versuchen, die örtlichen Stalinisten und Faschisten wegen Verleumdung in der Presse zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen, um durch den Prozeß die Lügenhaftigkeit der Moskauer Beschuldigungen nachzuweisen. Als Antwort auf diesen Versuch gab die wachsame Regierung am sg. Oktober eine neue Ausnahmeverordnung heraus, wonach der Justizminister das Recht bekam, einem »internierten Ausländer« die Führung irgendwelcher Prozesse zu verbieten. Der Minister machte von diesem Recht sofort Gebrauch. So diente die erste Gesetzlosigkeit als Fundament für eine weitere. Weshalb ging die Regierung auf eine so skandalöse Maßnahme ein? Aus dem gleichen Grunde. Das Osloer »kommunistische« Blättchen, das noch gestern vor der sozialistischen Regierung auf dem Bauche lag, stieß jetzt unerhört freche Drohungen an ihre Adresse aus. Trotzkis Attentat auf das »Prestige des Sowjetgerichts« werde der Wirtschaff Norwegens sicher ungeheure Verluste bringen! Das Prestige des Moskauer Gerichts? Aber es kann doch nur in einem Falle Verlust erleiden: wenn es mir gelingen würde, vor dem norwegischen Gericht die Lügenhaftigkeit der Moskauer Beschuldigungen nachzuweisen. Aber gerade davor hatte man im Kreml tödliche Angst. Ich machte den Versuch, die Verleumder in anderen Ländern zur Verantwortung zu ziehen (Tschechoslowakei und Schweiz). Die Reaktion ließ nicht auf sich warten: am 11. November benachrichtete mich der Justizminister durch einen in seiner Form groben Brief (die norwegischen so-
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zialistischen Minister glauben offenbar, Grobheit sei ein Attribut der festen Macht), daß mir die Führung jeglicher Prozesse, wo auch immer, verboten sei. Falls ich mir das Recht in einem anderen Lande suchen wolle, müsse ich »den Boden Norwegens verlassen«. Diese Worte waren an sich eine kaum verschleierte Drohung mit der Ausweisung, das heißt der faktischen Auslieferung an die GPU. So deutete ich dieses Dokument in einem Brief an meinen französischen Advokaten, G. Rosenthal. Indem die norwegische Zensur diesen Brief durchließ, bestätigte sie meine Deutung. Die beunruhigten Freunde klopften nun an alle Türen, um ein Visum für mich zu suchen. Als Resultat dieser Bemühungen öffnete sich die Türe des fernen Mexiko ... Doch darüber zu seiner Zeit.
Es war ein regnerischer und nebliger Herbst. Es ist schwer, die lastende Atmosphäre in dem Holzhause Sundby wiederzugeben, wo die ganze untere und die Hälfte der oberen Etage von schweren und schwerfälligen Polizisten besetzt waren, die Pfeifen rauchten, Karten spielten und uns mittags Zeitungen voller Verleumdungen oder Botschaften von Konstad mit seiner fatalen Unterschrift brachten. Was wird es weiter geben? Wo ist der Ausweg? Schon am 15. September machte ich einen Versuch, die öffentliche Meinung zu warnen, daß Stalin nach dem politischen Zusammenbruch des ersten Prozesses gezwungen sein werde, einen zweiten zu inszenieren. Ich sagte insbesondere voraus, daß die GPU diesmal versuchen würde, die Operationsbasis der Verschwörung nach Oslo zu verlegen. Mit dieser Warnung hoffte ich, der GPU den Weg abzuschneiden, den zweiten Prozeß zu verhindern und vielleicht eine neue Gruppe von Angeklagten zu retten. Vergeblich! Meine Erklärung wurde konfisziert. In der Form eines Briefes an meinen Sohn schrieb ich eine Antwort auf die verleumderische Broschüre des britischen Advokaten Pritt. Da aber der »königliche Rat« die GPU flammend verteidigte, hielt sich die norwegische Regierung für verpflichtet, Pritt zu verteidigen: meine Arbeit wurde angehalten. Ich wandte mich mit einem Brief an das Büro der Gewerkschafts-Internationale, unter anderem auf das tragische Schicksal Tomskis verweisend, des früheren Hauptes der sowjetrussischen Gewerkschaften, und forderte energisch Einmischung. Der Justizminister konfiszierte auch diesen Brief. Der Ring der Bedrängungen verengte sich von Tag zu Tag. Bald verbot man uns auch die Spaziergänge außer-
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halb des kleinen Hofes. Besucher ließ man zu uns nicht. Briefe und sogar Telegramme wurden von der Zensur eine Woche und länger zurückgehalten. Die Minister erlaubten sich in Zeitung-Interviews Verhöhnung der Häftlinge. Der norwegische Schriftsteller Helge Krohg schrieb, die Regierung trage in die Verfolgungen gegen mich, je weiter, um so mehr, ein Element persönlichen Hasses hinein, und fügte hinzu: »Das ist keine seltene Erscheinung, daß Menschen den hassen, vor dem sie sich schuldig fühlen« ... Jetzt, wenn ich auf die Periode der Internierung zurückblicke, kann ich nicht verschweigen, daß ich niemals und von keiner Seite während meines ganzen Lebens — und ich habe schon viel gesehen — so zynisch schikaniert wurde wie seitens der norwegischen »sozialistischen« Regierung. Mit Grimassen demokratischer Heuchelei hielten mich diese Herren vier Monate an der Gurgel, um mich zu hindern, gegen das gigantischste aller historischen Verbrechen zu protestieren!
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Hinter geschlossenen Türen
Die norwegische Regierung hatte anfangs beabsichtigt, den Prozeß gegen die Faschisten, die einen Überfall auf meine Wohnung unternommen hatten, zwei Wochen vor den Wahlen anzusetzen, gewissermaßen als Gewinn-Nummer. Die Regierungspresse behauptete, den Verbrechern drohe einige Jahre Gefängnis. Nachdem jedoch ich und meine Frau hinter Schloß und Riegel geraten waren, vertagte die Regierung den Termin des Prozesses gegen die Faschisten bis nach den Wahlen, und der Justizminister charakterisierte den nächtlichen Überfall als »jugendlichen Unfug«. Oh, heilige Normen der Gerechtigkeit! Der Prozeß gegen die Faschisten fand nach den Wahlen vor dem Dramener Kreisgericht statt. Am 11. Dezember wurde ich als Zeuge geladen; die Regierung, die von meinen Aussagen weder für sich noch für ihre mächtigen Verbündeten in Moskau Gutes erwartete, verlangte die Schließung der Gerichtstüren und fand selbstverständlich keine Ablehnung. Die Angeklagten — typische Vertreter der deklassierten kleinbürgerlichen Jugend — kamen zur Verhandlung aus ihren Wohnungen als freie Bürger. Nur ich, der Leidtragende und Zeuge, wurde unter Schutz von einem Dutzend Polizisten vorgeführt. Die Zuschauerbänke standen leer; nur meine Leibwache nahm dort Platz. Rechts von mir saßen die traurigen Helden des nächtlichen Überfalls; sie hörten mit gespanntem Interesse zu. Die Bänke links waren von achtzehn Geschworenen und Kandidaten, teils Arbeitern, teils Kleinbürgern, besetzt. Der Vorsitzende verbot ihnen, während meiner Aussagen sich irgendwelche Notizen zu machen. Endlich nahmen hinter den Rücken der Richter einige hohe Würdenträger Platz. Die geschlossenen Türen gaben mir die Möglichkeit, mit voller Offenheit auf alle Fragen zu antworten. Der Vorsitzende unterbrach mich kein einziges Mal, obwohl ich ihm dazu genügend Anlaß gab im Verlauf meiner Aussage, die zusammen mit der Übersetzung — ich sprach deutsch — über vier Stunden dauerte. Ich besitze natürlich kein Stenogramm von der Verhandlung, aber ich verbürge mich für die fast wörtliche Genauigkeit des folgenden Textes, den ich aus frischer Erinnerung und auf Grund vorangegangener Aufzeichnungen niedergeschrieben habe. Die Aussage wurde von mir unter Eid gemacht. Ich übernehme für sie die volle Verantwortung. Wenn die »sozialistische« Regierung die Türen des Gerichts geschlossen hatte, so will ich nicht nur die Türen, sondern auch die Fenster öffnen.
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Um die Internierung
Nach den formalen Fragen des Vorsitzenden über die Person des Zeugen geht die Vernehmung sogleich in die Hände des faschistischen Advokaten W.*, des Verteidigers der Angeklagten, über.
»Wie sind die Bedingungen, unter denen der Zeuge nach Norwegen hereingelassen wurde? Hat sie der Zeuge nicht verletzt? Was war der Grund für seine Internierung?«
»Ich hatte mich verpflichtet, mich in die norwegische Politik nicht einzumischen und in Norwegen keine gegen andere Staaten gerichtete Tätigkeit auszuüben. Ich habe beide Bedingungen einwandfrei eingehalten. Sogar das Zentral-Paßbüro hat zugegeben, daß ich mich in norwegische Interessen nicht einmischte. Was die anderen Staaten betrifft, so war meine Tätigkeit nur literarischen Charakters. Gewiß, alles, was ich schreibe, trägt marxistischen, also revolutionären Charakter. Aber die Regierung, die sich selbst gelegentlich auf Marx beruft, kannte meine Richtung, als sie mir das Visum gab. Meine Bücher und meine Artikel werden stets unter meinem Namen gedruckt und waren in keinem Lande Verfolgungen ausgesetzt.«
»Hat denn der Justizminister bei seinem Besuch in Veksal dem Zeugen den Sinn der Bedingungen nicht erklärt?«
»Der Justizminister hat mir bald nach meiner Ankunft in Norwegen tatsächlich einen Besuch abgestattet. Er war in Begleitung Martin Tranmels, des Führers der norwegischen Arbeiterpartei, und des offiziösen Journalisten Kolbjörnson. Nicht ohne verlegenes Lächeln erwähnte der Justizminister, die Regierung hoffe, daß meine Tätigkeit keine gegen andere Staaten gerichtete »Stacheln« enthalten werde. Das Wort »Stacheln« schien mir nicht sehr klar, da aber der Minister in gebrochenem Deutsch sprach, so drang ich nicht weiter auf ihn ein. Im wesentlichen stellte ich mir die Sache so vor: Die reaktionären Philister bilden sich ein, ich wolle Norwegen in eine Operationsbasis für Verschwörungen, Waffenlieferungen und
* Ich sehe keinen Grund, für diese Herren Reklame zu machen, indem ich sie mit vollem Namen nenne.
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andere schreckliche Dinge verwandeln. In dieser Beziehung konnte ich die Herren Philister, darunter auch die »sozialistischen«, mit gutem Gewissen beruhigen. Doch konnte es mir nicht in den Sinn kommen, daß man unter unzulässigen »Stacheln« politische Kritik verstehen kann. Ich hielt Norwegen für ein zivilisiertes und demokratisches Land ... und ich will auch heute noch auf diese meine Ansicht nicht verzichten.«
»Aber hat denn der Justizminister dem Zeugen nicht erklärt, daß ihm nicht erlaubt ist, Artikel über aktuelle politische Themen zu publizieren?«
»Eine solche Deutung würde in jenen Tagen dem Justizminister selbst unanständig erschienen sein. Ich bin ein politischer Schriftsteller, seit nahezu vierzig Jahren. Das ist, meine Herren Richter und Geschworenen, mein Beruf und gleichzeitig der Inhalt meines Lebens. Hätte die Regierung im Ernst von mir verlangen können, daß ich, aus Dankbarkeit für ein Visum, auf meine Ansichten und ihre Darlegung verzichte? Nein, die Regierung verleumdet sich nachträglich selbst... Darüber hinaus bat mich gleich nach der kurzen Auseinandersetzung über die geheimnisvollen »Stacheln« Kolbjörnson um ein Interview für das »Arbeiderbladet«. Ich fragte den Justizminister in scherzender Form: »Wird aber nicht das Interview als ein Eindringen in die norwegische Politik gedeutet werden?« Der Minister antwortete wörtlich folgendes: »Nein, wir haben Ihnen ein Visum gegeben und müssen Sie unserer öffentlichen Meinung vorstellen.« Das ist doch wohl klar. In Gegenwart des Justizministers und Martin Tranmels und mit ihrer stillschweigenden Zustimmung erklärte ich dann auf die mir gestellten Fragen, daß die Sowjetdiplomatie im italienisch-abessinischen Kriege Italien verbrecherische Hilfe geleistet hat; daß die Moskauer Regierung überhaupt ein konservativer Faktor geworden ist; daß die regierende Kaste sich mit systematischer Fälschung der Geschichte beschäftigt, um sich selbst zu erhöhen; daß der europäische Krieg unvermeidlich ist, wenn ihn die Revolution nicht aufhalten wird usw. Ich weiß nicht, ob man in diesem Interview, das am s6. Juli 1935 im »Arbeiderbladet« abgedruckt ist, Rosen finden kann, »Stacheln« gibt es dort genügend! Erlauben Sie mir noch, auf die Tatsache zu verweisen, daß meine »Autobiographie« in Norwegen erst vor wenigen Monaten in einem Verlag der Regierungspartei erschienen ist.
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Im Vorwort zu dieser Ausgabe wird der byzantinische Kult der Unfehlbarkeit des »Führers«, die bonapartistische Willkür Stalins und seiner Clique gegeißelt und die Notwendigkeit gepredigt, die bürokratische Kaste zu stürzen. Dort wird auch erklärt, daß gerade dieser Kampf gegen den Sowjetbonapartismus die Ursache meiner dritten Emigration ist. Mit anderen Worten, wenn ich bereit gewesen wäre, auf diesen Kampf zu verzichten, ich hätte keinen Grund gehabt, die norwegische Gastfreundschaft zu suchen ... Aber auch das ist noch nicht alles, meine Herren Richter und Geschworenen! Am 8i. August, wenige Tage vor meiner Internierung, veröffentlichte das »Arbeiderbladet« auf der ersten Seite ein längeres Interview mit mir unter der Überschrift: »Trotzki weist nach, daß die Moskauer Beschuldigungen erfunden und fabriziert sind.«
Die Regierungsmitglieder haben doch wohl, wie man annehmen darf, meine Enthüllung über die Moskauer Fälschung gelesen. Die acht Tage später erlassene Verordnung über meine Internierung beruft sich jedoch nicht auf das aktuelle Interview, das aus puren »Stacheln« bestand, sondern auf meine alten Artikel, die in Frankreich und in den Vereinigten Staaten gedruckt wurden. Die Unwahrhaftigkeit springt hier direkt in die Augen! Ich kann mich schließlich auf das Zeugnis des Außenministers Koht berufen, der etwa zehn Tage vor meiner Inhaftierung in einer Wahlversammlung erklärt hat: »Gewiß, die Regierung hat gewußt, daß Trotzki auch weiterhin seine politischen Artikel apolitische Chroniken<) schreiben wird, doch erachtete die Regierung es als ihre Pflicht, dem demokratischen Prinzip des Asylrechts treu zu bleiben.« Die Rede des Herrn Koht ist im Offiziosus der Regierung abgedruckt. Sie alle haben sie gelesen. Das öffentliche Zeugnis des Ministers des Auswärtigen überführt den Justizminister der direkten Unwahrheit. Um noch im letzten Moment einen Versuch zu machen, vor der öffentlichen Meinung die wirkliche Lage zu verbergen, beschlagnahmte der Justizminister bei meinen Sekretären einen Brief, in dem ich von meinem ersten politischen Interview mit seiner aktiven Beteiligung erzähle, und wies meine beiden Mitarbeiter in gröbster Form aus Norwegen aus. Warum? Weshalb? Sie sind nicht einmal Emigranten, sie besitzen tadellose Pässe. Und außerdem — was das wichtigste ist — sie sind tadellose Menschen. Unter dem Schein eines Asyls hat mir, meine Herren Richter, die norwegische Regierung eine Falle gestellt. Ich kann das nicht anders bezeichnen.
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Ist es denn nicht ungeheuerlich, daß ein Polizeiamt, das die Funktion hat, die Pässe der Ausländer — die Pässe! — zu kontrollieren, die Aufgabe übernimmt, meine wissenschaftliche und literarische Tätigkeit, und zwar außerhalb Norwegens — zu kontrollieren?
Würde es von den Herren Trygve Lie und Konstad abhängen, weder das »Kommunistische Manifest« noch das »Kapital«, noch irgendein anderes klassisches Werk des revolutionären Gedankens würden je das Licht der Welt erblickt haben: das alles sind Werke von politischen Emigranten!
Als krassestes Beispiel meiner schädlichen Tätigkeit führt die Regierung einen in den Vereinigten Staaten in der bürgerlichen Wochenschrift »Nation« und in Frankreich legal erschienenen Artikel an. Ich zweifle nicht, daß weder der Präsident der Vereinigten Staaten noch Leon Blum sich an den Chef des norwegischen Paßbüros um Schutz gegen meine Artikel gewandt haben.
Die Forderung, mir den Mund zu stopfen, geht von Moskau aus. Das aber will die norwegische Regierung nicht gestehen, um ihre Abhängigkeit nicht zu demaskieren. Darum deckt sie ihre Willkür mit Unwahrhaftigkeit zu.«
Advokat W.: »Welche Beziehungen hat der Zeuge zur Vierten Internationale?«
»Ich bin ein Anhänger und in gewissem Sinne der Initiator dieser internationalen Strömung und trage die politische Verantwortung für sie.«
»Folglich beschäftigt sich der Zeuge auch mit praktischer revolutionärer Arbeit.«
»Die Theorie von der Praxis zu trennen ist nicht leicht, und am wenigsten strebe ich es an. Die Bedingungen meiner Existenz im heutigen >demokratischen< Europa sind jedoch derart, daß ich, unglücklicherweise, keine Möglichkeit habe, mich in die praktische Arbeit einzumischen. Als die Organisationen der Vierten Internationale auf ihrer Konferenz im Sommer dieses Jahres mich in meiner Abwesenheit in ihren Rat — der, nebenbei gesagt, mehr ehrenvollen als praktischen Charakter trägt — hineingewählt hatten, lehnte ich in einem Sonderbrief diese Ehre ab, gerade darum, um den Konstads aller Länder keinen Grund zu Polizeiintrigen zu geben ... Was die Märchen der norwegischen reaktionären Presse betrifft, ich sei der Organisator des Aufstandes in Spanien, der Streiks in Frankreich und Belgien usw., so kann ich darüber nur verächtlich die Achseln zucken.
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In Wirklichkeit gehört die Initiative des Aufstandes in Spanien den Gesinnungsgenossen der Angeklagten und ihres Advokaten. Gewiß, wenn ich die Möglichkeit hätte, zu praktischer Arbeit nach Spanien zu gehen, ich würde das unverzüglich tun. Ich würde all meine Kräfte einsetzen, um den spanischen Arbeitern zu helfen, mit dem Faschismus fertigzuwerden, ihn niederzuschlagen, auszurotten. Leider muß ich mich beschränken auf Artikel oder Ratschläge in Briefen, wenn Gruppen oder Personen um meinen Rat fragen ... Was will eigentlich der faschistische Advokat? Wir stehen vor einem Gericht, das heißt vor einer Institution, die berufen ist, Gesetzesverletzungen zu ahnden. Habe ich ein Gesetz verletzt? Welches? Sie wissen, meine Herren Richter und Geschwornen, daß ein anderer faschistischer Advokat, Herr H., die Staatsanwaltschaft aufgefordert hat, gegen mich eine Verfolgung einzuleiten wegen meiner »Tätigkeit« — ich weiß nicht, literarischen oder terroristischen. Die Beschwerde wurde von zwei Instanzen abgewiesen. Der Reichsstaatsanwalt Sund, der offizielle Wächter über die Gesetze dieses Landes, hat in der Presse erklärt, daß er aus dem gesamten Material, über das er verfügt, nicht ersehen kann, daß Trotzki irgendein norwegisches Gesetz verletzt oder überhaupt Anlaß gegeben hat, ein Verfahren gegen ihn zu eröffnen. Diese Erklärung wurde am 26. September abgegeben, fünf Wochen nach dem Moskauer Prozeß und fast einen Monat nach meiner Internierung. Man kann dem Herrn Reichsstaatsanwalt die gebührende Achtung vor seinem Mut und seiner Charakterfestigkeit nicht versagen! Seine Erklärung ist eine offene Mißtrauensdemonstration gegen die Moskauer Anklagen und gleichzeitig eine Verurteilung der Repressalien gegen mich seitens der norwegischen Regierung. Das, glaube ich, genügt doch!«
Advokat W.: »Kennt der Zeuge diesen Brief, wer hat ihn geschrieben?«
»Diesen Brief habe ich meinem Sekretär diktiert, und er ist wohl von den Herren Advokaten während ihres unerbetenen Besuches — pardon — gestohlen worden. Aus dem Text des Briefes selbst geht hervor, daß ich in Beantwortung an mich gerichteter Fragen meine Meinung darüber ausspreche, ob eine mir bekannte Person, Herr H, Vertrauen verdient. Auch in diesem Falle erteile ich nur einen Rat.«
Advokat W. (ironisch): »Nur einen Rat? Oder vielleicht mehr als einen Rat?«
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»Sie wollen sagen: einen Befehl?«
Advokat W. nickt bejahend mit dem Kopfe.
»In den Parteien der Nazis beschließt und entscheidet der >Führer< ... zweifellos auch dann, wenn es sich um einen nächtlichen Überfall auf eine Wohnung handelt. Ähnliche Sitten hat sich die entartete Komintern angeeignet. Der Zwangskult des blinden Gehorsams schafft Sklaven und Lakaien, aber nicht Revolutionäre. Ich bin weder ein Amt noch ein gesalbter Führer. Meine Ratschläge, die immer sehr vorsichtig und bedingt sind, weil ich aus der Entfernung schwer alle Faktoren einschätzen kann —, werden von den interessierten Personen soweit beachtet, wie sie innere Überzeugungskraft besitzen: keine andere Kraft besitzen sie ... Die jungen Leute, die diesen harmlosen Brief gerajibt haben, rechneten wohl damit, in meinen Archiven Beweise für Verschwörungen, Umwälzungen und andere Verbrechen zu finden. Politischer Analphabetismus ist ein schlechter Ratgeber. In meinen Briefen steht nichts, was man nicht in meinen Artikeln finden kann. Mein Archiv ergänzt meine literarische Tätigkeit, steht aber zu dieser in keinem Gegensatz. Für jene, die mich anklagen wollen...«
Vorsitzender: »Es besteht gegen Sie hier keine Anklage. Sie wurden in der Eigenschaft eines Zeugen geladen.«
»Ich verstehe es wohl, Herr Vorsitzender. Doch der Herr Advokat ...«
Advokat W.: »Ich erhebe keine Beschuldigung, wir verteidigen uns nur.«
»Gewiß, aber Sie verteidigen einen nächtlichen Überfall auf mich damit, daß Sie jede Verleumdung gegen mich, woher sie auch stammen mag, aufnehmen und aufwärmen. Ich verteidige mich gegen eine solche >Verteidigung<.«
Vorsitzender: »Das ist Ihr Recht. Sie können überhaupt auf Fragen, die geeignet sind, Ihnen Schaden zuzufügen, die Antwort verweigern.«
»Solche Fragen gibt es nicht, Herr Vorsitzender! Ich bin bereit, auf alle Fragen, die jemand an mich hat, zu antworten. Ich habe kein Interesse an geschlossenen Türen, o nein! ... Man kann in der ganzen menschlichen Geschichte wohl kaum einen grandioseren Verleumdungsapparat finden als den, der gegen mich in Bewegung gesetzt ist. Das Budget dieser internationalen Verleumdung läßt sich nur in Millionen reinen Goldes be-
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rechnen. Die Herren Faschisten und die sogenannten >Kommunisten< schöpfen ihre Beschuldigungen aus der gleichen Quelle: der GPU. Ihre gemeinsame Arbeit gegen mich ist eine Tatsache, die man auf Schritt und Tritt beobachten kann, unter anderem auch in diesem Prozeß. Mein Archiv ist eine der besten Widerlegungen aller gegen mich gerichteten Insinuationen und Verleumdungen.«
Staatsanwalt: »Inwiefern?«
»Erlauben Sie mir, etwas ausführlich dies zu erklären. Im Auslande befinden sich meine Archive, die die Zeit seit Januar 1928 umfassen. Ältere Dokumente besitze ich nur in beschränkter Zahl. Aber was die letzten neun Jahre betrifft, so sind alle Briefe, die ich erhielt, und Kopien aller meiner Antworten» (es handelt sich um Tausende von Briefen) in meinem Besitz. Ich bin in der Lage, jeden Augenblick einer unparteiischen Kommission, jedem öffentlichen Gericht diese Dokumente vorzulegen. In dieser Korrespondenz gibt es keine Lücken und keine ausgelassenen Stellen. Sie entwickelt sich von Tag zu Tag mit einwandfreier Vollständigkeit und gibt durch ihre Kontinuität meine Gedankengänge und meine Tätigkeit wieder. Sie läßt einfach keinen Raum für eine Verleumdung ... Sie werden mir vielleicht erlauben, ein Beispiel aus einem, einigen Geschwornen näheren Gebiet zu geben. Stellen wir uns einen religiösen und frommen Menschen vor, der sein ganzes Leben danach strebt, in enger Übereinstimmung mit der Bibel zu leben. In einem bestimmten Augenblick erheben seine Feinde mit Hufe gefälschter Dokumente oder falscher Zeugen die Beschuldigung, dieser Mann beschäftige sich im geheimen mit atheistischer Propaganda. Was wird der Verleumdete sagen: >Hier ist meine Familie, hier sind meine Freunde, hier ist meine Bibliothek, meine gesamte Korrespondenz aus vielen Jahren, hier mein ganzes Leben. Lesen Sie meine Briefe nach, die von verschiedenen Personen aus verschiedenen Anlässen geschrieben wurden, befragen Sie Hunderte von Menschen, die mit mir während vieler Jahre im Verkehr standen, und Sie werden sich überzeugen, daß ich eine Arbeit, die meinem ganzen sittlichen Wesen widerspricht, nicht leisten konnte.< Dieses Argument wird für jeden vernünftigen und ehrlichen Menschen überzeugend sein. (Der Vorsitzende und einige Geschworne nicken zustimmend.) In einer analogen Lage befinde ich mich.
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Vierzig Jahre habe ich mit Wort und Tat die Ideen des revolutionären Marxismus verteidigt. Meine Treue zu dieser Lehre, die, ich wage es zu glauben, durch mein ganzes Leben und insbesondere durch die Bedingungen, unter denen ich mich jetzt befinde, bewiesen ist, hat mir eine große Zahl von Feinden geschaffen. Um den Einfluß der Ideen, die ich verteidige und die durch die Ereignisse unserer Epoche immer mehr Bestätigung finden, zu paralysieren, greifen die Feinde zur persönlichen Anschwärzung: sie versuchen, mir Methoden individuellen Terrors anzuhängen oder, noch schlimmer, eine Verbindung mit der Gestapo ... Die vergiftete Wut geht hier schon in Dummheit über. Kritisch denkende Menschen, die meine Vergangenheit und meine Gegenwart kennen, brauchen keine Untersuchungen, um diese schmutzigen Beschuldigungen zu verwerfen. Aber allen jenen, die Zweifel und Bedenken tragen, mache ich den Vorschlag, zahlreiche Zeugen zu vernehmen, wesentliche politische Dokumente zu studieren und insbesondere meine Archive aus der Periode, die meine Feinde anzuschwärzen besonders bemüht sind, zu untersuchen. Die GPU irrt sich über die Bedeutung meiner Archive nicht und ist darum bestrebt, sie um jeden Preis in ihren Besitz zu bringen.«
Der Vorsitzende: »Was heißt das, GPU? Die Geschwornen kennen diese Bezeichnung nicht.«
»GPU, das ist die politische Polizei der Sowjetunion, die seinerzeit ein Organ zum Schutze der Volksrevolution war, die sich aber in eine Institution zum Schutze der Sowjetbürokratie gegen das Volk verwandelt hat. Der Haß der Bürokratie gegen mich ist damit zu erklären, daß ich einen Kampf gegen ihre ungeheuerlichen Privilegien und ihre verbrecherische Willkür führe. In diesem Kampfe besteht eben das Wesen des sogenannten >Trotzkismus<. Um mich der Verleumdung gegenüber wehrlos zu machen, ist die GPU bestrebt, in den Besitz meiner Archive zu gelangen, und sei es auch durch Raub, Einbruch und sogar Mord.«
Der Staatsanwalt: »Woraus kann man das schließen?«
»Am 10. Oktober schrieb ich zum zweiten- oder drittenmal an meinen Sohn, der in Paris lebt: >Ich zweifle nicht daran, daß die GPU alles unternehmen wird, um meine Archive zu rauben. Ich schlage vor, den Pariser Teil der Archive unverzüglich irgendeiner wissenschaftlichen Institution, eventuell dem holländischen Institut für soziale Geschichte oder, noch besser, irgendeinem amerikanischen Institut zu übergeben/ Diesen Brief
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hatte ich, wie alle anderen, durch das Paßbüro abgeschickt: andere Wege hatte ich nicht. Mein Sohn ging sofort daran, die Archive der Pariser Abteilung des holländischen historischen Instituts für Geschichte zu übergeben.* Nachdem er aber einen Teil abgeliefert hatte, ist im Institut ein Einbruch verübt worden. Die Diebe haben mit einem Schweißapparat die schwere Türe zum Institut ausgebrannt, haben eine Nacht lang gearbeitet, alle Regale und Kisten durchsucht, nichts, sogar nicht das auf dem Tisch zufällig liegengebliebene Geld mitgenommen, außer meinen Papieren im Gewicht von 85 Kilogramm. Durch ihre Handlungsweise haben sich die Organisatoren des Diebstahls derart verraten, als hätte der Chef der GPU am Ort des Verbrechens seine Visitenkarte zurückgelassen. Alle französischen Zeitungen (selbstverständlich außer der kommunistischen »Humanite«, die ja ein Offiziosus der GPU ist) haben offen oder verschleiert die Überzeugung ausgesprochen, daß der Raub auf Befehl von Moskau durchgeführt worden ist. Den Tribut der Technik der GPU zollend, hatte die Pariser Polizei erklärt, daß die französischen Einbrecher über eine solch mächtige Apparatur nicht verfügen ... Zum Glück haben sich die Pariser Agenten der GPU zu sehr beeilt und sind hineingefallen: die erste Partie der dem Institut ausgelieferten Papiere war nur ein zwanzigster Teil meiner Pariser Archive und bestand hauptsächlich aus alten Zeitungen, die ein Interesse nur für wissenschaftliche Arbeiten haben; glücklicherweise haben die Einbrecher nur sehr wenige Briefe rauben können ... Doch sie werden sich damit nicht begnügen. Ich erwarte neue, entschiedenere Attentate, vielleicht schon hier, in Norwegen. Ich erlaube mir jedenfalls, die Aufmerksamkeit der Richter auf die Tatsache zu lenken, daß die GPU den Überfall auf das Archivgebäude verübte, sehr bald nachdem ich das holländische historische Institut in einem Brief, der durch die Hände des Paßbüros gegangen war, genannt hatte. Habe ich nicht das Recht zu der Vermutung, daß die GPU ihre Agenten in jenen norwegischen Ämtern hat, die meine Korrespondenz zu kontrollieren
*Wie ich aus den schriftlichen Angaben meines Sohnes, die er dem Untersuchungsrichter am 19. November 1936 schriftlich gemacht hat, ersehe, hatte er den ersten Teil der Archive noch vor Erhalt meines Briefes vom io. Oktober übergeben, und zwar auf Grund meiner früheren Briefe, in denen ich wiederholt Befürchtungen in bezug auf die Archive ausgesprochen hatte, wenn auch nicht in so kategorischer Form.
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berufen sind? Wenn das stimmt, dann verwandelt sich die Kontrolle in eine direkte Beihilfe für die Einbrecher. Der Pariser Überfall der Agenten Stalins hat mich zum erstenmal auf den Gedanken gebracht, daß die Initiative zu dem Attentat dieser Herren (eine Handbewegung in der Richtung der Angeklagten) auf meine Archive ebenfalls von der GPU ausgegangen sein kann ...« Vorsitzender: »Worauf gründen Sie Ihren Verdacht?« »Es handelt sich ja nur um eine Hypothese. Ich habe mich wiederholt gefragt, wer hat diesen jungen Menschen den Plan zum Überfall eingeflößt? Wer hat sie mit einem so vollkommenen militärischen Apparat zum Ablauschen meiner Telephongespräche ausgerüstet? Die norwegischen Nazis sind doch, wie die letzten Wahlen gezeigt haben, vorläufig noch eine unbedeutende Gruppe. Mein erster Gedanke war, in die Sache sei die Gestapo verwickelt, die auf diesem Wege meine Gesinnungsgenossen in Deutschland auskundschaften will. Die Beteiligung der Gestapo an dieser Sache steht für mich auch jetzt außer Zweifel.« Vorsitzender: »Worauf gründen Sie Ihre Annahme?« »In den letzten Wochen vor dem Attentat haben die Herren Faschisten mehrere Male unseren Hof und sogar unsere Wohnung besucht, am häufigsten unter der Vorspiegelung, sich für den Kauf des Hauses zu interessieren ... Das Benehmen dieser >Käufer< hatte wiederholt meinen Verdacht erregt: wenn sie mit mir im Hofe oder im Hause zusammenstießen, taten sie, als bemerkten sie mich nicht, sie konnten sich nicht entschließen, mich zu grüßen. Der Mut dieser jungen Herren bleibt überhaupt hinter ihrem bösen Willen zurück: sonst hätten sie nicht vor einem mutigen Mädchen, Jordis Knudsen, kapituliert... Einige Tage vor dem Attentat kam in unseren Hof ein Ausländer im Tiroler Kostüm; als er mich erblickte, wandte er die Augen ab. Auf meine Frage, was er denn hier wolle, gab er die sinnlose Antwort: >Brot kaufen<, wobei er sich als Tourist und Österreicher ausgab. In unserem Hause wohnte gerade in jenen Tagen ein Österreicher, der, nachdem er den Besucher höflichst zum Tore hinausbefördert hatte, mir sagte: dieses Subjekt spricht nicht österreichisch, sondern einen ausgesprochenen norddeutschen Dialekt. Ich zweifle nicht, daß der verdächtige Tourist ein Instruktor zur Vorbereitung des Attentates war.«
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Der Hauptangeklagte R. H.: »Es war ein Mecklenburger. Er war tatsächlich Tourist und trug Tiroler Hosen. Er war etwa achtzehn Jahre alt... Er stand zu unserem Plan in keiner Beziehung. Wir trafen uns mit ihm zufällig im Hotel.«
»Aha! Der Angeklagte gibt also seine Verbindung mit dem Mecklenburger zu, der sich aus irgendeinem Grunde für einen Österreicher ausgegeben hat. Was das Alter des >Touristen< betrifft, so war er keinesfalls jünger als 23. Er hatte es nicht notwendig gehabt, Brot bei uns zu suchen, da es Bäckereien gibt. Eine zufällige Begegnung im Hotel? Ich glaube es nicht. In der Erklärung des Angeklagten stimmt nur die Tiroler Hose ... Daß die Faschisten, besonders die deutschen, mich hassen, haben sie zur Genüge bewiesen. Während der Hetze der reaktionären französischen Presse gegen mich wurde das Material aus Deutschland geliefert. Als die Gestapo bei irgendeiner Haussuchung in Berlin ein Päckchen meiner alten Briefe, noch aus der vorfaschistischen Zeit, gefunden hatte, belegte Goebbels ganz Deutschland mit Plakaten, die meine verbrecherische Tätigkeit enthüllen sollten. Meine Gesinnungsgenossen in Deutschland sind zu vielen Jahrzehnten Zuchthaus verurteilt worden.«
Advokat W.: »Wann war das?«
»Verhaftungen und Verurteilungen erfolgten während der ganzen Zeit, auch während der letzten Monate. Seit den ersten Jahren meiner Verbannung habe ich in Broschüren und Artikeln wiederholt nachgewiesen, daß die Politik der Komintern in Deutschland den Sieg der Nazis vorbereitet. Damals herrschte die berüchtigte Theorie von der >dritten Perioden Stalin gebar einen Aphorismus: Sozialdemokratie und Faschismus sind Zwillinge und nicht Antipoden/ Als Hauptfeind von den beiden >Zwillingen< galt aber die Sozialdemokratie. Im Kampfe gegen sie gingen die deutschen Stalinisten so weit, daß sie Hitler unterstützten (das berühmte preußische Volksbegehren). Die gesamte Politik der Komintern war eine Kette von Verbrechen. Ich habe die Einheitsfront mit der Sozialdemokratie gefordert, die Schaffung einer Arbeitermiliz und einen ernsten, nicht theatralischen Kampf gegen die bewaffneten Banden der Reaktion. In den Jahren 1929 bis 1932 bestand absolut die Möglichkeit, mit Hitlers Bewegung fertig zu werden. Doch waren dafür die Politik der revolutionären Verteidigung und nicht bürokratischer Stumpfsinn und Prahlerei nötig.
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Die Nazis haben sehr aufmerksam den inneren Kampf in den Reihen der Arbeiterklasse verfolgt und sich klare Rechenschaft abgelegt über die Gefahr, die für sie eine mutige Politik der Einheitsfront bedeutete. In diesem Sinne kann man den Versuch der Gestapo, mit Hilfe ihrer norwegischen Gesinnungsgenossen, meine Korrespondenz an sich zu bringen, begreifen. Es ist aber auch eine andere Erklärung, eine nicht weniger wahrscheinliche möglich. Indem sie den Moskauer Prozeß vorbereitete, mußte sich die GPU für mein Archiv interessieren. Einen Überfall durch die >Kommunisten< zu organisieren, das hätte bedeutet, sich zu sehr bloßzustellen. Durch die Faschisten war es bequemer. Um so mehr, als die GPU ihre Agenten in der Gestapo hat, wie die Gestapo ihre Agenten in der GPU. Sowohl die einen wie die anderen konnten diese jungen Menschen für ihre Pläne ausnutzen.«
Der Angeklagte R. H. (erregt): »Wir standen weder mit der GPU noch mit der Gestapo in Verbindung.«
»Ich behaupte auch gar nicht, daß den Angeklagten bekannt war, wer sie leitete. Aber das ist überhaupt das Schicksal der faschistischen Jugend, daß sie nur Kanonenfutter für fremde Zwecke ist.« Der Advokat W. (auf einige Nummern des »Bulletin der russischen Opposition« hinweisend): »Ist der Zeuge der Herausgeber dieser Zeitschrift?«
»Herausgeber in formalem Sinne — nein. Aber ihr Hauptmitarbeiter. Jedenfalls trage ich in vollem Maße die politische Verantwortung für diese Zeitschrift.«
Advokat W. (nachdem das Gericht auf sein Verlangen hin eine Reihe von Zitaten aus dem »Bulletin« verlesen hat, die eine scharfe Kritik der Sowjetbürokratie enthalten): »Ich mache das Gericht darauf aufmerksam, daß der Zeuge diese Artikel während seines Aufenthaltes in Norwegen geschrieben hat; schon damit allein war er bestrebt, das Regime eines mit Norwegen befreundeten Staates zu untergraben.«
»Ich konstatiere mit Interesse, daß die norwegischen Faschisten das Regime Stalins gegen mich verteidigen. Gemeinsam mit dem Chef des Paßbüros rechnen sie mir gleichzeitig meine Kritik an der Politik Leon Blums in Frankreich als Schuld an. Sie verteidigen, scheint es, alle existierenden Regime außer dem norwegischen: hier behalten sie sich das Recht auf eine Staatsumwälzung vor. Isoliert betrachtet, mag der Überfall auf meine Wohnung als eine bedeutungslose Episode erscheinen.
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Wenn man aber diese Frage bis zu Ende überlegt, so bedeutet dieser Akt die erste Probe auf den Bürgerkrieg in Norwegen.«
Der Advokat W. hebt mit demonstrativer Verwunderung die Hände hoch.
»Oh, ich weiß, daß das alles im Namen der >Ordnung< geschieht. General Franco hat den Aufstand im Namen der >Ordnung< begonnen. Hitler bereitet zur Eettung der >Ordnung< vor dem Bolschewismus den Weltkrieg vor. Die Faschisten retten die Ordnung mit Hilfe blutiger Unordnung. Die norwegischen Faschisten haben als Anfang versucht, Unordnung in meine Archive zu bringen. Aber dies nur deshalb, weil sie vorläufig für größere Verbrechen zu schwach sind.«
Der Advokat W.: »Ist das >Bulletin< in Rußland verboten?«
»Gewiß!«
Der Advokat W.: »Im >Bulletin< aber steht, daß seine Ideen in der US SR viele Anhänger haben. Der Zeuge hat sich folglich während seines Aufenthaltes in Norwegen mit illegaler Zustellung des >Bulletins< nach Rußland beschäftigt?«
»Ich persönlich habe mich damit absolut nicht beschäftigt. Doch zweifle ich daran nicht, daß das >Bulletin< und seine Ideen nach Rußland eindringen. Auf welchen Wegen? Auf den verschiedensten. Im Auslande befinden sich stets Hunderte und sogar Tausende Sowjetbürger (Diplomaten, Handelsvertreter, Seeleute, Wirtschaftler, Techniker, Studierende, Artisten, Sportleute). Viele von ihnen lesen das >Bulletin<, allerdings verstohlen, aber lieber als die offizielle Sowjetpresse. Ich hörte sogar, daß Litwinow in seiner Rocktasche stets eine neue Nummer des >Bulletin< mitnimmt. Unter Eid kann ich das allerdings nicht behaupten, um so weniger, als ich dem Sowjetdiplomaten keine Unannehmlichkeit bereiten will (Lächeln bei den Richtern und Geschworenen) ... Die hohen Würdenträger des Kremls sind die sichersten Abonnenten des >Bulletin<, mit dem sie mehr als einmal in offiziellen Reden polemisierten; ob glücklich, ist eine andere Frage. Wenn sie Berichte in der Sowjetpresse über diese Reden finden, sind die Bürger bestrebt, zwischen den Zeilen zu lesen. Das alles genügt natürlich nicht, aber immerhin ist es schon etwas ...
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Ich möchte nebenbei noch bemerken, daß das >Bulletin< bereits seit acht Jahren erscheint, wovon ich die größte Zeit in der Türkei und in Frankreich verbrachte. Bis zum Jahre 1933 wurde das >Bulletin< in Deutschland gedruckt; Hitler hat es aber gleich nach seiner Machtergreifung verboten. Jetzt erscheint das >Bulletin< auf Grund des französischen Pressegesetzes in Paris. Sogar die türkische Regierung hatte, trotz ihrer besonderen Freundschaft mit dem Kreml, auf meine literarische Tätigkeit keine Attentate unternommen. Die Ehre dieser Initiative gehört, wenn man von Hitler absieht, den norwegischen Faschisten und in zweiter Reihe der norwegischen Regierung.«
Der Advokat W. (dem Zeugen die Nr. 48 des »Bulletin« hinhaltend): »Hat der Zeuge diesen nicht gezeichneten Leitartikel geschrieben?«
»Der Herr Advokat interessiert sich also ebenfalls für diesen Artikel? Ich bin gezwungen, eine sensationelle Gegenüberstellung zu machen. Mit der gleichen Nummer erschien bei mir vor einigen Wochen in Sundby (dem Orte meiner Gefangenschaft) der Chef der norwegischen Polizei, Askvig, der sich augenblicklich im Gerichtssaale befindet. Im Auftrage des Chefs des Paßbüros stellte er mir die gleiche Frage: ob der nichtgezeichnete Artikel in der Nummer 48 des >Bulletin< (Februar 1936) von mir ist. Ich habe ihm geantwortet: Führt Konstad eine Untersuchung? In welcher Angelegenheit? Auf Grund welcher Gesetze? Die Frage des Chefs des Paßbüros bezeichnete ich als frech und weigerte mich, auf sie zu antworten. Jetzt befindet sich dieselbe Nummer in den Händen des Advokaten ...«
Der Vorsitzende: »Der Verteidiger hat auf Grund der norwegischen Gesetze das Recht, sich des gesamten Materials der Voruntersuchung zu bedienen.«
»Das begreife ich wohl, Herr Vorsitzender. Wer aber hat diese Nummer des >Bulletin< in das Voruntersuchungs-Material aufgenommen?«
Der Staatsanwalt: »Die Nummer ist aufgenommen worden auf Verlangen der Verteidigung; ich habe diese Aufnahme abgelehnt, da ich darin keinen Zusammenhang mit der vorliegenden Sache entdecken kann.«
»Also, meine Herren Richter und Geschworenen, der Chef des Paßbüros versuchte ungesetzlicherweise, durch die Polizei von mir, dem Gefangenen, Mitteilungen zu erhalten, die der faschistische Verteidiger der Einbrecher in meine Wohnung für irgendwelche Zwecke braucht. Ist das kein Skandal? Und diesen Herrn beauftragt die >sozialistische< Regierung, meine Korrespondenz zu kontrollieren!... Was den Artikel selbst betrifft,
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so habe ich hier, vor Gericht, nicht den geringsten Grund, meine Autorschaft zu leugnen. Der Artikel ist ja auch mit meiner Unterschrift in einer Reihe ausländischer Zeitungen und Zeitschriften in Europa und Amerika erschienen. Er ist völlig den Verfolgungen der sogenannten Trotzkisten in der Sowjetunion gewidmet. Solche Artikel habe ich Dutzende geschrieben. Der Herr Advokat kann sich, scheint es, mit meiner Kritik der stalinschen Polizei absolut nicht abfinden. Es ist auch nicht verwunderlich: die Faschisten stehlen meine Papiere in Norwegen, die Agenten der GPU — in Paris, und die Einheit der Methode erweckt Interessen-Solidarität.«
Nachdem Auszüge aus dem inkriminierten Artikel verlesen wurden, zeigt der Advokat W. dem Zeugen das französische Buch: L. Trotzki, »Defense du terrorisme«, Paris 1936. Ob aus der Feder des Zeugen das im Jahre 1936, folglich in Norwegen geschriebene Vorwort stammt?
»Eine überflüssige Frage: das Vorwort trägt meine Unterschrift und ein Datum. Das Buch selbst wurde im Jahre 1919 geschrieben und ist damals in vielen Sprachen erschienen. Soviel ich weiß, war es nirgendwo Verfolgungen ausgesetzt. Die Entstehungsgeschichte des Buches ist folgende: der bekannte Theoretiker der Zweiten Internationale, K. Kautsky, hatte ein Buch geschrieben, das den >Terrorismus< der Bolschewiki entlarvte. Ich schrieb ein Buch zur Verteidigung unserer Partei. Es handelt sich in diesem Werke selbstverständlich nicht um den individuellen Terror, den wir Marxisten immer schon ablehnten, sondern um revolutionäre Handlungen der Massen. Ich weiß nicht, ob der Inhalt meines Buches vom Standpunkte des Paßbüros ein Verbrechen ist. Jedoch gehörten der norwegische Ministerpräsident, der Justizminister und eine Reihe anderer Mitglieder der Regierung gerade in jener Periode, als dies Buch erschien, der Kommunistischen Internationale an. Sie haben es alle zweifellos gelesen. Was sie daraus entnommen haben, ist eine andere Sache.«
Auf Verlangen des Advokaten W. wird die Übersetzung einiger Stellen aus dem Vorwort verlesen, die die revolutionäre Richtung der Gedanken des Autors bezeugen.
»Sie sehen, daß die Angeklagten es gar nicht notwendig gehabt hatten, meine Briefe zu stehlen: in meinen Büchern drücke ich den revolutionären Charakter meines Programms viel klarer aus. Von meinen schädlichen Ideen werden mich sogar die Medikamente des norwegischen Paßbüros nicht kurieren.«
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Der Advokat W. (zeigt das Buch »Leon Trotzki, >La revolution trahie<, Grasset, Paris 1936«): »Hat der Zeuge dieses Buch während seines Aufenthalts in Norwegen geschrieben?«
»Ja, und zum Glück konnte ich die Arbeit noch vor der Internierung nicht nur beenden, sondern zwei Kopien des Manuskriptes ins Ausland senden, an den französischen und an den amerikanischen Übersetzer. Die übrigen Kopien gerieten in die Hände des Paßbüros, das mit Hilfe von Professoren und Diplomaten über zwei Monate sich den Kopf zerbrach, ob ich ein wissenschaftliches oder ein politisches Werk verfaßt habe. Erst nachdem in Oslo Exemplare der französischen Ausgabe angekommen waren, hatte sich Herr Konstad überzeugt, daß seine gelehrten Bemühungen umsonst gewesen waren ... mir jedoch haben sie einen großen moralischen und materiellen Schaden zugefügt. Außerhalb Norwegens ist es keinem Menschen von gesundem Verstand eingefallen, gegen die Veröffentlichung dieser Arbeit zu protestieren. Im Gegenteil, ich kann mit Genugtuung einen großen Erfolg des Buches beim französischen Leser feststellen.«
Der Advokat W.: »Was versteht der Zeuge unter Erfolg? Schnelle Verbreitung?«
»Nicht nur die Verbreitung, sondern auch den Widerhall, den das Buch in der Presse der verschiedensten Richtungen gefunden hat. Die politischen Schlußfolgerungen des Autors werden von der überwiegenden Mehrheit natürlicherweise abgelehnt. Doch empfehlen fast alle Kritiker ihren Lesern das Buch zur Beachtung. Als einer der ersten hatte sich in diesem Sinne der frühere französische Ministerpräsident Caillaux ausgesprochen, der bekanntlich nicht zu meinen Gesinnungsgenossen gehört. Ich könnte viele Rezensionen anführen ... Aber ist es nicht erstaunlich und nicht lächerlich, daß ich gezwungen bin, vor einem norwegischen Gericht gleichsam das Recht auf den Druck meiner Bücher in Frankreich nachzuweisen? Die norwegische Regierung hat sich in eine Sackgasse hineingejagt, aus der sie keinen würdigen Ausgang hat!« Auf Ersuchen des Advokaten übersetzt der Zeuge aus der französischen Sprache in die deutsche einzelne Stellen aus dem Buche, in denen die Rede ist von dem unvermeidlichen Sturze der bonapartistischen Bürokratie durch die werktätigen Massen der Sowjetunion.
Der Advokat W.: »Ich verweise darauf, daß es in Norwegen geschrieben ist.«
»Ich verweise darauf, daß die Sowjet-Oligarchie in den norwegischen Faschisten wachsame und, ich hoffe, uneigennützige Freunde besitzt. Jedenfalls haben an meiner Internierung Stalin und Quisling* Hand in Hand gearbeitet«
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