Der Anfang vom Ende
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Auf allen Gebieten des öffentlichen und des politischen Lebens ist die Bürokratie zum Werkzeug der Entmachtung, der Demoralisierung und Demütigung des Landes geworden. Vor allem auf dem Gebiet der Wirtschaft. Die nach rechts und nach links geschleuderten Sabotage-Beschuldigungen haben den ganzen administrativen Apparat desorganisiert. Jede objektive Schwierigkeit wird als persönliches Versäumnis gedeutet. Jedes Versäumnis wird, wenn nötig, der Sabotage gleichgestellt.
In jedem Gebiet, in jedem Bezirk ist ein Pjatakow erschossen worden. Die Ingenieure der Plan-Organe, die Direktoren der Trusts und Fabriken, die Meister, alle sind auf den Tod erschrocken. Keiner möchte die Verantwortung tragen. Jeder hat Angst, Initiative zu entwickeln. Gleichzeitig aber kann man vor die Kugel geraten wegen Mangel an Initiative. Die Überspannung des Despotismus führt zur Anarchie. Die Sowjetwirtschaft braucht das Regime der Demokratie nicht weniger als Qualitätsrohstoffe oder Schmiermaterial. Das Stalinsche Verwaltungssystem ist nichts anderes als eine universelle Sabotage der Wirtschaft.
Noch schlimmer, wenn das überhaupt möglich ist, ist es auf dem Gebiet der Kultur bestellt: Die Diktatur der Unbildung und der Lüge würgt und vergiftet das geistige Leben von hundertundsiebzig Millionen. Die letzten Prozesse wie überhaupt die gesamte, ihren Zielen und Methoden nach ehrlose Säuberung haben die Herrschaft der Intrige, der Denunziation, der Lumperei und der Feigheit völlig befestigt. Die Sowjetschule verkrüppelt das Kind nicht weniger radikal als das katholische Seminar, von dem sie sich durch mangelhaftere Stabilität unterscheidet. Die unabhängigeren und begabteren Gelehrten, Pädagogen, Schriftsteller und Künstler sind eingeschüchtert, gehetzt, verhaftet, verbannt, wenn nicht erschossen. Auf der ganzen Linie triumphiert der talentlose Lump. Er schreibt der Wissenschaft die Marschroute vor und diktiert der Kunst die Regeln des Schaffens. Ein stickiger Fäulnisgeruch entsteigt der Sowjetpresse.
Kann es etwas Schändlicheres geben als die Gleichgültigkeit, die die Bürokratie für das Weltprestige des Landes zeigt?
Die internationale Großbourgeoisie und die Militärstäbe aller Länder geben sich über die Moskauer Fälschungen und die Beweggründe der Säuberungen eine viel klarere Rechenschaft ab als viele der von ihren Führern betrogenen Arbeiterorganisationen. Was müssen die kapitalistischen Auguren von einer »sozialistischen« Regierung denken, die sich auf so minderwertige Abenteuer einläßt? In Berlin und in Tokio weiß man jedenfalls, daß die gegen die Trotzkisten und die roten Generale erhobene Beschuldigung des Landesverrats im Interesse des deutschen und des japanischen Militarismus reinster Unsinn ist. Man braucht sich natürlich keine Illusionen zu machen über die Moral der japanischen, der deutschen und aller anderen Regierungen. Es handelt sich auch nicht um einen Wettstreit im Einhalten der zehn Gebote, sondern um die Beurteilung der Stabilität des Sowjetregimes.
Aus den von ihr organisierten Prozessen geht die Moskauer Regierung bis auf die Knochen entehrt hervor. Die Feinde wie die eventuellen Verbündeten schätzen die Macht und die Autorität dieser Regierung heute viel niedriger ein als vor der letzten Säuberung. Diese Einschätzung wird wiederum zum wichtigsten Faktor der internationalen Gruppierungen. Unterdessen tritt die Regierung der USSR schrittweise vor ihrem schwächsten Gegner, Japan, den Rückzug an. Die lärmenden Artikel und Reden, die die Kapitulationen begleiten, täuschen niemand. Die Moskauer Oligarchie führt im Innern Krieg und ist deshalb zu einem Widerstand nach außen unfähig. Die Auslieferung der Amur-Inseln hat Japan die Arme gegen China freigemacht. Es ist sehr gut möglich, daß man Litwinow beauftragt hat, den japanischen Diplomaten von vornherein zu sagen: „Macht mit China, was ihr wollt, aber rührt uns nicht an — wir werden uns nicht einmischen.« Die regierende Clique hat auf alles verzichtet, außer auf die eigene Selbsterhaltung.
Nicht weniger katastrophal ist jener Zweig der diplomatischen Arbeit, der durch den Apparat der Komintern ausgeführt wird. England und Frankreich allein wäre es niemals gelungen, dem revolutionären Spanien eine bürgerliche konterrevolutionäre Regierung im Stile Negrins aufzuzwingen. Die Diplomaten in London und Paris haben dazu den Transmissions-Mechanismus der sogenannten Kommunistischen Internationale notwendig gehabt. Im Kampfe um das Vertrauen der französischen und der englischen Bourgeoisie bestand die Hauptsorge Stalins während der ganzen Zeit darin, die spanischen Arbeiter zu hindern, den Weg der sozialistischen Revolution zu betreten.
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Für die Unterstützung der »Volksfront«-Regierung hatte sich Moskau energischere Repressalien gegen Revolutionäre ausbedungen. Wie zu erwarten war, führte der Kampf gegen die Arbeiter und Bauern im eigenen Hinterlande unabwendbar zu Niederlagen an der Front. Gegen Franco ist die Moskauer Clique ebenso ohnmächtig wie gegen den Mikado. Und genau so, wie er Sündenböcke für seine Innenpolitik braucht, zwangen Stalin die durch die reaktionäre Politik hervorgerufenen Niederlagen in Spanien, Rettung zu suchen in der Ausrottung der revolutionären Avantgarde.
Die in Moskau ausgearbeiteten Methoden des Amalgams und der Fälschung werden in fertiger Form auf den Boden von Barcelona und Madrid verpflanzt. Die Führer der POUM, die man nur des Opportunismus und der Unentschlossenheit gegenüber der Stalinschen Reaktion beschuldigen kann, sind plötzlich als »Trotzkisten« und, selbstverständlich, als »Verbündete des Faschismus« proklamiert worden. Die Agenten der GPU in Spanien »fanden« von ihnen selbst mit chemischer Tinte geschriebene Briefe, mit deren Hilfe man nach Moskauer Methoden eine Verbindung der Revolutionäre von Barcelona mit Franco feststellte. An Halunken zur Durchführung der blutigen Aufträge besteht kein Mangel. Der frühere Revolutionär Antonow-Owsejenko, der 1927 ein Reuebekenntnis seiner oppositionellen Sünden ablegte und im Jahre 1936 von der Todesangst erfaßt wurde, auf die Anklagebank zu geraten, hat in der »Prawda« seine Bereitschaft erklärt, »mit eigenen Händen« Trotzkisten zu erdrosseln.
Dieses Subjekt wurde sofort unter der Maske eines Konsuls nach Barcelona geschickt mit Weisungen, wer zu erdrosseln sei. Die Verhaftung Nins auf Grund einer wissentlich falschen Anklage, seine Entführung aus dem Gefängnis und die geheime Ermordung ist das Werk Antonow-Owsejenkos. Die Initiative jedoch gehört natürlich nicht ihm; solch verantwortliche Unternehmen geschehen nur im direkten Auftrag des »Generalsekretärs«.
Die Amalgame auf dem Boden Europas braucht Stalin nicht nur, um die Aufmerksamkeit von seiner durch und durch reaktionären internationalen Politik abzulenken, sondern auch zur Stützung der zu groben Amalgame auf dem Boden der Sowjetunion. Die entstellte Leiche Nins soll als Beweis dienen ... für Pjatakows Flug nach Oslo.
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Die Sache beschränkt sich nicht auf Spanien. Vorbereitungen werden schon längst in einer Reihe anderer Länder getroffen. In der Tschechoslowakei ist der deutsche Emigrant Anton Grylewicz, ein alter, tadelloser Revolutionär, verhaftet wegen des Verdachts ... der Verbindung mit der Gestapo. Die Beschuldigung ist zweifellos von der GPU fabriziert und in fertiger Form der tschechoslowakischen Polizei überreicht worden.*
Wirkliche und angebliche Trotzkisten sind vor allem in jenen Ländern Verfolgungen ausgesetzt, die das Unglück hatten, in die Abhängigkeit von Moskau zu geraten: in Spanien und in der Tschechoslowakei. Aber das ist erst der Beginn. Die internationalen Schwierigkeiten, die zu allem bereiten Söldlinge der Komintern und, nicht zuletzt, die Hilfsmittel der wachsenden Goldindustrie ausnutzend, hofft Stalin, die Anwendung seiner Methoden auch in andern Ländern durchsetzen zu können. Die Reaktion ist überall bereit, Revolutionäre loszuwerden, besonders wenn eine ausländische »revolutionäre« Regierung die Arbeit der Fälschung und der Meuchelmorde übernimmt, sei es auch mit Hilfe einheimischer »Freunde«, die aus dem gleichen ausländischen Budget bezahlt werden.
Der Stalinismus ist die Geißel der Sowjetunion geworden und die Pest der internationalen Arbeiterbewegung. Im Reiche des Geistes ist der Stalinismus ein Nichts. Dafür aber ist er ein grandioser Apparat, der die Dynamik der größten Revolution und die Tradition ihres Heroismus und ihres Sieges ausbeutet. Aus der schöpferischen Rolle der revolutionären Gewalt in einer bestimmten historischen Periode hat Stalin mit der ihn kennzeichnenden empirischen Beschränktheit die Schlußfolgerung gezogen von der Allmacht der Gewalt überhaupt. Unmerklich für ihn selbst ist er von der revolutionären Gewalt der Werktätigen gegen die Ausbeuter zur konterrevolutionären Gewalt gegen die Werktätigen übergegangen. So vollzieht sich unter den alten Namen und Formeln eine Arbeit zur Liquidierung der Oktoberrevolution.
* Diese Überzeugung des Autors ist inzwischen durch Ignaz Reiss bestätigt worden.
Ignaz Reiss, ein polnischer Kommunist, der jahrelang im geheimen Auslandsdienst der Sowjetregierung stand, hatte im Juli 1937 offen mit Moskau gebrochen und war zur linken Opposition übergegangen. In einem offenen Brief an das ZK der russischen kommunistischen Partei protestierte er gegen die Abschlachtung der alten Bolschewiki. Reiss wußte zuviel über die Moskauer Prozesse! Am 4. September 1937 wurde er in der Nähe von Lausanne in der Schweiz von Agenten der GPU ermordet. Drei von den am Morde Beteiligten sind verhaftet. In den Aufzeichnungen, die man in Ignaz Reiss' Nachlaß fand, erzählt er, daß die Verhaftung Grylewicz auf einer Provokation der GPU beruht, und daß Stalin gefordert hatte, die Sache gegen Grylewicz zu beschleunigen, wobei er persönlich wiederholt den Leiter der GPU, Jeschow, telephonisch antrieb.
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Niemand, Hitler inbegriffen, hat dem Sozialismus so tödliche Schläge versetzt wie Stalin. Es ist auch nicht verwunderlich: Hitler hat die Arbeiterorganisationen von außen attackiert, Stalin — von innen. Hitler attackiert den Marxismus. Stalin attackiert ihn nicht nur, sondern prostituiert ihn auch. Es ist nicht ein ungeschändetes Prinzip, es ist nicht eine unbefleckte Idee übriggeblieben. Selbst die Worte Sozialismus und Kommunismus sind grauenhaft kompromittiert, seit unkontrollierte Gendarmen mit Ausweisen als »Kommunisten« ihr Gendarmenregime Sozialismus nennen. Eine abscheuliche Profanierung.
Die Kaserne der GPU ist nicht das Ideal, für das die Arbeiterklasse kämpft. Der Sozialismus bedeutet eine absolut klare Gesellschaftsordnung, die auf der Selbstverwaltung der Werktätigen beruht. Stalins Regime basiert auf einer Verschwörung der Regierer gegen die Regierten. Der Sozialismus bedeutet ständiges Wachsen der Gleichheit aller. Stalin hat ein System abscheulicher Privilegien aufgebaut. Der Sozialismus hat die allseitige Entfaltung der Persönlichkeit als Ziel. Wo und wann war die Persönlichkeit so erniedrigt wie in der USSR? Der Sozialismus hätte gar keinen Wert außerhalb einer Gesellschaft, in der uneigennützige, ehrliche, humane Beziehungen der Menschen untereinander herrschen. Stalins Regime hat die gesellschaftlichen und persönlichen Beziehungen mit Lüge, Karrierismus und Verrat durchtränkt. Gewiß, nicht Stalin bestimmt die historischen Wege. Wir kennen die objektiven Gründe, die die Reaktion in der USSR vorbereitet haben. Doch nicht durch Zufall kam Stalin an die Spitze der thermidorianischen Welle. Dem gierigen Appetit der neuen Kaste verstand er die bedrohlichste Richtung zu geben. Er trägt nicht die Verantwortung für die Geschichte. Aber er trägt die Verantwortung für sich und für seine Rolle in der Geschichte. Diese Rolle ist verbrecherisch. Die Maßstäbe des Verbrecherischen sind derart, daß der Ekel sich mit Schrecken multipliziert.
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In den strengsten Kodexen der Menschheit läßt sich keine ausreichende Strafe für die regierende Moskauer Clique und vor allem für ihr Haupt finden. Warnten wir trotzdem in unsern Aufrufen an die Sowjetjugend vor dem individuellen Terror, der auf dem russischen, von Willkür und Gewalt durchtränkten Boden so leicht entsteht, so geschah das nicht aus moralischen, sondern aus politischen Erwägungen. Akte der Verzweiflung ändern nichts am System, erleichtern nur den Usurpatoren die blutige Abrechnung mit den Gegnern. Sogar unter dem Gesichtswinkel der »Rache« könnten terroristische Schläge keine Genugtuung bringen. Was bedeutet der Untergang eines Dutzend hoher Bürokraten im Vergleich mit Zahl und Umfang der von ihnen begangenen Verbrechen? Die Aufgabe besteht darin, vor dem Bewußtsein der Menschheit die Verbrecher restlos zu entlarven und sie in die Mistgrube der Geschichte hinunterzustürzen. Mit weniger kann man sich nicht zufrieden geben.
Die Sowjetbürokratie, wie die nazistische, rechnen mit einem tausendjährigen Reich. Ihrer Überzeugung nach stürzt ein Regime nur infolge mangelnder Entschlossenheit zu Repressalien. Das Geheimnis ist einfach: schlägt man rechtzeitig jeden kritischen Kopf ab, dann läßt sich die Herrschaft verewigen. Während einer bestimmten Periode, in der die Sowjetbürokratie eine relativ fortschrittliche Arbeit durchführte — zum größten Teil jene, die im Westen seinerzeit die Bürokratie des Kapitals durchgeführt hat —, hat Stalin schwindelerregende Erfolge buchen können. Doch war es eine sehr kurze Periode. Gerade in dem Augenblick, als Stalin endgültig die Überzeugung gewann, daß seine »Methode« den Sieg über alle Hindernisse sichere, erschöpfte die Sowjetbürokratie ihre Mission und begann schon in der ersten Generation zu verfaulen. Und daraus erwuchsen die jüngsten Anklagen und Prozesse, die dem Durchschnittsphilister wie aus heiterem Himmel gekommen erschienen.
Hat Stalin durch die blutige Säuberung seine Herrschaft gestärkt oder geschwächt? Die Weltpresse hat darauf in doppeltem Sinne und doppelsinnig geantwortet. Die erste Reaktion auf die Moskauer Fälschungen ließ fast bei allen die Schlußfolgerung aufkommen, daß ein Regime, das zu solchen Inszenierungen greifen muß, nicht von langer Dauer sein könne. Doch bald hat die konservative Presse, deren Sympathien im Kampfe gegen die Revolution die regierende Sowjetkaste stets sicher sein kann, eine Wendung gemacht. Stalin habe mit der Opposition endgültig abgerechnet, die GPU erneuert, die widerspenstigen Generale erledigt, und das alles unter dem Stillschweigen des Volkes, also: er hat seine Macht befestigt. Auf den ersten Blick scheint jede dieser zwei Schlußfolgerungen überzeugend. Aber nur auf den ersten Blick.
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Der soziale und politische Sinn der »Säuberung« ist klar: die regierende Schicht hat alle jene aus ihrer Mitte ausgeschieden, die sie an die revolutionäre Vergangenheit erinnerten, an die Prinzipien des Sozialismus, an Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, an die ungelösten Fragen der Weltrevolution. Die bestialische Grausamkeit bei der Abrechnung verrät den Haß, den die privilegierte Kaste gegen Revolutionäre hegt. In diesem Sinne steigert die Säuberung die Einheitlichkeit der regierenden Schicht und festigt gleichsam Stalins Position.
Jedoch ist diese Festigung ihrem Wesen nach eine nur scheinbare. Stalin ist, immerhin, ein Produkt der Revolution. Seine nächste Clique, das sogenannte Politbüro, besteht aus reichlich unbedeutenden Menschen, die aber größtenteils in der Vergangenheit mit dem Bolschewismus verbunden waren. Die Sowjetaristokratie, die zur Abrechnung mit den Revolutionären die Stalinsche Clique erfolgreich benutzt hat, hegt für die heutigen Führer weder Sympathie noch Achtung. Sie will von allen Einschränkungen des Bolschewismus völlig frei sein, sogar noch von jener verkrüppelten Form, die Stalin zur Disziplinierung seiner Clique braucht. Morgen wird Stalin für die regierende Schicht eine Last bedeuten.
Unermeßlich wichtiger aber ist, daß die Säuberung der Bürokratie von ihr fremden Elementen mit dem Preis eines immer größer werdenden Bruchs zwischen der Bürokratie und dem Volk bezahlt wird. Man kann ohne Übertreibung behaupten, die ganze Atmosphäre der Sowjetgesellschaft ist erfüllt von Haß gegen die privilegierte Spitze. Stalin wird sich bei jedem Schritt davon überzeugen müssen, daß die nackte Entschlossenheit zu Erschießungen zur Rettung des überlebten Regimes nicht ausreicht. Die Säuberungen in der Armee und in der GPU erinnern zu beredt daran, daß auch der Apparat der Gewalt aus lebenden Menschen besteht, die dem Einfluß der Umgebung unterworfen sind. Der wachsende Haß gegen die Bürokratie wie die unterirdische Feindschaft der Mehrheit der Bürokratie gegen Stalin zersetzen unabwendbar den Apparat der Repressalien und schaffen eine der Bedingungen für den Sturz des Regimes.
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Die Bonapartistische Macht ist erwachsen aus dem tiefgehenden Gegensatz zwischen Bürokratie und Volk wie aus dem Gegensatz zwischen den Revolutionären und den Thermidorianern innerhalb der Bürokratie. Stalin stützte sich bei seinem Aufstieg vorwiegend auf die Bürokratie gegen das Volk, auf die Thermidorianer gegen die Revolutionäre. Aber in gewissen kritischen Augenblicken war er gezwungen, Unterstützung bei den revolutionären Elementen zu suchen und mit deren Hilfe beim Volk gegen den zu ungeduldigen Angriff der Privilegierten. Es ist aber nicht möglich, sich auf einen sozialen Gegensatz zu stützen, der sich in einen Abgrund verwandelt. Daher der erzwungene Übergang zur thermidorianischen Totalität durch Ausrottung der letzten Reste revolutionären Geistes und des geringsten Ausdrucks politischer Selbständigkeit der Massen. Während sie vorübergehend die Macht Stalins rettet, lockert die blutige Säuberung endgültig die sozialen und politischen Fundamente des Bonapartismus.
Stalin steht nah vor dem Abschluß seiner tragischen Mission. Je mehr es ihm scheint, daß er keinen mehr braucht, um so näher rückt die Stunde, daß niemand ihn braucht. Gelingt es der Bürokratie, durch Umwandlung der Form des Eigentums aus sich heraus eine besitzende Klasse zu schaffen, dann wird diese ihre eigenen, mit keiner revolutionären Vergangenheit verbundenen und — gebildeteren Führer finden. Dabei wird Stalin kaum ein Dankeswort für die vollbrachte Arbeit zu hören bekommen. Die offene Konterrevolution wird mit ihm wahrscheinlich unter der Anklage des ... Trotzkismus abrechnen.
Stalin wird in diesem Falle ein Opfer des von ihm erfundenen Amalgams werden. Jedoch ist dieser Weg nicht unbedingt vorausbestimmt. Die Menschheit tritt von neuem in eine Epoche von Kriegen und Revolutionen. Nicht nur politische, sondern auch soziale Regime werden dabei wie Kartenhäuser zusammenstürzen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die revolutionären Erschütterungen in Asien und Europa beim Sturz der Clique Stalins durch eine kapitalistische Konterrevolution zuvorkommen und deren Sturz unter den Schlägen der Werktätigen herbeiführen werden. In diesem Falle hat Stalin noch weniger auf Dankbarkeit zu rechnen.
Wenn strenge Maßnahmen angewandt werden im Dienste großer historischer Ziele, ist das Gedächtnis der Menschheit großmütig. Aber die Geschichte wird keinen Tropfen Blut verzeihen, der dem neuen Moloch der Willkür und der Privilegien geopfert wurde. Das sittliche Gefühl findet seine höchste Befriedigung in der unerschütterlichen Gewißheit, daß die historische Sühne dem Ausmaß des Verbrechens entsprechen wird.
Die Revolution wird alle Geheimschränke öffnen, alle Prozesse nachprüfen, die Verleumdeten freisprechen, den Opfern der Willkür Denkmäler errichten und die Namen der Henker mit ewigem Fluch bedecken. Stalin wird von der Bühne treten, belastet mit allen Verbrechen, die er begangen hat — nicht nur als Totengräber der Revolution, sondern auch als die unheilvollste Figur der menschlichen Geschichte.
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Ende